Vicesimus quintus annus (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Vicesimus quintus annus

von Papst
Johannes Paul II.]
zum XXV. Jahrestag der Konstitution Sacrosanctum concilium über die heilige Liturgie
4. Dezember 1988
(Offizieller lateinischer Text: AAS 81 [1989] 897-918)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; auch in: VAS 89)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


An alle Brüder im Bischofs- und Priesteramt
Gruß und Apostolischen Segen !

Einleitend

1. Es sind fünfundzwanzig Jahre vergangen, seit Papst Paul VI. am 4. Dezember 1963 die Konstitution Sacrosanctum Concilium über die heilige Liturgie veröffentlicht hat. Sie war kurz zuvor von den Vätern, die im Heiligen Geist zum II. Vatikanischen Konzil versammelt waren, angenommen worden.<ref> AAS 56 (1964), S. 97-134.</ref> Dies war aus verschiedenen Gründen ein denkwürdiges Ereignis. Die Liturgiekonstitution war nämlich die erste Frucht des Konzils, das von Johannes XXIII. für die Erneuerung der Kirche einberufen worden war; sie war von einer breiten liturgischen und pastoralen Bewegung vorbereitet worden und galt als Träger der Hoffnung für das Leben und die Erneuerung der Kirche.

Durch die Reform der Liturgie verwirklichte das Konzil auf vorzügliche Weise das Grundanliegen, das es sich selbst gestellt hatte: „Das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen, zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen“.<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 1.</ref>

2. Von Beginn meines pastoralen Dienstes auf dem Stuhl Petri an habe ich mich darum bemüht, „die bleibende Bedeutung des II. Ökumenischen Vatikanischen Konzils zu unterstreichen“, und habe zugleich die formelle Verpflichtung übernommen, „dieses in der gebührenden Weise zu verwirklichen“.

Und ich fügte damals hinzu, dass man „gemäß dem Rhythmus des Lebens die fruchtbaren Samen reifen lassen muß, die die Väter der ökumenischen Versammlung, gestärkt durch das Wort Gottes, auf das gute Erdreich ausgesät haben (vgl. Mt 13,8.23), gemeint sind ihre maßgeblichen Lehren und ihre pastoralen Entscheidungen“.<ref> Die erste Botschaft an die Welt (17. Oktober 1978): AAS 70 (1978), S. 920-921.</ref> Mehrere Male habe ich dann die Lehre des Konzils über die Liturgie in verschiedenen Punkten weiterentfaltet<ref> Vgl. insbesondere: Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 7.18-22: AAS 71 (1979), S. 268-269, 301-324; Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979): 23.27-30.33.37.48.53-55.66-68, AAS 71 (1979), S. 1296-1297, 1298-1303, 1305-1306, 1308-1309, 1316; Brief Dominicae cenae über das Geheimnis und die Verehrung der hlst. Eucharistie (24. Februar 1980): AAS 72 (1980), S. 113-148; Enzyklika Dives in misericordia (30. November 1980), Nr. 13-15: AAS 72 (1980), S. 1218-1232; Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), Nr. 13.15.19-21.33.38-39.55-59.66-68: AAS 74 (1982) S. 93-96, 97, 101-106, 120-123, 129-131, 147-152, 159-165; Nachsynodales Apostolisches Schreiben Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984): AAS 77 (1985), S. 185-275, besonders die Nr. 23-33, S. 233-271.</ref> und auf die Bedeutung hingewiesen, welche die Konstitution Sacrosanctum Concilium für das Leben des Volkes Gottes hat: in ihr „kann man schon den Kern jener Lehre über die Kirche vorfinden, die später von der Konzilsversammlung vorgelegt wird. Die Konstitution Sacrosanctum Concilium, welche in der zeitlichen Folge das erste Konzilsdokument gewesen ist, antizipiert“<ref> Ansprache an die Teilnehmer der Versammlung der Präsidenten und Sekretäre der Nationalen Liturgiekommissionen (27. Oktober 1984), Nr. 1: Insegnamenti, VII, 2 (1984), S. 1049.</ref> die Dogmatische Konstitution Lumen Gentium über die Kirche und schöpft ihrerseits aus der Lehre dieser Konstitution.

Nach einem Vierteljahrhundert, in welchem die Kirche und die Gesellschaft tiefgreifende und schnelle Veränderungen erfahren haben, ist es angemessen, die Bedeutung dieser Konzilskonstitution, ihre Aktualität in bezug auf die neu entstehenden Probleme und die bleibende Gültigkeit ihrer Prinzipien herauszustellen.


I. DIE ERNEUERUNG AUF DER LINIE DER TRADITION

3. Als Antwort auf die Bitten der Väter des Konzils von Trient, die sich um die Reform der Kirche in ihrer Zeit sorgten, nahm Papst Pius V. die Reform der liturgischen Bücher, vor allem des Breviers und des Messbuches, vor. Dasselbe Ziel verfolgten die Päpste im Lauf der folgenden Jahrhunderte, indem sie sich um die Erneuerung oder die Festlegung der liturgischen Riten und Bücher bemühten und schließlich am Beginn dieses Jahrhunderts eine allgemeine Reform in Angriff nahmen.

Der hl. Pius X. setzte eine Sonderkommission ein und beauftragte sie mit dieser Reform, für deren Durchführung er mehrere Jahre für erforderlich hielt. Doch legte er selbst den Grundstein zu diesem Bauwerk, indem er die Feier des Sonntags wiederherstellte und das Römische Brevier erneuerte.<ref> Apostolische Konstitution Divino afflatu (1. November 1911): AAS 3 (1911), S. 633-638.</ref> „Wahrlich, all das verlangt“, so sagte er, „nach der Meinung der Experten eine ebenso große wie langwierige Arbeit; darum müssen erst viele Jahre vergehen, bevor dieses „liturgische Gebäude“ in seiner Würde und Harmonie neu erstrahlt, wenn es einmal von der Verkrustung des Alters gereinigt sein wird“ .<ref> Motu proprio Abhinc duos annos (23. Oktober 1913): AAS 5 (1913), S. 449-450.</ref>

Pius XII. griff das große Projekt der Liturgiereform wieder auf, indem er die Enzyklika Mediator Dei<ref> 20. November 1947: AAS 39 (1947), S. 521-600.</ref> veröffentlichte und eine neue Kommission einsetzte.<ref> Kongregation für die Riten, Historische Abteilung, Nr. 71, Memorandum zur Liturgiereform (1946).</ref> Ferner fällte er Entscheidungen über einige wichtige Punkte, wie die Neuübersetzung des Psalters, um das Verständnis des Psalmengebetes zu erleichtern,<ref> Pius XII., Motu proprio In cotidianis precibus (24. März 1945): AAS 37 (1945), S. 65-67.</ref> die Milderung der eucharistischen Nüchternheit, um einen leichteren Kommunionempfang zu fördern, den Gebrauch der Muttersprache im Rituale und vor allem die Reform der Ostervigil<ref> Kongregation für die Riten, Dekret Dominicae resurrectionis (9. Februar 1951): AAS 43 (1951), S. 128-129.</ref> und der Karwoche.<ref> Kongregation für die Riten, Dekret Maxima redemptionis (16. November 1955): AAS 47 (1955), S. 838-841.</ref>

Die Einführung zum Römischen Messbuch von 1962 schickte man die Erklärung von Johannes XXIII. voraus, nach der „die Grundprinzipien bezüglich der allgemeinen Liturgiereform den Vätern des kommenden ökumenischen Konzils vorgelegt werden sollten“.<ref> Johannes XXIII., Apostolisches Schreiben Rubricarum instructum (25. Juli 1960): AAS 52 (1960), S. 594.</ref>

4. Diese Reform der gesamten Liturgie entsprach einer allgemeinen Erwartung der ganzen Kirche. Denn der liturgische Geist hatte sich in fast allen Bereichen immer mehr verbreitet, verbunden mit dem Wunsch nach einer „aktiven Teilnahme an den heiligen Geheimnissen und am öffentlichen und feierlichen Gebet der Kirche“<ref> Pius X., Motu proprio Tra le sollecitudini dell’ officio pastorale (22. November 1903): Pii X Pontificis maximi Acta, I, S. 77.</ref> wie auch mit dem Verlangen, das Wort Gottes in reicherem Maße zu hören. In Verbindung mit der biblischen Erneuerung, der ökumenischen Bewegung, mit dem missionarischen Eifer, mit der ekklesiologischen Forschung sollte die Liturgiereform zu einer umfassenden Erneuerung der ganzen Kirche beitragen. Daran habe ich in meinem Schreiben Dominicae Cenae erinnert: „Es besteht in der Tat eine sehr enge und organische Verbindung zwischen der Erneuerung der Liturgie und der Erneuerung des ganzen Lebens der Kirche. Die Kirche handelt nicht nur in der Liturgie, sie drückt sich auch in ihr aus und schöpft aus der Liturgie ihre Lebenskraft“.<ref> Brief Dominicae cenae (24. Februar 1980), 13: AAS 72 (1980), S.146.</ref>

Die Reform der Riten und der liturgischen Bücher ist fast unmittelbar nach der Veröffentlichung der Konstitution Sacrosanctum Concilium in Angriff genommen worden und wurde in wenigen Jahren durchgeführt dank der beachtlichen und selbstlosen Arbeit einer großen Zahl von Experten und Hirten in allen Teilen der Welt.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 25.</ref>

Diese Arbeit ist nach dem Leitprinzip des Konzils vorgenommen worden: Treue zur Tradition und Öffnung für einen legitimen Fortschritt.<ref> Vgl. ebd., Nr. 23.</ref> Darum kann man sagen, dass die Liturgiereform streng traditionsgebunden nach der „Norm der Väter“<ref> Vgl. ebd., Nr. 50; Römisches Messbuch, Vorwort, Nr. 6.</ref> ist.

II. DIE LEITPRINZIPIEN DER KONSTITUTION

5. Die Leitprinzipien der Konstitution, die der Reform zugrunde lagen, bleiben richtungweisend, um die Gläubigen zu einer aktiven Mitfeier der Geheimnisse zu führen, die die „erste und unentbehrliche Quelle ist, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen“.<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 14.</ref> Nun, da der größte Teil der liturgischen Bücher veröffentlicht, übersetzt und im Gebrauch ist, müssen diese Prinzipien stets gegenwärtig bleiben und weiter vertieft werden.

a) Die Vergegenwärtigung des Pascha-Mysteriums

6. Das erste Prinzip ist die Vergegenwärtigung des Pascha-Mysteriums Christi in der Liturgie der Kirche, denn „aus der Seite des am Kreuz entschlafenen Christus ist das wunderbare Geheimnis der ganzen Kirche hervorgegangen“.<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 5; Römisches Messbuch, Die Feier der Osternacht, Gebet nach der 7. Lesung.</ref> Das ganze liturgische Leben ist auf das eucharistische Opfer und auf die anderen Sakramente hingeordnet, wo wir von den lebendigen Quellen des Heiles schöpfen (vgl. Jes 12,3).<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 5-6.47.61.102.106-107.</ref>

Wir müssen uns deshalb hinreichend dessen bewußt sein, dass wir durch das „österliche Geheimnis ... mit Christus begraben worden sind, damit wir mit ihm auferstehen zu einem neuen Leben“.<ref> Römisches Messbuch, Die Feier der Osternacht, Erneuerung des Taufversprechens.</ref> Wenn die Gläubigen an der Eucharistie teilnehmen, so müssen sie verstehen, dass wirklich, „sooft wir die Gedächtnisfeier dieses Opfers begehen, sich an uns das Werk der Erlösung vollzieht“.<ref> Ebd., Abendmahlsgottesdienst „in cena Domini“, Gabengebet.</ref> Zu diesem Zweck sollen die Hirten sie mit ständigem Eifer dazu anleiten, jeden Sonntag das wunderbare Werk feierlich zu begehen, das Christus mit seinem Pascha-Mysterium vollbracht hat, damit sie es auch ihrerseits der Welt verkünden.<ref> Vgl. ebd., Präfation für die Sonntage im Jahreskreis, I.</ref> In den Herzen aller Hirten und Gläubigen soll die Osternacht ihre einzigartige Bedeutung im liturgischen Jahr wiedererlangen, so dass sie wirklich das Fest der Feste wird.

Da der Tod Christi am Kreuze und seine Auferstehung den Inhalt des täglichen Lebens der Kirche<ref> Vgl. Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 7: AAS 71 (1979), S. 268-270.</ref> und das Unterpfand ihres ewigen Ostern<ref> Vgl. Brief Dominicae cenae (24. Februar 1980), Nr. 4: AAS 72 (1980), S. 119-121.</ref> bilden, hat die Liturgie als erste Aufgabe, uns unermüdlich auf den österlichen Weg zu führen, den uns Christus eröffnet hat und auf dem man es annimmt zu sterben, um in das Leben einzugehen.

7. Um sein Pascha-Mysterium zu vergegenwärtigen, ist Christus immer in seiner Kirche gegenwärtig, vor allem in den liturgischen Handlungen.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 7; vgl. Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), S. 762; 764.</ref> Die Liturgie ist darum der bevorzugte „Ort“, an dem die Christen Gott und demjenigen begegnen, den er gesandt hat, Jesus Christus (vgl. Joh 17,3).

Christus ist gegenwärtig in der Kirche, die in seinem Namen im Gebet versammelt ist. Gerade dieser Umstand begründet die hohe Würde der christlichen Versammlung mit den sich daraus ergebenden Forderungen nach brüderlicher Aufnahme – bis hin zur Vergebung (vgl. Mt 5,23-24) – und nach Würde im Verhalten, in den Gesten und in den Gesängen.

Christus ist gegenwärtig und handelt in der Person des geweihten Dieners, der zelebriert.<ref> Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Eucharisticum Mysterium (25. Mai 1967), Nr. 9: AAS 59 (1967), S. 547.</ref> Dieser ist nicht nur mit einer Funktion betraut, sondern ist kraft der empfangenen Ordination dazu geweiht, „in persona Christi“ zu handeln. Diesem muß die innere und äußere Haltung entsprechen, auch in den liturgischen Gewändern, im Platz, den er einnimmt, und in den Worten, die er spricht.

Christus ist gegenwärtig in seinem Wort, das in der Versammlung verkündet wird und das – durch die Predigt erläutert – im Glauben angehört und im Gebet angenommen werden muß. Dies alles soll ersichtlich sein aus der Würde des Buches und des Ortes, wo das Wort Gottes verkündet wird, sowie der Haltung des Lektors, und das im Bewußtsein, dass dieser der Künder Gottes gegenüber seinen Brüdern ist.

Christus ist gegenwärtig und wirkt kraft des Heiligen Geistes in den Sakramenten und auf besondere und herausragende Weise (sublimiori modo) im Messopfer unter den eucharistischen Gestalten,<ref> Vgl. Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), S. 763.</ref> auch wenn diese außerhalb der Messfeier für die Kommunion vor allem der Kranken und zur Anbetung durch die Gläubigen im Tabernakel aufbewahrt werden.<ref> Vgl. ebd., S. 769-771.</ref> Es ist die Aufgabe der Hirten, in der katechetischen Unterweisung häufig die Glaubenslehre über diese wirkliche und geheimnisvolle Gegenwart in Erinnerung zu rufen, aus der die Gläubigen leben und die die Theologen weiter vertiefen sollen. Der Glaube an diese Gegenwart des Herrn beinhaltet ein äußeres Zeichen der Achtung gegenüber der Kirche, dem heiligen Ort, an dem Gott sich in seinem Geheimnis manifestiert (vgl. Ex 3,5), vor allem während der Feier der Sakramente: Die heiligen Dinge müssen stets mit Ehrfurcht behandelt werden.

b) Die Lesung des Wortes Gottes

8. Das zweite Prinzip ist die Gegenwart des Wortes Gottes.

Die Konstitution Sacrosanctum Concilium hat auch wiedereinführen wollen, dass „die Schriftlesung reicher, mannigfaltiger und passender ausgestaltet“<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 35.</ref> werde. Der tiefere Grund für diese Wiedereinführung ist in der Liturgiekonstitution selbst ausgedrückt, nämlich „dass in der Liturgie Ritus und Wort aufs engste miteinander verbunden sind“.<ref> Ebd.</ref> Und in der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung heißt es: „Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlaß das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht“.<ref> Dogm. Konst. Dei verbum, Nr. 21.</ref> Das Wachstum des liturgischen Lebens und folglich die Entfaltung des christlichen Lebens können nicht erfolgen, wenn nicht ständig bei den Gläubigen und vor allem bei den Priestern eine „innige und lebendige Vertrautheit mit der Heiligen Schrift“ gefördert wird.<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 24.</ref> Das Wort Gottes ist jetzt in den christlichen Gemeinden mehr bekannt, doch stellt eine wirkliche Erneuerung noch weitere neue Forderungen: die Treue zum authentischen Sinn der Schrift, den man immer gegenwärtig haben muß, besonders wenn sie in die verschiedenen Sprachen übersetzt wird; die Weise der Verkündigung des Wortes Gottes, damit es als solches wahrgenommen werden kann; der Gebrauch der geeigneten technischen Mittel; die innere Verfassung des Dieners des Wortes, damit er in der liturgischen Versammlung seine Aufgabe gut zu erfüllen vermag;<ref> Vgl. Brief Dominicae cenae (24. Februar 1980), Nr. 10: AAS 72 (1980), S. 134-137.</ref> die gründliche Vorbereitung der Predigt durch Studium und Meditation; die Bemühungen der Gläubigen am Tisch des Wortes teilzuhaben; das Gefallen am Psalmengebet; das Verlangen, Christus – wie die Jünger von Emmaus – beim Tisch des Wortes und des Brotes zu entdecken.<ref> Vgl. Stundengebet, Montag der IV. Woche, Gebet bei der Vesper.</ref>

c) Das Offenbarwerden der Kirche

9. Das Konzil hat schließlich in der Liturgie eine Epiphanie der Kirche selbst sehen wollen: Sie ist Kirche im Gebet. In der Feier des göttlichen Kultes bringt die Kirche zum Ausdruck, was sie ist: eine heilige, katholische und apostolische Kirche.

Sie offenbart sich als eine entsprechend jener Einheit, die ihr von der Dreifaltigkeit her zukommt,<ref> Vgl. Römisches Messbuch, Präfation für die Sonntage im Jahreskreis, VIII.</ref> vor allem wenn das heilige Volk Gottes „an derselben Eucharistiefeier teilnimmt: in der Einheit des Gebetes und an dem einen Altar und unter dem Vorsitz des Bischofs, der umgeben ist von seinem Presbyterium und den Dienern des Altars“.<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 41.</ref> Nichts darf in der Liturgie diese Einheit der Kirche sprengen oder beeinträchtigen!

Die Kirche bringt die Helligkeit zum Ausdruck, die sie von Christus empfängt (vgl. Eph 5,26-27), wenn sie – vom Heiligen Geist in einem einzigen Leib vereint,<ref> Vgl. Römisches Messbuch, Eucharistisches Hochgebet II und IV.</ref> der heiligt und lebendig macht<ref> Vgl. ebd., Eucharistisches Hochgebet III; Nicaeno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis.</ref> – durch die Eucharistie und die anderen Sakramente alle Gnade und allen Segen des Vaters den Gläubigen vermittelt.<ref> Vgl. ebd., Eucharistisches Hochgebet I.</ref>

In der liturgischen Feier bekundet die Kirche ihre Katholizität, denn in ihr versammelt der Geist des Herrn die Menschen aller Sprachen im Bekenntnis desselben Glaubens<ref> Vgl. ebd., Feierlicher Segen am Pfingstsonntag.</ref> und bringt vom Osten und vom Westen Gott Vater das Opfer Christi dar und opfert sich selbst zusammen mit ihm.<ref> Vgl. ebd., Eucharistisches Hochgebet III.</ref>

Schließlich erweist sich die Kirche in der Liturgie als apostolisch, weil der Glaube, den sie bekennt, auf dem Zeugnis der Apostel gründet; weil sie in der Feier der Geheimnisse, die vom Bischof, dem Nachfolger der Apostel, oder von einem in der apostolischen Sukzession geweihten Diener als Vorsteher geleitet wird, treu das weitergibt, was sie von der apostolischen Überlieferung empfangen hat; weil der Kult, den sie Gott erweist, sie in Pflicht nimmt, das Evangelium in der Welt auszubreiten.

So wird vor allem in der Liturgie das Geheimnis der Kirche verkündet, freudig erfahren und gelebt.<ref> Vgl. Ansprache an die Teilnehmer der Versammlung der Präsidenten und Sekretäre der Nationalen Liturgiekommissionen (27. Oktober 1984), Nr. 1: Insegnamenti, VII, 2 (1984), S. 1049.</ref>

III. LEITLINIEN FÜR DIE ERNEUERUNG LITURGISCHEN LEBENS

10. Von diesen Prinzipien leiten sich einige Normen und Leitlinien ab, die die Erneuerung des liturgischen Lebens regeln sollen. Wenn auch die Liturgiereform, die das II. Vatikanische Konzil gewollt hat, nunmehr als verwirklicht angesehen werden kann, stellt die Liturgiepastoral jedoch ein ständiges Bemühen dar, um aus dem Reichtum der Liturgie immer voller jene Lebenskraft zu schöpfen, die von Christus auf die Glieder seines Leibes überströmt, der die Kirche ist.

Da die Liturgie die Ausübung des Priestertums Christi ist, muß die Versicherung des Jüngers angesichts der geheimnisvollen Gegenwart Christi uns stets lebendig bleiben: „Es ist der Herr!“ (Joh 21,7). Nichts von all dem, was wir in der Liturgie tun, kann wichtiger erscheinen als das, was zwar unsichtbar, aber tatsächlich Christus selbst durch das Wirken seines Geistes tut. Der in der Liebe lebendige Glaube, die Anbetung, das Gotteslob und das kontemplative Schweigen werden immer die ersten Ziele sein, die es für eine Liturgie- und Sakramentenpastoral zu erreichen gilt.

Da die Liturgie ganz vom Wort Gottes durchdrungen ist, muß jedes andere Wort im Einklang mit ihm stehen, vor allem die Predigt, aber auch die Gesänge und die Hinweise. Auch darf das biblische Wort durch keine andere Lesung ersetzt werden; die Worte der Menschen müssen dem Wort Gottes dienen, ohne es zu verdunkeln.

Weil die liturgischen Handlungen nicht privater Natur sind, sondern „Feiern der Kirche, die das ,Sakrament der Einheit’ ist“,<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 26.</ref> hängt ihre Regelung allein von der hierarchischen Autorität der Kirche ab.<ref> Vgl. ebd., Nr. 22 und 26.</ref> Die Liturgie geht den ganzen Leib der Kirche an.<ref> Vgl., ebd., Nr. 26.</ref> Deshalb ist es niemandem erlaubt, auch nicht dem Priester noch irgendeiner Gruppe, ihr etwas hinzuzufügen, wegzunehmen oder nach eigenem Gutdünken zu ändern.<ref> Vgl. ebd., Nr. 22.</ref> Die Treue zu den Riten und den authentischen Texten der Liturgie ist eine Forderung der „Lex orandi“, die mit der „Lex credendi“ stets übereinstimmen muß.

Die mangelnde Treue in diesem Punkt kann auch die Gültigkeit der Sakramente selbst berühren.

Als Feier der Kirche erfordert die Liturgie die aktive, bewußte und volle Teilnahme aller je nach Verschiedenheit von Stand und Aufgabe:<ref> Vgl. ebd., Nr. 26.</ref> alle, Liturge oder Gläubiger, sollen in der Ausübung ihrer Aufgabe nur das und all das tun, was ihnen zukommt.<ref> Vgl. ebd., Nr. 28.</ref> Deshalb gibt die Kirche der gemeinschaftlichen Feier den Vorzug, wenn die Art der Riten es zuläßt;<ref> Vgl. ebd., Nr. 27.</ref> sie ermutigt die Ausbildung der Ministranten, Lektoren, Sänger und Kommentatoren, die einen wahrhaft liturgischen Dienst vollziehen;<ref> Vgl. ebd., Nr. 29.</ref> sie hat die Konzelebration wiederhergestellt;<ref> Vgl. ebd., Nr. 57; vgl. Kongregation für die Riten, Dekret Ecclesiae semper (7. März 1965): AAS 57 (1965), S. 410-412.</ref> sie empfiehlt die gemeinschaftliche Feier des Stundengebetes.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 99.</ref>

Da die Liturgie die große Gebetsschule der Kirche ist, wurde es für gut befunden, den Gebrauch der Muttersprache – ohne den Gebrauch der lateinischen Sprache abzuschaffen, die vom Konzil für die lateinischen Riten erhalten wurde<ref> Vgl. ebd., Nr. 36.</ref> – einzuführen und zu entfalten, damit jeder die großen Taten Gottes in seiner Muttersprache hören und verkünden kann (vgl. Apg 2,11), wie auch die Zahl der Präfationen und Eucharistischen Hochgebete zu vermehren, die den Gebetsschatz und die Erkenntnis der Geheimnisse Christi bereichern.

Da die Liturgie von großer pastoraler Bedeutung ist, haben die liturgischen Bücher einen gewissen Raum für die Anpassung an die Gemeinde und die Gläubigen wie auch eine Möglichkeit der Öffnung für die Eigenart und die Kultur der verschiedenen Völker vorgesehen.<ref> Vgl. ebd., Nr. 37-40.</ref> Die Revision der Riten hat eine edle Einfachheit<ref> Vgl. ebd., Nr. 34.</ref> und leicht verständliche Zeichen gesucht, doch darf die gewünschte Einfachheit nicht zu einer Verarmung der Zeichen führen; im Gegenteil: die Zeichen, besonders die sakramentalen, müssen die größte Ausdruckskraft besitzen. Das Brot und der Wein, das Wasser und das Öl, auch der Weihrauch, die Asche, das Feuer und die Blumen und fast alle Elemente der Schöpfung haben ihren Platz in der Liturgie als Gabe an den Schöpfer und Beitrag zur Würde und Schönheit der Feier.

IV. KONKRETE ANWENDUNG DER REFORM

a) Schwierigkeiten

11. Man muß erkennen, dass die Anwendung der liturgischen Reform auf Schwierigkeiten gestoßen ist, bedingt durch wenig günstige Zeitumstände, die durch einen Rückzug des Religiösen in das Private, durch eine gewisse Ablehnung jeder Art von Institution, durch eine geringere sichtbare Gegenwart der Kirche in der Gesellschaft, durch ein Infragestellen des personalen Glaubens gekennzeichnet waren. Man kann auch vermuten, dass der Übergang von einem einfachen Beiwohnen der liturgischen Feier – häufig eher passiv und stumm – zu einer volleren und aktiveren Teilnahme für einige eine zu große Forderung war. Dadurch haben sich verschiedene und auch ablehnende Haltungen gegenüber der Reform ergeben: einige haben die neuen Bücher mit einer gewissen Indifferenz aufgenommen oder ohne die Gründe für die Veränderungen zu verstehen zu suchen und sie verständlich zu machen; andere sind leider in einseitiger und exklusiver Weise zu den vorhergehenden liturgischen Formen zurückgekehrt, die einige von ihnen als einzige Sicherheitsgarantie für den Glauben betrachten. Andere haben schließlich phantasievolle Erneuerungen eingeführt und sich von den durch die Autorität des Apostolischen Stuhles oder durch die Bischöfe gesetzten Normen entfernt, wodurch sie die Einheit der Kirche und die Frömmigkeit der Gläubigen gestört und manchmal auch direkt gegen den Glauben verstoßen haben.

b) Positive Ergebnisse

12. All das darf jedoch nicht vergessen lassen, dass die Hirten und das christliche Volk in ihrer großen Mehrheit die Liturgiereform in einem Geist des Gehorsams und sogar freudigen Eifers aufgenommen haben.

Darum müssen wir Gott für das Hindurchgehen seines Geistes durch die Kirche danken, welches in der liturgischen Reform geschehen ist;<ref> Vgl. ebd., Nr. 43.</ref> für den Tisch des Wortes Gottes, der nun allen reichlich offensteht;<ref> Vgl. Dogmatische Konstitution Dei verbum, Nr. 21; Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 51.</ref> für die großen, in der ganzen Welt unternommenen Anstrengungen, um dem christlichen Volk die Übersetzungen der Bibel, des Messbuches und der anderen liturgischen Bücher zu bieten; für die durch die Gebete und die Gesänge, durch die Gesten und das Schweigen gewachsene Teilnahme der Gläubigen an der Eucharistie und an den anderen Sakramenten; für die Dienste, die von den Laien ausgeführt werden, und für die Verantwortungen, die sie kraft des gemeinsamen Priestertums übernommen haben, an dem sie durch die Taufe und die Firmung teilhaben; für die ausstrahlende Lebendigkeit vieler christlicher Gemeinschaften, die sie aus der Quelle der Liturgie schöpfen.

Auch dieses sind Gründe, um der Lehre der Konstitution Sacrosanctum Concilium und den Reformen, die durch sie ermöglicht worden sind, treu verbunden zu bleiben: „Die liturgische Erneuerung ist die sichtbarste Frucht des ganzen Konzilswerkes“.<ref> Schlussbericht der Außerordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (7. Dezember 1985), II, B, b, 1.</ref> Die Botschaft des II. Vatikanischen Konzils ist von vielen vor allem durch die Liturgiereform wahrgenommen worden.

c) Irrige Anwendungen

13. Neben diesen guten Ergebnissen, die die liturgische Reform gebracht hat, sind bei ihrer Durchführung auch einige mehr oder weniger schwere Entgleisungen festzustellen und zu beklagen.

So findet man bisweilen Auslassungen oder unerlaubte Hinzufügungen, außerhalb der gesetzten Normen erfundene Riten, Haltungen oder Gesänge, die dem Glauben oder dem Sinn für das Heilige abträglich sind, Missbräuche in der Praxis der Generalabsolution, Verwechslungen zwischen dem Amtspriestertum, das an die Weihe gebunden ist, und dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen, das sein eigenes Fundament in der Taufe hat.

Man kann es nicht hinnehmen, dass einige Priester sich das Recht anmaßen, eucharistische Hochgebete zusammenzustellen oder Texte der Heiligen Schrift durch profane Texte zu ersetzen. Initiativen dieser Art – weit davon entfernt, mit der Liturgiereform als solcher oder den aus ihr hervorgegangenen Büchern verbunden zu sein – widersprechen ihr direkt, entstellen sie und berauben das christliche Volk des authentischen Reichtums der Liturgie der Kirche.

Es ist die Aufgabe der Bischöfe, dies zu unterbinden, da die Regelung der Liturgie im Rahmen des Rechts vom Bischof abhängt<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 22,1.</ref> und „das Leben seiner Gläubigen in Christus gewissermaßen von ihm ausgeht“.<ref> Ebd., Nr. 41.</ref>

V. DIE ZUKUNFT DER ERNEUERUNG

14. Die Konstitution Sacrosanctum Concilium hat die einmütige Stimme des Bischofskollegiums zum Ausdruck gebracht, das um den Nachfolger des Petrus und unter dem Beistand des Geistes der Wahrheit versammelt war, den Jesus Christus verheißen hat (vgl. Joh 15,26). Dieses Dokument wird die Kirche auch weiterhin auf den Wegen der Erneuerung und der Heiligkeit stützen, indem sie das genuine liturgische Leben fördert.

Die in diesem Dokument verkündeten Prinzipien sind auch für die Zukunft der Liturgie richtungweisend, auf dass die liturgische Reform immer mehr verstanden und verwirklicht wird. „Es ist also dringend notwendig und angemessen, erneut die Initiative für eine intensive Erziehung zu ergreifen, um die Reichtümer entdecken zu lassen, die die Liturgie in sich birgt“.<ref> Brief Dominicae cenae (24. Februar 1980), Nr. 9: AAS 72 (1980), S. 133.</ref>

Die Liturgie der Kirche geht über die liturgische Reform hinaus. Wir sind nicht in der gleichen Situation wie 1963: eine Generation von Priestern und Gläubigen, die die liturgischen Bücher vor der Reform nicht gekannt hat, wirkt heute mit Verantwortung in Kirche und Gesellschaft. Man kann daher nicht fortfahren, von Veränderung zu sprechen wie zur Zeit der Veröffentlichung des Dokumentes, sondern muß auf eine immer intensivere Vertiefung der Liturgie der Kirche hinweisen, die nach den heutigen Büchern gefeiert und vor allem als ein geistliches Geschehen gelebt wird.

a) Biblische und liturgische Bildung

15. Die dringendste Aufgabe ist die biblische und liturgische Bildung des Volkes Gottes, der Hirten und der Gläubigen. Die Konstitution hatte dies bereits unterstrichen: „Es besteht aber keine Hoffnung auf Verwirklichung dieser Forderung (die volle und aktive Teilnahme des ganzen Volkes), wenn nicht zuerst die Seelsorger vom Geist und von der Kraft der Liturgie tief durchdrungen sind und in ihr Lehrmeister werden“.<ref> Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 14.</ref> Dies ist eine Arbeit, die langen Atem braucht und die in den Seminarien und den Bildungsstätten beginnen<ref> Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Inter oecumenici (26. September 1964), Nr. 11-13: AAS 56 (1964), S. 879-880; Kongregation für das katholische Bildungswesen, “Ratio fundamentalis” über die Priesterausbildung (6. Januar 1970), Kap. VIII: AAS 62 (1970), S. 351-361; Instruktion In ecclesiasticam futurorum über die liturgische Ausbildung der Priesteramtskandidaten (3. Juni 1979), Rom 1979.</ref> und durch das ganze priesterliche Leben sich fortsetzen muß.<ref> Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Inter oecumenici (26. September 1964), Nr. 14-17: AAS 56 (1964), S. 880-881.</ref> Dieselbe Bildung, ihrem Stand angemessen, ist auch unentbehrlich für die Laien,<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 19.</ref> um so mehr als diese in vielen Regionen dazu aufgerufen werden, immer höhere Verantwortungen in der Gemeinschaft zu übernehmen.

b) Anpassung

16. Eine weitere wichtige Aufgabe für die Zukunft ist die Anpassung der Liturgie an die verschiedenen Kulturen. Die Konstitution hat das Prinzip angegeben, indem sie die Verfahrensweise aufzeigt, die von seiten der Bischofskonferenzen zu befolgen ist.<ref> Vgl. ebd., Nr. 39.</ref> Die Anpassung der Sprachen ist schnell geschehen, wenn sie auch bisweilen schwer zu verwirklichen war. Ihr folgte die Anpassung der Riten, ein etwas schwierigeres, aber gleichwohl notwendiges Anliegen. Beachtlich bleiben die Anstrengungen, um die Liturgie weiterhin in den verschiedenen Kulturen zu verwurzeln, indem man diejenigen Ausdrucksformen aufnimmt, die mit den Erfordernissen des wahren und authentischen Geistes der Liturgie in Einklang gebracht werden können, unter Beachtung der wesentlichen Einheit des römischen Ritus, wie sie in den liturgischen Büchern festgelegt ist.<ref> Vgl. ebd., Nr. 37-40.</ref> Die Anpassung muß der Tatsache Rechnung tragen, dass es in der Liturgie, und vornehmlich in der Sakramentenliturgie, einen unveränderlichen Bestandteil gibt, weil er göttlichen Ursprungs ist, über den die Kirche zu wachen hat. Daneben gibt es Bestandteile, die verändert werden können und die die Kirche an die Kulturen der neuevangelisierten Völker anpassen kann und mitunter auch muß.<ref> Vgl. ebd., Nr. 21.</ref> Dies stellt für die Kirche kein neues Problem dar: die Verschiedenheit in der Liturgie kann Quelle der Bereicherung sein, sie kann aber auch Spannungen, gegenseitiges Unverständnis und sogar Spaltungen hervorrufen. Es ist klar, dass auf diesem Gebiet die Verschiedenheit nicht der Einheit schaden darf. Sie kann sich nur in der Treue zum gemeinsamen Glauben, zu den sakramentalen Zeichen, die die Kirche von Christus erhalten hat, und zur hierarchischen Gemeinschaft ausdrücken. Die Anpassung an die Kulturen verlangt auch eine Bekehrung des Herzens und - falls notwendig - ebenso einen Bruch mit althergebrachten Gewohnheiten, die mit dem katholischen Glauben unvereinbar sind. Es erfordert eine ernsthafte theologische, geschichtliche und kulturelle Ausbildung wie auch ein gesundes Urteilsvermögen, um zwischen dem, was notwendig, nützlich oder auch unnütz und gefährlich für den Glauben ist, zu unterscheiden. „Eine zufriedenstellende Entwicklung auf diesem Gebiet kann nur die Frucht einer fortschreitenden Reifung im Glauben sein, die die geistige Unterscheidungsgabe, die theologische Klarheit und den Sinn der Universalkirche in einem umfassenden Zusammenklang vereint“.<ref> Ansprache an eine Gruppe von Bischöfen der Bischofskonferenz von Zaire (12. April 1983), Nr. 5: AAS 75 (1983), S. 620.</ref>

c) Aufmerksamkeit für die neuen Probleme

17. Die Bemühungen um die liturgische Erneuerung müssen auch auf die Erfordernisse unserer Zeit Antwort geben. Die Liturgie ist nicht losgelöst von Raum und Zeit.<ref> Vgl. Ansprache an die Teilnehmer der Versammlung der Präsidenten und Sekretäre der Nationalen Liturgiekommissionen (27. Oktober 1984), Nr. 2: Insegnamenti VII/2 (1984), S. 1051.</ref> Während dieser fünfundzwanzig Jahre haben sich neue Probleme gestellt oder haben eine neue Bedeutung gewonnen, z.B. die Ausübung des Diakonats, das für verheiratete Männer zugänglich wurde; die liturgischen Aufgaben, die in den Feiern auch Laien, Männern und Frauen, anvertraut werden können; liturgische Feiern für die Kinder, die Jugendlichen und die Behinderten; die Bedingungen für die Erstellung von geeigneten liturgischen Texten für ein bestimmtes Land.

Die Konstitution Sacrosanctum Concilium nimmt noch keinen Bezug auf diese Probleme, aber es werden allgemeine Prinzipien aufgezeigt, um das liturgische Leben organisch zu ordnen und zu fördern.

d) Liturgie und Volksfrömmigkeit

18. Um die Reform zu bewahren und die Entwicklung der Liturgie zu sichern,<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 1.</ref> ist es schließlich notwendig, der christlichen Volksfrömmigkeit und ihrem Bezug zum liturgischen Leben Rechnung zu tragen.<ref> Vgl. ebd., Nr. 12-13.</ref> Die Volksfrömmigkeit kann weder ignoriert noch mit Gleichgültigkeit oder Geringschätzung behandelt werden, da sie reich an Werten ist<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 48: AAS 68 (1976), S. 37-38.</ref> und an sich schon die religiöse Einstellung zu Gott ausdrückt. Aber sie muß beständig evangelisiert werden, damit der Glaube, den sie ausdrückt, ein immer reiferer und authentischer Glaubensakt werde. Sowohl die Frömmigkeitsübungen des christlichen Volkes<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 13.</ref> als auch andere Andachtsformen werden angenommen und empfohlen, sofern sie nicht liturgische Feiern ersetzen oder sich mit ihnen vermischen. Eine authentische Liturgiepastoral wird es verstehen, sich an den Reichtum der Volksfrömmigkeit anzulehnen, ihn zu reinigen und als Beitrag der Völker auf die Liturgie auszurichten.<ref> Vgl. Ansprache an die Bischofskonferenz der Abruzzen und von Molise anlässlich des Ad-limina-Besuches (24. April 1986), Nr. 3-7: AAS 78 (1986), S. 1140-1143.</ref>

VI. DIE VERANTWORTLICHEN ORGANE DER LITURGISCHEN ERNEUERUNG

a) Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung

19. Die Aufgabe, die Erneuerung der Liturgie zu fördern, obliegt vor allem dem Heiligen Stuhl.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 22, 1.</ref> Dieses Jahr sind es 400 Jahre, dass Sixtus V. die Heilige Kongregation für die Riten schuf und ihr die Aufgabe anvertraute, über den Vollzug des Gottesdienstes zu wachen, der nach dem Konzil von Trient erneuert worden war. Der hl. Pius X. errichtete die Kongregation für die Sakramentenordnung. Für die praktische Durchführung der liturgischen Konstitution des II. Vatikanischen Konzils gründete Paul VI. einen Rat<ref> Apostolisches Schreiben Sacram liturgiam (25. Januar 1964): AAS 56 (1964), S. 139-144.</ref> und später die Heilige Kongregation für den Gottesdienst,<ref> Apostolische Konstitution Sacra rituum congregatio (8. Mai 1969): AAS 61 (1969), S. 297-305.</ref> die die ihnen anvertrauten Aufgaben mit Großmut, Kompetenz und Zügigkeit erfüllten. Nach der neuen Verfassung der Römischen Kurie, wie sie von der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus vorgesehen ist, wird das ganze Gebiet der heiligen Liturgie vereint und unter die Verantwortung eines einzigen Dikasteriums gestellt: der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Dieser obliegt es, abgesehen von der Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre,<ref> Apostolische Konstitution Pastor bonus (28. Juni 1988), Nr. 62: AAS 80 (1988), S. 876.</ref> die Liturgie, deren wesentlicher Teil die Sakramente sind, zu ordnen und zu fördern, indem sie pastoral-liturgische Aktivitäten ermutigt,<ref> Vgl. ebd., Nr. 64: l.c., S. 876-877.</ref> die verschiedenen Gremien unterstützt, die sich dem liturgischen Apostolat, der Musik, dem Gesang sowie der sakralen Kunst widmen,<ref> Vgl. ebd., Nr. 65: l.c., S. 877.</ref> und über die Sakramentenordnung wacht.<ref> Vgl. ebd., Nr. 63 und 66: l.c., S. 876 und 877.</ref> Dies ist eine bedeutende Aufgabe, da es vor allem darum geht, treu über die großen Prinzipien der katholischen Liturgie, wie sie in der Konzilskonstitution aufgezeigt und entwickelt wurden, zu wachen und sich davon inspirieren zu lassen, um in der ganzen Kirche die Erneuerung des liturgischen Lebens zu fördern und zu vertiefen.

Die Kongregation wird darum den Diözesanbischöfen bei ihrer Aufgabe helfen, Gott den Kult der christlichen Religion darzubieten und ihn nach den Geboten des Herrn und den Gesetzen der Kirche zu ordnen.<ref> Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium, Nr. 26; Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 22, 1.</ref> Dies wird in enger und vertrauensvoller Verbindung mit den Bischofskonferenzen geschehen, soweit es ihre Zuständigkeit auf liturgischem Gebiet betrifft.<ref> Vgl. Apostolische Konstitution Pastor bonus, Nr. 64, 3: L.c., S. 877.</ref>

b) Die Bischofskonferenzen

20. Die Bischofskonferenzen hatten die schwere Aufgabe, die Übersetzungen der liturgischen Bücher vorzubereiten.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 36 u. 63.</ref> Die Erfordernisse des Augenblicks haben mitunter dazu geführt, vorläufige Übersetzungen zu verwenden, die ad Interim approbiert worden sind. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, über gewisse im nachhinein entstandene Schwierigkeiten nachzudenken, für bestimmte Mängel und Ungenauigkeiten Abhilfe zu schaffen, die Teilübersetzungen zu vervollständigen, die Gesänge, die in der Liturgie zu verwenden sind, zu verfassen oder zu approbieren, über die Einhaltung der approbierten Texte zu wachen und schließlich die liturgischen Bücher in einem solchen Zustand zu veröffentlichen, der als bleibend angesehen werden kann, wie auch in einer äußeren Aufmachung, die der gefeierten Geheimnisse würdig ist.

Für die Übersetzungsarbeit, aber auch für eine umfassendere Abstimmung auf der Ebene eines ganzen Landes mußten die Bischofskonferenzen eine nationale Kommission einrichten und sich die Mitarbeit von Experten auf den verschiedenen Gebieten der Liturgiewissenschaft und des liturgischen Apostolates sichern.<ref> Vgl. ebd., Nr. 44.</ref> Es ist jetzt sinnvoll, sich über die positive oder negative Bilanz dieser Kommission, über die Orientierungen und über die Hilfe zu beraten, die sie von der Bischofskonferenz in ihrer Zusammensetzung und Tätigkeit erhalten hat. Die Rolle dieser Kommission ist um so schwieriger, wenn sich die Konferenz mit gewissen Maßnahmen einer noch tieferen Anpassung oder Inkulturation befassen will:<ref> Vgl. ebd., Nr. 40.</ref> dies ist ein weiterer Grund, darüber zu wachen, dass ihr Personen angehören, die wirkliche Experten sind.

c) Der Diözesanbischof

21. In jeder Diözese ist der Bischof der hauptsächliche Ausspender der Geheimnisse Gottes sowie auch der Leiter, Förderer und Wächter über das ganze liturgische Leben in der Kirche, die ihm anvertraut ist.<ref> Vgl. Dekret Christus Dominus, Nr. 15.</ref> Wenn der Bischof inmitten des Volkes zelebriert, ist es das Geheimnis der Kirche selbst, das sich hierbei kundtut. Es ist deshalb notwendig, dass der Bischof fest von der Bedeutung solcher Feiern für das christliche Leben seiner Gläubigen überzeugt ist. Sie müssen Modellcharakter für die ganze Diözese haben.<ref> Vgl. Ansprache an die italienischen Bischöfe, die an einem liturgischen Erneuerungskurs teilgenommen haben (12. Februar 1988), Nr. 1: L’Osservatore Romano, 13. Februar 1988, S. 4.</ref> Viel bleibt noch zu tun, um den Priestern und den Gläubigen zu helfen, in das Verständnis der Riten und der liturgischen Texte tiefer einzudringen, um die Würde und die Schönheit der Feiern und der Stätten zu entwickeln sowie nach Art der Väter eine „mystagogische Katechese“ der Sakramente zu fördern. Um diese Aufgabe einem guten Ende zuzuführen, soll der Bischof eine oder mehrere Diözesankommissionen einrichten, die ihm für die Förderung der liturgischen Arbeit sowie der sakralen Musik und Kunst in seiner Diözese hilfreich zur Seite stehen.<ref> Vgl. Konst. Sacrosanctum concilium, Nr. 45-46.</ref> Die Diözesankommission ihrerseits wird nach den Absichten und Anweisungen des Bischofs handeln und muß auf seine Autorität und seine Ermutigung zählen können, um in angemessener Weise die ihr gestellte Aufgabe zu erfüllen.

SCHLUSS

22. Die Tätigkeit der Kirche erschöpft sich nicht in der Liturgie, wie die Konstitution Sacrosanctum Concilium in Erinnerung gebracht hat.<ref> Vgl. ebd., Nr. 9.</ref> Sie ist aber die Quelle und der Höhepunkt.<ref> Vgl. ebd., Nr. 10.</ref> Sie ist eine Quelle, weil die Gläubigen vor allem in den Sakramenten reichlich vom Wasser der Gnade schöpfen, das aus der Seite Christi, des Gekreuzigten, fließt. Um ein für Papst Johannes XXIII. vertrautes Bild zu benutzen: die Liturgie ist wie die Quelle in einem Dorf, zu der jede Generation kommt, um immer lebendiges und frisches Wasser zu schöpfen. Sie ist auch ein Höhepunkt, weil alle Tätigkeit der Kirche hinzielt auf die Lebensgemeinschaft mit Christus. Es ist die Liturgie, in der die Kirche den Gläubigen das von Christus ein für allemal vollzogene Heilswerk offenbart und mitteilt.

23. Es scheint die Zeit gekommen zu sein, den starken Geistesantrieb wieder zu entdecken, den die Kirche in jenem Augenblick verspürte, da die Konstitution Sacrosanctum Concilium vorbereitet, diskutiert, abgestimmt und veröffentlicht wurde und diese die ersten konkreten Ausführungen erfuhr. Das Saatkorn wurde gesät: es hat die Strenge des Winters erlebt, aber der Samen ist aufgegangen, er ist ein Baum geworden. Es handelt sich in der Tat um das organische Wachstum eines Baumes, der um so kräftiger sein wird, je tiefer er die Wurzeln in das Erdreich der Tradition senkt.<ref> Vgl. ebd., Nr. 23.</ref> Ich möchte wiederholen, was ich bei dem Kongreß der liturgischen Kommissionen im Jahre 1984 gesagt habe: im Werk der liturgischen Erneuerung, wie es vom Konzil gewollt war, muß man sich „mit großer Ausgeglichenheit“ gegenwärtig halten „den Anteil Gottes und den des Menschen, die Hierarchie und die Gläubigen, die Tradition und den Fortschritt, das Gesetz und die Anpassung, den einzelnen und die Gemeinschaft, das Schweigen und den gemeinsamen Lobpreis. So wird sich die Liturgie der Erde mit der des Himmels verbinden, wo ... sich ein einziger Chor bilden wird ..., um mit einer Stimme den Vater durch Jesus Christus zu preisen“.<ref> Ansprache an die Teilnehmer der Versammlung der Präsidenten und Sekretäre der Nationalen Liturgiekommissionen (27. Oktober 1984), Nr. 6: Insegnamenti, VII/2 (1984), S. 1054.</ref>

Mit diesem vertrauensvollen Wunsch, der sich im Herzen in Gebet verwandelt, erteile ich allen den Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 4. Dezember 1988,

im elften Jahre meines Pontifikates

JOHANNES PAULUS PP. II

Anmerkungen

<references />

Weblinks