Modernismus
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Modernismusstreit (1907)
Der Begriff des Modernismus für eine Ansammlung von Irrlehren wurde, im engeren Sinne, von Papst Pius X. in seiner Enzyklika Pascendi von 1907 geprägt. Die von ihm so genannten Modernisten, von denen fast jeder jedoch behauptete, das päpstliche Verdikt habe ihn nur partiell betroffen, versuchten um 1900 die wissenschaftlichen Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts mit der religiösen Tradition zu vereinbaren. Dies unternahmen sie jedoch kurzschlüssig, einseitig und voreilig zugunsten der Wissenschaft bzw. ihres damaligen (heute überholten) Erkenntnisstandes.
Während sich fast alle verdächtigten Theologen alsbald unterwarfen und die generelle Berechtigung des päpstlichen Eingreifens anerkannten, leisteten der Engländer George Tyrrell, der Italiener Ernesto Buonauiti und vor allem der wirkungsmächtigste Vertreter des Modernismus, der frz. Priester Alfred Loisy, erbitterten Widerstand. Weniger heftige Bestrebungen eines Ausgleichs mit der modernen Welt wurden im deutschen Sprachraum unter dem Stichwort "Reformkatholizismus" bekannt.
Bereits im Jahr 1909 bekannte sich der exkommunizierte Loisy als gescheitert und wandte sich weiterreichenden religionsphilosophischen Untersuchungen zu, beharrte aber zeitlebens auf der Richtigkeit seiner Position, die heute allgemein nicht mehr als wissenschaftlich beurteilt wird. Der optimistische Humanismus, der die liberalen Vertreter des Modernismus kennzeichnete, erlebte mit dem 1. Weltkrieg eine so tiefgreifende Erschütterung, dass der Gegenwart das heile Selbstbild der "guten alten Zeit" kaum noch vorstellbar ist.
Eine Triebfeder für theologisch-wissenschaftliche Ausgleichsversuche übereilter Art war sicherlich auch, dem modernen Lebensgefühl gegenüber nicht abseits stehen zu wollen. Einige Anliegen des Modernismus wurden in nachfolgenden Jahrzehnten auch vom kirchlichen Lehramt aufgegriffen, insbesondere hinsichtlich der Bibelwissenschaft und der Dogmengeschichte.
Hierfür ist von Bedeutung, dass Pius X. keineswegs verurteilt hat, dass die Kirche durch ihre Amtsträger zu Anpassungen an die Erfordernisse der Zeit befugt ist. Im Gegenteil: Er selbst hat die umfänglichsten Reformmaßnahmen seit dem Tridentinum veranlasst. Die Enzyklika Pascendi war auch nicht gegen die Wissenschaft gerichtet, sondern vielmehr gegen falsche, scheinbare Wissenschaftlichkeit, die ihre veränderlichen Erkenntnisse zum Kriterium der Wahrheit mache.
Modernismus und II. Vatikanum
Kritiker des II. Vatikanischen Konzils behaupten, dieses habe den Kampf gegen neue Erscheinungsformen des Modernismus aufgegeben, damit die Identität der katholischen Religion preisgegeben und die Kirche massiv geschwächt. Demgegenüber findet sich in den Texten des II. Vatikanums (und auch im Lehramt der neueren Päpste) kein greifbarer Beleg für eine im Sinne des Modernismusstreits explizit "modernistische" Position. Die Botschaft des Konzils gestattet jedoch keine allein antimodern motivierte Definition katholischer Identität, da diese dem Missionsauftrag der Kirche widerstreitet. Die um ihres öffentlichen Auftrags willen erforderliche Selbstkorrektur des Katholizismus hat das Konzil in den Kontext der Tradition der Kirche aller Jahrhunderte einzufügen gewusst. Heutige Leser der Dokumente können, ohne Rückgriff auf wissenschaftliche Kommentierungen, kaum noch erkennen, welches die heftig umstrittenen Positionen waren, etwa in Dei Verbum oder Lumen Gentium. Den Konzilsaussagen fehlte allerdings ein Kriterium für Maß und Methode erforderlicher Traditionskritik ebenso wie Maßstäbe andererseits notwendiger Intransigenz, so dass die Auslegung des Konzils zur wichtigsten Aufgabe für die nachkonziliaren Päpste wurde. Insbesondere die umfangreiche Lehr- und Reisetätigkeit von Johannes Paul II. hat hier zuvor vermisste Klarheit geschaffen. Bestimmte Projekte, die häufig mit dem Geist des Konzils in Verbindung gebracht wurden, fanden dadurch keine päpstliche Billigung (Priesterehe, Frauenordination, Ehescheidung). Die Hinwendung der Kirche zu einem integralen Humanismus (Maritain) und zum interreligiösen Dialog wurde so aber weiter intensiviert.
Nicht jede Annäherung an wissenschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte ist aber zugleich Häresie. Selbst der Syllabus von 1864, der von Kritikern immer wieder zur Beweisführung angeführt wird, verurteilte Zeitirrtümer der Jahre um 1864, nicht ewige Irrtümer aller Zeiten. Unzulässig ist es auch, aus einem lehramtlich nachrangigen Dokument (hier der Enzyklika Quanta cura beigefügt), das methodisch die Verurteilung von irrtumsbehafteten Sätzen vollzog, ohne im gleichen Umfang eine Positionsbestimmung positiv vorzunehmen, einen allzeit verbindlichen Grundriss einer katholischen Ideologie herzuleiten.
Das kirchliche Lehramt spricht die Wahrheit der Religion notwendig anhand einzelner Konfliktfälle aus. Nicht jede Teilaussage innerhalb des Klärungsprozesses hat also das gleiche Gewicht. Trotzdem war die Hauptrichtung der Position der Päpste schon des 19. Jahrhunderts, bis zu Pius X., von erstaunlichem Weitblick getragen. Keine andere Institution hat mit ähnlicher Deutlichkeit die Gefahren der Moderne vorhergesehen, die in den Verbrechen totalitärer Gewaltstaaten bald zum Durchbruch kamen. Da die päpstliche Perspektive immer eine pastorale ist, mussten theologische Konzepte, die einem falschen Bild vom Menschen und seines religiösen Bewusstseins (und damit letztlich der totalitären Versuchung) zuarbeiten, zurückgewiesen werden.
Die Korrekturen des kirchlichen Lehramts zugunsten der Theologie betreffen also den (jeweils als kontraproduktiv erwiesenen) "Überschuss" an defensiver Haltung oder auch den "Überschuss" als untauglich erwiesener Innovationen. Keineswegs ist das Lehramt aber a priori in der Rolle des defensiven "Nachzüglers", der allmählich den autonomen Erkenntnisfortschritt der Theologie gutheißen muss. Nicht zuletzt der Schock der Moderne selbst und die humanitären Katastrophen des 20. Jahrhundert haben gezeigt, dass die Kirche mit der Botschaft des Konzils von 1962 bis 1965 eine zeitgemäße Antwort auf die Krise des Humanismus geben konnte.
Konfession und Religionsfreiheit
Da die heutige antimoderne Kritik vor allem die Billigung der Religionsfreiheit im Staat durch Konzil und Päpste angreift, hat sogar sie zu einer weiteren Durchdringung dieses Grundproblems im Dialog mit der Moderne beigetragen. Provoziert durch die Folgen der frz. Revolution von 1789, die zunächst ein Konzept der Menschenrechte förderte, das auf dogmatischer Ebene mit der Religion in Konkurrenz trat, hat die Kirche in mehreren Schritten eine zunehmend klare Unterscheidung der beiden ihr zustehenden Wirkungsbereiche (geistlich und weltlich) geleistet.
Der zunächst defensiv antimoderne Kurs im 19. Jh. hat das Papsttum zur Konzentration auf seine eigentlich geistliche, aber universale Sendung zurückgeführt. Dieses kann aber nicht hinnehmen, dass die Moderne die Religionsausübung weithin als Privatsache auffasst, wie es in der Reformation seinen Anfang nahm. Weil (nicht: obwohl!) die katholische Religion einen öffentlichen Anspruch erhebt, muss sie sich aber von der Konkurrenz um politische Macht im Staat freimachen. Solange die Kirche eine "Partei" unter vielen in der Gesellschaft ist, kann sie dem Wort und Sakrament Christi nämlich keine allgemeine Geltung verschaffen. Während der Modernismus im Ergebnis auf die Abschaffung der Kirche zielt (jedenfalls ihrer Amtsverfassung), zugunsten privater Religiosität in der Gesellschaft, befähigt die Lehre des II. Vatikanums (insb. in Lumen Gentium und Dei Verbum), ganz entgegengesetzt, zur besseren gesellschaftlichen Wirksamkeit der Religion, indem sie auf die Durchsetzungskraft der Wahrheit selber vertraut, ohne Zuhilfenahme von Machtmitteln oder Privilegien (in der politischen Ordnung). Soweit die Kirche der Geburtsort der menschlichen Person ist, mithin ihrer Freiheit, betont sie heute ein zentrales Dogma: Glaube und Taufe setzen ein persönliches Bekenntnis voraus. In einer Weise, die das Antlitz Christi deutlicher hervortreten lässt, soll das Glaubensleben, unverwechselbar mit allen anderen Religionen oder Weltanschauungen, glaubwürdig sein.
Die weitere Fundierung dieser zugleich modernen und katholischen Einsichtenn könnte zum zentralen Thema für den öffentlichen Diskurs der Gegenwart werden, da die Gefahren der Moderne eine tragfähige Antwort fordern. Diese Antwort setzt Gewissheit voraus, also Wahrheit, aber auch Entscheidung, also Freiheit. Im Ergebnis wird sich erweisen, dass der Katholizismus, vielleicht als einzige Konfession, zu einer dialogischen Toleranz in der offenen Gesellschaft befähigt ist. Diese Befähigung bildet keine falschen Synthesen ("Weltethos"), bringt aber den unverzichtbaren Absolutheitsanspruch der Religion einerseits mit der Achtung vor abweichenden Überzeugungen andererseits zum Ausgleich. Die Kirche der Zukunft wird also als eine Gemeinschaft freiwilliger Nachfolge Christi leben. Diesen vielleicht wichtigsten Erkenntnisfortschritt des 20. Jahrhunderts hat der Kampf gegen den Modernismus erst ermöglicht. Denn die zu kurzschlüssig konzipierte "Kapitulation" vor der Moderne um 1900 gefährdete die Religion insgesamt. Die wissenschaftliche Theologie deutscher Prägung geht mit diesem Erfolg aber eher defensiv um.
Verfechter eines seinerseits ideologisch geprägten Toleranzdogmas hingegen sehen sich weiterhin außerstande, den Anspruch Jesu, so wie die Kirche ihn vertritt, in der Öffentlichkeit zu dulden. Die Überzeugungsarbeit hat hier wohl erst begonnen. Sie ist aber nach den komplementären Vorarbeiten sowohl der "Pius-Päpste" wie der Konzilspäpste und ihrer Nachfolger nicht aussichtslos. Neue Impulse gab hierzu auch die Vorlesung, die Papst Benedikt XVI. am 12. September 2006 in Regensburg hielt sowie seine Sapienza-Rede, die für den 17. Januar 2008 vorbereitet war.
Literatur
Henri de Lubac, Zwanzig Jahre danach. Ein Gespräch über Buchstabe und Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, München (Neue Stadt) 1985.