Indulgentiarum doctrina (Wortlaut)

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Apostolische Konstitution
Indulgentiarum doctrina

unseres Heiligen Vaters
Paul VI.
über die Neuordnung des Ablasswesens
1. Januar 1967

(Offizieller lateinischer Text AAS 59 [1967] 5-24)

(Quelle: Nachkonziliare Dokumentation – im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, Band 2, lateinisch und deutscher Text, S. 72-118, Normen 118-127. Imprimatur No. 61/1967 Treveris, die 28 m. Junii 1967 Vicarius Generalis Dr. Hofmann; Die Nummerierung ist mit der englischen Fassung identisch.)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Paulus Bischof

Diener der Diener Gottes

zur fortwährenden Erinnerung

I. Kapitel

Die Offenbarung als Fundament der Ablasslehre und -praxis

1 Ablasslehre und -praxis gelten seit vielen Jahrhunderten in der Kirche. Sie gründen wie auf einem festen Fundament auf der göttlichen Offenbarung<ref>Vgl. Konzil von Trient, 25. Sitzung, Dekret über die Ablässe: „Da von Christus der Kirche die Vollmacht gegeben wurde, Ablässe zu gewähren und da die Kirche diese von "Gott gegebene Vollmacht seit den ältesten Zeiten gebrauchte,..." (DS [= Denzinger-Schönmetzer] 1835); vgl. Mt 28,18.</ref>, die, von den Aposteln überliefert, "unter dem Beistand des Heiligen Geistes in der Kirche fortschreitet", indem "die Kirche... im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen strebt, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen<ref>2. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konstitution über die Göttliche Offenbarung „Dei Verbum", Art. 8 (AAS 58 [1966], 821); vgl. l. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konstitution über den katholischen Glauben „Dei Filius", 4. Kap. „Über Glauben und Vernunft" (DS 3020).</ref>".

Zum richtigen Verständnis dieser Lehre und ihrer heilsamen Anwendung müssen wir uns gewisse Wahrheiten ins Gedächtnis rufen, an denen die gesamte Kirche im Lichte des göttlichen Wortes allzeit im Glauben festgehalten hat und die die Bischöfe als Nachfolger der Apostel und besonders die Päpste als Nachfolger des heiligen Petrus in der seelsorglichen Praxis wie auch in den Urkunden der Lehrverkündigung im Lauf der Jahrhunderte gelehrt haben und noch lehren.

Straffolgen aus den Sünden

2 Nach der Lehre der göttlichen Offenbarung folgen aus den Sünden von Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit auferlegte Strafen. Sie müssen in dieser Welt durch Leiden, Not und Mühsal des Lebens und besonders durch den Tod<ref>Vgl. Gen 3,16-19: „Zur Frau sprach er (Gott): ,Zahlreich will ich deine Beschwerden machen und deine Schwangerschaften; unter Schmerzen sollst du Kinder gebären. Und doch steht dein Begehren nach deinem Mann, er aber soll herrschen über dich'. Zum Manne sprach er: ,Du hast auf die Stimme deiner Frau gehört und vom Baume gegessen, von dem zu essen ich dir streng verboten habe; darum soll der Ackerboden verflucht sein um deinetwillen; mühsam sollst du dich von ihm nähren alle Tage deines Lebens! Dornen und Gestrüpp soll er dir sprießen... Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verzehren, bis du zum Ackerboden wiederkehrst, von dem du genommen bist. Denn Staub bist du, und zum Staube sollst du heimkehren." 
Vgl. auch Lk 19,41-44; Rom 2,9 und l Kor 11,30. 
Vgl. Augustinus, Erklärungen zu den Psalmen 58, l, 13: „Jegliche Bosheit, ob klein oder groß, muss gebüßt werden, entweder durch freiwillige Buße des Menschen oder durch die Strafe Gottes" (CCL 39,739; PL 36,701). 
Vgl. Thomas v. Aquin, S. Th. l-2, q. 87, a. l: „Da aber die Sünde eine ungeordnete Handlung ist, ist klar, dass jeder, der sündigt, gegen irgendeine Ordnung handelt. Daher folgt es aus der Ordnung selbst, dass er bedrückt wird. Und diese Bedrückung ist Strafe."</ref>, oder in der künftigen Welt durch Feuer und Qual oder Reinigungsstrafen abgebüßt werden<ref>Vgl. Mt 25, 41 f.: „Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln. Denn ich war hungrig, und ihr habt mich nicht gespeist." Siehe auch Mk 9, 42 f.; Joh 5, 28 f.; Rom 2,9; Gal 6,6-8. 
Vgl. 2. Konzil von Lyon, 4. Sitzung, Glaubensbekenntnis des Kaisers Michael Paläologus (DS 856-858). 
Vgl. Konzil von Florenz, Dekret für die Griechen (DS 1304-1306). 
Vgl. Augustinus, Handbüchlein 66,17: „Vieles scheint auf dieser Welt verziehen und nicht bestraft zu werden; doch werden die Strafen dafür auf später aufbewahrt. Nicht umsonst wird ja auch jener Tag im eigentlichen Sinn als Gerichtstag bezeichnet, an dem der Richter über Lebende und Tote kommen wird. So wird umgekehrt hier manches bestraft und schadet dann, nachdem es verziehen ist, in der kommenden Welt nicht mehr. Deshalb sagt der Apostel (l Kor 11,31 f.) von gewissen zeitlichen Strafen, die in diesem Leben den Sündern, deren Sünden getilgt werden, auferlegt werden, damit sie nicht bis zum Ende aufbewahrt werden: Gingen wir nämlich mit uns selbst ins Gericht, würden wir vom Herrn nicht gerichtet werden; werden wir aber gerichtet vom Herrn, dann erfahren wir Züchtigung, damit wir nicht mit dieser Welt verdammt werden" (Ausg. Scheel, Tübingen 1930. 42; PL 40, 263).</ref>. Die Christgläubigen waren daher immer überzeugt, dass der Weg des Sünders vielerlei Anstoß biete und dass er für jene, die ihn gehen, hart, dornenreich und schaden-bringend sei<ref>Vgl. Pastor Hermae, Mand. 6, l, 3 (Funk, Apostolische Väter 1,487).</ref>.

Verschiedene Dimensionen der Sünde

Diese Strafen werden nach Gottes gerechtem und barmherzigem Urteil auferlegt zur Reinigung der Seelen, zum Schutz der Heiligkeit der sittlichen Ordnung und zur Wiederherstellung der Ehre Gottes in ihrer ganzen Majestät. Jede Sünde bringt nämlich eine Störung der universellen Ordnung, die Gott in unaussprechlicher Weisheit und unendlicher Liebe gesetzt hat, und eine Zerstörung unermesslicher Güter für den Sünder selbst wie auch für die Gesamtheit der Menschen mit sich. Der Christenheit aller Zeiten war es klar, dass die Sünde nicht nur eine Übertretung des göttlichen Gesetzes ist, sondern darüber hinaus, wenn auch nicht immer direkt und offenkundig, eine Geringschätzung und Vernachlässigung der persönlichen Freundschaft zwischen Gott und Mensch<ref>Is l,2f: „Söhne zog ich heran und erhöhte ich, sie aber lehnten sich gegen mich auf. Ein Ochs kennt seinen Besitzer, ein Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber hat keinen Verstand." Vgl. auch Dt 8,11 und 32,15 ff; Ps 105,21 und 118 an vielen Stellen; Weish 7,14; Is 17,10 und 44, 21; Jer 33,8; Ez 20, 27. 
Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei Verbum", Art. 2: „In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol l, 15; l Tim l, 17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14 f) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3, 38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen" (AAS 58,1966, 818). Vgl. auch ebd. Art. 21 (a.a.O.) 827-828).</ref> und eine wahre, niemals hinreichend einzuschätzende Beleidigung Gottes, ja eine undankbare Zurückweisung der uns in Christus dargebotenen Liebe Gottes; hat doch Christus seine Jünger Freunde genannt, nicht Knechte <ref>Vgl. Joh 15,14 f. 
Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes", Art. 22 (AAS 58, 1966,1042) und Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche „Ad gentes divinitus", Art. 13 (AAS 58, 1966, 962).</ref>.

Persönliche Umkehr und Wiederherstellung der gestörten Ordnung

3 Zur völligen Nachlassung und sogenannten Wiedergutmachung der Sünden muss daher nicht nur in aufrichtiger Umkehr der Gesinnung die Freundschaft mit Gott erneuert und die seiner Weisheit und Güte zugefügte Beleidigung gesühnt werden, sondern alle persönlichen, gesellschaftlichen und zur allgemeinen Ordnung gehörenden Güter, die durch die Sünde geschädigt oder zerstört worden sind, müssen auch vollgültig wiederhergestellt werden. Dies kann geschehen durch freiwillige Wiedergutmachung, der der Strafcharakter nicht fehlt, aber auch durch das Ertragen der Sündenstrafen, die Gott weise, heilig und gerecht bestimmt hat. Sie sollen die Heiligkeit und den Glanz der Ehre Gottes in der ganzen Welt aufleuchten lassen. Am Bestehen und an der Schwere der Strafen aber erkennt man die Torheit und Bosheit sowie die schlimmen Folgen der Sünde.

Bleibende Strafen nach 'Vergebung der Schuld

Dass auch nach der Sündenvergebung noch Strafen abzubüßen und Überbleibsel der Sünden zu tilgen bleiben können und oft tatsächlich bleiben<ref>Vgl. Num 20,12: „Der Herr sprach zu Moses und Aaron: ,Weil ihr kein Vertrauen in mich gesetzt und mich vor den Augen der Israeliten nicht als den Heiligen geehrt habt, werdet ihr diese Gemeinde nicht in das Land, das ich für sie bestimmt habe, hineinführen.'" 
Vgl. Num 27,13 f: „Hast du es geschaut, so wirst du zu deinen Stammesgenossen versammelt werden, gleich wie dein Bruder Aaron. Denn ihr habt in der Wüste Zin, als die Gemeinde haderte, Widerwillen gezeigt, mich als den Heiligen zu ehren vor ihren Augen durch die Wasserspende." 
Vgl. 2 Kon 12, 13 f; „Da sprach David zu Nathan: ,Ich habe gegen den Herrn gesündigt.' Nathan entgegnete: ,Gut, der Herr vergibt dir deine Sünde. Du wirst nicht' sterben. Weil du aber den Herrn durch diesen Frevel offen verhöhnt hast, muss der Sohn, der dir geboren wird, des Todes sterben.'" 
Vgl. Innozenz IV., Instruktion für die Griechen (DS 838). 
Vgl. Konzil von Trient, 6. Sitzung, Kanon 30: „Wer behauptet, nach erlangter Rechtfertigungsgnade werde dem bußfertigen Sünder die Schuld so erlassen und die Strafwürdigkeit für die ewige Strafe so getilgt, dass auch keine Strafwürdigkeit zu einer zeitlichen Strafe mehr abzubüßen bleibe, sei es in diesem Leben oder im zukünftigen im Reinigungsort, bevor der Zugang zum Himmelreich offen steht, der sei ausgeschlossen." 
Vgl. Augustinus, Traktat zum Johannesevangelium 124, 5: „Der Mensch wird genötigt, (dieses Leben) auch nach Verzeihung der Sünden zu ertragen, obwohl der Grund dafür, dass er in dieses Elend kam, die erste Sünde gewesen ist. Die Strafe dauert nämlich länger an als die Schuld, damit man die Schuld nicht für gering halte, da ja mit ihr auch die Strafe zu Ende ist. Zum Aufweis des zugezogenen Elends oder zur Besserung des hinfälligen Lebens oder zur Übung der notwendigen Geduld hält den Menschen die Strafe für eine Zeitlang noch fest, auch wenn ihn keine Schuld mehr der ewigen Verdammnis verfallen sein lässt."</ref>, zeigt ganz deutlich die Lehre vom Reinigungsort. Hier werden ja die Seelen der Verstorbenen, die "mit wahrer Buße in der Liebe Gottes gestorben sind, ohne zuvor durch würdige Früchte der Buße für ihre Vergehen und Unterlassungen Genugtuung geleistet zu haben<ref>2. Konzil von Lyon, 4. Sitzung (DS 856).</ref>", nach dem Tode durch Reinigungsstrafen geläutert. Auch die liturgischen Gebete zeigen das an, in denen die Gemeinschaft der Christen seit ältester Zeit bei der heiligen Versammlung betet: "Mit Recht leiden wir Not für unsere Sünden; doch um der Ehre deines Namens willen mach in deinem Erbarmen uns frei<ref>Vgl. Kirchengebet zum Sonntag Septuagesima:
Herr, unser Gott, erhöre in Güte das Flehen deines Volkes; mit Recht leiden wir Not für unsere Sünden; doch um der Ehre deines Namens willen mache in deinem Erbarmen uns frei.
Vgl. das „Gebet über das Volk" am Montag nach dem l. Fastensonntag: Wir bitten dich, Herr, unser Gott, löse die Ketten der Schuld; und was wir unserer Sünden wegen verdienen, in deiner Gnade wende es ab. 
Vgl. Schlussgebet am 3. Fastensonntag: Wir bitten dich, Herr, löse uns gnädig von aller Schuld und Gefahr, der du uns Anteil gewährst am hochheiligen Mahle.</ref>."

Lässliche Sünden

Alle Menschen aber begehen auf der Wanderschaft in dieser Welt zumindest die sogenannten lässlichen und alltäglichen Sünden<ref>Vgl. Jak 3,2: „In gar mancher Hinsicht fehlen wir alle." 
Vgl. 1 Joh l, 8: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns." Diesen Text kommentiert das Konzil von Karthago folgendermaßen: „Ebenso: wer glaubt, das Wort des Apostels Johannes: ,Wenn wir sagen, wir haben keine Sünden, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns', müsse man so auffassen, als wolle er sagen: wir müssen aus Demut sagen, dass wir Sünde haben, nicht weil es wirklich so ist, der sei ausgeschlossen" (DS 228). 
Vgl. Konzil von Trient, 6. Sitzung, Dekret über die Rechtfertigung, Kapitel 2 (DS 1537).
Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Dogm. Konstitution über die Kirche „Lumen gentium", Artikel 40: „Da wir aber in vielem alle fehlen (vgl. Jak 3, 2), bedürfen wir auch ständig der Barmherzigkeit Gottes und müssen täglich beten: ,Und vergib uns unsere Schuld' (Mt 6,12)" (AAS 57,1965,45).</ref>. So bedürfen alle der Barmherzigkeit Gottes, um von den Straffolgen ihrer Sünden frei zu werden.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />