Lacrimabili statu (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 2. August 2013, 12:00 Uhr
Lacrimabili statu |
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unseres Heiligen Vaters
Pius X.
an die Erzbischöfe und Bischöfe Lateinamerikas
über die Milderung der beklagenswerten Lage der Indianer
7. Juni 1912
(Quelle: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Hsgr. Arthur Fridolin Utz + Birgitta Gräfin von Galen, II 44-51, Scientia humana Institut Aachen 1976, Imprimatur Friburgi Helv., die 2. decembris 1975 Th. Perroud, V.G. Die Nummerierung folgt der englischen Fassung [1])
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Rückblick auf die Bemühungen der Kirche zugunsten der Indianer
1 Durch die beklagenswerte Lage der Indianer Lateinamerikas aufs tiefste erschüttert, hat Unser großer Vorgänger Benedikt XIV., wie Ihr wisst, in seinem Schreiben "Immensa Pastorum" vom 22. Dezember 1741 ihre Sache mit großem Nachdruck verteidigt. Wir rufen es Euch ganz besonders in Erinnerung, denn das, was er in diesem Schreiben beklagte, das ist auch von Uns vielerorts zu beklagen. Benedikt XIV. klagt u. a. darüber, dass es trotz der langwierigen und zahlreichen Bemühungen des Heiligen Stuhls zur Verbesserung der elenden Lage der Indianer noch immer "Menschen gibt, die sich zum wahren Glauben bekennen und die trotzdem, so als hätten sie den Geist der Liebe, der durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen wurde, ganz und gar vergessen, es wagen, die unglücklichen Indianer, und zwar nicht nur diejenigen, die das Licht des Glaubens noch nicht besitzen, sondern auch jene, die durch das heilige Bad der Wiedergeburt gereinigt sind, zu Knechten zu machen, als Sklaven an andere zu verkaufen oder ihrer Güter zu berauben und sie mit solcher Unmenschlichkeit zu behandeln, dass sie von der Annahme des Glaubens abgehalten und in ihrem Hass nur umso mehr bestärkt werden". - Die schlimmste dieser Niederträchtigkeiten, die Sklaverei im eigentlichen Sinne, verschwand später nach und nach durch das Erbarmen Gottes, und ihr öffentliches Verbot in Brasilien und den anderen Lindern geht zu einem großen Teil auf die mütterliche Beharrlichkeit der Kirche gegenüber den Regierungen dieser Staaten zurück. Und Wir geben gern zu, dass ohne die zahlreichen und schwerwiegenden, sachlich und örtlich bedingten Hindernisse ihre Beschlüsse einen noch weit größeren Erfolg gehabt hätten. So bleibt, trotz allem, was bisher für die Indianer getan wurde, noch mehr zu tun. In der Tat betrachten Wir das, was man sich auch heute noch aufgrund alter Gewohnheiten gegen sie herausnimmt, als verbrecherisch und frevelhaft; es erfüllt Uns mit Abscheu und Wir empfinden für dieses unglückliche Volk das tiefste Mitgefühl.
Die unmenschliche Behandlung der Indianer
2 Gibt es wirklich etwas Grausameres und Barbarischeres als die Menschen mit Ruten und glühenden Klingen zu schlagen, und zwar aus den geringfügigsten Anlässen und vielfach nur aus Sadismus, oder sie unerwartet zu überfallen und zu Hunderten und Tausenden zu töten, oder ihre Siedlungen und Dörfer zu verwüsten, um ihre Bewohner auszurotten, sodass, wie Wir hörten, in diesen letzten Jahren einige Stämme fast gänzlich vernichtet wurden? Die gierige Gewinnsucht trägt zweifellos viel dazu bei, die Seelen so barbarisch zu machen, aber auch das Klima und die geographische Lage dieser Gegenden. Diese Länder sind dem heißen Südwind ausgesetzt, der die Blutgefäße erschlaffen lässt und die Spannkraft für die Tugend vernichtet. Ohne religiöse Praxis, fern von der Aufsicht des Staates und fast allen sozialen Bindungen können auch diejenigen, die bei ihrer Ankunft noch nicht alle Sitten verloren hatten, sehr bald verwilderte Sitten annehmen, alle Schranken des Rechts und der Pflicht zerbrechen und den ungeheuerlichsten Lastern verfallen. Und sie verschonen auch das schwache Geschlecht und das zarte Alter nicht; man schämt sich wahrhaftig, ihre schändlichen Verbrechen und Gräuel zu berichten, die sie bei der Verschleppung und dem Verkauf der Frauen und Kinder begehen; sie übertreffen in der Tat die schlimmsten Schandtaten der Heiden.
Die Ohnmacht der Regierungen
3 Uns selbst erschienen die Gerüchte über diese Verbrechen, als sie Uns erstmals zu Ohren kamen, so unglaublich, dass Wir lange gezögert haben, solche Gräueltaten für möglich zu halten. Aber nachdem sie Uns durch die kompetentesten Zeugen, nämlich durch mehrere von Euch, Ehrwürdige Brüder, sowie durch Abgesandte des Heiligen Stuhls, Missionare und andere absolut glaubwürdige Männer, bestätigt worden sind, ist Uns nicht mehr der geringste Zweifel an der Wahrheit dieser Dinge möglich.
4 So haben Wir auch seit langem, in dem Gedanken, dass Wir Uns bemühen müssen, soweit es in Unserer Macht liegt, so großen Übeln zu begegnen, Gott in demütigen Gebeten angefleht, dass Er Uns das angemessene Mittel dazu zeigen möge. Der Schöpfer und liebevolle Erlöser aller Menschen wird Uns sicher auch die wirksamen Mittel verleihen, nachdem er Uns den Wunsch eingegeben hat, für das Heil der Indianer zu wirken. Inzwischen ist es Uns ein tiefempfundener Trost zu sehen, wie sehr sich die Regierungen jener Staaten bemühen, diese schreiende Schande in ihren Ländern zu tilgen, und Wir können sie wirklich nicht genug deswegen loben und ermutigen. Aber in den Gegenden, die weitab von den Regierungssitzen liegen und die meiste Zeit unzugänglich sind, sind die humanitären Bemühungen der Regierungen, sei es wegen der Schlauheit der Übeltäter, die immer rechtzeitig über die Grenzen zu entkommen wissen, sei es wegen der Trägheit und Treulosigkeit der Verwaltungsbeamten, oft wenig wirkungsvoll oder gar vollständig umsonst. Wenn aber zu den Bemühungen des Staates diejenigen der Kirche hinzukämen, könnten die gewünschten Resultate weit besser ausfallen.
Die Pflichten der Katholiken gegenüber den Indianern
Ausbau der dem Wohl der Indianer gewidmeten Institutionen
5 Darum wenden Wir Uns vor allem an Euch, Ehrwürdige Brüder, auf dass Ihr Eure besondere Sorge und Aufmerksamkeit auf diese Angelegenheit richtet, die in jeder Weise der Würde Eurer Aufgabe und Eures Hirtenamtes entspricht. Und wenngleich Wir Eurer Sorge und Eurem Eifer die volle Freiheit lassen, so bitten Wir Euch doch inständig, dass Ihr in Euren Diözesen mit größtem Eifer vor allem jede einzelne Institution, die sich dem Wohl der Indianer widmet, weiterentwickelt und neue gründen lasst, wie es Euch zu diesem Zweck nützlich scheint. Darüber hinaus soll es Euch besonders am Herzen liegen, Euer Volk auf seine heilige Pflicht hinzuweisen, die missionarischen Expeditionen zu den Eingeborenen, die jene Teile Amerikas als erste bewohnten, zu unterstützen. Sagt ihm, dass es vor allem auf eine doppelte Weise dazu beitragen soll: durch seine Almosen und durch seine Gebete, und dass nicht nur die Religion, sondern auch das Vaterland dies von ihm fordern.
Nächstenliebe gegenüber allen Menschen ohne Unterschied der Nation und der Hautfarbe
Und Ihr selbst mögt darüber wachen, dass überall dort, wo man sich dem Unterricht und der Erziehung widmet, d. h. in den Seminarien, Knaben- und Mädchenschulen und vor allem in den Kirchen, niemals aufgehört wird, zur christlichen Nächstenliebe zu ermahnen und über sie zu predigen; diese nämlich betrachtet alle Menschen ohne Unterschied der Nation und der Hautfarbe als wahre Brüder, von ihr erwartet man nicht nur Worte, sondern Taten. Auch sollt Ihr keine sich bietende Gelegenheit vorübergehen lassen, um darauf hinzuweisen, welche Schande die Niedertracht, die Wir hier verurteilen, für den christlichen Namen bedeutet.
Ein weiteres Aktionsfeld für das apostolische Wirken
6 Wir Unsererseits haben, nicht ohne Grund auf die Zustimmung und die wohlwollende Unterstützung der betreffenden Regierungen vertrauend, vor allem im Sinn, dem apostolischen Wirken in jenen weiten Regionen ein größeres Aktionsfeld zu erschließen durch die Errichtung neuer Missionsstationen, in denen die Indianer Zuflucht und Schutz finden sollen. Der katholischen Kirche hat es nie an apostolisch gesinnten Männern gefehlt, die, von der Liebe Christi getrieben, bereit sind, selbst ihr Leben für ihre Brüder zu opfern. Selbst heute, da so viele Menschen vor dem Glauben zurückschrecken oder von ihm abfallen, hat der Eifer, das Evangelium unter den noch nicht zivilisierten Völkern zu predigen, weder bei den Missionaren aus den religiösen Orden und dem Weltklerus noch bei den Ordensschwestern nachgelassen, vielmehr hat er sich noch vermehrt und weiter ausgebreitet, sicherlich durch die Kraft des Heiligen Geistes, der der Kirche, seiner Braut, zu Hilfe kommt, je nachdem, wie die Zeiten es erfordern. Da sich Uns durch die göttliche Gnade diese Hilfen anbieten, erachten Wir es als angebracht, sie um so ausgiebiger zur Befreiung der Indianer aus der Knechtschaft des Satans und der verbrecherischen Menschen zu nutzen, je dringender sie ihrer bedürfen. Da zudem diese Gegenden nicht nur vom Schweiß, sondern mehrfach auch vom Blut der Verkünder des Evangeliums getränkt wurden, so erhoffen Wir, dass ein Tag kommen wird, an dem aus all diesen Opfern reiche Früchte christlichen Menschentums erwachsen werden.
Erneute Verurteilung der Sklaverei
Damit aber alle Mühen, die Ihr oder Euer Volk aus eigenem Antrieb oder auf Unsere Ermahnung hin zum Wohl und zum Besten der Indianer aufwendet, durch Unsere Apostolische Autorität eine möglichst große Wirksamkeit erhalten, verurteilen Wir, dem Beispiel Unseres Vorgängers Benedikt XIV. folgend, und erklären Wir unmenschlicher Verbrechen für schuldig alle jene, die, wie er sagte, "es wagen oder sich erdreisten, die genannten Indianer zu versklaven, zu verkaufen, zu kaufen, zu tauschen oder zu verschenken, von ihren Fral1en und Kindern zu trennen, ihrer Sachen und Güter zu berauben, an andere Orte umzusiedeln oder zu verbringen oder in irgendeiner Weise ihrer Freiheit zu berauben und als Sklaven zu halten, denen, die solches tun, Rat, Hilfe, Gunst oder Dienst, unter welchem Vorwand oder welcher Beschönigung auch immer, zu gewähren oder zu erklären oder zu lehren, dass dies erlaubt sei, oder sonst wie hierbei mitzuwirken". Daher soll die Vollmacht, Reuige von diesen Verbrechen im Beichtsakrament zu absolvieren, den Oberhirten der Sprengel vorbehalten sein.
Schlusswort und Segen
7 Wir haben geglaubt, Euch, Ehrwürdige Brüder, diese Dinge im Interesse der Indianer schreiben zu müssen, einmal um dem Antrieb Unseres Vaterherzens zu gehorchen, zum andern um dem Vorbild mehrerer Unserer Vorgänger zu folgen, unter denen besonders auch Leo XIII. seligen Angedenkens erwähnt werden muss. Es ist nun an Euch, Unsere Wünsche nach Kräften zu erfüllen. Gewiss werdet Ihr Unterstützung in diesem Werk bei den Regierungen Eurer Länder finden. Der Klerus und vor allem auch die Missionare werden es nicht an Eifer und Anstrengungen fehlen lassen, und sicherlich werden alle gutgesinnten Menschen Euch beistehen, sei es mit ihrem Vermögen, wenn sie dazu in der Lage sind, sei es durch andere Werke der Nächstenliebe für eine Sache, die zugleich die Religion und die menschliche Würde angeht. Was aber noch wichtiger ist: die Gnade des allmächtigen Gottes wird Euch beistehen. Als deren Unterpfand und zugleich als Zeichen Unseres Wohlwollens erteilen Wir Euch, Ehrwürdige Brüder, und Euren Gläubigen von Herzen den Apostolischen Segen.