Dies Domini (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Dies Domini

unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
An die Bischöfe, den Klerus, die Ordensleute und an die Gläubigen
über die Heiligung des Sonntags
31. Mai 1998

(Offizieller lateinischer Text AAS 90 [1998] 713-766)

(Quelle: Deutsche Fassung; auch: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 133)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Schwestern und Brüder!

Einführung

1. Der Tag des Herrn — wie der Sonntag seit der apostolischen Zeit<ref> Vgl. Apg 1,10: »Kyriake heméra«; vgl. auch Didaché 14, 1; Ignatius von Antiochien, Brief an die Magnesier 9, 1-2: SC 10, 88-89.</ref> genannt wird — hat wegen seines engen Zusammenhanges mit dem eigentlichen Kern des christlichen Mysteriums in der Kirchengeschichte stets in hoher Achtung gestanden. Denn im Wochenrhythmus erinnert der Sonntag an den Tag der Auferstehung Christi. Er ist das wöchentliche Ostern, an dem der Sieg Christi über Sünde und Tod, die Vollendung der ersten Schöpfung in ihm und der Anbruch der »neuen Schöpfung« (vgl. 2 Kor 5,17) gefeiert wird. Er ist der Tag der anbetenden und dankbaren Beschwörung des ersten Tages der Welt und zugleich in der eifrigen Hoffnung die Vorwegnahme des »letzten Tages«, an dem Christus in Herrlichkeit wiederkommen (vgl. Apg 1,11; 1 Thess 4,13-17) und »alles neu machen« wird (vgl. Offb 21,5).

Auf den Sonntag passt daher gut der Freudenruf des Psalmisten: »Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen« (Ps 118, 24). Diese Einladung zur Freude, die sich die Osterliturgie zu eigen macht, weist Anzeichen jenes Staunens auf, von dem die Frauen ergriffen wurden, die bei der Kreuzigung Christi zugegen gewesen waren und, als sie »am ersten Tag nach dem Sabbat in aller Frühe« (Mk 16,2) zum Grab gekommen waren, dieses leer fanden. Es ist die Einladung, irgendwie die Freude der Emmausjünger nachzuerleben, die spürten, wie ihnen »das Herz in der Brust brannte«, als der Auferstandene sich unterwegs zu ihnen gesellte, ihnen die Schrift erklärte und sich zu erkennen gab, »als er das Brot brach« (vgl. Lk 24,32.35). Es ist das Echo der zuerst zögerlichen und dann überwältigenden Freude, welche die Apostel am Abend jenes gleichen Tages empfanden, als der auferstandene Jesus in ihre Mitte trat und sie das Geschenk seines Friedens und seines Geistes empfingen (vgl. Joh 20,19-23).

2. Die Auferstehung Jesu ist das Ursprungsereignis, auf dem der christliche Glaube beruht (vgl. 1 Kor 15,14): wunderbare Wirklichkeit, die ganz im Lichte des Glaubens aufgenommen, die aber von jenen, die den auferstandenen Herrn sehen durften, historisch bezeugt ist. Sie ist ein wundervolles Ereignis, das sich nicht nur auf absolute Weise in der Geschichte der Menschen auszeichnet, sondern im Zentrum des Geheimnisses der Zeit steht. Denn Christus ist Herr »der Zeit und der Ewigkeit«: daran erinnert uns in der eindrucksvollen Osternachtliturgie der Ritus der Bereitung der Osterkerze. Dadurch, dass sie nicht nur einmal im Jahr, sondern an jedem Sonntag des Auferstehungstages Christi gedenkt, will die Kirche also jede Generation auf die tragende Achse der Geschichte hinweisen, auf die sich das Geheimnis des Anfangs der Welt wie das ihrer endgültigen Bestimmung zurückführen lassen.

Man kann daher mit Recht, wie es die Homilie eines Autors aus dem 4. Jahrhundert tut, vom »Tag des Herrn« als dem »Herrn der Tage« sprechen.<ref>Pseudo Eusebius von Alexandrien, Sermo 16: PG 86, 416.</ref> Alle, denen die Gnade, an den auferstandenen Herrn zu glauben, zuteil wurde, können nicht umhin, die Bedeutung dieses Wochentages mit der lebhaften Gefühlsregung zu erfassen, die den hl. Hieronymus zu den Worten veranlaßte: »Der Sonntag ist der Tag der Auferstehung, er ist der Tag der Christen, er ist unser Tag«.<ref>In die dominica Paschae II, 52: CCL 78, 550.</ref> Der Sonntag ist in der Tat für uns Christen der »Ur-Feiertag«,<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 106.</ref> der nicht nur dazu bestimmt ist, der Abfolge der Zeit einen festen Rhythmus zu geben, sondern ihren tiefen Sinn zu enthüllen.

3. Die in zweitausend Jahren Geschichte stets anerkannte grundlegende Bedeutung des Sonntags wurde vom II. Vatikanischen Konzil nachdrücklich unterstrichen: »Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Paschamysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Sonntag genannt wird«.<ref>Ebd.</ref> Paul VI. hat diese Bedeutung aufs neue hervorgehoben mit der Approbation des neuen römischen liturgischen Kalenders und der allgemeinen Normen für die Ordnung des Kirchenjahres.<ref>Vgl. Motu proprio Mysterii paschalis (14. Februar 1969): AAS 61 (1969), 222-226.</ref> Während das Heranrücken des dritten Jahrtausends die Gläubigen dazu auffordert, im Lichte Christi über den Gang der Geschichte nachzudenken, sind sie auch eingeladen, mit neuer Kraft den Sinn des Sonntags wiederzuentdecken: sein »Geheimnis«, den Wert seiner Feier, seine Bedeutung für das christliche und menschliche Dasein.

Mit Genugtuung nehme ich Kenntnis von den vielfältigen lehramtlichen Interventionen und pastoralen Initiativen in der Zeit nach dem Konzil, welche Ihr, verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, sowohl als einzelne wie gemeinschaftlich — und mit Unterstützung von seiten Eures Klerus — zu diesem Thema entfaltet habt. An der Schwelle des Großen Jubiläums des Jahres 2000 möchte ich Euch dieses Apostolische Schreiben anbieten, um Euer pastorales Engagement in einem so lebenswichtigen Bereich zu unterstützen. Aber zugleich möchte ich mich an Euch, liebe Gläubige, wenden und mich gleichsam geistig in den einzelnen Gemeinden einfinden, wo Ihr Euch jeden Sonntag mit Euren Hirten versammelt, um die Eucharistie und den »Tag des Herrn« zu feiern. Viele der Überlegungen und Gefühle, die in diesem Schreiben lebendig werden, sind während meines bischöflichen Dienstes in Krakau und dann, nach der Übernahme des Amtes des Bischofs von Rom und Nachfolgers Petri, bei den Besuchen der römischen Pfarreien, die ich regelmäßig an den Sonntagen der verschiedenen Zeiten des Kirchenjahres durchführe, in mir herangereift. So ist es mir, als würde ich in diesem Brief den lebendigen Dialog, den ich gerne mit den Gläubigen halte, weiterführen, indem ich mit Euch über den Sinn des Sonntags nachdenke und unterstreiche, warum er auch unter den neuen Gegebenheiten unserer Zeit als wahrer »Tag des Herrn« gefeiert werden soll.

4. Es kann nämlich niemandem entgehen, dass bis vor kurzem die »Heiligung« des Sonntags in den Ländern mit christlicher Tradition erleichtert wurde durch eine breite Beteiligung der Bevölkerung und durch die Organisation der zivilisierten Gesellschaft, die in den die verschiedenen Erwerbstätigkeiten betreffenden gesetzlichen Bestimmungen die Sonntagsruhe als feststehend vorsah. Heutzutage aber hat gerade in den Ländern, deren Gesetze den Feiertagscharakter dieses Tages festschreiben, die Entwicklung der sozio-ökonomischen Verhältnisse häufig zu tiefgreifenden Veränderungen des kollektiven Verhaltens und infolge davon der Gestaltung des Sonntags geführt. Es hat sich weithin die Praxis des »Wochenendes« durchgesetzt als wöchentliche Zeit der Entspannung, die möglichst weitab vom ständigen Wohnsitz verbracht werden soll und häufig gekennzeichnet ist durch die Teilnahme an kulturellen, politischen oder sportlichen Aktivitäten, die im allgemeinen eben auf die Feiertage fallen. Es handelt sich dabei um ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen, das in dem Maße, in dem es mit der Achtung echter Werte zur menschlichen Entwicklung und zum Fortschritt des sozialen Lebens insgesamt beizutragen vermag, sicher nicht ohne positive Elemente ist. Dieses entspricht nicht nur der Notwendigkeit, Ruhe zu finden, sondern auch dem Bedürfnis »zu feiern«, was dem Menschen angeboren ist. Wenn aber der Sonntag seinen ursprünglichen Sinn verliert und er auf ein reines »Wochenende« reduziert wird, kann es geschehen, dass der Mensch nicht mehr den »Himmel«<ref>Vgl. Pastorale Erklärung der italienischen Bischofskonferenz »Der Tag des Herrn« (15. Juli 1984), Ench. CEI 3, 1398.</ref> sehen kann, weil er in einem so engen Horizont eingesperrt ist. So ist er unfähig, zu feiern, auch wenn er eine Festtagsgewandung trägt.

Den Jüngern Christi ist jedenfalls aufgetragen, die Feier des Sonntags, die eine echte Heiligung des Herrentages sein muss, nicht mit dem »Wochenende« zu verwechseln, das grundsätzlich als Zeit der Ruhe und des Vergnügens verstanden wird. In diesem Zusammenhang bedarf es dringend einer authentischen geistlichen Reife, die den Christen hilft, in voller Übereinstimmung mit der Gabe des Glaubens »sie selbst zu sein«, immer bereit, Rechenschaft zu geben über die Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Das muss auch ein tieferes Verständnis des Sonntags mit sich bringen, um ihn auch in schwierigen Situationen in voller Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist leben zu können.

5. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die heutige Lage ziemlich bunt. Da gibt es einerseits das Beispiel einiger junger Kirchen, die beweisen, mit wieviel Eifer sich sowohl in den Städten wie in den verstreutesten Dörfern Menschen zur Feier des Sonntags motivieren lassen. Im Gegensatz dazu ist in anderen Gegenden wegen der erwähnten soziologischen Schwierigkeiten und vielleicht auch wegen fehlender starker Glaubensmotivationen ein außergewöhnlich niedriger Prozentsatz bei der Anzahl der Besucher der Sonntagsmesse festzustellen. Im Bewusstsein vieler Gläubigen scheint nicht nur der Sinn für den zentralen Charakter der Eucharistie abzunehmen, sondern sogar für die Pflicht, dem Herrn dankzusagen durch das gemeinsame Gebet mit den anderen innerhalb der kirchlichen Gemeinde.

Zu alledem kommt noch hinzu, dass nicht nur in den Missionsländern, sondern auch in den alten christlichen Ländern wegen des Priestermangels mitunter die sonntägliche Eucharistiefeier nicht in jeder einzelnen Gemeinde sichergestellt werden kann.

6. Angesichts dieses Szenariums neuer Situationen und daraus sich ergebender Fragen erscheint es nötiger denn je, die tiefen Lehrbegründungen zurückzugewinnen, die dem kirchlichen Gebot zugrunde liegen, damit allen Gläubigen wirklich klar wird, dass der Sonntag im christlichen Leben ein unverzichtbarer Wert ist. Wenn wir das tun, bewegen wir uns auf den Spuren der immerwährenden Überlieferung der Kirche, an die das II. Vatikanische Konzil kraftvoll erinnerte, wenn es lehrte, dass am Sonntag »die Christgläubigen zusammenkommen [müssen], um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferstehung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott dankzusagen, der sie wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (vgl. 1 Petr 1,3)«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 106.</ref>

7. In der Tat, man versteht die Pflicht, den Sonntag vor allem durch die Teilnahme an der Eucharistiefeier und durch eine von christlicher Freude und Brüderlichkeit erfüllter Ruhe zu heiligen, nur dann richtig, wenn man die vielfältigen Dimensionen dieses Tages bedenkt, auf die wir in diesem Schreiben hinweisen wollen.

Der Sonntag ist ein Tag, der das Herz des christlichen Lebens bildet. Wenn ich seit dem Beginn meines Pontifikats nicht müde werde zu wiederholen: »Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!«,<ref>Predigt bei der Übernahme des Pontifikates (22. Oktober 1978), 5: AAS 70 (1978), 947.</ref> so möchte ich heute alle eindringlich zur Wiederentdeckung des Sonntags einladen: Habt keine Angst, Eure Zeit Christus zu geben! Ja, öffnen wir unsere Zeit für Christus, damit er sie erleuchten und lenken kann. Er kennt das Geheimnis der Zeit und das Geheimnis des Ewigen, und er übergibt uns »seinen Tag« als ein immer neues Geschenk seiner Liebe. Die Wiederentdeckung dieses Tages ist eine Gnade, die wir erflehen müssen, um die eigenen Glaubensbedürfnisse voll zu leben, und auch um konkret Antwort zu geben auf die tiefsten und wahren Sehnsüchte, die in jedem Menschen sind. Die Christus geschenkte Zeit ist niemals verlorene Zeit, sondern eine gewonnene Zeit für die tiefe Vermenschlichung unserer Beziehungen und unseres Lebens.

ERSTES KAPITEL: DIES DOMINI - Die Feier des Schöpfungswerkes Gottes

»Alles ist durch das Wort geworden« (Joh 1,3)

8. In der christlichen Erfahrung ist der Sonntag vor allem ein österliches Fest, das völlig von der Herrlichkeit des auferstandenen Christus erleuchtet wird. Er ist die Feier der »neuen Schöpfung«. Aber scheinbar ist gerade diese Wesensart des Sonntags, wenn sie in ihrer ganzen Tiefe verstanden wird, nicht von der Botschaft zu trennen, die uns die Schrift bereits auf ihren ersten Seiten über den Plan Gottes in der Schöpfung der Welt bietet. Denn wenn es wahr ist, dass das Wort Fleisch geworden ist, »als die Zeit erfüllt war« (Gal 4,4), so ist es ebenso wahr, dass es kraft seines Geheimnisses als ewiger Sohn des Vaters Ursprung und Ende des Universums ist. Das macht Johannes im Prolog seines Evangeliums geltend: »Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist« (1,3). Das unterstreicht gleichermaßen auch Paulus, wenn er an die Kolosser schreibt: »Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare [...]; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen« (1,16). Diese aktive Gegenwart des Sohnes im Schöpfungswerk Gottes ist voll offenbar geworden im Ostergeheimnis, in dem Christus dadurch, dass er »als Erster der Entschlafenen« (1 Kor 15,20) von den Toten auferstand, die neue Schöpfung begonnen und den Prozeß eingeleitet hat, den er selber vollenden wird im Augenblick seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, »wenn er seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt [...], damit Gott herrscht über alles und in allem« (1 Kor 15,24.28).

Schon am Morgen der Schöpfung schloss also Gottes Plan diese »kosmische Sendung« Christi ein. Diese christozentrische Perspektive bezieht sich auf die gesamte Zeitspanne und war in Gottes wohlgefälligem Blick gegeben, als er nach Vollendung seines Werkes »den siebten Tag segnete und ihn für heilig erklärte« (Gen 2,3). Damals entstand — nach dem von einem Priester verfaßten ersten biblischen Schöpfungsbericht — der »Sabbat«, der den ersten Bund so stark prägte und so etwas wie die Vorankündigung des heiligen Tages des neuen und endgültigen Bundes ist. Das Thema vom »Ruhen Gottes« (vgl. Gen 2,2) und von der Ruhe, die dem Volk nach seinem Auszug aus Ägypten beim Betreten des verheißenen Landes von ihm gewährt wurde (vgl. Ex 33,14; Dtn 3,20; 12,9; Jos 21,44; Ps 95,11), wird im Neuen Testament in einem neuen Licht, dem Licht der endgültigen »Sabbatruhe« (Hebr 4,9) wiedergelesen, in die Christus selber durch seine Auferstehung eingetreten ist und in die einzutreten das Volk Gottes berufen ist, wenn es den Spuren seines kindlichen Gehorsams folgt (vgl. Hebr 4,3-16). Deshalb müssen wir zur Einführung in das volle Verständnis des Sonntags den großartigen Abschnitt über die Schöpfung wiederlesen und die Theologie vom »Sabbat« vertiefen.

»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1)

9. Der poetische Stil des Genesisberichtes spiegelt das Staunen des Menschen angesichts der Unermesslichkeit der Schöpfung und das Gefühl der Verehrung wider, die er für den empfindet, der aus dem Nichts alles hervorgebracht hat. Es handelt sich um einen Abschnitt von intensiver religiöser Bedeutung, um ein Loblied auf den Schöpfer des Universums, der gegenüber den immer wiederkehrenden Versuchungen, die Welt selbst zu vergöttlichen, als der einzige Herr ausgewiesen wird, und zugleich um ein Loblied auf die Güte der ganz von der mächtigen und barmherzigen Hand Gottes gestalteten Schöpfung.

»Gott sah, dass es gut war« (Gen 1,10.12 usw.). Dieser Refrain, der den Bericht im einzelnen unterteilt, wirft ein positives Licht auf jedes Element des Universums, während er gleichzeitig das Geheimnis für sein entsprechendes Verständnis und für seine mögliche Erneuerung erahnen lässt: Die Welt ist in dem Maße gut, in dem sie in ihrem Ursprung verankert bleibt, und sie wird nach ihrer Entstellung durch die Sünde wieder gut, in dem sie mit Hilfe der Gnade zu dem zurückkehrt, der sie geschaffen hat. Diese Dialektik betrifft offensichtlich nicht unmittelbar die unbelebten Dinge und die Tiere, sondern die Menschen, denen das unvergleichliche Geschenk der Freiheit gewährt worden ist, das aber auch Gefahr in sich birgt. Gleich im Anschluß an die Schöpfungsberichte hebt die Bibel diesen dramatischen Gegensatz zwischen der Größe des nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen und seinem Fall hervor, der in der Welt das düstere Szenarium der Sünde und des Todes eröffnet (vgl. Gen 3).

10. Der Kosmos weist, da er aus Gottes Händen hervorgegangen ist, dessen Gütesiegel auf. Es ist eine schöne Welt, würdig, bewundert und genossen, aber auch, gepflegt und weiterentwickelt zu werden. Die Fertigstellung des Werkes Gottes eröffnet die Welt der Tätigkeit des Menschen. »Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte« (Gen 2,2). Durch diese anthropomorphe Ausdrucksweise vom »Schaffen« Gottes gibt uns die Bibel nicht nur einen Schimmer von dem geheimnisvollen Verhältnis zwischen dem Schöpfer und der geschaffenen Welt, sondern sie wirft auch ein Licht auf die Aufgabe des Menschen gegenüber der Welt. Das »Schaffen« Gottes ist beispielhaft für den Menschen. Denn dieser ist ja nicht nur dazu berufen, die Erde zu bewohnen, sondern auch die Welt »aufzubauen«, wodurch er zum »Mitarbeiter« Gottes wird. Die ersten Kapitel der Genesis stellen, wie ich in der EnzyklikaLaborem exercens geschrieben habe, in gewissem Sinne das erste »Evangelium der Arbeit« dar.<ref>Nr. 25: AAS 73 (1981), 639.</ref> Das ist eine Wahrheit, die auch vom II. Vatikanischen Konzil unterstrichen wird: »Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so dass alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde«.<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 34.</ref>

Die erhebende Geschichte der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Kultur in ihren verschiedenen Ausdrucksformen — eine immer raschere und heute geradezu schwindelerregende Entwicklung — ist in der Geschichte der Welt die Frucht des Auftrags, mit dem Gott dem Mann und der Frau die Aufgabe und Verantwortung übertragen hat, die Erde zu erfüllen und sie durch Arbeit unter Einhaltung seines Gesetzes zu unterwerfen.

Der »Sabbat«: das frohe Ruhen des Schöpfers

11. Wenn auf der ersten Seite der Genesis das »Schaffen« Gottes Vorbild für den Menschen ist, so gilt das ebenso von seinem »Ruhen«: »Und er ruhte am siebten Tag« (Gen 2,2). Auch hier stehen wir vor einem Anthropomorphismus, der eine fruchtbare Botschaft enthält.

Das »Ruhen« Gottes darf nämlich nicht auf banale Weise als eine Art »Untätigkeit« Gottes ausgelegt werden. Der Schöpfungsakt, der am Anfang der Welt steht, ist tatsächlich von Natur aus immerwährend; Gott hört nicht auf zu handeln, wie Jesus selber gerade in bezug auf das Gebot der Sabbatruhe erinnert: »Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk« (Joh 5,17). Die göttliche Ruhe des siebten Tages spielt nicht auf einen untätigen Gott an, sondern unterstreicht die Fülle der vollendeten Ausführung und drückt gleichsam das Innehalten Gottes vor dem »sehr guten« Werk seiner Hände aus (Gen 1,31), um einen Blick voll freudiger Genugtuung darauf zu werfen: einen Blick also, der »kontemplativer« Natur ist, dem es nicht mehr um neue Realisierungen geht, sondern vielmehr um die Freude über die Schönheit des Vollbrachten; ein Blick, der allen Dingen gilt, in besonderer Weise aber dem Menschen als dem Höhepunkt der Schöpfung. Es ist ein Blick, in dem man irgendwie bereits die »bräutliche« Dynamik der Beziehung ahnen kann, die Gott zu dem nach seinem Bild geschaffenen Geschöpf herstellen will, indem er es dazu beruft, sich auf ein Liebesbündnis einzulassen. Er wird das im Ausblick auf die der ganzen Menschheit angebotene Rettung schrittweise verwirklichen durch den mit Israel geschlossenen Heilsbund, der dann in Christus seinen Höhepunkt erreicht: Denn das fleischgewordene Wort wird — durch die endzeitliche Gabe des Heiligen Geistes und die Errichtung der Kirche als seinen Leib und seine Braut — das Angebot der Barmherzigkeit und Liebe des Vaters auf die ganze Menschheit ausweiten.

12. Im Plan des Schöpfers gibt es eine Unterscheidung, aber auch einen engen Zusammenhang zwischen Schöpfungsordnung und Heilsordnung. Das unterstreicht schon das Alte Testament, wenn es das »Sabbat«-Gebot nicht nur mit dem geheimnisvollen »Ruhen« Gottes nach den Tagen des schöpferischen Schaffens (vgl. Ex 20,8-11), sondern auch mit der Rettung in Beziehung setzt, die Israel in der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens (vgl. Dtn 5,12-15) von Gott gewährt wurde. Der Gott, der am siebten Tag ruht und sich seiner Schöpfung erfreut, ist derselbe, der durch die Befreiung seiner Söhne und Töchter aus der Zwangsherrschaft des Pharaos seine Herrlichkeit erweist. Im einen wie im anderen Fall könnte man nach einem bei den Propheten beliebten Bild sagen, er offenbarte sich wie der Bräutigam gegenüber der Braut (vgl.Hos 2,16-24; Jer 2,2; Jes 54,4-8).

Um nämlich an den Kern des »Sabbat«, des »Ruhens« Gottes, heranzukommen, wie es einige Elemente gerade der jüdischen Überlieferung nahelegen,<ref>Der Sabbat wird von unseren jüdischen Brüdern mit einer »bräutlichen« Spiritualität erlebt, wie das zum Beispiel in Texten wie Genesis Rabbah X, 9 und XI, 8 (vgl. Jacob Neusner, Genesis Rabbah, vol. I, Atlanta 1985, 107 u. 117) deutlich wird. Einen bräutlichen Ton weist auch der Gesang Leka dôdi auf: »Über dich wird dein Gott glücklich sein, wie der Bräutigam glücklich ist über seine Braut [...] o Braut, Königin Sabbat, komme mitten unter die Gläubigen deines auserwählten Volkes« (vgl. Preghiera serale del sabato, hrsg. von A. Toaff, Rom 1968-69, 3).</ref> gilt es, die bräutliche Intensität zu erfassen, die vom Alten bis zum Neuen Testament die Beziehung Gottes zu seinem Volk kennzeichnet. So zum Beispiel drückt es jene wunderbare Stelle bei Hosea aus: »Ich schließe für Israel an jenem Tag einen Bund mit den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels und mit allem, was auf dem Erdboden kriecht. Ich zerbreche Bogen und Schwert, es gibt keinen Krieg mehr im Land, ich lasse sie Ruhe und Sicherheit finden. Ich traue dich mir an auf ewig; ich traue dich mir an um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen, ich traue dich mir an um den Brautpreis meiner Treue: Dann wirst du den Herrn erkennen« (2,20-22).

»Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig« (Gen 2,3)

13. Das Sabbatgebot, das im ersten Bund den Sonntag des neuen und ewigen Bundes vorbereitet, hat also im Plan Gottes seine tiefsten Wurzeln. Deshalb steht es nicht neben rein kultischen Verordnungen, wie das bei vielen anderen Vorschriften der Fall ist, sondern im Dekalog, in den »Zehn Geboten«, die die eigentlichen Stützpfeiler des sittlichen Lebens erkennen lassen, das dem Menschen allgemein ins Herz geschrieben ist. Damit, dass sie dieses Gebot vor dem Hintergrund der ethischen Grundstrukturen begreifen, machen Israel und später die Kirche deutlich, dass sie es nicht als eine bloße Vorschrift zu religiöser Gemeinschaftsdisziplin betrachten, sondern als einen bedeutsamen und unverzichtbaren Ausdruck der Beziehung zu Gott, wie sie von der biblischen Offenbarung verkündet und vorgeschrieben wird. Aus dieser Perspektive muss dieses Gebot auch heute von den Christen wiederentdeckt werden. Wenn es auch eine natürliche Übereinstimmung mit dem menschlichen Bedürfnis nach Ruhe einschließt, so hängt es doch vom Glauben ab, den tiefen Sinn dieses Gebotes zu erfassen und nicht Gefahr zu laufen, es zu banalisieren oder zu verraten.

14. Der Tag der Ruhe ist der Sabbat also vor allem deshalb, weil er der von Gott »gesegnete« und »geheiligte« Tag ist, das heißt, getrennt von den anderen Tagen, um unter allen der Tag des Herrn zu sein.

Um den Sinn dieser »Heiligung« des Sabbat im ersten Schöpfungsbericht voll zu verstehen, muss man sich den gesamten Text ansehen, aus dem mit aller Klarheit hervorgeht, dass jede Wirklichkeit ohne Ausnahme auf Gott zurückzuführen ist. Er ist Herr über Zeit und Raum. Er ist nicht der Gott nur eines Tages, sondern der Gott aller Tage des Menschen.

Wenn er also den siebten Tag durch einen besonderen Segen »für heilig erklärt« und ihn zu »seinem Tag« schlechthin macht, muss das in der tiefgründigen Dynamik des Dialogs des Bundes, ja des »bräutlichen« Dialogs verstanden werden. Es ist ein Dialog der Liebe, der keine Unterbrechungen kennt und trotzdem nicht eintönig ist: Denn er entfaltet sich unter Verwendung der verschiedenen Tonalitäten der Liebe, von den gewöhnlichen und indirekten bis hin zu den stärksten Äußerungen, die mit Bildern aus der Erfahrung der hochzeitlichen Liebe zu beschreiben sich die Worte der Schrift und dann die Zeugnisse vieler Mystiker nicht scheuen.

15. Wahrhaftig müssen sowohl das ganze Leben, wie auch die ganze Zeit des Menschen als Lob und Dank gegenüber dem Schöpfer gelebt werden. Aber die Beziehung des Menschen zu Gott braucht auch Zeiten des ausdrücklichen Gebetes, wo die Beziehung zum intensiven Dialog wird, der jede Dimension der Person miteinschließt. Der »Tag des Herrn« ist schlechthin der Tag dieser Beziehung, an dem der Mensch seinen Gesang zu Gott erhebt und so zur Stimme der gesamten Schöpfung wird.

Deshalb ist er auch der Tag der Ruhe: Die Unterbrechung des oftbelastenden Arbeitsrhythmus bringt durch die plastische Sprache der »Neuheit« und der »Loslösung« die Anerkennung der eigenen und der Abhängigkeit des Kosmos von Gott zum Ausdruck. Alles kommt von Gott! Der Tag des Herrn macht diesen Grundsatz ständig geltend. Der »Sabbat« ist daher auf beeindruckende Weise als ein bezeichnendes Element jener Art »heiliger Architektur« der Zeit gedeutet worden, die die biblische Offenbarung charakterisiert.<ref>Vgl. A. J. Heschel, The sabbath. Ist meaning for modern man (22 ed. 1995), 3-24.</ref> Er erinnert daran, dass Zeit und Geschichte in Gottes Händen liegen und sich der Mensch seinem Wirken als Mitarbeiter des Schöpfers in der Welt nicht hingeben kann, ohne sich ständig dieser Wahrheit bewusst zu sein.

»Gedenken«, um »heiligzuhalten«

16. Das Gebot aus dem Dekalog, mit dem Gott das Einhalten des Sabbats auferlegt, hat im Buch Exodus eine charakteristische Formulierung gefunden: »Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!« (20,8). Und einige Verse später gibt der inspirierte Text die Begründung dafür, indem er an das Werk Gottes erinnert: »Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt« (V. 11). Bevor das Gebot etwas zu tun vorschreibt, weist es auf etwas hin, dessen es zu gedenken gilt. Es lädt dazu ein, das Gedächtnis jenes großartigen und fundamentalen Gotteswerkes, das die Schöpfung ist, wieder wachzurufen. Dieses Gedächtnis soll das gesamte religiöse Leben des Menschen beseelen, um dann einzumünden in den Tag, an dem der Mensch zum Ruhen angehalten ist. Die Ruhe nimmt so eine typische religiöse Wertigkeit an: Der Gläubige wird eingeladen, nicht nur zu ruhen, wie Gott geruht hat, sondern im Herrn zu ruhen, während er ihm in Lobpreis und Danksagung, in kindlicher Innigkeit und bräutlicher Freundschaft die ganze Schöpfung zurückgibt.

17. Das Thema des »Gedächtnisses« der von Gott vollbrachten Wunderwerke im Zusammenhang mit der Sabbatruhe ergibt sich auch aus dem Text des Deuteronomium (5,12-15), wo die Grundlage des Gebotes nicht so sehr im Schöpfungswerk als in der von Gott vollbrachten Befreiung im Auszug aus Ägypten gesehen wird: »Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm dort herausgeführt. Darum hat es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht, den Sabbat zu halten« (Dtn 5,15).

Diese Formulierung erscheint wie eine Ergänzung der vorhergehenden: Zusammen gesehen, enthüllen sie den Sinn des »Tages des Herrn« innerhalb einer einheitlichen theologischen Sicht der Schöpfung und des Heils. Inhalt des Gebotes ist daher nicht in erster Linie eine, wie auch immer geartete, Unterbrechung der Arbeit, sondern die feierliche Begehung der von Gott vollbrachten Wunderwerke.

In dem Maße, wie dieses von Dankbarkeit und Lob gegenüber Gott erfüllte »Gedächtnis« lebendig ist, gelangt die Ruhe des Menschen am Tag des Herrn zu ihrer vollen Bedeutung. Durch sie tritt der Mensch in die Dimension der »Ruhe« Gottes ein und hat intensiv an ihr teil; auf diese Weise wird er dazu fähig, sich von einem Taumel jener Freude packen zu lassen, wie der Schöpfer selber sie nach der Schöpfung empfunden hat, als er sah, dass alles, was er gemacht hatte »sehr gut war« (Gen 1,31).

Vom Sabbat zum Sonntag

18. Wegen dieser wesentlichen Abhängigkeit des dritten Gebotes vom Gedächtnis der Heilswerke Gottes haben die Christen, als sie die Eigentümlichkeit der von Christus eröffneten neuen und endgültigen Zeit wahrnahmen, den ersten Tag nach dem Sabbat zum Feiertag bestimmt, weil an diesem Tag die Auferstehung des Herrn stattgefunden hatte. Das Ostermysterium Christi stellt in der Tat die volle Enthüllung des Geheimnisses des Anfangs, den Höhepunkt der Heilsgeschichte und die Vorwegnahme der endzeitlichen Vollendung der Welt dar. Was Gott in der Schöpfung geschaffen und was er für sein Volk im Exodus vollbracht hat, ist im Tod und in der Auferstehung Christi zur Vollendung gekommen, auch wenn sein endgültiger Ausdruck erst in der Parusie, mit der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit, offenbar werden wird. In ihm verwirklicht sich voll der geistliche Sinn des Sabbats, wie der heilige Gregor der Große unterstreicht: »Wir betrachten als den wahren Sabbat unseren Erlöser, den Herrn Jesus Christus«.<ref>»Verum autem sabbatum ipsum redemptorem nostrum Iesum Christum Dominum habemus«: Ep 13,1: CCL 140 A, 992.</ref> Darum findet die Freude, mit der Gott die aus dem Nichts vollzogene Schöpfung am ersten Sabbat der Menschheit betrachtet, dann in der Freude Ausdruck, mit der Christus am Ostersonntag den Seinen erschienen ist, um ihnen das Geschenk des Friedens und des Geistes zu bringen (vgl. Joh 20,19-23). Tatsächlich hat im Ostergeheimnis der Mensch und mit ihm die gesamte Schöpfung die »bis zum heutigen Tag seufzt und in Wehen liegt« (Röm 8,22), ihren neuen »Exodus« zur Freiheit der Kinder Gottes erlebt, die mit Christus rufen dürfen: »Abba, Vater« (Röm 8,15; Gal 4,6). Im Lichte dieses Geheimnisses wird der Sinn des alttestamentlichen Gebotes über den Tag des Herrn wiedergewonnen, bereichert und völlig aufgedeckt in der Herrlichkeit, die im Antlitz des auferstandenen Christus aufscheint (vgl. 2 Kor 4,6). Vom »Sabbat« geht man über zum »ersten Tag nach dem Sabbat«, vom siebten Tag auf den ersten Tag: der dies Domini wird zum dies Christi!

ZWEITES KAPITEL: DIES CHRISTI - Der Tag des auferstandenen Herrn und des Geschenkes des Geistes

Das wöchentliche Ostern

19. »Auf Grund der verehrungswürdigen Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus feiern wir den Sonntag nicht nur an Ostern, sondern auch in jedem Wochenzyklus«: so schrieb am Anfang des 5. Jahrhunderts Papst Innozenz I.<ref>Ep. ad Decentium XXV, 4, 7: PL 20, 555.</ref> und bezeugte damit eine nunmehr gefestigte Gepflogenheit, die sich bereits in den ersten Jahren nach der Auferstehung des Herrn herausgebildet hatte. Der hl. Basilius spricht von dem »durch die Auferstehung des Herrn geehrten heiligen Sonntag, dem ersten aller Tage«.<ref>Homiliae in Hexaemeron II,8: SC 26, 184.</ref> Der hl. Augustinus nennt den Sonntag »Ostersakrament«.<ref>Vgl. In Io. ev. tractatus XX, 20, 2: CCL 36, 203;Epist. 55, 2: CSEL 34, 170-171.</ref>

Diese enge Verbindung des Sonntags mit der Auferstehung des Herrn wird von allen Kirchen, im Westen wie im Osten, nachdrücklich betont. Besonders in der Tradition der Ostkirchen wird jeder Sonntag als anastàsimos hemèra, Auferstehungstag,<ref>Besonders greifbar ist dieser Bezug zur Auferstehung in der russischen Sprache, wo der Sonntag eben »Auferstehung« (voskresén'e) heißt.</ref> begangen und ist auf Grund dieses seines Charakters der Mittelpunkt des ganzen Kultes.

Im Lichte dieser ununterbrochenen und weltweiten Überlieferung ist klar zu erkennen, dass man den Tag des Herrn, so sehr er, wie gesagt, im Schöpfungswerk selber und unmittelbarer, im Geheimnis der biblischen »Ruhe« Gottes wurzelt, dennoch in besonderer Weise auf die Auferstehung Christi beziehen muss, um seine volle Bedeutung zu begreifen. Das geschieht am christlichen Sonntag, der jede Woche den Gläubigen das Ostergeschehen, aus dem das Heil der Welt entspringt, wieder zur Betrachtung und zum Leben anbietet.

20. Nach dem einvernehmlichen Zeugnis der Evangelien geschah die Auferstehung Jesu Christi von den Toten am »ersten Tag nach dem Sabbat« (Mk 16,2.9; Lk 24,1; Joh 20,1). An demselben Tag zeigte sich der Auferstandene den zwei Emmausjüngern (vgl. Lk 24,13-35) und erschien den versammelten elf Aposteln (vgl. Lk 24,36; Joh 20,19). Acht Tage danach — so bezeugt das Johannesevangelium (vgl. 20,26) — hatten sich die Jünger wieder versammelt, als ihnen Jesus erschien und sich dem Thomas zu erkennen gab, indem er ihm seine Wundmale zeigte. Auch der Pfingsttag war ein Sonntag, der erste Tag der achten Woche nach dem jüdischen Paschafest (vgl. Apg 2,1), als sich mit der Ausgießung des Heiligen Geistes die Verheißung erfüllte, die Jesus nach der Auferstehung den Aposteln gemacht hatte (vgl. Lk 24,49; Apg 1,45). Das war der Tag der ersten Verkündigung und der ersten Taufen: Petrus verkündete der versammelten Menge, dass Christus auferstanden war, und »die, die sein Wort annahmen, ließen sich taufen« (Apg 2,41). Dies war die Epiphanie der Kirche, die als Volk offenbar wurde, in dem die verstreuten Kinder Gottes ungeachtet aller Verschiedenheiten in Einheit zusammenströmen.

Der erste Tag der Woche

21. Auf dieser Grundlage begann schon zur Zeit der Apostel »der erste Tag nach dem Sabbat«, der erste Tag der Woche, den Rhythmus des Lebens der Jünger Christi zu bestimmen (vgl. 1 Kor 16,2). Am »ersten Tag nach dem Sabbat« versammelten sich auch die Gläubigen von Troas, »um das Brot zu brechen«, als Paulus seine Abschiedspredigt an sie richtete und ein Wunder vollbrachte, um einen eben verstorbenen jungen Mann, Eutychius, ins Leben zurückzuholen (vgl. Apg 20,7-12). Die Offenbarung des Johannes bezeugt die Gewohnheit, diesem ersten Tag der Woche den Namen »Tag des Herrn« zu geben (1,10). Von da an wird das eines der Wesensmerkmale sein, welche die Christen von ihrer Umwelt unterscheiden. Das schrieb schon zu Beginn des zweiten Jahrhunderts der Statthalter von Bithynien, Plinius der Jüngere, der die Gewohnheit der Christen festhielt, »sich an einem festen Tag vor Sonnenaufgang zu versammeln und miteinander einen Lobgesang auf Christus als einen Gott zu singen«.<ref>Epist. 10, 96, 7.</ref> Und in der Tat, wenn die Christen »Tag des Herrn« sagten, verliehen sie diesem Begriff die Sinnfülle, die sich aus der Osterbotschaft herleitet: »Jesus Christus ist der Herr« (Phil 2,11; vgl. Apg 2,36; 1 Kor 12,3). Damit wurde Christus derselbe Titel zuerkannt, mit dem die Septuaginta in der Offenbarung des Alten Testamentes den Namen Gottes, JHWH, übersetzte, den auszusprechen verboten war.

22. In dieser Frühzeit der Kirche war der Wochenrhythmus der Tage in den Gegenden, wo sich das Evangelium ausbreitete, nicht allgemein bekannt, und die Festtage des römischen und griechischen Kalenders fielen nicht mit dem christlichen Sonntag zusammen. Das brachte für die Christen nicht geringe Schwierigkeiten mit sich, wenn sie den Tag des Herrn mit der für ihn typischen Festlegung auf einen bestimmten Wochentag einhalten wollten. So erklärt sich, warum die Gläubigen genötigt waren, sich vor Sonnenaufgang zu versammeln.<ref>Vgl. ebd. Unter Bezugnahme auf den Brief des Plinius erwähnt auch Tertullian die coetus antelucani in: Apologeticum 2, 6:CCL 1, 88; De corona 3, 3: CCL 2, 1043.</ref> Trotzdem setzte sich das Festhalten am Wochenrhythmus durch, da es sich auf das Neue Testament gründete und an die Offenbarung des Alten Testamentes gebunden war. Das unterstreichen gern die Apologeten und die Kirchenväter in ihren Schriften und in ihrer Verkündigung. Das Ostergeheimnis wurde anhand jener Schrifttexte veranschaulicht, die — nach dem Zeugnis des hl. Lukas (vgl. 24,27.44-47) — der auferstandene Christus selbst den Jüngern erklärt haben soll. Im Lichte dieser Texte gewann die Feier des Auferstehungstages einen lehrhaften und symbolischen Wert, der das ganz Neue des christlichen Geheimnisses auszudrücken vermochte.

Zunehmende Unterscheidung vom Sabbat

23. Auf dieses Neue kommt die Katechese der ersten Jahrhunderte immer wieder zurück, wenn sie sich bemüht, den Sonntag im Vergleich zum jüdischen Sabbat zu charakterisieren. Am Sabbat bestand für die Juden die Pflicht zur Zusammenkunft in der Synagoge und musste die vom Gesetz vorgeschriebene Ruhe eingehalten werden. Die Apostel und besonders der hl. Paulus suchten zuerst weiterhin die Synagoge auf, um dort Jesus Christus verkünden zu können, indem sie »die Worte der Propheten, die an jedem Sabbat vorgelesen wurden« (Apg 13,27), kommentierten. In einigen Gemeinden bestanden, wie man feststellen konnte, die Einhaltung des Sabbats und die Feier des Sonntags gleichzeitig nebeneinander. Sehr bald begann man jedoch die beiden Tage immer klarer zu unterscheiden, um vor allem auf die Beharrlichkeit jener Christen zu reagieren, die aus dem Judentum kamen und daher dazu neigten, an der Verpflichtung aus dem alten Gesetz festzuhalten. Der hl. Ignatius von Antiochien schreibt: »Wenn diejenigen, die unter den alten Umständen lebten, zu einer neuen Hoffnung gelangt sind, indem sie nicht mehr den Sabbat einhalten, sondern nach dem Tag des Herrn leben, dem Tag, an dem unser Leben durch ihn und seinen Tod aufgebrochen ist [...], Geheimnis von dem wir den Glauben erhalten haben und in dem wir bleiben, um als glaubwürdige Jünger Christi, unseres alleinigen Meisters, befunden zu werden, wie könnten dann wir ohne ihn leben, da doch auch die Propheten, seine Jünger im Geiste, ihn als Meister erwarteten?«.<ref>Brief an die Magnesier 9,1-2: SC 10, 88-89.</ref> Und der hl. Augustinus bemerkt: »Deshalb hat der Herr auch seinem Tag, dem dritten Tag nach der Passion, sein Siegel aufgeprägt. Er ist jedoch im Wochenzyklus der achte nach dem siebten, das heißt nach dem Sabbat, und der erste Tag der Woche«.<ref>Sermo 8 in octava Paschalis, 4: PL 46, 841. Dieses Wesensmerkmal des Sonntags als »erstem Tag« ist im lateinischen liturgischen Kalender klar ersichtlich, wo der Montag feria secunda, der Dienstag feria tertia usw. genannt wird. Eine ähnliche Bezeichnung der Wochentage findet sich im Portugiesischen.</ref> Die Unterscheidung des Sonntags vom jüdischen Sabbat festigt sich im kirchlichen Bewusstsein zunehmend, auch wenn in bestimmten Perioden der Geschichte wegen des Nachdrucks, der auf die Pflicht zur Sonntagsruhe gelegt wird, eine gewisse Tendenz zur »Sabbatisierung« des Herrentages festzustellen sein wird. Es gab übrigens durchaus Teile der Christenheit, wo der Sabbat und der Sonntag als »zwei brüderliche Tage« begangen wurden.<ref>Hl. Gregor von Nyssa, De castigatione: PG 46, 309. Auch in der maronitischen Liturgie wird der Zusammenhang zwischen dem Sabbat und dem Sonntag, vom »Geheimnis des Heiligen Samstag« an, betont (vgl. M. Hayek, Maronite [Eglise], Dictionnaire de spiritualité, X [1980], 632-644).</ref>

Der Tag der Neuschöpfung

24. Der Vergleich des christlichen Sonntags mit der Sabbatauffassung des Alten Testamentes löste auch eingehende theologische Untersuchungen aus, die großes Interesse fanden. Insbesondere wurde der einzigartige Zusammenhang deutlich gemacht, der zwischen Auferstehung und Schöpfung besteht. Das christliche Denken gelangte spontan dahin, die »am ersten Tag der Woche« geschehene Auferstehung mit dem ersten Tag jener kosmischen Woche (vgl. Gen 1,1-2,4) in Verbindung zu bringen, nach welcher das Buch Genesis das Schöpfungsgeschehen einteilt: der Tag der Erschaffung des Lichtes (vgl.1,3-5). Dieser Zusammenhang legte es nahe, die Auferstehung als den Beginn einer Neuschöpfung zu verstehen, deren Erster der verherrlichte Christus ist, »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung« (Kol 1,15), aber auch »der Erstgeborene der Toten« (Kol 1,18).

25. Der Sonntag ist tatsächlich der Tag, an welchem mehr als an jedem anderen der Christ aufgerufen ist, des Heils zu gedenken, das ihm in der Taufe angeboten worden ist und ihn in Christus zu einem neuen Menschen gemacht hat. »Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat« (Kol 2,12; vgl. Röm 6,4-6). Die Liturgie unterstreicht diese Taufdimension des Sonntags, sei es durch die Aufforderung, Tauffeiern außer in der Osternacht auch an diesem Wochentag abzuhalten, »an dem die Kirche der Auferstehung des Herrn gedenkt«,<ref>Ritus der Kindertaufe, Nr. 9; vgl. Ritus der christlichen Initiation Erwachsener, Nr. 59.</ref> sei es dadurch, dass sie als angemessenen Bußritus zu Beginn der Messe die Besprengung mit Weihwasser empfiehlt, die an das Taufgeschehen erinnert, aus dem jede christliche Existenz geboren wird.<ref>Vgl. Missale Romanum, Ritus der sonntäglichen Besprengung mit Weihwasser.</ref>

Der achte Tag, Bild der Ewigkeit

26. Andererseits führte der Umstand, dass der Sabbat der siebte Tag der Woche ist, dazu, den Tag des Herrn im Lichte einer ergänzenden Symbolik zu betrachten, an welcher den Kirchenvätern sehr gelegen war: Der Sonntag ist nicht nur der erste Tag, er ist auch der »achte Tag«, das heißt er nimmt im Vergleich zur Abfolge der sieben Tage eine einzigartige und transzendente Stellung ein, die nicht nur den Beginn der Zeit, sondern auch ihr Ende in der »zukünftigen Ewigkeit« beschwört. Der hl. Basilius erklärt, der Sonntag sei wirklich der einzige Tag, der auf die jetzige Zeit folgen werde, der Tag ohne Ende, der weder Abend noch Morgen kennt, die unvergängliche Ewigkeit, die nicht altern kann; der Sonntag ist die unaufhörliche Vorankündigung des Lebens ohne Ende, die die Hoffnung der Christen immer wieder belebt und sie auf ihrem Weg ermutigt.<ref>Vgl. Hl. Basilius, Über den Heiligen Geist, 27, 66: SC 17, 484-485. Vgl. auch Barnabas-Brief, 15, 8-9: SC 172, 186-189; Hl. Justinus, Dialog mit Tryphon, 24,138: PG 6, 528.793; Origenes, Psalmenkommentar, Psalm 118, 1: PG 12, 1588.</ref> Im Ausblick auf den letzten Tag, der die vorläufige Symbolik des Sabbat voll Wirklichkeit werden lässt, schließt der hl. Augustinus die Bekenntnisse, indem er vom eschaton als »Frieden der Ruhe, Frieden des Sabbat, Frieden ohne Abend« spricht.<ref>»Domine, praestitisti nobis pacem quietis, pacem sabbati, pacem sine vespera«: Confess., 13, 50: CCL 27, 272.</ref> Die Feier des Sonntags, des »ersten« und zugleich »achten« Tages, verweist den Christen auf das Ziel des ewigen Lebens.<ref>Vgl. Hl. Augustinus, Epist. 55, 17: CSEL 34, 188: »Ita ergo erit octavus, qui primus, ut prima vita sed aeterna reddatur«.</ref>

Der Tag Christi, des Lichtes

27. In dieser christozentrischen Sicht ist noch eine andere symbolische Bedeutung zu verstehen, die die gläubige Reflexion und die pastorale Praxis dem Tag des Herrn zuschrieben. Auf Grund einer wohlüberlegten pastoralen Eingebung sah sich nämlich die Kirche veranlaßt, die Bezeichnung »Tag der Sonne« — ein Ausdruck, mit dem die Römer diesen Tag benannten und der noch in einigen modernen Sprachen aufscheint<ref>So im englischen Sunday und im deutschen Sonntag.</ref> — für den Herrentag zu christianisieren; dadurch sollten die Gläubigen von Sitzungen des Sonnenkultes, wo die Sonne als Gott verehrt wurde, abgehalten und die Feier dieses Tages auf Christus, die wahre »Sonne« der Menschheit, ausgerichtet werden. Der hl. Justinus gebraucht, wenn er an die Heiden schreibt, die gängige Terminologie, um zu vermerken, dass die Christen ihre Versammlung »am Sonnentag« abhielten,<ref>Apologia I, 67: PG 6, 430.</ref> aber der Bezug auf diesen Ausdruck gewinnt nun für die Gläubigen einen neuen, vollkommen evangelischen Sinn.<ref>Vgl. Hl. Maximus von Turin, Sermo 44, 1: CCL 23, 178; Ders. Sermo 53, 2: CCL 23, 219; Eusebios von Cäsarea,Comm. in Ps 91: PG 23, 1169-1173.</ref> Christus ist tatsächlich das Licht der Welt (vgl. Joh 9,5; vgl. auch 1,4-5.9), und der Tag zum Gedächtnis seiner Auferstehung ist in der Wocheneinteilung der Zeit der ewige Widerschein dieser Epiphanie seiner Herrlichkeit. Das Thema des Sonntags als vom Sieg des auferstandenen Christus erhellten Tag findet auch Platz in der Stundenliturgie<ref>Siehe z. B. den Hymnus der Lesehore: »Dies aetasque ceteris octava splendet sanctior in te quam, Iesu, consecras primitiae surgentium« (1. Woche); und auch: »Salve dies, dierum gloria dies felix Christi victoria, dies digna iugi laetitia dies prima. Lux divina caecis irradiat, in qua Christus infernum spoliat, mortem vincit et reconciliat summis ima« (2. Woche). Ähnliche Ausdrücke finden sich in den Hymnen des Stundengebetes in den modernen Sprachen.</ref> und ist von besonderer Eindringlichkeit in der nächtlichen Gebetsversammlung, die in den orientalischen Liturgien auf den Sonntag vorbereitet und in ihn einführt. Wenn sich die Kirche an diesem Tag versammelt, macht sie sich in jeder Generation aufs neue das Staunen des Zacharias zu eigen, wenn sie ihren Blick auf Christus richtet und ihn als »das strahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes« (Lk 1,78-79), verkündet und vor Freude zittert wie Simeon, als er das göttliche Kind in seine Arme nahm, das gekommen ist als »Licht, das die Heiden erleuchtet« (Lk 2,32).

Der Tag der Gabe des Geistes

28. Der Sonntag als Tag des Lichtes, könnte in bezug auf den Heiligen Geist auch Tag des »Feuers« heißen. Denn das Licht Christi steht in engem Zusammenhang mit dem »Feuer« des Geistes, und beide Bilder weisen auf den Sinn des christlichen Sonntags hin.<ref>Vgl. Clemens Alexandrinus, Stromateis, VI, 138; 1-2: PG 9, 364.</ref> Als Jesus am Abend des Ostertages den Aposteln erschien, hauchte er sie an und sprach: »Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20,22-23). Die Ausgießung des Heiligen Geistes war das große Geschenk des Auferstandenen an seine Jünger am Ostersonntag. Es war wieder Sonntag, als fünfzig Tage nach der Auferstehung der Geist, wie ein »heftiger Sturm« und ein »Feuer« (Apg 2,2-3) voll Kraft auf die Apostel herabkam, die mit Maria im Abendmahlssaal versammelt waren. Pfingsten ist nicht nur ein Ereignis der Urkirche, sondern ein Geheimnis, das die Kirche ständig belebt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 22-26: AAS 78 (1986), 829-837.</ref> Auch wenn dieses Ereignis jedes Jahr durch die Feier des Pfingstfestes zum Abschluß des »großen Sonntags«<ref>Hl. Athanasius von Alexandrien, Festbriefe 1, 10: PG 26, 1366.</ref> liturgisch besonders herausgehoben wird, gehört es eben durch seinen engen Zusammenhang mit dem Ostermysterium auch zum tieferen Sinn jedes Sonntags. Das »wöchentliche Ostern« wird so gewissermaßen zum »wöchentlichen Pfingsten«, bei dem die Christen die freudige Erfahrung der Begegnung der Apostel mit dem Auferstandenen wiedererleben, indem sie sich vom Hauch seines Geistes mit Leben erfüllen lassen.

Der Tag des Glaubens

29. Auf Grund all dieser für ihn charakteristischen Dimensionen erscheint der Sonntag als der Tag des Glaubens schlechthin. An ihm macht der Heilige Geist, das lebendige »Gedächtnis« der Kirche (vgl.Joh 14,26), die erste Erscheinung des Auferstandenen zu einem Ereignis, das sich im »Heute« jedes einzelnen der Jünger Christi erneuert. Wenn die Gläubigen in der Zusammenkunft am Sonntag vor ihm stehen, fühlen sie sich angesprochen wie der Apostel Thomas: »Streck deinen Finger aus — hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!« (Joh 20,27). Ja, der Sonntag ist der Tag des Glaubens. Das wird dadurch unterstrichen, dass die Liturgie der sonntäglichen Eucharistiefeier, wie im übrigen jene der liturgischen Hochfeste, das Glaubensbekenntnis vorsieht. Das gesprochene oder gesungene »Credo« stellt den Tauf- und Ostercharakter des Sonntags heraus und macht ihn zu dem Tag, an dem in besonderer Weise der Getaufte im neugestärkten Bewusstsein des Taufversprechens seine Zugehörigkeit zu Christus und zu seinem Evangelium erneuert. Wenn er das Wort hört und den Leib des Herrn empfängt, betrachtet er den auferstandenen, in den »heiligen Zeichen« gegenwärtigen Jesus und bekennt mit dem Apostel Thomas: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28).

Ein unverzichtbarer Tag!

30. Man versteht nun, warum die Identität dieses Tages gerade auch im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten unserer Zeit gewahrt und vor allem intensiv gelebt werden muss. Ein orientalischer Autor vom Beginn des 3. Jahrhunderts berichtet, dass in jeder Region die Gläubigen schon damals den Sonntag regelmäßig heiligten.<ref>Vgl. Bardesanes, Dialog Über das Fatum, 46: PS, 2, 606-607.</ref> Die freiwillige Gepflogenheit ist dann zur rechtlich festgelegten Vorschrift geworden: Der Tag des Herrn hat der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche ihren Rhythmus gegeben. Wie könnte man da annehmen, er würde nicht weiter ihre Zukunft markieren? Die Probleme, die in unserer Zeit die Einhaltung der Sonntagspflicht schwieriger machen können, lassen die Kirche nicht ungerührt und finden bei ihr mütterliche Aufmerksamkeit für die Verhältnisse ihrer einzelnen Kinder. Sie fühlt sich im besonderen zu einem neuen katechetischen und pastoralen Engagement aufgerufen, damit keiner ihrer Gläubigen unter normalen Lebensbedingungen vom reichen Gnadenstrom abgeschnitten bleibe, den die Feier des Herrentages mit sich bringt. In demselben Geist hat das II. Vatikanische Konzil in einer Stellungnahme zur Hypothese einer kirchlichen Kalenderreform im Hinblick auf Veränderungen weltlicher Kalendersysteme erklärt, die Kirche »steht nur jenen nicht ablehnend gegenüber, welche die Siebentagewoche mit dem Sonntag bewahren und schützen«.<ref>Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, Anhang: Erklärung zur Kalenderreform.</ref> An der Schwelle des dritten Jahrtausends bleibt die Feier des christlichen Sonntags wegen der Bedeutungen und Dimensionen, die sie in bezug auf die Fundamente des Glaubens wachruft und einschließt, ein bedeutsames Element der christlichen Identität.

DRITTES KAPITEL: DIES ECCLESIAE - Die eucharistische Versammlung ist das Herz des Sonntags

Die Gegenwart des Auferstandenen

31. »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Dieses Versprechen Christi tönt immer noch in der Kirche und wird von ihr als fruchtbares Geheimnis ihres Lebens und Quelle ihrer Hoffnung aufgenommen. Wenn der Sonntag der Auferstehungstag ist, so ist er nicht nur das Gedächtnis eines Ereignisses der Vergangenheit: Er ist die Feier der lebendigen Gegenwart des Auferstandenen inmitten der Seinen.

Damit diese Gegenwart auf angemessene Weise verkündet und gelebt werde, genügt es nicht, dass die Jünger Christi einzeln beten und im Stillen, im Innersten ihres Herzens des Todes und der Auferstehung Christi gedenken. Denn alle, die die Gnade der Taufe empfangen haben, sind nicht nur einzeln, sondern als Glieder des mystischen Leibes gerettet worden und gehören zum Volk Gottes.<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 9.</ref> Es ist daher wichtig, dass sie sich versammeln, um die Identität der Kirche als ekklèsía, als vom auferstandenen Herrn zusammengerufene Versammlung, vollgültig zum Ausdruck zu bringen: der Herr hat sein Leben hingegeben, »um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln« (Joh 11,52). Sie sind durch die Gabe des Geistes »einer« geworden in Christus (vgl. Gal 3,28). Äuberlich tritt diese Einheit in Erscheinung, wenn sich die Christen versammeln: Dabei werden sie sich selbt bewusst und bezeugen vor der Welt, dass sie das Volk der Erlösten sind, das sich aus »Menschen aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern« (Offb 5,9) zusammensetzt. In der Versammlung der Jünger Christi findet das Bild von der christlichen Urgemeinde seine zeitliche Verewigung, wie es von Lukas in der Apostelgeschichte mit beispielhafter Absicht gezeichnet wird, als er von den ersten Getauften berichtet: »Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten« (2,42).

Die eucharistische Versammlung

32. Diese Wirklichkeit des kirchlichen Lebens hat in der Eucharistie nicht nur eine besondere Ausdruckskraft, sondern gewissermaßen ihre »Quelle«.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Schreiben zum Gründonnerstag Dominicae cenae (24. Februar 1980), 4: AAS 72 (1980), 120; Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 62-64: AAS 78 (1986), 889-894.</ref> Die Eucharistie nährt und formt die Kirche: »Ein Brot ist es: Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1 Kor 10,17). Wegen dieser lebenswichtigen Beziehung zum Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn wird das Geheimnis der Kirche auf unüberbietbare Weise in der Eucharistie verkündet, ausgekostet und gelebt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus quintus annus (4. Dezember 1988), 9: AAS 81(1989), 905-906.</ref>

Immer, wenn die Eucharistie gefeiert wird, verwirklicht sich die ihr innewohnende kirchliche Dimension. Am stärksten aber kommt sie an dem Tag zum Ausdruck, an dem die ganze Gemeinde zusammengerufen wird, um der Auferstehung des Herrn zu gedenken. Bezeichnenderweise lehrt der Katechismus der Katholischen Kirche: »Die sonntägliche Feier des Tages des Herrn und seiner Eucharistie steht im Mittelpunkt des Lebens der Kirche«.<ref>Nr. 2177.</ref>

33. In der Tat erleben die Christen in der Sonntagsmesse auf besonders intensive Weise wieder die Erfahrung, die von den versammelten Aposteln am Abend des ersten Tages der Woche gemacht wurde, als sich ihnen der Auferstandene zeigte (vgl. Joh 20,19). In jener kleinen Kerngruppe von Jüngern, in der Frühzeit der Kirche, war in gewisser Weise das Gottesvolk aller Zeiten gegenwärtig. Durch ihr Zeugnis breitet sich über jede Generation von Gläubigen das Heil Christi aus, bereichert durch das messianische Geschenk des Friedens, den er durch sein Blut erworben und zusammen mit seinem Geist angeboten hat: »Friede sei mit euch!«. Darin, dass Christus »acht Tage darauf« (Joh 20,26) wieder in ihre Mitte tritt, kann man das Ursymbol für die Gepflogenheit der christlichen Gemeinde sehen, alle acht Tage, am »Tag des Hern« oder Sonntag, zusammenzukommen, den Glauben an die Auferstehung zu bekennen und die Früchte der von ihm verheißenen Seligkeit zu ernten: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!« (Joh 20,19). Dieser enge Zusammenhang zwischen der Erscheinung des Auferstandenen und der Eucharistie wird vom Lukasevangelium in der Erzählung über die beiden Emmausjünger angedeutet, zu denen sich Christus auf dem Weg gesellte, um sie an das Verständnis des Wortes heranzuführen und sich schließlich mit ihnen zu Tisch zu setzen. Sie erkannten ihn, als er »das Brot nahm, den Lobpreis sprach, das Brot brach und es ihnen gab« (24,30). Die Gesten Jesu in dieser Erzählung sind dieselben wie jene, die er beim Letzten Abendmahl vollzogen hatte, mit deutlicher Anspielung auf das »Brechen des Brotes«, wie die Eucharistie in der ersten Christengeneration genannt wurde.

Die sonntägliche Eucharistiefeier

34. Die Eucharistie am Sonntag hat natürlich an sich weder einen anderen Status als die an jedem anderen Tag gefeierte noch ist sie vom gesamten liturgischen und sakramentalen Leben zu trennen. Die Liturgie ist ihrem Wesen nach eine Epiphanie der Kirche,<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus quintus annus (4. Dezember 1988), 9: AAS 81 (1989), 905-906.</ref> die am offenkundigsten zutage tritt, wenn die Diözesangemeinde sich mit ihrem Bischof zum Gebet versammelt: »Die Kirche wird auf eine vorzügliche Weise dann sichtbar, wenn das ganze heilige Gottesvolk voll und tätig an denselben liturgischen Feiern, besonders an derselben Eucharistiefeier, teilnimmt: in der Einheit des Gebets und an dem einen Altar und unter dem Vorsitz des Bischofs, der umgeben ist von seinem Presbyterium und den Dienern des Altars«.<ref>II. Vat. Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 41: vgl. Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus dominus, 15.</ref> Die Verbundenheit mit dem Bischof und mit der ganzen kirchlichen Gemeinschaft ist in jeder Eucharistiefeier gegeben, an welchem Wochentag immer und auch wenn sie nicht unter dem Vorsitz des Bischofs gefeiert wird. Ausdruck dafür ist die Erwähnung des Bischofs im eucharistischen Hochgebet.

Mit der Verpflichtung zur gemeinsamen Anwesenheit und mit der besonderen Feierlichkeit, die die sonntägliche Eucharistiefeier kennzeichnen, weil diese eben »an dem Tag in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche« gefeiert wird, »an dem Christus von den Toten erstanden ist«,<ref>Diese sind die Worte des Embolismus, der mit diesen oder ähnlichen Ausdrücken in verschiedenen Sprachen in einigen Eucharistischen Hochgebeten formuliert wird. Dieser unterstreicht auf bezeichnende Weise den »österlichen« Charakter des Sonntags.</ref> manifestiert sie mit nochmaligem Nachdruck ihre kirchliche Dimension: Sie ist Vorbild für die anderen Eucharistiefeiern. Jede Gemeinde erfährt sich, wenn sie alle ihre Glieder zum »Brechen des Brotes« versammelt, als Ort, an dem sich das Geheimnis der Kirche konkret verwirklicht. Bei dieser Feier öffnet sich die Gemeinschaft der communio mit der Weltkirche,<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio Communionis notio (28. Mai 1992), 11-14: AAS 85 (1993), 844-847.</ref> indem sie den Vater bittet, dass »er der Kirche auf der ganzen Erde gedenke« und sie in der Einheit aller Gläubigen mit dem Papst und mit den Bischöfen der einzelnen Teilkirchen wachsen lasse zur Vollkommenheit der Liebe.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />