Kirchenlied (Gesangbuch)

Aus kathPedia
(Weitergeleitet von Kirchenlied)
Zur Navigation springenZur Suche springen
Titel der 2. Auflage (1938)

Kirchenlied ist das erste überdiözesane deutschsprachige geistliche Liederbuch.

Geschichte

Zunächst als Jugendbuch gedacht, setzte es sich bald in allen Altersgruppen durch. Es war eine Sammlung von 140 Kirchenliedern aus verschiedenen Epochen. Herausgegeben wurde es von Josef Diewald, Adolf Lohmann (1907-1983) und Georg Thurmair (1909-1984) und erschien erstmals 1938,<ref>Vorwort mit Datum vom Karsamstag 1938</ref> zunächst im Verlag Jugendhaus Düsseldorf, bald wegen der Schließung des Jugendhauses Düsseldorf durch die Nationalsozialisten beim Christophorus Verlag (Berlin und Freiburg). 120 der 140 Lieder des "Kirchenlied" fanden Eingang in das spätere Gebet- und Gesangbuch (GGB) "Gotteslob".

Eine Arbeitsgruppe um die drei Herausgeber des "Kirchenlied" sichtete zahlreiche Sammlungen und verständigte sich auf eine zeitgemäße Auswahl. Dabei hatten Gesänge aus dem 16. Jahrhundert oder früher (Lieder der Urform) einen höheren Stellenwert, während Lieder des 18. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts als stark „von der Urform abgewichen“ und wegen ihrer „oberflächlichen Haltung“, abgelehnt wurden.

Kirchenlied/Gotteslob (1938/1942), Layoutbeispiel in der Gestaltung von Alfred Riedel (Lied 59, S. 74/75)

Aus dem Schaffen junger Autoren wurde eine kleine Anzahl in das Kirchenlied aufgenommen. „Die Versuche mit diesen Liedern in Singestunden geben uns Hoffnung, daß sie sich bald durchsetzen werden.“<ref>Josef Diewald: Zum "Kirchenlied". In: Jugendhaus Düsseldorf (Hrsg.): Jugendseelsorger. Werkblatt für die Seelsorge männlicher Jugend. 42. Jahr, Düsseldorf 1938, S. 119-126, hier S. 120f., zitiert bei Thomas Labonté: Die Sammlung "Kirchenlied" (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 13f.15.</ref> Mit den „jungen Autoren“ sind Autoren wie Georg Thurmair (verheiratet mit der Liedtexterin Maria Luise Thurmair) und Adolf Lohmann gemeint. In ihrer Arbeit wollten die Herausgeber „Brücken schlagen, vom Volkslied zur Gregorianik, zum deutschen Kirchenlied, von der Jugendmusik zur Kirchenmusik.“ Bei den Liedtexten wurde die Betonung eines Wir-Gefühls einer subjektiv-individuellen Frömmigkeit vorgezogen.

Der Christopherusverlag brachte zusätzlich 1938/1939 und 1942 unter dem Titel "Gotteslob - Kirchengebet und Kirchenlied" eine kombinierte Ausgabe des seit 1928 sehr verbreiteten Gebetbuchs "Kirchengebet" und der Notenausgabe des "Kirchenlied" heraus, ergänzt um ein Choralamt.

Kritik

Gegen Kirchenlied erhob sich Kritik aus theologischen und kirchenmusikalischen Gründen. Zum einen war die Tatsache, dass eine größere Zahl Lieder protestantischen Ursprungs aufgenommen wurde, Anlass für Widerspruch, markant vorgetragen unter anderem vom Freiburger Erzbischof Conrad Gröber. Zum anderen war eine deutliche Gegenposition beim Cäcilien-Verband für Deutschland, dem Dachverband der katholischen Kirchenmusik, auszumachen. Der Cäcilienverband propagierte damals den Gregorianischen Choral und die „Altklassische Vokalpolyphonie“ als der Liturgie der Kirche besonders angemessen und berief sich dabei auf die Apostolische Konstitution Divini cultus sanctitatem von Papst Pius XI. vom 20. Dezember 1928. Der Verband lehnte die Jugendmusikbewegung und ihre Einflüsse auf die Kirchenmusik ab und stand auf dem Standpunkt, „jede Musik profaner Natur sei aus den Kirchen zu verbannen“.<ref>Thomas Labonté: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 38–53, hier S. 174f., u. a. mit Verweis auf: Peter Ackermann: Zwischen Cäcilianismus und Moderne. Vertonungen von Psalmtexten vor dem Hintergrund der kirchenmusikalischen Restauration in Italien. In: Günther Massenkeil (Hrsg.): Kirchenmusikalisches Jahrbuch, 86. Jahrgang. Regensburg 2002, S. 109–125, hier S. 109f.</ref>

Kirchenlied als „Buch des Widerstands“?

In den neuen Liedern im Kirchenlied aus der Feder Georg Thurmairs fand sich – wie in der zeitgenössischen bündischen katholischen Jugend, den in den Singeschiff-Bänden veröffentlichten neuen Liedern der Jugendverbände und auch in den Ansprachen Ludwigs Wolkers auf den Schallplatten – eine „'heroische', 'männlich-kriegerische' Verhaltensorientierung, die viele Überschneidungen mit den 'soldatischen Tugenden' des Nationalsozialismus hatte“ (Arno Klönne<ref>Arno Klönne: Nachwort. In: Christel Beilmann: Eine katholische Jugend in Gottes und dem Dritten Reich. Wuppertal 1989, S. 396, zitiert in: Thomas Labonté: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 163 Anm. 232.</ref>). Nicht zu übersehen sind Vorstellungsverwandtschaften beim „Reichsgedanken“ (Deutsches Reich vs. Gottesreich) oder zwischen Führer und Christkönig in manchen Liedern, Texten und Reden der damaligen kirchlichen Jugendbewegung. Diese Parallelen waren aber zur Entstehungszeit der Texte als Antithesen gemeint.

Ein gewisses Widerstandspotential ist den Liedern nicht abzusprechen: „Das Anders-Sein, das Katholisch-Sein in einem totalitären Staat, in dem der einzelne nur etwas gelten darf, wenn er im Volksganzen aufgeht, ist ein Widerstehen“, so Klönne; in einem solchen Staat überhaupt eine kirchliche „Gegenwelt“ aufzurichten und sich dadurch dem totalitären Anspruch zu entziehen, trägt widerständische Züge.

In dem Thurmairschen „Adventslied“ Der Satan löscht die Lichter aus (Nr. 23) suchen wir einen Weg nach Haus (1. Strophe), während „die Menschen treiben arge List und sinnen viele Lügen“ (2. Str.) und „das Leben ist nicht liebenswert in diesen bösen Zeiten“ (3. Str.). Das Motiv kehrt ähnlich in dem bekannten Thurmair-Lied Wir sind nur Gast auf Erden (Nr. 129) zweifach wieder, pointiert als „Weg zum Vaterhaus“ „mit mancherlei Beschwerden“ in „diesen grauen Gassen“, in denen „niemand bei uns sein“ will. Im „Altenberger Wallfahrtslied“ Nun, Brüder, sind wir frohgemut (Nr. 96) heißt es in Str. 2, gerichtet an Maria: „Wir aber kommen aus der Zeit ganz arm in deine Helle.“ Solche Passagen wurden als Kampfansage an das Nazi-Regime „in verdeckter Schreibweise“<ref>Heidrun Ehrke-Rotermund, Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur 'Verdeckten Schreibweise' im „Dritten Reich“. München 1999, zitiert bei Labonté, S. 156.</ref> verstanden.

Kritiker wenden ein, dass die Texte auf den Zusammenhalt der christlichen Eigengruppe und eine „innere Emigration“ gegenüber dem Regime zielten, ohne aktiven Widerstand zu leisten oder aktiv anderen Verfolgten im Lande zu Hilfe zu kommen.<ref>Thomas Labonté: Exkurs: War Kirchenlied ein Buch des Widerstands? In: ders.: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 155–169, hier S. 168f.</ref> Hans Maier sagte in einer Rede beim 50. Jubiläum des Christophorus-Verlags 1985: „Einerseits war es ganz gewiß schon ein Stück Widerspruch und Widerstand, wenn in einem Raum eben kein Hitlerbild hing, sondern eine Madonna oder ein Dantevers. [...] Andererseits: der mühsam abgeschirmte, mühsam behauptete Raum privater Freiheit, persönlicher Selbstverfügung – konnte er nicht auch zum réduit einer ohnmächtigen Innerlichkeit werden, zu einem Rückzugsfeld, in dem das sogenannte Gute, die Moral, die Anständigkeit sich weniger erhielt und behauptete als versteckte, um nicht 'draußen' gegen die übermächtige Welt antreten zu müssen?“ Und mit Dietrich Bonhoeffer fragte Maier, ob man nicht erst für die Juden schreien musste, ehe man es wagen durfte, Choral zu singen.<ref>Unveröffentlichte Rede beim Verlagsjubiläum, 22. März 1985 in Freiburg, zitiert bei: Thomas Labonté: Exkurs: War Kirchenlied ein Buch des Widerstands? In: ders.: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 168.</ref>

Rezeption

Labonté weist darauf hin, dass die Kommission, in der 1947 unter Vorsitz von Weihbischof Heinrich Metzroth (Trier) Fachleute aus verschiedenen deutschen Diözesen eine Liste von „Einheitsliedern“ erarbeiteten, nicht nur vorhandene Diözesangesangbücher sichtete, sondern besonders auch die Singepraxis in den Gemeinden erforschte und die Einheitslieder nach der Häufigkeit und Beliebtheit im Gemeindegesang auswählte. Dass sich von 74 Einheitsliedern 40 im Kirchenlied finden (= 52,6 %, 17 Lieder in exakter Übereinstimmung mit Text und Melodie der Kirchenlied-Fassung), ist ein eindeutiger Hinweis auf den Erfolg von Kirchenlied in der deutschen katholischen Kirche in nicht einmal zehn Jahren, zumal während der Kriegszeit.<ref>Thomas Labonté: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 181.</ref>

Möglicherweise hatten viele katholische Soldaten aus allen Teilen Deutschlands Kirchenlied (und Kirchengebet) im Gepäck, als gemeinsame Grundlage für die Gottesdienste während des Krieges. Nach dem Krieg, als Flüchtlinge und Vertriebene in die westdeutschen Bistümer kamen, war das durch das Kirchenlied veröffentlichte gemeinsame Liedgut von Vorteil. Etliche Bistümer gaben neue Gesangbücher heraus, in denen Einheitslieder und nicht selten auch Lieder des Kirchenlied über die Einheitslieder hinaus in großen Anteilen übernommen wurden.

In das gemeinsame Gebet- und Gesangbuch Gotteslob, das 1975 erschien, wurden 79 der 140 Lieder des Kirchenlied aufgenommen, also 56,4 %, wenn auch bei den meisten Liedern in einer textlich oder musikalisch überarbeiteten Form. Weitere 56 Lieder wurden in einzelne oder mehrere Diözesananhänge des Gotteslob übernommen. In den vorgenommenen Änderungen schlug sich ein – nicht zuletzt durch das II. Vatikanische Konzil – verändertes Gottes- und Menschenbild und ein erneuertes Kirchenverständnis nieder.<ref>Thomas Labonté: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 193–196.</ref>

Literatur

  • Thomas Labonté: Die Sammlung „Kirchenlied“ (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1.
  • Ludger Stühlmeyer: Die Macht der Töne (zum 80. Jahrestag). In: Heinrichsblatt. Wochenzeitung des Erzbistums Bamberg Nr. 12, 25. März 2018, S. 13.<ref>Beitrag im Webarchiv des Bamberger Heinrichsblatts.</ref>

Anmerkungen

<references />