Evangelii gaudium (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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'''13.''' Wir dürfen die Neuheit dieses Auftrags auch nicht wie eine Entwurzelung verstehen, wie ein Vergessen der lebendigen Geschichte, die uns aufnimmt und uns vorantreibt. Das Gedächtnis ist eine Dimension unseres Glaubens, die wir „deuteronomisch“ nennen könnten, in Analogie zum Gedächtnis Israels. Jesus hinterlässt uns die Eucharistie als tägliches Gedächtnis der Kirche, das uns immer mehr in das Paschageheimnis einführt (vgl. Lk 22,19). Die Freude der Verkündigung erstrahlt immer auf dem Hintergrund der dankbaren Erinnerung: Es ist eine Gnade, die wir erbitten müssen. Die Apostel haben nie den Moment vergessen, in dem Jesus ihr Herz anrührte: » Es war um die zehnte Stunde « (Joh 1,39). Gemeinsam mit Jesus vergegenwärtigt uns das Gedächtnis eine wahre » Wolke von Zeugen « (Hebr 12,1). Unter ihnen heben sich einige Personen hervor, die besonders prägend dazu beigetragen haben, dass unsere Glaubensfreude aufkeimte: » Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben « (Hebr 13,7). Manchmal handelt es sich um einfache Menschen in unserer Nähe, die uns in das Glaubensleben eingeführt haben: » Ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war « (2 Tim 1,5). Der Gläubige ist grundsätzlich ein „Erinnerungsmensch“.
 
'''13.''' Wir dürfen die Neuheit dieses Auftrags auch nicht wie eine Entwurzelung verstehen, wie ein Vergessen der lebendigen Geschichte, die uns aufnimmt und uns vorantreibt. Das Gedächtnis ist eine Dimension unseres Glaubens, die wir „deuteronomisch“ nennen könnten, in Analogie zum Gedächtnis Israels. Jesus hinterlässt uns die Eucharistie als tägliches Gedächtnis der Kirche, das uns immer mehr in das Paschageheimnis einführt (vgl. Lk 22,19). Die Freude der Verkündigung erstrahlt immer auf dem Hintergrund der dankbaren Erinnerung: Es ist eine Gnade, die wir erbitten müssen. Die Apostel haben nie den Moment vergessen, in dem Jesus ihr Herz anrührte: » Es war um die zehnte Stunde « (Joh 1,39). Gemeinsam mit Jesus vergegenwärtigt uns das Gedächtnis eine wahre » Wolke von Zeugen « (Hebr 12,1). Unter ihnen heben sich einige Personen hervor, die besonders prägend dazu beigetragen haben, dass unsere Glaubensfreude aufkeimte: » Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben « (Hebr 13,7). Manchmal handelt es sich um einfache Menschen in unserer Nähe, die uns in das Glaubensleben eingeführt haben: » Ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war « (2 Tim 1,5). Der Gläubige ist grundsätzlich ein „Erinnerungsmensch“.
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===III. DIE NEUE EVANGELISIERUNG FÜR DIE WEITERGABE DES GLAUBENS===
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'''14.''' Im Hören auf den Geist, der uns hilft, gemeinschaftlich die Zeichen der Zeit zu erkennen, wurde vom 7. bis zum 28. Oktober 2012 die XIII. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode unter dem Thema Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens abgehalten. Dort wurde daran erinnert, dass die neue Evangelisierung alle aufruft und dass sie sich grundsätzlich in drei Bereichen abspielt.<ref>Vgl. Propositio 7. 11</ref> An erster Stelle erwähnen wir den Bereich der gewöhnlichen Seelsorge, » die mehr vom Feuer des Heiligen Geistes belebt sein muss, um die Herzen der Gläubigen zu entzünden, die sich regelmäßig in der Gemeinde zusammenfinden und sich am Tag des Herrn versammeln, um sich vom Wort Gottes und vom Brot ewigen Lebens zu ernähren «.<ref>[[Papst]] [[Benedikt XVI.]], Homilie während der Eucharistiefeier zum Abschluss der XIII. Ordentlichen Vollversammlung der [[Bischofssynode]] (28. Oktober 2012): [[AAS]] 104 (2012), 890.</ref> In diesen Bereich sind ebenso die Gläubigen einzubeziehen, die einen festen und ehrlichen katholischen Glauben bewahren und ihn auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen, auch wenn sie nicht häufig am Gottesdienst teilnehmen. Diese Seelsorge ist auf das Wachstum der Gläubigen ausgerichtet, damit sie immer besser und mit ihrem ganzen Leben auf die Liebe Gottes antworten.
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An zweiter Stelle erwähnen wir den Bereich der » Getauften, die jedoch in ihrer Lebensweise den Ansprüchen der Taufe nicht gerecht werden «,<ref>Ebd. </ref> keine innere Zugehörigkeit zur Kirche haben und nicht mehr die Tröstung des Glaubens erfahren. Als stets aufmerksame Mutter setzt sich die Kirche dafür ein, dass sie eine Umkehr erleben, die ihnen die Freude am Glauben und den Wunsch, sich mit dem Evangelium zu beschäftigen, zurückgibt.
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Schließlich unterstreichen wir, dass die Evangelisierung wesentlich verbunden ist mit der Verkündigung des Evangeliums an diejenigen, die Jesus Christus nicht kennen oder ihn immer abgelehnt haben. Viele von ihnen suchen Gott insgeheim, bewegt von der Sehnsucht nach seinem Angesicht, auch in Ländern alter christlicher Tradition. Alle haben das Recht, das Evangelium zu empfangen. Die Christen haben die Pflicht, es ausnahmslos allen zu verkünden, nicht wie jemand, der eine neue Verpflichtung auferlegt, sondern wie jemand, der eine Freude teilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet. Die Kirche wächst nicht durch Prosyletismus, sondern » durch Anziehung «.<ref>[[Papst]] [[Benedikt XVI.]], Homilie während der Eucharistiefeier zur Eröffnung der V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik im Heiligtum „La Aparecida“ (13. Mai 2007): [[AAS]] 99  (2007), 437.</ref>
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'''15.''' Johannes Paul II. hat uns ans Herz gelegt anzuerkennen, dass » die Kraft nicht verloren gehen (darf) für die Verkündigung « an jene, die fern sind von Christus, denn dies ist » die erste Aufgabe der Kirche «.<ref>[[Enzyklika]] [[Redemptoris missio]] (7. Dezember 1990), 34: [[AAS]] 83 (1991), 280.</ref> » Die Missionstätigkeit stellt auch heute noch die größte Herausforderung für die Kirche dar «<ref>Ebd., 40: [[AAS]] 83 (1991), 287. </ref>, und so » muss das missionarische Anliegen das erste sein «.<ref>Ebd., 86: [[AAS]] 83 (1991), 333.</ref> Was würde geschehen, wenn wir diese Worte wirklich ernst nehmen würden? Wir würden einfach erkennen, dass das missionarische Handeln das Paradigma für alles Wirken der Kirche ist. Auf dieser Linie haben die lateinamerikanischen Bischöfe bekräftigt: » Wir können nicht passiv abwartend in unseren Kirchenräumen sitzen bleiben «,<ref>V. GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHÖFE VON LATEINAMERIKA UND DER KARIBIK, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 548. </ref> und die Notwendigkeit betont, » von einer rein bewahrenden Pastoral zu einer entschieden missionarischen Pastoral überzugehen «.<ref>Ebd., 370.</ref> Diese Aufgabe ist weiterhin die Quelle der größten Freuden für die Kirche: » Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren « (Lk 15,7).
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====ANLIEGEN UND GRENZEN DIESES SCHREIBENS====
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'''16.''' Ich habe die Einladung der Synodenväter, dieses Schreiben zu verfassen, gerne angenommen.<ref>Vgl. Propositio 1.</ref> Indem ich es tue, ernte ich den Reichtum der Arbeiten der Synode. Ich habe auch verschiedene Personen zu Rate gezogen, und ich beabsichtige außerdem, die Besorgnisse zum Ausdruck zu bringen, die mich in diesem konkreten Moment des Evangelisierungswerkes der Kirche bewegen. Zahllos sind die mit der Evangelisierung in der Welt von heute verbundenen Themen, die man hier entwickeln könnte. Doch ich habe darauf verzichtet, diese vielfältigen Fragen ausführlich zu behandeln; sie müssen Gegenstand des Studiums und der sorgsamen Vertiefung sein. Ich glaube auch nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen. Es ist nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen „Dezentralisierung“ voranzuschreiten.
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'''17.''' Hier habe ich die Wahl getroffen, einige Linien vorzuschlagen, die in der gesamten Kirche einer neuen Etappe der Evangelisierung voller Eifer und Dynamik Mut und Orientierung verleihen können. In diesem Rahmen und auf der Basis der Lehre der dogmatischen Konstitution Lumen gentium habe ich mich entschieden, unter den anderen Themen die folgenden Fragen ausführlich zu behandeln:
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a) Die Reform der Kirche im missionarischen Aufbruch
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b) Die Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen
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c) Die Kirche, verstanden als die Gesamtheit des evangelisierenden Gottesvolkes
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d) Die Predigt und ihre Vorbereitung
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e) Die soziale Eingliederung der Armen
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f) Der Friede und der soziale Dialog
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g) Die geistlichen Beweggründe für den missionarischen Einsatz
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'''18.''' Ich habe diese Themen in einer Ausführlichkeit behandelt, die vielleicht übertrieben erscheinen mag. Aber ich habe es nicht in der Absicht getan, eine Abhandlung vorzulegen, sondern nur, um die bedeutende praktische Auswirkung dieser Argumente in der gegenwärtigen Aufgabe der Kirche zu zeigen. Sie alle helfen nämlich, einen bestimmten Stil der Evangelisierung zu umreißen, und ich lade ein, diesen in allem, was getan wird, zu übernehmen. Und so können wir auf diese Weise inmitten unserer täglichen Arbeit der Aufforderung des Wortes Gottes nachkommen: » Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! « (Phil 4,4).
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==ERSTES KAPITEL: DIE MISSIONARISCHE UMGESTALTUNG DER KIRCHE==
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'''19.''' Die Evangelisierung folgt dem Missionsauftrag Jesu: » Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe « (Mt 28,19-20). In diesen Versen ist der Moment dargestellt, in dem der Auferstandene die Seinen aussendet, das Evangelium zu jeder Zeit und an allen Orten zu verkünden, so dass der Glaube an ihn sich bis an alle Enden der Erde ausbreite.
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===I. EINE KIRCHE „IM AUFBRUCH“===
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'''20.''' Im Wort Gottes erscheint ständig diese Dynamik des „Aufbruchs“, die Gott in den Gläubigen auslösen will. Abraham folgte dem Aufruf, zu einem neuen Land aufzubrechen (vgl. Gen 12,1-3). Mose gehorchte dem Ruf Gottes: » Geh! Ich sende dich « (Ex 3,10), und führte das Volk hinaus, dem verheißenen Land entgegen (vgl. Ex 3,17). Zu Jeremia sagte Gott: » Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen « (Jer 1,7). Heute sind in diesem „Geht“ Jesu die immer neuen Situationen und Herausforderungen des Evangelisierungsauftrags der Kirche gegenwärtig, und wir alle sind zu diesem neuen missionarischen „Aufbruch“ berufen. Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen.
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'''21.''' Die Freude aus dem Evangelium, die das Leben der Gemeinschaft der Jünger erfüllt, ist eine missionarische Freude. Die zweiundsiebzig Jünger, die voll Freude von ihrer Sendung zurückkehren, erfahren sie (vgl. Lk 10,17). Jesus erlebt sie, als er im Heiligen Geist vor Freude jubelt und den Vater preist, weil seine Offenbarung die Armen und die Kleinsten erreicht (vgl. Lk 10,21). Voll Verwunderung spüren sie die Ersten, die sich bekehren, als am Pfingsttag, in der Predigt der Apostel, » jeder sie in seiner Sprache reden « hört (Apg 2,6). Diese Freude ist ein Zeichen, dass das Evangelium verkündet wurde und bereits Frucht bringt. Aber sie hat immer die Dynamik des Aufbruchs und der Gabe, des Herausgehens aus sich selbst, des Unterwegsseins und des immer neuen und immer weiteren Aussäens. Der Herr sagt: » Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen! « (Mk 1,38). Wenn der Same an einem Ort ausgesät ist, hält Jesus sich dort nicht mehr auf, um etwas besser zu erklären oder um weitere Zeichen zu wirken, sondern der Geist führt ihn, zu anderen Dörfern aufzubrechen.
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'''22.''' Das Wort Gottes trägt in sich Anlagen, die wir nicht voraussehen können. Das Evangelium spricht von einem Samen, der, wenn er einmal ausgesät ist, von sich aus wächst, auch wenn der Bauer schläft (vgl. Mk 4,26-29). Die Kirche muss diese unfassbare Freiheit des Wortes akzeptieren, das auf seine Weise und in sehr verschiedenen Formen wirksam ist, die gewöhnlich unsere Prognosen übertreffen und unsere Schablonen sprengen.
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'''23.''' Die innige Verbundenheit der Kirche mit Jesus ist eine Verbundenheit auf dem Weg, und die Gemeinschaft » stellt sich wesentlich als missionarische Communio dar «.<ref>[[Papst]] [[Johannes Paul II.]], Nachsynodales [[Apostolisches Schreiben]] [[Christifideles laici]] (30. Dezember 1988), 32: [[AAS]] 81 (1989), 451.</ref> In der Treue zum Vorbild des Meisters ist es lebenswichtig, dass die Kirche heute hinausgeht, um allen an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden. Die Freude aus dem Evangelium ist für das ganze Volk, sie darf niemanden ausschließen. So verkündet es der Engel den Hirten von Bethlehem: » Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll « (Lk 2,10). Die Offenbarung des Johannes spricht davon, dass » den Bewohnern der Erde ein ewiges Evangelium zu verkünden (ist), allen Nationen, Stämmen, Sprachen und Völkern « (Offb 14,6).
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====DIE INITIATIVE ERGREIFEN, SICH EINBRINGEN, BEGLEITEN, FRUCHT BRINGEN UND FEIERN====
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'''24.''' Die Kirche „im Aufbruch“ ist die Gemeinschaft der missionarischen Jünger, die die Initiative ergreifen, die sich einbringen, die begleiten, die Frucht bringen und feiern. „Primerear – die Initiative ergreifen“: Entschuldigt diesen Neologismus! Die evangelisierende Gemeinde spürt, dass der Herr die Initiative ergriffen hat, ihr in der Liebe zuvorgekommen ist (vgl. 1 Joh 4,10), und deshalb weiß sie voranzugehen, versteht sie, furchtlos die Initiative zu ergreifen, auf die anderen zuzugehen, die Fernen zu suchen und zu den Wegkreuzungen zu gelangen, um die Ausgeschlossenen einzuladen. Sie empfindet einen unerschöpflichen Wunsch, Barmherzigkeit anzubieten – eine Frucht der eigenen Erfahrung der unendlichen Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und ihrer Tragweite. Wagen wir ein wenig mehr, die Initiative zu ergreifen! Als Folge weiß die Kirche sich „einzubringen“. Jesus hat seinen Jüngern die Füße gewaschen. Der Herr bringt sich ein und bezieht die Seinen ein, indem er vor den anderen niederkniet, um sie zu waschen. Aber dann sagt er zu den Jüngern: » Selig seid ihr, wenn ihr das wisst und danach handelt « (Joh 13,17). Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den „Geruch der Schafe“, und diese hören auf ihre Stimme. Die evangelisierende Gemeinde stellt sich also darauf ein, zu „begleiten“. Sie begleitet die Menschheit in all ihren Vorgängen, so hart und langwierig sie auch sein mögen. Sie kennt das lange Warten und die apostolische Ausdauer. Die Evangelisierung hat viel Geduld und vermeidet, die Grenzen nicht zu berücksichtigen. In der Treue zur Gabe des Herrn weiß sie auch „Frucht zu bringen“. Die evangelisierende Gemeinde achtet immer auf die Früchte, denn der Herr will, dass sie fruchtbar ist. Sie nimmt sich des Weizens an und verliert aufgrund des Unkrauts nicht ihren Frieden. Wenn der Sämann inmitten des Weizens das Unkraut aufkeimen sieht, reagiert er nicht mit Gejammer und Panik. Er findet den Weg, um dafür zu sorgen, dass das Wort Gottes in einer konkreten Situation Gestalt annimmt und Früchte neuen Lebens trägt, auch wenn diese scheinbar unvollkommen und unvollendet sind. Der Jünger weiß sein ganzes Leben hinzugeben und es als Zeugnis für Jesus Christus aufs Spiel zu setzen bis hin zum Martyrium, doch sein Traum ist nicht, Feinde gegen sich anzusammeln, sondern vielmehr, dass das Wort Gottes aufgenommen werde und seine befreiende und erneuernde Kraft offenbare. Und schließlich versteht die fröhliche evangelisierende Gemeinde immer zu „feiern“. Jeden kleinen Sieg, jeden Schritt vorwärts in der Evangelisierung preist und feiert sie. Die freudige Evangelisierung wird zur Schönheit in der Liturgie inmitten der täglichen Anforderung, das Gute zu fördern. Die Kirche evangelisiert und evangelisiert sich selber mit der Schönheit der Liturgie, die auch Feier der missionarischen Tätigkeit und Quelle eines erneuerten Impulses zur Selbsthingabe ist.
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===II. SEELSORGE IN NEUAUSRICHTUNG===
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'''25.''' Ich weiß sehr wohl, dass heute die Dokumente nicht dasselbe Interesse wecken wie zu anderen Zeiten und schnell vergessen werden. Trotzdem betone ich, dass das, was ich hier zu sagen beabsichtige, eine programmatische Bedeutung hat und wichtige Konsequenzen beinhaltet. Ich hoffe, dass alle Gemeinschaften dafür sorgen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind. Jetzt dient uns nicht eine » reine Verwaltungsarbeit «.<ref>V. GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHÖFE VON LATEINAMERIKA UND DER 22 KARIBIK, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 201.</ref> Versetzen wir uns in allen Regionen der Erde in einen » Zustand permanenter Mission «.<ref>Ebd., 551.</ref>
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'''26.''' Paul VI. forderte, den Aufruf zur Erneuerung auszuweiten, um mit Nachdruck zu sagen, dass er sich nicht nur an Einzelpersonen wandte, sondern an die gesamte Kirche. Wir erinnern an diesen denkwürdigen Text, der seine interpellierende Kraft nicht verloren hat: » Die Kirche muss das Bewusstsein um sich selbst vertiefen und über das ihr eigene Geheimnis nachsinnen (…) Aus diesem erleuchteten und wirkenden Bewusstsein erwächst ein spontanes Verlangen, das Idealbild der Kirche wie Christus sie sah, wollte und liebte, als seine heilige und makellose Braut (vgl. Eph 5,27), mit dem wirklichen Gesicht, das die Kirche heute zeigt, zu vergleichen (…) Es erwächst deshalb ein großherziges und fast ungeduldiges Bedürfnis nach Erneuerung, das heißt nach Berichtigung der Fehler, die dieses Bewusstsein aufzeigt und verwirft, gleichsam wie eine innere Prüfung vor dem Spiegel des Vorbildes, das Christus uns von sich hinterlassen hat. «<ref>[[Papst]] [[Paul VI.]], [[Enzyklika]] [[Ecclesiam suam]] (6. August 1964), 3: [[AAS]] 56 (1964), 611–612.</ref>
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Das Zweite Vatikanische Konzil hat die kirchliche Neuausrichtung dargestellt als die Öffnung für eine ständige Reform ihrer selbst aus Treue zu Jesus Christus: » Jede Erneuerung der Kirche besteht wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung (…) Die Kirche wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, deren sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist. «<ref>[[Zweites Vatikanisches Konzil]], [[Dekret]] [[Unitatis redintegratio]] über den [[Ökumenismus]], 6.</ref> Es gibt kirchliche Strukturen, die eine Dynamik der Evangelisierung beeinträchtigen können; gleicherweise können die guten Strukturen nützlich sein, wenn ein Leben da ist, das sie beseelt, sie unterstützt und sie beurteilt. Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium inspirierten Geist, ohne „Treue der Kirche gegenüber ihrer eigenen Berufung“ wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben.
  
 
[Fortsetzung folgt]
 
[Fortsetzung folgt]

Version vom 29. April 2014, 07:24 Uhr

Apostolisches Schreiben
Evangelii gaudium

unseres Heiligen Vaters
Franziskus
an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen geweihten Lebens und die christgläubigen Laien
über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute
24. November 2013

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite,
Die Anmerkungen sind aus: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 194)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Die Freude des Evangeliums

1. Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude. In diesem Schreiben möchte ich mich an die Christgläubigen wenden, um sie zu einer neuen Etappe der Evangelisierung einzuladen, die von dieser Freude geprägt ist, und um Wege für den Lauf der Kirche in den kommenden Jahren aufzuzeigen.

I. FREUDE, DIE SICH ERNEUERT UND SICH MITTEILT

2. Die große Gefahr der Welt von heute mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht, aus der krankhaften Suche nach oberflächlichen Vergnügungen, aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. Wenn das innere Leben sich in den eigenen Interessen verschließt, gibt es keinen Raum mehr für die anderen, finden die Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes, genießt man nicht mehr die innige Freude über seine Liebe, regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun. Auch die Gläubigen laufen nachweislich und fortwährend diese Gefahr. Viele erliegen ihr und werden zu gereizten, unzufriedenen, empfindungslosen Menschen. Das ist nicht die Wahl eines würdigen und erfüllten Lebens, das ist nicht Gottes Wille für uns, das ist nicht das Leben im Geist, das aus dem Herzen des auferstandenen Christus hervorsprudelt.

3. Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, weshalb jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm, denn » niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt «.<ref>Paul VI., Apostolisches Schreiben Gaudete in domino (9. Mai 1975), 22: AAS 67 (1975), 297.</ref> Wer etwas wagt, den enttäuscht der Herr nicht, und wenn jemand einen kleinen Schritt auf Jesus zu macht, entdeckt er, dass dieser bereits mit offenen Armen auf sein Kommen wartete. Das ist der Augenblick, um zu Jesus Christus zu sagen: „Herr, ich habe mich täuschen lassen, auf tausenderlei Weise bin ich vor deiner Liebe geflohen, doch hier bin ich wieder, um meinen Bund mit dir zu erneuern. Ich brauche dich. Kaufe mich wieder frei, nimm mich noch einmal auf in deine erlösenden Arme.“ Es tut uns so gut, zu ihm zurückzukehren, wenn wir uns verloren haben! Ich beharre noch einmal darauf: Gott wird niemals müde zu verzeihen; wir sind es, die müde werden, um sein Erbarmen zu bitten. Der uns aufgefordert hat, » siebenundsiebzigmal « zu vergeben (Mt 18,22), ist uns ein Vorbild: Er vergibt siebenundsiebzigmal. Ein ums andere Mal lädt er uns wieder auf seine Schultern. Niemand kann uns die Würde nehmen, die diese unendliche und unerschütterliche Liebe uns verleiht. Mit einem Feingefühl, das uns niemals enttäuscht und uns immer die Freude zurückgeben kann, erlaubt er uns, das Haupt zu erheben und neu zu beginnen. Fliehen wir nicht vor der Auferstehung Jesu, geben wir uns niemals geschlagen, was auch immer geschehen mag. Nichts soll stärker sein als sein Leben, das uns vorantreibt!

4. Die Bücher des Alten Testaments hatten die Freude des Heils angekündigt, die es dann in den messianischen Zeiten im Überfluss geben sollte. Der Prophet Jesaja wendet sich an den erwarteten Messias und begrüßt ihn voll Freude: » Du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude. Man freut sich in deiner Nähe… « (9,2). Und er ermuntert die Bewohner von Zion, ihn mit Gesängen zu empfangen: » Jauchzt und jubelt! « (12,6). Den, der ihn schon am Horizont gesehen hat, lädt der Prophet ein, zu einem Boten für die anderen zu werden: » Steig auf einen hohen Berg, Zion, du Botin der Freude! Erheb deine Stimme mit Macht, Jerusalem, du Botin der Freude! « (40,9). Die ganze Schöpfung nimmt an dieser Freude des Heils teil: » Jubelt, ihr Himmel, jauchze, o Erde, freut euch, ihr Berge! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und sich seiner Armen erbarmt « (49,13).

Sacharja sieht den Tag des Herrn und fordert dazu auf, den König hochleben zu lassen, der » demütig « kommt und » auf einem Esel reitet «: » Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft « (9,9).

Aber die am stärksten mitreißende Aufforderung ist wohl die des Propheten Zefanja, der uns Gott selbst wie einen leuchtenden Mittelpunkt des Festes und der Fröhlichkeit vor Augen führt, der seinem Volk diese heilbringende Freude vermittelt. Es ergreift mich, wenn ich diesen Text wieder lese: » Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich, er erneuert seine Liebe zu dir, er jubelt über dich und frohlockt « (3,17). Es ist die Freude, die man in den kleinen Dingen des Alltags erlebt, als Antwort auf die liebevolle Einladung Gottes, unseres Vaters: » Mein Sohn, wenn du imstande bist, pflege dich selbst (…) Versag dir nicht das Glück des heutigen Tages « (Sir 14,11.14). Wie viel zärtliche Vaterliebe ist in diesen Worten zu spüren!

5. Das Evangelium, in dem das Kreuz Christi „glorreich“ erstrahlt, lädt mit Nachdruck zur Freude ein. Nur einige Beispiele: » Chaire – freue dich « ist der Gruß des Engels an Maria (Lk 1,28). Der Besuch Marias bei Elisabet lässt Johannes im Mutterschoß vor Freude hüpfen (vgl. Lk 1,41). In ihrem Lobgesang bekundet Maria: » Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter « (Lk 1,47). Als Jesus sein öffentliches Wirken beginnt, ruft Johannes aus: » Nun ist diese meine Freude vollkommen « (Joh 3,29). Jesus selber » rief (…) vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus… « (Lk 10,21). Seine Botschaft ist Quelle der Freude: » Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird « (Joh 15,11). Unsere christliche Freude entspringt der Quelle seines überfließenden Herzens. Er verheißt seinen Jüngern: » Ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln « (Joh 16,20), und beharrt darauf: » Ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude « (Joh 16,22). Als sie ihn später als Auferstandenen sahen, » freuten « sie sich (Joh 20,20). Die Apostelgeschichte erzählt von der ersten Gemeinde: Sie »hielten miteinander Mahl in Freude « (2,46). Wo die Jünger vorbeikamen, » herrschte große Freude « (8,8), und sie selber waren mitten in der Verfolgung » voll Freude « (13,52). Ein äthiopischer Hofbeamter zog, nachdem er die Taufe empfangen hatte, » voll Freude « weiter (8,39), und der Gefängniswärter » war mit seinem ganzen Haus voll Freude, weil er zum Glauben an Gott gekommen war « (16,34). Warum wollen nicht auch wir in diesen Strom der Freude eintreten?

6. Es gibt Christen, deren Lebensart wie eine Fastenzeit ohne Ostern erscheint. Doch ich gebe zu, dass man die Freude nicht in allen Lebensabschnitten und -umständen, die manchmal sehr hart sind, in gleicher Weise erlebt. Sie passt sich an und verwandelt sich, und bleibt immer wenigstens wie ein Lichtstrahl, der aus der persönlichen Gewissheit hervorgeht, jenseits von allem grenzenlos geliebt zu sein. Ich verstehe die Menschen, die wegen der schweren Nöte, unter denen sie zu leiden haben, zur Traurigkeit neigen, doch nach und nach muss man zulassen, dass die Glaubensfreude zu erwachen beginnt, wie eine geheime, aber feste Zuversicht, auch mitten in den schlimmsten Ängsten: » Du hast mich aus dem Frieden hinausgestoßen; ich habe vergessen, was Glück ist (…) Das will ich mir zu Herzen nehmen, darauf darf ich harren: Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen; groß ist deine Treue (…) Gut ist es, schweigend zu harren auf die Hilfe des Herrn « (Klgl 3,17.21-13.26).

7. Die Versuchung erscheint häufig in Form von Entschuldigungen und Beanstandungen, als müssten unzählige Bedingungen erfüllt sein, damit Freude möglich ist. Denn » es ist der technologischen Gesellschaft gelungen, die Vergnügungsangebote zu vervielfachen, doch es fällt ihr sehr schwer, Freude zu erzeugen «.<ref>Ebd., 8: AAS 67 (1975), 292.</ref> Ich kann wohl sagen, dass die schönsten und spontansten Freuden, die ich im Laufe meines Lebens gesehen habe, die ganz armer Leute waren, die wenig haben, an das sie sich klammern können. Ich erinnere mich auch an die unverfälschte Freude derer, die es verstanden haben, sogar inmitten bedeutender beruflicher Verpflichtungen ein gläubiges, großzügiges und einfaches Herz zu bewahren. Auf verschiedene Weise schöpfen diese Freuden aus der Quelle der stets größeren Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus kundgetan hat. Ich werde nicht müde, jene Worte Benedikts XVI. zu wiederholen, die uns zum Zentrum des Evangeliums führen: » Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt. «<ref>Enzyklika Deus caritas est (25. Dezember 2005), 1: AAS 98 (2006), 217.</ref>

8. Allein dank dieser Begegnung – oder Wiederbegegnung – mit der Liebe Gottes, die zu einer glücklichen Freundschaft wird, werden wir von unserer abgeschotteten Geisteshaltung und aus unserer Selbstbezogenheit erlöst. Unser volles Menschsein erreichen wir, wenn wir mehr als nur menschlich sind, wenn wir Gott erlauben, uns über uns selbst hinaus zu führen, damit wir zu unserem eigentlicheren Sein gelangen. Dort liegt die Quelle der Evangelisierung. Wenn nämlich jemand diese Liebe angenommen hat, die ihm den Sinn des Lebens zurückgibt, wie kann er dann den Wunsch zurückhalten, sie den anderen mitzuteilen?

II. DIE INNIGE UND TRÖSTLICHE FREUDE DER VERKÜNDIGUNG DES EVANGELIUMS

9. Das Gute neigt immer dazu, sich mitzuteilen. Jede echte Erfahrung von Wahrheit und Schönheit sucht von sich aus, sich zu verbreiten, und jeder Mensch, der eine tiefe Befreiung erfährt, erwirbt eine größere Sensibilität für die Bedürfnisse der anderen. Wenn man das Gute mitteilt, fasst es Fuß und entwickelt sich. Darum gibt es für jeden, der ein würdiges und erfülltes Leben zu führen wünscht, keinen anderen Weg, als den anderen anzuerkennen und sein Wohl zu suchen. So dürften uns also einige Worte des heiligen Paulus nicht verwundern: » Die Liebe Christi drängt uns « (2 Kor 5,14); » Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde! « (1 Kor 9,16).

10. Der Vorschlag lautet, auf einer höheren Ebene zu leben, jedoch nicht weniger intensiv: » Das Leben wird reicher, wenn man es hingibt; es verkümmert, wenn man sich isoliert und es sich bequem macht. In der Tat, die größte Freude am Leben erfahren jene, die sich nicht um jeden Preis absichern, sondern sich vielmehr leidenschaftlich dazu gesandt wissen, anderen Leben zu geben. «<ref>V. GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHÖFE VON LATEINAMERIKA UND DER KARIBIK, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 360. </ref> Wenn die Kirche zum Einsatz in der Verkündigung aufruft, tut sie nichts anderes, als den Christen die wahre Dynamik der Selbstverwirklichung aufzuzeigen: » Hier entdecken wir ein weiteres Grundgesetz der Wirklichkeit: Das Leben wird reifer und reicher, je mehr man es hingibt, um anderen Leben zu geben. Darin besteht letztendlich die Mission. «<ref>Ebd. </ref> Folglich dürfte ein Verkünder des Evangeliums nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben. Gewinnen wir den Eifer zurück, mehren wir ihn und mit ihm » die innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums, selbst wenn wir unter Tränen säen sollten (…) Die Welt von heute, die sowohl in Angst wie in Hoffnung auf der Suche ist, möge die Frohbotschaft nicht aus dem Munde trauriger und mutlos gemachter Verkünder hören, die keine Geduld haben und ängstlich sind, sondern von Dienern des Evangeliums, deren Leben voller Glut erstrahlt, die als erste die Freude Christi in sich aufgenommen haben. «<ref>Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 80: AAS 68 (1976), 75.</ref>

EINE EWIGE NEUHEIT

11. Eine erneuerte Verkündigung schenkt den Gläubigen – auch den lauen oder nicht praktizierenden – eine neue Freude im Glauben und eine missionarische Fruchtbarkeit. In Wirklichkeit ist das Zentrum und das Wesen des Glaubens immer dasselbe: der Gott, der seine unermessliche Liebe im gestorbenen und auferstandenen Christus offenbart hat. Er lässt seine Gläubigen immer neu sein, wie alt sie auch sein mögen; sie » schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt « (Jes 40,31). Christus ist das » ewige Evangelium « (Offb 14,6), und er ist » derselbe gestern, heute und in Ewigkeit « (Hebr 13,8), aber sein Reichtum und seine Schönheit sind unerschöpflich. Er ist immer jung und eine ständige Quelle von Neuem. Die Kirche hört nicht auf zu staunen über die » Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes « (Röm 11,33). Der heilige Johannes vom Kreuz sagte: » Dieses Dickicht von Gottes Weisheit und Wissen ist so tief und unendlich, dass ein Mensch, auch wenn er noch so viel davon weiß, immer noch tiefer eindringen kann. «<ref>Geistlicher Gesang, 36, 10.</ref> Oder mit den Worten des heiligen Irenäus: » (Christus) hat jede Neuheit gebracht, indem er sich selber brachte. «<ref>Adversus haereses, IV, Kap. 34, Nr. 1: PG 7, 1083: „Omnem novitatem attulit, semetipsum afferens.“</ref> Er kann mit seiner Neuheit immer unser Leben und unsere Gemeinschaft erneuern, und selbst dann, wenn die christliche Botschaft dunkle Zeiten und kirchliche Schwachheiten durchläuft, altert sie nie. Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht uns mit seiner beständigen göttlichen Kreativität. Jedes Mal, wenn wir versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen und Worte reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute auf. In der Tat, jedes echte missionarische Handeln ist immer „neu“.

12. Obwohl dieser Auftrag uns einen großherzigen Einsatz abverlangt, wäre es ein Irrtum, ihn als heldenhafte persönliche Aufgabe anzusehen, da es vor allem sein Werk ist, jenseits von dem, was wir herausfinden und verstehen können. Jesus ist » der allererste und größte Künder des Evangeliums «.<ref> Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 7: AAS 68 (1976), 9.</ref> In jeglicher Form von Evangelisierung liegt der Vorrang immer bei Gott, der uns zur Mitarbeit mit ihm gerufen und uns mit der Kraft seines Geistes angespornt hat. Die wahre Neuheit ist die, welche Gott selber geheimnisvoll hervorbringen will, die er eingibt, die er erweckt, die er auf tausenderlei Weise lenkt und begleitet. Im ganzen Leben der Kirche muss man immer deutlich machen, dass die Initiative bei Gott liegt, dass » er uns zuerst geliebt « hat (1 Joh 4,19) und dass es » nur Gott (ist), der wachsen lässt « (1 Kor 3,7). Diese Überzeugung erlaubt uns, inmitten einer so anspruchsvollen und herausfordernden Aufgabe, die unser Leben ganz und gar vereinnahmt, die Freude zu bewahren. Sie verlangt von uns alles, aber zugleich bietet sie uns alles.

13. Wir dürfen die Neuheit dieses Auftrags auch nicht wie eine Entwurzelung verstehen, wie ein Vergessen der lebendigen Geschichte, die uns aufnimmt und uns vorantreibt. Das Gedächtnis ist eine Dimension unseres Glaubens, die wir „deuteronomisch“ nennen könnten, in Analogie zum Gedächtnis Israels. Jesus hinterlässt uns die Eucharistie als tägliches Gedächtnis der Kirche, das uns immer mehr in das Paschageheimnis einführt (vgl. Lk 22,19). Die Freude der Verkündigung erstrahlt immer auf dem Hintergrund der dankbaren Erinnerung: Es ist eine Gnade, die wir erbitten müssen. Die Apostel haben nie den Moment vergessen, in dem Jesus ihr Herz anrührte: » Es war um die zehnte Stunde « (Joh 1,39). Gemeinsam mit Jesus vergegenwärtigt uns das Gedächtnis eine wahre » Wolke von Zeugen « (Hebr 12,1). Unter ihnen heben sich einige Personen hervor, die besonders prägend dazu beigetragen haben, dass unsere Glaubensfreude aufkeimte: » Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben « (Hebr 13,7). Manchmal handelt es sich um einfache Menschen in unserer Nähe, die uns in das Glaubensleben eingeführt haben: » Ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war « (2 Tim 1,5). Der Gläubige ist grundsätzlich ein „Erinnerungsmensch“.

III. DIE NEUE EVANGELISIERUNG FÜR DIE WEITERGABE DES GLAUBENS

14. Im Hören auf den Geist, der uns hilft, gemeinschaftlich die Zeichen der Zeit zu erkennen, wurde vom 7. bis zum 28. Oktober 2012 die XIII. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode unter dem Thema Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens abgehalten. Dort wurde daran erinnert, dass die neue Evangelisierung alle aufruft und dass sie sich grundsätzlich in drei Bereichen abspielt.<ref>Vgl. Propositio 7. 11</ref> An erster Stelle erwähnen wir den Bereich der gewöhnlichen Seelsorge, » die mehr vom Feuer des Heiligen Geistes belebt sein muss, um die Herzen der Gläubigen zu entzünden, die sich regelmäßig in der Gemeinde zusammenfinden und sich am Tag des Herrn versammeln, um sich vom Wort Gottes und vom Brot ewigen Lebens zu ernähren «.<ref>Papst Benedikt XVI., Homilie während der Eucharistiefeier zum Abschluss der XIII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (28. Oktober 2012): AAS 104 (2012), 890.</ref> In diesen Bereich sind ebenso die Gläubigen einzubeziehen, die einen festen und ehrlichen katholischen Glauben bewahren und ihn auf verschiedene Weise zum Ausdruck bringen, auch wenn sie nicht häufig am Gottesdienst teilnehmen. Diese Seelsorge ist auf das Wachstum der Gläubigen ausgerichtet, damit sie immer besser und mit ihrem ganzen Leben auf die Liebe Gottes antworten.

An zweiter Stelle erwähnen wir den Bereich der » Getauften, die jedoch in ihrer Lebensweise den Ansprüchen der Taufe nicht gerecht werden «,<ref>Ebd. </ref> keine innere Zugehörigkeit zur Kirche haben und nicht mehr die Tröstung des Glaubens erfahren. Als stets aufmerksame Mutter setzt sich die Kirche dafür ein, dass sie eine Umkehr erleben, die ihnen die Freude am Glauben und den Wunsch, sich mit dem Evangelium zu beschäftigen, zurückgibt.

Schließlich unterstreichen wir, dass die Evangelisierung wesentlich verbunden ist mit der Verkündigung des Evangeliums an diejenigen, die Jesus Christus nicht kennen oder ihn immer abgelehnt haben. Viele von ihnen suchen Gott insgeheim, bewegt von der Sehnsucht nach seinem Angesicht, auch in Ländern alter christlicher Tradition. Alle haben das Recht, das Evangelium zu empfangen. Die Christen haben die Pflicht, es ausnahmslos allen zu verkünden, nicht wie jemand, der eine neue Verpflichtung auferlegt, sondern wie jemand, der eine Freude teilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet. Die Kirche wächst nicht durch Prosyletismus, sondern » durch Anziehung «.<ref>Papst Benedikt XVI., Homilie während der Eucharistiefeier zur Eröffnung der V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik im Heiligtum „La Aparecida“ (13. Mai 2007): AAS 99 (2007), 437.</ref>

15. Johannes Paul II. hat uns ans Herz gelegt anzuerkennen, dass » die Kraft nicht verloren gehen (darf) für die Verkündigung « an jene, die fern sind von Christus, denn dies ist » die erste Aufgabe der Kirche «.<ref>Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 34: AAS 83 (1991), 280.</ref> » Die Missionstätigkeit stellt auch heute noch die größte Herausforderung für die Kirche dar «<ref>Ebd., 40: AAS 83 (1991), 287. </ref>, und so » muss das missionarische Anliegen das erste sein «.<ref>Ebd., 86: AAS 83 (1991), 333.</ref> Was würde geschehen, wenn wir diese Worte wirklich ernst nehmen würden? Wir würden einfach erkennen, dass das missionarische Handeln das Paradigma für alles Wirken der Kirche ist. Auf dieser Linie haben die lateinamerikanischen Bischöfe bekräftigt: » Wir können nicht passiv abwartend in unseren Kirchenräumen sitzen bleiben «,<ref>V. GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHÖFE VON LATEINAMERIKA UND DER KARIBIK, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 548. </ref> und die Notwendigkeit betont, » von einer rein bewahrenden Pastoral zu einer entschieden missionarischen Pastoral überzugehen «.<ref>Ebd., 370.</ref> Diese Aufgabe ist weiterhin die Quelle der größten Freuden für die Kirche: » Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren « (Lk 15,7).

ANLIEGEN UND GRENZEN DIESES SCHREIBENS

16. Ich habe die Einladung der Synodenväter, dieses Schreiben zu verfassen, gerne angenommen.<ref>Vgl. Propositio 1.</ref> Indem ich es tue, ernte ich den Reichtum der Arbeiten der Synode. Ich habe auch verschiedene Personen zu Rate gezogen, und ich beabsichtige außerdem, die Besorgnisse zum Ausdruck zu bringen, die mich in diesem konkreten Moment des Evangelisierungswerkes der Kirche bewegen. Zahllos sind die mit der Evangelisierung in der Welt von heute verbundenen Themen, die man hier entwickeln könnte. Doch ich habe darauf verzichtet, diese vielfältigen Fragen ausführlich zu behandeln; sie müssen Gegenstand des Studiums und der sorgsamen Vertiefung sein. Ich glaube auch nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen. Es ist nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen „Dezentralisierung“ voranzuschreiten.

17. Hier habe ich die Wahl getroffen, einige Linien vorzuschlagen, die in der gesamten Kirche einer neuen Etappe der Evangelisierung voller Eifer und Dynamik Mut und Orientierung verleihen können. In diesem Rahmen und auf der Basis der Lehre der dogmatischen Konstitution Lumen gentium habe ich mich entschieden, unter den anderen Themen die folgenden Fragen ausführlich zu behandeln:

a) Die Reform der Kirche im missionarischen Aufbruch

b) Die Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen

c) Die Kirche, verstanden als die Gesamtheit des evangelisierenden Gottesvolkes

d) Die Predigt und ihre Vorbereitung

e) Die soziale Eingliederung der Armen

f) Der Friede und der soziale Dialog

g) Die geistlichen Beweggründe für den missionarischen Einsatz

18. Ich habe diese Themen in einer Ausführlichkeit behandelt, die vielleicht übertrieben erscheinen mag. Aber ich habe es nicht in der Absicht getan, eine Abhandlung vorzulegen, sondern nur, um die bedeutende praktische Auswirkung dieser Argumente in der gegenwärtigen Aufgabe der Kirche zu zeigen. Sie alle helfen nämlich, einen bestimmten Stil der Evangelisierung zu umreißen, und ich lade ein, diesen in allem, was getan wird, zu übernehmen. Und so können wir auf diese Weise inmitten unserer täglichen Arbeit der Aufforderung des Wortes Gottes nachkommen: » Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! « (Phil 4,4).

ERSTES KAPITEL: DIE MISSIONARISCHE UMGESTALTUNG DER KIRCHE

19. Die Evangelisierung folgt dem Missionsauftrag Jesu: » Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe « (Mt 28,19-20). In diesen Versen ist der Moment dargestellt, in dem der Auferstandene die Seinen aussendet, das Evangelium zu jeder Zeit und an allen Orten zu verkünden, so dass der Glaube an ihn sich bis an alle Enden der Erde ausbreite.

I. EINE KIRCHE „IM AUFBRUCH“

20. Im Wort Gottes erscheint ständig diese Dynamik des „Aufbruchs“, die Gott in den Gläubigen auslösen will. Abraham folgte dem Aufruf, zu einem neuen Land aufzubrechen (vgl. Gen 12,1-3). Mose gehorchte dem Ruf Gottes: » Geh! Ich sende dich « (Ex 3,10), und führte das Volk hinaus, dem verheißenen Land entgegen (vgl. Ex 3,17). Zu Jeremia sagte Gott: » Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen « (Jer 1,7). Heute sind in diesem „Geht“ Jesu die immer neuen Situationen und Herausforderungen des Evangelisierungsauftrags der Kirche gegenwärtig, und wir alle sind zu diesem neuen missionarischen „Aufbruch“ berufen. Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen.

21. Die Freude aus dem Evangelium, die das Leben der Gemeinschaft der Jünger erfüllt, ist eine missionarische Freude. Die zweiundsiebzig Jünger, die voll Freude von ihrer Sendung zurückkehren, erfahren sie (vgl. Lk 10,17). Jesus erlebt sie, als er im Heiligen Geist vor Freude jubelt und den Vater preist, weil seine Offenbarung die Armen und die Kleinsten erreicht (vgl. Lk 10,21). Voll Verwunderung spüren sie die Ersten, die sich bekehren, als am Pfingsttag, in der Predigt der Apostel, » jeder sie in seiner Sprache reden « hört (Apg 2,6). Diese Freude ist ein Zeichen, dass das Evangelium verkündet wurde und bereits Frucht bringt. Aber sie hat immer die Dynamik des Aufbruchs und der Gabe, des Herausgehens aus sich selbst, des Unterwegsseins und des immer neuen und immer weiteren Aussäens. Der Herr sagt: » Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen! « (Mk 1,38). Wenn der Same an einem Ort ausgesät ist, hält Jesus sich dort nicht mehr auf, um etwas besser zu erklären oder um weitere Zeichen zu wirken, sondern der Geist führt ihn, zu anderen Dörfern aufzubrechen.

22. Das Wort Gottes trägt in sich Anlagen, die wir nicht voraussehen können. Das Evangelium spricht von einem Samen, der, wenn er einmal ausgesät ist, von sich aus wächst, auch wenn der Bauer schläft (vgl. Mk 4,26-29). Die Kirche muss diese unfassbare Freiheit des Wortes akzeptieren, das auf seine Weise und in sehr verschiedenen Formen wirksam ist, die gewöhnlich unsere Prognosen übertreffen und unsere Schablonen sprengen.

23. Die innige Verbundenheit der Kirche mit Jesus ist eine Verbundenheit auf dem Weg, und die Gemeinschaft » stellt sich wesentlich als missionarische Communio dar «.<ref>Papst Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 32: AAS 81 (1989), 451.</ref> In der Treue zum Vorbild des Meisters ist es lebenswichtig, dass die Kirche heute hinausgeht, um allen an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden. Die Freude aus dem Evangelium ist für das ganze Volk, sie darf niemanden ausschließen. So verkündet es der Engel den Hirten von Bethlehem: » Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll « (Lk 2,10). Die Offenbarung des Johannes spricht davon, dass » den Bewohnern der Erde ein ewiges Evangelium zu verkünden (ist), allen Nationen, Stämmen, Sprachen und Völkern « (Offb 14,6).

DIE INITIATIVE ERGREIFEN, SICH EINBRINGEN, BEGLEITEN, FRUCHT BRINGEN UND FEIERN

24. Die Kirche „im Aufbruch“ ist die Gemeinschaft der missionarischen Jünger, die die Initiative ergreifen, die sich einbringen, die begleiten, die Frucht bringen und feiern. „Primerear – die Initiative ergreifen“: Entschuldigt diesen Neologismus! Die evangelisierende Gemeinde spürt, dass der Herr die Initiative ergriffen hat, ihr in der Liebe zuvorgekommen ist (vgl. 1 Joh 4,10), und deshalb weiß sie voranzugehen, versteht sie, furchtlos die Initiative zu ergreifen, auf die anderen zuzugehen, die Fernen zu suchen und zu den Wegkreuzungen zu gelangen, um die Ausgeschlossenen einzuladen. Sie empfindet einen unerschöpflichen Wunsch, Barmherzigkeit anzubieten – eine Frucht der eigenen Erfahrung der unendlichen Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und ihrer Tragweite. Wagen wir ein wenig mehr, die Initiative zu ergreifen! Als Folge weiß die Kirche sich „einzubringen“. Jesus hat seinen Jüngern die Füße gewaschen. Der Herr bringt sich ein und bezieht die Seinen ein, indem er vor den anderen niederkniet, um sie zu waschen. Aber dann sagt er zu den Jüngern: » Selig seid ihr, wenn ihr das wisst und danach handelt « (Joh 13,17). Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den „Geruch der Schafe“, und diese hören auf ihre Stimme. Die evangelisierende Gemeinde stellt sich also darauf ein, zu „begleiten“. Sie begleitet die Menschheit in all ihren Vorgängen, so hart und langwierig sie auch sein mögen. Sie kennt das lange Warten und die apostolische Ausdauer. Die Evangelisierung hat viel Geduld und vermeidet, die Grenzen nicht zu berücksichtigen. In der Treue zur Gabe des Herrn weiß sie auch „Frucht zu bringen“. Die evangelisierende Gemeinde achtet immer auf die Früchte, denn der Herr will, dass sie fruchtbar ist. Sie nimmt sich des Weizens an und verliert aufgrund des Unkrauts nicht ihren Frieden. Wenn der Sämann inmitten des Weizens das Unkraut aufkeimen sieht, reagiert er nicht mit Gejammer und Panik. Er findet den Weg, um dafür zu sorgen, dass das Wort Gottes in einer konkreten Situation Gestalt annimmt und Früchte neuen Lebens trägt, auch wenn diese scheinbar unvollkommen und unvollendet sind. Der Jünger weiß sein ganzes Leben hinzugeben und es als Zeugnis für Jesus Christus aufs Spiel zu setzen bis hin zum Martyrium, doch sein Traum ist nicht, Feinde gegen sich anzusammeln, sondern vielmehr, dass das Wort Gottes aufgenommen werde und seine befreiende und erneuernde Kraft offenbare. Und schließlich versteht die fröhliche evangelisierende Gemeinde immer zu „feiern“. Jeden kleinen Sieg, jeden Schritt vorwärts in der Evangelisierung preist und feiert sie. Die freudige Evangelisierung wird zur Schönheit in der Liturgie inmitten der täglichen Anforderung, das Gute zu fördern. Die Kirche evangelisiert und evangelisiert sich selber mit der Schönheit der Liturgie, die auch Feier der missionarischen Tätigkeit und Quelle eines erneuerten Impulses zur Selbsthingabe ist.

II. SEELSORGE IN NEUAUSRICHTUNG

25. Ich weiß sehr wohl, dass heute die Dokumente nicht dasselbe Interesse wecken wie zu anderen Zeiten und schnell vergessen werden. Trotzdem betone ich, dass das, was ich hier zu sagen beabsichtige, eine programmatische Bedeutung hat und wichtige Konsequenzen beinhaltet. Ich hoffe, dass alle Gemeinschaften dafür sorgen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind. Jetzt dient uns nicht eine » reine Verwaltungsarbeit «.<ref>V. GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHÖFE VON LATEINAMERIKA UND DER 22 KARIBIK, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 201.</ref> Versetzen wir uns in allen Regionen der Erde in einen » Zustand permanenter Mission «.<ref>Ebd., 551.</ref>

26. Paul VI. forderte, den Aufruf zur Erneuerung auszuweiten, um mit Nachdruck zu sagen, dass er sich nicht nur an Einzelpersonen wandte, sondern an die gesamte Kirche. Wir erinnern an diesen denkwürdigen Text, der seine interpellierende Kraft nicht verloren hat: » Die Kirche muss das Bewusstsein um sich selbst vertiefen und über das ihr eigene Geheimnis nachsinnen (…) Aus diesem erleuchteten und wirkenden Bewusstsein erwächst ein spontanes Verlangen, das Idealbild der Kirche wie Christus sie sah, wollte und liebte, als seine heilige und makellose Braut (vgl. Eph 5,27), mit dem wirklichen Gesicht, das die Kirche heute zeigt, zu vergleichen (…) Es erwächst deshalb ein großherziges und fast ungeduldiges Bedürfnis nach Erneuerung, das heißt nach Berichtigung der Fehler, die dieses Bewusstsein aufzeigt und verwirft, gleichsam wie eine innere Prüfung vor dem Spiegel des Vorbildes, das Christus uns von sich hinterlassen hat. «<ref>Papst Paul VI., Enzyklika Ecclesiam suam (6. August 1964), 3: AAS 56 (1964), 611–612.</ref>

Das Zweite Vatikanische Konzil hat die kirchliche Neuausrichtung dargestellt als die Öffnung für eine ständige Reform ihrer selbst aus Treue zu Jesus Christus: » Jede Erneuerung der Kirche besteht wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung (…) Die Kirche wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, deren sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist. «<ref>Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio über den Ökumenismus, 6.</ref> Es gibt kirchliche Strukturen, die eine Dynamik der Evangelisierung beeinträchtigen können; gleicherweise können die guten Strukturen nützlich sein, wenn ein Leben da ist, das sie beseelt, sie unterstützt und sie beurteilt. Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium inspirierten Geist, ohne „Treue der Kirche gegenüber ihrer eigenen Berufung“ wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />