Notre charge apostolique (Wortlaut)
Notre charge apostolique |
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unseres Heiligen Vaters
Leo XIII.
an Unsere vielgeliebten Söhne: Pierre Hector Coullié, Kardinalpriester der Heiligen Römischen Kirche, Erzbischof von Lyon;
Louis Henri Luçon, Kardinalpriester der Heiligen Römischen Kirche, Erzbischof von Reims;
Paulin Pierre Andrieu, Kardinalpriester der Heiligen Römischen Kirche, Erzbischof von Bordeaux
und an alle Unsere anderen Ehrwürdigen Brüder, die französischen Erzbischöfe und Bischöfe
über die Sillon-Bewegung
25. August 1910
(Quelle : Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Eine Sammlung päpstlicher (sozialer) Dokumente vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Originaltext mit Übersetzung, herausgegeben von Professor Dr. Arthur Utz OP und Dr. Birgitta Gräfin von Galen, Scientia humana Institut Aachen 1976, S. 22402-2439, XXIII 229-276, meist lateinischer und deutscher Text; Imprimatur Friburgi Helv., die 2 decembris 1975 Th. Perroud, V.G.)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
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Inhaltsverzeichnis
- 1 Anlass des Schreibens: Die Sorge um die Sillon-Bewegung
- 2 1. Päpstliche Stellungnahme zur Lehre des Sillon. Notwendigkeit der Unterordnung unter die kirchliche Autorität
- 3 Irrtümer des Sillon. Gegensatz zur kirchlichen Soziallehre
- 4 Unvergängliches Ideal: Christliche Zivilisation - Katholischer Staat
- 5 Genauere lehramtliche Überprüfung der wesentlichen Punkte
- 6 Falscher Grundsatz der vielfachen „Emanzipation“
- 7 Falscher demokratischer Autoritätsbegriff
- 8 Falscher Begriff von „Menschenwürde“ - „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“: Hauptgrundsatz des Sillon
- 9 Die wirtschaftliche Demokratie als Trägerin der politischen Demokratie
- 10 Völlige Verfälschung der sozialen Ordnung
- 11 Die staatliche Regierungsgewalt stammt nicht aus dem Volk und liegt nicht im Volk.
- 12 Naturwidrigkeit der Volksherrschaft. Notwendigkeit von Autorität und untergeordnetem Gehorsam
- 13 Gerechtigkeit und revolutionäre Gleichheit sind unvereinbar
- 14 Echte „Brüderlichkeit“ ist nicht Toleranz gegenüber falschen Überzeugungen, sondern ist die Nächstenliebe in Jesus Christus.
- 15 Aufgeklärte Bewusstseinsbildung zur vollen stolzen Eigenverantwortlichkeit: ein völlig falscher begriff von „Menschenwürde“.
- 16 2. - Päpstliche Stellungnahme zur Praxis des Sillon
- 17 Unbedingtestes Genossentum ohne Autorität
- 18 Demokratische Verirrungen als Grund ihres mangelnden kirchlichen Gehorsams: Ein Hauch der französischen Revolution
- 19 Falsche, schädliche Verknüpfung zwischen Katholizismus und demokratischer Staatsform: eine solche ist auch ein Glaubensirrtum.
- 20 Religion: letztlich für den Sillonisten eine „Privatsache“
- 21 Grundlegender Richtungswandel im neueren „Größeren Sillon“. Gesellschaffsreform in falscher Aktionseinheit mit jedem Irrtum
- 22 Großer gemischter Sillon = Neuer Sillon: freisinnige Ausweitung des „kleinen katholischen Sillon“
- 23 Eine katholische religiöse Vereinigung ohne die wahre Religion auf der Basis voller Religionsfreiheit?!
- 24 Gleichberechtigung aller Religionen und Weltanschauungen im „Neuen Sillon“ - und die Folgen davon.
- 25 Zusammenfassend ergibt sich: der Sillon ist nicht mehr katholisch.
- 26 Völlige Verkehrtheit der Gesinnung vorgeblicher „Katholiken“ gegenüber der heiligen Mutter Kirche, ihrer Lehre und Geschichte. Der Sillon als wegbereiter des Sozialismus
- 27 Sillonismus: Teil des weltweiten Abfalls vom katholischen Glauben. Eine neue „Universelle Kirche“ unter dem Vorwand der „Menschenrechte“ ist auf dem Wege.
- 28 Überspannte Verfälschung des Evangeliums durch den Sillon im Geiste des Illuminatentums und des Mystizismus. Bewusster Einfluss der französischen Revolution
- 29 Die Herabwürdigung der Person Jesu Christi - das wahre Bild unseres Herrn und Heilandes. Lehre und Leitung durch Petrus und dessen Nachfolger.
- 30 3. - Abschließende seelsorgliche Richtlinien des Papstes an die Bischöfe.
- 31 Der Papst über die Zukunft der Sillon-Bewegung
Anlass des Schreibens: Die Sorge um die Sillon-Bewegung
Unser Apostolisches Amt macht es Uns zur Pflicht, über die Reinheit des Glaubens und die Unverletzlichkeit der katholischen Lebensweise zu wachen und die Gläubigen vor den Gefahren des Irrtums und des Bösen zu bewahren, und dies vor allem dann, wenn der Irrtum und das Böse in einer mitreißenden Sprache dargeboten werden, welche die Unklarheit der Ideen und die Mehrdeutigkeit der Ausdrücke hinter glühenden Gefühlen und wohlklingenden Worten verbirgt und dadurch die Herzen für verlockende, aber verderbliche Dinge entflammt. Von dieser Art waren früher die Lehren der sogenannten Philosophen des 18. Jahrhunderts, der Revolution und des Liberalismus, die schon so viele Male verurteilt wurden; von dieser Art sind heute noch die Theorien der Sillon-Bewegung, die, dem Anschein nach glänzend und edel, in Wirklichkeit nur zu oft der Klarheit, der Logik und der Wahrheit entbehren und in dieser Hinsicht nicht katholischem und französischem Geist entsprechen.
Wir haben lange gezögert, Ehrwürdige Brüder, öffentlich und feierlich Unsere Ansicht bezüglich des Sillon auszusprechen. Es mussten Eure Besorgnisse noch zu den Unseren hinzukommen, um Uns zu veranlassen, es zu tun. Denn Wir lieben die tapfere Jugend, die unter der Fahne des Sillon angetreten ist, und Wir glauben, dass sie in vieler Hinsicht Anerkennung und Bewunderung verdient. Wir lieben ihre Anführer und Wir freuen Uns, in ihnen Persönlichkeiten von hohem geistigem Rang zu erkennen, die über den niedrigen Leidenschaften stehen und von der edelsten Begeisterung für das Gute beseelt sind. Ihr habt es gesehen, Ehrwürdige Brüder, wie sie, durchdrungen von einem lebhaften Gefühl der menschlichen Brüderlichkeit, zu den Arbeitern und Notleidenden gingen, um sie aufzurichten, und wie ihre Opferbereitschaft getragen war von ihrer Liebe zu Jesus Christus und von einer vorbildlichen religiösen Praxis.
Es war nach der denkwürdigen Enzyklika Unseres Vorgängers seligen Angedenkens Leo XIII. über die Lage der Arbeiter. Die Kirche hatte durch den Mund ihres Oberhauptes über die Niedrigen und Armen die ganze innige Liebe ihres mütterlichen Herzens ausgegossen und schien nach immer zahlreicheren Vorkämpfern für die Wiederherstellung der Ordnung und der Gerechtigkeit in unserer aufgewühlten Gesellschaft zu rufen. Traten die Gründer des Sillon nicht gerade im rechten Augenblick auf, um Scharen von jungen und gläubigen Menschen zur Verwirklichung ihrer Wünsche und Hoffnungen in ihren Dienst zu stellen? Und in der Tat hat der Sillon das Banner Jesu Christi in den Arbeiterklassen aufgerichtet, das Zeichen des Heils für den Einzelnen wie für die Nationen; er speiste ihre soziale Tätigkeit aus den Quellen der Gnade; er verschaffte der Religion Respekt in Milieus, die am wenigsten dazu geneigt schienen; er gewöhnte Unwissende und Ruchlose daran, von Gott reden zu hören, und er trat häufig in öffentlichen Streitgesprächen vor einer feindlich gesinnten Zuhörerschaft auf, um, durch eine Frage oder eine spöttische Rede provoziert, laut und stolz seinen Glauben hinauszurufen. Dies waren die schönen Zeiten des Sillon; und diese seine gute Seite erklärt auch die Ermutigung und Zustimmung, mit der die Bischöfe und der Heilige Stuhl ihn überhäuften, solange dieser religiöse Eifer den wahren Charakter der sillonistischen Bewegung zu verschleiern vermochte.
Denn es muss gesagt werden, Ehrwürdige Brüder, Unsere Hoffnungen wurden zum größten Teil enttäuscht. Es kam der Tag, da der Sillon für die Augen der Hellsichtigen beunruhigende Tendenzen spürbar werden ließ. Der Sillon ging in die Irre. Konnte es denn anders sein? Seine Gründer, jung, begeistert und voll Selbstvertrauen, waren nicht ausreichend gewappnet durch historisches Wissen, eine gesunde Philosophie und eine starke Theologie, um ohne Gefahr die schwierigen sozialen Probleme anzugehen, zu denen sie durch ihre Wirksamkeit und durch ihr Herz hingezogen wurden, und um sie, im Bereich der Lehre und der Lebensweise, vor dem Eindringen liberaler und protestantischer Ideen zu schützen.
Es hat ihnen nicht an Ratschlägen gefehlt, und Verweise sind den Ratschlägen nachgefolgt; aber Wir mussten zu Unserem Schmerz sehen, wie Stellungnahmen und Zurechtweisungen von ihren ausweichenden Seelen abglitten und ohne Erfolg blieben. Die Dinge sind inzwischen so weit gediehen, dass Wir Unsere Pflicht verraten würden, wenn Wir noch länger Schweigen bewahrten. Wir schulden die Wahrheit Unseren geliebten Söhnen des Sillon, die ein hochherziger Eifer auf eine falsche und gefährliche Bahn gebracht hat. Wir schulden sie den vielen Seminaristen und Priestern, welche der Sillon wenn auch nicht der Autorität, so doch zumindest der Leitung und dem Einfluss ihrer Bischöfe entzogen hat, Wir schulden sie schließlich der Kirche: in ihr sät der Sillon Zwietracht und schadet deren Interessen.
1. Päpstliche Stellungnahme zur Lehre des Sillon. Notwendigkeit der Unterordnung unter die kirchliche Autorität
An erster Stelle muss der Anspruch des Sillon, der Leitung der kirchlichen Autorität entzogen zu sein, auf das strengste getadelt werden. Die Anführer des Sillon behaupten in der Tat, dass sie sich auf einem Boden bewegen, der nicht der Boden der Kirche ist; dass sie nur Ziele des weltlichen, nicht des geistlichen Bereiches verfolgen; dass der Sillonist ganz einfach ein Katholik sei, der sich der Sache der arbeitenden Klassen und den demokratischen Einrichtungen widmet, und der aus seinem Glauben die Kraft für seinen Einsatz schöpft; dass er nicht mehr und nicht weniger als die katholischen Handwerker, Arbeiter, Bauern, Wirtschaftler und Politiker den allen Menschen gemeinsamen Regeln der Moral unterworfen bleibe; dass er aber, nicht mehr und nicht weniger als diese, in keiner besonderen Art und Weise von der kirchlichen Autorität abhänge.
Die Antwort auf diese Ausreden ist höchst einfach. Wen kann man davon überzeugen, dass die katholischen Sillonisten, dass die Priester und Seminaristen, die ihm angehören, mit ihrer sozialen Tätigkeit nichts anderes vor Augen haben als die weltlichen Interessen der Arbeiterklassen? Diese Behauptung würde ihnen, so denken Wir, Unrecht tun. In Wahrheit bezeichnen sich die Anführer des Sillon als unverdrossene Idealisten: sie wollen die Lage der arbeitenden Klassen verbessern, indem sie zunächst das menschliche Bewusstsein erhöhen, sie haben eine Soziallehre, sowie weltanschauliche und religiöse Grundsätze, um die Gesellschaft nach einem neuen Plan umzustrukturieren; sie haben eine ganz spezielle Auffassung von der Menschenwürde, von der Freiheit, von der Gerechtigkeit und von der Brüderlichkeit; um ihre sozialen Träume zu rechtfertigen, berufen sie sich auf ein nach ihrer Weise ausgelegtes Evangelium; und, was noch schwerwiegender ist, auf einen entstellten und herabgeminderten Christus.
Zudem lehren sie diese Ideen in ihren Studienzirkeln, trichtern sie ihren Genossen ein, und lassen sie in ihre Praxis eingehen. Sie sind also in Wahrheit Lehrer der sozialen, bürgerlichen und religiösen Moral; und welche Form sie der Organisation ihrer Bewegung auch geben mögen, Wir können doch mit Recht sagen: das Ziel des Sillon, sein Charakter und seine Aktivität betreffen den Bereich der Moral, welcher der eigene Bereich der Kirche ist; deshalb gehen die Sillonisten von falschen Voraussetzungen aus, wenn sie glauben, sich in einem Raum zu bewegen, an dessen Grenzen die Rechte der Lehr- und Leitungsvollmacht der kirchlichen Autorität enden.
Irrtümer des Sillon. Gegensatz zur kirchlichen Soziallehre
Selbst wenn ihre Lehren ohne Irrtümer gewesen wären, so wäre es schon ein sehr schwerer Verstoß gegen die katholische Disziplin gewesen, sich hartnäckig der Leitung derjenigen zu entziehen, die vom Himmel den Auftrag erhalten haben, die Einzelmenschen und die Gemeinschaften auf den geraden Weg des Wahren und Guten zu führen. Aber das Unheil ist noch größer. Wir haben es schon gesagt: der Sillon ist, verleitet durch eine falsch verstandene Liebe zu den Schwachen, dem Irrtum verfallen.
In der Tat hat der Sillon sich den Aufschwung und die Wiedergewinnung der arbeitenden Klassen zum Ziel gesetzt. Zu diesem Gegenstand aber sind die Grundsätze der katholischen Lehre ein für allemal festgelegt, und die Geschichte der christlichen Kultur beweist deren Nutzen und deren Fruchtbarkeit. Unser Vorgänger seligen Angedenkens hat dieselben im Rahmen von Lehrschreiben ins Gedächtnis gerufen: alle Katholiken, die sich mit sozialen Fragen befassen, sollten diese studieren und stets vor Augen haben. Er hat insbesondere gelehrt, die christliche Demokratie solle die Verschiedenheit der sozialen Klassen beibehalten, die mit Sicherheit das Kennzeichen jedes wohlgeordneten Staates ist, und für die menschliche Gesellschaft jene Form und jenen Charakter fordern, den Gott, ihr Schöpfer, ihr eingeprägt hat.
Er brandmarkte „eine gewisse Demokratie die in ihrer Entartung so weit ging, dass sie die Souveränität in der Gesellschaft dem Volke zuspricht und die Beseitigung und Einebnung aller sozialen Klassenunterschiede anstrebt. Gleichzeitig hat Leo XIII. den Katholiken ein Aktionsprogramm auferlegt: das einzige Programm, das es ermöglicht, die Gesellschaft wieder auf ihren jahrhundertealten christlichen Grundlagen aufzurichten und zu erhalten.
Was haben hingegen die Anführer des Sillon getan? Sie haben nicht bloß ein Programm und eine Lehre aufgestellt, die von denen Leo XIII. verschieden sind (was an sich schon eine ungewöhnliche Verwegenheit von Seiten von Laien wäre, die sich auf diese Weise mit dem Papst wetteifernd als Leiter der sozialen Aktivität innerhalb der Kirche aufstellen). Sie haben sogar offen das von Leo XIII. vorgezeichnete Programm abgelehnt und ein dazu in krassem Widerspruch stehendes angenommen; darüber hinaus lehnen sie die von Leo XIII. in Erinnerung gebrachte Lehre über die wesentlichen Grundsätze der Gesellschaft ab, verlegen die Autorität in das Volk oder beseitigen die Autorität fast vollständig, und verfolgen als zu verwirklichendes Ideal die Einebnung der sozialen Klassen. Sie folgen also unter Abkehr von der katholischen Lehre einem verurteilten Ideal.
Wir wissen wohl, dass sie sich schmeicheln, die Menschenwürde und die zu sehr missachtete Lage der arbeitenden Klassen zu heben, die Arbeitsgesetzgebung und die Beziehungen zwischen Kapital und Lohnempfängern gerechter und vollkommener zu gestalten, schließlich eine bessere Gerechtigkeit und mehr Nächstenliebe auf Erden herrschen zu lassen, und durch tiefgreifende und fruchtbare soziale Bewegungen einen unerwarteten Fortschritt in der Menschlichkeit zu bewirken. Gewiss tadeln Wir diese Bemühungen nicht, die in jeder Hinsicht ausgezeichnet wären, wenn die Sillonisten nicht vergessen würden, dass der Fortschritt eines Wesens darin besteht, seine (eigenen) natürlichen Fähigkeiten durch neue Kräfte zu verstärken und den Einsatz von deren jeweiliger Wirksamkeit im Bereich seiner eigenen inneren Beschaffenheit und entsprechend deren Gesetzmäßigkeiten zu fördern; und dass man ein Wesen, wenn man seine wesentlichen Organe verletzt, oder wenn man den Bereich von deren jeweiliger Wirksamkeit zersprengt, nicht hin zum Fortschritt treibt, sondern hin zum Tode.
Doch gerade dies ist es, was sie mit der menschlichen Gesellschaft machen wollen: es ist ihr Traum, alle ihre natürlichen und überlieferten Grundlagen zu verändern und ein zukünftiges Gemeinwesen zu versprechen, das auf anderen Grundsätzen aufgebaut sein wird, welche - wie sie zu behaupten wagen - fruchtbarer und nutzbringender sein werden als die Grundsätze, auf denen gegenwärtig der christliche Staat ruht.
Unvergängliches Ideal: Christliche Zivilisation - Katholischer Staat
Nein, Ehrwürdige Brüder - es muss in diesen Zeiten gesellschaftlicher und geistiger Anarchie, in denen jeder sich selbst als Lehrer und Gesetzgeber aufstellt, immer wieder wirksam daran erinnert werden: man kann den Staat nicht anders bauen, als Gott ihn gebaut hat; man kann die Gesellschaft nicht errichten, wenn die Kirche nicht die Fundamente legt und nicht die Bauarbeiten leitet; nein, es ist nicht mehr nötig, eine Zivilisation zu ersinnen, noch auch einen neuen Staat in den Wolken zu bauen. Es hat sie gegeben und es gibt sie: es sind die christliche Zivilisation und der katholische Staat Es kann sich nur noch darum handeln, ihn unablässig gegen die immer wieder neu ausbrechenden Angriffe einer falschen Utopie, der Revolte und der Gottlosigkeit auf seine natürlichen und göttlichen Grundlagen zu stellen und ihn darin zu stärken und zu festigen: Omnia instaurare in Christo.
Genauere lehramtliche Überprüfung der wesentlichen Punkte
Damit man Uns aber nicht vorwerfen kann, Wir beurteilten die Theorien des Sillon allzu summarisch und mit einer ungerechtfertigten Strenge, wollen Wir hier die wesentlichen Punkte ins Gedächtnis rufen.
Falscher Grundsatz der vielfachen „Emanzipation“
Der Sillon vertritt in edelmütiger Weise die Menschenwürde. Aber er versteht diese Würde im Sinne gewisser Philosophien, mit denen die Kirche durchaus nicht einverstanden ist. Das erste Element dieser Würde ist die Freiheit, die so verstanden wird, dass jeder Mensch, außer in religiösen Dingen, unabhängig ist. Aus diesem Grundprinzip zieht der Sillon folgende Schlüsse: Heute steht das Volk unter der Vormundschaft einer mit ihm nicht identischen Autorität; von ihr muss es sich befreien: das ist die politische Emanzipation. Das Volk steht in der Abhängigkeit von Arbeitgebern, die seine Produktionsmittel in der Hand haben und es dadurch ausbeuten, unterdrücken und erniedrigen; es muss ihr Joch abschütteln: das ist die wirtschaftliche Emanzipation.
Das Volk ist schließlich beherrscht von einer sogenannten leitenden Kaste, welcher ihre bessere intellektuelle Bildung eine ungebührliche Vorrangstellung in der Führung aller Angelegenheiten sichert; es muss sich dieser Herrschaft entziehen, das ist die intellektuelle Emanzipation. Eine Einebnung der Verhältnisse unter diesen drei Gesichtspunkten wird die Gleichheit unter den Menschen herbeiführen, und diese Gleichheit ist die wahre menschliche Gerechtigkeit. Eine politische und soziale Ordnung, die auf dieser doppelten Basis der Freiheit und der Gleichheit ruht (an die sich bald noch die Brüderlichkeit anschließt): das ist es, was sie Demokratie nennen.
Jedoch bilden die Freiheit und die Gleichheit nur sozusagen die negative Seite. Was eigentlich und positiv die Demokratie ausmacht, das ist die größtmögliche Teilnahme eines jeden an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten. Und dies umfasst drei Elemente, ein politisches, ein wirtschaftliches und ein moralisches.
Falscher demokratischer Autoritätsbegriff
In der Politik zunächst will der Sillon die Autorität nicht abschaffen, er hält sie im Gegenteil für notwendig: aber er will sie aufteilen oder, besser gesagt, vervielfältigen, sodass jeder Bürger eine Art von König wird. Zwar sei es wahr, dass die Autorität von Gott ausgeht; aber sie wohnt ursprünglich im Volk und bewegt sich von hier aus weiter auf dem Wege der Wahl, oder, besser noch, der Auswahl: ohne sich aber deswegen vom Volke zu trennen und unabhängig von ihm zu werden; sie wird außerhalb (des Volkes) sein, jedoch nur dem Anschein nach; in Wirklichkeit wird sie innerhalb (des Volkes) sein, weil es eine (vom Volk) übereinstimmend genehmigte Autorität sein wird.
Dementsprechend gilt das Gleiche für die Wirtschaftsordnung. Das Unternehmertum wird dadurch, dass es einer einzigen Klasse weggenommen wird, so sehr vervielfältigt, dass jeder Arbeitnehmer eine Art von Unternehmer wird. Die Form, unter der dieses wirtschaftliche Ideal realisiert werden soll, sei nicht die des Sozialismus, wie man betont; es wird ein System von Genossenschaften geben, die zahlreich genug sind, um einen fruchtbaren Wettbewerb hervorzurufen, und um die Unabhängigkeit der Arbeiter zu wahren, die an keine von ihnen fest gebunden sein sollen.
Falscher Begriff von „Menschenwürde“ - „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“: Hauptgrundsatz des Sillon
Und nun zum wichtigsten Gebiet, dem sittlichen. Da die Autorität, wie wir gesehen haben, sehr herabgesetzt wird, muss es eine andere Kraft geben, um sie zu ersetzen, und um wider den Egoismus der Einzelmenschen eine dauernde Gegenwirkung aufzustellen. Dieses neue Prinzip, diese Kraft, wird die Liebe zum berufsständischen Interesse und zum öffentlichen Interesse sein, das heißt zum Ziel sowohl des Berufsstandes als auch der Gesellschaft.
Stellt Euch eine Gesellschaft vor, wo in der Seele jedes Einzelnen zusammen mit der angeborenen Liebe zum eigenen Wohl und zum Wohl der Familie noch die Liebe zum Wohl des Berufsstandes und zum öffentlichen Wohl herrschen würde; wo im Bewusstsein eines jeden die Liebe in der Weise geordnet ist, dass das höhere Wohl immer den Vorrang vor dem niedrigeren Wohl hat: könnte eine solche Gesellschaft nicht beinahe ohne Autorität auskommen, und stellte sie nicht das Ideal der Menschenwürde dar, da jeder Bürger die Seele eines Königs, jeder Arbeitnehmer die Seele eines Unternehmers hätte?
Der Enge seiner Privatinteressen entrissen und zu den Interessen seines Berufsstandes emporgehoben, und, noch höher hinauf, zu den Interessen der gesamten Nation, ja, noch höher, zu denen der ganzen Menschheit (denn der Horizont des Sillon endet nicht an den Grenzen des Vaterlandes, er erstreckt sich über alle Menschen hin bis ans Ende der Erde), wird das menschliche Herz, geweitet durch die Liebe zum allgemeinen Wohl, alle Genossen des Berufsstandes, alle Landsleute, alle Menschen umarmen. Und siehe da, so wird die Größe und ideale Würde des Menschen verwirklicht in der berühmten Dreiheit: Liberté, Égalité, Fraternité.
Die wirtschaftliche Demokratie als Trägerin der politischen Demokratie
Jene drei Bereiche, der politische, der wirtschaftliche und der sittliche, stehen zueinander im Verhältnis der Über- und Unterordnung; und es ist der sittliche Bereich, wie Wir sagten, welcher der wesentliche ist. In der Tat ist keine politische Demokratie lebensfähig, wenn sie nicht in der wirtschaftlichen Demokratie fest verankert ist. Keiner von ihnen kann bestehen, wenn sie nicht in einer Geisteshaltung wurzeln, bei der das Bewusstsein mit Verantwortlichkeit und sittlichen Energien ausgestattet ist. Aber setzt man eine solche Geisteshaltung voraus, die derart aus Verantwortlichkeit und sittlichen Kräften geformt ist, so ergibt sich die wirtschaftliche Demokratie auf ganz natürliche Weise, wenn man dieses Bewusstsein und diese Energien in Taten umsetzt; genau so und nach der gleichen Methode entsteht aus dem genossenschaftlichen System die politische Demokratie; und die politische und die wirtschaftliche Demokratie, wobei diese die andere trägt, werden auch im Bewusstsein des Volkes auf unerschütterlichen Grundlagen verwurzelt sein.
Das ist, kurz zusammengefasst, die Theorie, man könnte auch sagen der Traum des Sillon, darauf zielt seine Lehre und das, was er die Erziehung des Volkes zur Demokratie nennt: nämlich dass jedermann sein Höchstmaß an staatsbürgerlicher Verantwortung besitzt, woraus dann die wirtschaftliche und die politische Demokratie, sowie die Herrschaft der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit entstehen.
Völlige Verfälschung der sozialen Ordnung
Dieser kurze Überblick zeigt Euch, Ehrwürdige Brüder, schon klar, wie recht Wir mit der Behauptung hatten, dass der Sillon Doktrin gegen Doktrin setzt, dass er seinen Staat auf einer der katholischen Wahrheit widersprechenden Theorie aufbaut, und dass er die wesentlichen und grundlegenden Begriffe, welche die sozialen Bedingungen in jeder menschlichen Gesellschaft regeln, verfälscht. Dieser Widerspruch geht noch deutlicher aus den folgenden Überlegungen hervor.
Die staatliche Regierungsgewalt stammt nicht aus dem Volk und liegt nicht im Volk.
Der Sillon verlegt die öffentliche Autorität deren Ursprung nach in das Volk, von welchem sie in der Folge auf die Regierenden übergeht: jedoch in der Weise, dass sie dabei weiterhin im Volke verbleibt. Schon Leo XIII. hat diese Lehre in seiner Enzyklika Diuturnum illud über die höchste Würde im Bereich des Staates formell verurteilt, in der er sagte: Eine große Zahl moderner Menschen, die auf den Spuren jener wandeln, die sich selbst im vorigen Jahrhundert „Philosophen“ nannten, erklärten, dass alle Herrschergewalt vom Volk kommt; dass demzufolge diejenigen, welche die Regierung im Staat ausüben, dieselbe nicht als ihre eigene Machtvollkommenheit ausüben, sondern als eine ihnen vom Volke übertragene Herrschergewalt, und zwar mit dem Vorbehalt, dass sie durch den Willen des Volkes, von welchem sie dieselbe innehaben, widerrufen werden kann.
Ganz anders ist die Auffassung der Katholiken, welche das Recht des Befehlens von Gott als von dessen natürlichem und notwendigem Ursprung herleiten. Zweifellos lässt auch der Sillon die Autorität, die er zunächst in das Volk verlegt, von Gott herabsteigen: aber in der Weise, dass sie, um nach oben zu gelangen, von unten wieder hinaufsteigt; während in der Kirche die Vollmacht von oben ausgeht, um nach unten zu gelangen. Aber abgesehen davon, dass es abnorm ist, wenn die Übertragung emporsteigt, da es doch zu ihrem Wesen gehört, herabzusteigen, hat Leo XIII. diesen Versuch, die katholische Lehre mit dem Irrtum einer Scheinphilosophie zu versöhnen, von vornherein zurückgewiesen.
Denn er fährt fort: „Es ist wichtig, dies hier zu bemerken, dass diejenigen, welche die öffentlichen Angelegenheiten leiten, in gewissen Fällen durch den Willen und die Entscheidung der Mehrheit gewählt werden können, ohne dass die katholische Lehre dem widerspricht oder entgegensteht. Aber wenn diese Wahl auch den Regierenden bezeichnet, so überträgt sie ihm doch nicht die Machtvollkommenheit zu regieren: die Wahl überträgt ihm nicht die Vollmacht; sondern sie bezeichnet die Person, welche deren Träger sein soll.
Naturwidrigkeit der Volksherrschaft. Notwendigkeit von Autorität und untergeordnetem Gehorsam
Übrigens, wenn das Volk der Inhaber der Macht bleibt - was wird dann aus der Autorität? Ein Schatten, ein Mythos! Es gibt dann kein Gesetz im eigentlichen Sinne mehr, es gibt keinen Gehorsam mehr. Der Sillon hat das erkannt; denn tatsächlich fordert er im Namen der Menschenwürde die dreifache Emanzipation: die politische, wirtschaftliche und intellektuelle, und das zukünftige Gemeinwesen, auf das er hinarbeitet, hat weder Gebieter noch Diener. Die Bürger sind darin alle Freie, alle Genossen, alle Könige. Ein geordneter Befehl, eine Vorschrift wären ein Angriff auf die Freiheit; die Unterordnung unter irgendeine Überlegenheit wäre eine Herabsetzung des Menschen, der Gehorsam eine Entartung.
Zeigt Uns, Ehrwürdige Brüder, die überlieferte Lehre der Kirche die sozialen Beziehungen irgendeines Gemeinwesens, und sei es das allervollkommenst mögliche, in dieser Weise? Braucht nicht jede Gesellschaft, bestehend aus selbständigen und von Natur aus unbeständigen Wesen, eine Autorität, welche ihre Tätigkeiten auf das Gemeinwohl ausrichtet und die ihnen ihr Gesetz auferlegt? Und wenn es in der Gesellschaft Übeltäter gibt (und es wird sie dort immer geben) - muss dann die Autorität nicht umso stärker sein, je bedrohlicher der Egoismus der Bösen wird?
Weiteres: Kann man auch nur mit dem Schatten einer Begründung sagen, dass die Autorität und die Freiheit unvereinbar seien, außer man täuscht sich erheblich über den Begriff der Freiheit? Kann man lehren, Gehorsam widerspreche der Menschenwürde, und das Ideal sei, ihn durch die Autorität des Konsenses zu ersetzen? Hatte nicht der heilige Apostel Paulus die menschliche Gesellschaft in all ihren möglichen Entwicklungsstadien vor Augen, als er den Gläubigen vorschrieb, jeglicher Autorität unterworfen zu sein? Kann der Gehorsam gegenüber Menschen, soweit sie legitime Repräsentanten Gottes sind - denn das bedeutet letztlich den Gehorsam gegen Gott - erniedrigend für den Menschen und unter dessen Würde sein? Kann etwa der Ordensstand, der auf den Gehorsam gegründet ist, mit der Idealvorstellung vom Menschentum in Widerspruch stehen?
Waren etwa die Heiligen, die unter allen Menschen die gehorsamsten waren, Sklaven oder Entartete? Kann man sich schließlich etwa einen gesellschaftlichen Zustand vorstellen, in dem Jesus Christus, wenn Er auf die Erde zurückkäme, nicht mehr ein Beispiel des Gehorsams geben, und Er nicht mehr sagen würde: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist ?
Gerechtigkeit und revolutionäre Gleichheit sind unvereinbar
Der Sillon, der solche Lehren vertritt und in seinem Lebensbereich in die Praxis umsetzt, verbreitet demnach unter Eurer katholischen Jugend falsche und gefährliche Begriffe von Autorität, Freiheit und Gehorsam. Dasselbe gilt für Gerechtigkeit und Gleichheit. Der Sillon arbeitet, so sagt er, für ein Zeitalter der Gleichheit, das eben dadurch zugleich ein Zeitalter größerer Gerechtigkeit sein würde. Für ihn ist also jede Ungleichheit von Rang und Stand eine Ungerechtigkeit, oder zumindest eine geringere Gerechtigkeit! Ein Grundsatz, welcher der Natur der Dinge vollkommen widerspricht, Neid und Ungerechtigkeit erzeugt und jede soziale Ordnung umstürzt!
Allein die Demokratie werde also die Herrschaft der vollkommenen Gerechtigkeit einleiten - ist dies nicht eine Beleidigung für alle übrigen Regierungsformen, die man auf diese Weise auf den Rang von ohnmächtigen Notbehelf-Regierungen herabwürdigt? Im übrigen verstößt der Sillon auch in diesem Punkt gegen die Lehren Leo XIII. Man hätte in der bereits erwähnten Enzyklika über die höchste Würde im Bereich des Staatswesens lesen können, dass, wenn die Gerechtigkeit gewahrt bleibt, es den Völkern nicht weggenommen ist, sich jene Regierungsform zu geben, die ihrem Charakter oder ihren von den Vorfahren empfangenen Institutionen und Bräuchen am besten entspricht.
Die Enzyklika erwähnt hierbei die bekannten drei Regierungsformen (= Monarchie /Aristokratie / Demokratie - Anm. K. H.). Sie setzt also voraus, dass die Gerechtigkeit mit jeder von ihnen vereinbar ist. Und bejaht etwa die Enzyklika über die Lage der Arbeiter nicht ausdrücklich die Möglichkeit, die Gerechtigkeit in den gegenwärtigen Organisationsformen der Gesellschaft wiederherzustellen, da sie die Mittel dazu angibt? Zweifellos wollte aber Leo XIII. nicht von irgendeiner, sondern von der vollkommenen Gerechtigkeit sprechen. Wenn er also lehrte, dass die Gerechtigkeit mit den drei bekannten Regierungsformen vereinbar ist, so lehrte er damit, dass unter diesem Gesichtspunkt der Demokratie kein privilegierter Rang zukommt. Entweder weigern sich die Sillonisten, welche das Gegenteil behaupten, auf die Kirche zu hören, oder sie bilden sich eine Vorstellung von der Gerechtigkeit und von der Gleichheit, die nicht katholisch ist.
Echte „Brüderlichkeit“ ist nicht Toleranz gegenüber falschen Überzeugungen, sondern ist die Nächstenliebe in Jesus Christus.
Genauso steht es um den Begriff der Brüderlichkeit, die sie in der Liebe zu den gemeinsamen Interessen begründen oder, über alle Weltanschauungen und alle Religionen hinweg, einfach im Begriff der Humanität, wobei sie mit gleicher Liebe und gleicher Toleranz alle Menschen mit allen ihren Nöten umfassen, den geistigen und moralischen ebenso, wie den körperlichen und irdischen. Die katholische Lehre zeigt uns aber, dass die erste Pflicht der Nächstenliebe nicht in der Toleranz gegenüber irrigen Überzeugungen, so aufrichtig dieselben auch sein mögen, besteht; auch nicht in der theoretischen oder praktischen Indifferenz gegenüber dem Irrtum und dem Laster, wohin wir unsere Brüder gestürzt sehen: sondern sie besteht in dem Eifer, sie geistig und moralisch zu bessern, nicht weniger, als in der Sorge für ihr materielles Wohlergehen.
Die gleiche katholische Lehre zeigt uns auch, dass die Quelle der Nächstenliebe sich in der Liebe zu Gott befindet, dem gemeinsamen Vater und gemeinsamen Ziel der ganzen Menschheitsfamilie; und in der Liebe zu Jesus Christus, dessen Glieder wir in einer Weise sind, dass die Hilfe für einen Unglücklichen eine Jesus Christus selbst erwiesene Wohltat ist. Jede andere Liebe ist eine Illusion oder ein unfruchtbares, vergängliches Gefühl. Die menschliche Erfahrung beweist es wahrlich, dass in den heidnischen und laizistischen Gesellschaften aller Zeiten unter gewissen Umständen die Rücksicht auf die allgemeinen Interessen oder auf die gleiche Menschennatur sehr wenig Gewicht hat gegenüber den Leidenschaften und Begierden des Herzens.
Nein, Ehrwürdige Brüder, es gibt keine wahre Brüderlichkeit außerhalb der christlichen Liebe, die aus Liebe zu Gott und Seinem Sohn Jesus Christus, unserem Erlöser, alle Menschen umfasst: um allen beizustehen und alle zum selben Glauben und zum selben Glück des Himmels zu führen. Wenn die Demokratie die Brüderlichkeit von der derart verstandenen christlichen Liebe trennt, so bedeutet sie keinen Fortschritt, sondern schafft einen unheilvollen Rückgang der Zivilisation. Denn wenn man, wie Wir es aus ganzer Seele wünschen, zum größtmöglichen Wohlergehen der Gesellschaft und jedes einzelnen ihrer Glieder durch die Brüderlichkeit oder, wie man auch sagt, durch eine allgemeine Solidarität gelangen will, dann bedarf es der Einheit der Geister in der Wahrheit, der Einheit der Willensrichtungen in der Moral, der Einheit der Herzen in der Liebe zu Gott und zu Seinem Sohn, Jesus Christus. - Jedoch: diese Einheit ist nur zu verwirklichen durch die katholische Liebe, welche demzufolge allein die Völker im Gang des Fortschritts zum Ideal der Zivilisation führen kann.
Aufgeklärte Bewusstseinsbildung zur vollen stolzen Eigenverantwortlichkeit: ein völlig falscher begriff von „Menschenwürde“.
Die Grundlage aller Verfälschungen der fundamentalen sozialen Begriffe bildet der falsche Begriff, welchen der Sillon von der Menschenwürde hat. Nach ihr ist der Mensch nur wahrhaft Mensch und dieses Namens würdig, wenn er ein aufgeklärtes, starkes, unabhängiges, autonomes Selbstbewusstsein erlangt hat, das keinen Herrn mehr braucht, das nur sich selber gehorcht und fähig ist, die ernstesten Verantwortlichkeiten ohne die Gefahr des pflichtwidrigen Handelns zu übernehmen und zu tragen. Das sind wahrhaft große Worte, mit denen man das Gefühl der Überheblichkeit im Menschen erregt: sie sind wie ein Traum, der den Menschen ohne Licht, ohne Führung, ohne Hilfe auf den Weg der Illusion lenkt, wo er, in Erwartung des großen Tages des vollen Selbstbewusstseins, vom Irrtum und von den Leidenschaften verschlungen wird.
Und dieser große Tag - wann kommt er? Wird er, ohne dass man die Natur des Menschen verändert, was auch der Sillon nicht kann, jemals kommen? Hatten die Heiligen, welche die Menschenwürde zu ihrer höchsten Vollendung gebracht haben, eben jene Würde? Und die Demütigen dieser Erde, welche nicht so hoch steigen können und die sich damit zufrieden geben, in Bescheidenheit ihre Furche! zu ziehen an dem Platz, den die Vorsehung ihnen zugewiesen hat; die tapfer ihre Pflichten erfüllen in Demut, Gehorsam und christlicher Geduld - sind sie etwa nicht des Namens Mensch würdig: sie, die der Herr dereinst aus ihrem unscheinbaren Zustand herausnehmen, wird, um sie im Himmel zwischen die Fürsten Seines Volkes zu stellen?
2. - Päpstliche Stellungnahme zur Praxis des Sillon
Wir unterbrechen hier Unsere Überlegungen über die Irrtümer des Sillon. Wir behaupten nicht, das Thema erschöpfend behandelt zu haben, denn Wir müssten Eure Aufmerksamkeit noch auf weitere Punkte lenken, die ebenso falsch und gefährlich sind: so zum Beispiel seine Art, den Begriff von der Strafgewalt der Kirche zu verstehen. - Nunmehr geht es darum, den Einfluss dieser Irrtümer auf das praktische Verhalten des Sillon und seine soziale Aktivität zu betrachten.
Unbedingtestes Genossentum ohne Autorität
Die Lehren des Sillon verbleiben nicht im Bereich der philosophischen Abstraktion. Sie werden der katholischen Jugend beigebracht, und, mehr noch, man versucht auch, sie zu leben. Der Sillon betrachtet sich als den Kern des Gemeinwesens der Zukunft: er spiegelt dieses also so getreu wie möglich wieder. In der Tat, im Sillon gibt es keine Hierarchie. Seine Führungselite entwickelt sich durch Auslese aus der Gesamtheit heraus, das heißt: sie setzt sich durch aufgrund ihrer moralischen Autorität und ihrer Tugenden. Man tritt frei dort ein, wie man auch frei wieder austreten kann. Studiert wird ohne Lehrer, höchstens mit einem Berater. Die Studienzirkel sind in Wirklichkeit intellektuelle Genossenschaften, in denen jedermann zugleich Lehrer und Schüler ist. Unter den Mitgliedern herrscht unbedingtestes Genossentum: dieses schafft eine totale seelische Verbundenheit; so entsteht die Gemeinschaftsseele des Sillon. Man definiert sie als eine Freundschaft. Der Priester als solcher erniedrigt, wenn er dort eintritt, seine erhabene priesterliche Würde; durch einen höchst befremdlichen Rollentausch macht er sich zum Schüler, stellt er sich auf das Niveau seiner jungen Freunde und ist nicht mehr als ein Genosse.
Demokratische Verirrungen als Grund ihres mangelnden kirchlichen Gehorsams: Ein Hauch der französischen Revolution
In diesen demokratischen Gewohnheiten und den Theorien vom idealen Gemeinwesen, die dem zugrunde liegen, erkennt Ihr, Ehrwürdige Brüder, die geheimen Gründe für den Mangel an Disziplin, den Ihr schon so oft dem Sillon vorwerfen musstet. Es ist nicht zu verwundern, dass Ihr bei den Anführern und bei ihren Genossen, die auf eine solche Weise herangebildet wurden, seien sie nun Seminaristen oder Priester, nicht jenen Respekt, jene Folgsamkeit und jenen Gehorsam findet, die Eurer Person und Eurer Autorität geschuldet sind; dass Ihr auf ihrer Seite einen dumpfen Widerstand verspürt, und Ihr es mit Bedauern feststellen müsst, dass sie sich allem, was nicht Werke der Sillon-Bewegung betrifft, vollständig entziehen, oder sie sich, wenn der Gehorsam sie dazu zwingt, nur mit Widerwillen damit befassen.
Ihr seid (für sie) die Vergangenheit - sie sind die Pioniere der Zivilisation der Zukunft. Ihr repräsentiert die Hierarchie, die sozialen Ungleichheiten, die Autorität und den Gehorsam: veraltete Einrichtungen, denen ihre Seelen, die von einem anderen Ideal erfüllt sind, sich nicht mehr beugen können. Wir haben für diese Geisteshaltung Beweise aus schmerzlichen Erfahrungen, die zu Tränen nötigen können. Und Wir können trotz Unserer Langmut ein berechtigtes Gefühl der Entrüstung nicht unterdrücken.
Wie denn auch! Man flößt Eurer katholischen Jugend das Misstrauen gegen die Kirche, ihre Mutter, ein; man lehrt sie, dass sie es in neunzehn Jahrhunderten nicht fertiggebracht hat, die Gesellschaft in dieser Welt auf deren wahre Grundlagen zu stellen; dass sie die sozialen Begriffe von Autorität, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschenwürde nicht begriffen hat; dass die großen Bischöfe und die großen Monarchen, welche Frankreich geschaffen und so ruhmreich regiert haben, es nicht verstanden haben, ihrem Volk die wahre Gerechtigkeit und das wahre Glück zu geben, weil sie nicht das Ideal des Sillon hatten. Der Hauch der (Französischen) Revolution ist über all dies hingezogen, und Wir können daraus schließen, dass die sozialen Lehren des Sillon falsch sind; sein Geist ist gefährlich und seine Erziehung unheilvoll.
Falsche, schädliche Verknüpfung zwischen Katholizismus und demokratischer Staatsform: eine solche ist auch ein Glaubensirrtum.
Was sollen Wir dann aber von ihrer Aktivität innerhalb der Kirche halten, wenn ihr Katholizismus so spitzfindig ist, dass jeder, der sich nicht zu ihrer Sache bekennt, schon wegen etwas Geringfügigem in ihren Augen ein innerer Feind des Katholizismus ist, der weder vom Evangelium noch von Jesus Christus etwas verstanden hat? Wir halten es für gut, dieses Problem zu betonen, denn gerade sein katholischer Eifer war es, der dem Sillon bis in die jüngste Zeit hinein wertvolle Ermutigungen und Beifall auch von höchster Stelle eingetragen hat. Jedoch angesichts der Worte und der Tatsachen sind Wir verpflichtet zu sagen, dass die Aktivität des Sillon ebenso wenig wie sein Lehrsystem von der Kirche gutgeheißen werden kann.
Zum ersten ist der Katholizismus des Sillon nur mit der demokratischen Regierungsform vereinbar, von der er meint, sie sei günstiger für die Kirche und stimme mit ihr überein; er verschreibt somit seine Religion völlig einer politischen Partei. Wir brauchen nicht zu beweisen, dass die Heraufkunft der allgemeinen Demokratie keine Bedeutung für das Wirken der Kirche in dieser Welt hat; Wir haben bereits daran erinnert, dass die Kirche es immer den Nationen selbst überlassen hat, sich die Regierungsform zu geben, welche sie für ihre Interessen als die günstigste halten. Wir wollen nur noch einmal, wie Unser Vorgänger, bekräftigen, dass es ein Irrtum und eine Gefahr ist, den Katholizismus grundsätzlich völlig einer Regierungsform zu verschreiben: ein Irrtum und eine Gefahr, die umso größer sind, wenn man die Religion mit einer Art von Demokratie verbindet, deren Lehren falsch sind. Dies ist aber der Fall beim Sillon, welcher tatsächlich aufgrund seiner speziellen politischen Ausformung zum Schaden der Kirche die Katholiken spaltet, die Jugend und sogar die Priester und Seminaristen einer echten katholischen Aktivität entreißt und die lebendigen Kräfte eines Teils der Nation zum reinen Schaden vergeudet.
Religion: letztlich für den Sillonisten eine „Privatsache“
Ihr seht da, Ehrwürdige Brüder, einen erstaunlichen Widerspruch. Gerade unter Berufung auf den Grundsatz, dass die Religion alle Parteien beherrschen muss, weigert sich der Sillon, die Kirche gegen Angriffe zu verteidigen. Gewiss ist es nicht die Kirche, die in die politische Arena hinabgestiegen ist: man hat sie dorthin hinabgerissen, um sie zu verstümmeln und sie zu berauben. Wäre es nicht die Pflicht eines jeden Katholiken, die politischen Waffen, die er in Händen hält, zu gebrauchen, um sie zu verteidigen, und um die Politik zu zwingen, in ihrem Bereich zu bleiben, und sich um die Kirche nur zu dem Zweck zu kümmern, um ihr das, was ihr zusteht, zurückzugeben? Dagegen muss man mit Schmerzen feststellen, dass die Sillonisten angesichts der so bedrängten Kirche die Arme kreuzen und höchstens eingreifen, wenn es zugleich auch zu ihren eigenen Gunsten ist. Man sieht, wie sie ein Programm aufstellen und unterstützen, das sich nirgendwo und auf keiner Stufe als ein katholisches offenbart. Das hindert die gleichen Männer nicht, im offenen politischen Kampf, angesichts einer Provokation, ihren Glauben hervorzukehren. Was bedeutet das anders, als dass in einem Sillonisten zwei Menschen leben: das Individuum, welches katholisch ist, und der Sillonist, der Mann der Tat, welcher neutral ist.
Grundlegender Richtungswandel im neueren „Größeren Sillon“. Gesellschaffsreform in falscher Aktionseinheit mit jedem Irrtum
Es hat eine Zeit gegeben, da der Sillon als solcher formell katholisch war. Er kannte nur eine moralische Kraft: die katholische Kraft; und er proklamierte, dass die Demokratie katholisch sein oder gar nicht sein würde. Dann kam ein Zeitpunkt, zu dem er anderen Sinnes wurde. Er ließ jedem seine Religion oder seine Weltanschauung. Er hörte auf, sich katholisch zu nennen, und die Formel Die Demokratie wird katholisch sein ersetzte er durch die andere: Die Demokratie wird nicht antikatholisch sein, ebenso wenig übrigens wie etwa anti-jüdisch oder anti-buddhistisch.
Das war die Zeit des „größeren Sillon“. Man berief alle Arbeiter aller Religionen und aller Sekten zum Aufbau des Staates der Zukunft. Man verlangte von ihnen nur, das gleiche soziale Ideal anzunehmen, alle Überzeugungen zu respektieren und ein gewisses Minimum an moralischen Kräften beizusteuern. Gewiss, so proklamierte man, die Anführer des Sillon stellen ihren religiösen Glauben über alles. Aber können sie denn den anderen das Recht wegnehmen, ihre moralische Kraft dort zu schöpfen, wo diese es können?
Dagegen erwarten sie es von den anderen, dass diese ihr Recht respektieren, sie aus dem katholischen Glauben zu schöpfen. Sie verlangen daher von allen, die die gegenwärtige Gesellschaft im Sinne der Demokratie verändern wollen, sich nicht aufgrund von sie möglicherweise trennenden weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen gegenseitig zurückzustoßen, sondern Hand in Hand zu marschieren: und zwar nicht im Verzicht auf ihre Überzeugungen; sondern im Versuch, im Bereich der praktischen realen Wirklichkeiten die Überlegenheit ihrer persönlichen Überzeugungen zu beweisen. Vielleicht könnte sich in diesem Bereich die Einheit zwischen Seelen verwirklichen, die an unterschiedliche religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen gebunden sind. Und man erklärte zugleich (wie sollte dies aber möglich sein?), dass der „kleine katholische Sillon“ die Seele des „großen gemischten Sillon“ sein würde.
Großer gemischter Sillon = Neuer Sillon: freisinnige Ausweitung des „kleinen katholischen Sillon“
Vor kurzem ist der Name des „größeren Sillon“ wieder verschwunden, und eine neue Organisation ist dazwischengetreten, ohne den Geist und die Grundlage der Sache zu ändern, im Gegenteil, um Ordnung in die Arbeit zu bringen und die verschiedenen aktiven Kräfte zu organisieren. Der Sillon bleibt immer eine Seele, ein Geist, der die Gruppen durchdringen und ihre Tätigkeit beseelen wird. Und alle die neuen Gruppen, die anscheinend selbständig geworden sind: die katholischen, die protestantischen, die freidenkerischen, werden eingeladen, sich ans Werk zu begeben. Die katholischen Genossen arbeiten unter ihnen in einer gesonderten Organisation für ihre (eigene) Ausbildung und Erziehung. Die protestantischen Demokraten und die Freidenker tun das Gleiche auf ihrer Seite. Alle: die Katholiken, die Protestanten und die Freidenker, bemühen sich, die Jugend wehrhaft zu machen: nicht für einen brudermörderischen Kampf, sondern für einen großmütigen Wettstreit im Bereich der sozialen und staatsbürgerlichen Tugenden.
Eine katholische religiöse Vereinigung ohne die wahre Religion auf der Basis voller Religionsfreiheit?!
Diese Erklärungen und diese neue Gestaltung der sillonistischen Aktivität verlangen sehr schwerwiegende Überlegungen.
Es handelt sich um eine von Katholiken gegründete interkonfessionelle Vereinigung zur Arbeit an der Reform der Zivilisation: einem in höchstem Grade religiösen Werk. Denn es gibt keine wahre Zivilisation ohne moralische Zivilisation, und keine wahre moralische Zivilisation ohne die wahre Religion: das ist eine bewiesene Wahrheit, das ist eine historische Tatsache. Und die neuen Sillonisten können nicht vorgeben, sie arbeiteten ja nur im Bereich der praktischen realen Wirklichkeiten, wo die Verschiedenheit der Überzeugungen keine Rolle spiele. Ihr Anführer spürt selbst so genau diesen Einfluss der geistigen Überzeugungen auf das Ergebnis der Aktivität, dass er sie auffordert, welcher Religion sie auch immer angehören mögen, im Bereich der praktischen realen Wirklichkeiten die Überlegenheit ihrer persönlichen Überzeugungen zu beweisen. Und mit Recht: denn die Verwirklichungen in der Praxis nehmen die Gestalt der religiösen Überzeugungen an: so wie die Gliedmaßen eines Leibes bis in ihre äußersten Enden ihre Gestalt durch das Lebensprinzip empfangen, das sie beseelt.
Gleichberechtigung aller Religionen und Weltanschauungen im „Neuen Sillon“ - und die Folgen davon.
Was muss man nach dem hier Gesagten von dem bunten Durcheinander denken, zu dem die jungen Katholiken mit Irrgläubigen und Ungläubigen aller Art in einem derartigen Werk verpflichtet sind? Ist es nicht für sie tausendfach gefährlicher als eine neutrale Vereinigung? Was soll man denken von diesem Appell an alle Irrgläubigen und an alle Ungläubigen, die Überlegenheit ihrer Überzeugungen auf dem sozialen Gebiet zu beweisen, in einer Art von apologetischem Wettbewerb: so als ob dieser Wettbewerb nicht bereits seit neunzehn Jahrhunderten im Gange wäre, und zwar unter für den Glauben der Gläubigen weniger gefährlichen Umständen, und ganz zur Ehre der katholischen Kirche? Was soll man denken von dieser Ehrfurcht gegenüber allen Irrtümern und von der befremdlichen Aufforderung, die ein Katholik an alle Dissidenten gerichtet hat, ihre Überzeugungen durch Studien zu festigen und daraus immer reichere Quellen von neuen Kräften entstehen zu lassen?
Was soll man denken von einer Vereinigung, in der alle Religionen und selbst die Freidenkerei ermuntert werden, sich öffentlich zu äußern und hervorzutun? Denn die Sillonisten, die in öffentlichen Versammlungen und anderswo stolz ihren persönlichen Glauben bekennen, sie beabsichtigen in keiner Weise, andere mundtot zu machen und den Protestanten zu hindern, seinen Protestantismus zu bekennen, oder den Skeptiker seinen Skeptizismus. Was soll man schließlich denken von einem Katholiken, der beim Eintritt in einen Studienzirkel seinen Katholizismus an der Tür lässt, um seine Genossen nicht zu erschrecken, die von einer uneigennützigen sozialen Aktivität träumen und abgeneigt sind, die selbe in den Dienst des Triumphes von Interessen, Cliquen, oder selbst von Überzeugungen irgendwelcher Art zu stellen?
Dies ist das Glaubensbekenntnis des neuen demokratischen Komitees der sozialen Aktivität, auf welches ein Großteil der Aufgaben der früheren Organisation übergegangen ist; und welches, indem es - wie es sagt - die Mehrdeutigkeit zerbrechen will, die sowohl von reaktionären als auch von antiklerikalen Kreisen bezüglich des „größeren Sillon“ aufrechterhalten wird, offen ist für alle Menschen, welche die moralischen und religiösen Kräfte achten und überzeugt sind, dass jede echte soziale Emanzipation ohne das Ferment eines „großmütigen Idealismus“ unmöglich ist.
Zusammenfassend ergibt sich: der Sillon ist nicht mehr katholisch.
Ach ja, leider! Die Mehrdeutigkeit ist zerbrochen! Die soziale Aktivität des Sillon ist nicht mehr katholisch. Der Sillonist als solcher arbeitet nicht für eine Clique, und die Kirche, er sagt es, wird in keinem Fall Nutznießer der Sympathie sein, die er künftig durch seine Aktivität hervorzubringen vermag. Wirklich eine befremdende Unterstellung! Man fürchtet, die Kirche könnte von der sozialen Aktivität des Sillon zu egoistischen und gewinnsüchtigen Zwecken Nutzen ziehen: so als ob nicht alles, woraus die Kirche Nutzen zieht, nicht auch zum Nutzen der Menschheit wäre! Eine befremdende Verkehrtheit der Ideen! Die Kirche sei Nutznießer der sozialen Aktivität- so als ob nicht die größten Sozialwissenschaftler anerkannt und bewiesen hätten, dass (umgekehrt) die soziale Aktivität es ist, welche, um seriös und fruchtbar zu sein, Nutznießerin der Kirche sein muss.
Völlige Verkehrtheit der Gesinnung vorgeblicher „Katholiken“ gegenüber der heiligen Mutter Kirche, ihrer Lehre und Geschichte. Der Sillon als wegbereiter des Sozialismus
Aber noch mehr befremdend, erschreckend und betrübend zugleich, sind die Verwegenheit und die geistige Leichtfertigkeit von Männern, die sich Katholiken nennen, und die davon träumen, unter derartigen Bedingungen die Gesellschaft umzugestalten, und auf Erden, über die katholische Kirche hinweg, das Reich der Gerechtigkeit und der Liebe zu errichten: mit von allen Richtungen her gekommenen Arbeitern aus allen Religionen oder ohne Religion, mit oder ohne Glaubensüberzeugungen; vorausgesetzt nur, dass sie das vergessen, was sie trennt: ihre religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen; und dass sie das einsetzen, was sie eint: einen großmütigen Idealismus, sowie moralische Kräfte, von dort her genommen, wo sie können.
Wenn man die Kräfte, Erkenntnisse und übernatürlichen Tugenden bedenkt, welche nötig waren, um den christlichen Staat einzurichten, an die Leiden von Millionen Märtyrern, an die Erleuchtungen der Kirchenväter und Kirchenlehrer, an die Opferbereitschaft der Heroen der Nächstenliebe, an die machtvolle, vom Himmel gestiftete Hierarchie, an die Ströme göttlicher Gnade; und daran, wie dies alles auferbaut, zusammengehalten und durchdrungen ist vom Leben und Geist Jesu Christi, der Weisheit Gottes, dem Menschgewordenen Wort: wie gesagt, wenn man all das bedenkt, so ist man entsetzt, wenn man sieht, wie neue Apostel darauf erpicht sind, all das noch besser zu machen: unter Einsatz eines verschwommenen Idealismus und von Staatsbürgertugenden.
Was werden sie zustandebringen? Was wird aus einer solchen Zusammenarbeit hervorgehen? Eine reines Wortgebilde, ein Hirngespinst, in dem mischmaschartig in einer faszinierenden Verwirrung die Worte von Freiheit, von Gerechtigkeit, von Brüderlichkeit und von Liebe, von Gleichheit und von Erhöhung des Menschen aufleuchten, und das alles auf dem Grund einer falsch verstandenen Menschenwürde. Es wird eine tobende Agitation geben, wirkungslos für das gesetzte Ziel, die nur den weniger utopistischen Massenaufwieglern nutzbringend sein wird. Ja, man kann wirklich sagen, dass der Sillon, den Blick auf ein Wahngebilde geheftet, den Sozialismus herbeiführt.
Sillonismus: Teil des weltweiten Abfalls vom katholischen Glauben. Eine neue „Universelle Kirche“ unter dem Vorwand der „Menschenrechte“ ist auf dem Wege.
Wir fürchten, dass es noch schlimmer kommt. Das Endergebnis dieses bunten Durcheinanders in der Arbeitsweise, der Nutznießer dieser gemischten sozialen Aktivität kann nur eine Demokratie sein, die weder katholisch, noch protestantisch, noch jüdisch sein wird; eine Religion (denn der Sillonismus ist, seine Anführer haben es gesagt, eine Religion), die universaler ist als die katholische Kirche, welche alle Menschen, die endlich Brüder und Genossen geworden sind, im „Reich Gottes“ vereinigt. - Man arbeitet nicht für die Kirche, man arbeitet für die Menschheit.
Durchdrungen von tiefster Traurigkeit fragen Wir Uns nun, Ehrwürdige Brüder, was aus dem Katholizismus des Sillon geworden ist. Ach! Der klare und mächtige Strom, der früher zu so schönen Hoffnungen Anlass gab, wurde in seinem Lauf abgefangen von den modernen Feinden der Kirche, und er bildet künftig nur noch einen trüben Nebenfluss der großen Strömung der Apostasie, welche in allen Ländern durch die Errichtung einer universellen Kirche organisiert wird, die weder Dogmen noch Hierarchie, weder Regeln für den Geist noch Schranken für die Leidenschaften hat, und die unter dem Vorwand von Freiheit und Menschenwürde überall in der Welt, wenn sie triumphieren könnte, auf die Herrschaft der List und der Gewalt durch die Gesetze und auf die Unterdrückung der Schwachen, derer, die leiden und arbeiten, hinauslaufen würde.
Überspannte Verfälschung des Evangeliums durch den Sillon im Geiste des Illuminatentums und des Mystizismus. Bewusster Einfluss der französischen Revolution
Wir kennen nur zugut die düsteren Werkstätten, in denen diese tödlichen Lehren ausgearbeitet werden, von denen klarsichtige Geister sich nicht verführen lassen sollten. Die Anführer des Sillon haben sich nicht davor schützen können: die Überspanntheit ihrer Gefühle, die blinde Güte ihres Herzens, ihr mit Elementen des Illuminatentums vermischter weltanschaulicher Mystizismus haben sie zu einem neuen Evangelium hingezogen, in welchem sie das wahre Evangelium des Erlösers zu erkennen meinten, so dass sie es sogar wagten, unseren Herrn Jesus Christus mit einer aufs höchste ehrfurchtslosen Vertraulichkeit zu behandeln; und dass sie, da ihr Ideal dem der (Französischen) Revolution nah verwandt ist, nicht davor zurückschreckten, gotteslästerliche Vergleiche zwischen dem Evangelium und der (Französischen) Revolution zu ziehen, welche nicht damit entschuldigt werden können, sie seien ihnen nur aus irgendeiner wilden Unbedachtheit heraus entschlüpft.
Die Herabwürdigung der Person Jesu Christi - das wahre Bild unseres Herrn und Heilandes. Lehre und Leitung durch Petrus und dessen Nachfolger.
Wir wollen Eure Aufmerksamkeit, Ehrwürdige Brüder, auf diese Entstellung des Evangeliums und der Heiligkeit unseres Herrn Jesus Christus, des Gottmenschen, lenken, wie sie im Sillon und anderswo üblich ist. Sobald man die soziale Frage anschneidet, ist es in gewissen Kreisen Mode, zunächst die Gottheit Jesu Christi beiseite zu stellen, um dann nur von seiner überaus großen Sanftmut zu sprechen, seinem Mitleid mit jeglichem menschlichen Elend, seinen eindringlichen Ermahnungen zur Nächstenliebe und Brüderlichkeit.
Gewiss, Jesus hat uns mit unermesslicher, grenzenloser Liebe geliebt, und Er ist in die Welt gekommen, um zu leiden und zu sterben, damit alle Menschen, um Ihn herum versammelt, in Gerechtigkeit und Liebe und erfüllt von den gleichen Empfindungen gegenseitiger Achtung, in Frieden und Glück leben. Aber an die Verwirklichung dieses zeitlichen und ewigen Glückes hat Er mit höchster Autorität die Bedingung geknüpft, dass man Teil Seiner Herde werde, dass man Seine Lehre annehme, dass man die Tugend übe, und dass man sich belehren und leiten lasse durch Petrus und dessen Nachfolger. Und wenn Jesus auch gut gewesen ist zu den Verirrten und den Sündern, so hat Er doch niemals deren falsche Überzeugungen respektiert, so aufrichtig diese auch scheinen mochten: Er hat sie alle geliebt, um sie zu belehren, zu bekehren und zu retten.
Wenn Er die Mühseligen und Beladenen zu Sich gerufen hat, um sie zu erquicken, so geschah dies nicht deshalb, um ihnen den Neid einer verstiegenen Gleichheit zu predigen. Wenn Er die Niedrigen erhöht hat, so nicht, um ihnen das Gefühl einer unabhängigen und mit dem Gehorsam unvereinbaren Würde einzuflößen. Wenn Sein Herz überströmte von Milde für die Seelen guten Willens, so konnte Ihn doch ebenso ein heiliger Zorn erfassen gegen die Entweiher des Hauses Gottes; gegen die Erbärmlichen, die den Kleinen Ärgernisse bereiten; gegen die Autoritäten, die das Volk mit schweren Lasten überhäufen und keinen Finger rühren, um sie zu erleichtern.
Er war ebenso kraftvoll wie sanft; Er hat gescholten, gedroht und gestraft; Er wusste und hat es uns gelehrt, dass die Furcht oft der Anfang der Weisheit ist; und dass es manchmal nötig ist, ein Glied abzuschneiden, um den Leib zu retten. Schließlich hat Er für die zukünftige Gesellschaft nicht die Herrschaft eines glücklichen Gedeihens angekündigt, aus der das Leiden verbannt sein würde. Aber durch Seine Lehre und Sein Beispiel hat Er uns den Weg eines möglichsten Glückes auf Erden und der vollkommenen Glückseligkeit im Himmel gewiesen: den königlichen Weg des Kreuzes. Dies sind Lehren, die man zu Unrecht ausschließlich auf das Leben des Einzelmenschen im Hinblick auf das ewige Heil anwenden würde: es sind in höchstem Maße soziale Lehren, und sie zeigen uns in unserem Herrn Jesus Christus etwas ganz anderes als eine Humanitätsduselei ohne Festigkeit und ohne Autorität.
3. - Abschließende seelsorgliche Richtlinien des Papstes an die Bischöfe.
Was Euch betrifft, Ehrwürdige Brüder, so führet das Werk des Erlösers der Menschen aktiv fort, indem Ihr Seine Milde und Seine Festigkeit nachahmt. Wendet Euch jedem Elend zu, sodass kein Leiden Eurer Hirtensorge entgeht, keine Klage Euch teilnahmslos lässt. Aber predigt auch den Großen wie den Kleinen mutig ihre Pflichten: es ist Eure Aufgabe, das Gewissen des Volkes ebenso wie das der Träger der öffentlichen Gewalten zu bilden. Die soziale Frage wird sehr bald gelöst sein, wenn die einen wie die anderen weniger anspruchsvoll in bezug auf ihre gegenseitigen Rechte wären und genauer ihre Pflichten erfüllen würden.
Weil darüber hinaus im Konflikt der Interessen, und vor allem im Kampf gegen die unredlichen Kräfte, die Tugend eines Menschen und selbst seine Heiligkeit nicht immer ausreicht, um ihm das tägliche Brot zu sichern; und da das soziale Räderwerk derart eingerichtet sein sollte, dass es durch seinen natürlichen Ablauf die Anstrengungen der Bösartigen lahm legt und jedem Menschen guten Willens seinen gerechten Anteil am irdischen glücklichen Gedeihen erreichbar macht: so wünschen Wir sehr, dass Ihr zu diesem Zweck aktiv Anteil an der Gestaltung der Gesellschaft nehmt.
Auf dieses Ziel hin solltet Ihr, während sich Eure Priester mit Eifer der Arbeit für die Heiligung der Seelen, für die Verteidigung der Kirche und für die eigentlichen Wohlfahrtseinrichtungen widmen, einige von denselben auswählen, die aktiv und ausgeglichen sind, den Doktorgrad in Philosophie und Theologie sowie genaue Kenntnisse der Geschichte der antiken und der modernen Zivilisation besitzen; und Ihr solltet diese eine weniger gehobene als praktische Ausbildung in der Sozialwissenschaft durchmachen lassen, um sie zu gegebener Zeit an die Spitze Eurer Einrichtungen der Katholischen Aktion zu stellen.
Jedoch sollten sich diese Priester im Wirrwarr der zeitgenossischen Ideen nicht durch den Wahn einer falschen Demokratie verleiten lassen; sie sollten keine Anleihe bei der Redekunst der schlimmsten Feinde der Kirche und des Volkes machen, indem sie in überschwänglichen Worten Versprechungen geben, die ebenso wohltönend wie unerfüllbar sind. Sie mögen überzeugt sein, dass die soziale Frage und die Sozialwissenschaft nicht erst gestern entstanden sind; dass zu allen Zeiten die Kirche und der Staat sich erfolgreich verständigt haben, um zu diesem Zweck wirksame Einrichtungen zu schaffen; dass die Kirche, die niemals das Glück des Volkes durch kompromittierende Allianzen verraten hat, sich nicht von der Vergangenheit lossagen musste, und dass die Kirche hinlänglich dazu imstande ist, mit Hilfe der wahren Triebkräfte der sozialen Wiederherstellung die durch die (Französische) Revolution vernichteten Organisationen emporzuheben, und dieselben im gleichen christlichen Geist, der sie (früher) erfüllt hat, an das neue Milieu anzupassen, welches durch die materielle Entwicklung der zeitgenössischen Gesellschaft entstanden ist. Denn die wahren Freunde des Volkes sind weder Revolutionäre noch Neuerer, sondern Traditionsgetreue.
Der Papst über die Zukunft der Sillon-Bewegung
Dieses Werk ist in höchstem Maße Eurer Hirtensorge würdig. Wir wünschen sehnlich, dass die Jugend des „Sillon“ nicht bloß dabei kein Hindernis bereitet, sondern dass sie sich vielmehr von ihren Irrtümern befreit und es in der gebührenden Ordnung und Unterordnung loyal und wirksam unterstützt.
An die Anführer des Sillon.
Wir wenden Uns daher an die Anführer des „Sillon“ mit dem Vertrauen eines Vaters, der zu seinen Kindern spricht, und bitten sie, zu ihrem eigenen Wohl, zum Wohl der Kirche and Frankreichs, Euch ihren Platz zu überlassen. Wir können gewiss die Größe des Opfers ermessen, das Wir von ihnen fordern: aber Wir wissen, dass sie großmütig genug sind, um es zu bringen, und Wir segnen sie dafür im voraus im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dessen unwürdiger Stellvertreter Wir sind.
An alle Mitglieder des Sillon: Lossagen von den Irrtümern - daher geänderter Name für ihre Bewegung
Was die Mitglieder des Sillon betrifft, so wünschen Wir, dass sie sich nach Diözesen organisieren, um unter der Leitung ihrer zuständigen Bischöfe an der christlichen und katholischen Wiedergeburt des Volkes und zugleich an der Verbesserung von dessen Lebensbedingungen zu arbeiten. Diese Diözesangruppen sollen, für den Augenblick, untereinander unabhängig sein; und um zu beweisen, dass sie sich eindeutig von den Irrtümern der Vergangenheit losgesagt haben, sollen sie den Namen „Katholische Sillon-Bewegung“ annehmen, und jedes ihrer Mitglieder soll zu seinem Titel „Sillonist“ den Zusatz „katholisch“ hinzufügen. Es ist selbstverständlich, dass jeder katholische Sillonist frei bleibt, im übrigen seine politischen Anschauungen beizubehalten, soweit sie von allem gereinigt sind, was mit der Lehre der Kirche auf diesem Gebiet nicht übereinstimmt.
Bestimmung über die hartnäckig Irrenden aus dem Sillon
Wenn aber, Ehrwürdige Brüder, irgendwelche Gruppen sich weigern, sich diesen Bedingungen zu unterwerfen, so sollt Ihr sie betrachten, als widersetzten sie sich durch die Tat der Unterordnung unter Eure Leitung. Es wäre dann zu untersuchen, ob sie sich ausschließlich auf den Bereich der Politik oder der reinen Wirtschaft beschränken, oder ob sie in ihren alten Irrtümern verharren. Im ersteren Falle ist es klar, dass Ihr Euch um sie nicht mehr als um jeden anderen Gläubigen kümmern müsst.
Im zweiten Falle müsst Ihr mit Klugheit, aber auch mit Festigkeit die notwendigen Konsequenzen ziehen. Die Priester sollen sich gänzlich von den dissidenten Gruppen fernhalten und sich darauf beschränken, deren Mitgliedern nur persönlich durch die heilige priesterliche Betreuung zu helfen; sie sollen ihnen aber im Bußgericht (Beichte) die allgemeinen Regeln der Moral bezüglich der Glaubenslehre und des Verhaltens auferlegen.
Ein Wort an den Klerus
Was die katholischen Gruppen betrifft, so sollen die Priester und Seminaristen sie fördern und unterstützen, ihnen aber nicht als Mitglieder beitreten; denn die Geistlichkeit muss über den Vereinigungen der Laien bleiben, auch wenn dieselben noch so nützlich und vom besten Geist beseelt sind.
Liebevolle Ermahnung und apostolischer Segen
Dies sind die praktischen Maßregeln, mit denen Wir dieses Schreiben über den Sillon und die Sillonisten ausstatten wollten. Wir bitten den Herrn aus ganzer Seele: Er möge es bewirken, dass diese Männer und jungen Leute die schwerwiegenden Gründe verstehen, die es diktiert haben, und dass Er ihnen die Willfährigkeit des Herzens verleihe und zugleich den Mut, im Angesicht der Kirche die Aufrichtigkeit ihres katholischen Eifers zu beweisen; und Er möge Euch, Ehrwürdige Brüder, ihnen gegenüber die Gefühle väterlicher Liebe einflößen, da sie künftig zu den Euren zählen werden.
In dieser Hoffnung und zur Erlangung der so sehr gewünschten Ergebnisse erteilen Wir Euch, sowie Eurem Klerus und Euren Gläubigen von ganzem Herzen den Apostolischen Segen.