Vademecum des sexuellen Missbrauchs 1.0

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Vademecum

Kongregation für die Glaubenslehre
im Pontifikat von Papst
Franziskus XVI.
zu einigen Fragen in den Verfahren zur Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker
16. Juli 2020

(Quelle: Vatikanseite: Version 1.0 vom 16/07/2020)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


VORBEMERKUNG

a. Über die in Art. 6 der durch das Motuproprio Sacramentorum sanctitatis tutela promulgierten Normae beschriebenen Straftaten hinaus ist das Folgende – mit den entsprechenden Anpassungen – auch in allen anderen der Glaubenskongregation vorbehaltenen Fällen einzuhalten.

b. Untenstehend werden folgende Abkürzungen verwendet: CIC: Codex Iuris Canonici; CCEO: Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium; SST: Motuproprio Sacramentorum sanctitatis tutela – überarbeitete Normen 2010; VELM: Motuproprio Vos estis lux mundi – 2019; CDF: Congregatio pro Doctrina Fidei (Glaubenskongregation).

***

Einleitung

Die Glaubenskongregation stellt dieses Vademecum zur Verfügung, um die zahlreichen Fragen zu den einzelnen Schritten zu beantworten, die in den ihr reservierten Strafsachen einzuhalten sind. Es wendet sich in erster Linie an die Ordinarien und die Rechtsanwender, die vor der Aufgabe stehen, die kanonischen Normen über die Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker konkret umzusetzen.

Es handelt sich um eine Art „Handreichung“, welche von der ersten Kenntnisnahme (notitia criminis) bis zum endgültigen Abschluss des Falles diejenigen bei der Hand nehmen und Schritt für Schritt leiten will, die mit der Wahrheitsfindung im Bereich der obengenannten Straftaten betraut sind.

Es handelt sich nicht um einen normativen Text, er erneuert also die diesbezügliche Gesetzgebung nicht, sondern möchte den Verfahrensweg erklären. Seine Einhaltung empfiehlt sich aber im Bewusstsein, dass eine einheitliche Praxis dazu beiträgt, dass sich die Rechtspflege klarer darstellt.

Die Hauptbezugspunkte sind:

- die zwei geltenden Codices (CIC und CCEO),

- die durch das Motuproprio Sacramentorum sanctitatis tutela erlassenen Normen über die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltenen Straftaten in der im Jahr 2010 überarbeiteten Fassung (unter Berücksichtigung der durch die Rescripta ex Audientia vom 3. und 6. Dezember 2019 eingefügten Neuerungen),

- das Motuproprio Vos estis lux mundi und schließlich

- die in den vergangenen Jahren zusehends ausgearbeitete und gefestigte Praxis der Glaubenskongregation.

Es handelt sich um ein Dokument, dessen periodische Aktualisierung vorgesehen ist, sooft die entsprechenden Vorschriften geändert werden oder die Praxis der Kongregation weitere Klärungen oder Änderungen erfordern sollte.

Aus der Überzeugung heraus, dass die in den geltenden Codices dargelegte Vorgehensweise hinreichend klar und detailliert ist, werden im Vademecum die Anweisungen über die Durchführung des gerichtlichen Strafprozesses erster Instanz bewusst nicht behandelt.

Es ist zu wünschen, dass dieses Instrument den Diözesen, den Instituten des geweihten Lebens und den Gesellschaften des apostolischen Lebens, den Bischofskonferenzen und den verschiedenen kirchlichen Jurisdiktionsbereichen hilft, die Forderungen der Gerechtigkeit hinsichtlich eines delictum gravius besser zu erfassen und umzusetzen, stellt doch jedes dieser Delikte für die ganze Kirche eine tiefe und schmerzhafte Wunde dar, die der Heilung bedarf.

I. Was ist eine Straftat?

1. Straftat im Sinne dieser Handreichung ist jeder äußere Verstoß gegen das sechste Gebot des Dekalogs, der von einem Kleriker mit einem Minderjährigen begangen wurde (vgl. can. 1395 § 2 CIC; Art. 6 § 1, 1° SST).

2. Die Typologie der Straftat ist sehr weit gefasst und kann zum Beispiel sexuelle Beziehungen (einvernehmlich oder nicht einvernehmlich), physischen Kontakt mit sexuellem Hintergrund, Exhibitionismus, Masturbation, Herstellung von Pornografie, Verleitung zu Prostitution, Gespräche und/oder Angebote sexueller Art, auch über Kommunikationsmittel, umfassen.

3. Der Begriff des „Minderjährigen“ hat hinsichtlich der fraglichen Fälle im Laufe der Zeit Veränderungen erfahren: Bis zum 30. April 2001 war damit eine Person unter 16 Jahren gemeint (auch wenn in einigen Partikulargesetzgebungen – zum Beispiel in den USA [seit 1994] und in Irland [seit 1996] – das Alter schon auf 18 Jahre angehoben worden war). Seit dem 30. April 2001 ist mit der Promulgation des Motuproprio Sacramentorum sanctitatis tutela das Alter universal auf 18 Jahre angehoben worden, und dies ist das weiterhin geltende Alter. Diese Veränderungen sind zu berücksichtigen, wenn zu entscheiden ist, ob der „Minderjährige“ wirklich ein solcher entsprechend der zum Zeitpunkt der Tat geltenden Legaldefinition war.

4. Die Tatsache, dass von „Minderjährigen“ die Rede ist, hat keine Auswirkung auf die zuweilen aus den Erkenntnissen der psychologischen Wissenschaften abgeleitete Unterscheidung zwischen Akten von „Pädophilie“ und „Ephebophilie“, d.h. mit Jugendlichen, die bereits postpubertär sind. Ihre sexuelle Reife hat keinen Einfluss auf die kanonische Definition der Straftat.

5. Mit dem Motuproprio SST in der Fassung vom 21. Mai 2010 wurde festgelegt, dass Minderjährigen jene Personen gleichgestellt werden, deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist (vgl. Art. 6 § 1, 1° SST). Hinsichtlich des Ausdrucks „schutzbedürftige Person“, der in Art. 1 § 2, b VELM als »jede Person im Zustand von Krankheit, von physischer oder psychischer Beeinträchtigung oder von Freiheitsentzug, wodurch faktisch, auch gelegentlich, ihre Fähigkeit zu verstehen und zu wollen eingeschränkt ist, zumindest aber die Fähigkeit, der Schädigung Widerstand zu leisten« beschrieben wird, ist daran zu erinnern, dass diese Definition weiter gefasste Tatbestände einschließt als die, welche in die Zuständigkeit der Glaubenskongregation fallen, die über die Minderjährigen unter 18 Jahren hinaus auf jene begrenzt bleibt, „deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist“. Andere Tatbestände außerhalb dieser Fälle werden von den jeweils zuständigen Dikasterien behandelt (vgl. Art. 7 § 1 VELM).

6. SST hat schließlich (vgl. Art. 6 § 1, 2° SST) drei neue Straftatbestände eingeführt, die eine besondere Typologie von Straftaten an Minderjährigen betreffen, nämlich den Erwerb, die (auch vorübergehende) Aufbewahrung und die Verbreitung pornografischer Darstellungen von Minderjährigen unter 14 Jahren (seit dem 1. Januar 2020: unter 18 Jahren) seitens eines Klerikers zum Zweck sexuellen Lustgewinns in jeglicher Weise und mit jeglichem Mittel. Vom 1. Juni bis 31. Dezember 2019 fällt die strafrechtliche Verfolgung des Erwerbs, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornografischen Materials, das Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren betrifft, durch Kleriker oder Mitglieder von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens in die Zuständigkeit anderer Dikasterien (vgl. Art. 1 und 7 VELM). Seit 1. Januar 2020 liegt die diesbezügliche Zuständigkeit bei der Glaubenskongregation, sofern die Tat von einem Kleriker begangen wurde.

7. Es ist hervorzuheben, dass diese drei Straftaten kanonisch nur ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von SST, also seit dem 21. Mai 2010, strafbar sind. Die Herstellung von Pornografie mit Minderjährigen hingegen fällt unter die Typologie der unter den Nummern 1-4 des vorliegenden Vademecum angegebenen Straftaten und wird infolgedessen auch vor diesem Datum geahndet.

8. Gemäß dem Ordensrecht der lateinischen Kirche (vgl. cann. 695 ff. CIC) kann die unter Nr. 1 genannte Straftat auch die Entlassung aus dem Institut zur Folge haben. Hierzu ist anzumerken:

a. Diese Entlassung ist nicht eine Strafe, sondern ein Verwaltungsakt des Obersten Leiters.

b. Um sie zu erlassen, ist das entsprechende in den cann. 695 § 2, 699, 700 CIC beschriebene Verfahren streng einzuhalten.

c. Die Bestätigung des Entlassungsdekrets nach can. 700 CIC muss bei der Glaubenskongregation beantragt werden.

d. Aus der Entlassung aus dem Institut folgen der Verlust der Eingliederung in das Institut, das Erlöschen der Gelübde und der aus der Profess hervorgehenden Pflichten (vgl. can. 701 CIC) sowie das Verbot, die empfangene Weihe auszuüben, solange die unter can. 701 CIC genannten Bedingungen nicht erfüllt sind. Die gleichen Regeln werden mit den entsprechenden Anpassungen auch auf die den Gesellschaften des apostolischen Lebens endgültig eingegliederten Mitglieder angewandt (vgl. can. 746 CIC).

II. Was ist bei erster Kenntnisnahme einer möglichen Straftat (notitia de delicto) zu tun?

a/ Was ist unter notitia de delicto zu verstehen?

9. Die notitia de delicto (vgl. can. 1717 § 1 CIC; can. 1468 § 1 CCEO; Art. 16 SST; Art. 3 VELM), die zuweilen auch notitia criminis genannt wird, ist jede Information über eine mögliche Straftat, die auf jegliche Weise den Ordinarius oder Hierarchen erreicht. Es muss sich nicht notwendigerweise um eine formelle Anzeige handeln.

10. Diese notitia kann demnach verschiedene Quellen haben: Sie kann formell dem Ordinarius oder Hierarchen mündlich oder schriftlich von dem mutmaßlichen Opfer, von seinem Vormund oder von anderen Personen, die behaupten, über die Fakten informiert worden zu sein, vorgelegt werden; sie kann zum Ordinarius oder Hierarchen während der Ausübung seiner Aufsichtspflichten gelangen; sie kann dem Ordinarius oder Hierarchen von den staatlichen Behörden entsprechend den von den örtlichen Vorschriften vorgesehenen Modalitäten vorgelegt werden; sie kann von den Massenkommunikationsmitteln (einschließlich der social media) verbreitet werden; der Ordinarius oder Hierarch kann durch sich häufende Gerüchte wie auch auf jede andere angemessene Weise davon Kenntnis erlangen.

11. Mitunter kann die notitia de delicto von einer anonymen Quelle kommen, das heißt von nicht identifizierten oder nicht identifizierbaren Personen. Die Anonymität des Anzeigenden darf nicht dazu führen, diese notitia automatisch für falsch zu halten; dennoch ist es aus gut nachvollziehbaren Gründen angemessen, große Vorsicht walten zu lassen, eine derartige notitia zu beachten. Keinesfalls darf zu anonymen Beschuldigungen ermutigt werden.

12. Ebenso ist es nicht ratsam, von vornherein eine notitia de delicto zu verwerfen, welche aus Quellen stammt, deren Glaubwürdigkeit auf den ersten Blick zweifelhaft scheinen kann.

13. Zuweilen liefert die notitia de delicto keine Details zu den Umständen (Namen, Orte, Zeiten …). Auch wenn sie vage und unbestimmt ist, muss sie einer angemessenen Wertung unterzogen und es muss ihr im Rahmen des Möglichen mit der geschuldeten Aufmerksamkeit nachgegangen werden.

14. Es ist daran zu erinnern, dass die in der Beichte erlangte Kenntnis eines delictum gravius der strengen Bindung an das Beichtgeheimnis unterliegt (cf can. 983 § 1 CIC; can. 733 § 1 CCEO; art. 4 § 1, 5° SST). Es wird daher nötig sein, dass der Beichtvater, der während der Feier des Sakraments über ein delictum gravius informiert wird, versucht, den Pönitenten zu überzeugen, seine Informationen auf anderen Wegen bekannt zu geben, um den Zuständigen in die Lage zu versetzen zu handeln.

15. Die Ausübung der dem Ordinarius oder Hierarchen zukommenden Aufsichtspflichten sieht nicht vor, dass er ständige Kontrollen und Untersuchungen zulasten der ihm unterstellten Kleriker durchzuführen hat. Sie gestattet es ihm aber auch nicht, es zu unterlassen, sich über die Verhaltensweisen in diesem Bereich auf dem Laufenden zu halten, vor allem wenn er von Verdachtsmomenten, von skandalösem Betragen oder von die Ordnung auf schwerwiegende Weise störenden Verhaltensweisen Kenntnis erhalten hat.

b/ Welche Schritte sind zu setzen, wenn man eine notitia de delicto erhalten hat?

16. Art. 16 SST (vgl. auch cann. 1717 CIC und 1468 CCEO) verfügt, dass nach Erhalt der notitia de delicto eine Voruntersuchung durchgeführt wird, sofern die notitia de delicto mindestens wahrscheinlich („saltem verisimilis“) ist. Wenn sich diese Wahrscheinlichkeit als nicht gegeben erweist, ist es möglich, der notitia de delicto nicht weiter nachzugehen, wobei jedoch darauf zu achten ist, die Dokumentation zusammen mit einer Notiz aufzubewahren, in der die Gründe für die Entscheidung dargestellt sind.

17. Auch in Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung soll die kirchliche Autorität bei den zuständigen staatlichen Behörden Anzeige erstatten, wenn sie es zum Schutz der geschädigten Person oder anderer Minderjähriger vor der Gefahr weiterer verbrecherischer Akte für unverzichtbar hält.

18. Unter anderem die Tatsache, dass die Sünden gegen das sechste Gebot des Dekalogs selten in Anwesenheit von Zeugen geschehen, verlangt besondere Sensibilität im Umgang mit dieser heiklen Materie. Deshalb wird die Feststellung, dass die notwendige Wahrscheinlichkeit fehlt, die zur Unterlassung der Voruntersuchung führen kann, nur dann zu treffen sein, wenn es offensichtlich unmöglich ist, nach den Normen des kanonischen Rechts zu verfahren, also:

- wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass die Person zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Straftat noch nicht Kleriker war,

- wenn sich augenfällig ergibt, dass das mutmaßliche Opfer nicht minderjährig war (vgl. Nr. 3 zu diesem Punkt) oder

- wenn allgemein bekannt ist, dass die beschuldigte Person sich zum Zeitpunkt der ihr zur Last gelegten Taten nicht am Ort der Straftat befunden haben konnte.

19. Auch in diesen Fällen ist es jedoch ratsam, dass der Ordinarius oder der Hierarch der Glaubenskongregation über die notitia de delicto und über die Entscheidung, von der Voruntersuchung aufgrund offenkundigen Nichtvorhandenseins der Wahrscheinlichkeit abzusehen, Meldung erstattet.

20. In diesem Fall ist daran zu erinnern, dass es – auch wenn keine Straftat mit Minderjährigen gegeben ist, aber unangemessene oder unkluge Verhaltensweisen vorliegen und es zum Schutz des Gemeinwohls und zur Vermeidung von Ärgernissen erforderlich ist – unter die Befugnisse des Ordinarius oder Hierarchen fällt, auf dem Verwaltungsweg andere Maßnahmen gegenüber der beschuldigten Person (zum Beispiel Beschränkung der Weihevollmachten) zu ergreifen, ihr Strafsicherungsmittel gemäß can. 1339 CIC aufzuerlegen, um Straftaten vorzubeugen (vgl. can. 1312 § 3 CIC), oder einen öffentlichen Verweis gemäß can. 1427 CCEO auszusprechen. Wenn nicht schwerwiegende (non graviora) Straftaten stattgefunden haben, muss der Ordinarius oder Hierarch die den Umständen angemessenen rechtlichen Schritte unternehmen.

21. Gemäß can. 1717 CIC und can. 1468 CCEO kommt die Aufgabe der Voruntersuchung dem Ordinarius oder Hierarchen, der die notitia de delicto erhalten hat, oder einer von ihm bestimmten geeigneten Person zu. Eine allfällige Nichterfüllung dieser Pflicht könnte eine Straftat darstellen, die im Sinn der beiden Codices und des Motuproprio „Come una madre amorevole“ wie auch von Art. 1 § 1, b VELM geahndet werden kann.

22. Der Ordinarius oder Hierarch, dem diese Aufgabe zukommt, kann derjenige des beschuldigten Klerikers sein oder andernfalls der Ordinarius oder Hierarch des Ortes, wo die mutmaßlichen Straftaten begangen worden sind. In diesem Fall ist – vor allem wenn der Kleriker Ordensmann ist – Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen betroffenen Ordinarien angezeigt, um Kompetenzkonflikte oder Doppelarbeiten zu vermeiden.

23. Wenn ein Ordinarius oder Hierarch bei der Einleitung oder Durchführung der Voruntersuchung auf Schwierigkeiten stößt, soll er sich unverzüglich an die Glaubenskongregation wenden, um Rat einzuholen oder eventuelle Fragen zu lösen.

24. Es kann vorkommen, dass die notitia de delicto ohne Übermittlung durch den Ordinarius oder Hierarchen direkt an die Glaubenskongregation gelangt. In diesem Fall kann die Glaubenskongregation ihn ersuchen, die Untersuchung durchzuführen, oder sie gemäß Art. 17 SST selbst durchführen.

25. Die Glaubenskongregation kann aufgrund eigenen Urteils, ausdrücklicher Anfrage oder Notwendigkeit auch einen dritten Ordinarius oder Hierarchen ersuchen, die Voruntersuchung durchzuführen.

26. Die kanonische Voruntersuchung muss unabhängig von der Existenz einer entsprechenden Ermittlung seitens der staatlichen Behörden durchgeführt werden. Falls jedoch die staatliche Gesetzgebung parallele Untersuchungen verbietet, soll die zuständige kirchliche Autorität von der Einleitung der Voruntersuchung absehen und der Glaubenskongregation von dem, was gemeldet wurde, Mitteilung erstatten und etwaige sachdienliche Unterlagen beifügen. Falls es zum Zweck der eventuellen Aneignung der Ergebnisse oder aus anderen Gründen angemessen scheint, das Ende der staatlichen Ermittlungen abzuwarten, ist es angezeigt, dass der Ordinarius oder der Hierarch sich diesbezüglich mit der Glaubenskongregation berät.

27. Die Untersuchungen sind unter Beachtung der staatlichen Gesetze des jeweiligen Landes vorzunehmen (vgl. Art. 19 VELM).

28. Es ist bekannt, dass es auch für die hier behandelten Straftaten Verjährungsfristen für die Klageerhebung gibt, die sich mit der Zeit jedoch beträchtlich verändert haben. Die gegenwärtig geltenden Fristen werden von Art. 7 SST<ref> Art. 7 SST – § 1. Unbeschadet des Rechts der Kongregation für die Glaubenslehre, von der Verjährung in einzelnen Fällen zu derogieren, unterliegt die strafrechtliche Verfolgung der Straftaten, die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehalten sind, einer Verjährungsfrist von zwanzig Jahren. § 2. Die Verjährung läuft nach can. 1362 § 2 des Kodex des kanonischen Rechts und can. 1152 § 3 des Kodex der Kanones der orientalischen Kirchen. Bei der Straftat nach Art. 6 § 1, 1° dagegen beginnt die Verjährung mit dem Tag zu laufen, an dem der Minderjährige das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat.</ref> festgelegt. Da aber derselbe Art. 7 § 1 SST der Glaubenskongregation erlaubt, in Einzelfällen von der Verjährung zu derogieren, muss der Ordinarius oder Hierarch, der festgestellt hat, dass die Fristen für die Verjährung verstrichen sind, dennoch die notitia de delicto verfolgen und allenfalls die Voruntersuchung einleiten und der Glaubenskongregation deren Ausgang mitteilen. Ihr allein steht das Urteil darüber zu, ob an der Verjährung festgehalten oder von ihr derogiert wird. Bei der Übermittlung der Akten ist es nützlich, wenn der Ordinarius oder Hierarch seine Einschätzung bezüglich der eventuellen Derogierung zum Ausdruck bringt und diese mit den aktuellen Umständen begründet (zum Beispiel: Gesundheitszustand oder Alter des Klerikers, Möglichkeit desselben zur Ausübung seines Verteidigungsrechts, durch die mutmaßliche kriminelle Handlung hervorgerufener Schaden, Erregung von Ärgernis).

29. Bei diesen heiklen Vorbereitungsschritten kann der Ordinarius oder Hierarch – wie auch zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens – den Rat der Glaubenskongregation einholen oder Experten des kanonischen Strafrechts frei konsultieren. Im letztgenannten Fall soll man aber darauf achten, jede unangemessene oder unerlaubte Verbreitung von Informationen in der Öffentlichkeit zu vermeiden, welche die sich möglicherweise anschließende Voruntersuchung beeinträchtigen oder den Eindruck erwecken könnte, die Tatsachen oder die Schuld des betreffenden Klerikers schon mit Gewissheit festgestellt zu haben.

30. Es ist hervorzuheben, dass man schon in dieser Phase an die Beobachtung des Amtsgeheimnisses gebunden ist. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass demjenigen, der Meldung erstattet, und der Person, die von sich behauptet, geschädigt worden zu sein, sowie den Zeugen in keinerlei Weise eine Schweigepflicht hinsichtlich der Tatsachen auferlegt werden kann.

31. Gemäß Art. 2 § 3 VELM muss der Ordinarius, der die notitia de delicto erhalten hat, sie unverzüglich weiterleiten, und zwar an den Ordinarius oder Hierarchen des Ortes, wo die Taten stattgefunden haben sollen, sowie an den eigenen Ordinarius oder Hierarchen der beschuldigten Person, das heißt, im Fall eines Ordensmanns an den höheren Oberen, wenn er sein Ordinarius ist, und im Fall eines Diözesanklerikers an den Ordinarius der Diözese oder an den Hierarchen der Eparchie, in die er inkardiniert ist. Sofern der Ordinarius oder Hierarch des Ortes und der eigene Ordinarius oder Hierarch nicht derselbe ist, ist es wünschenswert, dass diese miteinander Kontakt aufnehmen, um abzustimmen, wer die Untersuchung durchführt. Falls die Meldung ein Mitglied eines Instituts des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens betrifft, wird der höhere Obere auch den obersten Leiter und, im Fall von Instituten und Gesellschaften diözesanen Rechts, auch den jeweiligen Bischof informieren.

III. Wie wird die Voruntersuchung durchgeführt?

32. Die Voruntersuchung ist gemäß den Kriterien und Bestimmungen durchzuführen, die in cann. 1717 CIC oder 1468 CCEO genannt sind und an die im Folgenden erinnert wird.

a/ Was ist die Voruntersuchung?

33. Es ist immer zu beachten, dass die Voruntersuchung kein Prozess ist und ihr Ziel nicht darin besteht, moralische Gewissheit hinsichtlich der Tatsachen, die Inhalt der Anklage sind, zu gewinnen. Sie dient dazu

a. Daten für die eingehendere Prüfung der notitia de delicto zu sammeln und

b. deren Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen, also den sogenannten fumus delicti, mithin die ausreichende Grundlage der Vorwürfe in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, festzustellen.

34. Daher muss die Voruntersuchung, wie die in Nr. 32 genannten Canones anführen, detailliertere Informationen über die notitia de delicto hinsichtlich der Tatsachen, der Umstände und der strafrechtlichen Zurechenbarkeit sammeln. Es ist nicht notwendig, schon in dieser Phase eine gründliche Sammlung von Beweismitteln (Zeugnisse, Gutachten) zu erstellen, diese Aufgabe kommt dann dem eventuell anschließenden Strafverfahren zu. Wichtig ist es, die Tatsachen, auf denen die Anklage beruht, soweit wie möglich zu rekonstruieren: die Anzahl und den Zeitpunkt der strafbaren Verhaltensweisen, ihre Umstände, die Personalien der mutmaßlichen Opfer, wobei eine erste Einschätzung des eventuell verursachten physischen, psychischen oder moralischen Schadens angefügt werden soll. Dabei ist darauf zu achten, auf mögliche Beziehungen mit dem sakramentalen forum internum hinzuweisen (diesbezüglich ist jedoch die Vorschrift von Art. 24 SST<ref> Art. 24 SST – § 1. In den Verfahren über Straftaten nach Art. 4 § 1 kann das Gericht den Namen des Anklägers weder dem Angeklagten noch seinem Anwalt mitteilen, es sei denn, der Ankläger hat ausdrücklich zugestimmt. § 2. Das Gericht muss dabei mit besonderer Aufmerksamkeit die Glaubwürdigkeit des Anklägers beurteilen. § 3. Immer ist jedoch darauf zu achten, dass jedwede Gefahr einer Verletzung des Beichtgeheimnisses absolut vermieden wird.</ref> zu berücksichtigen). Es sind auch mögliche weitere dem Angeklagten vorgeworfene Straftaten anzuführen (vgl. Art. 8 § 2 SST<ref> Art. 8 SST – § 2.Dieses Oberste Gericht behandelt auch die anderen Straftaten, die dem Angeklagten vom Kirchenanwalt vorgeworfen werden, sofern dabei eine Verbindung in der Person oder über Komplizenschaft vorliegt.</ref>) sowie allfällige problematische Umstände, die aus seinem biographischen Profil hervorgehen, anzugeben. Es kann angemessen sein, Zeugnisse und Dokumente jeglicher Art und Herkunft (einschließlich der Ergebnisse von Ermittlungen oder eines Prozesses seitens einer staatlichen Behörde) zu sammeln, die dazu dienen, die weiteren Umstände der Anklage zu erhellen und ihre Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen. Eventuelle ausschließende, mildernde oder erschwerende Umstände, wie sie vom Gesetz vorgesehen sind, können bereits angegeben werden. Es kann auch hilfreich sein, schon jetzt Glaubwürdigkeitszeugnisse bezüglich der Ankläger und der mutmaßlichen Opfer zu sammeln. Im Anhang enthält das vorliegende Vademecum ein zusammenfassendes Schema der nützlichen Angaben, das der Voruntersuchungsführer berücksichtigen und ausfüllen möge (vgl. Nr. 69).

35. Falls während der Voruntersuchung Kenntnis von anderen notitiae de delicto erlangt wird, sollen sie in derselben Untersuchung genauer geprüft werden.

36. Wie bereits angedeutet, könnte die Aneignung der Ergebnisse der staatlichen Untersuchungen (oder des gesamten Prozesses vor dem staatlichen Gericht) die kanonische Voruntersuchung überflüssig machen. Der Voruntersuchungsführer soll dennoch der Bewertung der staatlichen Ermittlungen die geschuldete Aufmerksamkeit zukommen lassen, da ihre Kriterien (zum Beispiel hinsichtlich der Verjährungsfristen, der Typologie der Straftat, des Alters des Opfers,…) von den Vorschriften des kanonischen Rechts erheblich abweichen können. Auch in diesem Fall kann es ratsam sein, im Zweifel den Austausch mit der Glaubenskongregation zu suchen.

37. Im Fall einer allgemein bekannten und nicht zweifelhaften Straftat (zum Beispiel bei Aneignung der staatlichen Prozessakten oder im Fall eines Geständnisses seitens des Klerikers) kann die Voruntersuchung auch überflüssig sein.

b/ Welche Rechtsakte sind zu setzen, um die Voruntersuchung einzuleiten?

38. Wenn der zuständige Ordinarius oder Hierarch es für angemessen hält, eine andere geeignete Person für die Durchführung der Voruntersuchung einzusetzen (vgl. Nr. 21), soll er sie nach den in can. 1428 §§ 1-2 CIC oder can. 1093 CCEO<ref> Can. 1428 CIC – § 1. Der Richter oder der Vorsitzende des Kollegialgerichtes kann einen Vernehmungsrichter zur prozessualen Beweiserhebung bestimmen. Dieser ist aus den Richtern des Gerichtes oder aus den Personen auszuwählen, die vom Bischof für diese Aufgabe ermächtigt sind. § 2. Der Bischof kann zur Aufgabe eines Vernehmungsrichters Kleriker oder Laien ermächtigen, die sich durch gute Lebensführung, Klugheit und Fachkenntnisse auszeichnen.

Can. 1093 CCEO – § 1. Der Richter bzw. der Vorsitzende des Kollegialgerichts können zur Durchführung der Beweiserhebung einen Vernehmungsrichter bestellen, den sie entweder aus den Richtern des Gerichts oder aus jenen Christgläubigen auswählen, die vom Eparchialbischof für dieses Amt zugelassen worden sind. § 2. Der Eparchialbischof kann für das Amt des Vernehmungsrichters Christgläubige zulassen, die sich durch guten Charakter, Klugheit und Bildung auszeichnen.</ref> angegebenen Kriterien auswählen.

39. Bei der Ernennung des Voruntersuchungsführers unter Beachtung der Mitwirkung, die gemäß cann. 228 CIC und 408 CCEO von Laien geleistet werden kann (vgl. Art. 13 VELM), soll der Ordinarius oder Hierarch berücksichtigen, dass gemäß can. 1717 § 3 CIC und 1468 § 3 CCEO in einem späteren gerichtlichen Strafprozess dieselbe Person nicht die Aufgabe des Richters ausüben kann. Aus der Praxis empfiehlt sich, das gleiche Kriterium für die Ernennung des Bevollmächtigten (Delegaten) und der Beisitzer im Fall eines außergerichtlichen Verfahrens anzuwenden.

40. Gemäß cann. 1719 CIC und 1470 CCEO muss der Ordinarius oder Hierarch ein Dekret zur Eröffnung der Voruntersuchung erlassen, in dem er den Voruntersuchungsführer unter Angabe seiner Vollmachten gemäß can. 1717 § 3 CIC oder can. 1468 § 3 CCEO bestellt.

41. Auch wenn es das Gesetz nicht ausdrücklich vorsieht, ist es ratsam, einen Priester zum Notar zu ernennen (vgl. cann. 483 § 2 CIC und 253 § 2 CCEO, wo weitere Kriterien für die Auswahl angegeben werden), der den Voruntersuchungsführer unterstützt, um den öffentlichen Glauben der von ihm ausgefertigten Schriftstücke zu gewährleisten (vgl. cann. 1437 § 2 CIC und 1101 § 2 CCEO).

42. Es ist jedoch zu beachten, dass die Anwesenheit des Notars nicht zur Gültigkeit (ad validitatem) notwendig ist, weil es sich nicht um prozessuale Akte handelt.

43. In der Phase der Voruntersuchung ist die Ernennung eines Kirchenanwalts nicht vorgesehen.

c/ Welche ergänzenden Akte können oder müssen während der Voruntersuchung vollzogen werden?

44. Die cann. 1717 § 2 CIC und 1468 § 2 CCEO sowie die Artikel 4 § 2 und 5 § 2 VELM beziehen sich auf den Schutz des guten Rufs der beteiligten Personen (Beschuldigte, mutmaßliche Opfer, Zeugen), damit die Anzeige nicht zu Vorurteilen, Vergeltungsmaßnahmen und Diskriminierung führt. Die Voruntersuchungsführer müssen daher besondere Achtsamkeit walten lassen und alle entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen treffen, da der Schutz des guten Rufes ein Recht der Gläubigen ist, das von den cann. 220 CIC und 23 CCEO garantiert wird. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass diese Canones nur vor der rechtswidrigen Verletzung dieses Rechts schützen; wenn also das Gemeinwohl in Gefahr ist, stellt die Verbreitung von Informationen über das Bestehen einer Anklage nicht unbedingt eine Verletzung des guten Rufs dar. Darüber hinaus sollen die betroffenen Personen darüber informiert werden, dass es der Kirche im Falle einer gerichtlichen Beschlagnahme oder einer Anordnung zur Übergabe der Untersuchungsakte durch die staatlichen Behörden nicht mehr möglich sein wird, die Vertraulichkeit der im kanonischen Verfahren erworbenen Aussagen und Dokumente zu gewährleisten.

45. In jedem Fall muss man bei der Weitergabe von Informationen über den Sachverhalt, insbesondere bei jeglichen Veröffentlichungen, alle Vorsicht walten lassen, z.B. durch eine möglichst knappe, auf das Wesentliche beschränkte Formulierung, durch die Vermeidung von Sensationsmeldungen, durch den völligen Verzicht auf jede Vorwegnahme des Urteils über die Schuld oder Unschuld der angezeigten Person (die allein im entsprechenden eventuellen Strafverfahren, das der Überprüfung der Richtigkeit der Anschuldigung dient, festgestellt wird) sowie durch die Beachtung des möglicherweise von den mutmaßlichen Opfern geäußerten Wunsches nach Vertraulichkeit.

46. Da, wie bereits erwähnt, in dieser Phase die eventuelle Schuld der angezeigten Person noch nicht geklärt werden kann, ist in öffentlichen Stellungnahmen wie auch in privaten Mitteilungen jede Aussage im Namen der Kirche, des Instituts oder der Gesellschaft oder auch in eigenem Namen mit aller Sorgfalt zu vermeiden, die als Vorwegnahme des Urteils hinsichtlich der Tatsachen verstanden werden könnte.

47. Es sei auch daran erinnert, dass die Anzeigen, Prozesse und Entscheidungen im Zusammenhang mit den in Art. 6 SST genannten Straftaten dem Amtsgeheimnis unterliegen. Davon unberührt kann der Kläger – insbesondere, wenn er sich auch an die staatlichen Behörden wenden will – sein Handeln öffentlich machen. Da zudem nicht alle Formen von notitiae de delicto Anzeigen sind, ist eventuell abzuwägen, wann man zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, immer unter Berücksichtigung des in Nr. 44 erwähnten guten Rufes.

48. In diesem Zusammenhang ist zudem die Frage anzusprechen, inwieweit der Ordinarius oder Hierarch verpflichtet ist, die staatlichen Behörden über die erhaltene notitia de delicto und über die eingeleitete Voruntersuchung zu informieren. Dabei können zwei Grundsätze angewandt werden:

a. Die staatlichen Gesetze müssen respektiert werden (vgl. Art. 19 VELM).

b. Der Wille des mutmaßlichen Opfers muss respektiert werden, sofern er nicht im Widerspruch zum staatlichen Recht steht, und es soll – wie noch ausgeführt werden wird (Nr. 56) – zur Ausübung seiner Pflichten und Rechte vor den staatlichen Behörden ermutigt werden, wobei darauf zu achten ist, dass dieser Vorschlag dokumentiert und jede Form, das mutmaßliche Opfer davon abzuhalten, vermieden wird.

Diesbezüglich sind immer alle Konventionen (Konkordate, Abkommen, Vereinbarungen), die der Apostolische Stuhl mit den jeweiligen Nationen geschlossen hat, zu beachten.

49. Wenn staatliche Gesetze verlangen, dass der Ordinarius oder der Hierarch über eine notitia de delicto Auskunft gibt, ist dem nachzukommen, auch wenn vorauszusehen ist, dass es nach den staatlichen Gesetzen zu keiner Verfahrenseröffnung kommen wird (z.B. aufgrund einer eingetretenen Verjährung oder anderer Bestimmungen, die die Straftat betreffen).

50. Wenn die staatlichen Justizbehörden eine Übergabe von Dokumenten zu den Fällen rechtmäßig anordnen oder die gerichtliche Beschlagnahme derselben Dokumente verfügen, muss der Ordinarius oder Hierarch mit den staatlichen Behörden kooperieren. Bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines solchen Ersuchens oder einer solchen Beschlagnahme, sollte der Ordinarius oder Hierarch eigene Experten bezüglich der nach örtlichem Recht zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu Rate ziehen. In jedem Fall ist es angemessen, den Päpstlichen Vertreter unverzüglich zu informieren.

51. Falls es notwendig ist, einen Minderjährigen oder eine ihm gleichgestellte Person anzuhören, sind die staatlichen Normen des Landes wie auch dem Alter und dem Zustand entsprechende Modalitäten anzuwenden, die z. B. erlauben, dass der Minderjährige von einer volljährigen Person seines Vertrauens begleitet wird und ein direkter Kontakt mit dem Angeklagten vermieden wird.

52. Zu den besonders heiklen Aufgaben für den Ordinarius oder Hierarchen gehört in der Phase der Voruntersuchung die Entscheidung darüber, ob und wann der Beschuldigte informiert werden soll.

53. Für diese Aufgabe gibt es weder ein einheitliches Kriterium noch explizite Gesetzesvorschriften. Es ist notwendig, die Gesamtheit aller betroffenen Güter abzuwägen. Neben dem Schutz des guten Rufes der beteiligten Personen sind zum Beispiel auch die Gefahr einer Beeinträchtigung der Voruntersuchung oder das Ärgernis für die Gläubigen sowie die Möglichkeit, vorher alle Indizien zu sammeln, die nützlich oder notwendig sein könnten, zu beachten.

54. Wenn beschlossen wird, die beschuldigte Person anzuhören, ist es, da es sich um eine vorgerichtliche Phase handelt, nicht zwingend erforderlich, für diese einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Wenn sie es für angebracht hält, kann sie jedoch die Unterstützung eines Rechtsbeistandes ihrer Wahl in Anspruch nehmen. Der beschuldigten Person darf keine Eidesleistung abverlangt werden (vgl. ex analogia die cann. 1728 § 2 CIC und 1471 § 2 CCEO).

55. Die kirchlichen Autoritäten müssen sich dafür einsetzen, dass das mutmaßliche Opfer und seine Familie mit Würde und Respekt behandelt werden; sie müssen ihnen Annahme, Gehör und Begleitung, auch mittels geeigneter Dienste, sowie entsprechend den Besonderheiten des Falles spirituelle, medizinische und psychologische Betreuung bieten (vgl. Art. 5 VELM). Dasselbe kann in Bezug auf den Angeklagten getan werden. Man soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, dem Ausgang des Prozesses vorgreifen zu wollen.

56. In dieser Phase ist es absolut notwendig, alles zu vermeiden, was von den mutmaßlichen Opfern als Behinderung in der Ausübung ihrer Rechte gegenüber den staatlichen Behörden verstanden werden könnte.

57. Wo staatliche oder kirchliche Strukturen zur Information und Unterstützung mutmaßlicher Opfer oder zur Beratung kirchlicher Behörden bestehen, ist es gut, sich auch an diese wenden. Diese Einrichtungen dienen allein der Beratung, Orientierung und Betreuung. Ihre Analysen stellen in keiner Weise kanonische Verfahrensentscheidungen dar.

58. Zum Schutz des guten Rufes der beteiligten Personen und zum Schutz des öffentlichen Wohls sowie auch zur Vermeidung anderer Risiken (z.B. die Erregung von Ärgernis, die Gefahr der Verschleierung eventueller Beweise, das Aufkommen von Drohungen oder anderen Verhaltensweisen, die darauf abzielen, das mutmaßliche Opfer von der Ausübung seiner Rechte abzubringen, der Schutz anderer möglicher Opfer) hat der Ordinarius oder Hierarch nach Art. 19 SST das Recht, von Beginn der Voruntersuchung an die in den cann. 1722 CIC und 1473 CCEO angeführten Vorsichtsmaßnahmen zu verhängen.<ref> Can. 1722 CIC – Zur Vermeidung von Ärgernissen, zum Schutz der Freiheit der Zeugen und zur Sicherung des Laufs der Gerechtigkeit kann der Ordinarius [...] den Angeklagten vom geistlichen Dienst oder von einem kirchlichen Amt und Auftrag ausschließen, ihm den Aufenthalt an einem bestimmten Ort oder in einem Gebiet auferlegen oder untersagen oder ihm auch die öffentliche Teilnahme an der heiligen Eucharistie verbieten [...]. Can. 1473 CCEO – Um Ärgernisse zu vermeiden, die Freiheit der Zeugen zu schützen und den Lauf der Gerechtigkeit zu sichern, kann der Hierarch […] den Angeklagten von der Ausübung der heiligen Weihe, eines Amtes, Dienstes oder einer anderen Aufgabe ausschließen, ihm den Aufenthalt an einem bestimmten Ort oder in einem Gebiet auferlegen oder verbieten, oder auch den öffentlichen Empfang der Göttlichen Eucharistie untersagen [...].</ref>

59. Die in diesen Canones angeführten Vorsichtsmaßnahmen stellen eine erschöpfende Liste dar, d.h. man kann nur eine oder mehrere von ihnen auswählen.

60. Dies bedeutet nicht, dass der Ordinarius oder Hierarch entsprechend seinen Befugnissen nicht auch andere Disziplinarmaßnahmen verhängen kann, die jedoch streng genommen nicht als „Vorsichtsmaßnahmen“ definiert werden können.

d/ Wie werden Vorsichtsmaßnahmen verhängt?

61. Zunächst ist zu sagen, dass eine Vorsichtsmaßnahme keine Strafe ist (Strafen werden erst am Ende eines Strafprozesses verhängt), sondern ein Verwaltungsakt, dessen Ziele in den zitierten cann. 1722 CIC und 1473 CCEO beschrieben sind. Der nicht strafrechtliche Aspekt der Maßnahme muss dem Betroffenen deutlich gemacht werden, damit er nicht denkt, er sei bereits im Vorhinein verurteilt oder bestraft worden. Hervorzuheben ist auch, dass die Vorsichtsmaßnahmen aufgehoben werden müssen, wenn der sie veranlassende Grund wegfällt, und dass sie mit dem Abschluss eines etwaigen Strafprozesses enden. Zudem können sie geändert (verschärft oder gemildert) werden, wenn die Umstände dies erfordern. Bei der Beurteilung über den Wegfall der Gründe für die Maßnahmen ist jedoch besondere Vorsicht und eine sorgfältige Unterscheidung geboten; darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, dass sie – einmal aufgehoben – erneut verhängt werden können.

62. Häufig ist festzustellen, dass die alte Terminologie der suspensio a divinis noch immer verwendet wird, um auf das Verbot der Amtsausübung hinzuweisen, das einem Kleriker als Vorsichtsmaßnahme auferlegt wurde. Diese Bezeichnung ist, ebenso wie die der suspensio ad cautelam, zu vermeiden, denn in der geltenden Gesetzgebung ist die Suspendierung eine Strafe und eine solche kann in dieser Phase noch nicht verhängt werden. Korrekterweise wird eine solche Bestimmung z.B. als Verbot oder Untersagung der Amtsausübung bezeichnet.

63. Es ist zu vermeiden, den betreffenden Kleriker bloß mit einem anderen Amt zu betrauen oder ihn – in der Annahme, dass seine Entfernung vom Ort der mutmaßlichen Straftat oder von den mutmaßlichen Opfern eine zufriedenstellende Lösung des Falles darstellt – in einen anderen Jurisdiktionsbereich bzw. eine andere Ordensniederlassung zu versetzen.

64. Die in Nr. 58 genannten Vorsichtsmaßnahmen werden durch einen rechtmäßig bekanntgegebenen Verwaltungsbefehl für Einzelfälle auferlegt (vgl. cann. 49 ff. und 1319 CIC und 1406 und 1510 ff. CCEO).

65. Es sei daran erinnert, dass im Falle der Entscheidung, die Vorsichtsmaßnahmen zu ändern oder aufzuheben, dies durch ein rechtmäßig bekanntgegebenes eigenes Dekret geschehen muss. Am Ende eines eventuellen Verfahrens ist dies ist jedoch nicht mehr nötig, da sie in diesem Moment von Rechts wegen erlöschen.

e/ Was ist bei Abschluss der Voruntersuchung zu tun?

66. Um der Billigkeit und der vernünftigen Ausübung der Rechtsprechung willen wird empfohlen, dass die Dauer der Voruntersuchung in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Zielsetzungen steht, nämlich der Feststellung der begründeten Wahrscheinlichkeit der notitia de delicto und des entsprechenden Vorhandenseins eines fumus delicti. Die ungerechtfertigte Verlängerung der Dauer der Voruntersuchung kann eine Fahrlässigkeit der kirchlichen Autorität darstellen.

67. Wurde die Untersuchung von einer geeigneten, vom Ordinarius oder Hierarchen ernannten Person durchgeführt, so hat sie ihm alle Untersuchungsakten zusammen mit einer eigenen Beurteilung der Untersuchungsergebnisse zu übergeben.

68. Nach den cann. 1719 CIC und 1470 CCEO muss der Ordinarius oder Hierarch den Abschluss der Voruntersuchung per Dekret verfügen.

69. Gemäß Art. 16 SST hat der Ordinarius oder Hierarch nach Abschluss der Voruntersuchung und unabhängig von ihrem Ergebnis die Pflicht, schnellstmöglich eine beglaubigte Kopie der entsprechenden Akten an die Glaubenskongregation zu senden. Der Kopie der Akten und der zusammenfassenden Tabelle, die im Anhang zum vorliegenden Vademecum enthalten ist, fügt er seine eigene Bewertung der Untersuchungsergebnisse (Votum) bei und macht gegebenenfalls auch Vorschläge für das weitere Vorgehen (z.B. ob und in welcher Form er es für angebracht hält, ein Strafverfahren einzuleiten; ob die von den staatlichen Behörden verhängte Strafe als ausreichend angesehen werden kann; ob es vorzuziehen ist, dass der Ordinarius oder Hierarch Verwaltungsmaßnahmen setzt; ob die Verjährung der Straftat geltend gemacht oder eine Derogierung davon gewährt werden soll).

70. Wenn der Ordinarius oder Hierarch, der die Voruntersuchung durchgeführt hat, ein höherer Oberer ist, sollte er eine Kopie der Untersuchungsakte auch an den obersten Leiter (oder an den zuständigen Bischof im Falle von Instituten oder Gesellschaften diözesanen bzw. eparchialen Rechts) senden, da dieser in der Regel der Ansprechpartner der Glaubenskongregation sein wird. Der oberste Leiter lässt seinerseits der Glaubenskongregation ein eigenes Votum, wie in Nr. 69 beschrieben, zukommen.

71. Wenn der Ordinarius, der die Voruntersuchung durchgeführt hat, nicht der Ordinarius des Ortes der mutmaßlichen Straftat ist, teilt er diesem die Ergebnisse der Untersuchung mit.

72. Die Akten werden in einfacher Ausführung versandt; es ist hilfreich, wenn sie von einem Notar beglaubigt werden, der der Kurie angehört, wenn für die Voruntersuchung nicht eigens ein Notar ernannt wurde.

73. Die cann. 1719 CIC und 1470 CCEO sehen vor, dass die Originale aller Akten im Geheimarchiv der Kurie aufbewahrt werden.

74. Nachdem die Akten der Voruntersuchung an die Glaubenskongregation gesendet wurden, muss der Ordinarius oder Hierarch gemäß Art. 16 SST diesbezügliche Mitteilungen oder Anordnungen der Glaubenskongregation abwarten.

75. Sollten in der Zwischenzeit andere die Voruntersuchung betreffende Hinweise oder neue Anschuldigungen vorgebracht werden, sind diese selbstverständlich schnellstmöglich der Glaubenskongregation ergänzend zu übermitteln. Erscheint es sodann angemessen, die Voruntersuchung aufgrund dieser Elemente wiederaufzunehmen, ist dies der Glaubenskongregation unverzüglich mitzuteilen.

IV. Wie entscheidet die Glaubenskongregation an dieser Stelle?

76. Nach Erhalt der Akten der Voruntersuchung gibt die Glaubenskongregation für gewöhnlich dem Ordinarius, dem Hierarchen bzw. dem obersten Leiter sofortige Rückmeldung (bei Ordensleuten auch der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens; an die Kongregation für die orientalischen Kirchen, wenn der Kleriker einer orientalischen Kirche angehört; schließlich an die Kongregation für die Evangelisierung der Völker, wenn der Kleriker einem Jurisdiktionsbereich angehört, der diesem Dikasterium untersteht) und teilt dabei – falls dies nicht schon vorher geschehen ist – die dem Fall zugewiesene Protokollnummer mit. Diese ist bei jeder späteren Kommunikation mit der Glaubenskongregation anzugeben.

77. Nach sorgfältigem Studium der Akten stehen der Glaubenskongregation in einem zweiten Schritt verschiedene Handlungsmöglichkeiten offen:

- Archivierung des Falles,

- Anordnung einer eingehenderen Voruntersuchung,

- Verhängung nicht-strafrechtlicher Disziplinarmaßnahmen (normalerweise durch Strafgebot),

- Verhängung von Strafsicherungsmitteln oder Bußen,

- Ermahnungen oder Verweise,

- Eröffnung eines Strafprozesses oder

- andere Wege pastoraler Sorge.

Die Entscheidung wird dem Ordinarius zusammen mit entsprechenden Anweisungen mitgeteilt.

a/ Was sind nicht-strafrechtliche Disziplinarmaßnahmen?

78. Nicht-strafrechtliche Disziplinarmaßnahmen sind Verwaltungsakte für Einzelfälle (d.h. Akte des Ordinarius oder Hierarchen oder auch der Glaubenskongregation), durch die der Angeklagte aufgefordert wird, etwas zu tun oder zu unterlassen. In diesen Fällen werden gewöhnlich Beschränkungen bezüglich der Amtsausübung verfügt, die je nach Fall mehr oder weniger umfangreich sind, zuweilen kann der Betreffende auch verpflichtet werden, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Es wird betont, dass es sich dabei nicht um Strafen handelt, sondern um Akte der Leitungsgewalt, durch die das Gemeinwohl und die kirchliche Disziplin gewahrt und geschützt sowie Ärgernis bei den Gläubigen vermieden werden soll.

b/ Was ist ein Strafgebot?

79. Die ordentliche Form, in der diese Maßnahmen verhängt werden, ist das Strafgebot gemäß cann. 1319 § 1 CIC und 1406 § 1 CCEO. Can. 1406 § 2 CCEO stellt es einer mit Strafandrohung versehenen Verwarnung gleich.

80. Die für einen Verwaltungsbefehl erforderlichen Formalitäten wurden bereits erwähnt (cann. 49 ff. CIC und 1510 ff. CCEO). Damit es sich um ein Strafgebot handelt, muss der Text eindeutig die Strafe angeben, die verhängt wird, wenn der Adressat des Gebots den ihm auferlegten Maßnahmen zuwiderhandelt.

81. Es sei daran erinnert, dass nach can. 1319 § 1 CIC durch Verwaltungsbefehl keine Sühnestrafe für immer angedroht werden darf; außerdem muss die Strafe klar bestimmt sein. Weitere Strafausschlüsse sind in can. 1406 § 1 CCEO für die Gläubigen des orientalischen Ritus vorgesehen.

82. Gegen einen solchen Verwaltungsakt ist eine rechtmäßige Beschwerde (Rekurs) zulässig.

c/ Was sind Strafsicherungsmittel, Bußen und öffentliche Verweise?

83. Für die Definition von Strafsicherungsmitteln, Bußen und öffentlichen Verweisen wird auf cann. 1339 und 1340 § 1 CIC und can. 1427 CCEO verwiesen.<ref> Can. 1339 CIC – § 1. Denjenigen, der sich in nächster Gelegenheit befindet, eine Straftat zu begehen oder auf den aufgrund einer erfolgten Untersuchung der schwerwiegende Verdacht einer begangenen Straftat fällt, kann der Ordinarius entweder selbst oder durch einen anderen verwarnen. § 2. Demjenigen aber, aus dessen Lebenswandel ein Ärgernis oder eine schwere Verwirrung der Ordnung entsteht, kann er auch einen Verweis in einer Weise erteilen, die den besonderen Verhältnissen der Person und der Tat entspricht. § 3. Die Verwarnung und der Verweis müssen immer wenigstens aufgrund irgendeines Dokumentes feststehen, das im Geheimarchiv der Kurie aufzubewahren ist. Can. 1340 § 1 CIC: Buße, die im äußeren Forum auferlegt werden kann, ist die Auflage, irgendein Werk des Glaubens, der Frömmigkeit oder der Caritas zu verrichten. Can. 1427 CCEO – § 1: Unbeschadet des Partikularrechts erfolgt ein öffentlicher Verweis in Gegenwart eines Notars und zweier Zeugen oder durch ein Schreiben, jedoch so, dass die Annahme und der wesentliche Inhalt des Schreibens aufgrund einer Urkunde feststehen. § 2. Es ist dafür zu sorgen, dass aus dem öffentlichen Verweis selbst keine Möglichkeit für eine unangemessene Rufschädigung des Beschuldigten entsteht.</ref>

V. Welche Entscheidungen sind in einem Strafverfahren möglich?

84. Entscheidungen am Ende eines Strafverfahrens, ob gerichtlich oder außergerichtlich, können zu dreierlei Ergebnissen führen:

- Verurteilung („constat“), wenn die Schuld des Angeklagten hinsichtlich der Straftat mit moralischer Gewissheit feststeht. In diesem Fall muss die Art der verhängten oder erklärten kanonischen Sanktion ausdrücklich angegeben werden.

- Freispruch aufgrund erwiesener Unschuld („constat de non“), wenn die Unschuld des Angeklagten mit moralischer Gewissheit feststeht, weil der Tatbestand nicht erfüllt ist, der Angeklagte die Tat nicht begangen hat, die Tat vom Gesetz nicht als Straftat erfasst ist oder von einer nicht zurechnungsfähigen Person begangen wurde.

- Freispruch mangels hinreichender Gewissheit („non constat“), wenn moralische Gewissheit über die Schuld des Angeklagten nicht zu erlangen war, weil es nämlich keine oder keine hinreichenden Beweise oder aber eine widersprüchliche Beweislage darüber gibt, dass

- der Tatbestand erfüllt ist,

- der Angeklagte die Straftat begangen hat oder

- die Straftat von einer zurechnungsfähigen Person begangen wurde.

Es besteht die Möglichkeit, durch geeignete Ermahnungen, Strafsicherungsmittel und andere Wege pastoralen Bemühens für das öffentliche Wohl oder das Wohl des Angeklagten zu sorgen (vgl. can. 1348 CIC).

In der Entscheidung (durch Urteil oder Dekret) ist anzugeben, welche dieser drei Arten vorliegt, so dass Klarheit darüber herrscht, ob gilt: „constat“, „constat de non“ oder „non constat“.

VI. Welche Strafverfahren sind möglich?

85. Nach dem Gesetz gibt es drei mögliche Strafverfahren:

- den gerichtlichen Strafprozess,

- das außergerichtliche Strafverfahren,

- das Verfahren nach Art. 21 § 2, 2° SST.

86. Das Verfahren nach Art. 21 § 2, 2° SST<ref> Art. 21 § 2, 2° SST – Es steht der Kongregation für die Glaubenslehre frei: [...] 2. Sehr schwerwiegende Fälle, bei denen die begangene Straftat offenkundig ist und dem Angeklagten die Möglichkeit zur Verteidigung gegeben worden war, direkt dem Papst zur Entscheidung über die Entlassung aus dem Klerikerstand oder über die Absetzung zusammen mit der Dispens von der Zölibatsverplichtung vorzulegen.</ref> ist sehr schweren Fällen vorbehalten. Es endet mit einer direkten Entscheidung des Papstes unter unbedingter Wahrung des Verteidigungsrechts des Angeklagten, auch wenn die Begehung der Straftat offenkundig ist.

87. Hinsichtlich des gerichtlichen Strafprozesses wird auf die entsprechenden Gesetzesbestimmungen sowohl der jeweiligen Codices als auch der Artikel 8-15, 18-19, 21 § 1, 22-31 SST verwiesen.

88. Der gerichtliche Strafprozess erfordert kein zweifach gleichlautendes Urteil, daher erwächst eine eventuelle Entscheidung zweiter Instanz durch Urteil jedenfalls in Rechtkraft (res iudicata, siehe auch Art. 28 SST). Gegen ein rechtskräftig gewordenes Urteil sind nur die restitutio in integrum (sofern Elemente vorgelegt werden, die die Ungerechtigkeit des Urteils offenkundig machen, vgl. cann. 1645 CIC, 1326 CCEO) oder eine Nichtigkeitsbeschwerde (vgl. cann. 1619 ff. CIC, 1302 ff. CCEO) möglich. Für diese Art von Verfahren ist immer ein Kollegialgericht einzurichten, und zwar aus mindestens drei Richtern. Das Recht, gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einzulegen, kommt nicht nur dem Angeklagten zu, der sich durch das Urteil zu Unrecht belastet sieht, sondern auch dem Kirchenanwalt der Glaubenskongregation (vgl. Art. 26 § 2 SST).

89. Gemäß Art. 16 und 17 SST kann der gerichtliche Strafprozess in der Glaubenskongregation durchgeführt oder einem untergeordneten Gericht übertragen werden. Eine diesbezügliche Entscheidung wird den Beteiligten schriftlich rechtswirksam mitgeteilt.

90. Auch während eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Strafverfahrens können dem Beschuldigten die in den unter den Nummern 58-65 genannten Vorsichtsmaßnahmen auferlegt werden.

a/ Was ist ein außergerichtliches Strafverfahren?

91. Im außergerichtlichen Strafverfahren, manchmal auch als „Verwaltungsstrafverfahren“ bezeichnet, sind die für einen Gerichtsprozess vorgesehenen Formalitäten reduziert, um unter Wahrung der für einen gerechten Prozess vorgesehenen prozessualen Garantien (vgl. cann. 221 CIC und 24 CCEO) den Lauf der Gerechtigkeit zu beschleunigen.

92. Für Straftaten, die der Glaubenskongregation vorbehalten sind, sieht Art. 21 § 2, 1° SST in Derogierung von cann. 1720 CIC und 1486 CCEO vor, dass nur der Glaubenskongregation im Einzelfall ex officio oder auf Antrag des Ordinarius oder Hierarchen die Entscheidung zukommt, ob auf diesem Weg vorgegangen wird.

93. Wie der gerichtliche Prozess kann auch das außergerichtliche Strafverfahren vor der Glaubenskongregation stattfinden oder auf etwaigen Antrag des Ordinarius oder Hierarchen einer untergeordneten Instanz, d.h. dem Ordinarius oder Hierarchen des Angeklagten oder einem von der Glaubenskongregation beauftragten Dritten, übertragen werden. Eine diesbezügliche Entscheidung wird den Beteiligten schriftlich rechtswirksam mitgeteilt.

94. Für das außergerichtliche Strafverfahren sind in den jeweiligen Codices leicht unterschiedliche Formen vorgesehen. Sollten Zweifel bestehen, auf welchen Codex Bezug genommen werden muss (z.B. im Falle von Klerikern des lateinischen Ritus, die in den orientalischen Kirchen tätig sind, oder Klerikern des orientalischen Ritus, die in lateinischen Jurisdiktionsbezirken tätig sind), ist mit der Glaubenskongregation verbindlich zu klären, welcher Codex anzuwenden ist.

b/ Wie wird ein außergerichtliches Strafverfahren nach dem CIC durchgeführt?

95. Wenn ein Ordinarius von der Glaubenskongregation mit der Durchführung eines außergerichtlichen Strafverfahrens beauftragt wird, muss er zunächst entscheiden, ob er den Prozess persönlich leiten oder einen eigenen Bevollmächtigten (Delegat) ernennen will. Er muss zudem zwei Beisitzer bestimmen, die ihn oder seinen Bevollmächtigten in der Phase der Entscheidungsfindung unterstützen. Für ihre Auswahl empfiehlt es sich, sich an den in cann. 1424 und 1448 § 1 CIC genannten Kriterien zu orientieren. Außerdem ist ein Notar nach den in Nr. 41 genannten Kriterien zu bestellen. Die Ernennung eines Kirchenanwaltes ist nicht vorgesehen.

96. Diese Ernennungen erfolgen durch Dekret. Die Ernannten sollen eidlich verpflichtet werden, das ihnen übertragene Amt unter Wahrung der Geheimhaltungspflicht gewissenhaft auszuüben. Die Ablegung des Eids muss in den Akten festgehalten werden.

97. Danach muss der Ordinarius (oder sein Bevollmächtigter) den Prozess mittels Dekret eröffnen, mit dem der Angeklagte vorgeladen wird. Dieses Dekret hat folgende Angaben zu enthalten:

- Name der vorgeladenen Person,

- Ort und Zeit der Sitzung,

- Zweck der Vorladung (d.h. Kenntnisnahme der Anklage, auf die im Text des Dekrets kurz Bezug genommen wird, und der entsprechenden Beweismittel, die im Dekret nicht aufgelistet werden müssen) und

- Hinweise auf das Verteidigungsrecht.

98. Da es sich um strafrechtliche Materie handelt, ist es, obschon im Fall eines außergerichtlichen Verfahrens nicht ausdrücklich vom Gesetz vorgesehen, dennoch sehr angebracht, dass sich der Angeklagte gemäß cann. 1723 und 1481 §§ 1-2 CIC eines Prozessbevollmächtigen und/oder Anwalts bedient, der von ihm oder ersatzweise von Amts wegen bestellt wird. Der Name des Anwalts muss dem Ordinarius (oder seinem Bevollmächtigten) vor der Sitzung zur Bekanntgabe der Anklage und der Beweise mitgeteilt werden, und zwar im Hinblick auf die notwendige Überprüfung der erforderlichen Voraussetzungen nach can. 1483 CIC,<ref> Can. 1483 CIC – Prozessbevollmächtigter und Anwalt müssen volljährig und gut beleumundet sein; der Anwalt muss außerdem katholisch sein, sofern der Diözesanbischof davon nicht eine Ausnahme macht, und Doktor im kanonischen Recht oder sonst wirklich sachkundig sein, und er muss vom Diözesanbischof zugelassen sein.</ref> zusammen mit der vorgesehenen authentischen Vollmacht gemäß can. 1484 § 1 CIC.

99. Wenn der Angeklagte sich weigert oder es verabsäumt zu erscheinen, soll der Ordinarius (oder sein Bevollmächtigter) beurteilen, ob eine zweite Ladung vorzunehmen ist.

100. Angeklagte, die sich weigern oder es verabsäumen, der ersten oder zweiten Ladung Folge zu leisten, sind darüber zu benachrichtigen, dass das Verfahren trotz ihrer Abwesenheit weitergeführt werden wird. Darauf kann auch schon anlässlich der ersten Ladung hingewiesen werden. Wenn ein Angeklagter es verabsäumt oder sich geweigert hat zu erscheinen, soll dies protokolliert und sodann das Verfahren fortgesetzt werden.

101. In der Sitzung zur Bekanntgabe der Anklage und der Beweise sind dem Angeklagten und seinem Anwalt die Akten der Voruntersuchung vorzulegen. Sie sind darüber zu belehren, dass die Verpflichtung zur Wahrung des Amtsgeheimnisses besteht.

102. Wenn ein Fall das Sakrament der Buße betrifft, ist Art. 24 SST zu beachten. Dieser sieht vor, dass dem Angeklagten der Name des mutmaßlichen Opfers nicht mitgeteilt wird, es sei denn, das Opfer hat der Offenlegung ausdrücklich zugestimmt.

103. Die Teilnahme der Beisitzer an der Sitzung zur Bekanntgabe der Anklage und der Beweise ist nicht verpflichtend.

104. Die Bekanntgabe der Anklage und der Beweise dient dazu, dem Angeklagten die Möglichkeit zur Verteidigung einzuräumen (vgl. can. 1720, 1° CIC).

105. Die „Anklage“ beinhaltet die Straftat, wie sie sich nach Aussage des mutmaßlichen Opfers oder einer anderen Person sowie aufgrund der Ergebnisse der Voruntersuchung darstellt. Die Anklage einzureichen bedeutet sodann, dem Angeklagten die Straftat, derer er beschuldigt wird, unter Nennung zum Beispiel des Ortes des Geschehens, der Zahl und gegebenenfalls der Namen der vermutlichen Opfer, der Umstände usw. bekanntzugeben.

106. Unter „Beweismitteln“ versteht man die Gesamtheit des Materials, das während der Voruntersuchung gesammelt oder eventuell später noch zu den Akten genommen wurde, also zum Beispiel:

- die Protokolle der von den mutmaßlichen Opfern erhobenen Vorwürfe,

- die dazugehörenden Unterlagen (Krankenblätter, auf elektronischem Weg übermittelte Korrespondenz, Fotografien, Kaufnachweise, Kontoauszüge usw.),

- die Protokolle eventueller Zeugenaussagen,

- ärztliche – einschließlich psychiatrische –, psychologische, graphologische und andere Gutachten, die gesammelt oder in Auftrag gegeben wurden.

Hierbei sind auch vom staatlichen Recht auferlegte Regeln hinsichtlich der Vertraulichkeit zu beachten.

107. Mit der Eröffnung des außergerichtlichen Verfahrens werden die obengenannten „Beweismittel“, auch wenn sie vor Prozessbeginn erhoben wurden, automatisch Teil der prozessualen Beweisführung.

108. Zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens ist es erlaubt, dass der Ordinarius oder sein Bevollmächtigter die Einholung weiterer Beweise anordnet, wenn es ihm auf der Grundlage der Ergebnisse der Voruntersuchung angebracht erscheint. Dies kann auch auf Antrag des Angeklagten im Rahmen seiner Verteidigung geschehen. Der Angeklagte ist über die Ergebnisse späterer Beweiserhebungen zu unterrichten. Falls neue Anklagepunkte oder Beweismittel gefunden wurden, ist ihm in einer neuerlichen Sitzung die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen; andernfalls kann dieses Material unmittelbar als integrierender Bestandteil der Verteidigung betrachtet werden.

109. Die Verteidigung kann auf zwei Weisen erfolgen:

a. mündlich zur Niederschrift

Das Protokoll ist von allen Anwesenden (vor allem aber vom Ordinarius oder seinem Bevollmächtigten, vom Angeklagten und seinem etwaigen Anwalt sowie vom Notar) zu unterschreiben.

b. schriftlich nach Festsetzung einer angemessenen Frist

Der Schriftsatz ist dem Ordinarius oder seinem Bevollmächtigen vorzulegen.

110. Der Angeklagte ist darüber zu belehren, dass er gemäß can. 1728 § 2 CIC nicht verpflichtet ist, eine Straftat einzugestehen, und ihm auch nicht die Eidesleistung de veritate dicenda abverlangt werden kann.

111. Die Verteidigung des Angeklagten kann sich selbstverständlich aller zulässigen Mittel bedienen; beispielsweise kann er Anträge zur Anhörung von Zeugen stellen oder Unterlagen und Gutachten vorlegen.

112. Die Zulassung dieser Beweise (und insbesondere der Einholung von Erklärungen möglicher Zeugen) liegt im Ermessen der Richters, wie es das allgemeine Recht über das Streitverfahren vorsieht.<ref> Ex analogia can. 1527 § 1 CIC – Es können Beweise jeder Art erbracht werden, die zur Beurteilung einer Sache förderlich erscheinen und zulässig sind.</ref>

113. Erforderlichenfalls kann der Ordinarius oder sein Bevollmächtigter die Glaubwürdigkeit der Verfahrensbeteiligten beurteilen.<ref> Ex analogia can. 1572 CIC – Bei der Würdigung der Zeugenaussagen hat der Richter, gegebenenfalls nach Einholen von Zeugnissen, zu beachten: 1° die persönlichen Verhältnisse und die sittliche Lebensführung des Zeugen; 2° ob dieser aus eigenem Wissen, insbesondere ob er als persönlicher Augen- und Ohrenzeuge aussagt oder ob er seine eigene Meinung, ein Gerücht oder vom Hörensagen berichtet; 3° ob der Zeuge beständig ist und sich standhaft treu bleibt oder ob er unbeständig, unsicher und schwankend ist; 4° ob er Mitzeugen für seine Aussage hat oder ob diese durch andere Beweiselemente bestätigt wird oder nicht.</ref> In Bezug auf den Ankläger besteht dazu jedoch gemäß Art. 24 § 2 SST eine Pflicht, wenn das Bußsakrament betroffen ist.

114. Da es sich um einen Strafprozess handelt, ist eine Mitwirkung des Anklägers während des Prozesses nicht verpflichtend vorgesehen. Tatsächlich hat er sein Recht durch seinen Beitrag zur Erhebung der Anklage und zur Sammlung der Beweise ausgeübt. Von diesem Augenblick an wird die Anklage vom Ordinarius oder seinem Bevollmächtigen weitergeführt.

c/ Wie wird ein außergerichtliches Strafverfahren nach dem CIC abgeschlossen?

115. Der Ordinarius ersucht die beiden Beisitzer, innerhalb einer angemessenen Frist ihre Bewertung der Beweise sowie der Argumente der Verteidigung gemäß can. 1720 § 2 CIC vorzulegen. Im Dekret kann er sie auch zu einer gemeinsamen Sitzung auffordern, in deren Verlauf diese Bewertung durchgeführt werden soll. Der Zweck einer solchen Sitzung besteht darin, die Auswertung, Diskussion und Auseinandersetzung zu erleichtern. Für diese zwar fakultative, doch empfehlenswerte Sitzung sind keine besonderen rechtlichen Formalitäten vorgesehen.

116. Zuvor werden den Beisitzern die Prozessakten zugestellt und es wird ihnen eine für das Studium und die persönliche Bewertung angemessene Zeit eingeräumt. Man tut gut daran, an die Verpflichtung zur Wahrung des Amtsgeheimnisses zu erinnern.

117. Obschon vom Gesetz her nicht vorgesehen, ist es sinnvoll, wenn das Votum der Beisitzer schriftlich abgefasst wird, um die Erstellung des späteren Schlussdekretes seitens des Zuständigen zu erleichtern.

118. Zum gleichen Zweck ist es angeraten, falls die Bewertung der Beweise und der Argumente der Verteidigung während einer gemeinsamen Sitzung erfolgt, Notizen über die Beiträge und die Diskussion zu machen, auch in Form eines von allen Beteiligten unterzeichneten Protokolls. Diese Schriftstücke fallen unter das Amtsgeheimnis und dürfen nicht verbreitet werden.

119. Wenn die Straftat mit Gewissheit feststeht, muss der Ordinarius oder sein Bevollmächtigter (vgl. can. 1720, 3° CIC) ein Dekret erlassen, mit dem der Prozess abgeschlossen wird, und zugleich die Strafe, das Strafsicherungsmittel oder die Buße auferlegen, die er für angemessen hält, um das Ärgernis zu beheben, die Gerechtigkeit wiederherzustellen und der Täter zu bessern.

120. Hat der Ordinarius die Absicht, eine dauerhafte Sühnestrafe gemäß Art. 21 § 2, 1° SST zu verhängen, bedarf er hierzu eines vorausgehenden Mandates der Glaubenskongregation. Ausschließlich für diese Fälle wird so vom Verbot des can. 1342 § 2 CIC, Strafen für immer per Dekret zu verhängen, derogiert.

121. Als dauerhafte Strafen kommen nur die in can. 1336 § 1 CIC<ref> Can. 1336 § 1 CIC – Sühnestrafen, die den Täter entweder auf Dauer oder für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit treffen können, sind außer anderen, die etwa ein Gesetz festgelegt hat, folgende: 1° Verbot oder Gebot, sich in einem bestimmten Ort oder Gebiet auf zuhalten; 2° Entzug einer Vollmacht, eines Amtes, einer Aufgabe, eines Rechtes, eines Privilegs, einer Befugnis, eines Gunsterweises, eines Titels, einer Auszeichnung, auch wenn sie nur ehrenhalber verliehen wurde; 3° Verbot, das auszuüben, was unter n. 2 aufgeführt ist, oder Verbot, dieses an einem bestimmten Ort oder außerhalb eines bestimmten Ortes auszuüben; diese Verbote haben niemals die Nichtigkeit von Akten zur Folge; 4° Strafversetzung auf ein anderes Amt; 5° Entlassung aus dem Klerikerstand.</ref> genannten in Betracht, und zwar unter Berücksichtigung von cann. 1337 und 1338 CIC.<ref> Can. 1337 CIC – § 1. Das Verbot, sich in einem bestimmten Ort oder Gebiet aufzuhalten, kann sowohl Kleriker als auch Ordensleute treffen; das Aufenthaltsgebot aber kann Weltkleriker und, im Rahmen ihrer Konstitutionen, Ordensleute treffen. § 2. Damit ein Aufenthaltsgebot für einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Gebiet erlassen werden kann, muss die Zustimmung des betreffenden Ortsordinarius eingeholt werden, es sei denn, es handelt sich um ein Haus, das zur Buße oder Besserung auch für außerdiözesane Kleriker bestimmt ist. Can. 1338 CIC – § 1. Rechtsentziehungen und Verbote, die in can. 1336, § 1, nn. 2 und 3 aufgeführt werden, berühren niemals Vollmachten, Ämter, Aufgaben, Rechte, Privilegien, Befugnisse, Gunsterweise, Titel, Auszeichnungen, die nicht in der Verfügungsgewalt des die Strafe festsetzenden Oberen stehen. § 2. Einen Entzug der Weihegewalt kann es nicht geben, sondern nur das Verbot, sie selbst oder einige ihrer Akte auszuüben; ebenso kann es keine Aberkennung von akademischen Graden geben. § 3. Bezüglich der Verbote von can. 1336, § 1, n. 3 ist die Vorschrift über die Beugestrafen in can. 1335 zu beachten.</ref>

122. Da es sich um ein außergerichtliches Verfahren handelt, ist zu beachten, dass das Strafdekret, auch wenn es wie ein Urteil eine Strafe verhängt, kein Urteil darstellt, das nämlich allein am Ende eines gerichtlichen Prozesses gefällt wird.

123. Solche Dekrete sind ein persönlicher Akt des Ordinarius oder seines Bevollmächtigten, weswegen es nicht von den Beisitzern unterzeichnet, sondern nur vom Notar beglaubigt werden darf.

124. Neben den allgemeinen Formalitäten, die für jedes Dekret vorgesehen sind (vgl. cann. 48-56 CIC), soll das Strafdekret in groben Zügen die Hauptelemente der Anklage und des Verfahrenslaufs wiedergeben, vor allem aber wenigstens kurz die Gründe darlegen, auf die sich die Entscheidung in rechtlicher Hinsicht (es sind also die Canones aufzulisten, auf denen die Entscheidung beruht, also zum Beispiel jene, die die Straftat sowie etwaige mildernde, ausschließende oder erschwerende Gründe definieren; ebenso sind zumindest auf knappe Weise die Rechtsgründe anzugeben, die zur Entscheidung über deren Anwendung geführt haben) und in tatsächlicher Hinsicht stützt.

125. Die Begründung in tatsächlicher Hinsicht ist sicher der anpruchsvollste Abschnitt des Dekretes, weil dessen Verfasser die Gründe darlegen muss, aufgrund derer er durch einen Vergleich des Materials der Anklage und der in der Verteidigung vorgetragenen Argumente, über die er kurz Rechenschaft ablegen muss, zur Gewissheit gelangt ist, dass das Delikt begangen oder nicht begangen wurde oder dass keine ausreichende moralische Gewissheit gegeben ist.

126. Wohl wissend, dass nicht jeder über spezifische Kenntnisse des kanonischen Rechtes und seiner Fachsprache verfügt, ist es für ein Strafdekret erforderlich, dass vorrangig die angestellten Überlegungen hervorgehoben werden, anstatt bloß auf Details der Terminologie zu achten. Gegebenenfalls sollte die Hilfe kompetenter Personen in Anspruch genommen werden.

127. Die Bekanntgabe des Dekrets in seiner Gesamtheit (also nicht nur des Tenors) erfolgt mit den vorgesehenen rechtlichen Mitteln (vgl. cann. 54-56 CIC<ref> Can. 54 – §1. Ein Dekret, dessen Anwendung einem Vollzieher übertragen wird, hat vom Zeitpunkt des Vollzuges an Rechtswirkung, andernfalls von dem Zeitpunkt an, zu dem es der Person durch die die Entscheidung fällende Autorität mitgeteilt wird. § 2. Damit ein Dekret geltend gemacht werden kann, ist es in einem rechtmäßigen Dokument nach Maßgabe des Rechtes mitzuteilen. Can. 55 – Unbeschadet der Vorschrift der cann. 37 und 51 gilt ein Dekret, falls der Aushändigung des schriftlichen Textes des Dekretes ein sehr schwerwiegender Grund entgegensteht, als mitgeteilt, wenn es dem, für den es bestimmt ist, vor einem Notar oder zwei Zeugen verlesen wird, wobei die hierüber angefertigten Schriftstücke von allen Anwesenden zu unterschreiben sind. Can. 56 – Ein Dekret gilt als mitgeteilt, wenn der, für den es bestimmt ist, rechtmäßig geladen ist, das Dekret entgegenzunehmen oder zu hören, und ohne gerechten Grund nicht erschienen ist oder sich weigerte zu unterschreiben.</ref>) und muss in gebührender Form feststehen.

128. In jedem Fall muss jedoch der Glaubenskongregation eine beglaubigte Kopie der Prozessakten (falls sie nicht schon übermittelt wurden) und des bekanntgegebenen Dekrets zugeschickt werden.

129. Wenn die Glaubenskongregation beschließt, das außergerichtliche Strafverfahren an sich zu ziehen, gehen alle ab der Nr. 91 vorgesehenen Vollzüge offensichtlich zu ihren Lasten, unbeschadet des Rechts, die untergeordneten Gerichte nötigenfalls zur Mitwirkung aufzufordern.

d/ Wie wird ein außergerichtliches Strafverfahren nach dem CCEO durchgeführt?

130. Wie unter Nr. 94 angegeben, wird weist das außergerichtliche Strafverfahren nach dem CCEO einige diesem Recht eigentümliche Besonderheiten auf. Für eine flüssigere Darlegung und zur Vermeidung von Wiederholungen werden im Folgenden nur diese Besonderheiten angeführt. Die bis hierher auf Basis des CIC beschriebene Vorgehensweise muss daher folgendermaßen angepasst werden.

131. Zur Gültigkeit des Strafdekrets ist can. 1486 CCEO genauestens zu befolgen.

132. Beim außergerichtlichen Strafverfahren nach dem CCEO sind keine Beisitzer anwesend, stattdessen ist aber die Anwesenheit des Kirchenanwalts verpflichtend.

133. Die Sitzung zur Bekanntgabe der Anklage und der Beweise muss in Anwesenheit des Kirchenanwalts und des Notars stattfinden.

134. Gemäß can. 1486 § 1, 2° CCEO darf die Sitzung zur Bekanntgabe der Anklage und der Beweise – und folglich auch die Entgegennahme von Akten der Verteidigung – einzig und allein in mündlicher Verhandlung stattfinden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass bereits in dieser Verhandlung eine Verteidigungsschrift überreicht werden kann.

135. Auf Grundlage der der Schwere der Straftat ist mit besonderer Aufmerksamkeit abzuwägen, ob die unter can. 1426 § 1 CCEO angeführten Strafen wirklich angemessen sind, um can. 1401 CCEO gerecht zu werden. Bei der Entscheidung über die aufzuerlegende Strafe sollen die cann. 1429<ref> Can. 1429 CCEO – § 1. Das Verbot, sich in einem bestimmten Ort oder Gebiet aufzuhalten, kann nur Kleriker oder Ordensleute oder Mitglieder einer ordensähnlichen Gesellschaft des gemeinsamen Lebens treffen, der Befehl aber, sich in einem bestimmten Ort oder Gebiet aufzuhalten, betrifft nur die der Eparchie askribierten Kleriker, unbeschadet des Rechts der Institute des geweihten Lebens. § 2. Damit der Befehl, sich in einem bestimmten Ort oder Gebiet aufzuhalten, verhängt werden kann, ist die Zustimmung des Ortshierarchen erforderlich, wenn es sich nicht entweder um ein Haus eines Instituts des geweihten Lebens päpstlichen oder patriarchalen Rechts handelt; in welchem Fall die Zustimmung des zuständigen Oberen erforderlich ist, oder um ein Haus, das zur Buße oder Besserung für Kleriker mehrerer Eparchien bestimmt ist.</ref> und 1430<ref> Can. 1430 CCEO – § 1. Strafweise erfolgende Rechtsentziehungen können nur jene Vollmachten, Ämter, Dienste, Aufgaben, Rechte, Privilegien, Befugnisse, Gunsterweise, Titel, Auszeichnungen betreffen, die in der Verfügungsgewalt der Autorität sind, die die Strafe festsetzt, oder des Hierarchen, der den Strafprozess veranlasst hat oder die Strafe durch ein Dekret verhängt; dasselbe gilt für die Strafversetzung auf ein anderes Amt. § 2. Einen Entzug der heiligen Weihe kann es nicht geben, sondern nur das Verbot, alle oder einige ihrer Akte auszuüben nach Maßgabe des gemeinsamen Rechts; ebenso kann es keine Aberkennung akademischer Grade geben.</ref> CCEO befolgt werden.

136. Der Hierarch oder sein Bevollmächtigter hat zu beachten, dass gemäß Art. 21 § 2, 1° SST die Verbote des can. 1402 § 2 CCEO außer Kraft gesetzt sind. Daher kann er eine dauerhafte Sühnestrafe per Dekret verhängen, doch nur nachdem er das vorausgehende Mandat der Glaubenskongregation gemäß Art. 21 § 2, 1° SST erhalten hat.

137. Für die Abfassung des Strafdekrets gelten die Bestimmungen der Nummern 119-126.

138. Die Bekanntgabe des Dekrets erfolgt gemäß can. 1520 CCEO und ist angemessen zu dokumentieren.

139. Für alles, was in den vorangegangenen Nummern nicht gesagt worden ist, beziehe man sich auf die Bestimmungen über das außergerichtliche Verfahren gemäß CIC, einschließlich einer möglichen Durchführung des Prozesses vor der Glaubenskongregation.

e/ Fällt das Strafdekret unter das Amtsgeheimnis?

140. Wie bereits in Nr. 47 erläutert, fallen die Prozessakten und die Entscheidung unter das Amtsgeheimnis. Alle Prozessbeteiligten sind darüber zu belehren.

141. Das Dekret muss dem Angeklagten vollständig bekanntgegeben werden. Die Bekanntgabe erfolgt an seinen Prozessbevollmächtigen, sofern er sich eines solchen bedient hat.

VII. Was geschieht, wenn ein Strafverfahren zu Ende geht?

142. Je nach Art des Verfahrens gibt es für die beteiligten Parteien unterschiedliche Möglichkeiten.

143. Gegen eine Entscheidung nach Art. 21 § 2, 2° SST ist, weil es sich um einen Akt des Papstes handelt, kein Rechtsmittel zulässig (vgl. cann. 333 § 3 CIC und 45 § 3 CCEO).

144. Im Fall eines gerichtlichen Strafprozesses stehen die vom Gesetz vorgesehenen Rechtsmittel zur Verfügung, nämlich die Nichtigkeitsbeschwerde, die restitutio in integrum und die Berufung (Appell).

145. Nach Art. 20, 1° SST kann als einziges Gericht zweiter Instanz die Glaubenskongregation angerufen werden.

146. Um Berufung einzulegen, sind die Bestimmungen des Gesetzes zu befolgen. Dabei ist sorgfältig zu beachten, dass Art. 28, 2° SST die Berufungsfristen ändert und eine ausschließliche Frist von einem Monat festlegt, die nach Maßgabe der cann. 202 § 1 CIC und 1545 § 1 CCEO zu berechnen ist.

147. Im Fall eines außergerichtlichen Verfahrens besteht die Möglichkeit, gegen das abschließende Dekret gemäß den vom Recht – d.h. von den cann. 1734 ff. CIC und 1487 CCEO – vorgesehenen Fristen Beschwerde einzulegen (vgl. Punkt VIII.).

148. Berufungen und Beschwerden haben gemäß cann. 1353 CIC sowie 1319 und 1487 § 2 CCEO bezüglich des Eintritts der Strafe aufschiebende Wirkung.

149. Da die Strafe ausgesetzt ist und man in eine ähnliche Phase wie vor dem Prozess zurückgekehrt ist, bleiben die Vorsichtsmaßnahmen in Kraft, wie unter Nrn. 58-65 beschrieben.

VIII. Was ist im Fall einer Beschwerde (Rekurs) gegen ein Strafdekret zu tun?

150. Das Gesetz sieht gemäß den Codices verschiedene Modalitäten vor:

a/ Was sieht der CIC im Fall einer Beschwerde gegen ein Strafdekret vor?

151. Wer Beschwerde gegen ein Strafdekret einlegen will, muss den Verfasser (Ordinarius oder dessen Bevollmächtigter) gemäß can. 1734 CIC innerhalb einer ausschließenden Nutzfrist von zehn Tagen nach rechtmäßiger Bekanntgabe des Dekretes zunächst um dessen Abänderung bitten.

152. Gemäß can. 1735 CIC kann derjenige, der das Dekret erlassen hat, innerhalb von dreißig Tagen nach Empfang des Antrages als Antwort darauf entweder sein Dekret abändern (zuvor aber empfiehlt es sich, sich direkt mit der Glaubenskongregation zu beraten) oder den Antrag abweisen. Er hat auch die Möglichkeit, nicht zu antworten.

153. Gegen das abgeänderte Dekret, die Abweisung seines Antrags oder das Schweigen seitens dessen, der das Dekret erlassen hat, kann der Beschwerdeführer oder dessen Prozessbevollmächtigter sich direkt oder über den Urheber des Dekrets (vgl. can. 1737 § 1 CIC), an die Glaubenskongregation wenden, und zwar innerhalb einer ausschließenden Nutzfrist von 15 Tagen (vgl. can. 1737 § 2 CIC).<ref> Can. 1737 § 2 CIC – Die Beschwerde ist innerhalb einer ausschließenden Nutzfrist von fünfzehn Tagen einzureichen; die Beschwerdefrist läuft […] nach Maßgabe von can. 1735.</ref>

154. Wenn die hierarchische Beschwerde beim Urheber des Dekrets eingereicht wurde, muss dieser sie sofort an die Glaubenskongregation weiterleiten (vgl. can. 1737 § 1 CIC). Danach (wie auch im Fall, dass die Beschwerde direkt bei der Glaubenskongregation eingelegt wurde) muss der Urheber des Dekrets einzig und allein etwaige Instruktionen oder Nachfragen der Glaubenskongregation abwarten, die ihn auf jeden Fall über den Ausgang der Prüfung der Beschwerde unterrichten wird.

b/ Was sieht der CCEO im Fall einer Beschwerde gegen ein Strafdekret vor?

155. Der CCEO sieht eine im Vergleich zum CIC einfachere Vorgehensweise vor, nämlich dass die Beschwerde innerhalb einer Nutzfrist von zehn Tagen nach der Mitteilung des Dekrets direkt bei der Glaubenskongregation eingelegt wird (vgl. can. 1487 § 1 CCEO).

156. In diesem Fall muss derjenige, der das Dekret erlassen hat, nichts tun, außer etwaige Instruktionen oder Anfragen der Glaubenskongregation abzuwarten, die ihn auf jeden Fall über den Ausgang der Prüfung der Beschwerde unterrichten wird. Der Hierarch ist gehalten, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde, von der unter der Nr. 148 die Rede ist, zu beachten.

IX. Was ist in jedem Fall zu berücksichtigen?

157. Ab der notitia de delicto hat der Angeklagte das Recht, einen Antrag auf Dispens von allen Pflichten des klerikalen Standes, einschließlich des Zölibats, und gleichzeitig von etwaigen Ordensgelübden zu stellen. Der Ordinarius oder Hierarch muss ihn in klarer Weise über dieses sein Recht informieren. Will der Kleriker von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, muss er ein entsprechendes schriftliches Gesuch an den Heiligen Vater richten, in dem er sich vorstellt und kurz seine Beweggründe darlegt. Der Antrag, der vom Bittsteller eindeutig datiert und unterzeichnet sein muss, ist mit dem Votum des Ordinarius oder Hierarchen bei der Glaubenskongregation einzureichen. Diese sorgt ihrerseits für die Weiterleitung an den Heiligen Vater und übermittelt – falls das Gesuch angenommen wird – das entsprechende Reskript an den Ordinarius oder Hierarchen mit der Bitte, die rechtmäßige Bekanntgabe an den Bittsteller zu veranlassen.

158. Gegen alle Verwaltungsakte für Einzelfälle, die von der Glaubenskongregation erlassen oder approbiert wurden, kann Beschwerde gemäß Art. 27 SST eingelegt werden.<ref> Art. 27 SST – Gegen Verwaltungsakte für Einzelfälle, welche die Kongregation für die Glaubenslehre in den Verfahren über ihr vorbehaltene Straftaten erlassen oder approbiert hat, kann innerhalb der ausschließlichen Nutzfrist von sechzig Tagen eine Verwaltungsbeschwerde an die Ordentliche Versammlung des Dikasteriums (Feria IV) eingelegt werden, die über deren Begründung und Rechtmäßigkeit entscheidet. Es besteht keine Möglichkeit eines weiteren Rekurses gemäß Art. 123 der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus.</ref> Um zugelassen werden zu können, muss die Beschwerde klar das petitum benennen und die Begründungen in iure und in facto enthalten, auf die sie sich stützt. Der Beschwerdeführer muss sich immer eines zugelassenen Anwalts bedienen.

159. Wenn eine Bischofskonferenz, der Aufforderung der Glaubenskongregation von 2011 entsprechend, eigene Leitlinien bezüglich der Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen verfasst hat, sind auch diese zu berücksichtigen.

160. Mitunter kommt es vor, dass die notitia de delicto einen bereits verstorbenen Kleriker betrifft. In diesem Fall kann keine Art von Strafverfahren eingeleitet werden.

161. Wenn ein beschuldigter Kleriker während der Voruntersuchung stirbt, ist es nicht möglich, anschließend ein Strafverfahren zu eröffnen. Es wird dem Ordinarius oder Hierarchen jedoch empfohlen, die Glaubenskongregation gleichermaßen darüber zu unterrichten.

162. Stirbt ein angeklagter Kleriker während des Strafprozesses, ist dies der Glaubenskongregation mitzuteilen.

163. Wenn während der Voruntersuchung ein beschuldigter Kleriker diesen kanonischen Stand infolge der Gewährung einer Dispens oder aufgrund einer bei einem anderen Verfahren verhängten Strafe verloren hat, mögen der Ordinarius oder Hierarch abwägen, ob es angebracht ist, die Voruntersuchung aus pastoraler Liebe und wegen der Forderungen der Gerechtigkeit gegenüber den mutmaßlichen Opfern zu Ende zu führen. Wenn dies während des bereits eingeleiteten Strafprozesses geschieht, dann kann dieser jedenfalls zu Ende geführt werden, zumindest um die Verantwortung für eine etwaige Straftat festzustellen und mögliche Strafen zu verhängen. Es ist nämlich zu beachten, dass es bei der Definition des delictum gravius darauf ankommt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der etwaigen Straftat – und nicht zum Zeitpunkt des Verfahrens – Kleriker war.

164. Unter Wahrung der Anordnungen der Instruktion über die Vertraulichkeit der Fälle vom 6. Dezember 2019 möge die zuständige kirchliche Autorität (Ordinarius oder Hierarch) das mutmaßliche Opfer und den Angeklagten, falls sie darum bitten, auf gebührende Weise über die einzelnen Phasen des Verfahrens unterrichten. Dabei trage sie dafür Sorge, nichts bekannt zu geben, was dem Päpstlichen Geheimnis oder dem Amtsgeheimnis unterliegt und/oder durch Verbreitung Dritten zum Schaden gereichen könnte.

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Dieses Vademecum beansprucht nicht, die Ausbildung der kirchlichen Rechtsanwender, insbesondere was das Straf- und Prozessrecht betrifft, zu ersetzen. Nur eine gründliche Kenntnis des Rechts und seiner Zwecke kann der Wahrheit und der Gerechtigkeit – die im Bereich der delicta graviora aufgrund der tiefen Wunden, die diese Straftaten der kirchlichen Gemeinschaft zufügen, mit besonderer Sorgfalt zur Geltung gebracht werden müssen – den gebührenden Dienst erweisen.

Anmerkungen

<references />

Weblinks