Ecclesia in Europa (Wortlaut)

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Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Ecclesia in Europa

von Papst Johannes Paul II.
an die Bischöfe und Priester, an die Personen gottgeweihten Lebens und an alle Gläubigen zum Thema
zum Thema „Jesus Christus, der in seiner Kirche lebt – Quelle der Hoffnung für Europa"
Die II. Sonderversammlung der Weltbischofssynode für Europa fand am 1. bis 23. Oktober 1999 statt
28. Juni 2003
(Offizieller italienischer Text: AAS [2003/10] 649-719)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINLEITUNG

Botschaft der Freude für Europa

1. Die Kirche in Europa hat ihre zum zweiten Mal zu einer Synode versammelten Bischöfe mit innerer Teilnahme begleitet, als diese über das Thema »Jesus Christus, der in seiner Kirche lebt – Quelle der Hoffnung für Europa« nachdachten.

Jenes Leitwort möchte auch ich allen Christen Europas am Beginn des dritten Jahrtausends zurufen, indem ich zusammen mit meinen Brüdern im Bischofsamt die Worte aus dem Ersten Brief des heiligen Petrus aufgreife: »Fürchtet euch nicht, [...] laßt euch nicht erschrecken, sondern haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt« (3, 14-15).<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 1: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Diese Botschaft erklang immer wieder während des Großen Jubiläums des Jahres 2000, mit dem die unmittelbar zuvor stattfindende Synode gleichsam als dessen offene Tür in engem Zusammenhang stand.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 90-91: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 17-18.</ref> Das Jubiläum war »ein einziger, ununterbrochener Lobgesang auf die Dreifaltigkeit« , ein authentischer »Weg der Versöhnung« und ein »Zeichen echter Hoffnung für alle, die auf Christus und seine Kirche blicken«.<ref> Johannes Paul II., Bulle Incarnationis mysterium (29. November 1998), 3-4: AAS 91 (1999), 132.133.</ref> Als Erbe hat es uns die Freude über die lebendig machende Begegnung mit Christus hinterlassen – »derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13, 8) – und uns damit den Herrn Jesus wieder als einziges, unvergängliches Fundament der wahren Hoffnung vor Augen gestellt.

Eine zweite Synode für Europa

2. Die Vertiefung des Themas Hoffnung stellte von Anfang an den Hauptzweck der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa dar. Als letzte in der Reihe der in Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 abgehaltenen Synoden mit kontinentalem Charakter<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 38: AAS 87 (1995), 30.</ref> hatte sie zum Ziel, die Situation der Kirche in Europa zu analysieren und Hinweise zur Förderung einer neuen Verkündigung des Evangeliums zu geben, wie ich bei der von mir am 23. Juni 1996 am Ende der Eucharistiefeier im Berliner Olympiastadion bekanntgemachten Einberufung der Synode betonte.<ref> Vgl. Ansprache beim Angelus, 2: Insegnamenti XIX/1 (1996), 1599-1600.</ref>

Die Synodenversammlung konnte nicht umhin, das wiederaufzunehmen, zu überprüfen und weiterzuentwickeln, was bei der vorhergehenden Europasynode behandelt worden war, die 1991, unmittelbar nach dem Fall der Mauern, zum Thema »Seien wir Zeugen Christi, der uns befreit hat« stattgefunden hatte. Auf dieser Ersten Sonderversammlung hatte sich die Dringlichkeit und Notwendigkeit der »Neuevangelisierung« klar abgezeichnet, in dem Bewusstsein, dass »Europa heute nicht schlechthin auf sein vorgegebenes christliches Erbe hinweisen kann: Es muss vielmehr in die Lage versetzt werden, erneut über die Zukunft Europas zu entscheiden, in der Begegnung mit der Person und Botschaft Jesu Christi«.<ref> Erste Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa; Schlusserklärung (13. Dezember 1991), 2: Ench. Vat. 13, Nr. 619.</ref>

Im Abstand von neun Jahren ist die Überzeugung, dass »es die dringende Aufgabe der Kirche ist, den Männern und Frauen Europas die befreiende Botschaft des Evangeliums neu anzubieten«,<ref> Ebd., 3, a.a.O., Nr. 621.</ref> mit ihrer stimulierenden Kraft wieder deutlich zutage getreten. Das für die neuerliche Synodenversammlung gewählte Thema griff aus dem Blickwinkel der Hoffnung dieselbe Herausforderung wieder auf. Es ging also darum, diese Botschaft der Hoffnung einem Europa zu verkünden, das sie verloren zu haben schien.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 3: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 3.</ref>

Die Erfahrung der Synode

3. Die Synodenversammlung vom 1. bis 23. Oktober 1999 hat sich als eine außergewöhnliche Gelegenheit der Begegnung, des Zuhörens und des Austausches erwiesen. Das gegenseitige Kennenlernen von Bischöfen aus verschiedenen Teilen Europas und die Verbundenheit dieser mit dem Nachfolger Petri wurden vertieft, und wir konnten uns alle zusammen gegenseitig aufbauen, vor allem dank der Zeugnisse derer, die unter den vergangenen totalitären Regimen wegen ihres Glaubens harte und langdauernde Verfolgungen ertragen haben.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 1: AAS 92 (2000), 177.</ref> Beseelt vom Wunsch, einen brüderlichen »Austausch von Gaben« zu vollziehen, und gegenseitig bereichert durch die Vielfalt der Erfahrungen jedes einzelnen, haben wir wieder einmal Augenblicke der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe erlebt.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 2: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Daraus ist der Wille erwachsen, den Ruf anzunehmen, den der Heilige Geist an die Kirchen in Europa richtet, um sie angesichts der neuen Herausforderungen in die Pflicht zu nehmen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 4: AAS 92 (2000), 179.</ref> Die Teilnehmer an dem synodalen Treffen haben sich – wenngleich mit liebevollem Blick – nicht gescheut, die aktuelle Situation des Kontinents zu betrachten und deren Licht- und Schattenseiten aufzudecken. Einhellig ergab sich das Bewusstsein, dass die Situation von schwerwiegenden Ungewissheiten auf kultureller, anthropologischer, ethischer und geistlich-religiöser Ebene gekennzeichnet ist. Ebenso klar war ein wachsender Wille festzustellen, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen und sie zu interpretieren, um zu sehen, welche Aufgaben die Kirche erwarten: Daraus sind »brauchbare Orientierungen« hervorgegangen, »um durch eine markantere, durch ein konsequentes Lebenszeugnis gestärkte Verkündigung das Antlitz Christi immer mehr sichtbar zu machen«.<ref> Ebd.</ref>

4. Die mit einem am Evangelium orientierten Unterscheidungsvermögen gelebte synodale Erfahrung ließ das Bewusstsein der Einheit reifen, die die verschiedenen Teile Europas verbindet, ohne die aus den historischen Begebenheiten herrührenden Unterschiede zu leugnen. Es ist eine Einheit, die aufgrund ihrer Verwurzelung in der gemeinsamen christlichen Inspiration die unterschiedlichen kulturellen Traditionen zusammenzuführen vermag und die auf gesellschaftlich-sozialer wie auf kirchlicher Ebene einen fortgesetzten Weg gegenseitigen Kennenlernens verlangt, das sich einem größeren Austausch der Werte der einzelnen öffnet.

Im Laufe der Synode wurde nach und nach ein starkes Streben nach Hoffnung offenkundig. Auch wenn die Synodenväter die Analysen der für den Kontinent charakteristischen Komplexität durchaus ernst nahmen, haben sie erfasst, dass die vielleicht größte Dringlichkeit, die im Osten wie im Westen den Kontinent durchzieht, in einem wachsenden Bedürfnis nach Hoffnung besteht, um dem Leben und der Geschichte einen Sinn geben und gemeinsam weitergehen zu können. Alle Überlegungen der Synode waren darauf ausgerichtet, auf dieses Bedürfnis vom Geheimnis Christi und vom trinitarischen Geheimnis her eine Antwort zu geben. Die Synode wollte die Gestalt des in seiner Kirche lebenden Jesus neu vor Augen führen: Er offenbart den Gott der Liebe, der die Gemeinschaft der drei göttlichen Personen ist.

Das Bild der Geheimen Offenbarung

5. Ich freue mich, durch das vorliegende nachsynodale Schreiben die Früchte dieser Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa mit der Kirche in Europa teilen zu können. Auf diese Weise möchte ich dem Wunsch nachkommen, der zum Abschluss der synodalen Versammlung zum Ausdruck kam, als die Bischöfe mir die Texte ihrer Überlegungen mit der Bitte überreichten, der pilgernden Kirche in Europa ein Dokument über eben dieses Thema der Synode zu schenken.<ref> Vgl. Propositio 1.</ref>

»Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt« (Offb 2, 7). Bei der Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung an Europa werde ich mich von der Apokalypse oder Geheimen Offenbarung leiten lassen, der »prophetischen Offenbarung« , die der gläubigen Gemeinde den verborgenen, tiefen Sinn dessen, was geschehen muss (vgl. Offb 1, 1), erschließt. Die Geheime Offenbarung konfrontiert uns mit einem Wort, das an die christlichen Gemeinden gerichtet ist, damit sie ihre Einbindung in die Geschichte, mit ihren Fragen und ihren Leiden, im Lichte des endgültigen Sieges des geopferten und auferstandenen Lammes zu deuten und zu leben verstehen. Zugleich stehen wir einem Wort gegenüber, das uns verpflichtet, in unserem Leben der immer wiederkehrenden Versuchung zu entsagen, die Stadt der Menschen ohne Gott oder gegen ihn aufzubauen. Wenn nämlich das einträte, würde gerade das menschliche Zusammenleben früher oder später eine nicht wiedergutzumachende Niederlage erleiden.

Die Geheime Offenbarung enthält eine Ermutigung an die Gläubigen: Jenseits allen äußeren Anscheins und auch wenn die Wirkungen noch nicht zu sehen sind, ist der Sieg Christi bereits eingetreten und endgültig. Daraus ergibt sich die Grundeinstellung, den menschlichen Wechselfällen mit einer Haltung tiefer Zuversicht zu begegnen, die aus dem Glauben an den in der Geschichte gegenwärtigen und wirkenden Auferstandenen entspringt.

I. KAPITEL: JESUS CHRISTUS IST UNSERE HOFFNUNG

»Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige« (Offb 1, 17-18)

Der Auferstandene ist immer bei uns

6. In einer Zeit der Verfolgung, der Bedrängnis und der Erschütterung für die Kirche, wie sie der Verfasser der Geheimen Offenbarung erlebte (vgl. 1, 9), ist das Wort, das er in der Vision vernimmt, ein Wort der Hoffnung: »Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt« (Offb 1, 17-18). Wir werden also mit dem Evangelium, mit der »frohen Botschaft« konfrontiert, die Jesus Christus selbst ist. Er ist der Erste und der Letzte: In ihm findet die ganze Geschichte Anfang, Sinn, Richtung und Vollendung; in ihm und mit ihm, in seinem Tod und seiner Auferstehung, ist bereits alles gesagt worden. Er ist der Lebendige: Er war tot, doch nun lebt er in alle Ewigkeit. Er ist das Lamm, das aufrecht vor dem Thron Gottes steht (vgl. Offb 5, 6): Es ist geschlachtet, weil es sein Blut für uns am Holz des Kreuzes vergossen hat; es steht aufrecht, weil es für immer in das Leben zurückgekehrt ist und uns so die grenzenlose Allmacht der Liebe des Vaters hat erkennen lassen. Er hält in seiner Rechten die sieben Sterne (vgl. Offb 1, 16), das heißt, die verfolgte Kirche Gottes im Kampf gegen das Böse und gegen die Sünde, die aber ebenso das Recht hat, froh und siegreich zu sein, weil sie in der Hand dessen ist, der das Böse schon besiegt hat. Er geht mitten unter den sieben goldenen Leuchtern einher (vgl. Offb 2, 1): Er ist in seiner betenden Kirche gegenwärtig und am Wirken. Er ist auch »der, der kommt » (Offb 1, 4) durch die Sendung und das Wirken der Kirche die ganze Menschheitsgeschichte hindurch; er kommt als eschatologischer Schnitter am Ende der Zeiten, um alles zur Vollendung zu führen (vgl. Offb 14, 15-16; 22, 20).

I. Herausforderungen und Zeichen der Hoffnung für die Kirche in Europa

Die Trübung der Hoffnung

7. Dieses Wort richtet sich heute auch an die Kirchen in Europa, die oft durch eine Trübung der Hoffnung auf die Probe gestellt sind. Die Zeit, in der wir leben, vermittelt mit den ihr eigenen Herausforderungen in der Tat den Anschein des Verlorenseins. Viele Männer und Frauen scheinen desorientiert, unsicher und ohne Hoffnung zu sein, und nicht wenige Christen teilen diesen Gemütszustand. Zahlreiche besorgniserregende Zeichen zeigen sich zu Beginn des dritten Jahrtausends bedrohlich am Horizont des europäischen Kontinents, der »zwar sehr reich ist an außerordentlichen Glaubenszeugnissen und sich im Rahmen eines zweifellos freieren und einmütigeren Zusammenlebens befindet, trotzdem aber die ganze Zerrüttung spürt, die die ältere und jüngere Geschichte im tiefsten Inneren seiner Völker verursacht hat, was oft zu Enttäuschungen führt«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 2: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 2-3.</ref>

Unter den vielen, auch anläßlich der Synode ausführlich erwähnten Aspekten<ref> Vgl. ebd., Nr. 12-13.16-19; a.a.O., S. 4-6; Idem, Relatio ante disceptationem, I: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 6-7; Idem, Relatio post disceptationem, II, A: L'Osservatore Romano, 11./12. Oktober 1999, S. 10.</ref> möchte ich den Verlust des christlichen Gedächtnisses und Erbes anführen, der begleitet ist von einer Art praktischem Agnostizismus und religiöser Gleichgültigkeit, weshalb viele Europäer den Eindruck erwecken, als lebten sie ohne geistigen Hintergrund und wie Erben, welche die ihnen von der Geschichte übergebene Erbschaft verschleudert haben. Daher ist es nicht allzu verwunderlich, wenn versucht wird, Europa ein Gesicht zu geben, indem man unter Ausschluss seines religiösen Erbes und besonders seiner tief christlichen Seele das Fundament legt für die Rechte der Völker, die Europa bilden, ohne sie auf den Stamm aufzupfropfen, der vom Lebenssaft des Christentums durchströmt wird.

Auf dem europäischen Kontinent fehlt es gewiss nicht an namhaften Symbolen für die Präsenz des Christentums, doch mit der langsam voranschreitenden Überhandnahme des Säkularismus laufen sie Gefahr, zu einem bloßen Relikt der Vergangenheit zu werden. Vielen gelingt es nicht mehr, die Botschaft des Evangeliums in die Alltagserfahrung einzubeziehen. In einem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld, wo dem christlichen Lebensentwurf ständig Trotz und Bedrohung begegnen, wird es immer schwieriger, seinen Glauben an Jesus zu leben. In vielen öffentlichen Bereichen ist es einfacher, sich als Agnostiker denn als Gläubigen zu bezeichnen; man hat den Eindruck, dass sich Nichtglauben von selbst versteht, während Glauben einer gesellschaftlichen Legitimation bedarf, die weder selbstverständlich ist, noch vorausgesetzt wird.

8. Mit diesem Verlust des christlichen Gedächtnisses geht eine Art Zukunftsangst einher. Das gemeinhin verbreitete Bild von der Zukunft stellt sich oft als blaß und ungewiss heraus. Man hat eher Angst vor der Zukunft, als dass man sie herbeiwünschte. Besorgniserregende Anzeichen dafür sind unter anderem die innere Leere, die viele Menschen peinigt, und der Verlust des Lebenssinnes. Zu den Zeichen und Auswirkungen dieser Existenzangst sind insbesondere der dramatische Geburtenrückgang und die Abnahme der Priester- und Ordensberufe zu zählen sowie die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Weigerung, endgültige Lebensentscheidungen auch bezüglich der Ehe zu treffen.

Wir erleben eine verbreitete Zersplitterung des Daseins; es überwiegt ein Gefühl der Vereinsamung; Spaltungen und Gegensätze nehmen zu. Unter anderen Symptomen dieses Zustandes erfährt das heutige Europa das ernste Phänomen einer Krise der Familie und des Schwindens einer Konzeption von Familie überhaupt, die Fortdauer oder das Wiederaufflammen ethnischer Konflikte, das Wiederaufleben gewisser rassistischer Verhaltensweisen, die interreligiösen Spannungen, die Egozentrik, die Einzelne und Gruppen in sich verschließt, die Zunahme einer allgemeinen sittlichen Gleichgültigkeit und einer krampfhaften Sorge um die eigenen Interessen und Privilegien. In den Augen vieler läuft die zunehmende Globalisierung Gefahr, statt zu einer größeren Einheit der Menschheit zu führen, einer Logik zu folgen, die die Schwächsten ausgrenzt und die Zahl der Armen auf der Erde vermehrt.

Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Individualismus ist eine zunehmende Schwächung der Solidarität zwischen den Menschen festzustellen: Während die Hilfseinrichtungen lobenswerte Arbeit leisten, beobachtet man ein Abnehmen des Solidaritätsgefühls, so dass sich viele Menschen, auch wenn es ihnen nicht am materiell Notwendigen fehlt, immer einsamer und sich selbst überlassen fühlen, ohne das Netz einer gefühlsmäßigen Unterstützung.

9. Der Verlust der Hoffnung hat seinen Grund in dem Versuch, eine Anthropologie ohne Gott und ohne Christus durchzusetzen. Diese Denkart hat dazu geführt, den Menschen »als absoluten Mittelpunkt allen Seins zu betrachten, indem man ihn fälschlicherweise den Platz Gottes einnehmen ließ und dabei vergaß, dass nicht der Mensch Gott erschafft, sondern Gott den Menschen erschafft.

Das Vergessen Gottes hat zum Niedergang des Menschen geführt. [...] Es wundert daher nicht, dass in diesem Kontext ein großer Freiraum für die Entwicklung des Nihilismus im philosophischen Bereich, des Relativismus im erkenntnistheoretischen und moralischen Bereich, des Pragmatismus und sogar des zynischen Hedonismus in der Gestaltung des Alltagslebens entstanden ist«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, I, 1.2: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 6.</ref> Die europäische Kultur erweckt den Eindruck einer »schweigenden Apostasie » seitens des satten Menschen, der lebt, als ob es Gott nicht gäbe.

Vor diesem Horizont nehmen die auch in letzter Zeit wieder auftauchenden Versuche Gestalt an, die europäische Kultur losgekoppelt vom Beitrag des Christentums zu präsentieren, das ihre historische Entwicklung und ihre universale Verbreitung geprägt hat. Wir sehen uns dem Erscheinen einer neuen, großenteils von den Massenmedien beeinflußten Kultur gegenüber, deren Merkmale und Inhalte oft im Gegensatz zum Evangelium und zur Würde der menschlichen Person stehen. Zu dieser Kultur gehört auch ein immer weiter verbreiteter religiöser Agnostizismus, verbunden mit einem tieferen moralischen und rechtlichen Relativismus, der seine Wurzeln im Verlust der Wahrheit vom Menschen als Fundament der unveräußerlichen Rechte eines jeden hat. Die Zeichen eines Schwindens der Hoffnung äußern sich mitunter durch erschreckende Formen dessen, was man als eine »Kultur des Todes« bezeichnen kann.<ref> Vgl. Propositio 5a.</ref>

Die ununterdrückbare Sehnsucht nach Hoffnung

10. Aber – so haben die Synodenväter unterstrichen – »der Mensch kann nicht ohne Hoffnung leben: sein Leben wäre der Bedeutungslosigkeit verschrieben und würde unerträglich«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 1: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref> Im Bedürfnis nach Hoffnung meinen viele, in kurzlebigen und brüchigen Realitäten Frieden finden zu können. Und so wird die auf einen der Transzendenz verschlossenen innerweltlichen Raum eingeengte Hoffnung zum Beispiel mit dem von Wissenschaft und Technik versprochenen Paradies identifiziert oder mit verschiedenen Formen des Messianismus, mit dem vom Konsumismus vermittelten Glück hedonistischer Natur oder mit jenem imaginären, von Drogen künstlich ausgelösten Glücksgefühl, mit manchen Formen des Chiliasmus, mit der Faszination orientalischer Philosophien, mit der Suche nach Formen esoterischer Spiritualität und mit den verschiedenen Strömungen von New Age.<ref> Vgl. Propositio 5a; Pontificial Council for Culture and Pontificial Council for Interreligious Dialogue, Jesus Christ – the bearer of the water of life. A Christian reflection on the New Age. Vatican City 2003.</ref>

Das alles erweist sich freilich als zutiefst illusorisch und ungeeignet, jenen Durst nach Glückseligkeit zu stillen, den das Herz des Menschen in seinem Inneren weiterhin verspürt. Und so bleiben und verschärfen sich die besorgniserregenden Zeichen des Schwindens der Hoffnung, die sich manchmal auch in Formen von Aggressivität und Gewalt äußern.<ref> Vgl. Propositio 5a.</ref>

Zeichen der Hoffnung

11. Kein Mensch kann ohne Zukunftsperspektiven leben. Schon gar nicht die Kirche, die von der Erwartung des Reiches lebt, das kommt und das bereits in dieser Welt gegenwärtig ist. Es wäre ungerecht, die Zeichen für den Einfluß des Evangeliums Christi auf das Leben der Gesellschaft nicht wahrzunehmen. Die Synodenväter haben sie aufgespürt und hervorgehoben.

Unter diesen Zeichen müssen genannt werden: die Wiedererlangung der Freiheit der Kirche im Osten Europas mit den neuen Möglichkeiten für das pastorale Wirken, die sich ihr erschlossen haben; der Umstand, dass sich die Kirche auf ihre geistliche Sendung konzentriert und sich bemüht, den Vorrang der Evangelisierung auch in den Beziehungen zur realen sozialen und politischen Welt zu leben; die gewachsene Bewußtwerdung der besonderen Sendung aller Getauften in der Vielfältigkeit und Komplementarität der Gaben und Aufgaben; die erhöhte Präsenz der Frau in den Strukturen und Aufgabenbereichen der christlichen Gemeinschaft.

Eine Völkergemeinschaft

12. Blicken wir auf Europa als bürgerliches Gemeinwesen, so fehlt es nicht an Zeichen, die Anlaß geben zur Hoffnung: In ihnen können wir, wenngleich in den Widersprüchlichkeiten der Geschichte, mit dem Blick des Glaubens die Gegenwart des Geistes Gottes erfassen, der das Gesicht der Erde erneuert. Die Synodenväter haben zum Abschluss ihrer Arbeiten diese Zeichen so beschrieben: »Mit Freude stellen wir die zunehmende Öffnung der Völker aufeinander hin fest, die Versöhnung zwischen Nationen, die lange Zeit verfeindet waren, die fortschreitende Ausdehnung des Einigungsprozesses auf die Länder Osteuropas. Es wachsen Anerkennung, Zusammenarbeit und Austausch aller Art, so dass nach und nach eine europäische Kultur, ja ein europäisches Bewusstsein entsteht, das hoffentlich, besonders bei den Jugendlichen, das Gefühl der Brüderlichkeit und den Willen zum Teilen wachsen lässt. Als positiv vermerken wir, dass dieser ganze Prozess sich nach demokratischen Spielregeln auf friedliche Weise und in einem Geist der Freiheit vollzieht, der die berechtigte Vielfalt achtet und zur Geltung bringt und so den Prozess der Einigung Europas vorantreibt und unterstützt. Wir begrüßen mit Genugtuung alles, was getan wurde, um die Bedingungen und Modalitäten zur Achtung der Menschenrechte präzise darzulegen. Im Zusammenhang mit der legitimen wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas erkennen wir schließlich einerseits die Zeichen der Hoffnung, die aus der Bedeutung erwachsen, die dem Recht und der Lebensqualität zuerkannt wird; auf der anderen Seite aber wünschen wir uns lebhaft, dass in einer schöpferischen Treue zur humanistischen und christlichen Tradition unseres Kontinents der Vorrang der ethischen und geistlichen Werte garantiert werde«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 6: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Märtyrer und Glaubenszeugen

13. Aber ich möchte die Aufmerksamkeit besonders auf einige Zeichen lenken, die im eigentlich kirchlichen Leben sichtbar geworden sind. Vor allem will ich mit den Synodenvätern jenes großartige Hoffnungszeichen, das von so vielen Zeugen des christlichen Glaubens im letzten Jahrhundert in Ost und West gesetzt worden ist, allen wieder vor Augen stellen, auf dass es niemals in Vergessenheit gerate. Sie haben es in Situationen der Feindseligkeit und Verfolgung vermocht, sich das Evangelium zu eigen zu machen, oft bis zum Blutvergießen als äußerster Bewährung.

Diese Zeugen, besonders jene unter ihnen, die das Martyrium auf sich genommen haben, sind ein beredtes, großartiges Zeugnis, das verlangt, von uns betrachtet und nachgeahmt zu werden. Sie beweisen uns die Lebenskraft der Kirche; sie erscheinen wie ein Licht für die Kirche und für die Menschheit, weil sie in der Finsternis das Licht Christi zum Leuchten gebracht haben; als Angehörige verschiedener christlicher Konfessionen sind sie auch ein leuchtendes Hoffnungszeichen für den ökumenischen Weg, da wir gewiss sein dürfen, dass ihr Blut »auch Lebenssaft der Einheit für die Kirche ist«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache beim Angelus (25. August 1996), 2: Insegnamenti XX/2 (1997), 237; vgl. Propositio 9. </ref>

Noch radikaler sagen sie uns, dass das Martyrium die höchste Inkarnation des Evangeliums der Hoffnung ist: »Die Märtyrer verkünden nämlich dieses Evangelium und legen dafür Zeugnis ab durch die Hingabe ihres Lebens bis zum Blutvergießen, denn sie sind sicher, dass sie ohne Christus nicht leben können, und bereit, für ihn zu sterben in der Überzeugung, dass Jesus der Herr und der Erlöser des Menschen ist und dass folglich der Mensch nur in ihm die wahre Fülle des Lebens findet. Auf diese Weise sind sie bereit, der Mahnung des Apostels Petrus entsprechend, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15). Darüber hinaus ,,zelebrieren die Märtyrer das ,,Evangelium der Hoffnung, denn die Hingabe ihres Lebens ist die radikalste und erhabenste Manifestation jenes lebendigen und heiligen Opfers, das Gott gefällt und das der wahre Gottesdienst ist (vgl. Röm 12, 1) – Ursprung, Seele und Höhepunkt jeder christlichen Gottesdienstfeier. Und schließlich dienen sie dem ,,Evangelium der Hoffnung, weil sie durch ihr Martyrium in höchstem Grad die Liebe und den Dienst am Menschen ausdrücken, insofern sie zeigen, dass der Gehorsam gegenüber dem Gesetz des Evangeliums ein moralisches Leben und ein soziales Zusammenleben bewirkt, das die Würde und die Freiheit jeder Person hochschätzt und fördert«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 88: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 17.</ref>

Die Heiligkeit vieler

14. Frucht der vom Evangelium bewirkten Umkehr ist die Heiligkeit vieler Männer und Frauen unserer Zeit. Das gilt nicht nur für diejenigen, die von der Kirche offiziell zu Heiligen erklärt worden sind, sondern auch für jene, die mit Bescheidenheit im Alltag ihres Daseins von ihrer Treue zu Christus Zeugnis gegeben haben. Wie sollte man nicht an die unzähligen Söhne und Töchter der Kirche denken, die im Laufe der Geschichte des europäischen Kontinents in der Verborgenheit des Familien- und Berufslebens eine hochherzige und glaubwürdige Heiligkeit gelebt haben? »Sie alle haben, als ,,lebendige Steine mit Christus, dem ,,Eckstein, verbunden, Europa als geistiges und moralisches Bauwerk errichtet und den Nachkommen das kostbarste Erbe hinterlassen. Jesus, der Herr, hatte es versprochen: ,,Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater (Joh 14, 12). Die Heiligen sind der lebendige Beweis dafür, dass dieses Versprechen in Erfüllung geht, und sie machen Mut zu glauben, dass das auch in den schwierigsten Stunden der Geschichte möglich ist«.<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 4: AAS 92 (2000), 179.</ref>

Die Pfarrei und die kirchlichen Bewegungen

15. Das Evangelium bringt weiter seine Früchte in den Pfarrgemeinden, unter den Personen des geweihten Lebens, in den Laienverbänden, in den Gebets- und Apostolatsgruppen, in verschiedenen Jugendgemeinschaften sowie auch durch das Auftreten und die Verbreitung neuer Bewegungen und kirchlicher Körperschaften. In jedem von ihnen vermag nämlich der Heilige Geist eine neue Hingabe an das Evangelium, großzügige Dienstbereitschaft und ein christliches Leben hervorzurufen, das von evangelischer Radikalität und von missionarischem Schwung gekennzeichnet ist.

In Europa, und zwar in den postkommunistischen Ländern ebenso wie im Westen, kommt der Pfarrei, obschon sie ständiger Erneuerung bedarf,<ref> Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 26: AAS 81 (1989), 439.</ref> weiterhin eine eigene unverzichtbare Aufgabe zu, die sie immer noch wahrnimmt und die im pastoralen und kirchlichen Bereich von grosser Aktualität ist. Sie ist nach wie vor in der Lage, den Gläubigen den Raum für eine wirklich christliche Lebensführung zu bieten, und – sowohl in der für die modernen Großstädte spezifischen Atmosphäre der Zersplitterung und Anonymität als auch in den dünnbesiedelten ländlichen Gebieten – ein Ort echter Humanisierung und Sozialisation zu sein.<ref> Vgl. Propositio 21.</ref>

16. Während ich meine große Wertschätzung für die Präsenz und das Wirken der verschiedenen apostolischen Vereinigungen und Organisationen und im besonderen der Katholischen Aktion zum Ausdruck bringe, möchte ich gemeinsam mit den Synodenvätern gleichzeitig den besonderen Beitrag hervorheben, den – zusammen mit den anderen kirchlichen Vereinigungen und niemals abgesondert von ihnen – die neuen kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften leisten können. Letztere helfen nämlich »den Christen, radikaler nach dem Evangelium zu leben; sie sind eine Wiege verschiedener Berufungen und bringen neue Formen gottgeweihten Lebens hervor. Sie fördern vor allem die Berufung der Laien und führen dazu, dass sie in den verschiedenen Lebensbereichen zum Ausdruck kommt. Sie begünstigen die Heiligkeit des Volkes; sie können Botschaft und Aufforderung für diejenigen sein, die sonst der Kirche nicht begegnen. Häufig unterstützen sie den ökumenischen Weg und eröffnen Möglichkeiten für den interreligiösen Dialog; sie sind ein Gegenmittel gegen die Ausbreitung der Sekten; sie sind sehr behilflich dabei, in der Kirche Lebendigkeit und Freude zu verbreiten«.<ref> Ebd.</ref>

Der ökumenische Weg

17. Wir danken dem Herrn für das große und tröstliche Zeichen der Hoffnung, das in den Fortschritten zutage tritt, die auf dem ökumenischen Weg im Hinblick auf die Wahrheit, die Liebe und die Versöhnung erreicht werden konnten. Es handelt sich um eine der großen Gaben des Heiligen Geistes für einen Kontinent wie den europäischen, von dem die schweren Spaltungen zwischen den Christen im zweiten Jahrtausend ausgegangen sind und der noch immer sehr unter deren Folgen leidet.

Tief bewegt erinnere ich mich an einige Momente großer Eindringlichkeit während der Arbeiten der Synode und an die auch von den als Delegierte anwesenden Brüdern aus anderen Konfessionen zum Ausdruck gebrachte, einmütige Überzeugung, dass dieser Weg – trotz der noch andauernden und der neu entstehenden Probleme – nicht unterbrochen werden dürfe, sondern mit erneuertem Eifer, mit äußerster Entschlossenheit und mit der demütigen Bereitschaft aller zur gegenseitigen Vergebung weitergehen müsse. Gerne mache ich mir die Worte der Synodenväter zu eigen, da »der Fortschritt im ökumenischen Dialog, der sein tiefstes Fundament im Wort Gottes selbst hat, ein Zeichen großer Hoffnung für die heutige Kirche darstellt: Die wachsende Einheit zwischen den Christen stellt in der Tat eine gegenseitige Bereicherung für alle dar«.<ref> Propositio 9.</ref> Es gilt, »mit Freude auf die Fortschritte zu blicken, die im Dialog sowohl mit den Brüdern der orthodoxen Kirchen als auch mit den Mitgliedern der aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften bis jetzt erreicht worden sind, und in ihnen ein Zeichen für das Wirken des Geistes zu erkennen, für das wir den Herrn loben und ihm danken wollen«.<ref> Ebd.</ref>

II. Zurückkehren zu Christus, der Quelle aller Hoffnung

Unseren Glauben bekennen

18. Aus der Synodenversammlung hat sich die eindeutige und begeisterte Gewissheit ergeben, dass die Kirche Europa das kostbarste Gut anzubieten hat, das ihm niemand anderer zu geben vermag: den Glauben an Jesus Christus, Quelle der Hoffnung, die nicht enttäuscht,<ref> Vgl. Propositio 4, 1.</ref> eine Gabe, die der geistigen und kulturellen Einheit der europäischen Völker zugrundeliegt und die noch heute und in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Entwicklung und Integration darstellen kann. Ja, nach zweitausend Jahren stellt sich die Kirche am Beginn des dritten Jahrtausends mit der immer gleichen Botschaft vor, die ihren einzigen Schatz bildet: Jesus Christus ist der Herr; in ihm und in keinem anderen ist das Heil (vgl. Apg 4, 12). Die Quelle der Hoffnung für Europa und für die ganze Welt ist Christus, »und die Kirche ist der Kanal, durch den die Gnadenflut aus dem durchbohrten Herzen des Erlösers strömt und sich ausbreitet«.<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 2: AAS 92 (2000), 178.</ref>

Aufgrund dieses Glaubensbekenntnisses entspringt in unserem Herzen und sprudelt von unseren Lippen »ein freudiges Bekenntnis unserer Hoffnung: Du, Herr, auferstanden und lebendig, bist die immer neue Hoffnung der Kirche und der Menschheit; du bist die einzige wahre Hoffnung des Menschen und der Geschichte; du bist unter uns ,,die Hoffnung auf Herrlichkeit (Kol 1, 27) schon in diesem unserem Leben und über den Tod hinaus. In dir und mit dir können wir die Wahrheit finden, erhält unser Dasein einen Sinn, wird Gemeinschaft möglich, kann die Vielfalt zum Reichtum werden, ist die Macht des Reiches Gottes in der Geschichte am Werk und hilft beim Aufbau der Stadt des Menschen, verleiht die Liebe den Anstrengungen der Menschen bleibenden Wert, kann der Schmerz heilsam werden, wird das Leben den Tod besiegen und die Schöpfung teilhaben an der Herrlichkeit der Kinder Gottes«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 2: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Jesus Christus unsere Hoffnung

19. Jesus Christus ist unsere Hoffnung, weil er, das ewige Wort Gottes, das von Ewigkeit her am Herzen des Vaters ruht (vgl. Joh 1, 18), uns so geliebt hat, dass er in allem, mit Ausnahme der Sünde, unsere menschliche Natur angenommen hat und unseres Lebens teilhaftig wurde, um uns zu retten. Das Bekenntnis dieser Wahrheit bildet den Kern unseres Glaubens. Der Verlust der Wahrheit über Jesus Christus oder ihr Unverständnis verhindern das Eindringen in das eigentliche Geheimnis der Liebe Gottes und der trinitarischen Gemeinschaft.<ref> Vgl. Propositio 4, 2.</ref>

Jesus Christus ist unsere Hoffnung, weil er das Geheimnis der Dreifaltigkeit offenbart. Dieses ist die Mitte des christlichen Glaubens, der noch immer, so wie er es bisher getan hat, einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau von Strukturen leisten kann, die dadurch, dass sie sich an den großen Werten des Evangeliums inspirieren bzw. sich mit ihnen auseinandersetzen, das Leben, die Geschichte und die Kultur der verschiedenen Völker des Kontinents fördern sollen. Vielfältige ideelle Wurzeln haben mit ihrer Vitalität zur Anerkennung des Wertes der Person und ihrer unveräußerlichen Würde, des unantastbaren Charakters des menschlichen Lebens und der zentralen Rolle der Familie, der Bedeutung der Bildung und der Meinungsfreiheit, der Redefreiheit und der Religionsfreiheit ebenso beigetragen wie zum Rechtsschutz der Einzelnen und der Gruppen, zur Förderung der Solidarität und des Gemeinwohls und zur Anerkennung der Würde der Arbeit. Diese Wurzeln haben die Unterordnung der politischen Macht unter das Gesetz und unter die Achtung der Rechte der Person und der Völker begünstigt. Hier gilt es, an den Geist des antiken Griechenland und der römischen Welt, an die Beiträge der keltischen, germanischen, slawischen, finnisch-ugrischen Völker, der jüdischen Kultur und der islamischen Welt zu erinnern. Man muss allerdings erkennen, dass diese Inspirationen historisch in der jüdisch- christlichen Tradition eine Kraft gefunden haben, die fähig war, sie untereinander in Einklang zu bringen, sie zu konsolidieren und zu fördern. Es handelt sich um eine Tatsache, die nicht ignoriert werden kann; im Gegenteil, in dem Prozess zur Errichtung des »gemeinsamen Hauses Europa« muss anerkannt werden, dass sich dieses Gebäude auch auf Werte stützen muss, die in der christlichen Tradition voll in Erscheinung treten. Das zur Kenntnis zu nehmen, gereicht allen zum Vorteil.

Der Kirche »steht es nicht zu, sich zugunsten der einen oder anderen institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung für Europa zu äußern« , und sie ist daher gewillt, die berechtigte Autonomie der demokratischen Ordnung zu achten.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 47: AAS 83 (1991), 852.</ref> Dennoch hat sie die Aufgabe, in den Christen Europas den Glauben an die Dreifaltigkeit zu stärken, da sie sehr wohl weiß, dass dieser Glaube von einer echten Hoffnung für den Kontinent kündet. Viele der oben angedeuteten großen Paradigmen, die der europäischen Kultur zugrunde liegen, haben ihre tiefsten Wurzeln im trinitarischen Glauben. Dieser enthält ein außerordentliches spirituelles, kulturelles und ethisches Potential, das unter anderem in der Lage ist, einige der großen Fragen zu erhellen, die heute in Europa anstehen, wie die soziale Auflösung und der Verlust eines Bezugs, der dem Leben und der Geschichte Sinn gäbe. Daraus folgt die Notwendigkeit einer erneuten theologischen, spirituellen und pastoralen Vertiefung des Geheimnisses der Dreifaltigkeit.<ref> Vgl. Propositio 4, 1.</ref>

20. Die Teilkirchen in Europa sind nicht einfache Körperschaften oder Privatorganisationen. Tatsächlich wirken sie in einem spezifischen institutionellen Rahmen, der bei voller Achtung der legitimen Zivilordnung rechtliche Anerkennung finden sollte. Beim Nachdenken über sich selbst müssen die christlichen Gemeinschaften sich wiederentdecken als Gabe, mit der Gott die auf dem Kontinent lebenden Völker bereichert. Das ist die freudige Botschaft, die sie jedem Menschen zu bringen gerufen sind. Bei der Vertiefung ihrer missionarischen Dimension müssen sie ständig bezeugen, dass Jesus Christus »der einzige und eingesetzte Mittler des Heils für die gesamte Menschheit ist. Nur in ihm finden die Menschheit, die Geschichte und der Kosmos ihre endgültig positive Sinngebung und volle Verwirklichung. Er birgt in seinem Ereignis und in seiner Person die Gründe der Heilsendgültigkeit; er ist nicht nur ein Mittler des Heils, sondern die Heilsquelle selbst«.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 30: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 8.</ref>

Im Zusammenhang mit dem derzeitigen ethischen und religiösen Pluralismus, der Europa immer mehr kennzeichnet, ist es daher notwendig, die Wahrheit über Christus als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen und einzigen Erlöser der Welt zu bekennen und neu vorzustellen. Daher lade ich – wie ich es schon zum Abschluss der Synodenversammlung getan habe – zusammen mit der ganzen Kirche meine Brüder und Schwestern im Glauben ein, sich ständig vertrauensvoll Christus zu öffnen und sich von ihm erneuern zu lassen. In der Kraft des Friedens und der Liebe verkünde ich allen Menschen guten Willens: Wer dem Herrn begegnet, erkennt die Wahrheit, entdeckt das Leben, findet den Weg, der zum Leben führt (vgl. Joh 14, 6; Ps 16[15], 11). An der Lebensführung und am Zeugnis des Wortes der Christen sollen die Bewohner Europas entdecken können, dass Christus die Zukunft des Menschen ist. Denn nach dem Glauben der Kirche »ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen« (Apg 4, 12).<ref> Vgl. Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 3: AAS 92 (2000), 178; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus (6. August 2000), 13: AAS 92 (2000), 754.</ref>

21. Für die Gläubigen ist Jesus Christus die Hoffnung jedes Menschen, weil er das ewige Leben schenkt. Er ist »das Wort des Lebens« (1 Joh 1, 1), das in die Welt gekommen ist, damit die Menschen »das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10, 10). Er zeigt uns so, dass der wahre Sinn des menschlichen Lebens nicht im weltlichen Horizont eingeschlossen bleibt, sondern sich auf die Ewigkeit hin öffnet. Die Mission jeder Teilkirche in Europa ist es, dem Durst eines jeden Menschen nach Wahrheit und dem Verlangen nach echten Werten, welche die auf dem Kontinent lebenden Völker beseelen sollen, Rechnung zu tragen. Mit frischen Kräften muss sie das Neue, das sie belebt, wieder zu Bewusstsein bringen. Es geht darum, eine klar gegliederte Kultur- und Missionstätigkeit in Gang zu setzen, indem man mit überzeugenden Aktionen und Argumentationen zeigt, dass das neue Europa notwendigerweise zu seinen letzten Wurzeln zurückfinden muss. In diesem Zusammenhang haben alle, die sich an den Werten des Evangeliums inspirieren, eine wesentliche Funktion zu erfüllen, die zu dem festen Fundament gehört, auf dem ein menschlicheres und friedlicheres, weil alle und jeden einzelnen respektierendes Zusammenleben aufzubauen ist. Es ist notwendig, dass es die Teilkirchen in Europa verstehen, der Hoffnung ihre ursprüngliche eschatologische Komponente zurückzugeben.<ref> Vgl. Propositio 5.</ref> Die wahre christliche Hoffnung ist nämlich göttlich und endzeitlich; sie ist gegründet auf den Auferstandenen, der wiederkommen wird als Erlöser und Richter und der uns zur Auferstehung und zum ewigen Lohn ruft.

Jesus Christus lebt in der Kirche

22. Wenn die europäischen Völker zu Christus zurückkehren, werden sie jene Hoffnung wiederfinden können, die allein dem Leben Sinnfülle zu geben vermag. Auch heute können sie ihm begegnen, denn Jesus ist in seiner Kirche gegenwärtig, er lebt und wirkt in ihr: Er ist in der Kirche und die Kirche ist in ihm (vgl. Joh 15, 1ff.; Gal 3, 28; Eph 4, 15-16; Apg 9, 5). In ihr vollbringt er kraft der Gabe des Heiligen Geistes weiter unaufhörlich sein Heilswerk.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 7: AAS 78 (1986), 816; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus (6. August 2000), 16: AAS 92 (2000), 756-757.</ref> Mit den Augen des Glaubens können wir die geheimnisvolle Gegenwart Jesu in den verschiedenen Zeichen, die er uns hinterlassen hat, wahrnehmen. Er ist vor allem gegenwärtig in der Heiligen Schrift, die in allen Teilen von ihm spricht (vgl. Lk 24, 27.44-47). In wirklich einzigartiger Weise ist er jedoch unter den eucharistischen Gestalten gegenwärtig. Diese »Präsenz wird nicht ausschlussweise ,,real genannt, als ob die anderen nicht ,,real wären, sondern im eigentlichen Wortsinn, weil sie substantiell ist; in ihr wird nämlich der ganze Christus – Gott und Mensch – gegenwärtig«.<ref> Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), 762-763. Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 9: AAS 59 (1967), 547; Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1374.</ref> Tatsächlich ist in der Eucharistie »der Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus, mit seiner Seele und seiner Gottheit – und damit der ganze vollständige Christus – wahrhaft, wirklich und substanzhaft enthalten«.<ref> Konzil von Trent, Decr. De ss. Eucharistia, can. 1: DH, 1651; vgl. Kap. 3: DH, 1641.</ref> »Wahrhaftig ist die Eucharistie mysterium fidei, ein Geheimnis, das unser Denken übersteigt, und das nur im Glauben erfasst werden kann«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 15 : L'Osservatore Romano, 18. April 2003, S. 2.</ref> Ebenso wirklich ist die Gegenwart Jesu bei den anderen liturgischen Handlungen der Kirche, die sie in seinem Namen feiert. Dazu zählen die Sakramente – Handlungen Christi, die er unter Zuhilfenahme der Menschen vollbringt.<ref> Vgl. Augustinus, In Ioannis Evangelium, Tractatus VI, cap. I, n. 7: PL 35, 1428; Johannes Chrysostomos, Der Verrat des Judas, 1, 6: PG 49, 380C.</ref>

Jesus ist in der Welt auch auf andere Weise wahrhaft gegenwärtig, besonders in seinen Jüngern, die getreu dem zweifachen Auftrag der Liebe Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten (vgl. Joh 4, 24) und mit dem Leben die brüderliche Liebe bezeugen, die sie als Jünger des Herrn auszeichnet (vgl. Mt 25, 31-46; Joh 13, 35; 15, 1-17).<ref> Vgl.II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 7; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 50; Paul VI. Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), 762-763. Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 9: AAS 59 (1967), 547; Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1373-1374.</ref>

II. KAPITEL: DAS EVANGELIUM DER HOFFNUNG DER KIRCHE DES NEUEN JAHRTAUSENDS ANVERTRAUT

»Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag« (Offb 3, 2)

I. Der Herr ruft zur Umkehr

Jesus wendet sich heute an unsere Kirchen

23. »So spricht Er, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält und mitten unter den sieben goldenen Leuchtern einhergeht [...], der Erste und der Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde [...], der Sohn Gottes« (Offb 2, 1.8.18). Es ist Jesus selbst, der zu seiner Kirche spricht. Seine Botschaft ist an alle einzelnen Teilkirchen gerichtet und betrifft ihr inneres Leben, das manchmal gekennzeichnet ist durch das Vorhandensein von Auffassungen und Gesinnungen, die mit der Überlieferung des Evangeliums unvereinbar sind, oft von verschiedenen Formen der Verfolgung heimgesucht wird und – was noch gefährlicher ist – durch besorgniserregende Symptome der Verweltlichung, des Verlustes des ursprünglichen Glaubens und des Kompromisses mit dem Denken der Welt gefährdet ist. Nicht selten haben die Gemeinden nicht mehr die frühere Liebe (vgl. Offb 2, 4).

Es ist zu beobachten, wie sich unsere kirchlichen Gemeinschaften mit Schwächen, Mühseligkeiten und Widersprüchen herumschlagen. Auch sie haben es nötig, die Stimme des Bräutigams wiederzuhören, der sie zur Umkehr einlädt, sie anspornt, Neues zu wagen, und sie aufruft, sich für das große Werk der »Neuevangelisierung« einzusetzen. Die Kirche muss sich ständig dem Urteil des Wortes Christi unterordnen und ihre menschliche Dimension in einem Zustand der Läuterung leben, um immer mehr und immer besser die Braut ohne Flecken und Falten zu sein, gekleidet in strahlend reines Leinen (vgl. Eph 5, 27; Offb 19, 7-8). Auf diese Weise ruft Jesus Christus unsere Kirchen in Europa zur Umkehr, und mit ihrem Herrn und durch seine Gegenwart werden sie zu Boten der Hoffnung für die Menschheit.

Die Wirkung des Evangeliums im Lauf der Geschichte

24. Europa ist weitläufig und tiefgreifend vom Christentum durchdrungen worden. »In der Gesamtgeschichte Europas stellt das Christentum zweifellos ein zentrales und charakteristisches Element dar, gefestigt auf dem starken Fundament des klassischen Erbes und der vielfältigen Beiträge, die von den im Laufe der Jahrhunderte aufeinanderfolgenden unterschiedlichen ethnisch-kulturellen Strömungen eingebracht wurden. Der christliche Glaube hat die Kultur des Kontinents geformt und sich mit seiner Geschichte so unlösbar verflochten, dass diese gar nicht verständlich wäre, würde man nicht auf die Ereignisse verweisen, die zunächst die große Zeit der Evangelisierung und dann die langen Jahrhunderte geprägt haben, in denen sich das Christentum – wenn auch in der schmerzlichen Spaltung zwischen Ost und West – als die Religion der Europäer durchgesetzt hat. Auch in Neuzeit und Gegenwart, wo die religiöse Einheit sowohl infolge weiterer Spaltungen unter den Christen als auch wegen der Loslösungsprozesse der Kultur vom Horizont des Glaubens mehr und mehr zerbröckelt ist, kommt der Rolle des Glaubens immer noch eine wichtige Bedeutung zu«.<ref> Johannes Paul II., Motu proprio Spes aedificandi (1. Oktober 1999), 1: AAS 92 (2000), 220.</ref>

25. Das Interesse, das die Kirche für Europa hegt, erwächst aus ihrer eigenen Natur und Sendung. Jahrhunderte lang hatte die Kirche nämlich sehr enge Bindungen zu unserem Kontinent, so dass das geistige Antlitz Europas dank der Mühen großer Missionare, durch das Zeugnis der Heiligen und der Märtyrer und durch das beharrliche Wirken von Mönchen, Ordensleuten und Seelsorgern geformt worden ist. Aus der biblischen Auffassung vom Menschen hat Europa das Beste seiner humanistischen Kultur entnommen, Inspirationen für seine geistigen und künstlerischen Schöpfungen gewonnen, Rechtsnormen erarbeitet und nicht zuletzt die Würde der Person als Quelle unveräußerlicher Rechte gefördert.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache vor dem Polnischen Parlament in Warschau (11. Juni 1999), 6: Insegnamenti, XXII/1 (1999), 1276.</ref> Auf diese Weise hat die Kirche als Hüterin des Evangeliums zur Verbreitung und Konsolidierung jener Werte beigetragen, die die europäische Kultur zu einer Weltkultur gemacht haben.

All dessen eingedenk, verspürt die Kirche heute mit neuer Verantwortung die Dringlichkeit, dieses kostbare Erbe nicht zu vergeuden und Europa durch die Wiederbelebung der christlichen Wurzeln, in denen es seinen Ursprung hat, bei seinem Aufbau zu helfen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Abschiedszeremonie auf dem Flugplatz von Krakau (10. Juni 1997), 4: Insegnamenti XX/1 (1997), 1496-1497.</ref>

Ein wahres Gesicht der Kirche verwirklichen

26. Möge die gesamte Kirche in Europa spüren, dass das Gebot und die Einladung des Herrn: Gehe in dich, bekehre dich, »werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag!« (Offb 3, 2), an sie gerichtet ist. Diese Erfordernis ergibt sich auch aus der Betrachtung der heutigen Zeit: »Die ernste Situation der religiösen Gleichgültigkeit so vieler Europäer; die Anwesenheit so vieler Menschen auch auf unserem Kontinent, die Jesus Christus und seine Kirche noch nicht kennen und die noch nicht getauft sind; die Säkularisierung, die breite Schichten von Christen ansteckt, die so denken, entscheiden und leben, ,,als ob Christus nicht existierte: Das alles löscht unsere Hoffnung nicht aus, sondern macht sie demütiger und befähigt sie besser, allein auf Gott zu vertrauen. Von seinem Erbarmen empfangen wir die Gnade und die Bereitschaft zur Umkehr«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 4: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

27. Obwohl es, wie in der im Evangelium erzählten Episode vom Sturm auf dem See (vgl. Mk 4, 35-41; Lk 8, 22-25), manchmal den Anschein haben mag, dass Christus schlafe und sein Boot der Gewalt der Wellen preisgebe, ist die Kirche in Europa aufgerufen, die innere Gewissheit zu pflegen, dass der Herr durch die Gabe seines Geistes immer in ihr und in der Geschichte der Menschheit gegenwärtig und wirksam ist. Er setzt seine Sendung in die Zeit hinein fort, indem er die Kirche zu einem Strom neuen Lebens macht, der im Leben der Menschheit als Hoffnungszeichen für alle fließt.

In einem Kontext, in dem es auch auf pastoraler Ebene leicht zur Versuchung des Aktivismus kommen kann, sind die Christen in Europa aufgefordert, weiterhin durch ein Leben in inniger Gemeinschaft mit dem Auferstandenen eine wahre Transparenz seiner Gegenwart zu sein. Es muss Gemeinschaften geben, die in der Betrachtung und Nachahmung der Jungfrau Maria als Gestalt und Vorbild der Kirche im Glauben und in der Heiligkeit<ref> Vgl. Propositio 15, 1; Katechismus der Katholischen Kirche; Nr. 773; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988), 27: AAS 80 (1988), 1718.</ref> den Sinngehalt des liturgischen Lebens und der Spiritualität bewahren. Sie sollen vor allem den Herrn loben, zu ihm beten, ihn anbeten und sein Wort hören. Nur so können sie sein Geheimnis in sich aufnehmen, indem sie als Glieder seiner treuen Braut völlig auf ihn bezogen leben.

28. Angesichts der immer wiederkehrenden Anlässe zu Spaltung und Gegensätzen müssen die verschiedenen Teilkirchen in Europa, gestärkt auch durch ihre Bindung an den Nachfolger Petri, sich bemühen, wirklich Ort und Werkzeug der Gemeinschaft des ganzen Gottesvolkes im Glauben und in der Liebe zu sein.<ref> Vgl. Propositio 15, 1.</ref> Sie sollen daher ein Klima brüderlicher Hingabe pflegen, die mit der Radikalität des Evangeliums im Namen Jesu und in seiner Liebe gelebt wird, und so ein Zusammenspiel freundschaftlicher Beziehungen entwickeln in Kommunikation, Mitverantwortung, Anteilnahme, missionarischem Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Dienst. Gegenseitige Achtung und Annahme und die Bereitschaft zur Korrektur soll allem Verhalten zugrunde liegen (vgl. Röm 12, 10; 15, 7-14). Außerdem sollen sie einander dienen und unterstützen (vgl. Gal 5, 13; 6, 2), einander vergeben (vgl. Kol 3, 13) und sich gegenseitig aufrichten (vgl. 1 Thess 5, 11). Die Teilkirchen sollen sich um die Verwirklichung einer Pastoral bemühen, die unter fruchtbringender Berücksichtigung aller berechtigten Verschiedenheiten auch eine herzliche Zusammenarbeit zwischen allen Gläubigen und ihren Zusammenschlüssen fördert; die Mitwirkungs- Gremien sollen sie als wertvolle gemeinschaftsbildende Instrumente für eine einvernehmliche missionarische Tätigkeit wieder einführen und für entsprechend vorbereitete und qualifizierte pastorale Mitarbeiter sorgen. In dieser Weise werden die Kirchen – beseelt von der Gemeinschaft, die Ausdruck der Liebe Gottes sowie Fundament und Grund der Hoffnung ist, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5, 5) – selbst der strahlendste Widerschein der Dreifaltigkeit sein und ein Zeichen, das zum Glauben drängt und einlädt (vgl. Joh 17, 21).

29. Damit die Gemeinschaft in der Kirche vollkommener gelebt werden kann, gilt es, die Vielfalt der Charismen und Berufungen zur Geltung zu bringen, die immer mehr auf die Einheit zustreben und sie bereichern können (vgl. 1 Kor 12). Aus dieser Sicht ist es auch notwendig, dass die neuen Bewegungen und neuen kirchlichen Gemeinschaften, »indem sie jede Versuchung, Erstgeburtsrechte geltend zu machen, und jedes gegenseitige Unverständnis überwinden« , auf dem Weg einer glaubwürdigeren Gemeinschaft untereinander und mit den anderen kirchlichen Bereichen fortschreiten und »mit Liebe in vollem Gehorsam gegenüber den Bischöfen leben« . Andererseits ist es ebenso notwendig, dass die Bischöfe, »indem sie ihnen die den Hirten eigene Väterlichkeit und Liebe zeigen«,<ref> Vgl. Propositio 21.</ref> ihre Charismen und ihre Präsenz zum Aufbau der einen Kirche zu erkennen, auszuwerten und zu koordinieren wissen.

Dank einer wachsenden Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen kirchlichen Vereinigungen unter der liebevollen Leitung der Bischöfe wird in der Tat die ganze Kirche allen ein schöneres und glaubwürdigeres Gesicht bieten, ein klarerer Widerschein des Antlitzes des Herrn sein und so dazu beitragen können, wieder Hoffnung und Trost sowohl denen zu geben, die sie suchen, als auch denen, die sie zwar nicht suchen, sie aber doch nötig haben.

Um dem Aufruf des Evangeliums zur Umkehr nachkommen zu können, »ist es notwendig, dass wir alle zusammen demütig und mutig unser Gewissen erforschen, um unsere Ängste und Irrtümer zu erkennen und aufrichtig unsere Schwerfälligkeit, unsere Unterlassungen, unsere Untreue und Schuld zu bekennen«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 4: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref> Weit davon entfernt, entmutigende Verzichtshaltungen zu begünstigen, wird die Anerkennung der eigenen Schuld im Sinne des Evangeliums mit Sicherheit in der Gemeinde dieselbe Erfahrung hervorrufen, die auch der einzelne Getaufte macht: die Freude einer tiefgreifenden Befreiung und die Gnade eines Neuanfangs, die es ermöglicht, mit noch größerer Kraft den Weg der Evangelisierung fortzusetzen.

Voranschreiten in Richtung auf die Einheit der Christen

30. Das Evangelium der Hoffnung ist nicht zuletzt Kraft und Aufruf zur Umkehr auch im ökumenischen Bereich. Die Einheit der Christen entspricht dem Gebot des Herrn, »dass alle eins seien« (vgl. Joh 17, 11), und erweist sich heute als notwendig für eine größere Glaubwürdigkeit bei der Evangelisierung und als Beitrag zur Einheit Europas: Aus dieser Gewissheit heraus ist es notwendig, allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften »zu helfen und sie einzuladen, den ökumenischen Weg zu verstehen als ein ,,gemeinsames Zugehen auf Christus«<ref> Propositio 9.</ref> und auf die von ihm gewollte sichtbare Einheit, so dass die Einheit in der Verschiedenheit als Gabe des Heiligen Geistes, des Stifters von Gemeinschaft, in der Kirche erstrahlt.

Um das zu verwirklichen, braucht es von seiten aller einen geduldigen, stetigen Einsatz, der von echter Hoffnung und zugleich von einem nüchternen Realismus beseelt ist und der auf »die Hervorhebung dessen, was uns bereits eint, die aufrichtige gegenseitige Wertschätzung, die Beseitigung der Vorurteile, das wechselseitige Kennenlernen und die gegenseitige Liebe«<ref> Ebd.</ref> ausgerichtet ist. Auf dieser Linie muss das Bemühen um die Einheit, wenn es sich denn auf solide Grundlagen stützen will, unbedingt die leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit einschließen, und zwar durch einen Dialog und eine Gegenüberstellung, die, während sie die bisher erreichten Ergebnisse anerkennen, diese auszuwerten wissen als Ansporn für einen weiteren Weg in der Überwindung der Unstimmigkeiten, welche die Christenheit noch spalten.

31. Der Dialog muss mit Entschlossenheit weitergeführt werden, ohne vor Schwierigkeiten und Mühen zu kapitulieren: Er soll »unter verschiedenen (sowohl doktrinellen als auch spirituellen und praktischen) Gesichtspunkten« geführt werden, »indem man der Logik vom Austausch der Gaben, die der Geist in jeder Kirche hervorbringt, folgt und die Gemeinden und die einzelnen Gläubigen, vor allem die Jugend, dazu erzieht, Gelegenheiten der Begegnung wahrzunehmen und den richtig verstandenen Ökumenismus zu einer normalen Dimension des kirchlichen Lebens und Wirkens zu machen«.<ref> Ebd.</ref>

Dieser Dialog stellt eine der Hauptsorgen der Kirche dar, vor allem in diesem Europa, das im vergangenen Jahrtausend zu viele Spaltungen unter den Christen hat entstehen sehen und das sich heute auf dem Weg zu seiner größeren Einheit befindet. Wir können auf diesem Weg nicht stehenbleiben und wir können auch nicht mehr zurück! Wir müssen ihn fortsetzen und vertrauensvoll durchhalten, denn es ist unmöglich, dass die gegenseitige Wertschätzung, die Suche nach der Wahrheit, die Zusammenarbeit in der Liebe und vor allem der Ökumenismus der Heiligkeit mit Gottes Hilfe nicht auch ihre Früchte bringen.

32. Trotz der unvermeidlichen Schwierigkeiten lade ich alle ein, in Liebe und Brüderlichkeit den Beitrag anzuerkennen und zur Geltung zu bringen, den die katholischen Ostkirchen durch ihr Dasein selbst, durch den Reichtum ihrer Überlieferung, durch das Zeugnis ihrer »Einheit in der Verschiedenheit« , durch die von ihnen bei der Verkündigung des Evangeliums umgesetzte Inkulturation und durch die Vielfalt ihrer Riten für einen realeren Aufbau der Einheit leisten können.<ref> Vgl. Propositio 22.</ref> Gleichzeitig möchte ich die Bischöfe und die Brüder und Schwestern der orthodoxen Kirchen erneut dessen versichern, dass – unter Beibehaltung der Pflicht zur Achtung der Wahrheit, der Freiheit und der Würde jedes Menschen – die Neuevangelisierung in keiner Weise mit Proselytismus zu verwechseln ist.

II. Die ganze Kirche wird in die Mission entsandt

33. Dem Evangelium der Hoffnung durch eine evangelisierende Liebe zu dienen, ist verpflichtende Aufgabe und Verantwortung aller. Denn welches Charisma und Amt ein jeder auch haben mag, die Liebe ist der Hauptweg, der allen angezeigt ist und den alle gehen können: Die ganze kirchliche Gemeinschaft ist aufgerufen, diesen Weg auf den Spuren ihres Meisters zurückzulegen.

Die Aufgabe der Geistlichen

34. Die Priester sind kraft ihres Amtes berufen, das Evangelium der Hoffnung zu feiern, zu lehren und ihm auf eine besondere Weise zu dienen. Aufgrund des Weihesakramentes, das sie Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet, müssen die Bischöfe und die Priester ihr ganzes Leben und Tun Jesus angleichen. Durch die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente und die Leitung der christlichen Gemeinde vergegenwärtigen sie das Mysterium Christi und haben die Aufgabe, durch die Ausübung ihres Amtes »die Gegenwart Christi, des einen Hohenpriesters, dadurch fortzusetzen, dass sie seinen Lebensstil nachleben und inmitten der ihnen anvertrauten Herde gleichsam an sich selbst transparent werden lassen«.<ref> Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 15: AAS 84 (1992), 679-680.</ref>

Da sie ,,in der Welt, aber nicht ,,von der Welt sind (vgl. Joh 15-16), sind sie in der aktuellen kulturellen und geistigen Situation des europäischen Kontinents aufgerufen, Zeichen des Widerspruchs und der Hoffnung für eine Gesellschaft zu sein, die an einer einseitig horizontalen Sichtweise krankt und es nötig hat, sich dem Transzendenten zu öffnen.

35. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der priesterliche Zölibat Bedeutung, als Zeichen einer vollkommen auf den Herrn gesetzten Hoffnung. Er ist nicht eine von der Autorität auferlegte reine kirchliche Disziplin; im Gegenteil, er ist vor allem Gnade, unschätzbare Gabe Gottes an die Kirche, von prophetischem Wert für die heutige Welt, Quelle intensiven geistlichen Lebens und pastoraler Fruchtbarkeit, Zeugnis für das eschatologische Reich, Zeichen der Liebe Gottes für diese Welt sowie der ungeteilten Liebe des Priesters zu Gott und zu seinem Volk.<ref> Vgl. ebd., 29, a.a.O., 703-705; Propositio 18.</ref> Wenn der Zölibat als Antwort auf die Gabe Gottes und als Überwinden der Versuchungen einer hedonistischen Gesellschaft gelebt wird, fördert er nicht nur die menschliche Verwirklichung desjenigen, der dazu berufen ist, sondern erweist sich als ein Faktor der Reifung auch für die anderen.

Der Zölibat, der in der ganzen Kirche als die dem Priestertum angemessene Lebensform geschätzt ist,<ref> Vgl. Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 373.</ref> von der lateinischen Kirche verpflichtend vorgeschrieben wird<ref> Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 277, 1.</ref> und bei den Ostkirchen hochangesehen ist,<ref> Vgl. Paul VI., Enzyklika Sacerdotalis coelibatus (24. Juni 1967), 40: AAS 59 (1967), 673.</ref> erscheint im Kontext der jetzigen Kultur wie ein aussagekräftiges Zeichen, das als kostbares Gut für die Kirche bewahrt werden muss. Eine diesbezügliche Revision der derzeitigen Disziplin würde keine Lösung der in vielen Teilen Europas herrschenden Krise der Priesterberufungen herbeiführen.<ref> Vgl. Propositio 18.</ref> Eine Verpflichtung zum Dienst am Evangelium der Hoffnung verlangt auch, dass in der Kirche der Zölibat in seinem vollen biblischen, theologischen und spirituellen Reichtum vorgestellt werden muss.

36. Wir können nicht übersehen, dass heute die Ausübung des geistlichen Amtes auf nicht wenige Schwierigkeiten stößt, die sowohl durch die herrschende Kultur als auch durch die zahlenmässige Verringerung der Priester mit einer gesteigerten pastoralen Belastung und einer damit verbundenen Ermüdung bedingt sind. Daher verdienen die Priester, die mit bewundernswerter Hingabe und Treue den Dienst leben, der ihnen anvertraut worden ist, Hochschätzung, Dankbarkeit und Nähe.<ref> Vgl. ebd.</ref>

Ihnen möchte auch ich, indem ich die von den Synodenvätern geschriebenen Worte aufnehme, mit Vertrauen und Dankbarkeit meine Ermutigung aussprechen: »Verliert nicht den Mut und laßt euch nicht von Müdigkeit überwältigen; setzt eure kostbare und unverzichtbare Arbeit fort in voller Gemeinschaft mit uns Bischöfen, in freudiger brüderlicher Verbundenheit mit den anderen Priestern, in herzlicher Mitverantwortlichkeit mit denen, die ein gottgeweihtes Leben führen, und mit allen Laien!«.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 4: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Zusammen mit den Priestern möchte ich auch die Diakone erwähnen, die, wenn auch in anderem Grad, an demselben Weihesakrament teilhaben. Entsandt zum Dienst an der Kirchengemeinde, erfüllen sie unter der Leitung des Bischofs und gemeinsam mit seinem Presbyterium die ,,Diakonia der Liturgie, des Wortes und der Nächstenliebe.<ref> Vgl.II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 29.</ref> Auf diese ihnen eigene Weise stehen sie im Dienst am Evangelium der Hoffnung.

Das Zeugnis der Personen gottgeweihten Lebens

37. Von besonderer Aussagekraft ist das Zeugnis der Personen gottgeweihten Lebens. In diesem Zusammenhang muss vor allem die fundamentale Rolle anerkannt werden, die das Mönchtum und das gottgeweihte Leben bei der Evangelisierung Europas und beim Aufbau seiner christlichen Identität gespielt hat.<ref> Vgl. Propositio 19.</ref> Diese Rolle darf heute nicht vernachlässigt werden, in einer Zeit, in der eine »Neuevangelisierung« des Kontinents dringend notwendig ist und der Aufbau komplexerer Strukturen und Bindungen ihn an einen heiklen Wendepunkt stellen. Europa braucht immer die Heiligkeit, die Prophetie, die Evangelisierungstätigkeit und den Dienst der Ordensleute. Hervorgehoben werden muss auch der spezifische Beitrag, den die Säkularinstitute und die Gesellschaften apostolischen Lebens anbieten durch ihr Bestreben, die Welt durch die Kraft der Seligpreisungen von innen heraus umzugestalten.

38. Der spezifische Beitrag, den die Personen gottgeweihten Lebens für das Evangelium der Hoffnung leisten können, geht von einigen Aspekten aus, die das derzeitige kulturelle und gesellschaftliche Gesicht Europas kennzeichnen.<ref> Vgl. ebd.</ref> So soll die Frage nach neuen Formen der Spiritualität, die heute aus der Gesellschaft emporsteigt, eine Antwort finden in der Anerkennung des absoluten Vorranges Gottes, wie er von den gottgeweihten Personen durch die vollkommene Selbsthingabe und durch die ständige Umkehr einer als wahrer Gottesdienst dargebotenen Existenz gelebt wird. In einem vom Säkularismus verseuchten und dem Konsumismus unterjochten Umfeld wird das gottgeweihte Leben – Geschenk des Geistes an die Kirche und für die Kirche – zunehmend zum Zeichen der Hoffnung, und zwar in dem Maße, in dem es die transzendente Dimension des Daseins bezeugt. Auf der anderen Seite wird in der heutigen multikulturellen und multireligiösen Situation nach dem Zeugnis evangeliumsgemäßer Brüderlichkeit verlangt, die das gottgeweihte Leben kennzeichnet und es durch die Überwindung der Gegensätze zu einem Ansporn zur Läuterung und zur Einbeziehung unterschiedlicher Werte macht. Das Auftreten neuer Formen von Armut und Ausgrenzung muss bei der Sorge um die Bedürftigsten die Kreativität wecken, die so viele Gründer von Ordensinstituten ausgezeichnet hat. Schließlich verlangt der Trend des Sich-Zurückziehens auf sich selbst nach einem Gegenmittel: Es besteht in der Verfügbarkeit der gottgeweihten Personen, trotz der zahlenmäßigen Verringerung in manchen Instituten das Werk der Evangelisierung in anderen Kontinenten fortzusetzen.

Die Pflege der Berufungen

39. Angesichts der Tatsache, dass dem Einsatz der Priester und Ordensleute entscheidende Bedeutung zukommt, kann man den beunruhigenden Mangel an Seminaristen und Anwärtern auf das Ordensleben vor allem in Westeuropa nicht verschweigen. Diese Situation erfordert den Einsatz aller für eine angemessene Pastoral der Berufungen. Nur »wenn man den jungen Menschen die Person Jesu Christi in ihrer ganzen Fülle vorstellt, wird in ihnen eine Hoffnung entzündet, die sie dazu antreibt, alles zu verlassen und ihm zu folgen, um auf seinen Ruf zu antworten und vor ihren Altersgenossen von ihm Zeugnis zu geben«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, III, 3: L'Osservatore Romano, 11./12. Oktober 1999, S. 9.</ref> Die Pflege der Berufungen ist also eine für die Zukunft des christlichen Glaubens in Europa und, indirekt, für den geistigen Fortschritt der europäischen Völker lebenswichtige Frage; sie ist der einzig mögliche Weg für eine Kirche, die das Evangelium der Hoffnung verkünden, feiern und ihm dienen will.<ref> Vgl. Propositio 17.</ref>

40. Um eine notwendige Berufungspastoral zu entwickeln, ist es angebracht, den Gläubigen den Glauben der Kirche bezüglich Wesen und Würde des Amtspriestertums zu erklären, die Familien zu einem Leben als echte »Hauskirchen« zu ermutigen, damit in ihnen die verschiedenen Berufungen wahrgenommen, angenommen und begleitet werden können, und eine Pastoraltätigkeit zu entfalten, die vor allem den jungen Menschen hilft, Entscheidungen für ein Leben zu treffen, das in Christus verwurzelt und vollständig der Kirche gewidmet ist.<ref> Vgl. ebd.</ref>

In der Gewissheit, dass der Heilige Geist auch heute am Werk ist und dass es an Zeichen für diese Gegenwart nicht fehlt, geht es vor allem darum, die Berufungsverkündigung auf die Bahn der ordentlichen Pastoral zu bringen. Es ist deshalb notwendig, »vor allem in den jungen Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Gott anzufachen und auf diese Weise ein günstiges Umfeld zu schaffen für die Entstehung großherziger Antworten auf Berufungen« . Es ist dringlich, dass eine große Gebetsbewegung die Kirchengemeinden des europäischen Kontinents durchzieht, weil »die veränderten historischen und kulturellen Bedingungen es erfordern, dass die Berufungspastoral als eines der Hauptziele der ganzen christlichen Gemeinschaft angesehen wird«.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer am Kongress über das Thema »Neue Berufungen für ein neues Europa« (9. Mai 1997), 1-3: Insegnamenti XX/1 (1997), 917-918.</ref> Und es ist unerläßlich, dass die Priester selbst völlig kohärent zu ihrer wahren sakramentalen Identität leben und arbeiten. Wenn sie nämlich von sich selbst ein mattes und glanzloses Bild abgeben, wie könnten sie dann die jungen Menschen dazu bringen, sie nachzuahmen?

Die Sendung der Laien

41. Unverzichtbar ist der Beitrag der gläubigen Laien zum kirchlichen Leben: Ihr Platz in der Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung und ihr Dienst an ihm ist in der Tat unersetzlich, denn »durch sie wird die Kirche Christi in den verschiedensten Bereichen der Welt als Zeichen und Quelle der Hoffnung und der Liebe präsent«.<ref>Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 7: AAS 81 (1989), 404.</ref> Da sie an der Sendung der Kirche in der Welt vollkommen teilhaben, sind sie aufgerufen zu bezeugen, wie der christliche Glaube die einzige vollständige Antwort auf die Fragen darstellt, die das Leben jedem Menschen und jeder Gesellschaft stellt. Sie können die Werte des Reiches Gottes, die Verheißung und Gewähr einer Hoffnung sind, die nicht enttäuscht, in die Welt einbringen. Europa hat heute wie gestern bedeutsame Erscheinungen und leuchtende Beispiele solcher Laiengestalten vorzuweisen. Wie die Synodenväter betont haben, muss unter anderen jener Männer und Frauen mit Dankbarkeit gedacht werden, die Christus und sein Evangelium durch ihren Dienst am öffentlichen Leben und an den Verantwortlichkeiten, die es mit sich bringt, bezeugt haben. Es ist von grundlegender Bedeutung, »spezifische Berufungen zu wecken und zu fördern, die dem Gemeinwohl dienen: Menschen, die nach dem Beispiel und dem Stil der sogenannten ,,Väter Europas fähig sind, Baumeister der europäischen Gesellschaft von morgen zu sein, und sie auf die soliden Fundamente des Geistes gründen«.<ref>Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 82: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 16.</ref>

Die gleiche Wertschätzung gilt der Arbeit, die von christlichen Laien, Männern und Frauen, oft in der Verborgenheit des gewöhnlichen Lebens durch demütige Dienste geleistet wird, die geeignet sind, den in Armut Lebenden die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden. Wir müssen ihnen dankbar sein für ihr kühnes Zeugnis der Liebe und Vergebung: Werte, welche die weiten Bereiche der Politik, der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der Wirtschaft, der Kultur, der Ökologie, des internationalen Lebens, der Familie, der Erziehung, der Berufswelt, der Arbeit und des Leidens evangelisieren.<ref>Vgl. Propositio 29.</ref> Dazu dienen Ausbildungsgänge, die gläubige Laien befähigen, ihren Glauben an den weltlichen Gegebenheiten tauglich zu machen. Solche Kurse, die sich auf eine ernsthafte praktische Ausbildung im kirchlichen Leben, besonders auf das Studium der Soziallehre, stützen, müssen imstande sein, ihnen nicht nur Lehre und Anregungen zu liefern, sondern auch entsprechende spirituelle Leitlinien, die den gelebten Einsatz als authentischen Weg der Heiligkeit beseelen.

Die Rolle der Frau

42. Die Kirche ist sich des spezifischen Beitrags der Frau im Dienst am Evangelium der Hoffnung bewusst. Die Geschichte der christlichen Gemeinschaft belegt, wie die Frauen in der Bezeugung des Evangeliums immer einen bedeutenden Platz gehabt haben. Es muss daran erinnert werden, wieviel sie oft stillschweigend und im Verborgenen mit dem Empfang und der Übermittlung der Gabe Gottes geleistet haben, sei es durch die leibliche und geistige Mutterschaft, die Erziehungsarbeit, die Katechese, die Verwirklichung großer Werke der Nächstenliebe, sei es durch ein Leben des Gebetes und der Kontemplation sowie durch mystische Erfahrungen und durch die Abfassung von Schriften, die reich sind an evangelischer Weisheit.<ref> Vgl. Propositio 30.</ref>

Im Licht der überreichen Zeugnisse aus der Vergangenheit drückt die Kirche ihre Zuversicht im Hinblick auf all das aus, was die Frauen heute auf allen Ebenen für das Wachsen der Hoffnung tun können. Es gibt Aspekte der heutigen europäischen Gesellschaft, die eine Herausforderung sind für die Fähigkeit der Frauen zu liebevollem, beharrlichem und unbedingtem Annehmen, Teilen und Gestalten. Man denke zum Beispiel an die verbreitete wissenschaftlich-technische Geisteshaltung, welche die emotionale Dimension und die Funktion der Gefühle in den Schatten stellt, an den Mangel an Großherzigkeit, an die verbreitete Furcht davor, neuen Geschöpfen das Leben zu schenken und an die Schwierigkeit, sich mit dem anderen auf Gegenseitigkeit zu stellen und jemanden anzunehmen, der von einem selbst verschieden ist. In diesem Zusammenhang erwartet sich die Kirche von den Frauen den belebenden Beitrag einer neuen Welle der Hoffnung.

43. Damit das verwirklicht werden kann, ist es jedoch notwendig, dass vor allem in der Kirche die Würde der Frau gefördert wird, da die Würde von Frau und Mann identisch ist, beide nach Gottes Abbild und Gleichnis geschaffen (vgl. Gen 1, 27) und reichlich mit je eigenen, spezifischen Gaben ausgestattet sind.

Um die volle Teilnahme der Frau am Leben und an der Sendung der Kirche zu fördern, ist zu wünschen – wie bei der Synode unterstrichen wurde –, dass ihre Gaben auch durch die Übernahme der kirchlichen Funktionen, die nach dem Recht den Laien vorbehalten sind, stärker zur Geltung gebracht werden. Entsprechend aufgewertet werden muss auch die Sendung der Frau als Gattin und Mutter und ihre Hingabe an das Familienleben.<ref> Vgl. ebd.</ref> Die Kirche versäumt nicht, ihre Stimme zu erheben und die gegen die Frauen verübten Ungerechtigkeiten und Gewalttätigkeiten anzuklagen, wo und unter welchen Umständen auch immer sie geschehen. Sie fordert, dass die Gesetze zum Schutz der Frau tatsächlich zur Anwendung kommen und dass gegen die erniedrigende Verwendung von Frauendarstellungen in der kommerziellen Werbung und gegen die Geißel der Prostitution wirksame Maßnahmen ergriffen werden; sie wünscht, dass der von der Mutter, ebenso wie der vom Vater im häuslichen Leben geleistete Dienst auch in Form einer finanziellen Anerkennung als Beitrag zum Gemeinwohl angesehen wird.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />