Nachkonziliare Krise

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Im konservativ-katholischen Milieu wird mit dem Begriff Nachkonziliare Krise die Phase (ungefähr) zwischen 1965 und 1985 bezeichnet. Eine eindeutiges Ansetzen von Beginn und Ende der nachkonziliaren Krise ist oft schwierig, so wird von manchen auch die Gegenwart im Umfeld der nachkonziliaren Krise gesehen. Zu den lehramtlichen Dokumenten der Zeit vgl. Nachkonziliare Dokumentation.

Begriff

Der Begriff wurde vermutlich in Frankreich geprägt, wo die "kirchenpolitischen Lager" nicht erst seit 1965 heftig aufeinander stießen ("la crise post-conciliaire"). Damit sind die Phänomene schwindender religiöser Praxis und nachlassender Disziplin in der katholischen Kirche ad intra gemeint, verbunden mit dem allgemeinen Phänomen der Säkularisierung ("Verweltlichung"), vor allem in der westlichen Welt. Diese Krise kann aber nicht unabhängig von beginnenden kirchlichen Krisenerscheinungen aus der Zeit vor dem II. Vatikanum betrachtet werden. Sehr lesenswert ist dazu auch heute noch das wenig beachtete Schreiben Papst Paul VI. Quinque iam anni von 1970.

Papst Paul VI. hat ein einziges Mal in freier Rede von einer Selbstzerstörung der Kirche gesprochen. <ref> Osservatore Romano vom 8. Dezember 1968</ref> Ein Bericht über eine Ansprache vor dem Lombardischen Seminar am 7. Dezember 1968 (cfr. Insegnamenti, Bd. VI (1968, S. 1187-89 (1188)) notiert.<ref>Der Papst gelangte zu einer weiteren Betrachtung:] «Che cosa vedete nel Papa?». E risponde: Signum contradictionis: un segno di contestazione. La Chiesa attraversa, oggi, un momento di inquietudine. Taluni si esercitano nell’autocritica, si direbbe perfino nell’autodemolizione. È come un rivolgimento interiore acuto e complesso, che nessuno si sarebbe atteso dopo il Concilio. Si pensava a una fioritura, a un’espansione serena dei concetti maturati nella grande assise conciliare. C’è anche questo aspetto nella Chiesa, c’è la fioritura. (Siehe: Weblink, oben)
[Das Originalzitat belegt, dass diese Äußerung vom Traditionalismus bewusst missdeutet wird.]</ref>

Forschungsstand

Ursachen und Verlauf dieser Krisenzeit wurden bislang jedoch nur wenig erforscht, so dass die unterschiedlichsten Darstellungen, Schuldzuweisungen und Erklärungsmodelle im Umlauf sind, je nach Standort des Beobachters. Manche sehen die Krise insbesondere als Krise des Klerus, dessen Identität im II. Vatikanum, trotz umfangreicher Dokumente zu Leben, Dienst und Ausbildung des Priesters, zu wenig reflektiert wurde <ref>vgl.: Botschaft an die Priester (ital.) von Papst Paul VI., 30. Juni 1968</ref>. Manche vermuten, dass eine seit dem Beginn des Jahrhunderts eher unterdrückte als gelöste Problematik hinsichtlich der Theologie im Konflikt mit den Wissenschaften die wesentliche Krisenursache gewesen sein könnte. Auch die politischen Entwicklungen der ersten Hälfte des Jahrhunderts (Kriege, Krisen, Totalitarismus, Demokratisierung) waren sicherlich nicht bedeutungslos. Für wohl (fast) jedes Konzil gilt aber, dass es gerade dadurch, dass es mit höchster Autorität spricht, die ganze Kirche durch aktuelle Anforderungen "unter Druck setzt", die zunächst beinahe unvermeidlich Widerstände provozieren. Dass die Stellung der Kirche zur Welt, anderen Konfessionen und Religionen gleichzeitig mit umfangreichen liturgischen Änderungen einhergingen, war sicher nicht förderlich. <ref>Herrführer kämpfen nicht an Fronten und lassen gleichzeitg ihre Soldaten Waffen, Strategien und Uniformen entwerfen </ref> Wenigstens zum Teil müssen sowohl progressive wie konservative Versuche der Einflussnahme schon auf Verlauf und Ergebnis des Konzils als "Frühstart" im Widerstand gegen die Rezeption der echten Urteile der höchsten Kirchenversammlung interpretiert werden (vgl. Hans Küng, Karl Rahner, Alfredo Ottaviani).

Eine ausführliche Aufarbeitung ist auch hier nicht möglich. Es spricht aber einiges dafür, dass die Krise um 1972 ihren kritischsten Tiefpunkt bereits überwand und etwa seit dem Heiligen Jahr 1975 keine bedrohlichen Ausmaße mehr hat, eher sogar durch wachsende Hoffnungszeichen abgelöst wurde. Die Hoffnungszeichen sind im wesentlichen mit dem Pontifikat von Papst Johannes Paul II. verknüpft.

Diagnose 1972

Der für die Durchführung und Vollendung des letzten Konzils verantwortliche Papst Paul VI. zeigte sich im Jahr 1972 mehrfach irritiert darüber, dass statt der erhofften Belebung und dem geistlichen Wachstum, das vom II. Vatikanum ausweislich sämtlicher Dokumente bezweckt war, das Gegenteil einzutreten schien. Häufig zitiert wird eine Äußerung dieses Papstes vom 29. Juni 1972. Zu Beginn seines zehnten Pontifikatsjahrs hatte der Papst eine Predigt in freier Rede gehalten. Er brachte seine Enttäuschung über die Nachkonzilszeit unerwartet offen zum Ausdruck. Nach einem Bericht von Erzbischof Agostino Casaroli, späterer Kardinalstaatssekretär, hatte der Papst auch von seinem Eindruck gesprochen, als ob durch irgendeinen Spalt der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen sei, um die Früchte des Konzils zu verderben. <ref>Vgl.: Insegnamenti Paolo VI, Bd. X (1972), S. 707; bzw. Weblink oben: [Il] Santo Padre afferma di avere la sensazione che «da qualche fessura sia entrato il fumo di Satana nel tempio di Dio». </ref>

Gemeint war damit, nach Überzeugung von Philippe Levillain, im Dictionnaire historique de la papauté zu Paul VI., insbesondere das Problem um die Traditionalistenbewegung von Marcel Lefebvre (gegr. 1970). Demnach stellte der Widerstand gegen das Konzil (vgl. Religionsfreiheit) und die Liturgiereform seitens des Traditionalismus für den Papst damals eine Bewährungsprobe dar, die er persönlich zumindest so bedrängend empfand, als der Protest gegen seine letzte Enzyklika Humanae vitae. Denn während alle alten und modernen Häresien schon einmal Konjunktur hatten, wieder stärker oder schwächer werden, begriff Papst Paul VI. den sich dort abzeichnenden Traditionsbegriff als gefährlich. Diese lehren einen vermeintlich "zwingenden" Gehorsam gegenüber dem "traditionellen" Papsttum (d.h. so wie sie es subjektiv auffassen), der sich im Widerstand gegen den amtierenden Papst zu beweisen habe. Trotz heftiger Aktivität, insbesondere seit einer Grundsatzerklärung Marcel Lefebvres vom 21. Nov. 1974, konnte der Traditionalismus aber nur eine geringe Reichweite unter den Katholiken erreichen; die Zahl der auf diese Interpretation der Tradition fixierten Anhänger dürfte weltweit deutlich unter 100.000 Personen liegen. Jedoch gibt es wesentlich mehr Freunde der "alten Liturgie", die aber die Ansichten des Erzbischofs Lefebvre nicht billigen. Statt einer erhofften Präzisierung des Traditionsbegriffes des Konzils von Trient, haben diese eine zerflossene "Definition" des Traditionsbegriffes durch Papst Paul VI. zu beklagen, welche die Lage verschlimmert.

Hermeneutik des Bruchs

Plausibel wird diese Gegenbewegung gegen Papst und Konzil jedoch aus der stürmischen Entwicklung der vorangegangenen Jahre. In der Interpretation der Konzilsbeschlüsse, insbesondere in Nord- und Westeuropa und Nordamerika, gewann bisweilen eine Deutung das Übergewicht, die das Konzil als Abkehr von der Tradition und Bestätigung einer neuen Auffassung von der Kirche sah. Diese Deutung konnte von traditioneller Seite als Wiederbelebung des Modernismus aufgefasst werden, wenngleich diese Deutung, anders als der Modernismus (und der Integralismus) das sakramental verfasste kirchliche Amt (vgl. Hierarchie) nie vollends in Abrede stellte. Es wird angenommen, die nachkonziliare Krise beruhe zum Teil darauf, dass trotz notwendiger und erfolgreicher Verurteilung modernistischer Lehren seit Pius X. (bestätigt durch sämtliche Nachfolger, zuletzt in Deus caritas est, insb. Nr. 12-15, 37-39), die bloße Lehrverurteilung schon um 1907 (vgl. Enzyklika Pascendi) als Methode nicht mehr ausreichte, um das Weiterwirken von mit Irrtum behafteten Auffassungen inmitten der Kirche zu verhindern. Nicht nur in Teilströmungen der so gen. Nouvelle théologie der 1940-er Jahre (vgl. Enz. Humani generis, 1950), auch in dem als Holländischer Katechismus von 1966 bekannt gewordenen Werk wurden diese älteren Tendenzen, die jedenfalls bis zu Reimarus (+ 1768) zurückreichen, partiell von neuem spürbar. Am offensichtlichsten sei jedoch, nach Ansicht mancher Konzilskritiker, dass das Vorhaben Johannes XXIII., (das er "Schauspiel" oder "Konzil" nannte), der in Unfriede lebenden Welt, katholische Antworten zu geben umgestürzt wurde und ein völlig unausgegorener Text zu Beginn des Konzils (vgl. 1. Generalkongregation)) gemacht wurde, der dann in verschiedene Dokumente geteilt wurde, um die Ideen der sog. Rheingruppe leichter durchboxen zu können.

Sofern der Kampf gegen die Liturgiereform ("neue Messe") ein Instrument war, um die (ursprünglich seitens des so gen. Neo-Modernismus inszenierte) "Hermeneutik des Bruchs" nun auch seitens des Traditionalismus zu untermauern, hat Papst Benedikt XVI. mit dem Motu Proprio Summorum Pontificum von 2007 ("Freigabe" der "alten Messe") die Perspektive der Kontinuität gestärkt, was jedenfalls der Autorität des Konzils zugute kommt.

siehe: Weihnachtsansprache Expergiscere, homo von Benedikt XVI. an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie beim Weihnachtsempfang am 22. Dezember 2005

"aggiornamento"

Der pastorale Methodenwechsel, den Papst Johannes XXIII. als Aggiornamento einleitete und den Paul VI. mit il Dialogo überschrieb (Enz. Ecclesiam Suam, 1964), hat aber seinen Ursprung bereits in den Tagen des I. Weltkriegs, dessen brutale Erschütterungen (jedes optimistischen Humanismus) bis heute anhalten. Damals gebot Papst Benedikt XV. den Übertreibungen des Antimodernismus, angesichts der Katastrophe, sofort Einhalt, um die Einheit der Kirche als supranationale Instanz zu retten.<ref>Benedikt XV. : Quelle ? </ref> Papst Pius XI. hatte gleichfalls die fundamental neue Lage der Welt von heute in ihren Umrissen erkannt und daher den Frieden Christi im Reiche Christi zum Programm seines Pontifikats gemacht. Unter Pius XII. vollzieht der Katholizismus, belehrt aus dem II. Weltkrieg, einen weiteren Fortschritt, sowohl in der Weltgeltung ad extra als auch hinsichtlich des katholischen Programms. Aus heutiger Sicht ist die Schlussfolgerung erlaubt, dass sämtliche Päpste seit Pius IX. mehr und mehr auf das II. Vatikanum zusteuerten, um der modernen Welt einen geistlichen Begriff der Kirche anzubieten.

und "approfondissement"..

Dieser geistliche Begriff der Kirche, der im Sakrament wurzelt, umfasst Treue zur Tradition und jeweilige Anpassung an die Gegenwart gleichermaßen. Er stärkt mithin das Lehramt der Kirche, auch ihr Hirten- und Priesteramt, das zu den notwendigen Maßnahmen befugt ist. Immer existiert in der Kirche also eine notwendige Intransigenz einerseits, also eine Kompromisslosigkeit im Wesentlichen, aber auch die Fähigkeit zu angemessener Erneuerung im Horizont der Zeit, also eine notwendige Modernität.

Diese Schlussfolgerung kann zur Überlegung führen, ob etwa die nachkonziliare Krise des 20. Jahrhunderts zugleich den Abschluss der Krisenerscheinungen nach dem I. Vatikanum markiert. Denn der vorzeitig erzwungene Abbruch und evtl. eine unzureichende Vermittlung der Ergebnisse von 1870, haben die Deutung des II. Vatikanums als Distanzierung vom I. Vatikanum möglich gemacht. Wahrscheinlich können beide vatikanischen Konzilien letztlich nur in einer gemeinsamen Perspektive erfolgversprechende Akzeptanz erzielen.

Die nachkonziliare Krise ist auch nicht unabhängig von der Krise jedweder Autorität seit 1914 zu bewerten. Vermutlich ist die Reichweite der Krise voll identisch gewesen mit dem Zusammenbruch überlieferter Autoritäten (Monarchie, ländliche Großfamilie, traditioneller Sozialkonsens in der Moral), welche die religiöse Praxis, vor allem in der europäischen Zivilisation, zuvor noch stützten. Überwunden wird die Krise, falls diese Hypothese zutrifft, dann genau in dem Maße, wie die Legitimität eines geistlichen Autoritätsbegriffs die freiwillige Zustimmung (innerhalb der Pluralität der modernen Gesellschaft) gewinnt.

Nicht zur nachkonziliaren Krise im eigentlichen Sinne gehören nur-theologische Probleme, etwa in der Christologie, da diese während der ganzen Geschichte der Kirche unvermeidlich sind.

Die Intransigenz des Konzils

In Vorträgen von 2002 hat Kardinal Avery Dulles die seiner Ansicht wesentlichsten Irrtümer in der Interpretation des II. Vatikanum in zwölf Punkten zusammengefasst. Seine wichtigsten Richtigstellungen:

  • The council taught that salvation cannot be found in any other name that of Jesus.

Dem Konzil wird nachgesagt, es habe nichtchristlichen Religionen zuerkannt, dass sie Offenbarungscharakter enthalten und zum Heil führen können. Anders aber: Ad gentes Nr. 9, Gaudium et spes Nr. 10, Dignitatis humanae Nr. 1, Lumen gentium Nr. 16.

  • Scripture is an inspired and privileged sedimentation of tradition but not an independent or separable norm.

Dem Konzil wird nachgesagt, das Konzil habe der Heiligen Schrift vor der Tradition den Vorrang eingeräumt. Anders aber Dei Verbum, insb. Nr. 9.

  • It taught that revelation became complete in Jesus Christ and that no further public revelation is to be expected before the end of time, when Christ returns in glory (DV, Nr. 4).

Dem Konzil wird nachgesagt, es messe den "Zeichen der Zeit" normativen Charakter für den Inhalt der Offenbarung heute bei. Das Gegenteil ist der Fall, siehe insb. Gaudium et spes, Nr. 4.

  • But in reality the council affirmed that faith and baptism are necessary for salvation and that, since baptism is the door to the church, the church is too necessary.

Dem Konzil wird nachgesagt, es habe auf die Heilsnotwendigkeit der Kirche verzichtet und den Absolutheitsanspruch der wahren Religion preisgegeben. Lumen gentium Nr. 14-16 spricht aber anders.

Weg aus der Krise: Echter Fortschritt und echter Dialog

Reformen müssen im Sinne des Johannes-Wortes "Ändert euch!" angegangen werden. Eine echte Reform muss aus dem Geist der Tradition erwachsen, denn: Fortschritt führt nur zum Ziel, wo der Weg nicht verleugnet wird; Erhaltung und Neuerschließung des Gültigen und Bleibenden muss Leitlinie bei der Erneuerung des Zeitbedingten und Wandelbaren sein. Die Legitimität des Fortschritts ist "nach größerer oder weniger größerer Nähe zu Christus" zu bewerten. Hierbei hat das Konzil unter Leitung des Heiligen Geistes auch Neuorientierungen angestoßen, wo der Blick auf Christus durch ein Übermaß an Riten und Formalismen im Lauf der Zeit verdeckt worden war.

Ein echter Dialog mit der heutigen Welt kann nur von einer brüderlichen Kirche, auf die Bibel und ihre Tradition ausgerichteten Kirche in Einheit mit dem Papst geführt werden. "Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2|20.27), kann im Glauben nicht irren." (II. Vatikanum, Dogm. Konstitution Lumen gentium, 12.)

Konklusion

Mit geradezu prophetischen Worten beschreibt Vinzenz von Lérins in seinem Commonitorium (23, 14-15) im 5. Jahrhundert die Nachkonziliare Krise als Folge des Modernismus: „Wenn nämlich irgendein Teil der katholischen Glaubenslehre aufgegeben wird, und dann noch einer und wieder ein anderer, so werden nacheinander immerfort weitere Teile gleichsam schon aus Gewohnheit und mit dem Anspruch der Legitimität aufgegeben. Wenn aber die einzelnen Teile verworfen werden, dann wird die letzte Konsequenz daraus sein, dass das Ganze gleichermaßen verworfen wird. Aber auch wenn man andererseits beginnt, Neues dem Alten, Fremdes dem Eigenen, Unheiliges dem Heiligen beizumischen, so muss diese Unsitte auf das Ganze übergreifen, so dass an der Kirche nachher nichts unberührt, nichts unverletzt, nichts unversehrt, nichts unbefleckt gelassen wird, sondern in der Folgezeit sich ebendort eine Lasterhöhle gottloser und schändlicher Irrtümer ausbreitet, wo sich zuvor ein Heiligtum reiner und unversehrter Wahrheit befunden hatte“.<ref>zitiert aus http://www.kath-info.de/lerins.html von Prof. Dr. Michael Fiedrowicz, abgerufen am 29. März 2021</ref>

Literatur

Weblinks

Anmerkungen

<references />