Traditionis custodes (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 26. Juli 2021, 12:50 Uhr

Motu proprio
Traditionis custodes

von Papst
Franziskus
über den Gebrauch der Römischen Liturgie in der Gestalt vor der Reform von 1970

16. Juli 2021
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitend

Als Wächter der Tradition stellen die Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom das sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen dar.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1964), 23: AAS 57 (1965) 27.</ref> Unter der Führung des Heiligen Geistes leiten sie die ihnen anvertrauten Teilkirchen durch die Verkündigung des Evangeliums und durch die Feier der Eucharistie.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1964), 27: AAS 57 (1965) 32; Zweites Vatikanisches Ökumenische Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus (28. Oktober 1965), 11: AAS 58 (1966) 677-678; Katechismus der Katholischen Kirche, 833.</ref>

Um die Eintracht und die Einheit der Kirche zu fördern, haben meine verehrten Vorgänger, der heilige Johannes Paul II. und Benedikt XVI., in väterlicher Sorge gegenüber denen, die in einigen Regionen den liturgischen Formen anhingen, die der vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollten Reform vorausgingen, die Befugnis gewährt und geregelt, das vom heiligen Johannes XXIII. 1962 herausgegebene Römische Messbuch zu verwenden.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Ecclesia Dei (2. Juli 1988): AAS 80 (1998) 1495-1498; Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Summorum Pontificum (7. Juli 2007): AAS 99 (2007) 777-781; Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Ecclesiae unitatem (2. Juli 2009): AAS 101 (2009) 710-711.</ref> Es war dabei ihre Absicht, »all jenen Katholiken [die kirchliche Gemeinschaft zu erleichtern], die sich an einige frühere Formen der Liturgie […] gebunden fühlen«<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Ecclesia Dei (2. Juli 1988), 5: AAS 80 (1988) 1498.</ref> und nicht an andere.

Im Anschluss an die Initiative meines verehrten Vorgängers Benedikt XVI., drei Jahre nach seiner Publikation die Bischöfe zu einer Überprüfung der Anwendung des Motu Proprio Summorum Pontificum einzuladen, hat die Kongregation für die Glaubenslehre im Jahr 2020 eine umfassende Konsultation der Bischöfe durchgeführt, deren Ergebnisse im Licht der in diesen Jahren gereiften Erfahrungen sorgsam erwogen wurden.

Nachdem ich nun die von den Bischöfen geäußerten Wünsche erwogen und die Meinung der Glaubenskongregation gehört habe, ist es meine Absicht, mit diesem Apostolischen Schreiben in der beständigen Suche nach der kirchlichen Gemeinschaft weiter fortzuschreiten. Daher habe ich es für angemessen gehalten, Folgendes zu bestimmen:

Art. 1. Die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgierten liturgischen Bücher sind die einzige Ausdrucksform der lex orandi des Römischen Ritus.

Art. 2. Dem Diözesanbischof als Leiter, Förderer und Wächter des gesamten liturgischen Lebens in der ihm anvertrauten Teilkirche<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 41: AAS 56 (1964) 111; Caeremoniale Episcoporum, 9; Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Instruktion Redemptionis Sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind (25. März 2004), 19-25: AAS 96 (2004) 555-557.</ref> obliegt die Regelung der liturgischen Feiern in der eigenen Diözese.<ref> Vgl. Codex Iuris Canonici, can. 375 §1; can. 392.</ref> Daher ist es seine ausschließliche Zuständigkeit, den Gebrauch des Missale Romanum von 1962 in seiner Diözese zu gestatten und dabei den Weisungen des Apostolischen Stuhles zu folgen.

Art. 3. In den Diözesen, in denen es bisher eine oder mehrere Gruppen gibt, die nach dem Missale vor der Reform von 1970 zelebrieren, hat der Bischof:

§1 sicherzustellen, dass diese Gruppen nicht die Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, der Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes der Päpste ausschließen;

§2 einen oder mehrere Orte zu bestimmen, wo die Gläubigen, die zu diesen Gruppen gehören, sich zur Eucharistiefeier versammeln können (jedoch nicht in den Pfarrkirchen und ohne neue Personalpfarreien zu errichten);

§3 am angegebenen Ort die Tage zu bestimmen, an denen die Feier der Eucharistie unter Verwendung des vom heiligen Johannes XXIII. 1962 promulgierten Römischen Messbuchs möglich ist.<ref> Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Dekret Quo magis bezüglich der Approbation von sieben neuen Präfationen für die außerordentliche Form des Römischen Ritus (22. Februar 2020) und Dekret Cum sanctissima bezüglich der liturgischen Feiern zu Ehren der Heiligen in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus (22. Februar 2020): L’Osservatore Romano, 26. März 2020, S. 6.</ref> Bei diesen Feiern sollen die Lesungen in der Volkssprache vorgetragen werden, wobei die Übersetzungen der Heiligen Schrift zu verwenden sind, die von den jeweiligen Bischofskonferenzen für den liturgischen Gebrauch approbiert wurden;

§4 einen Priester zu ernennen, der als Beauftragter des Bischofs mit der Zelebration und der pastoralen Sorge für diese Gruppen von Gläubigen beauftragt wird. Der Priester soll für diese Aufgabe geeignet sein, eine Kompetenz im Hinblick auf den Gebrauch des Missale Romanum vor der Reform von 1970 besitzen, eine derartige Kenntnis der lateinischen Sprache haben, die es ihm erlaubt, die Rubriken und die liturgischen Texte vollständig zu verstehen, von einer lebendigen pastoralen Liebe und einem Sinn für die kirchliche Gemeinschaft beseelt sein. Es ist nämlich erforderlich, dass dem beauftragten Priester nicht nur die würdige Feier der Liturgie, sondern auch die pastorale und spirituelle Sorge um die Gläubigen am Herzen liegt;

§5 in den Personalpfarreien, die zum Wohl dieser Gläubigen kanonisch errichtet worden sind, eine entsprechende Überprüfung in Bezug auf deren tatsächliche Nützlichkeit für das geistliche Wachstum durchzuführen und zu bewerten, ob sie beizubehalten sind oder nicht;

§6 dafür Sorge zu tragen, die Bildung neuer Gruppen nicht zu genehmigen.

Art. 4. Die Priester, die nach der Veröffentlichung dieses Motu Proprio geweiht werden und beabsichtigen, nach dem Missale Romanum von 1962 zu zelebrieren, müssen eine formale Anfrage an den Diözesanbischof richten, der vor der Erteilung der Genehmigung den Apostolischen Stuhl konsultiert.

Art. 5. Die Priester, die schon nach dem Missale Romanum von 1962 zelebrieren, erbitten vom Diözesanbischof die Genehmigung, weiterhin von dieser Befugnis Gebrauch zu machen.

Art. 6. Die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, die seinerzeit von der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei errichtet wurden, gehen in die Zuständigkeit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften apostolischen Lebens über.

Art. 7. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung sowie die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften apostolischen Lebens üben im Hinblick auf die Materien, für die sie zuständig sind, die Autorität des Heiligen Stuhls aus, indem sie über die Beachtung dieser Bestimmungen wachen.

Art. 8. Die vorausgehenden Normen, Instruktionen, Gewährungen und Gewohnheiten, die nicht dem entsprechen, was in diesem Motu Proprio festgelegt wird, sind außer Kraft gesetzt.

Ich ordne an, dass all das, was ich mit diesem Apostolischen Schreiben in Form eines Motu Proprio entschieden habe, in allen seien Teilen, ungeachtet einer entgegenstehenden Sache, auch wenn sie besonderer Erwähnung wert wäre, befolgt wird. Ich lege fest, dass es durch Veröffentlichung im „L’Osservatore Romano“ promulgiert wird, unmittelbar in Kraft tritt und später im Amtsblatt des Heiligen Stuhls Acta Apostolicae Sedis veröffentlicht wird.

Gegeben zu Rom, bei St. Johannes im Lateran, am 16. Juli 2021, dem Gedenktag Unserer Lieben Frau auf dem Berge Karmel,

im neunten Jahr unseres Pontifikates.

Franziskus

Anmerkungen

<references />

Begleitbrief

Rom, 16. Juli 2021

Liebe Brüder im Bischofsamt,

wie es bereits mein Vorgänger Benedikt XVI. mit Summorum Pontificum gemacht hat, so habe auch ich die Absicht, das Motu Proprio Traditionis custodes mit einem Brief zu begleiten, um die Gründe zu verdeutlichen, die mich zu dieser Entscheidung gedrängt haben. Ich wende mich mit Vertrauen und Freimut an Euch und tue dies im Namen jener gemeinschaftlichen »Sorge für die ganze Kirche«, die »im höchsten Maß zum Wohl der Gesamtkirche [beiträgt]«, wie uns das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung ruft.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1964), 23: AAS 57 (1965) 27.</ref>

Die Motive, die den heiligen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. bewegt haben, die Möglichkeit des Gebrauchs des vom heiligen Pius V. promulgierten und 1962 vom heiligen Johannes XXIII. herausgegebenen Römischen Messbuches für die Feier des Eucharistischen Opfers zu gewähren, sind allen klar ersichtlich. Die Befugnis, die durch ein Indult der Kongregation für den Gottesdienst 1984 erteilt<ref> Kongregation für den Gottesdienst, Schreiben an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen Quattuor abhinc annos (3. Oktober 1984): AAS 76 (1984), 1088-1089.</ref> und vom heiligen Johannes Paul II. 1988 mit dem Motu Proprio Ecclesia Dei bestätigt wurde<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Ecclesia Dei (2. Juli 1988): AAS 80 (1998), 1495-1498.</ref>, lag vor allem in dem Willen begründet, die Überwindung des Schismas mit der von Erzbischof Lefebvre geleiteten Bewegung zu fördern. Die an die Bischöfe gerichtete Bitte, die »[gerechtfertigten] Wünsche« der Gläubigen, welche den Gebrauch dieses Messbuches erbaten, großzügig aufzunehmen, hatte daher einen kirchlichen Grund in der Wiederherstellung der Einheit der Kirche.

Diese Befugnis wurde von vielen innerhalb der Kirche als Möglichkeit betrachtet, das vom heiligen Pius V. promulgierte Römische Messbuch frei zu gebrauchen, wodurch sich ein paralleler Gebrauch zu dem vom heiligen Paul VI. herausgegebenen Römischen Messbuch entwickelte. Um diese Situation zu regeln, hat nach mehreren Jahren Benedikt XVI. in diese Frage eingegriffen. Es ging ihm um die Regelung einer Angelegenheit innerhalb der Kirche, da viele Priester und Gemeinschaften »dankbar von den Möglichkeiten dieses Motu Proprio« des heiligen Johannes Paul II. »Gebrauch [gemacht hatten]«. Das Motu Proprio Summorum Pontificum von 2007 unterstreicht, dass diese Entwicklung 1988 noch nicht vorauszusehen war, und beabsichtigte, in dieser Hinsicht eine »klarer[e] rechtlich[e] Regelung«<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 796.</ref> einzuführen. Um all denen – auch jungen Menschen –, welche »diese liturgische Form entdecken, sich von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen besonders gemäße Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden«,<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 796.</ref> einen Zugang zu ermöglichen, erklärte Benedikt XVI. »das vom hl. Pius V. promulgierte und vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene Messbuch [zur] außerordentliche[n] Ausdrucksform derselben „Lex orandi“«, und gewährte »eine erweiterte Möglichkeit zum Gebrauch des Missale von 1962«.<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 797.</ref>

Seine Entscheidung wurde von der Überzeugung gestützt, dass mit dieser Maßnahme einer der wesentlichen Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht in Zweifel gezogen würde und damit seine Autorität unterwandert würde: Das Motu Proprio erkennt voll und ganz an, dass »das von Paul VI. promulgierte Römische Messbuch die ordentliche Ausdrucksform der „Lex orandi“ der katholischen Kirche des lateinischen Ritus ist«.<ref> Benedikt XVI., Litt. Ap. Motu proprio datae “Summorum Pontificum” (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 779.</ref> Die Anerkennung des Messbuchs Pius’ V. »als außerordentliche Ausdrucksform derselben „Lex orandi“« wollte in keiner Weise die Liturgiereform in Abrede stellen, sondern war von dem Willen bestimmt, den »inständigen Bitten dieser Gläubigen« entgegenzukommen und ihnen zu gewähren, »das Messopfer nach der vom sel. Johannes XIII. im Jahr 1962 promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Messbuchs als außerordentliche Form der Liturgie der Kirche zu feiern«.<ref> Benedikt XVI., Litt. Ap. Motu proprio datae “Summorum Pontificum” (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 779.</ref> Bei seiner Unterscheidung wurde Benedikt XVI. von der Tatsache ermutigt, dass diejenigen, die sich »nach der ihnen vertrauten Form der heiligen Liturgie sehnten«, »klar die Verbindlichkeit des II. Vaticanums annahmen und treu zum Papst und zu den Bischöfen standen«.<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 796.</ref> So erklärte er ferner die Befürchtung als unbegründet, es könne in den Gemeinschaften der Pfarreien zu Spaltungen kommen, da »sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten [können]«.<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 797.</ref> Daher lud er die Bischöfe ein, Zweifel und Befürchtungen zu überwinden und die Normen anzunehmen und »darüber zu wachen, dass alles friedlich und sachlich geschieht«. Dies erfolgte mit dem Versprechen, dass »Wege gesucht werden [können], um Abhilfe zu schaffen«, wenn nach »Inkrafttreten des Motu Proprio« bei der Anwendung der Normen »wirklich ernsthafte Schwierigkeiten aufgetreten sein sollten«.<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 798.</ref>

Im Abstand von dreizehn Jahren habe ich die Glaubenskongregation beauftragt, Euch einen Fragebogen bezüglich der Anwendung des Motu Proprio Summorum Pontificum zu senden. Die eingegangenen Antworten haben eine Situation offenbart, die mich traurig und besorgt macht, und mich darin bestärkt, dass es notwendig ist einzugreifen. Leider wurde die pastorale Absicht meiner Vorgänger, denen es darum ging, »alle Anstrengungen zu unternehmen, um all denen das Verbleiben in der Einheit oder das neue Finden zu ihr zu ermöglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit tragen«,<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 797-798.</ref> oft schwer missachtet. Eine von Johannes Paul II. und mit noch weiterem Großmut von Benedikt XVI. gewährte Möglichkeit, um die Einheit der Kirche unter Achtung der verschiedenen liturgischen Sensibilitäten wiederherzustellen, ist dazu verwendet worden, die Abstände zu vergrößern, die Unterschiede zu verhärten, Gegensätze aufzubauen, welche die Kirche verletzen und sie in ihrem Weg hemmen, indem sie sie der Gefahr der Spaltung aussetzen.

Mich schmerzen die Missbräuche der einen und der anderen Seite bei der Feier der Liturgie in gleicher Weise. Genauso wie Benedikt XVI. verurteile ich, dass »das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung getreu gefeiert, sondern geradezu als eine Ermächtigung oder gar als Verpflichtung zur „Kreativität“ aufgefasst wurde, die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte«.<ref> Benedikt XVI., Epistula ad Episcopos Catholicae Ecclesiae Ritus Romani (7. Juli 2007): AAS 99 (2007), 796.</ref> Aber nicht weniger macht mich ein instrumenteller Gebrauch des Missale Romanum von 1962 traurig, der immer mehr gekennzeichnet ist von einer wachsenden Ablehnung nicht nur der Liturgiereform, sondern des Zweiten Vatikanischen Konzils unter der unbegründeten und unhaltbaren Behauptung, dass es die Tradition und die „wahre Kirche“ verraten habe. Wenn es zutrifft, dass der Weg der Kirche innerhalb der Dynamik der Überlieferung verstanden werden muss, und »diese apostolische Überlieferung […] in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt [kennt]« (Dei Verbum, 8), dann stellt das Zweite Vatikanische Konzil die jüngste Etappe dieser Dynamik dar, bei der sich der katholische Episkopat in eine Haltung des Zuhörens begeben hat, um zu unterscheiden, welchen Weg der Geist der Kirche weist. Am Konzil zu zweifeln heißt die Absichten der Konzilsväter selbst in Zweifel zu ziehen, die im Ökumenischen Konzil ihre kollegiale Vollmacht in feierlicher Form cum Petro et sub Petro ausgeübt haben.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1964), 23: AAS 57 (1965), 27.</ref> Es heißt letztlich am Heiligen Geist zu zweifeln, der die Kirche führt.

Gerade das Zweite Vatikanische Konzil erhellt den Sinn der Entscheidung, die von meinen Vorgängern erteilte Erlaubnis zu überprüfen. Unter den Voten, welche die Bischöfe mit größerer Eindringlichkeit eingegeben haben, sticht jenes hinsichtlich der vollen, bewussten und tätigen Teilnahme des ganzen Volkes Gottes an der Liturgie hervor.<ref> Vgl. Acta et Documenta Concilio Oecumenico Vaticano II apparando, Series I, Volumen II, 1960.</ref> Dies steht in einer Linie mit dem, was schon Pius XII. in der Enzyklika Mediator Dei zur Erneuerung der Liturgie gesagt hatte.<ref> Pius XII., Litt. Encyc. Mediator Dei et hominum (20. November 1947): AAS 39 (1949), 521-595.</ref> Die Konstitution Sacrosanctum Concilium hat diese Forderung bestätigt, als sie die Erneuerung und Förderung der Liturgie<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 1 und 14: AAS 56 (1964), 97.104.</ref> beschloss und die Grundsätze aufstellte, welche die Erneuerung leiten sollten.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 3: AAS 56 (1964), 98.</ref> In besonderer Weise wurde festgelegt, dass diese Grundsätze den Römischen Ritus betrafen, während für die anderen rechtlich anerkannten Riten darum gebeten wurde, dass sie »in ihrem ganzen Umfang gemäß dem Geist gesunder Überlieferung überprüft und im Hinblick auf die Verhältnisse und Notwendigkeiten der Gegenwart mit neuer Kraft ausgestattet werden«.<ref> Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 4: AAS 56 (1964), 98.</ref> Die Liturgiereform wurde auf der Grundlage dieser Prinzipien durchgeführt. Sie findet ihren höchsten Ausdruck im Römischen Messbuch, dessen Editio typica vom heiligen Paul VI. promulgiert<ref> Missale Romanum ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum auctoritate Pauli PP. VI promulgatum, editio typica, 1970.</ref> und vom heiligen Johannes Paul II. erneuert wurde.<ref> Missale Romanum ex Decreto Sacrosancti Oecumenici Concilii Vaticani II instauratum auctoritate Pauli PP. VI promulgatum Ioannis Pauli PP. II cura recognitum, editio typica tertia, 2002 (reimpressio emendata, 2008).</ref> Daher hat man davon auszugehen, dass der Römische Ritus, der im Laufe der Jahrhunderte mehrmals an die Erfordernisse der Zeit angepasst wurde, nicht nur bewahrt, sondern in Treue zur Überlieferung erneuert worden ist.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 4: AAS 56 (1964), 98.</ref> Wer mit Andacht nach der vorherigen Form der Liturgie zelebrieren möchte, wird keine Schwierigkeiten haben, im gemäß der Absicht des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuerten Römischen Messbuch alle Elemente des Römischen Ritus zu finden, besonders den Römischen Kanon, der eines der charakteristischsten Elemente darstellt.

Einen letzten Grund, auf dem meine Entscheidung beruht, möchte ich noch anfügen: In den Worten und den Haltungen vieler wird immer deutlicher, dass zwischen der Entscheidung, nach den vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gültigen liturgischen Büchern zu zelebrieren, und der Ablehnung der Kirche und ihrer Einrichtungen im Namen dessen, was sie für die „wahre Kirche“ halten, eine enge Beziehung besteht. Es handelt sich um ein Verhalten, das der Gemeinschaft widerspricht und jenen Drang zur Spaltung nährt – »Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas - ich zu Christus« –, gegen den sich der Apostel Paulus entschieden gewandt hat.<ref> 1Kor 1,12-13.</ref> Wenn ich mich gezwungen sehe, die Befugnis zu widerrufen, die von meinen Vorgängern gewährt wurde, so geschieht das, um die Einheit des Leibes Christi zu verteidigen. Der falsche Gebrauch, der davon gemacht wurde, steht den Motiven entgegen, die meine Vorgänger bewogen haben, die Freiheit zur Feier der Messe nach dem Missale Romanum von 1962 zu gewähren. »Die liturgischen Handlungen sind nicht privater Natur, sondern Feiern der Kirche, die das „Sakrament der Einheit“ ist«,<ref> Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 26: AAS 56 (1964), 107.</ref> und müssen daher in Gemeinschaft mit der Kirche erfolgen. Während das Zweite Vatikanische Konzil die äußeren Bande der Eingliederung in die Kirche – das Glaubensbekenntnis, die Sakramente, die Gemeinschaft – bekräftigte, sagte es mit dem heiligen Augustinus, dass es Bedingung des Heiles sei, nicht nur „dem Leibe“, sondern auch „dem Herzen“ nach im Schoße der Kirche zu verbleiben.<ref> Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1965), 14: AAS 57 (1965), 19.</ref>

Liebe Brüder im Bischofsamt, Sacrosanctum Concilium erklärte, dass die Kirche »das „Sakrament der Einheit“ ist; sie ist nämlich das heilige Volk, geeint und geordnet unter den Bischöfen«.<ref> Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 6: AAS 56 (1964), 100.</ref> Während Lumen gentium den Bischof von Rom daran erinnert, dass er »das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen« ist, sagt es, dass Ihr das »sichtbar[e] Prinzip und Fundament in [Euren] Teilkirchen« seid; »in ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche«.<ref> Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1965), 23: AAS 57 (1965), 27.</ref>

In Beantwortung Eurer Bitten treffe ich die feste Entscheidung, alle Normen, Instruktionen, Gewährungen und Gewohnheiten außer Kraft zu setzen, die diesem Motu Proprio vorausgegangen sind, und die liturgischen Bücher, die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurden, als einzige Ausdrucksform der Lex orandi des Römischen Ritus anzusehen. Bei dieser Entscheidung ermutigt mich die Tatsache, dass auch der heilige Pius V. nach dem Konzil von Trient alle Riten außer Kraft gesetzt hat, die nicht ein nachgewiesenes Alter für sich in Anspruch nehmen konnten, und für die ganze lateinische Kirche ein einziges Missale Romanum vorgeschrieben hat. Über vier Jahrhunderte hinweg war so das vom heiligen Pius V. promulgierte Missale Romanum die hauptsächliche Ausdrucksform des Römischen Ritus und besaß eine vereinheitlichende Funktion für die Kirche. Als die zum Ökumenischen Konzil versammelten Bischöfe eine Erneuerung, dieses Ritus gefordert haben, wollten sie nicht seine Würde und seine Größe in Abrede stellen. Ihre Absicht war, dass die »Gläubigen diesem Geheimnis des Glaubens nicht wie Außenstehende und stumme Zuschauer beiwohnen; sie sollen vielmehr durch die Riten und Gebete dieses Mysteriums wohl verstehen lernen und so die heilige Handlung bewusst, fromm und tätig mitfeiern«.<ref> Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (4. Dezember 1963), 48: AAS 56 (1964), 113.</ref> Der heilige Paul VI. hat daran erinnert, dass die Arbeit zur Anpassung des Römischen Messbuches schon von Pius XII. begonnen wurde, und erklärte, dass die Überarbeitung des Römischen Messbuches im Licht der ältesten liturgischen Quellen das Ziel hatte, der Kirche zu erlauben, in der Mannigfaltigkeit der Sprachen »ein und dasselbe Gebet« zum Himmel zu erheben, das ihre Einheit zum Ausdruck bringen sollte.<ref> Vgl. Paul VI., Apostolische Konstitution Missale Romanum (3. April 1969), AAS 61 (1969), 222.</ref> Diese Einheit, so ist es meine Absicht, möge in der ganzen Kirche des Römischen Ritus wiederhergestellt werden.

Bei der Beschreibung der Katholizität des Volkes Gottes erinnert das Zweite Vatikanische Konzil daran, dass es »in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen [gibt], die sich eigener Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht, die rechtmäßigen Verschiedenheiten schützt und zugleich darüber wacht, dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen«.<ref> Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (21. November 1965), 13: AAS 57 (1965), 18.</ref> Während ich in Ausübung meines Dienstes an der Einheit die Entscheidung treffe, die von meinen Vorgängern gewährten Befugnisse zurückzuziehen, bitte ich Euch, als Ausdruck der Teilhabe an der Sorge für die ganze Kirche diese Last mit mir zu teilen. Es war meine Absicht, im Motu Proprio klarzustellen, dass es dem Bischof als Leiter, Förderer und Wächter des liturgischen Lebens in der Kirche, in der er das Prinzip der Einheit ist, zukommt, die Feier der Liturgie zu ordnen. Es ist also Eure Aufgabe, als Ortsordinarien in Euren Kirchen den Gebrauch des Römischen Messbuchs von 1962 in Anwendung der Normen dieses Motu Proprio zu erlauben. Es ist vor allem Eure Aufgabe, darauf hinzuarbeiten, dass man zu einer einheitlichen Zelebrationsform zurückkehrt, und in jedem einzelnen Fall die Realitäten der Gruppen zu überprüfen, die nach diesem Missale Romanum zelebrieren.

Die Anweisungen, wie in den Diözesen vorzugehen ist, werden hauptsächlich von zwei Grundsätzen geleitet: Einerseits gilt es, für das Wohl derer zu sorgen, die in der vorhergehenden Zelebrationsform verwurzelt sind und Zeit brauchen, um zum Römischen Ritus zurückzukehren, wie er von den Heiligen Paul VI. und Johannes Paul II promulgiert wurde. Andererseits ist die Errichtung von Personalpfarreien einzustellen, die mehr vom Wunsch und Willen einzelner Priester abhängen als vom Bedürfnis des „heiligen Volkes Gottes“. Zugleich bitte ich Euch, darüber zu wachen, dass jede Liturgie mit Würde und in Treue zu den nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil promulgierten liturgischen Büchern gefeiert wird ohne exzentrisches Gehabe, das leicht in Missbrauch abgleitet. Zu dieser Treue gegenüber den Vorschriften des Messbuches und der liturgischen Bücher, in denen sich die vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewollte Liturgiereform widerspiegelt, sollen die Seminaristen und die Neupriester erzogen werden.

Ich bitte den auferstandenen Herrn für Euch um den Heiligen Geist, damit er Euch im Dienst an dem Volk, das der Herr Euch anvertraut hat, stark und entschlossen mache, sodass durch Eure Sorge und Euer Wächteramt die Einheit auch in der Einheit des einen Ritus zum Ausdruck komme, in dem der ganze Reichtum der Tradition der Römischen Liturgie bewahrt ist. Ich bete für Euch. Ihr betet für mich.

Franziskus

Anmerkungen

<references />

Weblinks