Marialis cultus (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Marialis cultus

unseres Heiligen Vaters
Paul VI.
an alle Bischöfe die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl leben
über die rechte Pflege und Entfaltung der Marienverehrung
2. Februar 1974

(Offizieller lateinischerText AAS 66 [1974] 153-197)

(Quelle: Papst Paul VI., Die rechte Pflege und Entfaltung der Marienverehrung, Johannes Verlag Leutesdorf am Rhein 1974; mit kirchlicher Druckerlaubnis. Der Text entspricht der deutschen Fassung)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitung: Anlass und Zweck des Dokumentes

Seitdem Wir auf den Stuhl Petri erhoben wurden, haben Wir Uns ständig darum bemüht, den marianischen Kult zu fördern. Wir taten dies nicht nur in der Absicht, dem Empfinden der Kirche und Unserem persönlichen Wunsche Ausdruck zu geben, sondern auch, weil dieser bekanntlich als vorzüglicher Teil zum Bereich jenes religiösen Kultes gehört, in dem sich das Höchstmaß an Weisheit und der Gipfel der Frömmigkeit vereinen,<ref> Vgl. Lactantius, Divinae Institutiones IV, 3, 60-10: CSEL 19, S. 279.</ref> und der deshalb die hauptsächliche Aufgabe des Gottesvolkes ist.

Gerade im Hinblick auf diese Aufgabe haben Wir stets das große Werk der liturgischen Reform mit Nachdruck gefördert, das vom Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzil durchgeführt worden ist. Es ist auch gewiss nicht ohne einen besonderen Plan der göttlichen Vorsehung geschehen, dass das erste Konzilsdokument, das Wir zusammen mit den ehrwürdigen Konzilsvätern ”im Heiligen Geiste” approbiert und unterzeichnet haben, die Konstitution „Sacrosanctum concilium“ gewesen ist, die sich gerade die Erneuerung und die Förderung der Liturgie zum Ziel gesetzt hat, indem sie die Teilnahme der Gläubigen an den heiligen Geheimnissen fruchtbringender gestaltet.<ref>Vgl. SC Nr. 1-3, 11. 21, 48: AAS 56 (1964), S. 97-98, 102-103, 105-106, 118. </ref> Von da an hatten viele Verlautbarungen Unseres Pontifikates dasselbe Ziel, nämlich die Verbesserung des religiösen Kultes, wie es die Veröffentlichung zahlreicher Bücher des römischen Ritus in diesen Jahren bezeugt, die gemäß den Prinzipien und Richtlinien desselben Konzils überarbeitet worden sind. Dafür danken Wir dem Herrn, dem Geber alles Guten, von ganzem Herzen und bekunden auch den Bischofskonferenzen und den einzelnen Bischöfen Unseren Dank, die auf verschiedene Weise mit Uns bei der Ausarbeitung dieser Bücher zusammengearbeitet haben.

Während Wir aber mit frohem und dankbarem Herzen die geleistete Arbeit und die ersten positiven Ergebnisse der liturgischen Erneuerung betrachten, die sich in dem Maße, wie die Reform in ihrer grundlegenden Bedeutung besser verstanden und richtig durchgeführt wird, noch mehr ausweiten werden, hören Wir nicht auf, Unsere aufmerksame Sorge all dem zuzuwenden, was der Erneuerung des Kultes zu einer geordneten Durchführung verhelfen kann, mit dem die Kirche im Geiste und in der Wahrheit (vgl. Joh 4, 24) den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist anbetet, ”mit besonderer Liebe Maria, die Gottesmutter, verehrt<ref>SC Nr. 103: AAS 56 (1S64), S. 125. </ref> und mit religiöser Ehrfurcht das Gedächtnis der Märtyrer und der anderen Heiligen ehrt.

Die von Uns gewünschte Entfaltung der Andacht zur Jungfrau Maria, die – wie Wir eingangs angedeutet haben – in den Rahmen des einen Kultes eingefügt ist, der mit guten Recht christlich genannt werden kann, da er von Christus seinen Ursprung und seine Wirksamkeit hat, in Christus seinen vollkommenen Ausdruck findet und durch Christus im Heiligen Geiste zum Vater führt, ist ein Element, das die echte Frömmigkeit der Kirche kennzeichnet. Denn mit innerer Notwendigkeit lässt sie im liturgischen Leben der Kirche den Erlösungsplan Gottes widerspiegeln, durch den Maria im Hinblick auf die einzigartige Stellung, die sie in ihm einnimmt, eine einzigartige Verehrung zukommt.<ref>Vgl. LG Nr. 66: AAS 57 (1965), S. 65. </ref> So folgt auch jeder echten Entfaltung des christlichen Kultes notwendig ein echtes Wachstum in der Verehrung der Mutter des Herrn. 

Im übrigen zeigt die Geschichte des religiösen Lebens auf, wie ”die verschiedenen Formen der Verehrung der Gottesmutter, die die Kirche im Rahmen der gesunden und rechtgläubigen Lehre gutgeheißen hat”<ref> Ebd. </ref>, sich in harmonischer Unterordnung unter die Christusverehrung entfalten und um ihn kreisen wie um ihren natürlichen und notwendigen Mittelpunkt. Auch in unserem Zeitalter ist dies so der Fall. Die Betrachtung der Kirche unserer Tage über das Geheimnis Christi und über ihr eigenes Wesen haben sie dahin geführt, in der Wurzel des Christusgeheimnisses und in der Krönung ihres Wesens dieselbe Frauengestalt vorzufinden: die Jungfrau Maria, die Mutter Christi und Mutter der Kirche. Und die tiefere Erkenntnis der Sendung Mariens hat sich in jubelnde Verehrung zu ihr gewandelt und in anbetende Ehrfurcht gegenüber dem weisen Plan Gottes, der in seiner Familie – die Kirche –, wie in jedem Heim, die Gestalt einer Frau gegenwärtig wissen wollte, die verborgen und in der Haltung einer Dienerin wach ”und in Güte schützend ihre Schritte zum Vaterland lenkt, bis der glorreiche Tag des Herrn kommt”<ref>Votivmesse BMV, Mutter der Kirche, Präfation. </ref>.

Die Wandlungen, die sich in unserer Zeit im gesellschaftlichen Leben, im Empfinden der Völker, in den Ausdrucksformen der Literatur und der Kunst wie auch in den Formen der Massenmedien vollzogen haben, sind auch nicht spurlos an den Äußerungen des religiösen Lebens vorübergegangen. Bestimmte kultische Übungen, die in einer nicht allzufernen Vergangenheit geeignet schienen, das religiöse Empfinden der einzelnen wie der christlichen Gemeinschaften zum Ausdruck zu bringen, erscheinen heute ungenügend oder ungeeignet, weil gebunden an sozial-kulturelle Schemen der Vergangenheit, während man heute großenteils neue Ausdrucksformen sucht für die unveränderliche Beziehung der Geschöpfe zu ihrem Schöpfer, der Kinder zu ihrem Vater. Das kann bei einigen vorübergehendes Befremden auslösen. Wer aber in vertrauensvollem Aufblick zu Gott über solche Gegebenheiten nachdenkt, entdeckt, dass viele Bestrebungen der heutigen Frömmigkeit – zum Beispiel die Verinnerlichung des religiösen Lebens – dazu angetan sind, für die Entfaltung der christlichen Frömmigkeit im allgemeinen und der Verehrung der Allerseligsten Jungfrau im besonderen beizutragen. So wird unser Zeitalter in treuer Befolgung der Überlieferung und in aufmerksamer Erwägung der theologischen und wissenschaftlichen Fortschritte seinen Beitrag leisten zum Lobe jener, die nach ihren eigenen prophetischen Worten alle Geschlechter selig preisen werden (vgl. Lk 1, 48).

Wir erachten es daher als eine Aufgabe Unseres apostolischen Amtes, mit Ihnen, Ehrwürdige Brüder, einige Themen wie in einem Dialog durchzusprechen, die sich auf die Stellung beziehen, die die Allerseligste Jungfrau im Kult der Kirche einnimmt, die zum Teil schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil<ref>Vgl. LG Nr. 66-67: AAS 57 (1965), S. 65-66; SC Nr. 103: AAS 56 (1964), S. 125. </ref> und von Uns selbst<ref>Apostolisches Schreiben, Signum magnum: AAS 59 (1967), S. 465-475. </ref> behandelt worden sind. Es ist aber nicht unnütz, hierauf zurückzukommen, um Zweifel zu beseitigen und vor allem um die Entfaltung jener Andacht zur Jungfrau zu fördern, die innerhalb der Kirche im Worte Gottes ihre Begründung findet und im Geiste Christi geübt wird.

Wir möchten deshalb auf einige Fragen eingehen, die die Beziehungen zwischen der Liturgie und der Verehrung der Allerseligsten Jungfrau aufzeigen (I); Überlegungen und Richtlinien vorlegen, die geeignet sind, die berechtigte Entwicklung dieser Verehrung zu fördern (II); endlich einige Anregungen für eine lebendige und mehr bewusste Wiederaufnahme des Rosenkranzgebetes zu geben, dessen Übung von Unseren Vorgängern so sehr empfohlen worden ist und das unter dem christlichen Volk eine so weite Verbreitung gefunden hat (III).

Erster Teil: Die Marienverehrung in der Liturgie

1 Wenn Wir nun darangehen, über die Stellung zu sprechen, die die Seligste Jungfrau im christlichen Kult, einnimmt, so müssen wir in erster Linie unsere Aufmerksamkeit der Liturgie zuwenden. Denn sie besitzt außer einem reichen Lehrgehalt eine unvergleichliche pastorale Wirkkraft und hat einen anerkannt beispielhaften Wert für die übrigen Formen des Kultus. Es wäre Unser Wunsch gewesen, die verschiedenen Liturgien des Morgen- und Abendlandes zu betrachten. Aber im Hinblick auf die Zielsetzung dieses Schreibens werden Wir uns fast ausschließlich den liturgischen Büchern des römischen Ritus zuwenden. Denn er allein war in Durchführung der praktischen Vorschriften, die das Zweite Vatikanische Konzil<ref>Vgl. SC Nr. 3: AAS 56 (1964), S. 98. </ref> gegeben hatte, Gegenstand einer tiefgreifenden Erneuerung, auch was die Ausdrucksweise der Marienverehrung betrifft, und fordert darum eine aufmerksame Beachtung und Wertung.

Erster Abschnitt: Maria in der erneuerten römischen Liturgie

2 Die Reform der römischen Liturgie setzte eine wohldurchdachte Erneuerung ihres  Allgemeinen liturgischen Kalenders voraus. Nachdem dieser so aufgebaut war, dass die Feier des Erlösungswerkes mit der notwendigen Herausstellung an bestimmten Tagen ermöglicht wurde, indem das ganze Geheimnis Christi von der Menschwerdung bis zur Erwartung seiner glorreichen Wiederkunft<ref>Vgl. II. Vat. Konzil, ebd. Nr. 102: AAS 56 (1964), S. 125. </ref> auf den Ablauf des Jahres verteilt wurde, hat er es erlaubt, die Gedächtnisfeier der Gottesmutter in den Jahreskreis der Geheimnisse des Sohnes in einer mehr organischen Weise und engeren Verknüpfung einzufügen. 

3 So gedenkt die Liturgie in der Adventszeit, außer am Fest des 8. Dezember – einer Feier, die verbunden ist mit der unbefleckten Empfängnis Mariens, der grundlegenden Vorbereitung (vgl. Jes 11, 1.10) auf die Ankunft des Erlösers und des glücklichen Anfangs einer Kirche ohne Makeln und Falten<ref>Vgl. Römisches Messbuch durch Dekret des II. Vat. Konzils erneuert und im Auftrag Papst Pauls VI. promulgiert. Ed. typica, MCMLXX, 8. Dezember, Präfation. </ref> – häufig der Allerseligsten Jungfrau, vor allem an den Wochentagen zwischen dem 17. und 24. Dezember, und in ganz besonderer Weise am Sonntag, der dem Weihnachtsfest vorausgeht, wo  sie  die alten prophetischen Stimmen über die Jungfrau Maria und über den Messias<ref>Römisches Messbuch durch Dekret des II. Vat. Konzils erneuert, im Auftrag Papst Pauls VI. promulgiert. Ordo lectionum Missae. Ed. typica, MCMLXIX, S. 8: 1. Lesung (Jahr A:  Is  7, 10-14: ”Ecce virgo concipiet”; Jahr B: 2 Sam 7, 1-5. 8b-11.16: ”Regnum David erit usque in aeternum ante faciem Domini”; Jahr C: Mich 5, 2-5a [Hebr 1-4a]: ”Ex te egredietur dominator in Israel”) </ref> vernehmen und Abschnitte aus dem Evangelium vorlesen lässt, die sich auf die bevorstehende Geburt Christi und des Vorläufers beziehen.<ref>Ebd., S. 8: Evangelium (Jahr A: Mt 1, 18-24: ”Iesus nascetur de Maria, desponsata Ioseph, filio David”; Jahr B: Lk 1, 26-38: ”Ecce concipies in utero et paries filium”; Jahr C: Lk 1, 39-45: ”Unde hoc mihi ut mater Domini mei ad me?”). </ref>

4 Auf diese Weise werden die Gläubigen, die mit der Liturgie den Geist des Advents leben, indem sie die unaussprechliche Liebe betrachten, mit der die jungfräuliche Mutter den Sohn erwartete,<ref>Vgl. Römisches Messbuch II. Adventspräfation. </ref> dazu angeleitet, Maria als Vorbild zu nehmen und sich vorzubereiten, dem kommenden Heiland entgegenzugehen „wachend im Gebet und ... in frohlockenden Lobgesängen”<ref>Römisches Messbuch ebd. </ref>. Überdies wollen Wir darauf hinweisen, wie die Adventsliturgie durch die Verbindung der Erwartung des Messias und der Erwartung der glorreichen Wiederkunft Christi mit der verehrungswürdigen Gedächtnisfeier der Gottesmutter ein glückliches Gleichgewicht im Kult darstellt, das als wegweisend angenommen werden kann, um jedes Bestreben zu verhindern, wie es bisweilen in einigen Formen der Volksfrömmigkeit der Fall war, die Marienverehrung von ihrem notwendigen Beziehungspunkt zu lösen, nämlich von Christus. So kommt es, dass dieser Zeitabschnitt, wie die Kenner der Liturgie gezeigt haben, als besonders geeignete Zeit für die Verehrung der Mutter der Herrn gesehen werden muss. Diesem Hinweis pflichten Wir bei. Wir möchten ihn überall bejaht und befolgt sehen.

5 Die Weihnachtszeit bildet eine verlängerte Gedächtnisfeier der göttlichen, jungfräulichen, heilbringenden Mutterschaft jener, deren „unversehrte Jungfräulichkeit dieser Welt den Heiland gebar”<ref>Römisches Messbuch 1. Euch. Hochgebet, Communicantes an Weihnachten und während der Oktav. </ref>. In der Tat, bei der Festfeier der Geburt des Herrn verehrt die Kirche in der Anbetung des göttlichen Heilandes seine glorreiche Mutter; während sie am Feste der Erscheinung des Herrn die universale Berufung zum Heile feiert, betrachtet sie die Jungfrau, den wahren Sitz der Weisheit und wahre Mutter des Königs, die den Weisen den Erlöser aller Völker zur Anbetung entgegenhält (vgl. Mt 2, 11); und am Feste der heiligen Familie Jesus, Maria und Joseph (Sonntag in der Weihnachtsoktav) sucht sie voll Ehrfurcht das heilige Leben zu ergründen, das Jesus, der Gottes- und Menschensohn, Maria, seine Mutter, und Joseph, der gerechte Mann (vgl. Mt 1, 19), im Hause von Nazaret führen.

Bei der Neuordnung des Weihnachtsfestkreises will es Uns scheinen, dass die gemeinsame Aufmerksamkeit auf das wiedereingeführte Fest der heiligen Gottesgebärerin Maria hingelenkt werden muss. Nachdem dieses entsprechend einer antiken Anregung der Liturgie der Stadt Rom auf dem 1. Januar festgesetzt wurde, ist es dazu angetan, den Anteil feierlich herauszustellen, den Maria bei diesem Heilsgeheimnis innehatte sowie die einzigartige Würde zu betonen, die sich hieraus für die „heilige Gottesgebärerin ergab... durch die wir den Urheber des Lebens empfangen durften”<ref>Römisches Messbuch 1. Januar, Ant. zum Introitus und Tagesgebet. </ref>. Gleichermaßen bietet sich eine wiederum günstige Gelegenheit, den neugeborenen Friedensfürsten anzubeten, die Frohbotschaft der Engel zu vernehmen (vgl. Lk 2, 14) und von Gott durch die Vermittlung der Königin des Friedens das hohe Geschenk des Friedens zu erflehen. Darum haben Wir durch das glückliche Zusammentreffen der Oktav des Weihnachtsfestes mit dem 1. Januar, an dem wir unsere Glückwünsche austauschen, den  Weltfriedenstag eingesetzt, der wachsende Zustimmung findet und schon im Herzen vieler Menschen die Segnungen des Friedens reifen lässt.

6 Zu den beiden schon erwähnten Festtagen – Unbefleckte Empfängnis und Gottesmutterschaft Mariens – sind noch die altehrwürdigen Feste des 25. März und des 15. August hinzuzufügen.

Für die Feier der Menschwerdung des Wortes Gottes wurde im Römischen Kalender nach wohlüberlegtem Beschluss die alte Bezeichnung „In Annuntiatione Domini” (Verkündigung des Herrn) wieder eingeführt. Die Feier war und ist in Verbindung mit Christus und der Jungfrau Maria zu sehen: das Göttliche Wort, das der „Sohn Mariens” wird (Mk 6, 3), und die Jungfrau, die Gottesmutter wird. Die östliche und westliche Kirche feiert in dem unerschöpflichen Reichtum ihrer Liturgie diesen Festtag im Hinblick auf Christus als die Erinnerung an das heilbringende ”Fiat” des menschgewordenen Wortes, das beim Eintritt in die Welt sprach: „Siehe, ich komme (...), deinen Willen, o Gott, zu erfüllen“ (vgl. Hebr 10, 7; Ps 39, 8 – 9) als Erinnerung an den Beginn der Erlösung und der unauflöslichen, jungfräulichen Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen in der einen Person des Wortes. Im Hinblick auf Maria wird der 25. März als Fest der neuen Eva, der gehorsamen und getreuen Jungfrau begangen, die mit ihrem hochherzigen „Fiat“  (vgl. Lk 1, 38) durch das Wirken des Heiligen Geistes Gottesgebärerin geworden ist, aber auch die wahre Mutter aller Lebenden. Durch die Aufnahme des einzigen Mittlers (vgl. 1 Tim 2, 5) in ihren Schoß wurde sie zur wahren Arche des Bundes und zum wahren Tempel Gottes. So ist der 25. März Gedächtnisfeier eines Höhepunktes im Heilsdialog zwischen Gott und dem Menschen, Erinnerung an die freie Zustimmung der Jungfrau an ihre Mitwirkung beim Heilsplan Gottes.

Der Festtag des 15. August gedenkt der glorreichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Es ist das Fest ihrer Bestimmung zur höchsten Seligkeit, der Verherrlichung ihrer unbefleckten Seele und ihres jungfräulichen Leibes, ihrer vollkommenen Gleichförmigkeit mit Christus, dem Auferstandenen, ein Fest, das der Kirche und der Menschheit das Bild und den trostvollen Beweis vor Augen stellt, wie letztlich ihre Hoffnung Wirklichkeit wird. Denn diese Vollendung in der Herrlichkeit ist die Bestimmung all jener, die Christus zu seinen Brüdern gemacht hat, weil er mit ihnen „gemeinsam Fleisch und Blut hat” (Hebr 2, 14; vgl. Gal 4, 4). Der Festtag Mariä Himmelfahrt hat seine festliche Fortsetzung in der Feier von Maria Königin, die acht Tage später begangen wird. An diesem Tag schauen wir auf sie, die neben dem König der Ewigkeit thront, als Königin erstrahlt und als Mutter Fürsprache für uns einlegt.<ref>Vgl. Römisches Messbuch 22. August, Tagesgebet. </ref> Vier Feiern also, die mit der höchsten liturgischen Rangordnung die hauptsächlichen dogmatischen Wahrheiten festhalten, die sich auf die demütige Magd des Herrn beziehen.

7 Nach den erwähnten Feiertagen müssen vor allem die Feste Beobachtung finden, die an Ereignisse der Heilsgeschichte erinnern, die Maria in engem Zusammenhang mit ihrem Sohne sehen, wie das Fest Mariä Geburt (8. September), „das für die gesamte Welt Hoffnung bedeutete und die Morgenröte des Heiles”<ref>Römisches Messbuch, 8. September, Schlußgebet. </ref> ; das Fest der Heimsuchung (31. Mai), an dem die Liturgie die Erinnerung weckt an die „Allerseligste Jungfrau Maria..., die ihren Sohn unter dem Herzen trägt”<ref>Römisches Messbuch 31. Mai, Tagesgebet. </ref>, die sich zu Elisabeth begibt, um ihr liebende Hilfe zu leisten und das Erbarmen Gottes, des Heilandes, zu künden;<ref>Vgl. ebd. Tagesgebet und Gabengebet. </ref> oder auch die Gedächtnisfeier der schmerzhaften Mutter (15. September); eine gute Gelegenheit, um einen entscheidenden Augenblick der Heilsgeschichte wiederaufleben zu lassen und zusammen mit ihrem Sohne, „der am Kreuze erhöht ist, die Mutter zu verehren, die mit ihm leidet“.<ref>BM 15. September, Tagesgebet. </ref>

Auch das Fest des 2. Februar, dem die Bezeichnung „In Praesentatione Domini (Darstellung des Herrn)” wiedergegeben wurde, muss beachtet werden, damit sein reicher Inhalt voll ausgeschöpft wird durch das Gedächtnis des Sohnes zusammen mit der Mutter, nämlich die Feier eines Heilsgeheimnisses, das von Christus vollzogen worden ist und mit dem Maria innig verbunden ist als die Mutter des leidenden Knechtes Jahwes, als die Vollstreckerin eines Sendungsauftrages, der dem alten Israel zukam und als Urbild des neuen Gottesvolkes, das ständig im Glauben und in der Hoffnung bei seinen Leiden und Verfolgungen geprüft wird (vgl. Lk 2, 21 – 35).

8 Wenn das überarbeitete Römische Kalendarium vor allem die obenerwähnten Festtage hervorhebt, so zählt es diesen auch andere Arten von Gedächtnistagen oder Festen bei, die an lokale Heiligtümer gebunden sind, aber eine weiter ausgedehnte Beachtung und größeres Interesse gefunden haben (11. Februar: Erscheinung Mariens in Lourdes; 5. August: Weihetag der Basilika S. Maria Maggiore); ferner andere Feste, die ursprünglich von bestimmten Ordensfamilien gefeiert wurden, die aber heute eine solche Verbreitung gefunden haben, dass man sie eigentliche kirchliche Festtage nennen darf (16. Juli: Fest Mariens vom Berge Karmel; 7. Oktober: Rosenkranzfest); hinzu kommen noch andere Gedenktage, die, abgesehen von ihrem apokryphen Ursprung, hohe vorbildliche Werte beinhalten und altehrwürdige Überlieferungen fortführen, die vor allem im Orient ihre Heimat haben (21. November: Mariä Darstellung) oder auch richtungweisende Linien zum Ausdruck bringen, die aus dem religiösen Leben unserer Tage kommen (Sonnabend nach dem zweiten Sonntag nach Pfingsten: Fest des unbefleckten Herzens Mariens).

9 Man darf nicht vergessen, dass das Allgemeine Römische Kalendarium nicht alle Festfeiern marianischer Prägung aufführt. Dem Eigenkalendarium kommt es zu, die marianischen Eigenfeste der einzelnen Ortskirchen aufzunehmen entsprechend den liturgischen Vorschriften und in kindlicher Verehrung zur Gottesmutter. Es bleibt noch auf die Möglichkeit einer öfteren liturgischen Feier zu Ehren der Gottesmutter hinzuweisen durch die Feier der Votivmesse an den Mariensamstagen: eine altehrwürdige und gut eingeführte Feier, die durch die Anpassungsfähigkeit des jetzigen Kalendariums und die Vielfalt der Formulare des Messbuches sehr abwechslungsreich gestaltet werden kann. 

10 In diesem Apostolischen Schreiben beabsichtigen Wir nicht, den gesamten Inhalt des neuen Römischen Messbuches durchzugehen, sondern haben den Wunsch, bei der Bewertung, die Wir Uns für die überarbeiteten Bücher des römischen Ritus vorgenommen haben,<ref>Vgl. Nr. 1, S. 4. </ref> einige Gesichtspunkte und Themen herauszustellen. Vor allem möchten Wir hervorheben, wie die eucharistischen Hochgebete in bewundernswerter Übereinstimmung mit den östlichen Liturgien<ref>Unter den vielen Anaphoren vgl. die folgenden, in besonderer Ehre bei den Orientalen: Anaphora Marci Evangelistae, Euchar. Hochgebet, Ausg. A. Haenggi-I. Pahl, Fribourg, Editions Universitaires 1968, S. 107; Anaphora Iacobi fratris Domini graeca, ebd., S. 257; Anaphora Ioannis Chrysostomi, ebd. S. 229. </ref> in bezeichnender Weise der Allerseligsten Jungfrau Maria gedenken. So der uralte Römische Kanon, der die Mutter des Herrn in Worten feiert, die reich sind an Lehrgehalt und tiefer religiöser Kraft: „Wir stehen in Gemeinschaft und ehren das Andenken, vor allem der allzeit glorreichen Jungfrau Maria, der Gottesgebärerin und Mutter unseres Herrn Jesus Christus“; so das dritte eucharistische Hochgebet, das in inständiger Bitte das Verlangen der Beter, zum Ausdruck bringt, mit der Mutter das Erbe der Söhne zu teilen: ”Er vollende uns dir (dem Vater) zu einer ewigen Gabe, dass wir mit deinen Auserwählten das Erbe erlangen können, vor allem mit der Allerseligsten Jungfrau, der Gottesgebärerin, Maria”. Ein solches tägliches Gedenken muss durch seinen Platz in der Mitte der Messfeier als besonders ausdrucksvolle Form der Verehrung betrachtet werden, die die Kirche der „vom Herrn Auserwählten und Begnadeten” erweist (vgl. Lk 1, 28).

11 Bei Durchsicht der Texte des neu überarbeiteten Messbuches sehen Wir, wie die großen marianischen Themen des römischen Gebetbuches Themen, wie die unbefleckte Empfängnis, die Maria zuteil gewordene Fülle der Gnaden, die Gottesmutterschaft, die unversehrte und fruchtbare Jungfräulichkeit, der Tempel des Heiligen Geistes, die Mitwirkung beim Erlösungswerk des Sohnes, die beispielhafte Heiligkeit, die barmherzige Fürsprache, die Aufnahme in den Himmel, die Königswürde der Gottesmutter und andere mehr – die Lehre der vergangenen Jahrhunderte in vollkommener Übereinstimmung fortsetzen, und wie andere, in gewissen Sinne neue Themen, sich ebenso an die theologische Entwicklung unserer Zeit anschließen. So zum Beispiel wurde das Thema Maria-Kirche unter seinen verschiedenen Gesichtspunkten in die Texte des Messbuches aufgenommen, entsprechend der Vielfalt und Häufigkeit der Beziehungen, die zwischen der Mutter Christi und der Kirche bestehen. Die Texte weisen bei der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau auf den Ursprung der Kirche hin, der makellosen Braut Christi;<ref>Vgl. Römisches Messbuch 8. Dezember, Präfation. </ref> bei der Aufnahme Mariens in den Himmel weisen sie auf den schon vollzogenen Anfang und auf das Bild dessen hin, was durch die gesamte Kirche noch erfüllt werden muss;<ref>Vgl. Römisches Messbuch 15. August, Präfation. </ref> im Geheimnis der Mutterschaft preisen sie sie als Mutter des Hauptes und der Glieder, als heilige Gottesgebärerin und Mutter der Kirche.<ref>Vgl. Römisches Messbuch 1. Januar, Schlußgebet. </ref>

Wenn die Liturgie sich zur Urkirche wie auch zur Kirche unserer Tage wendet, so findet sie immer wieder Maria vor: dort durch das gemeinsame Gebet mit den Aposteln gegenwärtig;<ref>Vgl. Römisches Messbuch Commune BMV, 6. österl. Zeit, Tagesgebet. </ref> hier durch ihre Mitwirkung mit der Kirche, die das Geheimnis Christi leben will: „... verleihe deiner Kirche, dass sie, mit ihr (Maria) des Leidens Christi teilhaftig geworden, verdiene, an der gleichen Auferstehung teilzunehmen”<ref>Römisches Messbuch 15. September, Tagesgebet. </ref> ; und wenn sie Gott lobpreist, will die Kirche zusammen mit ihr Gott verherrlichen: „... dass wir mit ihr (Maria) dich immer lobpreisen können”<ref>Römisches Messbuch 31. Mai, Tagesgebet. Auf der gleichen Linie liegt die Marien-Präfation, II.: ”Vere dignum... Beatae Virginis Mariae memoriam recolentes, clementiam tuam ipsius grato magnificare praeconio”. </ref>, und da die Liturgie ein Kult ist, der eine konsequente Lebensführung erfordert, bittet sie, die Verehrung, die wir Maria erweisen, in wirkliche, durchlittene Liebe für die Kirche umzuformen, wie es das  Schlussgebet vom 15. September wunderbar ausspricht: „... lass uns bei der Gedächtnisfeier der Schmerzen Mariens an unserem Leib durch Leiden für die Kirche ergänzen, was dem Leiden Christi abgeht”.

12 Das Lektionar der Messe ist eines jener Bücher, die durch die nachkonziliare Erneuerung am meisten bereichert wurden, sowohl durch die Anzahl der hinzugefügten Texte als auch durch deren inneren Wert. Es handelt sich ja um Texte, die das Wort Gottes enthalten, das immer lebendig und wirksam ist (Hebr 4, 12). Diese so reiche Fülle biblischer Lesungen hat es erlaubt, in einem geordneten dreijährigen Zyklus die gesamte Heilsgeschichte darzulegen und damit noch vollständiger das Geheimnis Christi vor Augen zu stellen. Die logische Folge hiervon ist, dass das Lektionar eine große Anzahl von Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament aufweist, die sich auf die seligste Jungfrau Maria beziehen; eine zahlenmäßige Bereicherung, die nicht ohne sachliche Prüfung erfolgte, weil ausschließlich solche Texte aufgenommen wurden, die entweder durch ihren einschlägigen Inhalt oder durch die Hinweise einer unvoreingenommenen Exegese, die durch das kirchliche Lehramt oder durch eine klar bezeugte Überlieferung erhärtet wird, wenn auch art- und gradmäßig verschieden, als marianisch angesprochen werden können. Überdies ist es angezeigt, darauf hinzuweisen, dass diese Lesungen nicht nur für Marienfeste aufgenommen wurden, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten benützt werden: an einigen Sonntagen des liturgischen Jahres,<ref>Vgl. LM 3. Adventssonntag (Jahr C: Soph 3, 14-18a); 4. Adventssonntag (vgl. oben Anm. 12); Sonntag in der Weihnachtsoktav (Jahr A: Mt 2, 18-15, 19-23; Jahr B: Lk 2, 22-40; Jahr C: Lk 2, 41-42); 2. Sonntag nach Weihnachten (Jo 1, 1-18); 7. Sonntag der Osterzeit (Jahr A: Apg 1, 12-14); 2. Sonntag im Jahreskreis Jahr C: Jo 2, l – 12); 10. Sonntag im Jahreskreis (Jahr B: Gen 3, 9-15); 14. Sonntag im Jahreskreis (Jahr B: Mk 6, 1 – 6). </ref> bei gottesdienstlichen Handlungen, die das sakramentale Leben des Christen und seine Entschließungen tief beein8ussen<ref>Vgl. LM Für das Katechumenat und die Taufe der Erwachsenen. Zur Überlieferung der Sonntagsoration (2. Lesung, 2: Gal 4, 4-7); Zur Aufnahme in die christliche Gemeinschaft außerhalb der Ostervigil (Evang., 7: Jo 1, 1-5. 9-14.16-18); Für Hochzeiten (Evang., 7: Jo 2, 1-11); Für die Jungfrauenweihe und die Ordensprofess (Lesung 1, 7: Is 61, 9-11; Evang., 6: Mk 3, 31-35; Lk 1, 26-38 –  vgl. Ordo consecrationis virginum, Nr. 13O; Ordo professionis religiosae, 2. Teil, Nr. 145).  </ref> wie auch freudige oder schmerzliche Ereignisse in seinem Leben.<ref>Vgl. LM Für die Flüchtlinge und Vertriebenen (Evang. 1: Mt 2, 13-15.19-28);  Zur Danksagung (1. Lesung, 4. Soph 3, 14- 15). </ref>

13 Auch das überarbeitete Brevier, das  Stundengebet,  enthält hervorragende Zeugnisse der Andacht zur Gottesmutter: in den Hymnendichtungen, unter denen einige Meisterwerke der Weltliteratur nicht fehlen, wie das herrliche Gebet Dantes zur Jungfrau Maria;<ref>La Divina Commedia, Paradies 33, 1-9; vgl. Stundengebet. Gedächtnis Mariens am Samstag, Hymnus bei den Lesungen. </ref> bei den Antiphonen, die das tägliche Stundengebet einrahmen, lyrische Anrufungen, denen das berühmte Gebet ”Unter deinen Schutz und Schirm” beigegeben wurde, das wegen seines Alters verehrungswürdig und seinem Inhalt nach großartig ist; bei den Fürbitten der Laudes und der Vesper, in denen sich nicht selten eine vertrauensvolle Anrufung zur Mutter der Barmherzigkeit findet; bei der so reichen Auslese marianischer Schriften, die wir Verfassern verdanken, die in den ersten Jahrhunderten des Christentums, im Mittelalter und in der Neuzeit gelebt haben.

14 Wenn im Messbuch, im Lektionar und im Stundengebet, Angelpunkt der römischen Liturgie, das Gedenken der seligsten Jungfrau Maria häufig wiederkehrt, so fehlen auch in den übrigen überarbeiteten liturgischen Büchern nicht Äußerungen kindlicher Liebe und demütiger Verehrung zur ”Theotocos”. So ruft die Kirche sie, die Mutter der Gnade, an, bevor sie die Taufbewerber eintaucht in das heilbringende Wasser der Taufe;<ref>Vgl. Taufritus für die Kinder, Nr. 48; Ritus der Aufnahme von Erwachsenen in die christliche Gemeinschaft, Nr. 214. </ref> sie fleht ihre Fürsprache an für die Mütter, die in Dankbarkeit für das Geschenk der Mutterschaft voll Freude zur Kirche kommen;<ref>Vgl. Römisches Rituale, Tit. VII,  3. Kap., Segnung der Mutter nach der Niederkunft. </ref> ihr Vorbild stellt sie denen vor Augen, die die Nachfolge Christi im Ordensstand<ref>Vgl. Ritus der Ordensprofess, 1. Teil, Nr. 57 u. 67. </ref> erwählen oder die Jungfrauenweihe empfangen<ref>Vgl. Jungfrauenweihe, Nr. 16. </ref> und erbittet für sie ihren mütterlichen Beistand;<ref>Vgl. Ritus der Ordensprofess, 1. Teil, Nr. 62 u. 142; 2. Teil, Nr. 67 u. 158; Ritus der Jungfrauenweihe, Nr. 18 u. 20. </ref> an sie richtet die Kirche flehentliche Gebete für all jene Gläubigen, für die die Stunde ihres Heimganges gekommen ist;<ref>Vgl. Ritus der Krankensalbung und deren Seelsorge, Nr. 148, 146, 147, 150. </ref> ihre Fürsprache erbittet sie für jene, deren Augen sich für das zeitliche Licht geschlossen haben und die vor Christus, das ewige Licht,<ref>Vgl. Römisches Messbuch Messen für die Verstorbenen, für verstorbene Brüder, Verwandte und Wohltäter, Tagesgebet. </ref> hintreten. Die Kirche ruft auch durch ihre Fürbitte Trost auf jene, die niedergebeugt vom Schmerz im Glauben den Heimgang ihrer Angehörigen beklagen.<ref>Vgl. Beerdigungsritus, Nr. 226. </ref>

15 Die Durchsicht der überarbeiteten liturgischen Bücher führt also zu einer ermutigenden Feststellung: die nachkonziliare Erneuerung hat die seligste Jungfrau Maria, wie es schon Wunsch der liturgischen Bewegung war, in entsprechender Sicht im Zusammenhang mit dem Geheimnis Christi betrachtet und ihr im Einklang mit der Überlieferung die einzigartige Stellung zuerkannt, die ihr als heilige Gottesgebärerin und erhabene Gefährtin des Erlösers zukommt.

Dies konnte auch nicht anders sein. Denn wenn man die Geschichte des christlichen Kultes überschaut, stellt man fest, dass die höchsten und klarsten Bekundungen marianischer Frömmigkeit im Rahmen der Liturgie erwachsen sind oder in sie aufgenommen wurden.

Wir möchten es unterstreichen: die Verehrung, die die gesamte Kirche heute der Heiligsten Jungfrau entgegenbringt, ist Ableitung, Weiterführung und unaufhörliches Wachstum jenes Kultes, den ihr die Kirche zu allen Zeiten in gewissenhaftem Bemühen um die Wahrheit und mit einem stets wachen Auge auf die Erhabenheit des Ausdrucks dargebracht hat. Aus der jahrhundertealten Überlieferung, die durch die unaufhörliche Gegenwart des Heiligen Geistes und durch das beständige Hinhören auf das Wort Gottes lebendig bleibt, schöpft die Kirche unserer Tage Beweggründe und Impulse für die Verehrung, die sie der seligen Jungfrau Maria erweist. Für diese lebendige Überlieferung ist die Liturgie, die vom Lehramt Bestätigung und Kraft erhält, höchster Ausdruck und beweiskräftiges Dokument.

Zweiter Abschnitt: Maria, Vorbild der Kirche in der Ausübung der Gottesverehrung

16 Wir wollen jetzt in Anlehnung an einige Hinweise der Konzilslehre über Maria und die Kirche einen besonderen Aspekt der Beziehungen vertiefen, die zwischen Maria und der Liturgie bestehen: Maria ist Vorbild der geistlichen Haltung, in der die Kirche die göttlichen Geheimnisse feiert und lebt. Die Vorbildlichkeit der seligsten Jungfrau Maria in dieser Beziehung ergibt sich aus der Tatsache, dass sie als erhabenstes Vorbild der Kirche in der Ordnung des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus<ref>Vgl. LG Nr. 63: AAS 57 (1965), S. 64. </ref> anerkannt ist, das heißt jener inneren Haltung, mit der die Kirche, vielgeliebte Braut und mit dem Herrn eng verbunden, ihn anruft und durch ihn dem ewigen Vater Anbetung erweist.<ref>Vgl SC Nr. 7: AAS 56 (1964), S. 100-101. </ref>

17 Maria, ist die hörende Jungfrau, die das Wort im Glauben aufnimmt; mit einem Glauben, der für sie die Voraussetzung und der Weg zur göttlichen Mutterschaft war, wie der heilige Augustinus es tief erkannt hat: ”Die Seligste Jungfrau hat Jesus im Glauben geboren, den sie im Glauben empfangen hatte”.<ref>Sermo 215, 4: PL SS, 1074. </ref> Denn nachdem sie vom Engel die Antwort auf ihren Zweifel erhalten hatte (vgl. Lk l, 34 – 37), sprach sie voll Glauben, indem sie Christus früher im Geiste als in ihrem Schoße empfing, die Worte: ”Sieh, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte” (Lk 1, 38)”<ref>Ebd. </ref>; mit einem Glauben, der für sie Ursache der Seligkeit und Sicherheit war für die Erfüllung der Verheißung: ”Und selig du, die du geglaubt hast an die Erfüllung der Worte des Herrn” (Lk 1, 45); mit einem Glauben, mit dem sie, der die erste Rolle und das einzigartige Zeugnis für die Menschwerdung zukommt, die Ereignisse der Kindheit Christi überdachte und sie im Innersten ihres Herzens erwog (vgl. Lk 2, 29. 51). Das tut auch die Kirche, die vor allem in der Liturgie das Wort Gottes mit gläubiger Haltung hört, aufnimmt, verkündet und verehrt, es an die Gläubigen als Brot des Lebens weitergibt<ref>Vgl. DV Nr. 21: AAS 58 (1966), S. 827-828. </ref> und in seinem Lichte die Zeichen der Zeit erforscht und deutet sowie die Ereignisse der Geschichte lebt.

18 Maria ist gleichermaßen auch die betende Jungfrau. So erscheint Maria beim Besuche der Mutter des Vorläufers, bei dem ihre Seele überströmt in Worten der Verherrlichung Gottes, der Demut, des Glaubens, der Ho6nung. Davon spricht das  Magnificat (vgl. Lk 1, 46 – 55), das Gebet Mariens im wahrsten Sinne des Wortes, das Lied der messianischen Zeiten, in dem der Jubel des alten und neuen Israel zusammenklingt, weil im Lobgesang Mariens wie der heilige Irenäus nahezulegend scheint – das Frohlocken Abrahams anklang, der den Messias vorausahnte (vgl. Joh 8, 56)<ref>Vgl. Adversus haereses IV, 7, 1: PG 7, 1: 990-991; S Ch Nr. 100, t. II., S. 454- 458. </ref> und in prophetischer Schau die Stimme der Kirche erscholl: ”Maria frohlockte und sprach prophetisch für die Kirche: ,Hochpreiset meine Seele den Herrn...’.<ref>Vgl. Adversus haereses III, 10, 2: PG 7, l,  873; S Ch Nr. 34, S. 164. </ref>  In der Tat, der Lobgesang der Jungfrau fand immer mehr Verbreitung und war zu allen Zeiten das Gebet der Kirche.

Als betende Jungfrau erscheint Maria in Kana, wo sie den Sohn in mütterlicher Zartheit in irdischer Not um Hilfe bittet und ihr auch ein Erweis seines Erbarmens zuteil wird: Jesus wirkt das erste seiner "Zeichen” und bestärkt die Jünger im Glauben an ihn (vgl. Joh 2, 1 – 12).

Auch der letzte biographische Hinweis auf Maria zeigt sie uns im Gebet: die Apostel ”verharren einmütig im Gebet, zusammen mit einigen Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern” (Apg 1, 14). Betende Gegenwart Mariens in der werdenden Kirche und in der Kirche aller Zeiten, weil sie nach ihrer Aufnahme in den Himmel ihre Mission als Fürsprecherin und Helferin nicht aufgegeben hat.<ref>Vgl. LG Nr. 62: AAS 57 (1965), S. 68. </ref> Betende Jungfrau auch die Kirche, die Gott jeden Tag die Anliegen ihrer Söhne vorträgt, ”unaufhörlich den Herrn lobt und für das Heil der Welt eintritt.<ref>SC Nr. 83: AAS 56 (1964), S. 121. </ref>

19 Maria ist auch jetzt noch die Jungfrau-Mutter, nämlich jene, die ”durch ihren Glauben und ihren Gehorsam, ohne die Verbindung mit einem Mann, sondern überschattet vom Heiligen Geist, auf Erden den Sohn des Vaters geboren hat“;<ref>LG Nr. 63: AAS 57 (1965), S. 64. </ref> eine wunderbare Mutterschaft, die von Gott zum Urbild und Vorbild der Fruchtbarkeit der jungfräulichen Kirche berufen wurde, die „auch Mutter wird, weil sie durch die Predigt und die Taufe zu einem neuen und unsterblichen Leben die Kinder zeugt, die durch das Wirken des Heiligen Geistes empfangen wurden und aus Gott geboren sind”<ref>Ebd., Nr. 64: AAS 57 (1965), S. 64. </ref>. Mit Recht lehren die Kirchenväter, dass die Kirche durch das Taufsakrament die jungfräuliche Mutterschaft Mariens fortführt. Unter ihren Aussagen möchten Wir jene Unseres berühmten Vorgängers, des heiligen Leos des Großen, in Erinnerung bringen, der in einer Weihnachtshomilie sagt: ”Den Ursprung, den (Christus) im Schoße der Jungfrau nahm, legte er in den Taufbrunnen: er verlieh dem Wasser, was er der Mutter verlieh: die Kraft des Allerhöchsten und die Überschattung des Heiligen Geistes (vgl. Lk 1, 85), die bewirkte, dass Maria den Heiland gebar; sie bewirkt auch, dass das Wasser den Gläubigen zeugt”<ref>Traktat  XXV  (In Nativitate Domini), 5: CCL 138, S. 123; S Ch  22 bis, S. 132; vgl. auch Traktat XXIX (In Nativitate Domini), 1: CCL ebd., S. 147; S Ch ebd., S. 178; Traktat LXIII (De Passione Domini) 6: CCL ebd., S. 386; S Ch 74, S. 82.  </ref>. Wenn wir aus den liturgischen Quellen schöpfen wollten, könnten wir die schöne  Illatio der mozarabischen Liturgie zitieren: ”Jene (Maria) trug in ihrem Schoße das Leben, diese (die Kirche) trägt ihn im Taufbecken. In den Schoß Mariens ist Christus eingegangen, im Taufwasser der Kirche wird Christus angezogen”.<ref>M. Ferotin, Le ”Liber Mozarabicus Sacramentorum”, col. 56. </ref>

20 Maria ist endlich die opfernde Jungfrau. In der Begebenheit der Darstellung Jesu im Tempel (vgl. 2, 22 – 35) hat die Kirche, unter der Leitung des Heiligen Geistes, außer der Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften über die Opferung des Erstgeborenen (vgl. Ex 18, 11 – 16) und der Reinigung der Mutter (vgl. Lev 12, 6 – 8), ein Geheimnis gesehen, das sich auf die Heilsgeschichte bezieht. Sie hat nämlich die Weiterführung der einmaligen grundlegenden Hingabe hervorgehoben, die das menschgewordene Wort bei seinem Eintritt in die Welt dem Vater darbrachte (vgl. Hebr 10, 5 – 7); sie sah das Heil der Welt verkündet, weil Simeon, der das Kind als das Licht begrüßte, das die Heiden erleuchtet, und als die Verherrlichung Israels (vgl, Lk 2, 82), in ihm den Messias erkannte, den Heiland aller Menschen; sie hat den prophetischen Hinweis auf das Leiden Christi verstanden, weil die Worte Simeons, die in einer einzigen Weissagung den Sohn als ”Zeichen des Widerspruchs” (Lk 2, 84) mit der Mutter verbanden, deren Seele das Schwert durchbohren würde (vgl. Lk 2, 35), sich auf Kalvaria erfüllten. Ein Heilsgeheimnis also, das in seinen verschiedenen Gesichtspunkten die Begebenheit der Darstellung im Tempel auf das Heilsgeschehen des Kreuzes ausrichtet. Aber die Kirche selbst erblickte, vor allem seit den Zeiten des Mittelalters, im Herzen der Jungfrau, die ihren Sohn nach Jerusalem bringt, um ihn dem Herrn darzustellen (vgl. Lk 2, 22), eine Opferbereitschaft, die den üblichen Sinn des rituellen Darbringens übersteigt. Für dieses tiefe Verständnis haben wir das Zeugnis in dem innigen Gebet des heiligen Bernhard: ”Opfere, o geheiligte Jungfrau, deinen Sohn und bringe die gebenedeite Frucht deines Leibes dem Herrn dar. Opfere zu unser aller Versöhnung die heilige Hostie, die Gott wohlgefällt”.<ref>In purificatione B. Mariae, Sermo III, 2: PL 183, 370; Sancti Bernardi Opera, Ausg. J. </ref> Leclerq-H. Rochais, Band IV, Romae 1966, S. 342.

Diese Vereinigung der Mutter mit dem Sohne beim Werk der Erlösung<ref>Vgl. LG Nr. 57: AAS 57 (1965), S. 61. </ref> erreicht ihren Höhepunkt auf dem Kalvarienberg, wo Christus „sich selbst als makelloses Opfer Gott darbrachte” (Hebr 9,14) und wo Maria beim Kreuze stand (vgl. Joh 19, 25), „indem sie tief mit ihrem Eingeborenen litt und sich in mütterlicher Liebe mit seinem Opfertod verband in liebender Zustimmung zum Tod des Opferlammes, das sie geboren hatte”<ref>Ebd., Nr. 58: AAS 57 (1965), S. 62. </ref> und es auch ihrerseits dem ewigen Vater darbrachte.<ref>Vgl. Pius XII., Enzyklika Mystici corporis: AAS 35 (1S43), S. 247. </ref> Um das Kreuzesopfer durch die Jahrhunderte fortzusetzen, setzte der göttliche Heiland das eucharistische Opfer ein, Denkmal seines Todes und seiner Auferstehung, und vertraute es der Kirche, seiner Braut,<ref>Vgl. SC Nr. 47: AAS 56 (1964), S. 118. </ref> an, die vor allem am Sonntag die Gläubigen zusammenruft zur Feier der Auferstehung des Herrn, bis er wiederkommt.<ref>Ebd., Nr. 102 u. 106: AAS 56 (1964), S. 125 u. 126. </ref> Dies vollzieht die Kirche in Gemeinschaft mit den Heiligen des Himmels und besonders mit der Seligsten Jungfrau,<ref>”... würdige dich, all jener zu gedenken, die dir von Ewigkeit gefielen, der heiligen Väter, Patriarchen, Propheten, Apostel (...) wie der heiligen und glorreichen Gottesgebärerin Maria und aller Heiligen. (...) sie mögen unserer Not und Armut eingedenk sein und dir mit uns dieses ehrfurchtgebietende und unblutige Opfer darbringen”: Syrische Anaphora des Jakobus, des Bruders des Herrn; Eucharistisches Hochgebet, Ausg. A. Haenggi-I. Pahl, Fribourg, Editions Universitaires 1968, S. 274. </ref> deren tiefe Liebe und unerschütterlichen Glauben sie zum Vorbild nimmt.

21 Beispiel für die gesamte Kirche in Ausübung des Gottesdienstes ist Maria auch als Lehrerin des geistlichen Lebens für die einzelnen Christen. Sehr bald fingen die Gläubigen an, auf Maria zu schauen, um, wie sie, aus ihrem Leben einen Gottesdienst zu machen und aus ihrem Dienst eine Verpflichtung für das Leben. Schon im 4. Jahrhundert gab der heilige Ambrosius in einer Ansprache an die Gläubigen dem Wunsche Ausdruck, dass in einem jeden von ihnen die Seele Mariens leben möge, um Gott zu verherrlichen: „Möge in jedem einzelnen die Seele Mariens leben, um Gott zu preisen, in jedem einzelnen möge ihr Geist sein, um in Gott zu frohlocken”.<ref>Expositio Evangelii secundum Lucam, II, 26: CSEL 32, IV, S. 55; SCh 45, S. 83-84. </ref> Maria ist aber vor allem Vorbild für jenen Kult, der darin besteht, aus dem eigenen Leben eine Opfergabe für Gott zu machen: eine uralte, ewige Lehre, die ein jeder erneut hören kann, wenn er auf die Lehre der Kirche achtet, aber auch, wenn er auf die Stimme Mariens selbst hinhört, als sie für sich die wunderbare Bitte des Gebetes des Herrn vorausnahm – „dein Wille geschehe” (Mt 6, 10) – und dem Engel Gottes antwortete: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort” (Lk l, 88). Und das ”Jawort” Mariens ist für alle Christen Lehre und Beispiel, um im Gehorsam gegen den Willen des Vaters Weg und Mittel zur eigenen Heiligung zu  finden.

22 Andererseits ist es wichtig, zu sehen, wie die Kirche die verschiedenen Beziehungen, die sie mit Maria verbinden, in einer vielgestaltigen und wirkungsvollen kultischen Haltung zum Ausdruck bringen kann: in einer tiefen Verehrung, wenn sie die einzigartige Würde der Jungfrau betrachtet, die durch das Wirken des Heiligen Geistes Mutter des menschgewordenen Wortes geworden ist;  in einer innigen Liebe, wenn sie die geistliche Mutterschaft Mariens zu allen Gliedern des mystischen Leibes bedenkt; in einer vertrauensvollen Anrufung, wenn sie die Fürsprache ihrer Mittlerin und Helferin erfährt;<ref>Vgl. LG Nr. 62: AAS 57 (1965), S. 63. </ref> in einem liebenden Dienen, wenn sie in der demütigen Magd des Herrn die Königin der Barmherzigkeit und die Mutter der Gnade sieht; in einer tätigen Nachahmung, wenn sie die Heiligkeit und die Tugenden der ”Gnadenvollen” (Lk 1, 28) betrachtet; in einem ergriffenen Staunen, wenn sie in ihr, „wie in einem makellosen Abbild das sieht, was sie in ihrer Gesamtheit ersehnt und erstrebt”;<ref>SC Nr. 103: AAS 56 (1964), S. 125. </ref> in aufmerksamem Nachdenken, wenn sie in der Gefährtin des Erlösers, die nunmehr voll und ganz der Früchte des Ostergeheimnisses teilhaftig ist, die prophetische Erfüllung ihrer eigenen Zukunft erblickt, bis zu dem Tage, an dem sie, gereinigt von jeder Runzel und jeglichem Makel (vgl. Eph 5, 27), wie eine Braut wird, die geschmückt ist für den Bräutigam, Jesus Christus (vgl. Offb 21, 2).

23 Wenn wir also, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, die Verehrung betrachten, die die liturgische Überlieferung der gesamten Kirche und der erneuerte römische Ritus der heiligen Gottesmutter erweisen, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die Liturgie wegen ihrer hervorragenden kultischen Bedeutung die goldene Norm für die christliche Frömmigkeit ist, wenn wir endlich beobachten, wie die Kirche bei der Feier der heiligen Geheimnisse eine Haltung des Glaubens und der Liebe einnimmt, die ähnlich ist jener Mariens, so begreifen wir, wie gerechtfertigt die Mahnung des Zweiten Vatikanischen Konzils an alle Gläubigen ist, „dass sie hochherzig die Verehrung, vor allem in der Liturgie, zur Seligsten Jungfrau fördern”<ref>SG Nr. 61: AAS 57 (1965), S. 65-66. </ref> , eine Mahnung, die Wir überall ohne Vorbehalt angenommen und mit Eifer in die Praxis umgesetzt sehen möchten.

Zweiter Teil: Die Erneuerung der Marienverehrung

24 Das Zweite Vatikanische Konzil aber legt nahe, neben dem liturgischen Kult andere Formen der Frömmigkeit zu fördern, vor allem jene, die vom Lehramt der Kirche empfohlen sind.<ref>Vgl. ebd., N. 67: AAS 57 (1965), S. 65-66. </ref> Wie jedoch bekannt ist, hat die Verehrung der Gläubigen zur Gottesmutter entsprechend den örtlichen und zeitlichen Verhältnissen der verschiedenen Mentalität der Völker und ihrer unterschiedlichen kulturellen Überlieferung vielfältige Formen angenommen. Daraus ergibt sich, dass die Formen, in denen sich eine solche Frömmigkeit äußerte und die dem Wechsel der Zeit unterliegen, einer Reform bedürftig erscheinen, die es erlaubt, die überholten Elemente zu ersetzen, die unvergänglichen Elemente als wertvoll herauszustellen und die wissenschaftlichen Ergebnisse, die durch die theologischen Studien erarbeitet und vom kirchlichen Lehramt vorgelegt wurden, zu berücksichtigen. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Bischofskonferenzen, die Ortskirchen, die Ordensfamilien und die Gemeinden eine echte schöpferische Tätigkeit entfalten und sich gleichzeitig mit Eifer um eine Überprüfung der Andachtsübungen zur seligsten Jungfrau Maria bemühen, eine Überprüfung, die nach Unserem Willen von Ehrfurcht gegenüber der gesunden Überlieferung getragen und aufgeschlossen sei, die berechtigten Bitten der Menschen von heute entgegenzunehmen. Deswegen scheint es Uns angezeigt, Ehrwürdige Brüder, euch einige Prinzipien anzugeben, wonach auf diesem Gebiet gearbeitet werden kann.

Erster Abschnitt: Trinitarischer, christologischer und ekklesiologischer Hinweis zur Marienverehrung

25 Es ist vor allem sehr angemessen, dass die Andachtsübungen zur seligen Jungfrau Maria deutlich den trinitarischen und christologischen Charakter zum Ausdruck bringen, der ihnen wesentlich innewohnt. Denn der christliche Kult ist seiner Natur nach ein Kult, der dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist erwiesen wird, oder besser, wie sich die Liturgie ausdrückt, dem Vater durch Christus im Heiligen Geist. In dieser Sicht bezieht sich der Kult berechtigterweise, wenn auch wesentlich verschieden, in erster Linie auf die Mutter des Herrn und dann auf die Heiligen, in denen die Kirche das Ostergeheimnis verkündet, weil sie mit Christus gelitten haben und mit ihm verherrlicht worden sind.<ref>Vgl. SC Nr. 104: AAS 56 (1064), S. 125-126. </ref> Bei Maria ist  alles auf Christus hin bezogen und von ihm abhängig: im Hinblick auf ihn hat sie Gottvater von aller Ewigkeit her als ganz heilige Mutter erwählt und sie mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet, wie sie keinem anderen zuteil geworden sind. Sicher hat die echte christliche Frömmigkeit niemals verfehlt, die unlösliche Verbindung und die wesentliche Beziehung der Jungfrau zum göttlichen Erlöser<ref>Vgl. LG Nr. 66: AAS 57 (1965), S. 65. </ref> ins Licht zu rücken. Immerhin scheint es der geistlichen Ausrichtung unserer Zeit, die ganz beherrscht und eingenommen ist von der ”Christusfrage”,<ref>Vgl. Paul VI., Ansprache vom 24. April 1970, gehalten im Marienheiligtum ”U. L. von Bonaria” in Cagliari: AAS 62 (1970), S. 300.  </ref> in besonderer Weise zu entsprechen, dass bei den Ausdrucksformen der Marienverehrung vornehmlich der christologische Charakter hervorgehoben wird. Es gilt dahin zu wirken, dass diese Ausdrucksformen den Plan Gottes widerspiegeln, der „in ein und demselben Beschluss den Ursprung Mariens und die Menschwerdung der göttlichen Weisheit“<ref>Pius IX., Dogm. Bulle Ineffabilis deus:  Pii IX  Pontificis Maximi Acta, I, 1, Rom 1854, S. 599; vgl. auch V. Sardi, Die feierliche Definition des Dogmas der unbefleckten Empfängnis Mariens. Akten und Dokumente..., Roma 1904-1905, II. Band, S. 302. </ref> vorherbestimmte. Dies wird ohne Zweifel dazu beitragen, die Andacht zur Mutter Jesu Christi gediegener zu machen und darauf ein wirksames Mittel zu schaffen, um zur „vollen Erkenntnis des Sohnes Gottes zu gelangen, bis zur Erreichung des Vollmaßes des Alters Christi” (Eph 4, 13); und andrerseits wird es mithelfen, den Kult, der Christus selbst geschuldet ist, zum Wachstum zu bringen, da nach der ständigen Auffassung der Kirche, die in unseren Tagen maßgeblich bekräftigt worden ist,<ref>Vgl. LG Nr. 66: AAS 57 (1965), S. 65. </ref> „auf den Herrn bezogen wird, was der Magd an Verehrung dargebracht wird; auf den Sohn strahlt zurück, was der Mutter an Ehre geleistet wird; (...) dem König gilt die Ehre, die der Königin im Dienste erwiesen wird”.<ref>Heiliger Ildephons, Über die ewige Jungfräulichkeit Mariens, Kap. 12: PL 96, 108. </ref>

26 Bei dieser Andeutung auf die christologische Ausrichtung der Marienverehrung scheint es Uns nützlich, einen Hinweis darauf folgen zu lassen, wie es angebracht ist, hier einen der wesentlichen Glaubensinhalte entsprechend hervorzuheben:  die Person und das Wirken des Heiligen Geistes. Die theologischen Studien und die Liturgie haben in der Tat aufgezeigt, wie das heiligende Eingreifen Gott des Heiligen Geistes bei der Jungfrau von Nazaret ein Höhepunkt seines Wirkens in der Heilsgeschichte gewesen ist. So schrieben zum Beispiel einige heilige Väter und kirchliche Schriftsteller dem Wirken des Heiligen Geistes die ursprüngliche Heiligkeit Mariens zu, die von ihm „gewissermaßen gebildet und zu einem neuen Geschöpf gemacht worden ist”;<ref>Vgl. LG Nr. 56: AAS 57 (1965), S. 60 und die Autoren, die in der betr. Anmerkung 176 zitiert wurden. </ref> bei der Betrachtung der Texte des Evangeliums – „der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten” (Lk 1, 35) und „es fand sich, dass Maria (...) vom Heiligen Geist empfangen hatte; (...) ist Werk des Heiligen Geistes, nämlich was in ihr erzeugt worden ist” (Mt 1, 18.20) – erblickten sie im Eingreifen des Heiligen Geistes ein Tun, das die Jungfräulichkeit Mariens heiligte, fruchtbar machte<ref>Vgl. heiliger Ambrosius, Über den Heiligen Geist II, 37-88: CSEL 79, S. 100-101; Kassian, Über die Menschwerdung des Herrn II, 2. Kap.: CSEL 17, S. 247 – 249; heiliger Beda, Homilie I, 3: CCL 122, S. 18 u. S. 20. </ref> und sie zum Festsaal des Königs oder zum Brautgemach des Wortes,<ref>Vgl. heiliger Ambrosius, De institutione virginis, 12. Kap., 79: PL 16 (Ausg, 1880), 339; Brief 30, 3 u. Brief 42, 7: ebd., 1107 u. 1175; Erklärung’ des Evangeliums nach Lukas X, 132: S Ch 52, S. 200; heiliger Proklus von Konstantinopel, Oratio I, l u. Oratio V, 3: PG 65, 681 u. 720; heiliger Basilius Seleuc., Oratio XXXIX, 3: PG 85, 433; heiliger Andreas v. Kreta, Oratio IV: PG 97, 868; heiliger Germanus von Konstantinopel, Oratio III, 15: PG 98, 305. </ref>   zum Tempel oder Gezelt des Herrn,<ref>Vgl. heiliger Hieronymus, Gegen Jovinianus I. 33: PL 23, 267; heiliger Ambrosius, Brief 63, 33: PL 16 (Ausg. 1880), 1249; Do institutione virginis, Kap. 17, 195: ebd., 346; Über den Heiligen Geist III, 79-80: CSEL 79, S. 182-183; Sedulius, Hymnus ”A solis ortus cardine”, Verse 13-14: CSEL 10, S. 164; Hymnos Akáthistos, Str. 23: Ausg. I. B. Pitra, Analecta Sacra, S. 261; heiliger Proklus von Konstantinopel, Oratio I, 3: PG 65, 684; Oratio II, 6: ebd., 700; heiliger Basilius Seleuc., Oratio IV: PG 97, 868; heiliger Johannes Damascenus, Oratio IV, 10: PG 96, 677. </ref> zur Bundeslade oder  Arche der Heiligung<ref>Vgl. Severus von Antiochien, Homilie 57: PO 8, S. 357-858; Hesychius von Jerusalem, Homilie über Maria, die Gottesmutter: PG 93, 1464; Chrysippus von Jerusalem, Gebet zu Maria der Gottesgebärerin, 2: PO 19, S. 338; heiliger Andreas von Kreta, Oratio V: PG 97, 896; heiliger Iohannes Damascenus, Oratio VI, 6: PG 96, 672. </ref> umgestaltete; alles reiche Titel, die an die Heilige Schrift anklingen. In noch tieferer Ergründung des Geheimnisses der Menschwerdung sahen sie in der geheimnisvollen Beziehung Heiliger Geist-Maria einen bräutlichen Aspekt, den Prudentius in poetischen Worten festhielt: „Die unvermählte Jungfrau vermählte sich mit dem Heiligen Geist”,<ref>Liber Apotheosis, V. 571-572: CCL 126, S. 97. </ref> und nannten sie das Heiligtum des Heiligen Geistes,<ref>Vgl. heiliger Isidor, De ortu et obitu Patrum, 67. Kap., 111: PL 83, 148; heiliger Ildephons, Über die ewige Jungfräulichkeit Mariens, 10. Kapitel: PL 96, 95; heiliger Bernhard, Zu Mariä Himmelfahrt, Sermo IV, 4: PL 183, 428; Zu Mariä Geburt: ebd., 442; heiliger Petrus Damianus, Carmina sacra et preces II, Gebet zu Gott dem Sohn: PL 145, 921; Antiphon ”Beata Dei Genitrix Maria”: Corpus antiphonalium officii, Ausg. R. J. Hesbert, Rom 1970, 4. Band, Nr. 6314, S. 80.</ref> eine Formulierung, die den Charakter der Heiligkeit Mariens unterstreicht, die der ständige Wohnsitz des Gottesgeistes geworden ist. Beim Studium der Lehre über den Heiligen Geist stellten sie fest, dass von ihm wie aus einer Quelle die Fülle der Gnade hervorging (Lk 1, 28) und der Reichtum der Gaben, die Maria schmückten; dem Heiligen Geist schrieben sie darum den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zu, die das Herz der Jungfrau beseelten, die Festigkeit, die ihre Hingabe an den Willen Gottes stützte, die Kraft, die sie im Leid zu Füßen des Kreuzes aufrecht erhielt;<ref>Vgl. Paulus Diaconus, Homilie I., Mariä Himmelfahrt: PL 95, 15B7; Über Mariä Himmelfahrt Paschasio Radberto trib., Nr. 31, 2, 57, 83 Ausg. A. Ripberger, in: ”Spicilegium Friburgense”, Nr. 9, 1962, S. 72, 76, 84, 96-97; Eadmer v. Canterbury, De excellentia Virginis Mariae, Kap. IV-V: PL 159, 562-567; heiliger Bernhard, Lobgesang der jungfräulichen Mutter, Homilie IV, 3: Werke des heiligen Bernhard, Ausgabe J. Leclercq-H. Rochais, Band IV, Rom 1966, S. 49-50. </ref> im prophetischen Lobgesang Mariens (vgl. Lk 1, 46 – 55) erblickten sie einen besonderen Einfluss jenes Geistes, der durch den Mund der Propheten gesprochen hatte.<ref>Vgl. Origenes, Homilie zu Lukas VII, 3: PG 13, 1817; S Ch 87, S. 156; heiliger Cyrillus von Alexandrien Kommentar zum Prophet Aggäus, Kap. XIX: PG 71, 1060; heiliger Ambrosius, Über den Glauben IV, 9, 113-114; CSEL 78, S. 197-198; Darlegung des Evangeliums nach Lukas II, 28 und 27-28: CSEL 32, S. 55-56; Severianus Gabalensis, Gebet zur Erschaffung der Welt, 6, 10: PG 56, 497-498; Antipater Bostrensis, Homilie zu Mariä Verkündigung, 16: PG 85, 1785. </ref> Bei Erwägung endlich der Gegenwart der Mutter Jesu im Abendmahlssaal, wo der Heilige Geist auf die werdende Kirche herabkam (vgl. Apg 1, 12 – 14; 2, 1 – 3), bereicherten sie das uralte Thema Maria-Kirche mit neuen Gedankengängen;<ref>Vgl. Eadmer v. Canterbury, De excellentia Virginis Mariae, Kap. VII: PL 159, 571; heiliger Amedeus v. Lausanne, De Maria Virginea Matre, Homilie VII: PL 188, 1337; S Ch 72, S. 184. </ref> und vor allem baten sie um die Fürsprache Mariens, um vom Heiligen Geist die Fähigkeit zu erlangen, Christus in der eigenen Seele zu erwecken, wie der heilige Ildephons in einem Gebet bezeugt, das durch den Gehalt seiner Lehre und die Kraft der Sprache überrascht: „Ich bitte dich, ja, ich bitte dich, heilige Jungfrau, dass ich von jenem Geist Jesus empfange, durch den du Jesus geboren hast. Durch jenen Geist empfange meine Seele Jesus, durch den dein Leib den gleichen Jesus empfangen hat. (...) in jenem Geist möchte ich Jesus lieben, in dem du ihn als Herrn anbetest und als Sohn”.<ref>Über die ewige Jungfräulichkeit Mariens, Kap. XII: PL 96, 106. </ref>

27 Man behauptet mitunter, dass viele Texte der modernen Frömmigkeit nicht genügend die ganze Lehre über den Heiligen Geist widerspiegeln. Es ist die Aufgabe der Gelehrten, die Richtigkeit dieser Behauptung zu überprüfen und ihre Bedeutung abzuwägen. Uns kommt es zu, alle und insbesondere die Hirten und Theologen aufzufordern, die Überlegungen über das Wirken des Geistes in der Heilsgeschichte zu vertiefen und sich darum zu bemühen, dass die Texte der christlichen Frömmigkeit sein lebenspendendes Wirken ins rechte Licht rücken. Aus einer solchen theologischen Vertiefung wird vor allem die geheimnisvolle Beziehung zwischen dem Geiste Gottes und der Jungfrau von Nazaret und ihrer beider Einwirkung auf die Kirche deutlich hervortreten; und aus den tiefer meditierten Glaubensinhalten wird eine intensiver gelebte Frömmigkeit erwachsen.

28 Es ist sodann notwendig, dass die Andachtsübungen, mit denen die Gläubigen ihre Verehrung zur Mutter des Herrn bekunden, deutlich die Stellung zum Ausdruck bringen, die ihr in der Kirche zukommt, „die nach Christus den höchsten Platz einnimmt und doch uns besonders nahe ist”;<ref>LG Nr. 54: AAS 57 (1965), S. 59. Vgl. Paul VI. Ansprache an die Konzilsväter nach Abschluss der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 4. Dezember 1963: AAS 56 (1964), S. 37. </ref> ein Platz, der in den Kulträumen des byzantinischen Ritus in der architektonischen Gliederung und in der Verteilung der ikonographischen Elemente plastisch dargestellt wird – in der Mitteltür der Ikonostase das Bild von der Verkündigung Mariens, in der Apsis das der glorreichen ”Theotocos” –, so dass daraus klar ersichtlich wird, wie mit dem „Fiat“ der demütigen Magd des Herrn die Menschheit die Rückkehr zu Gott beginnt und in der Herrlichkeit der Heiligsten Jungfrau das Ziel ihres Weges erblickt. Der Symbolismus, mit dem diese Gotteshäuser den Platz Mariens im Mysterium der Kirche ausdrücken, enthält einen fruchtbaren Hinweis und stellt ein günstiges Zeichen dafür dar, dass die verschiedenen Formen der marianischen Frömmigkeit sich auf kirchliche Perspektiven hin öffnen. Tatsächlich wird es der Hinweis auf die Grundbegriffe, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil hinsichtlich der Natur der Kirche angeführt worden sind,  Familie Gottes, Volk Gottes, Reich Gottes, Corpus Christi mysticum,<ref>LG Nr. 6, 7-8, 9-17: AAS 57 (1965), S. 8-9, 9-12, 12-21.</ref> den Gläubigen ermöglichen, die Sendung Mariens im Geheimnis der Kirche und ihren hervorragenden Platz in der Gemeinschaft der Heiligen leichter zu erkennen; intensiver das brüderliche Band zu erfahren, das alle Gläubigen verbindet, weil sie Kinder der Jungfrau sind, „bei deren Geburt und Erziehung sie in mütterlicher Liebe mitwirkt”,<ref>Ebd., Nr. 63: AAS 57 (1965), S. 64. </ref> wie auch Kinder der Kirche, da „wir aus ihrem Schoß geboren, mit ihrer Milch genährt und deren Geist belebt werden”.<ref>Heiliger Cyprian, Über die Einheit der katholischen Kirche, 5: CSEL 3, S. 214. </ref> Denn beide wirken bei der Zeugung des geheimnisvollen Leibes Christi zusammen: „Beide sind Christi Mutter, aber keine von beiden gebiert ohne die andere den ganzen (Leib)”.<ref>Isaac de Stella, Sermo LI, Für das Fest Mariä Himmelfahrt: PL 194, 1863. </ref> Schließlich werden sie klarer erfassen, dass das Wirken der Kirche in der Welt gleichsam eine Weiterführung der Sorge Mariens ist: denn die tätige Liebe der Jungfrau in Nazaret, im Hause der Elisabeth, in Kana, auf Golgota – alles Heilsmomente von weitreichender kirchlicher Bedeutung – findet ihre Fortsetzung in dem sehnlichen mütterlichen Wunsch der Kirche, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen (vgl. 1 Tim 2, 4); in ihrer Sorge für die Kleinen, die Armen und Schwachen; in ihrem ständigen Einsatz für den Frieden und die soziale Gerechtigkeit; in ihrem Bemühen darum, dass alle Menschen des Heiles teilhaftig werden, das ihnen durch den Tod Christi erworben worden ist. Auf diese Weise wird sich die Liebe zur Kirche auf die Liebe zu Maria übertragen und umgekehrt; denn die eine kann nicht ohne die andere bestehen, wie es der heilige Kromatius von Aquileia scharfsinnig bemerkt: „Die Kirche ist im Obergemach versammelt mit Maria, die die Mutter Jesu war, und mit seinen Brüdern. Man könnte sie deshalb nicht Kirche nennen, wenn nicht Maria die Mutter des Herrn mit seinen Brüdern dort gewesen wäre”.<ref>Sermo XXX, 1: S Ch 164, S.134. </ref> Abschließend unterstreichen Wir erneut die Notwendigkeit, dass die Verehrung, die der Seligen Jungfrau erwiesen wird, ihren inneren kirchlichen Gehalt deutlich zum Ausdruck bringt; das will besagen, sich einer Kraft zu bedienen, die fähig ist, Formen und Texte auf ersprießliche Weise zu erneuern.

Zweiter Abschnitt: Vier Gesichtspunkte der Marienverehrung: Biblischer, liturgischer, ökumenischer und anthropologischer Aspekt

29 Den voraufgehenden Ausführungen, die sich aus der Betrachtung der Beziehungen der Jungfrau Maria mit Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – und mit der Kirche ergeben, wollen Wir, indem Wir auf der Linie der konziliaren Unterweisung fortfabren,<ref>Vgl. LG Nr. 66-69: AAS  57 (1965), S. 65-67. </ref> noch einige Orientierungspunkte biblischer, liturgischer ökumenischer und anthropologischer Natur – hinzufügen, die zu beachten sind, um bei der Überprüfung oder Neuschöpfung von Andachtsformen das Band, das uns mit der Mutter Christi und unserer Mutter in der Gemeinschaft der Heiligen verbindet, lebendiger und bewusster zu gestalten.

30 Die Notwendigkeit einer  biblischen  Ausrichtung in jeder Form des Kultus wird heute als eine allgemeine Forderung der christlichen Frömmigkeit empfunden. Der Fortschritt in den biblischen Studien, die wachsende Verbreitung der Heiligen Schriften und vor allem das Beispiel der Tradition und die innere Führung des Geistes veranlassen die Christen unserer Zeit dazu, immer mehr die Bibel als das für das Gebet grundlegende Buch zu benutzen und aus ihr echte Anregungen und unübertreffliche Modelle zu entnehmen. Der Marienkult kann sich dieser allgemeinen Ausrichtung der christlichen Frömmigkeit nicht entziehen,<ref>Vgl. DV Nr. 25: AAS 58 (1966), S. 829-830. </ref> vielmehr muss gerade er sich im besonderen dadurch inspirieren lassen, um neue Kraft und sicheren Nutzen daraus zu gewinnen. Die Bibel ist, indem sie auf wunderbare Weise den Heilsplan Gottes für die Menschen darstellt, als Ganzes vom Mysterium des Erlösers durchdrungen und enthält auch, von der Genesis bis zur Apokalypse, unzweifelbare Hinweise auf die, die die Mutter und Gefährtin des Erlösers war. Wir möchten jedoch nicht, dass die biblische Ausrichtung sich nur auf einen eifrigen Gebrauch von Texten und Symbolen beschränkt, die mit Umsicht aus den Heiligen Schriften genommen werden. Sie besagt mehr; sie verlangt, dass die Gebetsformeln und die für den Gesang bestimmten Texte aus der Bibel Begriffe und Anregungen schöpfen. Gefordert ist vor allem, dass der Marienkult von den großen Themen der christlichen Botschaft geprägt wird, damit die Gläubigen, während sie den Sitz der Weisheit verehren, selbst vom Licht des göttlichen Wortes erleuchtet und dazu geführt werden, nach den Anweisungen der menschgewordenen Weisheit zu handeln.

31 Von der Verehrung, die die Kirche der Gottesmutter in der Feier der Liturgie erweist, haben Wir bereits gesprochen. Doch können Wir jetzt, da Wir die anderen Formen des Kultes und die Kriterien erörtern, nach denen sich diese zu richten haben, es nicht unterlassen, an die Norm der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ zu erinnern, die, während sie die Andachtsübungen des christlichen Volkes nachdrücklich empfiehlt, hinzufügt: „Diese Übungen... sollen indes die liturgische Zeit gebührend berücksichtigen und so geordnet sein, dass sie mit der heiligen Liturgie zusammenstimmen, gewissermaßen aus ihr herausfließen und das Volk zu ihr hinführen; denn sie steht von Natur aus weit über ihnen“<ref>Nr. 13: AAS 56 (1964), S. 103. </ref>. Eine kluge und klare Norm, deren Durchführung sich jedoch nicht als leicht erweist, besonders im Bereich des Marienkultus, der in seinen Ausdrucksformen so verschieden ist. Sie verlangt in der Tat von seiten der Verantwortlichen der örtlichen Gemeinschaften Einsatz, pastorales Einfühlungsvermögen und Beharrlichkeit; von seiten der Gläubigen die Bereitschaft, die Anweisungen und Vorschläge anzunehmen, die, da sie sich aus der wahren Natur des christlichen Kultes herleiten, mitunter die Änderung veralteter Bräuche mit sich bringt, in denen jene Natur in gewisser Weise verdunkelt worden ist.  

Wir möchten diesbezüglich auf zwei Verhaltensweisen aufmerksam machen, die die Norm des Zweiten Vatikanischen Konzils in der pastoralen Praxis ihrer Wirkung berauben. So vor allem das Verhalten einiger, die in der Seelsorge tätig sind, die die Andachtsübungen von vornherein ablehnen, selbst jene, welche in den gebührenden Formen vom Lehramt empfohlen werden, sie unterlassen und dadurch eine Leere schaffen, die sie ihrerseits nicht auszufüllen suchen. Diese vergessen, dass das Konzil davon spricht, dass die Andachtsübungen mit der Liturgie in Einklang zu bringen und nicht abzuschaffen sind. An zweiter Stelle steht das Verhalten derer, die unabhängig von einem gesunden liturgischen und pastoralen Kriterium Andachtsübungen und liturgische Handlungen miteinander vermischen oder zu ungeordneten Feiern vereinigen. Dies geschieht, wenn in dieselbe Feier des eucharistischen Opfers Elemente von Novenen oder anderen Andachtsübungen eingefügt werden, womit die Gefahr verbunden ist, dass das Gedächtnis des Herrn selbst nicht den Höhepunkt der Versammlung der christlichen Gemeinde bildet, sondern fast nur eine Gelegenheit für irgendeine Andachtsform. Jene, die so handeln, möchten Wir daran erinnern, dass die Norm des Konzils vorschreibt, dass die Andachtsübungen mit der Liturgie in Einklang gebracht werden und nicht mit ihr vermischt werden sollen. Eine kluge Pastoral muss einerseits die den liturgischen Handlungen eigene Natur unterscheiden und hervorheben, andererseits muss sie den Andachtsübungen den ihnen gebührenden Wert beimessen, um sie den Erfordernissen der einzelnen kirchlichen Gemeinschaften anzupassen und sie zu wertvollen Hilfen für die Liturgie zu machen.

32 Wegen seines kirchlichen Charakters spiegeln sich im Marienkult die Sorgen und Anliegen der Kirche selbst, unter denen in unseren Tagen der sehnliche Wunsch nach der Wiederherstellung der Einheit der Christen besonders hervorragt. Die Ausdrucksformen der Verehrung der Mutter des Herrn werden somit offen für die Nöte und Ziele der ökumenischen Bewegung, das heißt, sie erhält selbst eine  ökumenische Prägung, Und dies aus verschiedenen Gründen. Vor allem, weil sich die katholischen Gläubigen mit den Brüdern der orthodoxen Kirchen vereinen, in denen die Verehrung der Seligen Jungfrau Ausdrucksformen hoher Poesie und tiefgründiger Lehre besitzt, indem sie mit besonderer Liebe die glorreiche Gottesmutter (Theotocos) verehren und sie als ”Hoffnung der Christen”<ref>Vgl. Officium magni canonis paracletici, Magnum Orologion, Athenis 1963, S. 558; gelegentlich in den canones und den liturgischen Hymnen: vgl, Sophronius Eustradiadou, Theotokarion, Chennevières-sur-Mame 1931, S. 9, 19. </ref> anrufen. Sie verbinden sich mit den Anglikanern, deren klassische Theologen schon die solide biblische Grundlage des Kultes der Mutter unseres Herrn aufgezeigt haben und deren zeitgenössische Theologen zum großen Teil die Bedeutung der Stellung hervorheben, die Maria im christlichen Leben einnimmt. Ferner verbinden sie sich auch mit den Brüdern der reformierten Kirchen, in denen die Liebe zu den Heiligen Schriften besonders lebendig ist,  wenn sie Gott mit denselben Worten der Jungfrau (vgl. Lk 1, 46 – 55) verherrlichen.

Sodann, weil die Andacht zur Mutter Christi und der Christen eine selbstverständliche und häufige Gelegenheit bietet, sie darum zu bitten, dass sie bei ihrem Sohne für die Einheit aller Getauften in einem einzigen Gottesvolk fürbittend eintritt.<ref>Vgl. LG Nr. 69: AAS 57 (1965), S. 66-67. </ref> Ferner auch deshalb, weil es der Wille der katholischen Kirche ist, dass in diesem Kult, ohne dass sein besonderer Charakter abgeschwächt wird,<ref>Vgl. ebd., N. 66: AAS 57 (1965), S. 65; SC Nr. 103: AAS 56 (1964). S. 125. </ref> mit aller Sorgfalt jegliche Übertreibung vermieden wird, die die anderen christlichen Brüder hinsichtlich der wahren Lehre der katholischen Kirche in Irrtum führen könnte,<ref>Vgl. LG Nr. 67: AAS 57 (1965), S. 65-66. </ref> und jede kultische Ausdrucksform unterbunden wird, die zur richtigen katholischen Praxis in Gegensatz steht. Da es dem echten Kult der Seligen Jungfrau wesentlich eigen ist, dass „in der Verehrung der Mutter der Sohn... richtig erkannt, geliebt, verherrlicht wird”,<ref>Ebd., Nr. 68: AAS 57 (1965), S. 65. </ref> wird er schließlich ein Weg zu Christus, der Quelle und dem Mittelpunkt der kirchlichen Gemeinschaft, in der alle, die aufrichtig bekennen, dass er Gott und Herr, Erlöser und einziger Mittler ist (vgl. 1 Tim 2, 5), berufen sind, untereinander mit ihm und dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes eins zu sein.<ref>Vgl. Paul VI., Ansprache an die Konzilsväter in St. Peter am 21. November 1964: AAS 56 (1964), S. 1017. </ref>

33 Wir sind Uns dessen bewusst, dass es zwischen den Vorstellungen „über die Aufgabe Mariens im Heilswerk!<ref> II. Vat. Konzil, Dekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio, Nr. 20: AAS 57 (1965), S. 105. </ref> und somit dem ihr zu erweisenden Kult bei vielen Brüdern anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und der katholischen Lehre nicht geringe Unterschiede gibt. Da jedoch dieselbe Macht des Allerhöchsten, der die Jungfrau von Nazaret überschattete (vgl. Lk l, 85), auch in der heutigen ökumenischen Bewegung wirkt und sie befruchtet, möchten Wir Unserem Vertrauen Ausdruck geben, dass die Verehrung der demütigen Magd des Herrn, an der der Allmächtige Großes getan hat (vgl. Lk 1, 49), nicht ein  Hindernis, sondern, wenn auch nur langsam, Weg und Punkt der Begegnung für die Einheit aller Christgläubigen wird. Wir freuen Uns, feststellen zu können, dass ein besseres Verständnis der Stellung Mariens im Geheimnis Christi und der Kirche, auch von seiten der getrennten Brüder, den Weg zu einer Begegnung weiter geebnet hat. Wie die Jungfrau in Kana durch ihre Vermittlung erreichte, dass Jesus das erste seiner Wunder wirkte (vgl. Joh 2, 1 – 12), so wird sie in unserer Epoche durch ihre Fürsprache das Herannahen jener Stunde begünstigen, in der die Jünger Christi die volle Gemeinschaft im Glauben wiederfinden werden. Diese unsere Hoffnung wird durch eine Bemerkung Unseres Vorgängers Leos XIII. bestärkt: Das Anliegen der Einheit der Christen „gehört eigentlich zu ihrer (Mariens) geistig mütterlichen Aufgabe. Denn die Christus angehören, hat Maria nicht geboren und nicht gebären können, es sei denn in dem einen Glauben und der einen Liebe: ist ,Christus etwa geteilt?’ (1 Kor 1, 13); wir müssen also alle zusammen das eine Leben Christi leben, um in ein und demselben Leibe ,vor Gott Frucht zu bringen’ (Röm 7, 4)“.<ref>Enzyklika, Adiutricem populi: AAS 28 (1895-1896), S. 135. </ref>

34 Im Marienkult muss man auch den sicheren und bewiesenen Ergebnissen der Humanwissenschaften aufmerksame Beachtung schenken. Dies wird nämlich mit dazu beitragen, einen der Gründe für das Unbehagen zu beseitigen, das man im Bereich des Kultes der Mutter des Herrn antrifft: der Unterschied zwischen einigen seiner Inhalte und den heutigen anthropologischen Anschauungen sowie der tiefgreifend veränderten psychologisch-sozialen Wirklichkeit, in der die Menschen unserer Zeit leben und wirken. Man stellt fest, dass es wirklich schwierig ist, das Bild von der Jungfrau, wie es in einer bestimmten Andachtsliturgie zu finden ist, in die Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft und insbesondere die der Frau einzuordnen; sei es im häuslichen Bereich, wo die Gesetze und die Entwicklung der Sitten berechtigterweise darauf hinwirken, der Frau in der Leitung des Familienlebens die Gleichheit der Mitverantwortung mit dem Mann zuzuerkennen; sei es auf dem Gebiet der Politik, wo sie in vielen Ländern in den öffentlichen Angelegenheiten die Möglichkeit zur Mitarbeit erworben hat, die der des Mannes gleichkommt; sei es im sozialen Bereich, in dem sie in den verschiedenartigsten Betätigungsfeldern ihre Aktivität ausübt und von Tag zu Tag mehr die begrenzte häusliche Umgebung verlässt; sei es auf dem Gebiet der Kultur, wo ihr neue Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Forschung und intellektuellen Leistung offen stehen.

Daraus ergeben sich bei einigen eine gewisse gefühlsmäßige Entfremdung dem Marienkult gegenüber und bestimmte Schwierigkeiten, sich Maria von Nazaret zum Vorbild zu nehmen, weil – wie man behauptet – sich der Horizont ihres Lebens im Gegensatz zu dem weiten Betätigungsbereich, in dem der heutige Mensch zu wirken berufen ist,  als zu begrenzt erweist. Im Hinblick darauf scheint es Uns nützlich zu sein, dass auch Wir, während Wir die Theologen, die Verantwortlichen der christlichen Gemeinschaften und die Gläubigen selbst ermahnen, diesen Problemen die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden, einen Beitrag für deren Lösung geben, indem Wir einige Erwägungen darüber anstellen.

35 Die Jungfrau Maria ist von der Kirche den Gläubigen nicht wegen der Art des Lebens, das sie geführt hat, zur Nachahmung empfohlen worden und noch weniger wegen der soziologisch-kulturellen Umgebung, in der es sich zugetragen hat und die heute fast überall überholt ist, sondern vielmehr stets deswegen, weil sie in ihren konkreten Lebensbedingungen vorbehaltlos und verantwortungsbewusst dem Willen Gottes Folge geleistet hat  (vgl. Lk 1, 88); weil sie von ihm das Wort entgegennahm und in die Praxis umsetzte; weil ihr Handeln von der Liebe und der Bereitschaft zum Dienen beseelt war; weil sie die erste und vollkommenste Jüngerin Christi gewesen ist, was einen universalen und bleibenden vorbildlichen Wert besitzt.

36 An zweiter Stelle möchten Wir bemerken, dass die obengenannten Schwierigkeiten in engem Zusammenhang stehen mit einigen Zügen des volkstümlichen und literarischen Bildes Mariens, nicht aber mit ihrer biblischen Gestalt noch mit den Lehraussagen, die in dem allmählich und gewissenhaft erfolgten Auslegungsprozess des geoffenbarten Wortes näher bestimmt worden sind. Man muss es vielmehr als normal ansehen, dass die christlichen Generationen, die einander in verschiedenen soziologisch-kulturellen Zeitverhältnissen gefolgt sind, bei der Betrachtung der Gestalt und der Sendung Mariens – als neue Frau und vollkommene Christin, die als Jungfrau, Braut und Mutter die charakteristischsten Lebenssituationen einer Frau in sich vereint – die Mutter Jesu als den hervorragenden Typus für die Situation der Frau und als erhabenes Vorbild des evangelischen Lebens angesehen haben und diesen ihren Überzeugungen gemäß den Kategorien und Vorstellungen ihrer Zeit Ausdruck gegeben haben. Die Kirche freut sich, wenn sie die lange Geschichte der marianischen Frömmigkeit betrachtet, die Kontinuität des Kultes festzustellen, doch bindet sie sich nicht an die Darstellungsschemen der verschiedenen kulturellen Epochen noch an die besonderen anthropologischen Anschauungen, die sie begleiten, und versteht, wie manche Ausdrucksformen des Kultes, die in sich durchaus gültig sind, für Menschen, die verschiedenen Epochen und Zivilisationen angehören, weniger geeignet sind.

37 Wir möchten schließlich noch hervorheben, dass unsere Epoche, nicht anders als die vorausgehende, aufgerufen ist, die eigene Erkenntnis der Wirklichkeit anhand des Wortes Gottes zu überprüfen und, um Uns auf den hier behandelten Gegenstand zu beschränken, ihre anthropologischen Anschauungen und Probleme, die sich daraus ergeben, mit der Gestalt der Heiligen Jungfrau zu konfrontieren, wie sie uns das Evangelium vorstellt. Das Lesen der göttlichen Schriften, das vom Geist geleitet ist und so geschieht, dass man sich dabei die Ergebnisse der Humanwissenschaften und die verschiedenen Situationen der heutigen Welt vor Augen hält, wird entdecken helfen, wie Maria als Spiegel der Erwartungen der Menschen unserer Zeit angesehen werden kann. So wird, um ein Beispiel anzuführen, die heutige Frau, die danach strebt, mit Entscheidungsvollmacht an den zu treffenden Wahlen der Gemeinschaft teilzunehmen, mit inniger Freude Maria betrachten, die, da sie in den Dialog mit Gott aufgenommen wird, ihre aktive und verantwortungsbewusste Zustimmung gibt,<ref>Vgl. LG Nr. 56: AAS 57 (1965), S. 60. </ref> nicht zur Lösung eines zufälligen Problems, sondern zum ”saeculorum negotium” (Ereignis der Jahrhunderte), wie die Inkarnation des Wortes zurecht genannt worden ist.<ref>Vgl. heiliger Petrus Chrysologus, Sermo CXLIII: PL 52, 583. </ref> Sie wird erkennen, dass die Wahl des jungfräulichen Standes von seiten Mariens, der sie im Plan Gottes auf das Geheimnis der Menschwerdung vorbereitete, kein Sich-Verschließen gegenüber irgendwelchen Werten des Ehestandes bedeutete, sondern eine mutige Entscheidung war, die getroffen wurde, um sich vorbehaltlos der Liebe Gottes zu überantworten; sie wird mit freudiger Überraschung feststellen, dass Maria von Nazaret, obwohl sie sich vollkommen dem Willen des Herrn überließ, alles andere war als eine passiv unterwürfige oder von einer befremdenden Religiosität geprägte Frau, sondern eine Frau, die nicht zögerte zu verkünden, dass Gott der Rächer der Niedrigen und Bedrückten ist und die Mächtigen dieser Welt von ihren Thronen stürzt (vgl. Lk 1, 51 – 58); sie wird an Maria, die „unter den Demütigen und Armen des Herrn hervorragte“<ref>LG Nr. 55: AAS 57 (1965), S. 59-60. </ref> , eine starke Frau erkennen, die Armut und Leid, Flucht und Exil kannte (vgl. Mt 2, 13 – 23); Situationen, die der Aufmerksamkeit dessen nicht entgehen können, der die befreienden Kräfte des Menschen und der Gesellschaft im Geist des Evangeliums unterstützen möchte. Ihr wird Maria nicht als eine Mutter erscheinen, die sich eifersüchtig über ihren göttlichen Sohn beugt, sondern als Frau, die durch ihr Handeln den Glauben der apostolischen Gemeinde in Christus förderte (vgl. Joh 2, 1 – 12) und deren mütterliche Sendung sich weitete und auf dem Kalvarienberg universale Dimensionen annahm.<ref>Vgl. Paul VI., Apost. Schreiben, Signum magnum, I: AAS 59 (1967), S. 467-468; Römisches Messbuch, 15. September, Gabengebet. </ref> Dies sind einige Beispiele. An ihnen zeigt sich jedoch deutlich, dass die Gestalt der Jungfrau keine der tiefen Erwartungen der Menschen unserer Zeit enttäuscht und ihnen das vollendete Vorbild des Jüngers des Herrn darstellt: Erbauer zu sein der irdischen und zeitlichen Stadt, jedoch als eifriger Pilger auf dem  Weg zu  jener himmlischen und ewigen; Förderer der Gerechtigkeit, die den Unterdrückten befreit; und der Liebe, die dem Bedürftigen beisteht; vor allem aber tatkräftiger Zeuge der Liebe, die Christus in den Herzen auferbaut. 

38 Nachdem Wir diese Hinweise gegeben haben, die darauf abzielen, die harmonische Entwicklung des Kultes der Mutter des Herrn zu fördern, halten Wir es für nützlich, die Aufmerksamkeit auf einige irrige kultische Ausdrucksformen zu lenken. Das Zweite Vatikanische Konzil hat bereits die Übertreibung im Inhalt oder in der Form, die zu einer Verfälschung der Lehre führen, als auch jene Engherzigkeit des Geistes, die die Gestalt und die Sendung Mariens verdunkelt, autoritativ aufgezeigt. Sodann auch einige kultische Abweichungen: so die eitle Leichtgläubigkeit, die das ernsthafte Bemühen durch ein leichtfertiges Vertrauen auf rein äußerliche Praktiken ersetzt; die unnützen und flüchtigen Gefühlsbewegungen, die dem Charakter des Evangeliums so fremd sind, das beharrliche und tätige Werke verlangt.<ref>Vgl. LG Nr. 67: AAS 57 (1965), S. 65-66. </ref> Wir beklagen dies erneut: sie stehen nicht im Einklang mit dem katholischen Glauben und dürfen deshalb auch nicht im katholischen Kult fortbestehen. Der wachsame Schutz vor diesen Irrtümern und Fehlentwicklungen wird den Marienkult kraftvoller und echter machen: fest in seinem Fundament, weshalb in ihm das Studium der Offenbarungsquellen und die Beobachtung der Dokumente des Lehramtes vor einer übertriebenen Suche nach Neuem oder nach außergewöhnlichen Ereignissen den Vorrang haben; objektiv in seiner geschichtlichen Einordnung, weshalb alles, was offenkundig legendär oder falsch ist, ausgeschieden werden muss; dem Inhalt der Lehre entsprechend, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, einseitige Darstellungen der Gestalt Mariens zu vermeiden, die, weil sie über die Maßen ein bestimmtes Element betonen, die Gesamtheit des biblischen Bildes gefährden; klar in seinen Motivierungen, weshalb mit aller Sorgfalt vom Heiligtum jedes nichtige Interesse ferngehalten werden muss.

39 Schließlich wollen Wir, falls es noch nötig ist, betonen, dass das letzte Ziel des Kultes der Seligen Jungfrau darin besteht,  Gott zu verherrlichen und die Christen zu einem Leben anzuhalten, das seinem Willen völlig entspricht.  Wenn nämlich die Söhne der Kirche ihre Stimme mit der Stimme jener unbekannten Frau im Evangelium vereinen und mit ihr die Mutter Jesu preisen, indem sie auf Jesus selbst gewandt ausrufen: „Selig der Schoß, der dich getragen, und die Brust, die dich genährt hat!” (Lk 11, 27), werden sie dazu geführt, die bedeutungsvolle Antwort des göttlichen Meisters zu betrachten: „Ja, selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen!” (Lk 11, 28). Diese Antwort bedeutet für uns, wenn sie auch in sich, wie sie einige Kirchenväter verstehen<ref>Vgl. heiliger Augustinus, Zum Johannes-Evangelium, Traktat X, 3; CCL 36, S. 101-102; Brief 243, An Laetus, Nr. 9: CSEL 57, S. 575-576; heiliger Beda, Erklärung des Lukas-Evangeliums, IV, xi, 28: CCL 120, S. 237; Homilie I, 4: CCL 122, S. 26-27. </ref> und es auch das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt hat,<ref>Vgl. LG Nr. 58: AAS 57 (1965), S. 61 </ref> ein hohes Lob der Heiligen Jungfrau darstellt, zugleich eine Ermahnung, nach den Geboten Gottes zu leben, und ist gleichsam ein Widerhall anderer mahnender Worte desselben göttlichen Erlösers: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist” (Mt 7, 21), und „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr das tut, was ich euch gebiete” (Ijob 15, 14).

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

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