Glocke

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Beschreibung der einzelnen Teile der Kirchenglocke

Die Glocke (alt-hdt. clocca; mittel-lat. clocca; alt-engl. clucge) ist ein Klanginstrument mit einer charakteristischen Hauben- (Bienenkorbglocken) oder Kelchform, das nach der Art der Klangerzeugung zu den Schlaginstrumenten (Aufschlagidiophone) und nach der Funktion meist zu den Signalinstrumenten gehört.

Bei der Läuteanlage der Kirchenglocken ist die Glocke der Schwingungsträger, zu der noch der Klöppel und der Hammer (Angelus- oder Stundenschlag), die Läutemaschine und der Glockenstuhl gehören. Die gesamte Läuteanlage befindet sich in der Glockenstube (Glockenturm). Das aus mehreren Glocken bestehende Turmglockenspiel, das Carillon, wird als Musikinstrument eingesetzt. Es kann per Klaviatur, per Walze oder heute auch elektronisch gesteuert betrieben werden.

Geschichte

Die ältesten Glocken (Nao) entstanden vermutlich im 7. Jahrhundert v. Chr. in der chinesischen Shang-Dynastie (etwa 1600–1027 v. Chr.). Es sind Glocken ohne Glockenschwengel, die mit der Mündung nach oben hängend mit einem Holzschlägel angeschlagen wurden. Schriften aus der Zhou-Dynastie (1027–221 v. Chr.) belegen, dass Glocken in China damals insbesondere eine kultische Rolle spielten.<ref>Glyn Daniel, Joachim Rehork (Hrsg.): Enzyklopädie der Archäologie. Lübbe, Bergisch Gladbach 1980, ISBN 3-7857-0236-1, S. 176.</ref>

Zuvor hatte man in China mit Klingsteinen, Glocken aus Fruchtschalen und Klangschalen experimentiert. Die in China gegossenen Glocken wurden zu umfangreichen Glockenspielen zusammengestellt. Das größte erhaltene Instrument wurde 1978 in er Provinz Hubei ausgegraben und besteht aus heute noch klingenden 63 Stimmen. Forscher haben herausgefunden, dass die meisten dieser Glocken in der perfekt passenden Tonhöhe gegossen und nur wenige nachgestimmt worden waren. Glocken spielten in China deswegen eine bedeutende Rolle, weil das Maßsystem des Staates sich am Durchmesser der auf einen bestimmten, staatlich festgelegten Ton gestimmten und die Harmonie des Gemeinwesens garantierenden Glocke abgestimmt war. Der Hohlraum der Glocke bestimmte die Maßeinheit für eine Schütte Getreide. Ihr Klang war der Stimmton für das kaiserliche Orchester. <ref>Barbara Stühlmeyer: Zwischen Magie und Zeitmanagement. Die Glocken. Karfunkel, Waldmichelbach 2010, S. 122-126.</ref>

Von China gelangte die Glocke in den Mittelmeerraum. In Ägypten und Griechenland wurden Glocken zu kultischen Zwecken eingesetzt. Bei Begräbnissen sollte ihr Klang die Verstorbenem auf ihrem Weg ins Jenseits schützen und die Aufmerksamkeit der Götter auf sie lenken. Der Leichenwagen Alexanders des Großen verfügte daher über einen mit goldenen Glöckchen bestickten Baldachin. Beim Kybelekult war es üblich, beim Verzehr von Brot und Wein eine Glocke anzuschlagen. Im Jerusalemer Tempelkult kamen Glocken als Tonangeber für den Psalmengesang zum Einsatz und wurden geläutet, um mit ihrem Klang den Namen Jahwes zu verschleiern, weshalb das Gewand des Hohenpriesters ebenso mit Glöckchen geschmückt war wie der Vorhang des Tempels sowie Krone und Schild der Thora.

Die Römer benutzten Glocken als akustisches Signal zur Eröffnung von Veranstaltungen oder als Türglocke. Das erste bekannte Kultusgebäude, das mit Glocken ausgerüstet wurde, war ein Jupitertempel in Rom. Der römische Dichter Sueton berichtet (Divus Augustus 91.2):

Cum dedicatam in Capitolio aedem Tonanti Iovi assidue frequentaret, somniavit queri Capitolinum Iovem cultores sibi abduci seque respondisse Tonantem pro ianitore ei appositum; idque mox tintinnabulis fastigium aedis redimiit, quod ea fere ianus dependebant.
In dem Zeitraum, in dem er einen dem Jupiter Tonans auf dem Kapitol geweihten Tempel oft aufsuchte, träumte er: Der kapitolinische Jupiter beklage sich darüber, dass ihm die Verehrer entzogen würden, und er [Augustus] habe zur Antwort gegeben, Jupiter Tonans sei ihm lediglich als Türhüter beigegeben worden; aus diesem Grunde ließ er [Augustus] später den Giebel des Tempels mit Glocken schmücken, weil diese gewöhnlich an den Türen hingen.
Petersglocke (Dicker Pitter) im Kölner Dom

Im christlichen Gottesdienst waren die Glocken ungeachtet der Ablehnung anderer Instrumente akzeptiert. Der Kirchenvater Augustinus bezeichnete sie als Symbol der Harmonie der Gott lobenden Gemeinde. Und im Canon des Hippolyt wird über den Einsatz der Glocke als Tonangeber für den Psalmengesang berichtet: "Wenn die Kommunion des Volkes beendet ist, sollen beim Zeichen der Glocke Psalmen mit großer Aufmerksamkeit vorgetragen werden. Stimmtonglocken, die man bei archäologischen Ausgrabungen in der Fayum-Oase in Oberägypten fand, zeigen, dass die Psalmen in der Spätantike auf den Tönen es-g oder g-b gesungen wurden. Ungeachtet der Kritik vonseiten der Theologen lebte auch in den christlichen Gemeinden die Sitte fort, kleine Glocken als schützende Amulette zu tragen, was besonders bei Kindern praktiziert wurde, oder sie den Toten mit auf den Weg ins Jenseits zu geben.<ref>Barbara Stühlmeyer: Zwischen Magie und Zeitmanagement. Die Glocken. Karfunkel, Waldmichelbach 2010, S. 122-126.</ref>

Seit dem 4. Jahrhundert ist im galloromanischen Gebiet die Glocke unter der lateinischen Bezeichnung sīgnum bekannt, woraus altfranzösisch sein (sains), okzitanisch senh (zenns), Kirchenglocke zu verstehen ist.<ref>Vgl. Caesarius von Arles, 470–542, und Gregor von Tours, gest. 592.</ref>

Über Klöster kam die Glocke im 6. Jahrhundert vom Berg Athos nach Irland. Iroschottische Wandermönche verbreiteten sie im christlichen Gottesdienst in Europa, zunächst wahrscheinlich als Handschellen. Sie wurden nicht gegossen, sondern aus dünnen Eisen- oder Kupferplatten ausgeschnitten, gebogen, zusammengenietet und zu eckigen Körpern geformt. Durch den Deckel wurde ein Stab geschoben, zu einem Ring geformt und außen abgeplattet, sodass er von außen als Handgriff und von innen als Halterung für den Klöppel dienen konnte. Ihren Klang verdankten diese Handschellen dem abschließenden Gussverfahren, in dem sie mit Bronze überzogen wurden. Die Mönche der Insel Iona entwickelten unter ihrem Abt Adomnán die Handglockenschmiedekunst weiter. Sie entwickelten Schnittmuster sowie eine konstruktive Herstellungsweise. Die berühmteste Glocke dieser Zeit ist die Glocke des hl. Patrick (clog-an-edachta, Glocke des Willens), die sich im Museum der Royal Irish Academy in Dublin befindet und die im Jahr 552 aus dem Grab des Heiligen genommen wurde. In Patricks Begleitung befanden sich mehrere Mönche, die kundige Glockengießer waren. Einer von ihnen, Daggeus, hat laut seiner Vita neben Kelchen, Hirtenstäben und Buchbeschlägen 300 Glocken gefertigt. Viele der irischen Glocken sollen Heiligen gehört haben und wurden wie Reliquien verehrt. Weitere frühe Glocken sind die in St. Senan (ca. 540) und St. Mura; einige Glocken in Schottland und Wales, die in St. Gallen (Schweiz), der sogenannte "Saufang" in Köln (Deutschland) und eine Glocke in Noyon (Frankreich).

Papst Sabinian (604-606) ordnete das Läuten einer Glocke auch außerhalb der Klostermauern zu den sieben üblichen Gebetszeiten des Stundengebets an. Dadurch sollte die verstreute christliche Gemeinde zum gemeinsamen Gebet aufgerufen werden.<ref>Barbara Stühlmeyer: Zwischen Magie und Zeitmanagement. Die Glocken. Karfunkel, Waldmichelbach 2010, S. 122-126.</ref>

Irische oder angelsächsische Missionare brachten die Kirchenglocken nach Deutschland und in den Alpenraum. Um 700 wird die Kirchenglocke von Beda und von Bonifatius erwähnt. Der hl. Beda schreibt, dass im Jahr 680 das Sterbegeläut für die hl. Hilda in Withby bis nach Hackness in dreizehn Meilen Entfernung zu hören war. <ref>Hist. Eccl.., IV, xxi</ref>

Karl der Große sorgte durch verschiedene Edikte für die Verbreitung der Glocke in seinem Reich. So wurde im 8. Jahrhundert die Glocke ein wichtiger Bestandteil jeder Kirche und der Brauch der Glockensegnung kam allgemein auf. Da die Glocken grösser wurden, kamen in dieser Zeit die ersten Kirchtürme mit Glockenstühlen auf. Zu dieser Zeit galt die Glocke bereits als Signalinstrument der christlichen Gemeinden. Dies zeigt sich an den Widerständen, die Missionare wie der heilige Ansgar zu überwinden hatten, als er vom Schleswiger Bischof Horig nur mit diplomatischem Geschick die Erlaubnis zum Bau einer Kirche mit Glockenturm erhielt. Die mit einem kammartigen Schwungholz versehene, vermutlich in Irland gegossene Glocke wurde 1978 im Hafen von Haitabu in Schleswig wiedergefunden.

In der Anfangszeit der Glockengießerei waren die Gießer Wanderhandwerker, da die Glocken meist vor Ort an ihrer Kirche gegossen wurden. Der Transport der schweren Glocken über große Distanzen von einer zentralen Gießerei zu den Bestimmungsorten war zu langwierig, beschwerlich und für das Personal und die Glocke zu gefährlich. Verhältnismäßig wenige alte, gegossene Glocken sind erhalten, da es früher oft Kirchenbrände gab, bei denen die Glocken hinunterstürzten und zerbrachen, und weil in Kriegszeiten oft Glocken eingeschmolzen wurden, um aus der Bronze Kanonen zu gießen. Einige Glockenmuseen, z. B. in Apolda, Gescher, Greifenstein (Deutsches Glockenmuseum), Siegen (Eiserfeld) und Wien informieren über das Glockengießerhandwerk.

Glockenformen und Herstellung

Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden, hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln... von Jost Amman und Hans Sachs, Frankfurt am Main (1568)

Die Glocken der irischen Mönche bestanden aus genietetem Kupferblech. In der Karolingerzeit kamen gegossene Glocken auf, die besonders in Kirchen verwendet wurden. Aus dieser Zeit stammen die sogenannten Bienenkorbglocken. Seit dem 13. Jahrhundert werden Glocken auch in Tulpenform gegossen. Im 15. Jahrhundert setzte sich die Zuckerhutglocke (Dreiklangrippe) durch. Diese Glockenform blieb bis heute unverändert:

  • Der Schlagring, auch Schlag genannt, ist weit unten am Körper der dickste Teil der Glocke, an den der Klöppel anschlägt; der äußerste Rand der Glocke wird als Schärfe bezeichnet, die Glockenöffnung heißt Glockenmund.
  • Der Mantel, nach seiner nach innen gewölbten Form auch als Schweifung bezeichnet, ist der über dem Schlag mit dem so genannten Wolm (Kranz) beginnende, in die steilere Flanke übergehende Bereich, der an der Schulter endet.
  • Die Haube, besteht aus einer Wölbung, auch Hals oder Unterplatte genannt und der ebenen Platte, auch Oberplatte oder Kronenplatte genannt. Darauf ist die Krone befestigt. Sie besteht aus einem Mittelbogen, an den sich mehrere Henkel anlehnen.

Der Klöppel besteht aus dem flachen Blatt, an dem er aufgehängt wird, dem langen Schaft, dem Ballen, auch Kugel und dem Vorhang, auch Schwungzapfen oder Vorschwung genannt. Die genaue Abstimmung des Klöppels (genaue Position des Anschlags an die Glocke) spielt eine wichtige Rolle für die Qualität des Klanges.

Glocken werden seit dem Hochmittelalter durch Gießen in eine Form hergestellt. Hierzu wird heute in das Lehm-, Sand- und Zementformverfahren unterschieden. Das verwendete Gussmaterial heißt Glockenspeise und ist meist eine Zinnbronze aus 76 bis 80 Prozent Kupfer und 20 bis 24 Prozent Zinn. Die meisten heutigen Gießereien verwenden nach wie vor das traditionelle Lehmformverfahren, ausgenommen für den Guss von Kleinstglocken. Dieses Verfahren wurde im 12. Jahrhundert entwickelt und von Friedrich Schiller in seinem bekannten Lied von der Glocke beschrieben. Es besteht aus vier größeren Herstellungsschritten:

  • Erster Arbeitsschritt beim Glockenguss ist die Konstruktion der sogenannten Schablone für die Glockenrippe. Der Glockengießer zeichnet das Profil der Glocke, den halben Querschnitt des Glockenkörpers mit seiner inneren und äußeren Kontur, auf ein Brett. Dadurch sind Ton und Klang der Glocke im Wesentlichen festgelegt. Zunächst wird die Kontur für die Innenseite der Glocke ausgeschnitten.
  • Als nächstes beginnt der Aufbau der Gussform aus Lehmziegeln. Der Glockengießer mauert den hohlen Glockenkern, darüber wird an einer Achse drehbar die Schablone befestigt. In mehreren Schritten wird der Glockenkern nun mit immer feinerem Lehm bestrichen, den der Glockengießer mit Zusätzen vermengt. Die Schablone wird um den Kern gedreht, sodass überschüssiger Lehm dadurch abgezogen wird und eine glatte Oberfläche entsteht. Hiermit ist die Form für die Herstellung der Glockenform abgeschlossen. Für die Trocknung wird der Kern von innen aufgeheizt.
  • Im dritten Schritt wird die falsche Glocke geformt. Sie besitzt bereits die Form der zu gießenden Glocke, besteht aber aus Lehm. Die Schablone wird entlang der äußeren Konturlinie ausgeschnitten. Auf den getrockneten Lehm der Innenform wird zunächst ein Trennmittel aus Talg, Fett oder Graphit aufgetragen. Nach dem Trocknen der falschen Glocke werden auf ihr alle Verzierungen und Glockeninschriften aufgebracht, sie bestehen aus Wachs. Sodann wird über der falschen Glocke die äußere Hülle (der Mantel) der Gussform hergestellt. Die falsche Glocke mitsamt den angebrachten Verzierungen wird wiederum mit einem Trennmittel eingestrichen. Nach der Trocknung wird der Mantel von der falschen Glocke abgehoben. Die Verzierungen sind durch die Erhitzung beim Trocknen geschmolzen, haben jedoch ihren Abdruck im Mantel hinterlassen. Die falsche Glocke wird entfernt.
  • In den entstandenen Hohlraum zwischen Kern und Mantel wird nun im vierten Arbeitsschritt das flüssige Glockenmetall eingefüllt. Zum Glockenguss wird die Grube, in der die Glockenform steht, komplett mit Erde verfüllt. Der Guss wird meist mit folgender überlieferten Losung eingeleitet:
In Gottes Namen lasst’s rinnen, stoßt den Zapfen aus. Gott bewahr’ das Haus.

Erst nach einer Abkühlzeit von mehreren Tagen kann die Glocke aus der Form geholt werden. Dann wird sichtbar, ob der Guss gelungen ist. Als Zeitpunkt für den Guss wird traditionell der symbolträchtige Freitagnachmittag um 15:00 Uhr, die Sterbestunde Jesu Christi, gewählt.

Glockenklang

Glockenton

Der Schlagton bewirkt die empfundene Tonhöhe einer Glocke und wird daher als Nennton bezeichnet. Er setzt sich aus einer bis ins unendliche gehenden Reihe von Teiltönen zusammen, die in der Partialtonreihe beschrieben werden. Die fünf tiefsten Teiltöne: Oktave, Quinte, Quarte, große Terz und kleine Terz werden Prinzipaltöne genannt, die höheren Teiltöne Mixturtöne. Die Prinzipaltöne haben in der Regel stärkere Amplituden und eine längere Abklingdauer als die Mixturtöne und sind daher für den Klang von größerer Bedeutung.

Wie bei einem sichtbaren Körper, der aus einer unendlichen Anzahl von Atomen zusammen gesetzt ist, verhält es sich mit dem hörbaren Ton der Partialtonreihe. Hier ein Beispiel: Angenommener Schlagton ist c1, dann ist der erste Partialton c2 (acht Töne über c1), der zweite Partialton die Quinte g2 (fünf Töne über c2), sie verstärkt akustisch den Unterton c2, der dritte Partialton ist die Quarte (4 Töne über g2) das c3, der vierte Partialton ist die große Terz e3 (drei Ganztöne über c3) und der fünfte Partialton die kleine Terz (zweieinhalb Töne über e3) der Ton g3; 4. und 5. Teilton sind Töne des C-dur Dreiklangs. Alle Teiltöne verweisen auf den hörbaren Summantionston C.

Wer einem Glockengeläut aus gewisser Distanz zuhört, wird bemerken, dass sich der gehörte Glockenton der schwingenden Glocke leicht verändert, je nachdem ob sich die Glocke bei der Pendelbewegung dem Hörenden zu- oder abwendet - ähnlich wie bei einem vorüber fahrenden Fahrzeug mit Martinshorn. Diesen Effekt nennt man den Doppler-Effekt. Er ist die zeitliche Stauchung bzw. Dehnung eines Signals bei Veränderungen des Abstands zwischen Sender und Empfänger während der Dauer des Signals. Ursache ist die Veränderung der Laufzeit. Dieser rein kinematische Effekt tritt bei allen Signalen auf, die sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit (Schallgeschwindigkeit) ausbreiten. Bei periodischen Signalen erhöht bzw. vermindert sich demnach die beobachtete Frequenz.

Läuten

Über die Läuteordnungen hinaus, die bestimmen, welche Glocken zu welchen Anlässen in welcher Reihenfolge geläutet werden, entwickelten sich in den einzelnen Ländern Europas weitere Läutesitten. Das Beiern ist im Rheinland und Norddeutschland gebräuchlich.<ref>Siehe auch das Kindervolkslied: Bim, Bam, Beier...</ref> Es ähnelt dem russischen Glockenschlagen. Dabei wird ein Klöppel durch ein Seil an den inneren Glockenrand gezogen oder die Glocke mit einem Hammer von außen angeschlagen. Das Changeringing wird in England geübt. Hierbei werden die Glocken in Form des Wechselläutens eingeschwungen, bis sie auf dem Kopf stehen, wo sie durch eine Vorrichtung in Stellung gehalten werden. Die erste Gilde der Change-Ringer wurde 1254 von König Heinrich III. in London anerkannt. Das Ambrosianische Läuten ist in Südeuropa beheimatet, auf der iberischen Halbinsel wird das Esquilion praktiziert, bei dem die Glocken um die eigene Achse routierend geläutet werden.

Funktion und Inschriften

Seitlich am Turm angebrachte Stundenglocke einer Turmuhr auf dem Hofer Theresienstein

Glocken sind entweder in der Inschrift einem Heiligen oder einem Anlass, wie beispielsweise die Maria Gloriosa im Erfurter Dom, gewidmet oder bekommen im Volksmund einen Namen wie der dicke Pitter im Kölner Dom. Bei der Läuteordnung wird der Name der Glocke berücksichtigt, wie etwa bei der aufgegossenen Inschrift, die Toten geleit’ ich (Totenglocke). Zum täglichen Angelusgebet erklingt in katholischen Pfarreien meist die Marien- oder Angelusglocke.

Auch öffentliche Gebäude wie Rathäuser und Schulen haben gelegentlich Uhrtürme mit Glocken zur Zeitanzeige oder als Alarmzeichen. Desweiteren gibt es öffentliche Glocken der Mahnung und des Gedenkens (Friedensglocke ect.).

Bis ins späte Mittelalter wurden die Glocken nur einzeln geläutet. Jede Glocke hatte ihre spezielle Funktion, ihren Anlass, zu dem sie zu erklingen hatte. Auf eine harmonische oder melodische Abstimmung bei einem Zuguss wurde nicht geachtet. Einige Glockenbezeichnungen und Funktionen, wie etwa die Armesünderglocke, gibt es heute nicht mehr. Inschriften oder Zusätze wie ‚vivos voco, fulgura frango‘ belegen, dass Glocken auch profane Aufgaben zugedacht wurden, beispielsweise die Abwehr von Blitz, Unwetter und als Brandglocke.

Die Inschriften von Glocken beinhalten zunächst den Namen des Gießers und das Gussjahr der Glocke, dann folgt der Widmungsspruch. Bei frühen mittelalterlichen Glocken können Gussjahr, Name des Gießers oder beide Angaben fehlen (anonyme Gießer). Aufgrund der Zier oder Form der Schrift ist es teilweise möglich, die Glocke einem bestimmten Gießer zuzuschreiben. Beim Fehlen des Gussjahres kann die Glocke nach Form und Klangstruktur einem Jahrhundert oder einer Glockengießergeneration zugeordnet werden. Das Gussjahr kann in Form eines Chronogramms vorliegen. Inschriften des deutschen Sprachraumes im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit lassen sich neuerdings auch online entschlüsseln, mit Hilfe des Projekts Deutsche Inschriften Online.<ref>inschriften.net</ref>

Glockenspiel (Carillon)

Carillonneur am Turmglockenspiel

Mehrere im Ton aufeinander abgestimmte Glocken einer Stadt bilden ein Stadtgeläut. Ein bekanntes Beispiel ist das Frankfurter Stadtgeläut, das 50 Glocken von zehn Kirchen in der Innenstadt von Frankfurt am Main umfasst und das seit 1978 viermal im Jahr zu den kirchlichen Festen Erster Advent, Heiligabend, Ostern und Pfingsten erklingt. Auch in kleineren Orten wird heutzutage auf ein harmonisch und melodisch aufeinander abgestimmtes Stadtgeläut geachtet: In der Stadt Chur sind beispielsweise die Glocken aller Kirchen aufeinander abgestimmt, damit das sonntägliche Geläut harmonisch erklingt.

Mehrere im Ton aufeinander abgestimmte Glocken, die in bestimmten Zeitintervallen angeschlagen werden, so dass eine Melodie entsteht, werden Glockenspiel genannt. Ein Carillon ist demzufolge ein großes Turm-Glockenspiel dessen Glocken mittels einer Klaviatur oder mechanisch (z. B. mittels einer Walze) gespielt werden können. Der Name Carillon ist von quatrillionem abgeleitet, dem rhythmischen Anschlag von vier Glocken der Turmwächter im Mittelalter. Der Spieltisch eines Carillons gleicht etwa dem einer Orgel und ist genormt. Gemäß der World Carillon Federation (WCF) muss ein Carillon mindestens 23 gegossene Bronzeglocken enthalten. Aber auch kleinere Turm-Glockenspiele mit nicht genormtem Spieltisch werden oft als Carillon bezeichnet.

Die meisten Glockenspiele weltweit gibt es in den Niederlanden (806 Glockenspiele, davon 158 Carillons), in Deutschland sind es insgesamt 41. Das größte Carillon Deutschlands, im Roten Turm in Halle/Saale, besitzt 76 Glocken (zuzüglich 5 Glocken für den Uhrschlag). Das grösste Carillon der Schweiz befindet sich in der Abtei St-Maurice. Es wurde von einer holländischen Firma erbaut und erstreckt sich über vier Oktaven (von gis° bis cis5). Die 49 Glocken dieses Carillons haben ein Gesamtgewicht von 15 Tonnen. Das grösste Carillon Österreichs beinhaltet 48 Glocken und befindet sich im Dom St. Jakob zu Innsbruck. Das Zisterzienserstift Heiligenkreuz besitzt ein Carillon mit 37 Glocken.

Brauchtum und Mythologie

Glockenbrauch beim Almabtrieb

Brauchtum:

  • Almauftrieb und Almabtrieb (Deutschland, Österreich, Schweiz)
  • Chalandamarz im Engadin (Schweiz)
  • Chesslete in Solothurn (Schweiz)
  • Der Kurent beim Karneval in Ptuj (Pettau) (Slowenien)
  • Ausläuten des alten und Einläuten des neuen Jahres (weltweit)
  • Güdelmontag in Einsiedeln (Schweiz)
  • Klausenumzug in Arth (Schweiz)
  • Klausjagen in Küssnacht am Rigi (Schweiz)
  • Pelzmarti in Kandersteg (Schweiz)
  • Röllibutzen in Altstätten (Schweiz)
  • Schellenrühren in Mittenwald (Bayern)
  • Schellerlaufen in Nassereith (Tirol)
  • Schleicherlaufen in Telfs (Tirol)
  • Silvesterklaus in Urnäsch (Schweiz)
  • Uebersitz in Meiringen (Schweiz)
  • Übersitz mit Trycheln (im nördlichen Alpenraum)

Buddismus:
In der tibetischen Kultmusik des Buddhismus werden Stielhandglocken (tibetisch: dril-bu, eingesetzt. Sie läuten die Gebetszeiten ein und symbolisieren das weibliche Prinzip der absoluten Reinheit. Eine tibetische Stielhandglocke wird in der linken Hand gehalten, ihr männliches Gegenstück, der Donnerkeil: vajra oder dorje, in der rechten Hand.

Christen- und Judentum:
Im Christentum zeigt das Glockengeläut die Zeit zum Gebet an. Christen in arabischen Ländern verwendeten hierfür früher ein Naqus genanntes Holzbrett, orthodoxe Christen in Osteuropa schlagen als Gebetsruf bis heute mancherorts das dem Naqus entsprechende Semantron. Glocken sollen die Ankunft des heiligen Geistes verkünden. Im 2. Buch Mose wird den Priestern des Jahwe geboten, sich mit Glocken zu schmücken. Im Buch Jesaja wird den Frauen dasselbe verboten.

Hinduismus:
Ghantas (Stielhandglocken) gehören auch zu hinduistischen Tempelritualen (Puja) in Indien.

Schintoismus:
Japanische Tempelglocken hängen häufig in eigenen Pavillons und werden von einem entsprechend großen Stück Holz (Baumstamm) von außen angeschlagen.

Volksglaube:
Beim Wetterläuten sollten früher Geister und Dämonen ferngehalten werden. Das Geläut von Kirchenglocken sollte allgemein Dämonen erschrecken und zum Flüchten bringen, wie Durandus im 14. Jahrhundert schrieb. Aus diesem Grund schmückten sich die Menschen in Europa, insbesondere die Kinder, mit Glöckchen, um böse Geister und den bösen Blick abzuwehren.

Bekannte Glocken

Kunigundenglocke des Bamberger Doms von 1185

Alte Glocken

  • Der Saufang, Köln Stadtmuseum, ist möglicherweise die älteste Glocke Deutschlands.
    Entstehungsgeschichte und Entstehungszeit sind unbekannt. Schweine sollen sie aus einem Sumpf nahe der Kirche St. Cäcilien ausgegraben haben.
  • Die Gallusglocke in St. Gallen ist die älteste Glocke der Schweiz (7./8. Jahrhundert).
  • Die Kunigundenglocke im Dom zu Bamberg wurde gegossen 1185 (Bienenkorbform).
  • Die Hosanna-Glocke im Freiburger Münster wurde gegossen 1258 und wiegt etwa 3 Tonnen.

Große Glocken

  • Die Glocke Zar Kolokol im Moskauer Kreml ist die größte Glocke der Welt (210 t, 6,14 m hoch). Diese Glocke läutet nicht mehr, da sie bei einem Brand im Jahre 1737 vom Glockenturm stürzte. 1836 wurde sie auf einen 1 m hohen Granitsockel neben dem Kreml aufgestellt.
  • Die Dicke befindet sich im Kaisertempel in Osaka (114 t) und wurde im Jahre 1900 gegossen.
  • Die Große befindet sich im Glockentempel in Peking (53 t) und wurde 1403 gegossen.
  • Die Millenniumsglocke, die World Peace Bell in Newport, Kentucky (ca. 33 t) ist die schwerste freihängende läutbare Glocke der Welt und wurde 1998 in Frankreich gegossen.
  • Die Petersglocke, der Dicke Pitter im Kölner Dom (24,2 t, Durchmesser 3,22 m) ist die größte freischwingend läutbare Glocke der Welt, die größte Glocke Europas und wurde 1923 von Heinrich Ulrich aus Apolda gegossen (Nominalton c°).
  • Die Campana dei Caduti in Rovereto (22,639 t, Durchmesser 3,21 m) wurde 1964 von Paolo Capanni aus Castelnovo gegossen (Nominalton h°).
  • Die Pummerin hängt im Stephansdom Wien (21,380 t davon 813 kg Klöppelgewicht, Durchmesser 3,14 m). Sie wurde 1711 gegossen, 1945 zerstört und 1951 neu gegossen (Nominalton c°).
  • Die La Savoyarde in Sacré-Coeur Paris (18,835 t, Durchmesser 3,03 m) wurde 1891 von Georg Paccard aus Annecy gegossen (Nominalton cis°).
  • Die Maria Gloriosa im Erfurter Dom (11,730 t, Durchmesser 2,58 m) ist die größte frei schwingende mittelalterliche Glocke Europas, 1497 wurde sie durch Gerhard van Wou aus Kampen gegossen (Nominalton e°).
  • Die Große Glocke im Berner Münster (10,55 t, Durchmesser 2,473 m) ist die größte Glocke der Schweiz und wurde 1611 von A. Zehnder (Bern) und P. Füssli (Zürich) gegossen.

Glockenfriedhof

Glockenfriedhof in Hamburg 1947

Unter dem Namen Glockenfriedhof wurden Sammelplätze von Kirchenglocken während des Ersten und Zweiten Weltkrieges bekannt. Kirchenglocken waren wegen ihres Bronzegehaltes kriegswichtiges Material und wurden während des Ersten und Zweiten Weltkrieges zwangsweise eingezogen, um eingeschmolzen vor allem in der Rüstungsindustrie Verwendung zu finden. Von den Sammelplätzen aus gelangten die Glocken zur industriellen Weiterverarbeitung. In Deutschland waren sie Teil der sogenannten Metallspende des deutschen Volkes.

Schätzungen gehen davon aus, dass im Ersten Weltkrieg rund 65.000 Glocken eingeschmolzen wurden. Zur Förderung der Erinnerungskultur rief 1917 die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde dazu auf, Glockensprüche, Glockensagen und Glockenbräuche zu sammeln. Die Einsender begnügten sich häufig jedoch nur mit der Beschreibung der Glocken und ihrer Abnahme. Nach Ende des Ersten Weltkriegs befanden sich 365 der Einschmelzung entgangene Glocken bei der Berliner Metall-Mobilmachungsstelle.

Zwischen 1939 und 1945 wurden zahlreiche, zum Teil auch berühmte Glocken und Bronzedenkmäler eingeschmolzen und gingen damit für immer verloren. Insgesamt wurden knapp 100.000 Glocken eingezogen, von denen etwa 80.000 eingeschmolzen wurden, 45.000 aus Deutschland und 35.000 aus den besetzten Gebieten:

Nach ihrer Abnahme von den Türmen wurden die Glocken gesammelt und durch die Kreishandwerkerschaften in Schiffsladungen und Güterzügen den Hüttenwerken zugeführt. Wegen der günstigen und damals noch ungestörten Verkehrsverbindungen erhielten die beiden Hüttenwerke in Hamburg den weitaus größten Teil aller Glocken. Die anderen deutschen Kupferhütten in Oranienburg, Hettstedt, Ilsenburg, Kall und Lünen wurden an der Verschrottung in geringerem Maße beteiligt.<ref>W. Finke: Die Tragödie der deutschen Kirchenglocken, 1957.</ref>

Nach aufwändigen Identifizierungsmaßnahmen von Vertretern der Kirchen und des Denkmalschutzes wurden die meisten dieser nicht eingeschmolzenen Glocken, so sie nicht durch unsachgemäße Lagerung beschädigt waren, wieder an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben. Heute besteht ein Glockenarchiv, das im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird.<ref>Glockenfriedhof. In: Franklin Kopitzsch und Daniel Tilgner (Hrsg.): Hamburg Lexikon, Zeise Verlag, Hamburg, 2000. ISBN 39805687-9-2. S. 178.</ref>

Literatur

  • Alain Corbin: Die Sprache der Glocken. Ländliche Gefühlskultur und symbolische Ordnung im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Fischer, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-10-010210-X.
  • Winfried Ellerhorst: Handbuch der Glockenkunde. Verlag der Martinus-Buchhandlung, Weingarten 1957.
  • Manfred Hofmann: Die Apoldaer Glockengießerei - alte und neue Geheimnisse. (Mit umfangreichem Allgemeinteil über Glocken.) Weimar 2014, ISBN 978-3-86160-415-0.
  • Kurt Kramer: Klänge der Unendlichkeit. Eine Reise durch die Kulturgeschichte der Glocke. Butzon & Bercker, Kevelaer 2015, ISBN 978-3-7666-2178-8.
  • Kurt Kramer: Die Glocke. Eine Kulturgeschichte. Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern 2007/2012/2016, ISBN 978-3-8367-0597-4.
  • Kurt Kramer (Bearb./Hrsg.): Glocken in Geschichte und Gegenwart. Beiträge zur Glockenkunde. Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen. Badenia-Verlag, Karlsruhe.
    • Band 1: 1986, ISBN 3-7617-0238-8.
    • Band 2: 1997, ISBN 3-7617-0341-4.
  • Anton Lübke: Uhren, Glocken, Glockenspiele. Müllerverlag, Villingen 1980, ISBN 3-920662-03-2.
  • Margarete Schilling: Glocken. Gestalt, Klang und Zier. Verlag der Kunst, Dresden 1988, ISBN 3-364-00041-7.
  • Margarete Schilling: Glocken und Glockenspiele. Greifenverlag, Rudolstadt 1982.
  • Jörg Wernisch: Untersuchungen an Kirchenglocken unter besonderer Berücksichtigung des Klangverhaltens, der Konstruktion und der Werkstoffeinflüsse. Dissertation. TU Wien 2004.
  • Barbara Stühlmeyer: Zwischen Magie und Zeitmanagement. Die Glocken. In: Karfunkel Nr. 91, Waldmichelbach 2010, S. 122-126.

Weblinks

Anmerkungen

<references />