Dies Domini (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Dies Domini

unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
An die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und an die Gläubigen
über die Heiligung des Sonntags
31. Mai 1998

(Offizieller lateinischer Text AAS 90 [1998] 713-766)

(Quelle: Deutsche Fassung; auch: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 133)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Schwestern und Brüder!

Einführung

1. Der Tag des Herrn — wie der Sonntag seit der apostolischen Zeit<ref> Vgl. Apg 1,10: »Kyriake heméra«; vgl. auch Didaché 14, 1; Ignatius von Antiochien, Brief an die Magnesier 9, 1-2: SC 10, 88-89.</ref> genannt wird — hat wegen seines engen Zusammenhanges mit dem eigentlichen Kern des christlichen Mysteriums in der Kirchengeschichte stets in hoher Achtung gestanden. Denn im Wochenrhythmus erinnert der Sonntag an den Tag der Auferstehung Christi. Er ist das wöchentliche Ostern, an dem der Sieg Christi über Sünde und Tod, die Vollendung der ersten Schöpfung in ihm und der Anbruch der »neuen Schöpfung« (vgl. 2 Kor 5,17) gefeiert wird. Er ist der Tag der anbetenden und dankbaren Beschwörung des ersten Tages der Welt und zugleich in der eifrigen Hoffnung die Vorwegnahme des »letzten Tages«, an dem Christus in Herrlichkeit wiederkommen (vgl. Apg 1,11; 1 Thess 4,13-17) und »alles neu machen« wird (vgl. Offb 21,5).

Auf den Sonntag passt daher gut der Freudenruf des Psalmisten: »Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen« (Ps 118, 24). Diese Einladung zur Freude, die sich die Osterliturgie zu eigen macht, weist Anzeichen jenes Staunens auf, von dem die Frauen ergriffen wurden, die bei der Kreuzigung Christi zugegen gewesen waren und, als sie »am ersten Tag nach dem Sabbat in aller Frühe« (Mk 16,2) zum Grab gekommen waren, dieses leer fanden. Es ist die Einladung, irgendwie die Freude der Emmausjünger nachzuerleben, die spürten, wie ihnen »das Herz in der Brust brannte«, als der Auferstandene sich unterwegs zu ihnen gesellte, ihnen die Schrift erklärte und sich zu erkennen gab, »als er das Brot brach« (vgl. Lk 24,32.35). Es ist das Echo der zuerst zögerlichen und dann überwältigenden Freude, welche die Apostel am Abend jenes gleichen Tages empfanden, als der auferstandene Jesus in ihre Mitte trat und sie das Geschenk seines Friedens und seines Geistes empfingen (vgl. Joh 20,19-23).

2. Die Auferstehung Jesu ist das Ursprungsereignis, auf dem der christliche Glaube beruht (vgl. 1 Kor 15,14): wunderbare Wirklichkeit, die ganz im Lichte des Glaubens aufgenommen, die aber von jenen, die den auferstandenen Herrn sehen durften, historisch bezeugt ist. Sie ist ein wundervolles Ereignis, das sich nicht nur auf absolute Weise in der Geschichte der Menschen auszeichnet, sondern im Zentrum des Geheimnisses der Zeit steht. Denn Christus ist Herr »der Zeit und der Ewigkeit«: daran erinnert uns in der eindrucksvollen Osternachtliturgie der Ritus der Bereitung der Osterkerze. Dadurch, dass sie nicht nur einmal im Jahr, sondern an jedem Sonntag des Auferstehungstages Christi gedenkt, will die Kirche also jede Generation auf die tragende Achse der Geschichte hinweisen, auf die sich das Geheimnis des Anfangs der Welt wie das ihrer endgültigen Bestimmung zurückführen lassen.

Man kann daher mit Recht, wie es die Homilie eines Autors aus dem 4. Jahrhundert tut, vom »Tag des Herrn« als dem »Herrn der Tage« sprechen.<ref>Pseudo Eusebius von Alexandrien, Sermo 16: PG 86, 416.</ref> Alle, denen die Gnade, an den auferstandenen Herrn zu glauben, zuteil wurde, können nicht umhin, die Bedeutung dieses Wochentages mit der lebhaften Gefühlsregung zu erfassen, die den hl. Hieronymus zu den Worten veranlaßte: »Der Sonntag ist der Tag der Auferstehung, er ist der Tag der Christen, er ist unser Tag«.<ref>In die dominica Paschae II, 52: CCL 78, 550.</ref> Der Sonntag ist in der Tat für uns Christen der »Ur-Feiertag«,<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 106.</ref> der nicht nur dazu bestimmt ist, der Abfolge der Zeit einen festen Rhythmus zu geben, sondern ihren tiefen Sinn zu enthüllen.

3. Die in zweitausend Jahren Geschichte stets anerkannte grundlegende Bedeutung des Sonntags wurde vom II. Vatikanischen Konzil nachdrücklich unterstrichen: »Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Paschamysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Sonntag genannt wird«.<ref>Ebd.</ref> Paul VI. hat diese Bedeutung aufs neue hervorgehoben mit der Approbation des neuen römischen liturgischen Kalenders und der allgemeinen Normen für die Ordnung des Kirchenjahres.<ref>Vgl. Motu proprio Mysterii paschalis (14. Februar 1969): AAS 61 (1969), 222-226.</ref> Während das Heranrücken des dritten Jahrtausends die Gläubigen dazu auffordert, im Lichte Christi über den Gang der Geschichte nachzudenken, sind sie auch eingeladen, mit neuer Kraft den Sinn des Sonntags wiederzuentdecken: sein »Geheimnis«, den Wert seiner Feier, seine Bedeutung für das christliche und menschliche Dasein.

Mit Genugtuung nehme ich Kenntnis von den vielfältigen lehramtlichen Interventionen und pastoralen Initiativen in der Zeit nach dem Konzil, welche Ihr, verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, sowohl als einzelne wie gemeinschaftlich — und mit Unterstützung von seiten Eures Klerus — zu diesem Thema entfaltet habt. An der Schwelle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 möchte ich Euch dieses Apostolische Schreiben anbieten, um Euer pastorales Engagement in einem so lebenswichtigen Bereich zu unterstützen. Aber zugleich möchte ich mich an Euch, liebe Gläubige, wenden und mich gleichsam geistig in den einzelnen Gemeinden einfinden, wo Ihr Euch jeden Sonntag mit Euren Hirten versammelt, um die Eucharistie und den »Tag des Herrn« zu feiern. Viele der Überlegungen und Gefühle, die in diesem Schreiben lebendig werden, sind während meines bischöflichen Dienstes in Krakau und dann, nach der Übernahme des Amtes des Bischofs von Rom und Nachfolgers Petri, bei den Besuchen der römischen Pfarreien, die ich regelmäßig an den Sonntagen der verschiedenen Zeiten des Kirchenjahres durchführe, in mir herangereift. So ist es mir, als würde ich in diesem Brief den lebendigen Dialog, den ich gerne mit den Gläubigen halte, weiterführen, indem ich mit Euch über den Sinn des Sonntags nachdenke und unterstreiche, warum er auch unter den neuen Gegebenheiten unserer Zeit als wahrer »Tag des Herrn« gefeiert werden soll.

4. Es kann nämlich niemandem entgehen, dass bis vor kurzem die »Heiligung« des Sonntags in den Ländern mit christlicher Tradition erleichtert wurde durch eine breite Beteiligung der Bevölkerung und durch die Organisation der zivilisierten Gesellschaft, die in den die verschiedenen Erwerbstätigkeiten betreffenden gesetzlichen Bestimmungen die Sonntagsruhe als feststehend vorsah. Heutzutage aber hat gerade in den Ländern, deren Gesetze den Feiertagscharakter dieses Tages festschreiben, die Entwicklung der sozio-ökonomischen Verhältnisse häufig zu tiefgreifenden Veränderungen des kollektiven Verhaltens und infolge davon der Gestaltung des Sonntags geführt. Es hat sich weithin die Praxis des »Wochenendes« durchgesetzt als wöchentliche Zeit der Entspannung, die möglichst weitab vom ständigen Wohnsitz verbracht werden soll und häufig gekennzeichnet ist durch die Teilnahme an kulturellen, politischen oder sportlichen Aktivitäten, die im allgemeinen eben auf die Feiertage fallen. Es handelt sich dabei um ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen, das in dem Maße, in dem es mit der Achtung echter Werte zur menschlichen Entwicklung und zum Fortschritt des sozialen Lebens insgesamt beizutragen vermag, sicher nicht ohne positive Elemente ist. Dieses entspricht nicht nur der Notwendigkeit, Ruhe zu finden, sondern auch dem Bedürfnis »zu feiern«, was dem Menschen angeboren ist. Wenn aber der Sonntag seinen ursprünglichen Sinn verliert und er auf ein reines »Wochenende« reduziert wird, kann es geschehen, dass der Mensch nicht mehr den »Himmel«<ref>Vgl. Pastorale Erklärung der italienischen Bischofskonferenz »Der Tag des Herrn« (15. Juli 1984), Ench. CEI 3, 1398.</ref> sehen kann, weil er in einem so engen Horizont eingesperrt ist. So ist er unfähig, zu feiern, auch wenn er eine Festtagsgewandung trägt.

Den Jüngern Christi ist jedenfalls aufgetragen, die Feier des Sonntags, die eine echte Heiligung des Herrentages sein muss, nicht mit dem »Wochenende« zu verwechseln, das grundsätzlich als Zeit der Ruhe und des Vergnügens verstanden wird. In diesem Zusammenhang bedarf es dringend einer authentischen geistlichen Reife, die den Christen hilft, in voller Übereinstimmung mit der Gabe des Glaubens »sie selbst zu sein«, immer bereit, Rechenschaft zu geben über die Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Das muss auch ein tieferes Verständnis des Sonntags mit sich bringen, um ihn auch in schwierigen Situationen in voller Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist leben zu können.

5. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die heutige Lage ziemlich bunt. Da gibt es einerseits das Beispiel einiger junger Kirchen, die beweisen, mit wieviel Eifer sich sowohl in den Städten wie in den verstreutesten Dörfern Menschen zur Feier des Sonntags motivieren lassen. Im Gegensatz dazu ist in anderen Gegenden wegen der erwähnten soziologischen Schwierigkeiten und vielleicht auch wegen fehlender starker Glaubensmotivationen ein außergewöhnlich niedriger Prozentsatz bei der Anzahl der Besucher der Sonntagsmesse festzustellen. Im Bewusstsein vieler Gläubigen scheint nicht nur der Sinn für den zentralen Charakter der Eucharistie abzunehmen, sondern sogar für die Pflicht, dem Herrn dankzusagen durch das gemeinsame Gebet mit den anderen innerhalb der kirchlichen Gemeinde.

Zu alledem kommt noch hinzu, dass nicht nur in den Missionsländern, sondern auch in den alten christlichen Ländern wegen des Priestermangels mitunter die sonntägliche Eucharistiefeier nicht in jeder einzelnen Gemeinde sichergestellt werden kann.

6. Angesichts dieses Szenariums neuer Situationen und daraus sich ergebender Fragen erscheint es nötiger denn je, die tiefen Lehrbegründungen zurückzugewinnen, die dem kirchlichen Gebot zugrunde liegen, damit allen Gläubigen wirklich klar wird, dass der Sonntag im christlichen Leben ein unverzichtbarer Wert ist. Wenn wir das tun, bewegen wir uns auf den Spuren der immerwährenden Überlieferung der Kirche, an die das II. Vatikanische Konzil kraftvoll erinnerte, wenn es lehrte, dass am Sonntag »die Christgläubigen zusammenkommen [müssen], um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferstehung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott dankzusagen, der sie wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (vgl. 1 Petr 1,3)«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 106.</ref>

7. In der Tat, man versteht die Pflicht, den Sonntag vor allem durch die Teilnahme an der Eucharistiefeier und durch eine von christlicher Freude und Brüderlichkeit erfüllter Ruhe zu heiligen, nur dann richtig, wenn man die vielfältigen Dimensionen dieses Tages bedenkt, auf die wir in diesem Schreiben hinweisen wollen.

Der Sonntag ist ein Tag, der das Herz des christlichen Lebens bildet. Wenn ich seit dem Beginn meines Pontifikats nicht müde werde zu wiederholen: »Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!«,<ref>Predigt bei der Übernahme des Pontifikates (22. Oktober 1978), 5: AAS 70 (1978), 947.</ref> so möchte ich heute alle eindringlich zur Wiederentdeckung des Sonntags einladen: Habt keine Angst, Eure Zeit Christus zu geben! Ja, öffnen wir unsere Zeit für Christus, damit er sie erleuchten und lenken kann. Er kennt das Geheimnis der Zeit und das Geheimnis des Ewigen, und er übergibt uns »seinen Tag« als ein immer neues Geschenk seiner Liebe. Die Wiederentdeckung dieses Tages ist eine Gnade, die wir erflehen müssen, um die eigenen Glaubensbedürfnisse voll zu leben, und auch um konkret Antwort zu geben auf die tiefsten und wahren Sehnsüchte, die in jedem Menschen sind. Die Christus geschenkte Zeit ist niemals verlorene Zeit, sondern eine gewonnene Zeit für die tiefe Vermenschlichung unserer Beziehungen und unseres Lebens.

ERSTES KAPITEL: DIES DOMINI - Die Feier des Schöpfungswerkes Gottes

»Alles ist durch das Wort geworden« (Joh 1,3)

8. In der christlichen Erfahrung ist der Sonntag vor allem ein österliches Fest, das völlig von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus erleuchtet wird. Er ist die Feier der »neuen Schöpfung«. Aber scheinbar ist gerade diese Wesensart des Sonntags, wenn sie in ihrer ganzen Tiefe verstanden wird, nicht von der Botschaft zu trennen, die uns die Schrift bereits auf ihren ersten Seiten über den Plan Gottes in der Schöpfung der Welt bietet. Denn wenn es wahr ist, dass das Wort Fleisch geworden ist, »als die Zeit erfüllt war« (Gal 4,4), so ist es ebenso wahr, dass es kraft seines Geheimnisses als ewiger Sohn des Vaters Ursprung und Ende des Universums ist. Das macht Johannes im Prolog seines Evangeliums geltend: »Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (1,3). Das unterstreicht gleichermaßen auch Paulus, wenn er an die Kolosser schreibt: »Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare [...]; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen« (1,16). Diese aktive Gegenwart des Sohnes im Schöpfungswerk Gottes ist voll offenbar geworden im Ostergeheimnis, in dem Christus dadurch, dass er »als Erster der Entschlafenen« (1 Kor 15,20) von den Toten auferstand, die neue Schöpfung begonnen und den Prozeß eingeleitet hat, den er selber vollenden wird im Augenblick seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, »wenn er seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt [...], damit Gott herrscht über alles und in allem« (1 Kor 15,24.28).

Schon am Morgen der Schöpfung schloss also Gottes Plan diese »kosmische Sendung« Christi ein. Diese christozentrische Perspektive bezieht sich auf die gesamte Zeitspanne und war in Gottes wohlgefälligem Blick gegeben, als er nach Vollendung seines Werkes »den siebten Tag segnete und ihn für heilig erklärte« (Gen 2,3). Damals entstand — nach dem von einem Priester verfaßten ersten biblischen Schöpfungsbericht — der »Sabbat«, der den ersten Bund so stark prägte und so etwas wie die Vorankündigung des heiligen Tages des neuen und endgültigen Bundes ist. Das Thema vom »Ruhen Gottes« (vgl. Gen 2,2) und von der Ruhe, die dem Volk nach seinem Auszug aus Ägypten beim Betreten des verheißenen Landes von ihm gewährt wurde (vgl. Ex 33,14; Dtn 3,20; 12,9; Jos 21,44; Ps 95,11), wird im Neuen Testament in einem neuen Licht, dem Licht der endgültigen »Sabbatruhe« (Hebr 4,9) wiedergelesen, in die Christus selber durch seine Auferstehung eingetreten ist und in die einzutreten das Volk Gottes berufen ist, wenn es den Spuren seines kindlichen Gehorsams folgt (vgl. Hebr 4,3-16). Deshalb müssen wir zur Einführung in das volle Verständnis des Sonntags den großartigen Abschnitt über die Schöpfung wiederlesen und die Theologie vom »Sabbat« vertiefen.

»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1)

9. Der poetische Stil des Genesisberichtes spiegelt das Staunen des Menschen angesichts der Unermesslichkeit der Schöpfung und das Gefühl der Verehrung wider, die er für den empfindet, der aus dem Nichts alles hervorgebracht hat. Es handelt sich um einen Abschnitt von intensiver religiöser Bedeutung, um ein Loblied auf den Schöpfer des Universums, der gegenüber den immer wiederkehrenden Versuchungen, die Welt selbst zu vergöttlichen, als der einzige Herr ausgewiesen wird, und zugleich um ein Loblied auf die Güte der ganz von der mächtigen und barmherzigen Hand Gottes gestalteten Schöpfung.

»Gott sah, dass es gut war« (Gen 1,10.12 usw.). Dieser Refrain, der den Bericht im einzelnen unterteilt, wirft ein positives Licht auf jedes Element des Universums, während er gleichzeitig das Geheimnis für sein entsprechendes Verständnis und für seine mögliche Erneuerung erahnen lässt: Die Welt ist in dem Maße gut, in dem sie in ihrem Ursprung verankert bleibt, und sie wird nach ihrer Entstellung durch die Sünde wieder gut, in dem sie mit Hilfe der Gnade zu dem zurückkehrt, der sie geschaffen hat. Diese Dialektik betrifft offensichtlich nicht unmittelbar die unbelebten Dinge und die Tiere, sondern die Menschen, denen das unvergleichliche Geschenk der Freiheit gewährt worden ist, das aber auch Gefahr in sich birgt. Gleich im Anschluß an die Schöpfungsberichte hebt die Bibel diesen dramatischen Gegensatz zwischen der Größe des nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen und seinem Fall hervor, der in der Welt das düstere Szenarium der Sünde und des Todes eröffnet (vgl. Gen 3).

10. Der Kosmos weist, da er aus Gottes Händen hervorgegangen ist, dessen Gütesiegel auf. Es ist eine schöne Welt, würdig, bewundert und genossen, aber auch, gepflegt und weiterentwickelt zu werden. Die Fertigstellung des Werkes Gottes eröffnet die Welt der Tätigkeit des Menschen. »Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte« (Gen 2,2). Durch diese anthropomorphe Ausdrucksweise vom »Schaffen« Gottes gibt uns die Bibel nicht nur einen Schimmer von dem geheimnisvollen Verhältnis zwischen dem Schöpfer und der geschaffenen Welt, sondern sie wirft auch ein Licht auf die Aufgabe des Menschen gegenüber der Welt. Das »Schaffen« Gottes ist beispielhaft für den Menschen. Denn dieser ist ja nicht nur dazu berufen, die Erde zu bewohnen, sondern auch die Welt »aufzubauen«, wodurch er zum »Mitarbeiter« Gottes wird. Die ersten Kapitel der Genesis stellen, wie ich in der EnzyklikaLaborem exercens geschrieben habe, in gewissem Sinne das erste »Evangelium der Arbeit« dar.<ref>Nr. 25: AAS 73 (1981), 639.</ref> Das ist eine Wahrheit, die auch vom II. Vatikanischen Konzil unterstrichen wird: »Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so dass alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde«.<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 34.</ref>

Die erhebende Geschichte der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Kultur in ihren verschiedenen Ausdrucksformen — eine immer raschere und heute geradezu schwindelerregende Entwicklung — ist in der Geschichte der Welt die Frucht des Auftrags, mit dem Gott dem Mann und der Frau die Aufgabe und Verantwortung übertragen hat, die Erde zu erfüllen und sie durch Arbeit unter Einhaltung seines Gesetzes zu unterwerfen.

Der »Sabbat«: das frohe Ruhen des Schöpfers

11. Wenn auf der ersten Seite der Genesis das »Schaffen« Gottes Vorbild für den Menschen ist, so gilt das ebenso von seinem »Ruhen«: »Und er ruhte am siebten Tag« (Gen 2,2). Auch hier stehen wir vor einem Anthropomorphismus, der eine fruchtbare Botschaft enthält.

Das »Ruhen« Gottes darf nämlich nicht auf banale Weise als eine Art »Untätigkeit« Gottes ausgelegt werden. Der Schöpfungsakt, der am Anfang der Welt steht, ist tatsächlich von Natur aus immerwährend; Gott hört nicht auf zu handeln, wie Jesus selber gerade in bezug auf das Gebot der Sabbatruhe erinnert: »Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk« (Joh 5,17). Die göttliche Ruhe des siebten Tages spielt nicht auf einen untätigen Gott an, sondern unterstreicht die Fülle der vollendeten Ausführung und drückt gleichsam das Innehalten Gottes vor dem »sehr guten« Werk seiner Hände aus (Gen 1,31), um einen Blick voll freudiger Genugtuung darauf zu werfen: einen Blick also, der »kontemplativer« Natur ist, dem es nicht mehr um neue Realisierungen geht, sondern vielmehr um die Freude über die Schönheit des Vollbrachten; ein Blick, der allen Dingen gilt, in besonderer Weise aber dem Menschen als dem Höhepunkt der Schöpfung. Es ist ein Blick, in dem man irgendwie bereits die »bräutliche« Dynamik der Beziehung ahnen kann, die Gott zu dem nach seinem Bild geschaffenen Geschöpf herstellen will, indem er es dazu beruft, sich auf ein Liebesbündnis einzulassen. Er wird das im Ausblick auf die der ganzen Menschheit angebotene Rettung schrittweise verwirklichen durch den mit Israel geschlossenen Heilsbund, der dann in Christus seinen Höhepunkt erreicht: Denn das fleischgewordene Wort wird — durch die endzeitliche Gabe des Heiligen Geistes und die Errichtung der Kirche als seinen Leib und seine Braut — das Angebot der Barmherzigkeit und Liebe des Vaters auf die ganze Menschheit ausweiten.

12. Im Plan des Schöpfers gibt es eine Unterscheidung, aber auch einen engen Zusammenhang zwischen Schöpfungsordnung und Heilsordnung. Das unterstreicht schon das Alte Testament, wenn es das »Sabbat«-Gebot nicht nur mit dem geheimnisvollen »Ruhen« Gottes nach den Tagen des schöpferischen Schaffens (vgl. Ex 20,8-11), sondern auch mit der Rettung in Beziehung setzt, die Israel in der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens (vgl. Dtn 5,12-15) von Gott gewährt wurde. Der Gott, der am siebten Tag ruht und sich seiner Schöpfung erfreut, ist derselbe, der durch die Befreiung seiner Söhne und Töchter aus der Zwangsherrschaft des Pharaos seine Herrlichkeit erweist. Im einen wie im anderen Fall könnte man nach einem bei den Propheten beliebten Bild sagen, er offenbarte sich wie der Bräutigam gegenüber der Braut (vgl.Hos 2,16-24; Jer 2,2; Jes 54,4-8).

Um nämlich an den Kern des »Sabbat«, des »Ruhens« Gottes, heranzukommen, wie es einige Elemente gerade der jüdischen Überlieferung nahelegen,<ref>Der Sabbat wird von unseren jüdischen Brüdern mit einer »bräutlichen« Spiritualität erlebt, wie das zum Beispiel in Texten wie Genesis Rabbah X, 9 und XI, 8 (vgl. Jacob Neusner, Genesis Rabbah, vol. I, Atlanta 1985, 107 u. 117) deutlich wird. Einen bräutlichen Ton weist auch der Gesang Leka dôdi auf: »Über dich wird dein Gott glücklich sein, wie der Bräutigam glücklich ist über seine Braut [...] o Braut, Königin Sabbat, komme mitten unter die Gläubigen deines auserwählten Volkes« (vgl. Preghiera serale del sabato, hrsg. von A. Toaff, Rom 1968-69, 3).</ref> gilt es, die bräutliche Intensität zu erfassen, die vom Alten bis zum Neuen Testament die Beziehung Gottes zu seinem Volk kennzeichnet. So zum Beispiel drückt es jene wunderbare Stelle bei Hosea aus: »Ich schließe für Israel an jenem Tag einen Bund mit den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels und mit allem, was auf dem Erdboden kriecht. Ich zerbreche Bogen und Schwert, es gibt keinen Krieg mehr im Land, ich lasse sie Ruhe und Sicherheit finden. Ich traue dich mir an auf ewig; ich traue dich mir an um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen, ich traue dich mir an um den Brautpreis meiner Treue: Dann wirst du den Herrn erkennen« (2,20-22).

»Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig« (Gen 2,3)

13. Das Sabbatgebot, das im ersten Bund den Sonntag des neuen und ewigen Bundes vorbereitet, hat also im Plan Gottes seine tiefsten Wurzeln. Deshalb steht es nicht neben rein kultischen Verordnungen, wie das bei vielen anderen Vorschriften der Fall ist, sondern im Dekalog, in den »Zehn Geboten«, die die eigentlichen Stützpfeiler des sittlichen Lebens erkennen lassen, das dem Menschen allgemein ins Herz geschrieben ist. Damit, dass sie dieses Gebot vor dem Hintergrund der ethischen Grundstrukturen begreifen, machen Israel und später die Kirche deutlich, dass sie es nicht als eine bloße Vorschrift zu religiöser Gemeinschaftsdisziplin betrachten, sondern als einen bedeutsamen und unverzichtbaren Ausdruck der Beziehung zu Gott, wie sie von der biblischen Offenbarung verkündet und vorgeschrieben wird. Aus dieser Perspektive muss dieses Gebot auch heute von den Christen wiederentdeckt werden. Wenn es auch eine natürliche Übereinstimmung mit dem menschlichen Bedürfnis nach Ruhe einschließt, so hängt es doch vom Glauben ab, den tiefen Sinn dieses Gebotes zu erfassen und nicht Gefahr zu laufen, es zu banalisieren oder zu verraten.

14. Der Tag der Ruhe ist der Sabbat also vor allem deshalb, weil er der von Gott »gesegnete« und »geheiligte« Tag ist, das heißt, getrennt von den anderen Tagen, um unter allen der Tag des Herrn zu sein.

Um den Sinn dieser »Heiligung« des Sabbat im ersten Schöpfungsbericht voll zu verstehen, muss man sich den gesamten Text ansehen, aus dem mit aller Klarheit hervorgeht, dass jede Wirklichkeit ohne Ausnahme auf Gott zurückzuführen ist. Er ist Herr über Zeit und Raum. Er ist nicht der Gott nur eines Tages, sondern der Gott aller Tage des Menschen.

Wenn er also den siebten Tag durch einen besonderen Segen »für heilig erklärt« und ihn zu »seinem Tag« schlechthin macht, muss das in der tiefgründigen Dynamik des Dialogs des Bundes, ja des »bräutlichen« Dialogs verstanden werden. Es ist ein Dialog der Liebe, der keine Unterbrechungen kennt und trotzdem nicht eintönig ist: Denn er entfaltet sich unter Verwendung der verschiedenen Tonalitäten der Liebe, von den gewöhnlichen und indirekten bis hin zu den stärksten Äußerungen, die mit Bildern aus der Erfahrung der hochzeitlichen Liebe zu beschreiben sich die Worte der Schrift und dann die Zeugnisse vieler Mystiker nicht scheuen.

15. Wahrhaftig müssen sowohl das ganze Leben, wie auch die ganze Zeit des Menschen als Lob und Dank gegenüber dem Schöpfer gelebt werden. Aber die Beziehung des Menschen zu Gott braucht auch Zeiten des ausdrücklichen Gebetes, wo die Beziehung zum intensiven Dialog wird, der jede Dimension der Person miteinschließt. Der »Tag des Herrn« ist schlechthin der Tag dieser Beziehung, an dem der Mensch seinen Gesang zu Gott erhebt und so zur Stimme der gesamten Schöpfung wird.

Deshalb ist er auch der Tag der Ruhe: Die Unterbrechung des oftbelastenden Arbeitsrhythmus bringt durch die plastische Sprache der »Neuheit« und der »Loslösung« die Anerkennung der eigenen und der Abhängigkeit des Kosmos von Gott zum Ausdruck. Alles kommt von Gott! Der Tag des Herrn macht diesen Grundsatz ständig geltend. Der »Sabbat« ist daher auf beeindruckende Weise als ein bezeichnendes Element jener Art »heiliger Architektur« der Zeit gedeutet worden, die die biblische Offenbarung charakterisiert.<ref>Vgl. A. J. Heschel, The sabbath. Ist meaning for modern man (22 ed. 1995), 3-24.</ref> Er erinnert daran, dass Zeit und Geschichte in Gottes Händen liegen und sich der Mensch seinem Wirken als Mitarbeiter des Schöpfers in der Welt nicht hingeben kann, ohne sich ständig dieser Wahrheit bewusst zu sein.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />