Brief an die Rektoren der Marianischen Heiligtümer (Wortlaut)

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Apostolischer Brief

von Papst
Paul VI.
an die Rektoren der Marianischen Heiligtümer
1. Mai 1971

(Quelle: Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn, Herausgegeben von erzbischöflichen Generalvikariat, 114. Jahrgang (1971), Stück 10, 2.Juni.1971, S. 99-100, Nr. 145.)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Liebe Mitbrüder im Priesteramt !

Wenn die göttliche Vorsehung die Heiligtümer Mariens auf oft wunderbare Weise mit einer besonderen Note ausgezeichnet hat, ist dies dann nicht deswegen, um Seelsorgern wie Gläubigen einen Fingerzeig zu geben, in liebender Betrachtung ihrer Geheimnisse die Fürsprache Mariens mit mehr Vertrauen und Eifer anzurufen?

Es liegt Ihnen, liebe Mitbrüder, am Herzen, den Scharen der Pilger, die sich heute wie ehedem an diesen Gnadenstätten einfinden, welche die Gegenwart des unsichtbaren Gottes so einprägsam darstellen, als ihre Hüter und Seelsorger eine echte Andacht zu jener mitzugeben, die den Menschen den Erlöser geschenkt hat. Entsprechend den Weisungen des Konzils laden Sie die Pilger ein, jene Übungen der marianischen Frömmigkeit zu schätzen, die die Kirche im Laufe der Jahrhunderte empfohlen hat1; unter diesen nimmt der Rosenkranz eine besondere Stelle ein, weil er geeignet ist, im gleichen Gebet die Andacht zu Christus und Maria zu verbinden. Wir fordern Sie aber auch auf, jenen Platz, der Maria im liturgischen leben der Kirche zukommt, ins rechte Licht zu rücken, und noch mehr in ihr „das Vorbild der Tugenden aufzuzeigen, das der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten voranleuchtet"2; sie darzustellen „im lichte des menschgewordenen Wortes"3; sie, „die zuinnerst in die Heilsgeschichte eingegangen ist, vereinigt in sich gewissermaßen die größten Glaubensgeheimnisse und strahlt Sie aus".4

Aus dieser Übertragung heraus ergibt sich das Gebet der Gläubigen, die Fürsprache Mariens zu erlangen. Denn diese Überzeugung lässt uns ganz tief verstehen, dass die Mutter des menschgewordenen Wortes auch unsere Mutter ist. An Jesus Christus glauben und seine Gnade empfangen, ist das nicht gleichbedeutend mit ihm eins zu sein? Heißt das nicht, nach einem Wort des heiligen Paulus, wie zu einer mystischen Ausdehnung seines Leibes zu werden?5 An allen Akten, durch die der mystische Leib Christi ins Leben getreten und gewachsen ist, hat Maria Anteil. Wie der heilige Augustinus schreibt, ist sie „die Mutter der Glieder Christi, die wir sind, da sie durch ihre liebe zur Geburt der Gläubigen in der Kirche beigetragen hat, die die Glieder dieses Hauptes sind"6. Wie könnte sie durch ihre: wahrhaft mütterliche Fürsprache nicht fortfahren, an den Gnadenstätten und im laufe der Zeiten teilzunehmen an dieser Ausdehnung der Kirche, an dieser Ergänzung aller Menschen und alles Menschlichen in Christus, die ja die Fortführung des Heilswerkes ist, das in ihrem Herzen und in ihrem Schoße begonnen hat?

Da Wir sicher sind, dass alle Unsere Mitbrüder im Bischofsamt Uns beipflichten, halten Wir es für angezeigt, durch Ihre Vermittlung die Gläubigen, die Ihre Heiligtümer besuchen, heute einzuladen, mit noch größerem Eifer zur allerseligsten Jungfrau für die Kirche und die Welt zu beten. Die Menschen werden heute hin und her geworfen zwischen den kühnsten Erwartungen irdischen Glückes und der beängstigenden Sorge vor Unglück, dem die moderne Gesellschaft entgegenzueilen scheint. Vergessen wir es nicht, zur Zeit gibt es in der Welt Länder, in denen der Krieg wütet. Selbst die Aussicht auf menschlichen Fortschritt macht das Elend sehr vieler Volksmassen mehr und mehr unerträglich, weil dieser Fortschritt nur einigen Völkern und privilegierten Klassen, ohne sie freilich zufriedenzustellend, vorbehalten scheint?7

Dennoch sind den Menschen niemals solche Möglichkeiten geboten worden, um zur Einheit, zu Frieden und Glück zu gelangen. Sie vermögen dies aber nicht ohne Gott. Kein Fortschritt macht in Wahrheit den Wert und das Glück des Menschen aus, wenn nicht der Glaube an Jesus Christus und seine Lehre des Menschen unermüdliches Streben erleuchtet. Allein der Glaube offenbart dem Menschen, was er ist und was er sein kann. Er allein verwurzelt unter den Menschen die Liebe in ihrem unbedingten Anspruch und der umfassenden Weite. Er allein begründet die Hoffnung auf die ewigen Güter und verheißt dem menschlichen Streben seinen wirklichen Erfolg und den Sieg über den Tod.

Selbst im Innern der Kirche ist der Glaube vieler Menschen erschüttert.8 Ohne Zweifel wird die liebevolle Betrachtung der Geheimnisse Mariens ihren Glauben an Christus bei den Menschen bestärken, die in einer Welt und Kultur zu leben haben, die sich auf dem Weg der Säkularisation befindet. Gerade hier erhält die Fürsprache der heiligen Jungfrau eine ganz besondere Bedeutung. Ist es nicht vor allem ihr Glaube, durch den sie das Urbild und Vorbild der Kirche ist?

„Selig, die geglaubt hat"9. In allen Prüfungen, die sie erduldete, bewahrte Maria ihren Glauben stets unversehrt. Bevor sie selbst. zur vollen Klarheit gelangte, hing sie mit ganzem Herzen der vollen Wirklichkeit des Heilsgeheimnisses und der Person des Erlösers an. In ihr hat das ganze Menschengeschlecht Christus als ihren Erlöser aufgenommen und sich mit seinem Heilswerk verbunden.10 Sie hört nicht auf, jedem von uns zu helfen, jenen Akt des Glaubens und der Zustimmung in ihm und für ihn zu wiederholen.

Beten wir daher zur heiligen Jungfrau, um für die Christen im Dunkel und den Prüfungen der heutigen Zeit einen reinen, starken, unversehrten, geduldigen und treuen Glauben zu erlangen, jenen Glauben, von dem der heilige Johannes sagt, dass er „die Welt überwindet11 einen Glauben, der wie der ihrige in vorbehaltloser Hingabe, in Gehorsam und Liebe tief verwurzelt und der Wahrheit treu ergeben ist, die uns in ihrem Sohn Jesus Christus geoffenbart und durch die lebendige Tradition der Kirche bis auf unsere Tage überliefert wurde.

Erbitten wir von ihr, die am Pfingstfest in der Gemeinschaft der Apostel zugegen war und mit ihnen zusammen inständig gebetet hat, für die Nachfolger des heiligen Petrus und der Apostel wie für alle, die mit ihnen die Diener und Zeugen des Gotteswortes sind, die Gnade, dass sie den Menschen unserer Zeit das Wort des Glaubens ohne Furcht und mit Freude in einer Sprache verkünden, die sie verstehen.

Geliebte Söhne, machen Sie die Marienheiligtümer, die Ihrer Obsorge anvertraut sind, immer mehr zu Stätten, von denen solche Gebete für den Frieden, die Einheit und das Glück aller Menschen zum Himmel emporsteigen, besonders für diejenigen, die das Wort des Glaubens aufnehmen und es zum Mittelpunkt ihres Lebens machen;

zu Gnadenorten, die man mit dem festen Entschluss verlässt, selbst mit allen seinen Kräften für den Frieden der Welt und die Einheit der Kirche mitzuarbeiten.

Mit diesem Wunsche erteilen Wir Ihnen als Unterpfand der göttlichen Gnadenfülle für alle, die sich in diesen durch die Frömmigkeit des christlichen Volkes der Gottesmutter geweihten Heiligtümern zum Gebet versammeln, Unseren besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 1. Mai 1971.
Paulus PP VI.

Anmerkungen

1 Vgl. Lumen Gentium, Kap. 8, Nr. 67.

2 Vgl. ebd. Nr. 65,

3 Vgl. ebd.

4 Vgl. ebd.

5 Vgl. Eph 1,23.

6 De sancta Virginitate, Nr. 6, PL 40, 399.

7 Vgl, Enzykl. Populorum progressio.

8 Vgl. Unser kürzliches Apostolisches Lehrschreiben an die Bischöfe anlässlich der fünf jährigen Wiederkehr der Beendigung des Ökumenischen Konzils vom 8. Dezember 1970.

9 Lk 1,45, Vgl. Lumen Gentium 58,63 u.a.

10 Summa Theologica, IIIa Pars, qu. 30, a. 1: "Ut ostenderetur esse quodam spirituale matrimonium inter Filium Dei et humanam naturam ... per annuntiationem expectabatur consensus Virginis loco totius humanae naturae".

11 1 Joh 5,4.