Fuldaer Bischofskonferenz: Aufgaben und Grenzen der Staatsgewalt (1953)

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Lehrschreiben
der Fuldaer Bischofskonferenz

Aufgaben und Grenzen der Staatsgewalt
Herbst 1953

(Quelle: Herder-Korrespondenz, 1953/54, S. 176-181).

Auf seiner Jahreskonferenz in Fulda hat der deutsche Episkopat zur Frage der Aufgaben und Grenzen der Staatsgewalt in einem besonderen Schreiben Stellung genommen, das im Oktober veröffentlicht worden ist. Die Verlautbarung von den Bischöfen wird ausdrücklich als Lehrschreiben bezeichnet, das zur Grundlage für die staatspolitische Erziehung der Gläubigen dienen soll.

(Quelle: Herder-Korrespondenz, 1953/54, S. 176-181)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitend

Durch unsere Zeit geht ein Zug zum Kollektivismus. Damit ist jene entartete Gesellschaftsordnung bezeichnet, die den einzelnen aufgehen lässt in einem alles beherrschenden Ganzen und die Personenwürde des Menschen bedroht. Der allgemeine Sog zur Vermassung würde nicht so viele mitgezogen haben, wenn nicht eine innere Entwertung des Menschen schon vorausgegangen wäre durch die religiöse Entwurzelung und deren Folge: die Vermaterialisierung. Der im modernen technischen Zeitalter aus alten Bindungen losgelöste, vor allem durch den Abfall von Gott innerlich entwurzelte Mensch spürt eine tiefe Unsicherheit. Er sucht nach neuem Halt und Zusammenhalt. Die kommandierte Zwangsordnung des Kollektivismus ist ein trügerischer Kurzschluss, gestützt auf eine falsche Gesellschaftslehre: Die Gemeinschaft gehe dem Einzelmenschen voraus, und dieser sei nur um der Gemeinschaft willen da. So gerät der selbstherrliche (autonome) Mensch, der den Bindungen entfliehen wollte, in die Knechtschaft einer alles beherrschenden selbstherrlichen Gemeinschaft, des Kollektivs.

Die Anfälligkeit für kollektivistische und totalitäre Ideen wird politisch besonders gefährlich in einer Zeit, "wo ohnehin die Tätigkeit des Staates ein so großes Ausmaß und einen so entscheidenden Einfluss genommen hat" (Pius XII, 24.12.1944). Wir sehen bei den modernen Staaten, wie sie ihre Zuständigkeit immer mehr ausdehnen und mit ihren Aufgaben weit in den Bereich des Privaten eindringen. Ein weit verbreitetes Streben nach sozialer Sicherheit und staatlicher Versorgung arbeitet dem allgemeinen Totalitätsanspruch des Staates in die Hände . Viele suchen die Verantwortung und das Einstehenmüssen für sich selbst auf die Behörde oder auf die Öffentlichkeit abzuwälzen. Die Folge: der Staat wird überlastet und in seinen eigentlichen Aufgaben gehemmt. Wir wissen noch allzu gut, wie ein handlungsunfähiger, in seinen politischen Entscheidungen geschwächter Staat den Diktator geradezu herbeiruft. In der Botschaft an den Wiener Katholikentag (14. September 1952; vgl. Herder-Korrespondenz 7. Jhg., S. 8) bezeichnete der Heilige Vater als eine der wichtigsten Aufgaben der jetzigen sozialen Auseinandersetzung: "Schutz des Einzelnen und der Familie vor dem Sog, der sie in eine allumfassende Sozialisierung hineinzuziehen droht, eine Sozialisierung, an deren Ende das Schreckbild des ,Leviathan' grauenvolle Wirklichkeit wäre."

Diesem Sog zum Kollektivismus gegenüber gilt es für die Funktionen des Ganzen und der Glieder die unveränderliche Wesensordnung herauszustellen. Darum befragen wir die christliche Soziallehre über die Aufgaben des Staates und die Grenzen der Staatsgewalt. Es geht um den Menschen, um die Freiheit und die Selbstverantwortung der Persönlichkeit. Wir verteidigen dabei auch die Freiheit der Gemeinschafen im Staat und die Freiheit der Kirche, die von der Ordnung des Staates mitberührt wird. Wir sprechen nicht zuletzt für den Staat selbst, dessen endgültige Verfassung noch zu schaffen ist. " Wenn der Herr das Haus nicht baut, arbeiten die Bauleute vergebens" (Ps. 127, 1). Soll das Werk Bestand haben, muss es auf dem Grund der gottgegebenen natürlichen Ordnung aufgebaut sein.

I. Die sittliche Hoheit und Würde des Staates

Der Staat ist vielen etwas Fremdes. Nicht wenige erleben ihn nur als eine Macht, die ihre Freiheit stört, ihnen Geld abnimmt und Lasten auferlegt. Viele wissen nicht, dass zum Staat nicht nur Verwaltung und Obrigkeit gehören, sondern vor allem das politisch geordnete Volk, die Bürger selbst! Staat bedeutet die mit oberster Autoritätsgewalt ausgestattete umfassende. Gemeinschafsform für die Menschen eines bestimmten Gebietes.

Die sittliche Würde des Staates ist in seinem Ursprung und seinem hohen sittlichen Zweck begründet. Er ist weder eine Ausgeburt des Bösen, eine Folge der Sünde, noch die höchste Verkörperung des Göttlichen auf Erden und absoluter Selbstzweck (Hegel); weder das willkürliche Produkt der Gewalt von Machthabern, noch ist für ihn der Volkswille letzte Rechtsquelle und Richtschnur für die Ausübung der Staatsgewalt (Rousseau). Der Staat gehört vielmehr zu der vom Schöpfer gewollten sittlichen Weltordnung. Wie Gott der Ursprung der Sozialnatur des Menschen ist, ist er auch die erste Ursache des Staates und der Staatsgewalt. Pius XII. sagt in der Weihnachtsbotschaft vom 24. 12. 1942: "Erste Ursache und tiefste Grundlage menschlichen Einzel- und Gemeinschafslebens ist Gott, der Schöpfer der ehelichen Urgemeinschaft, der Quellgrund der Familie und der Gemeinschaft des Volkes und der Völker." Und Leo XIII. in der Enzyklika Immortale Dei: "Keine Gesellschaft kann bestehen, wenn nicht einer an der Spitze steht, der ... die einzelnen zum gemeinsamen Ziel hinordnet; darum ergibt sich auch für die staatliche Gemeinschaft die Notwendigkeit einer leitenden Autorität. Und diese hat, wie die Gesellschaft selbst, in der menschlichen Natur und somit zuletzt in Gott ihren Ursprung. Daraus folgt, dass die staatliche Gewalt, an sich betrachtet, nur von Gott sein kann. ,Es gibt keine Gewalt, außer von Gott' (Röm. 13, 1)."

Die Sorge um die Wohlfahrt des Ganzen ist dem Staat anvertraut. Dieses "Gemeinwohl" ist ein hoher sittlicher Zweck. Pius XII. sagt in dem Weltrundschreiben über den christlichen Staat 1939: "Es ist also das auszeichnende Vorrecht und die hohe Sendung des Staates, die private Tätigkeit der Einzelnen im nationalen Leben zu überwachen, zu fördern und zu ordnen, um sie einheitlich auf das allgemeine Wohl auszurichten."

Der von Gott kommende Ursprung und Auftrag des Staates begründet seine eigentliche sittliche Hoheit und seine überragende Autorität im irdischen Bereich (suprema potestas in suo ordine). Er hat das Vorrecht, Gesetze zu erlassen, die alle im Gewissen verpflichten und deren Befolgung unter Umständen mit ZwangsgewaIt durchzusetzen.

Über den Interessen der Einzelnen und Gruppen, über Fabriken und Banken, über Vereinen und Verbänden soll es also eine Instanz geben, welche die übergeordnete Einheit des Ganzen repräsentiert und die Belange des höheren sittlichen Gutes vertritt, nämlich das Gemeinwohl. Ja, die im irdisch-natürlichen Bereich die Hoheit Gottes darzustellen hat. "Die Regierungsgewalt ist gleichsam eine Teilnahme an der Weltregierung und Herrschermacht Gottes" (Leo XIII., Enzyklika Diuturnum). So schreibt der Apostel im Römerbrief: "Die Staatsgewalt ist ja für dich Gottes Dienerin zum Guten ... Nicht umsonst führt sie das Richtschwert. Sie ist Dienerin Gottes und vollstreckt Strafe an dem, der Böses tut. Deshalb muss man ihr untertan sein, nicht nur aus Furcht vor der Strafe, sondern um des Gewissens willen ... denn Beamte Gottes sind die, welche diesem Dienst obliegen" (Röm. 13, 4ff.). So ist der Staat in der irdisch-natürlichen Ordnung die höchste Autorität. Aus seiner Macht leuchtet ein Abglanz von Gottes Herrschermacht und Majestät. Ihm sind Machtvollkommenheiten gegeben, wie sie keiner anderen weltlichen Gewalt zukommen. Erst im Lichte des Christentums erkennt die Staatsgewalt ihre tiefste Begründung und sittliche Größe. Sie ist von Gott angeordnet, damit sie ihres Amtes walte als "Gottes Dienerin" und Stellvertreterin, als oberste Wahrerin und Förderin des Gemeinwohls, als Repräsentantin der Einheit des Volkes. Sie ist der Hüter des Rechtes, Wächter über Ordnung und Sicherheit, Anwalt und Gerechtigkeit, damit jedem das Seine zukommt und die Lasten gerecht verteilt werden. Sie ist der unparteiliche Schiedsrichter, der Schützer der Schwachen und Fürsorger der Hilfsbedürftigen, ein Machthaber, der in weiser Selbstbeschränkung andere Lebensrechte achtet und alles Wertvolle fördert.

Sie ist aber auch machtvolle Autorität mit Befehlsgewalt, Zwangsgewalt und Sühnegewalt, mit der Befugnis, im Namen Gottes zu gebieten und das Schwert zu führen, d. h. die strafende Gerechtigkeit zu vollziehen. Ihr steht es zu, alle Vergehen zu ahnden, die sich gegen die öffentliche sittliche Ordnung richten.

Das 4. Gebot gebietet auch der politischen Autorität gegenüber Ehrfurcht und Gehorsam. "Seid um des Herren willen jeder menschlichen Obrigkeit untertan" (1 Petr. 2, 13). Wir ehren die Vertreter des Staates. Wir achten die staatlichen Symbole, aber wir treiben damit keinen Götzendienst! Der Christ verabscheut jeden Staatskult und auch jeden zur Ersatzreligion hinaufgesteigerten "Patriotismus". Unsere Achtung gegenüber dem Staat und seinen Zeichen gilt seinem hohen sittlichen Rang als dem obersten Schirmherr des Gemeinwohls.

Wenn der Staat seine Macht missbraucht, stürzt er von seiner Höhe und schändet seine sittliche Würde.

II. Die Grenzen der Staatsgewalt

Die katholische Soziallehre führt einen Zweifrontenkampf, sowohl gegen die einseitige Überbetonung der Gemeinschaft in den sozialistischen und faschistischen Systemen des totalitären Staates wie auch gegen die einseitige Betonung der Privatrechte im Liberalismus. Wir erleben heute besonders deutlich die einseitige Überbewertung der Gesellschaft.

Aus dem Abbild göttlicher Hoheit ist vielfach ein Ungeheuer von Machtapparat zur Verknechtung der Menschen geworden. Das ist das andere Gesicht des Staates in der Wirklichkeit der Geschichte. Der Mensch ist nur Mittel zum alles beherrschenden Staatszweck. Dem Moloch Staat wird alles geopfert, Menschenwürde und Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, die Unabhängigkeit des Richters und die Geistesfreiheit der Wissenschaft, Elternrecht und Religionsfreiheit. Jeder staatsfreie, private Bezirk wird geleugnet. Der absolute Staat erhebt einen totalen Machtanspruch auf alle Gebiete und auf den ganzen Menschen. Die Willkür der Gewalthaber schafft einen ständigen Ausnahmezustand der Angst. Äußerlich herrscht Ruhe und Einheit, aber im Innern gärt es. Die Gewalt züchtet die Lüge und verdirbt den Charakter der Menschen.

Hat der "totale Staat" erst einmal alle Bindungen an Gott verloren, dann gibt es für die Macht keine Hemmung mehr. Der gottlose Gewaltstaat wird zum Ungeheuer, das erbarmungslos Menschen vernichtet. Kein Recht und kein Gesetz schützt vor den Häschern der Staatspolizei. Gewalt geht vor Recht; was dem Staat nützt, ist gut. Der gottwidrige "totale Staat" wird zur Macht des Bösen in einem unheimlich totalen Ausmaß. Mit Recht sagt St. Augustinus: "Reiche ohne Gerechtigkeit, was wären sie anders als große Räuberbanden!" In der Geheimen Offenbarung hat Johannes das Ungeheuer beschrieben: die gottlose Weltmacht mit dem gotteslästerlichen totalen Machtanspruch, Satans Bundesgenosse zur Verfolgung der Kirche. Es verlangt, dass alle Menschen seine Macht anbeten.

Diesem Zerrbild eines Staates gegenüber vertritt die christliche Gesellschaftslehre eine Ordnung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, mit seiner Würde als Person und seinem Bedürfnis nach Ergänzung durch die Gemeinschaft. Das Wohl der Einzelnen in der Gemeinschaft, das, was wir das Gemeinwohl nennen, ist Zweck des Staates. Unter Gemeinwohl verstehen wir nämlich mit Pius XII. "jene äußeren Bedingungen, die der Gesamtheit der Staatsbürger notwendig sind zur Entfaltung ihrer Anlagen und Aufgaben, ihres materiellen, kulturellen und religiösen Lebens, soweit die hierfür erstberufenen Kräfte der Familie und anderer Gliederungen nicht ausreichen ... Es bleibt das Ziel alles gesellschaftlichen Lebens, stets, in unveränderter, heiliger Verbindlichkeit: Entfaltung der Persönlichkeitswerte des Menschen als des Ebenbildes Gottes" (Pius XII., 24. 12.1942).

Der Staat ist zum Hüter und Wahrer dieses Gemeinwohles bestellt. Darum hat alles staatliche Geschehen ihm zu dienen. Aus dieser Aufgabe leitet sich nach dem Willen Gottes seine Gewalt her. An dieser Aufgabe findet seine Autorität aber auch ihre Grenzen. Der Staat ist nicht Selbstzweck, sondern höchster Dienst am Gemeinwohl. Es dürfen die Einzelnen und die kleineren Gemeinschaften, die sich aus dem freien Zusammenschluss innerhalb der größeren Gemeinschaft des Staates bilden, in ihrer Entfaltung vom Staate nicht gehemmt und unterdrückt werden, sondern sie sollen gerade durch ihn die bessere Möglichkeit für die eigene Entfaltung finden. Den Gliedern im Staat gegenüber ist die Staatstätigkeit "subsidiär", d. h. ergänzend, hilfeleistend. Ein Zentralismus, wo alles von oben geschieht und die Selbsttätigkeit der Glieder verkümmert, ist damit unvereinbar. Er widerspricht dem Wesenssinn des Staates und zerstört den lebendigen Organismus der Gesellschaft.

Pius XI. bezeichnet das Gesetz der Subsidiarität für die Sozialordnung als "jenen obersten Grundsatz, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der GeseIlschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen."

"Jedwede Gesellschaftsfähigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär: sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen" (Qu. a. 79).

An diesem ehernen Grundsatz der Subsidiarität jeder Gesellschaftstätigkeit, also auch des Staates, scheiden sich heute die Geister! Er ist die Absage an jedweden Kollektivismus. Er schützt die Freiheit und Personenwürde des Menschen, sein Recht auf Eigentätigkeit und Eigenverantwortung, wie auch das Recht der kleineren Gemeinschaften gegenüber den großen, das Recht der Familie und der Eltern gegenüber dem Staat.

Die Kehrseite der Subsidiarität heißt: Selbstverantwortung und Selbstverpflichtung! Jeder soll die Eigenrechte auch wahrnehmen, für das eigene Wohl und das eigene Handeln selbst einstehen. Es gibt Verantwortungen vor dem eigenen Gewissen, die man nicht auf andere abwälzen kann. Niemand kann den Eltern die Eigenverantwortung für ihre Kinder abnehmen, weder die Kirche noch die Schule. Die Gliedgemeinschaft ist nicht befugt, Hilfe von oben in Anspruch zu nehmen, bevor sie nicht die eigenen Mittel eingesetzt hat.

Der Staatsgewalt sind also Grenzen gezogen, und zwar durch ihren Zweck und durch die Rechte anderer. Es gibt keine schrankenlose Allmacht des Staates.

Eine absolute Schranke für die Staatsgewalt ist der Wille und das Gesetz Gottes. Wenn ein staatliches Gesetz dagegen verstößt, ist es unsittlich und hat keine im Gewissen verpflichtende Kraft. "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg. 5, 29). Bei den Fragen der Ehe z. B. findet die Zuständigkeit des Staates ihre Grenzen an den unveränderlichen Gesetzen Gottes für die Naturordnung der Ehe und an der Zuständigkeit der Kirche für den Bereich des Sakramentes.

Darum sind auch die gottgesetzten Rechte und Pflichten der menschlichen Persönlichkeit eine Schranke für die Staatsgewalt. Jedoch kann der Staat bestimmte Forderungen an Hab und Gut seiner Mitglieder stellen, um das Allgemeinwohl zu sichern. Auch kommt ihm zu, unter gewissen Umständen die Freiheit der einzelnen zum Schutze der Allgemeinheit einzuschränken. über das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen vermag der Staat nur zur Bestrafung von Verbrechen zu verfügen. Der Staat hat auch das Recht, von seinen Bürgern zu verlangen, dass sie ihren Beitrag zur Verteidigung seiner Existenz, falls diese von einem ungerechten Angreifer bedroht wird, unter Umständen bis zum Einsatz des Lebens leisten. In keinem Falle darf der Staat zu Wegen und Mitteln greifen, die in sich unerlaubt sind, wie" z. B. zur Tötung unschuldigen und wehrlosen Lebens.

Der Staat hat das natürliche Recht der Familie zu achten, das dem Recht des Staates vorausgeht. Er soll die Familie in ihren sittlichen Grundlagen schützen, ihre sozialen Lasten erleichtern helfen. Wo die Familie mit ihren Kräften nicht ausreicht oder versagt, tritt der Staat ergänzend, hilfeleistend ein. Elternrecht geht vor Staatsrecht, darum kann es kein Schulmonopol des Staates geben. Es gibt noch deutsche Länder, die nicht bereit sind, aus der Achtung vor der Gewissensfreiheit das Elternrecht anzuerkennen. Wie kann man dabei im gleichen Atemzug totalitäre Methoden des bolschewistischen Systems verurteilen!? Auch die Rechte anderer Gemeinschaften begrenzen die Staatsgewalt. Die Kirche ist unmittelbar göttlichen Ursprungs. Sie muss in allem, was zur Erfüllung ihrer übernatürlichen Sendung gehört, vom Staate unabhängig handeln können. Unbeschadet ihres grundsätzlichen Selbstbestimmungsrechtes nimmt sie das Vereinsrecht als Freiheitsrecht in Anspruch.

Jeder Bürger im Staat hat das Recht und die Freiheit, sich mit andern zu allen ehrbaren Zwecken zusammenzuschließen, soweit das Gemeinwohl dadurch nicht gestört wird.

III. Die Ordnung der Staatszuständigkeit

Es gibt Aufgaben des Staates, die ihm allein oder zuerst zustehen. Vor allem Schutz und Sicherheit nach außen, Aufbau und Wahrung der Rechtsordnung im Innern. Friede, Sicherheit, Ordnung gehören zu den Grundvoraussetzungen, die ein gedeihliches Zusammenleben und -wirken in der Gemeinschaft erst ermöglichen. Darum gehören sie auch zum Grundbestand des Gemeinwohls, das der Staat gewährleisten soll. Zuerst und wesentlich ist der Staat Rechtsordnung, "Rechtsstaat", wenn sich auch darin seine Aufgaben nicht erschöpfen. Justitia fundamentum regnorum; die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten! Für diese Schutz- und Ordnungsaufgaben ist dem Staat auch die Macht gegeben, aber im Rahmen des Rechts und im Dienste des Staatszweckes.

Darüber hinaus gibt es ein weites Gebiet von Aufgaben, bei denen der Staat sich mit andern in die Funktionen teilt. Es sind die Sozial- und Kulturaufgaben. Ihre Durchführung ist zunächst Sache der einzelnen und der Gruppen der Gesellschaft. Der Staat soll diese Tätigkeiten fördern und in einem gewissen Maße überwachen, aber diese Aufgaben nicht selbst an sich reißen. Er wird nur dann auch in diese Bereiche eingreifen müssen, um selbst Aufgaben zu übernehmen - ergänzend, stellvertretend - falls die Zuständigen sie nicht zur Genüge erfüllen, das Gemeinwohl es aber erfordert.

Für das übergreifen der Staatstätigkeit in solche Aufgabenbereiche sind die Grenzen fließend. Von der grundsätzlichen Einstellung hängt es ab, ob eine allgemeine Ausdehnung der Staatstätigkeit gewollt und betrieben wird, oder ob sie nur als eine Ausnahme betrachtet und sobald als möglich wieder zurückgezogen wird.

Auf dem Gebiete der Kulturaufgaben soll der Staat weise Zurückhaltung üben und Freiheit lassen. Überall wo Weltanschauungsfragen mitsprechen, muss Gewissensfreiheit gewahrt bleiben. Die Pflege der Kulturgüter ist in ' erster Linie Aufgabe der freien Volkskräfte und in hohem Maße auch der Kirche. Der Staat wird sich möglichst darauf beschränken, diese Bestrebungen zu schützen, schädliche Auswüchse abzuwehren, mit seinen stärkeren Mitteln zu helfen und die notwendigen Einrichtungen bereitzustellen. Macht sich der Staat selbst zum Träger von Schulen oder anderen Kulturinstituten, so muss er sich vor jedem Ausschließlichkeitsanspruch hüten.

Ein hohes Gut des Gemeinwohls ist die öffentliche Sittlichkeit. Hier darf keine falsche Toleranz den Staat daran hindern, seine Macht- und Zwangsmittel anzuwenden, um die zersetzenden Kräfte abzuwehren, besonders wo die sittliche Gesundheit der Jugend und der Familie auf dem Spiele steht. Schmutz und Schund haben kein sittliches Recht, sich auf den Schutz der Freiheit zu berufen. Freilich kann der Staat mit seinen äußeren Mitteln die Wurzeln des Übels nicht erreichen. Hier ergänzen sich Staat und Kirche zum Besten des Ganzen.

Bei seiner Verantwortung für das materielle Wohl des Ganzen wird der Staat von selbst zum "Wohlfahrtsstaat". Hier ist die Gefahr zum Überschreiten seiner Grenzen am größten und tatsächlich der Zug zum Staatssozialismus und Kollektivismus auch am stärksten. Manche sehen immer noch in einer staatlich dirigierten Planwirtschaft das Heil. Die Leitung und Initiative ist zunächst Sache der Wirtschaft selbst, nicht der öffentlichen Gewalt. Wohl hat der Staat wichtige wirtschaftspolitische Aufgaben zu erfüllen, für die Gesamtrichtung Weisungen zu geben und notfalls mit wirksamen Mitteln lenkend einzugreifen. Aber er soll nicht selbst als Unternehmer in den Kampf der Interessen hineinverstrickt sein, sondern unabhängig über dem Ganzen stehen und verhindern, dass Wirtschaftsmächte "Staat im Staate" werden. Eigene Wirtschaftstätigkeit soll der Staat auf die notwendigsten öffentlichen Dienste beschränken. Muss er aus Allgemeininteresse in das wirtschaftliche Leben oder in die Besitzverhältnisse eingreifen, so sollen das immer begrenzte Ausnahmefälle bleiben, und das Recht darf dabei nicht verletzt werden (Entschädigung). Es ist eine unerlaubte Enteignung, überhöhte Steuern zu benutzen, um die Wirtschaftsmacht des Staates auszubauen. Die Zusammenballung übergroßer Wirtschaftsmacht taugt nicht, weder in privat- noch in staatskapitalistischer Hand. Beim Staate ist sie sogar noch gefährlicher, weil den Unternehmer-Staat niemand an der Knechtung der Menschen hindern kann. Das eigentliche soziale Problem ist damit nicht gelöst, dass der private Kapitalist auszieht und der staatliche Funktionär einzieht.

Erstrebenswertes Ziel muss sein, möglichst vielen Menschen zu privatem Eigentum zu verhelfen.

Ein Betreuungsrecht des Staates besteht ohne Zweifel. "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist" (Mk. 12, 17). Aber es hat seine Grenzen am Eigentumsrecht des Einzelnen und an der Pflicht des Staates, die Ausgaben aus Steuermitteln auf die eigentlichen und vom Gemeinwohl als notwendig geforderten Staatsausgaben zu beschränken. Steuern sollen nicht Gemeineigentum bilden, sie sollen vielmehr helfen, ein weitgestreutes Privateigentum entstehen zu lassen. Die jetzige Überhöhung der Lasten hat ihre Ursache, neben den zeitbedingten Nachkriegsnöten, in der ungebührlichen Ausweitung der Staatsaufgaben. Hier, bei der Bewilligung der Ausgaben, wäre der Hebel für eine Beschränkung der Staatstätigkeit anzusetzen. Wenn ein Parlament sein Kontrollrecht über die Ausgaben nicht gebührend wahrnimmt, wächst der totalitäre Staat auf Kosten der Freiheit des einzelnen. Die Steuerpolitik trifft auch die freien Gemeinschaften. Je gemeinnütziger ihre Aufgaben sind, um so schonender sollten sie steuerlich behandelt werden. Das gilt für die kinderreiche Familie vor allem, aber auch für die gemeinnützigen Einrichtungen der Kirche.

Die besondere Fürsorge des Wohlfahrtsstaates gehört den wirtschaftlich Schwachen. Maßnahmen der Sozialpolitik als Rechtsschutz der Arbeit und Existenzsicherung sind keine Almosen, sondern eine Pflicht des Staates aus sozialer Gerechtigkeit.

Für die öffentliche Fürsorge und Wohlfahrtspflege gilt ebenfalls der Grundsatz der Subsidiarität. Was die freie Fürsorge und Wohlfahrtspflege leisten kann und oft billiger leistet, soll die öffentliche nicht an sich reißen. Es gibt kein staatliches Wohlfahrtsmonopol, wie es der totale Staat weitgehend beansprucht. Die Caritas behält ihre Berechtigung neben der amtlichen öffentlichen Wohlfahrt. Die von Amts wegen geleistete Hilfe bedarf notwendig einer Ergänzung durch die menschlicher und persönlicher wirkende freie Liebestätigkeit. Die Kirche verlangt nicht nur volle Freiheit für ihre caritativen Einrichtungen, sondern, falls der Staat selbst caritative Anstalten errichtet, auch Förderung aus öffentlichen Mitteln. Das ist kein Verstoß gegen die Neutralität des Staates, sondern eine Forderung des Gemeinwohls und der Gerechtigkeit. Bei allem Ausbau der öffentlichen Hilfe bleibt die Verantwortung zur Selbsthilfe bestehen. Es gibt eine natürliche Hilfeordnung: die Familienglieder sind füreinander zuerst verpflichtet, die Kinder für ihre alten Eltern, die Nachbarschaft für den Nachbarn, erst dann kommt die organisierte Hilfe der freien und der öffentlichen Fürsorge. Die öffentlichen Hilfen sollten die Kräfte der Selbsthilfe stärken, nicht dem Menschen die Selbstverantwortung abnehmen. Die Vorstellung von einem "Versorgungsstaat" , der Sicherungen für alle Wechselfälle des Lebens garantiert, ist geradezu eine öffentliche Gefahr geworden. Der Staat ist keine Betreuungs- und Wohlfahrtsanstalt, der seine Bürger mit allem Notwendigen versorgt und Almosen an sie verteilt, die er ihnen vorher abgenommen hat. Dem einzelnen die eigene Anstrengung der Selbsthilfe und Selbstverantwortung abnehmen käme zwar der Trägheit und Verantwortungsscheu vieler Menschen entgegen. Es würde aber den Staat noch mehr überlasten und die Abhängigkeit und Unfreiheit der Menschen nur vermehren. Das Kollektiv nimmt mit der Selbstverantwortung auch den Willen zur Selbstbehauptung, die Kraft zum Opfer, die Freiheit der persönlichen Entscheidung und das eigene Gewissen. Der Versorgungsstaat verdirbt den Menschen in seinem innersten Kern, macht ihn zur leichten Beute des Kollektivismus. Und wie bald ist aus der totalen Sicherung eine totale Gefährdung geworden.

Haben wir nun zu viel oder zu wenig "Staat"?

Wir haben ein Zuviel an Staatsaufgaben - ein Zuwenig an Hoheit, zu viel bürokratischen Apparat - zu wenig Staatsautorität für die hohen sittlichen Aufgaben des Staates, nämlich das Gemeinwohl gegenüber den Einzelinteressen, die Rechte der Schwächeren gegenüber den Machtgruppen wahrzunehmen oder auch die Rechte der Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft zu schützen. Gerade dafür ist es notwendig, den Staat von vielen nichtpolitischen Aufgaben zu entlasten. Die Aufgabe heißt: die Staatstätigkeit einschränken und die Staatsautorität stärken. Abbau des Zentralismus zugunsten der Selbstverantwortung der Glieder und der Selbstverwaltung. Statt totaler Verpolitisierung: Primat der Politik! D. h., das überragende (wirkliche) Interesse des Gemeinwohls (das Ziel wahrer "Politik") soll vor den Sonderinteressen von Machtgruppen den Vorrang haben, auch für den Fall, dass diese den Staat unter Druck setzen wollen, seien es Finanzmächte oder die Industrie, Gewerkschaften oder eine Partei. Es gehört gerade zu den wesentlichen Aufgaben der Staatsautorität, die Gruppen mit ihren Sonderansprüchen in das Ganze einzuordnen und die Ordnung der Gerechtigkeit zu schützen. Freilich muss dann der Staat auch über die machtmäßigen Möglichkeiten verfügen, um diesen "Primat der Politik" in allen Fällen durchsetzen zu können. Etwas ganz anderes ist die totale Verpolitisierung! D. h., alles wird zum "Zankapfel der Politik" gemacht und in den "Streit der Parteien" hineingezogen. Alles wird Parteisache, auch die elementaren Anliegen, über die es eigentlich einen Streit nicht geben dürfte. Oder es wird im Sinne des totalitären Staates die Staatszuständigkeit auf alle Gebiete ausgedehnt.

Die Höchstzuständigkeit des Staates bedeutet nicht seine Allzuständigkeit!

Das politische Parlament ist überlastet mit Aufgaben, die zum Teil von Organen der Selbstverwaltung übernommen werden sollten und es dadurch von vielen Spannungen entlasten würden. Bezüglich der Demokratie gibt es manche Missverständnisse. In ihrem Namen wird oft gefordert: Allen das gleiche! Die Gerechtigkeit aber verlangt: Jedem das Seine! Die rein formale Demokratie mit der Tendenz, alles gleichzumachen, hat viel zur Zerstörung der Autorität beigetragen. Demokratie heißt nicht Freiheit für jeden zur hemmungslosen Kritik an allem. Sie ist vielmehr der Aufruf zur Mitverantwortung und setzt eine große Reife voraus. Erst recht stellen die hohen Aufgaben des Staates an die Politiker und die Inhaber der Staatsgewalt große sittliche Anforderungen. Sie müssen über Staat und Gesellschaft klare, auf dem Naturrecht beruhende Grundsätze haben. Es bedeutet wahre Staatskunst, zwischen Eigenwohl und Gemeinwohl, zwischen Staatsautorität und Achtung der Subsidiarität den rechten Ausgleich zu finden. Das erfordert eine große Selbstdisziplin, vor allem gegenüber den Versuchungen der Macht. Nicht jeder, der die Hand nach der Politik und nach der Macht im Staate ausstreckt, ist auf Grund seiner inneren Qualitäten dazu berufen.

In der Weihnachtsansprache 1944 über die wahre Demokratie sagt Pius XII.: "Da die Persönlichkeit, der Staat und die Staatsgewalt mit ihren jeweiligen Rechten auf der gleichen Grundlage ruhen, sind sie so eng miteinander verbunden, dass sie sich gegenseitig unterstützen oder zugrunde richten. Da diese absolute Ordnung ... keinen andern Ursprung haben kann als einen persönlichen Gott, unsern Schöpfer, so ergibt sich daraus: die Würde des Menschen besteht in der GottebenbildIichkeit, die Würde des Staates in der sittlichen, von Gott gewollten Gemeinschaft, die Würde der politischen Autorität in der Teilnahme an der Autorität Gottes ...

Nur die klare Einsicht in die Ziele, die Gott einer jeden menschlichen Gesellschaft vorgezeichnet, hat, verbunden mit dem tiefen Gefühl für die erhabenen Pflichten der öffentlichen Tätigkeit, kann diejenigen, denen die Gewalt überantwortet ist, in die Lage versetzen, ihre Aufgaben gesetzgebender, richterlicher oder ausübender Art verantwortungsbewusst zu erfüllen ... Die Frage nach dem moralischen Hochstand, der praktischen Brauchbarkeit, den geistigen Fähigkeiten der Abgeordneten im Parlament ist für jedes Volk unter demokratischer Herrschaft eine Frage, die über Leben und Tod, Wohlstand und Verfall, Aufstieg und ständigen Niedergang entscheidet. Darum muss jede gesetzgebende Körperschaft aus einer Elite von Männern bestehen."

Mögen auch in unserm Vaterland in Zukunft die besten Kräfte.zusammenwirken, um das Haus zu vollenden, in dem unser Volk in Ordnung und Frieden, in Freiheit und Menschenwürde wohnen kann. Wir aber wollen die Mahnung des Apostels befolgen: "Verrichtet bei den öffentlichen Fürbitten Gebete und Danksagungen für alle Menschen, für die Regierenden und Obrigkeiten, damit wir ein friedliches und ruhiges Leben führen mögen in Gottesfurcht und Ehrbarkeit!" (1 Tim. 2, 1 f.)