Novo incipiente (Wortlaut)

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Gründonnerstagsschreiben
Novo incipiente

von Papst
Johannes Paul II.
an alle Priester der Kirche
8. April 1979

(Offizieller lateinischer Text: AAS 71 [1979] 393-417; Die lateinische Fassung auf der Vatikanseite)

(Quelle: Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, VAS 7; Die englische Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ein Priester
Liebe Brüder im Priesteramt !

1. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Priester

Zu Beginn meines neuen Dienstamtes in der Kirche fühle ich das tiefe Bedürfnis, mich an euch zu wenden, an euch alle ohne Ausnahme, Welt- und Ordenspriester, denn ihr seid kraft des Weihesakramentes meine Brüder. Ich möchte von Anfang an meinen Glauben an die Berufung zum Ausdruck bringen, die euch mit euren Bischöfen zu einer besonderen Gemeinschaft des Sakramentes und des Dienstes verbindet, durch die die Kirche, der mystische Leib Christi, auferbaut wird. Meine Gedanken und mein Herz sind also auf euch gerichtet, die ihr aufgrund einer besonderen Gnade mit einzigartiger Hingabe an unseren Erlöser bei den vielfältigen Aufgaben des priesterlichen und seelsorglichen Dienstes "die Last des ganzen Tages und die Hitze" ertragt. Ihr alle seid mir nahe seit dem Augenblick, da Christus mich auf diese Kathedra berufen hat, wo einst der hl. Petrus mit seinem Leben und seinem Tod bis zum Ende auf die Frage antworten mußte: "Liebst du mich? Liebst du mich mehr, als diese mich lieben ... ?"

Unablässig denke ich an euch, bete ich für euch und suche mit euch nach Wegen geistlicher Einheit und Zusammenarbeit, weil ihr meine Brüder seid kraft des Weihesakramentes, das auch ich einmal aus den Händen meines Bischofs empfangen habe (es war der unvergeßliche Metropolit von Krakau, Kardinal Adam Stephanus Sapieha). Daher mache ich mir - den Umständen angepaßt - die Worte des hl. Augustinus zu eigen, um euch zu versichern: Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Priester. Der bevorstehende Gründonnerstag drängt mich in besonderer Weise, euch einige Gedanken anzuvertrauen, die ich euch in diesem Brief vorlege. Der Gründonnerstag ist ja das jährlich wiederkehrende Fest unseres Priestertums. Er vereint das Presbyterium einer jeden Diözese um den Bischof zur gemeinschaftlichen Eucharistiefeier. An diesem Tag sind alle Priester eingeladen, vor ihrem Bischof und zusammen mit ihm die einmal bei der Priesterweihe gegebenen Versprechen zu erneuern. Diese Tatsache verbindet mich und alle meine Brüder im Bischofsamt mit euch durch ein besonderes Band der Einheit und vor allem im innersten Geheimnis Jesu Christi selber, an dem wir alle Anteil haben.

Das II. Vatikanische Konzil, das so deutlich die Kollegialität der Bischöfe innerhalb der Kirche betonte, hat auch dem Leben der priesterlichen Gemeinschaften, die miteinander in besonderer Brüderlichkeit und zugleich mit dem Bischof der jeweiligen Ortskirche verbunden sind, eine neue Ausrichtung gegeben. Das ganze Leben und Amt des Priesters trägt zur Vertiefung und Festigung dieses Bandes bei. Eine besondere Verantwortung für die verschiedenen Aufgaben, die ihr Leben und Dienstamt betreffen, tragen unter anderem die Priesterräte, die im Sinn des Konzils und des Motu proprio Ecclestae Sanctae von Paul VI. in jeder Diözese vorhanden und tätig sein sollen .. All das will sicherstellen, daß sich jeder Bischof in Einheit mit seinem Presbyterium in wirksamster Weise für das große Anliegen der Evangelisierung einsetzen kann. Durch diesen Dienst verwirklicht die Kirche ihre Sendung, ja ihr eigenes Wesen. Welche Bedeutung hierbei die Einheit der Priester mit ihrem Bischof hat, geht aus folgenden Worten des hl. Ignatius von Antiochien hervor: "Seid bestrebt, alles in gottgewollter Eintracht zu tun, wobei der Bischof an Gottes Stelle und die Presbyter an Stelle der Versammlung der Apostel den Vorsitz führen und die mir besonders lieben Diakone mit dem Dienst Jesu Christi betraut sind."

2. Uns verbindet die Liebe zu Christus und zur Kirche

Es ist nicht meine Absicht, in diesem Brief alles zu behandeln, was den Reichtum des priesterlichen Lebens und Dienstamtes ausmacht. Dafür verweise ich auf die gesamte Überlieferung des Lehramtes der Kirche und besonders auf die Lehre des Il. Vatikanischen Konzils, wie sie sich in dessen verschiedenen Dokumenten findet, zumal in der Konstitution Lumen gentium und in den Dekreten Presbyterorum ordinis und Adgentes. Ich schließe mich ferner der Enzyklika meines Vorgängers Paul Vl. Sacerdotalis Caelibatus an. Sodann möchte ich auch die große Bedeutung des Dokumentes De Sacerdotio ministeriali unterstreichen, das Paul VI. als Ergebnis der Arbeiten der Bischofssynode von 1971 bestätigt hat. Obwohl diese Sitzung der Synode, die es erarbeitet hat, nur beratenden Charakter hatte, so halte ich seine Aussagen zur konkreten Situation des Lebens und Dienstes der Priester in der Welt von heute doch für außerordentlich wichtig.

Während ich mich also auf alle diese euch bekannten Quellen berufe, möchte ich in diesem Brief nur auf einige Probleme eingehen, die mir in diesem Augenblick der Geschichte der Kirche und der Welt äußerst bedeutsam erscheinen.-Es sind Worte, die mir die Liebe zur Kirche eingegeben hat, die bei aller menschlichen Schwäche ihre Sendung für die Welt nur dann erfüllen kann, wenn sie Christus die Treue hält. Ich weiß, daß ich mich hierbei an Menschen wende, denen es nur die Liebe zu Christus in einer besonderen Berufung möglich gemacht hat, sich in den Dienst der Kirche zu stellen und in der Kirche sich der wichtigsten Fragen des Menschen anzunehmen und sie, vor allem jene, die sein ewiges Heil betreffen, zu beantworten.

Wenn ich auch zu Beginn dieser meiner Überlegungen auf viele schriftliche Quellen und amtliche Dokumente verweise, so gehe ich doch vor allem von der lebendigen Quelle unserer gemeinsamen Liebe zu Christus und seiner Kirche aus. Diese Liebe erwächst aus der Gnade der Berufung zum Priestertum, sie ist die größte Gabe des Heiligen Geistes.

3. "Aus den Menschen genommen ... für die Menschen eingesetzt "

Das II. Vatikanische Konzil hat die Auffassung vom Priestertum vertieft und es im Zusammenhang seiner Lehraussagen als Ausdruck der inneren Kräfte und "Dynamismen" dargestellt, durch die sich die Sendung des ganzen Volkes Gottes in der Kirche ausformt und entfaltet. Hier gilt es vor allem, die Konstitution Lumen gentium zu beachten und ihre entsprechenden Abschnitte aufmerksam nachzulesen. Die Sendung des Volkes Gottes vollzieht sich durch die Teilnahme an dem Amt und der Sendung Christi selber, die bekanntlich eine dreifache Dimension aufweisen: Sendung und Amt des Propheten, Priesters und Königs. Wer die Konzilstexte aufmerksam studiert, weiß, daß man eigentlich nur von einer dreifachen Dimension des Amtes und der Sendung Christi sprechen darf statt von drei verschiedenen Funktionen. Diese sind nämlich zuinnerst miteinander verbunden, sie erklären, bedingen und verdeutlichen sich gegenseitig. Folglich entspringt auch unsere Teilnahme an der Sendung und dem Amt Christi aus dieser dreifach gegliederten Einheit. Als Christen, als Glieder des Volkes Gottes und später dann als Priester, die in die hierarchische Ordnung der Kirche eingefügt sind, verdanken wir unseren Ursprung der Gesamtwirklichkeit der Sendung und des Amtes unseres Meisters, der zugleich Prophet, Priester und König ist. Für ihn sollen wir in der Kirche und vor der Welt besondere Zeugen sein.

Das Priestertum, an dem wir durch das Weihesakrament teilhaben und das für immer durch ein besonderes Zeichen Gottes, den "Charakter", unserer Seele eingeprägt worden ist, bleibt immer ausdrücklich auf das allgemeine Priestertum der Gläubigen, das heißt aller Getauften, hingeordnet und unterscheidet sich gleichzeitig von diesem "dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach". Auf diese Weise erhalten die Worte, die der Verfasser des Hebräerbriefes vom Priester sagt, ihre volle Bedeutung, daß er "aus den Menschen genommen und für die Menschen eingesetzt" ist. Am besten lesen wir hier noch einmal den gesamten klassischen Text des Konzils, der die grundlegenden Wahrheiten über unsere Berufung innerhalb der Kirche darbietet: "Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5,1-5), hat das neue Volk zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht (vgl. Offb 1,6; 5,9-10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2,4-10). So sollen alle jünger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2,42-47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12, 1); überall auf Erden sollen sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, das in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3,15).

Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe."

4. Der Priester, ein Geschenk Christi für die Gemeinschaft

Wir müssen nicht nur die theoretische, sondern auch die existentielle Bedeutung der gegenseitigen Zuordnung des hierarchischen Priestertums und des gemeinsamen Priestertums der Gläubigen gründlich erwägen. Wenn beide sich nicht bloß dem Grade, sondern dem Wesen nach unterscheiden, so ist das eine Folge des besonderen Reichtums des Priestertums Christi selbst: dieses ist sowohl für die allen Getauften gemeinsame Teilnahme wie auch für jene andere, die man durch ein eigenes Sakrament, nämlich das Weihesakrament, erlangt, der alleinige Mittelpunkt und die einzige Quelle. Das für uns spezifische Sakrament, liebe Brüder, das eine Frucht der besonderen Gnade unserer Berufung und die Grundlage unserer Identität ist, soll kraft seiner eigenen Natur und durch alles, was es in unserem Leben und Tun bewirkt, den Gläubigen ihr gemeinsames Priestertum bewußt machen und sie zu dessen Ausübung anregen:" es erinnert sie daran, daß sie Volk Gottes sind, und befähigt sie, jene "geistigen Opfer darzubringen"," durch die Christus selbst uns zu einer ewigen Gabe für seinen Vater macht." Das geschieht vor allem, wenn der Priester "kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat..., in der Person Christi (inpersona Christi) das eucharistische Opfer (vollzieht) und ... es im Namen des ganzen Volkes Gottes darbringt", wie wir im oben angeführten Konzilstext lesen.

Unser sakramentales Priestertum ist also zugleich ein hierarchisches Priestertum und ein Priestertum des Dienstes. Es ist ein besonderes Dienstamt, denn es steht im Dienst an der Gemeinschaft der Gläubigen. Es leitet aber nicht von dieser Gemeinschaft seinen Ursprung her, als ob sie berufen oder "delegieren" könnte. Es ist vielmehr ein Geschenk für diese Gemeinschaft, das von Christus selber kommt, aus der Fülle seines Priestertums.

Diese findet ihren Ausdruck darin, daß Christus, während er alle zur Darbringung des geistigen Opfers befähigt, einige beruft und dazu ausrüstet, Diener seines sakramentalen Opfers, der Eucharistie, zu sein, bei deren Darbringung alle Gläubigen mitwirken und in die auch die geistigen Opfer des Volkes Gottes aufgenommen werden.

Sind wir uns dieser Wirklichkeit bewußt, so. verstehen wir, in welcher Weise unser Priestertum , hierarchisch das heißt mit der Vollmacht verbunden ist, das priesterliche Volk heranzubilden und zu leiten," und eben deswegen ein ..Dienst" ist. Wir üben ein Amt aus, durch das Christus selber unaufhörlich dem Vater im Werk unserer Erlösung "dient". Unsere ganze priesterliche Existenz ist tief von diesem Dienst geprägt, und sie muß es sein, wenn wir in angemessener Weise das eucharistische Opfer in persona Christi darbringen wollen.

Das Priestertum erfordert eine besondere Integrität im Leben und Dienen, und gerade diese Integrität gehört vor allem anderen zu unserer priesterlichen Identität. In ihr zeigen sich zugleich die Größe unserer Würde und die ihr entsprechende Verfügbarkeit: gemeint ist die demütige Bereitschaft, die Gaben des Heiligen Geistes anzunehmen und die Früchte der Liebe und des Friedens den anderen weiterzuschenken. Wir müssen bereit sein, ihnen jene Glaubensgewißheit zu vermitteln, die sie den Sinn der menschlichen Existenz tiefer verstehen läßt und sie befähigt, im Leben des einzelnen und in den Lebensbereichen der Menschen die moralische Ordnung zur Geltung zu bringen.

Weil das Priestertum uns gegeben ist, um wie Christus unaufhörlich den anderen zu dienen, dürfen wir es nicht wegen der Schwierigkeiten, die uns begegnen, und wegen der von uns geforderten Opfer aufgeben. Wie die Apostel "haben wir alles verlassen, um Christus nachzufolgen";" deshalb gilt es jetzt, bei ihm auszuharren, auch unter dem Kreuz."

5. Im Dienst des Guten Hirten

Während ich dies schreibe, breiten sich vor meinem inneren Auge die äußerst weiten und vielfältigen Lebensbereiche der Menschen aus, zu denen ihr, liebe Brüder, gesandt seid wie die Arbeiter im Weinberg des Herrn." Für euch gilt aber ebenso auch das Gleichnis von der Herde;" denn dank des priesterlichen Charakters habt ihr ja Anteil am Charisma des Seelsorgers, das das Zeichen für eine besondere Ähnlichkeit mit Christus, dem Guten Hirten, ist. Gerade euch ist dieses Charisma in einer einzigartigen Weise geschenkt. Obgleich die Sorge um das Heil der Mitmenschen die Aufgabe eines jeden Mitgliedes der großen Gemeinschaft des Gottesvolkes, also auch aller unserer Brüder und Schwestern aus dem Laienstand, ist und sein muß, wie es das II. Vatikanische Konzil so ausführlich dargelegt hat,19 erwartet man dennoch von euch Priestern eine weit größere Sorge und einen noch entschlosseneren Einsatz, der über den eines jeden Laien hinausgeht; und dies deswegen weil eure Teilnahme am Priestertum Jesu Christi sich von ihrer Teilnahme "dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach" unterscheidet.

Das Priestertum Jesu Christi ist in der Tat die erste Quelle und der Ausdruck einer unaufhörlichen und immer tätigen Sorge um unser Heil, und eben deshalb dürfen wir ihn als den Guten Hirten betrachten. Beziehen sich seine Worte: : "Der gute Hirt gibt sein Leben für die Schafe etwa nicht auf das Kreuzesopfer, den endgültigen Vollzug des Priestertums Christi? Zeigen diese Worte nicht uns allen, die Christus der Herr durch das Weihesakrament seines Priestertums teilhaftig gemacht hat, den Weg, den auch wir gehen sollen? Sagen sie uns nicht, daß unsere Berufung eine einzigartige Sorge um das Heil unseres Nächsten ist? Daß diese Sorge den eigentlichen Seinsgrund unseres priesterlichen Lebens ausmacht? Daß gerade sie ihm Sinn gibt und daß wir nur durch sie die volle Bedeutung unseres eigenen Lebens, unserer Vollkommenheit und Heiligkeit erfassen können? Dieses Thema wird an verschiedenen Stellen des Konzilsdekretes Optatam totius erörtert.

Noch besser verstehen wir jedoch dieses Problem im Licht der Worte unseres Meisters, der sagt: "Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten." Dies sind geheimnisvolle Worte, die sogar widersprüchlich erscheinen. Ihr Geheimnis lichtet sich aber, wenn wir sie im Alltag leben. Dann löst sich der Widerspruch auf, und es offenbart sich die tiefgründige Einfachheit ihrer Bedeutung. Möge uns allen in unserem priesterlichen Leben und in unserem eifrigen Dienst diese Gnade zuteil werden.

6. "Die Kunst aller Künste ist die Seelenführung

Die besondere Sorge um das Heil der anderen, um die Wahrheit, die Liebe und Heiligkeit des ganzen Volkes Gottes sowie die geistige Einheit der Kirche, die uns von Christus zusammen mit der priesterlichen Vollmacht anvertraut worden ist, verwirklicht sich auf unterschiedliche Weise. Die Wege sind in der Tat verschieden, auf denen ihr, liebe Brüder, eure priesterliche Berufung erfüllt. Die einen sind in der normalen Pfarrseelsorge tätig; andere wirken in den Missionsländern; wieder andere arbeiten im Bereich der Schule, der Bildung und der Jugenderziehung; sie setzen sich ein in den verschiedenen konkreten Lebensbereichen und Organisationen und begleiten die Entwicklung des sozialen und kulturellen Lebens; andere schließlich widmen sich dem Dienst für die Leidenden, Kranken und Verlassenen; und zuweilen erfüllt ihr eure Sendung auch als solche, die selbst an ein Schmerzenslager gebunden sind. Es sind sehr verschiedene Wege, die unmöglich alle einzeln aufgezählt werden können. Sie sind notwendig zahlreich und unterschiedlich, weil die Struktur des menschlichen Lebens, der sozialen Entwicklungen, der geschichtlichen Überlieferungen und des Erbes der einzelnen Kulturen und Zivilisationen jeweils verschieden ist. Dennoch seid ihr trotz all dieser Unterschiede immer und überall eurer besonderen Berufung verpflichtet: ihr seid Träger der Gnade Christi, des ewigen Priesters, Träger des Charismas des Guten Hirten. Ihr könnt das nie vergessen und dürft euch diesem auch niemals entziehen, sondern müßt es vielmehr jederzeit, überall und auf jede mögliche Weise im Leben verwirklichen. Darin besteht jene "Kunst aller Künste", zu der Jesus Christus euch berufen hat. "Die Kunst aller Künste ist die Seelenführung", so schrieb der hl. Gregor der Große.

Ich mache mir gerne seine Worte zu eigen und sage euch: Gebt euch Mühe, in der Seelsorge wirkliche "Künstler" zu werden. In der Geschichte der Kirche hat es schon viele solche gegeben. Ich brauche sie nicht aufzuzählen. jedem von uns haben z. B. der hl. Vinzenz von Paul, der hl. Johannes von Avila, der hl. Pfarrer von Ars, der hl. Johannes Bosco, der selige Maximilian Kolbe und viele, viele andere etwas zu sagen. jeder war von den anderen verschieden, war er selbst, ein Kind seiner Zeit und auch an seine Zeit "angepaßt". Doch war diese "Anpassung" bei jedem eine ursprüngliche Antwort auf das Evangelium, eine gerade für jene Zeit notwendige Antwort, die Antwort der Heiligkeit und des Seelenelfers. Es gibt auch in unserem Leben und priesterlichen Wirken für die Anpassung an die Zeit und die Welt von heute keine andere Regel als diese. Zweifellos können jene Versuche und Vorhaben nicht als eine solche angemessene "Anpassung" angesehen werden, die das priesterliche Leben "laisieren" möchten.

7. Ausspender und Zeuge

Dem Leben des Priesters liegt als tragende Wirklichkeit das Weihesakrament zugrunde, das unserer Seele das Zeichen eines unauslöschlichen Merkmals einprägt. Dieses Prägemal in der Tiefe unseres menschlichen Seins erfaßt dynamisch auch unsere Person. Die Persönlichkeit des Priesters muß für die anderen ein klares Zeichen und deutliches Zeugnis sein. Das ist die erste Vorbedingung für unseren seelsorglichen Dienst. Die Menschen, aus denen wir genommen und für die wir eingesetzt sind," möchten in uns vor allem dieses Zeichen und Zeugnis sehen, und sie haben ein Anrecht darauf. Zuweilen kann es jedoch bei einigen scheinen, als wollten sie es nicht oder als wünschten sie, wir wären in allem "wie sie"; manchmal scheinen sie dies sogar von uns zu fordern. Hier braucht es notwendig einen tiefen Glaubenssinn und die Gabe der Unterscheidung. Allzu leicht läßt man sich nämlich vom Anschein leiten und wird Opfer einer grundlegenden Täuschung. jene, die eine "Lalsierung" des priesterlichen Lebens fordern und deren verschiedene Ausdrucksformen begrüßen, werden uns ganz gewiß im Stich lassen, wenn wir der Versuchung erliegen. Wir würden dann aufhören, gefragt und populär zu sein. Für unsere Zeit sind gewisse Formen der Manipulation und der Instrumentallsierung des Menschen charakteristisch, doch dürfen wir keiner von ihnen nachgeben . Gefragt ist letztlich von den Menschen immer nur jener Priester, der sich seines Priestertums im vollen Sinn bewußt ist: der tief läubize Priester, der mutig seinen Glauben bekennt, der eifrig betet, mit Übegrzeugung in der Lehre unterrichtet, der dient und in seinem Leben das Programm der Seligpreisungen verwirklicht, der selbstlos zu lieben weiß und allen nahe ist, besonders denen, die sich am meisten in Not befinden.

Unsere Seelsorgstätigkeit fordert, daß wir den Menschen und all ihren persönlichen, familiären und sozialen Problemen nahestehen. Sie verlangt aber zugleich, daß wir all diesen Problemen "als Priester" begegnen. Nur dann bleiben wir inmitten dieser Probleme wir selber. Wenn wir uns dieser zuwellen sehr schwierigen menschlichen Fragen in der rechten Weise annehmen, bewahren wir unsere Identität und bleiben auch unserer wahren Berufung treu. Wir müssen mit großer Umsicht zusammen mit allen Menschen nach der Wahrheit und Gerechtigkeit streben, deren wahre und letztlich gültige Dimension wir nur im Evangelium, ja nur in Christus selber finden können. Es ist unsere Aufgabe, der Wahrheit und Gerechtigkeit innerhalb der zeitlichen Existenz des Menschen zu dienen, aber immer im Hinblick auf das ewige Heil. Dieses trägt all jenem gebührend Rechnung, was der Geist des Menschen in dieser Zeit im Bereich der Wissenschaft und der Moral an neuen Erkenntnissen erworben hat, wie das II. Vatikanische Konzil gut dargelegt hat;" es ist jedoch damit nicht identisch. Das Heil übertrifft nämlich alles: "Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat. . ., das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben."" Die Menschen, unsere Brüder im Glauben und auch die Nichtglaubenden, erwarten von uns, daß wir ihnen immer diese Perspektive aufzuzeigen vermögen, deren echte Zeugen werden, Ausspender der Gnade und Diener des Wortes Gottes. Sie erwarten, daß wir Männer des Gebetes sind.

In unserer Mitte gibt es sodann auch jene, die ihre Berufung zum Priestertum in besonderer Weise mit einem intensiven Leben des Gebetes und der Buße in der spezifisch kontemplativen Form der jeweiligen religiösen Orden verbunden haben. Sie mögen bedenken, daß ihr priesterlicher Dienst auch in dieser Form in besonderer Weise der großen Sorge des Guten Hirten zugeordnet ist, nämlich seiner Sorge um das Heil eines jeden Menschen.

Wir alle sollen uns dessen bewußt sein, daß niemand von uns sich so verhalten darf, daß er die Bezeichnung "Tagelöhner" verdient, "dem die Schafe nicht gehören", der "den Wolf kommen sieht, die Schafe im Stich läßt und flieht; und der Wolf reißt und versprengt sie; er flieht, weil er Tagelöhner ist und ihm an den Schafen nichts liegt"." Der Gute Hirte dagegen ist darum besorgt, daß die Menschen "das Leben haben und es in Fülle haben", damit niemand von ihnen verlorengeht," sondern das ewige Leben hat. Bemühen wir uns also darum, daß unsere Herzen von dieser Hirtensorge tief durchdrungen sind: suchen wir sie zu leben. Sie soll unsere Persönlichkeit prägen und ein wichtiges Merkmal unserer priesterlichen Identität bilden.

8. Bedeutung des Zölibats

Gestattet mir, hier kurz auf das Problem des priesterlichen Zölibats einzugehen. Ich will es in zusammenfassender Weise tun, da es schon gründlich und umfassend während des Konzils, sodann in der Enzyklika Sacerdotalis Caelibatus und schließlich auf der ordentlichen Sitzung der Bischofssynode von 1971 behandelt worden ist. Diese Überlegungen haben sich als notwendig erwiesen, sei es, um das Problem noch ausgereifter darzustellen, sei es, um den Sinn jener Entscheidung noch eingehender und tiefer zu erörtern, die die lateinische Kirche seit vielen Jahrhunderten getroffen hat, der sie treu zu bleiben suchte und auch in Zukunft treu bleiben will. Das in Frage stehende Problem ist so bedeutend und schwerwiegend, seine Verbindung mit der Sprache des Evangeliums so eng, daß wir in diesem Fall nicht in anderen Kategorien denken können als in jenen, deren sich das Konzil, die Bischofssynode und der große Papst Paul Vl. bedient haben. Wir können nur versuchen, das Problem tiefer zu verstehen und ausgewogener darauf zu antworten, indem wir uns von den verschiedenen Einwänden freimachen, die schon immer - und so auch heute - gegen den priesterlichen Zölibat vorgebracht wurden, wie auch von den verschiedenen Deutungen an Hand von Kriterien, die dem Evangelium, der Überlieferung und dem Lehramt der Kirche fremd sind. Diese Kriterien, so fügen wir hinzu, erweisen Sich, was ihre anthropologische Zuverlässigkeit und Begründung angeht, als sehr zweifelhaft und von nur relativem Wert.

Im übrigen dürfen wir uns über die vielen Einwände und Kritiken nicht allzu sehr wundern, die sich in der Zeit nach dem Konzil verschärft haben, heute jedoch hier und dort wieder schwächer zu werden scheinen. Hat Jesus Christus nicht, als er seinen Jüngern das Problem der Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen" darlegte, die bezeichnenden Worte hinzugefügt: "Wer es fassen kann, der fasse es." Die lateinische Kirche wollte und will weiterhin, daß nach dem Beispiel Christi, unseres Herrn, entsprechend der apostolischen Lehre und der ganzen diesbezüglichen Tradition alle jene, die das Weihesakrament empfangen, diesen Verzicht um des Himmelreiches willen auf sich nehmen. Diese Tradition ist jedoch mit der Achtung vor den verschiedenen Traditionen anderer Kirchen verbunden. Sie stellt eine Charakteristik, eine Besonderheit und ein Erbe der lateinischen katholischen Kirche dar, der diese viel verdankt. Die Kirche ist entschlossen, diese Tradition fortzusetzen trotz aller Schwierigkeiten, denen eine solche Treue vielleicht ausgesetzt ist, wie auch trotz der verschiedenen Anzeichen der Schwäche und Krise bei einzelnen Priestern. Wir sind uns alle bewußt, daß wir "diesen Schatz in irdenen Gefäßen tragen"," und dennoch wissen wir recht gut, daß es ein Schatz ist.

Und warum ist es ein Schatz? Wollen wir mit dieser Auffassung etwa den Wert der Ehe und die Berufung zum Familienleben abwerten? Oder unterliegen wir vielleicht der manichäischen Verachtung des menschlichen Leibes und seiner Funktionen? Wollen wir etwa irgendwie die Liebe herabmindern, die Mann und Frau zur Ehe und zur leiblichen Einheit in der Ehe führt, so daß sie "ein Fleisch" werden? Wie sollte es für uns möglich sein, so zu denken und zu argumentieren, wo wir doch wissen, glauben und mit dem hl. Paulus verkünden, daß die Ehe ein "großes Geheimnis" ist im Hinblick auf Christus und die Kirche?" Doch entspricht keines der Motive, mit denen man uns zuweilen davon zu "überzeugen" sucht, daß der Zölibat nicht mehr angebracht sei, der Wahrheit, die die Kirche verkündet und im Leben durch die Verpflichtung zu verwirklichen sucht, die alle Priester vor ihrer heiligen Weihe übernehmen. Das wesentliche, eigentliche und angemessene Motiv findet sich in der Wahrheit, die Christus verkündet hat, als er von der Ehelosigkeit um -des Himmelreiches willen sprach, und die der hl. Paulus herausstellt, wenn er schreibt, daß in der Kirche jeder "seine Gnadengabe" hat. Der Zölibat ist eine solche Gnadengabe des Geistes. Eine ähnliche, wenn auch andere Gnadengabe ist in dem großen Geheimnis des Ehesakramentes enthalten, in der Berufung zu wahrer und treuer ehelicher Liebe, die auf leibliche Nachkommenschaft ausgerichtet ist. Alle wissen, wie grundlegend diese Gnadengabe für den Aufbau der großen Gemeinschaft der Kirche, des Volkes Gottes, ist. Wenn aber diese Gemeinschaft ihrer Berufung in Jesus Christus voll entsprechen will, so muß in ihr notwendig auch in entsprechendem Maße die andere Gnadengabe, nämlich die Gnade des Zölibates "um des Himmelreiches willen verwirklicht werden.

Warum aber verbindet die lateinische katholische Kirche diese Gnadengabe nicht nur mit dem Leben jener Menschen, die in den Ordensgemeinschaften das Ideal der evangelischen Räte im engeren Sinn übernehmen, sondern auch mit der Berufung zum hierarchischen Priestertum und Dienst? Sie tut es deswegen, weil der Zölibat "um des Reiches willen" nicht nur ein eschatologisches Zeichen ist, sondern auch große soziale Bedeutung für den Dienst am Volk Gottes im gegenwärtigen Leben hat. Der Priester wird durch seinen Zölibat zum "Menschen für die anderen", und zwar anders als jemand der sich mit einer Frau zu ehelicher Gemeinschaft verbindet und so ebenfalls als Bräutigam und Vater zum Menschen für die anderen wird, vor allem im Bereich der eigenen Familie: für seine Braut und zusammen mit ihr für die Kinder, denen er das Leben schenkt. Indem der Priester auf diese den Verheirateten eigene Vaterschaft verzichtet, sucht er eine andere Vaterschaft, ja fast sogar eine andere Mutterschaft, wenn er an die Worte des Apostels von den Kindern denkt, für die er Geburtswehen leidet?" Sie sind Kinder seines Geistes, Menschen, die der Gute Hirt seiner Sorge anvertraut hat. Es sind viele Menschen, mehr als eine normale menschliche Familie umfassen kann. Die pastorale Berufung der Priester ist groß und nach der Lehre des Konzils sogar universal: sie richtet sich auf die ganze Kirche und ist daher auch missionarisch. Normalerweise ist sie an den Dienst für eine bestimmte Gemeinschaft des Volkes Gottes gebunden, wo jeder Aufmerksamkeit, Sorge und Liebe erwartet. Soll das Herz des Priesters für einen solchen Dienst, für solche Sorge und Liebe verfügbar werden, so muß es frei sein. Der Zölibat ist so Zeichen einer Freiheit, die sich zum Dienst bereit macht. Aufgrund dieses Zeichens ist das hierarchische oder Dienst-Priestertum nach der Tradition unserer Kirche unmittelbar auf das gemeinsame Priestertum der Gläubigen hingeordnet.

9. Prüfung und Verantwortung

Die oft verbreitete Ansicht, der priesterliche Zölibat sei in der katholischen Kirche eine den Empfängern des Welhesakramentes rein gesetzlich auferlegte Verpflichtung, beruht auf einem Mißverständnis, wenn sie nicht bar wider besseres Wissen vertreten wird. Es ist uns allen bekannt, daß es nicht so ist.Jeder Christ, der das Weihesakrament empfängt, verpflichtet sich zum Zölibat voll bewußt und freiwillig, nachdem er sich mehrere Jahre lang durch gründliche Prüfung und eifriges Gebet darauf vorbereitet hat. Er fällt die Entscheidung für ein Leben im Zölibat nur, nachdem er zur festen Überzeugung gelangt ist, daß Christus ihm zum Wohl der Kirche und zum Dienst für die anderen diese Gnadengabe schenkt. Erst dann verpflichtet er sich, den Zölibat während des ganzen Lebens zu halten. Offensichtlich verpflichtet eine solche Entscheidung nicht nur kraft des von der Kirche aufgestellten Gesetzes, sondern auch kraft der personalen Verantwortung. Es geht hier darum, das Christus und der Kirche gegebene Wort zu halten. Das Stehen zu einem Wort ist zugleich Verpflichtung und Zeichen der inneren Reife des Priesters. Es ist Ausdruck seiner personalen Würde. Das zeigt sich mit aller Deutlichkeit, wenn die Treue zu dem Christus versprochenen, bewußt und freiwillig übernommenen lebenslangen Zölibat schwer wird, auf die Probe gestellt oder Versuchungen ausgesetzt wird, alles Dinge, die dem Priester ebenso wenig wie irgendeinem anderen Menschen und Christen erspart bleiben. In dieser Prüfung muß jeder seinen Halt in noch innigerem Gebet suchen, um dadurch in sich jene Haltung der Demut und Aufrichtigkeit Gott und dem eigenen Gewissen gegenüber wiederzufinden, die sich als Kraftquelle und Stütze für das erweist, was ins Wanken geraten ist. Daraus erwächst eine Zuversicht, die der des hI. Paulus gleicht, wenn er sagt: "Alles vermag ich durch ihn, der mich stark macht.` Die Erfahrung zahlreicher Priester bestätigt diese Wahrheiten, und auch die Wirklichkeit des Lebens bekräftigt sie. Wer sie annimmt, legt damit die Grundlage für seine Treue zu dem Christus und der Kirche gegebenen Wort. Er bleibt zugleich in echtem Sinne sich selber, seinem Gewissen, seiner eigenen Menschenwürde treu. An all das gilt es vor allem in Stunden der Krise zu denken, um nicht gleich um Dispens zu ersuchen, als ob es sich um einen reinen Verwaltungsakt und nicht vielmehr um eine tiefreichende Gewissensfrage und eine Probe auf die eigene Menschlichkeit handelte. Gott hat ein Recht darauf, daß jeder von uns sich dieser Prüfung stellt, wenn es schon wahr ist, daß das irdische Leben für jeden Menschen eine Prüfungszeit bleibt. Gott will aber auch zugleich, daß wir siegreich aus solchen Prüfungen hervorgehen, und er schenkt uns dazu die entsprechende Hilfe.

Vielleicht ist es gut, hier mit einigem Grund darauf hinzuweisen, daß die Verpflichtung zur ehelichen Treue, wie sie sich aus dem Ehesakrament ergibt, in ihrem Vollzug ähnliche Pflichten mit sich bringt und zuweilen für die verheirateten Männer und Frauen zu ähnlichen Prüfungen und Erfahrungen führt, so daß auch sie in dieser "Feuerprobe" den Wert ihrer Liebe erweisen müssen. Die Liebe ist ja in all ihren Dimensionen nicht nur Gabe, sondern auch Aufgabe. Fügen wir schließlich noch hinzu, daß unsere Brüder und Schwestern im Ehestand mit Recht von uns Priestern und Seelsorgern ein gutes Beispiel und das Zeugnis der Treue zum Beruf bis in den Tod hinein erwarten. Es ist die Treue zur Berufung, die wir im Weihesakrament so wie sie im Sakrament der Ehe übernommen haben. Auch in diesem Zusammenhang und in diesem Sinne müssen wir unser Dienst-Priestertum als dem allgemeinen Priestertum zugeordnet betrachten, das allen Gläubigen eigen ist, den Laien und besonders jenen, die in der Ehe leben und eine Familie bilden. So tragen wir zum "Aufbau des Leibes Christi" bel; andernfalls würden wir, anstatt seinen Aufbau zu fördern, seinen geistigen Zusammenhalt schwächen. Mit diesem Aufbau des Leibes Christi ist auch die echte Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit eines jeden Christen - so wie die eines jeden Priesters - eng verbunden, die sich nach dem Maß der Gnadengaben Christi vollzieht. Eine Beeinträchtigung des geistigen Zusammenhalts der Kirche kommt ganz gewiß nicht der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit zugute und trägt auch nicht zu ihrem rechten Verständnis bei.

10. Tag für Tag müssen wir uns bekehren

"Was sollen wir tun ?, scheint ihr, liebe Brüder, nun zu fragen, wie schon die jünger und jene, die Christus zuhörten, oft den Herrn selber gefragt haben. Was muß die Kirche tun, wenn es anscheinend an Priestern fehlt, wenn in einigen Ländern und Gegenden der Welt sich dieser Mangel schon besonders schmerzlich bemerkbar macht? Wie sollen wir auf das übergroße Verlangen nach Evangelisierung antworten, wie sollen wir den Hunger nach dem Wort und dem Leib des Herrn stillen? Wenn die Kirche dennoch entschlossen ist, am Zölibat ihrer Priester als besonderer Gnadengabe um des Reiches Gottes willen festzuhalten, dann bekennt sie damit zugleich ihren Glauben an ihren Meister, Erlöser und Bräutigam und bezeugt ihm ihr Vertrauen, der ja auch der "Herr der Ernte" und der "Spender der Gnadengabe" ist. Kommt doch "jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben, vom Vater des Lichtes" . Wir dürfen diesen Glauben und diese Zuversicht nicht unsererseits durch menschliche Bedenken und durch unsere Kleingläubigkeit schwächen.

Deshalb müssen wir uns alle Tag für Tag bekehren. Wir wissen, daß dies eine Grundforderung des Evangeliums ist, die sich an alle Menschen richtet." Um so mehr müssen wir sie als an uns gerichtet betrachten. Wenn uns die Pflicht auferlegt ist, anderen bei ihrer Bekehrung zu helfen, so sollen auch wir dasselbe täglich in unserem eigenen Leben tun. Uns bekehren bedeutet, die Gnade der Berufung neu in uns zu erwecken, die unermeßliche Güte und die unendliche Liebe Christi zu betrachten, der sich jedem einzelnen von uns zugewandt, uns beim Namen gerufen und gesagt hat: Folge mir nach! " Uns bekehren bedeutet, jederzeit Rechenschaft abzulegen über unseren Dienst, unseren Seeleneifer und unsere Treue und das vor dem Herrn unseres Herzens, denn wir sind "Diener Christi und Verwalter göttlicher GeheimUns bekehren bedeutet, uns Rechenschaft zu geben auch über unsere Nachlässigkeiten und Sünden, über unsere Kleingläubigkeit und den Mangel an Glauben und Hoffnung wie unser allzu menschliches Denken, während wir doch von Gott her denken sollten. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die Mahnung Christi an Petrus . Uns bekehren bedeutet für uns, stets von neuem die Vergebung und die Kraft Gottes im Sakrament der Versöhnung zu suchen und so immer neu zu beginnen und täglich voranzuschreiten, uns selber im Zaum zu halten, geistlich zu wachsen und frohen Herzens zu geben, weil "Gott einen fröhlichen Geber liebt".

Uns bekehren bedeutet, "allzeit beten und darin nicht nachlassen". . Das Gebet ist in einem bestimmten Sinn erste und letzte Vorbedingung der Bekehrung, des geistlichen Fortschritts und der Heiligkeit. Vielleicht hat man in den letzten Jahren -wenigstens in gewissen Bereichen -über das Priestertum, die Identität des Priesters, den Wert seiner Präsenz in der Welt von heute usw. zuviel diskutiert, dagegen allzuwenig gebetet. Es hat an entsprechendem Schwung gefehlt, um das Priestertum selber durch Gebet zu prägen, ihm wirksame Dynamik aus dem Geist des Evangeliums zu geben und so die Identität des Priesters zu festigen. Das Gebet weist auf die wesentliche Lebensform im Priestertum hin, die ohne Gebet verfälscht wird.

Das Gebet hilft uns, immer wieder das Licht zu finden, das uns seit den Anfängen unserer priesterlichen Berufung geführt hat und uns ständig führt, auch wenn es sich zuweilen im Dunkel zu verlieren scheint. Das Gebet macht uns die ständige Bekehrung möglich; es hilft uns, immer auf Gott hin ausgerichtet zu bleiben, was ja unerläßlich ist, wenn wir andere zu ihm hinführen wollen. Das Gebet hilft uns zu glauben, zu hoffen und zu lieben, auch wenn uns unsere menschliche Schwäche im Wege steht.

Das Gebet läßt uns ferner beständig die Ausmaße jenes Reiches ermessen, um dessen Kommen wir täglich beten, indem wir die Worte wiederholen, die uns Christus gelehrt hat. Ferner wird uns klar, welches unser Platz bei der Verwirklichung dieser Bitte ist.- "Dein Reich komme"; wir erkennen, wie notwendig wir für ihre Verwirklichung sind. Vielleicht werden wir uns beim Gebet auch leichter bewußt, was die Felder, die weiß sind zur Ernte" bedeuten, und verstehen zugleich, was die Worte Christi angesichts dieser Felder besagen wollen: "Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte zu schicken."

Das Gebet muß sich verbinden mit der ständigen Arbeit an uns selber: gemeint ist hier die ständige Weiterbildung. Wie das zu diesem Thema von der Kleruskongregation herausgegebene Dokument zu Recht betont, muß diese Weiterbildung sowohl das geistliche Leben des Priesters innerlich vertiefen, als auch pastoral und intellektuell (philosophisch und theologisch) ausgerichtet sein. Wenn auch unsere pastorale Tätigkeit, die Verkündigung des Wortes und die Gesamtheit unseres priesterlichen Dienstes von der Lebendigkeit unseres eigenen inneren Lebens abhängen, so brauchen sie doch ebenso eine Stütze durch unser ständiges Weiterstudium. Es genügt nicht, bei dem stehenzubleiben, was wir einmal im Seminar gelernt haben, selbst wenn wir damals auf Universitätsniveau studiert haben, worauf die Kongregation für das katholische Bildungswesen entschlossen hinwirkt. Dieser Prozeß der geistigen Bildung muß das ganze Leben hindurch weitergehen, zumal in der heutigen Zeit, die - wenigstens in vielen Gegenden der Welt -durch einen allgemeinen Fortschritt im öffentlichen Schulwesen und in der Kultur gekennzeichnet ist. Für die Menschen, denen die erfreulichen Auswirkungen dieser Entwicklung zugute kommen, müssen wir Zeugen Jesu Christi mit entsprechender Qualifikation sein. Als Lehrer der Wahrheit und der Moral ist es unsere Aufgabe, ihnen überzeugend und wirksam Rechenschaft von der Hoffnung zu geben, die uns erfüllt." Auch dies macht einen Teil der täglichen Umkehr zur Liebe durch die Wahrheit aus.

Liebe Brüder, die ihr "die Last des ganzen Tages und die Hitze" ertragt, die Hand an den Pflug gelegt habt und nicht zurückschaut, und vielleicht mehr noch ihr, die ihr am Sinn eurer Berufung oder am Wert eures Dienstes zweifelt! Denkt an jene Orte, wo die Menschen sehnsüchtig auf einen Priester warten, wo sie seit vielen Jahren sich unablässig einen Priester wünschen, weil sie sein Fehlen schmerzlich empfinden. Es geschieht zuweilen, daß sie sich in einem verlassenen Gotteshaus versammeln, auf den Altar die noch aufbewahrte Stola legen und alle Gebete der Eucharistiefeier sprechen. Im Augenblick, der der Wandlung entsprechen würde, tritt jedoch eine große Stille ein, die manchmal von einem Weinen unterbrochen wird ... ; so brennend verlangen diese Menschen danach, jene Worte zu hören, die nur die Lippen eines Priesters wirksam aussprechen können! So sehr sehnen sie sich nach der heiligen Kommunion, die sie aber nur durch Vermittlung des priesterlichen Dienstes empfangen können, wie sie auch voller Sehnsucht darauf warten, die Worte der göttlichen Vergebung zu hören: Ich spreche dich los von deinen Sünden! So tief empfinden sie es, daß ihnen der Priester fehlt!... Es gibt in der Welt viele solche Orte. Wenn also jemand von euch am Sinn seines Priestertums zweifelt, wenn einer meint, es sei sozial betrachtet unfruchtbar oder gar unnütz, dann denke er über diese Tatsache nach!

Wir müssen uns Tag für Tag bekehren, täglich aufs neue die von Christus im Weihesakrament empfangene Gnadengabe entdecken, indem wir uns die Wichtigkeit der Heilssendung der Kirche klar vor Augen halten und uns im Lichte dieser Sendung auf die große Bedeutung unserer Berufung besinnen.

11. Die Mutter der Priester

Liebe Brüder, zu Beginn meines Dienstamtes empfehle ich euch alle der Mutter Christi, die in besonderer Weise unsere Mutter ist: die Mutter der Priester. Christus hat ja seinen Lieblingsjünger, der als einer der Zwölf im Abendmahlssaal die Worte gehört hatte: Tut dies zu meinem Andenken" vom Kreuz herab seiner Mutter anvertraut, indem er zu ihr sagte: "Dies ist dein Sohn. Er, der am Gründonnerstag die Vollmacht zur Feier der heiligen Eucharistie empfangen hatte, wurde mit diesen Worten des sterbenden Erlösers seiner eigenen Mutter als "Sohn" geschenkt. Daher haben wir alle, die wir in der Priesterweihe die gleiche Vollmacht empfangen, in gewissem Sinn als erste ein Recht darauf, in ihr unsere Mutter zu sehen. Es ist daher mein Wunsch, daß ihr alle zusammen mit mir in Maria die Mutter des Priestertums findet, das ihr wie ich von Christus empfangen habt. Ich möchte ferner, daß ihr Maria in besonderer Weise euer Priestertum anempfehlt. Erlaubt mir, daß ich es selber tue, indem ich jeden einzelnen von euch - ohne Ausnahme - feierlich und zugleich schlicht und in aller Demut der Mutter Christi anvertraue. Sodann bitte ich euch, liebe Brüder, daß jeder von euch persönlich das gleiche tun möge, wie das eigene Herz es ihm eingibt, vor allem die persönliche Liebe zu Christus, dem Priester, aber auch die eigene Schwachheit, die uns in dem Maße bewußt wird, wie unser Verlangen nach Dienstbereitschaft und Heiligkeit wächst. Ich bitte euch darum!

Die Kirche von heute spricht von sich selber vor allem in der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium. Auch dort, im letzten Kapitel, bekennt sie, daß sie auf Maria als die Mutter Christi schaut, weil sie sich selber Mutter nennt und Mutter sein möchte, indem sie die Menschen zum neuen Leben für Gott gebiert." Liebe Brüder! Und wie nahe steht gerade ihr diesem Werk Gottes! Wie tief sind euer Beruf, euer Dienst und eure Sendung davon geprägt! Deswegen müßt ihr inmitten des ganzen Volkes Gottes, das mit so großer Liebe und Hoffnung seine Augen auf Maria richtet, mit noch größerer Hoffnung und Liebe auf Maria schauen. Eure Aufgabe ist es ja, Christus zu verkündigen, der ihr Sohn ist: wer aber wird euch besser die Wahrheit über ihn vermitteln können als seine Mutter? Ihr sollt die Herzen der Menschen mit Christus nähren- wer aber kann euch das, was ihr tut, tiefer erkennen lassen als jene, die ihn selber genährt hat? "Sei gegrüßt, o wahrer Leib (Christi), den uns die Jungfrau Maria gebar." Zu unserem Dienst-Priestertum gehört die herrliche und prägende Dimension der Nähe zur Mutter Christi. Bemühen wir uns also, diese Dimension zu leben. Wenn man auch auf eigene Erfahrung hinweisen darf, so kann ich euch sagen, daß ich mich bei dem, was ich euch hier schreibe, vor allem auf meine persönliche Erfahrung beziehe. Während ich euch all dieses zu Beginn meines Dienstes für die Gesamtkirche anvertraue, höre ich nicht auf, Gott zu bitten, daß er euch, die Priester Jesu Christi, mit all seinem Segen und seiner Gnade erfülle. Als Unterpfand und Bekräftigung dieser vom Gebet getragenen Gemeinschaft mit euch segne ich euch von Herzen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Empfangt diesen Segen und nehmt die Worte des neuen Nachfolgers Petri entgegen, jenes Petrus, dem der Herr aufgetragen hat: "Wenn du wieder zurückgefunden hast, dann stärke deine Brüder.` Hört nicht auf, gemeinsam mit der ganzen Kirche für mich zu beten, damit ich den Anforderungen eines Primates der Liebe entspreche, den der Herr der Sendung des Petrus als Grundlage gegeben hat, als er ihm sagte: "Weide meine Schafe." Möge es so sein.

Gegeben im Vatikan, am 8. April, dem Palmsonntag des Jahres 1979,

im ersten Jahr meines Pontifikates.

Johannes Paul II. PP.