Katechumenale Wege für das Eheleben. Pastorale Leitlinien für die Teilkirchen (Wortlaut)

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Schreiben

Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben
von Papst
Franziskus
Katechumenale Wege für das Eheleben. Pastorale Leitlinien für die Teilkirchen
15. Juni 2022

(Quelle: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 237, Bonn 2023)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Vorwort des Heiligen Vaters Franziskus

„Die christliche Verkündigung über die Familie ist wirklich eine frohe Botschaft“ (Amoris laetitia, 1). Dieser Satz aus dem Abschlussbericht der Bischofssynode (Relatio finalis) über die Familie verdiente es, das Apostolische Schreiben Amoris laetitia zu eröffnen. Denn die Kirche ist in jeder Epoche aufgerufen, die im Ehesakrament und in dem daraus hervorgehenden Familienleben enthaltene Schönheit und überreiche Gnade neu zu verkünden, besonders den jungen Menschen. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Schreibens sollte das „Jahr der Familie Amoris laetitia“ die Familie wieder in den Mittelpunkt stellen und dazu einladen, über die Themen des Apostolischen Schreibens nachzudenken, sowie der ganzen Kirche neuen Schwung verleihen bei ihrem freudigen Einsatz der Evangelisierung für die Familien und mit den Familien.

Zu den Früchten dieses besonderen Jahres gehören die Katechumenalen Wege für das Eheleben, die ich jetzt den Hirten, den Eheleuten sowie allen, die in der Familienpastoral tätig sind, mit Freuden anvertraue. Es handelt sich um ein pastorales Hilfsmittel, das vom Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben verfasst wurde, einer Weisung folgend, die ich wiederholt zum Ausdruck gebracht habe: „die Notwendigkeit eines ,neuen Katechumenats‘ zur Vorbereitung auf die Ehe“; denn es ist „dringend notwendig, konkret umzusetzen, was in Familiaris consortio (Nr. 66) bereits vorgeschlagen wurde: so wie für die Erwachsenentaufe das Katechumenat Teil des sakramentalen Prozesses ist, muss auch die Ehevorbereitung zum festen Bestandteil des ganzen sakramentalen Prozedere der Eheschließung werden, als Gegenmittel, das die Zunahme ungültiger oder unbeständiger Eheschließungen verhindert“ (Ansprache an die Römische Rota, 21. Januar 2017).

Hier wurde unmissverständlich die ernsthafte Besorgnis deutlich, dass Paare mit einer zu oberflächlichen Vorbereitung der wirklichen Gefahr entgegengehen, eine ungültige Eheschließung zu feiern, oder eine, deren Grundlagen so schwach sind, dass sie innerhalb kürzester Zeit „zerfällt“ und nicht einmal den ersten unvermeidlichen Krisen standhalten kann. Ein solches Scheitern bringt großes Leiden mit sich und hinterlässt tiefe Wunden bei den Menschen. Diese sind enttäuscht, verbittert und glauben in den schmerzlichsten Fällen nicht einmal mehr an die Berufung zur Liebe, die Gott selbst in das Herz des Menschen eingeschrieben hat. Es gibt also in erster Linie eine Pflicht, jene, die die Absicht äußern, den Ehebund zu schließen, verantwortungsbewusst zu begleiten, damit sie vor dem Trauma der Trennung bewahrt bleiben und nie das Vertrauen in die Liebe verlieren.

Wir müssen aber auch von einem Gerechtigkeitssinn beseelt sein. Die Kirche ist Mutter, und eine Mutter zieht keines ihrer Kinder vor. Sie behandelt sie nicht ungleich, sie widmet allen dieselbe Fürsorge, dieselbe Aufmerksamkeit, dieselbe Zeit. Jemandem Zeit zu widmen ist ein Zeichen der Liebe: Wenn wir einem Menschen keine Zeit widmen, dann ist das ein Zeichen, dass wir ihn nicht lieben. Das kommt mir oft in den Sinn, wenn ich daran denke, dass die Kirche der Ausbildung der Kandidaten für das Priesteramt oder für das Ordensleben viel Zeit, einige Jahre, widmet, aber wenig Zeit – nur einige Wochen – jenen, die sich auf die Ehe vorbereiten. Wie die Priester und die geweihten Personen sind auch die Eheleute Kinder der Mutter Kirche, und eine so große Ungleichbehandlung ist nicht gerecht. Die Ehepaare stellen den größten Teil der Gläubigen dar, und oft sind sie tragende Säulen in den Pfarrgemeinden, in den ehrenamtlichen Gruppen, in den Verbänden, in den Bewegungen. Sie sind wahre „Hüter des Lebens“: nicht nur, weil sie Kinder zur Welt bringen, sie erziehen und sie beim Heranwachsen begleiten, sondern auch, weil sie Sorge tragen für die alten Menschen in der Familie, sich dem Dienst an den Menschen mit Behinderung widmen und oft auch vielen Situationen der Armut, mit denen sie in Berührung kommen. Aus den Familien entstehen die Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben; und die Familien sind es, die das Gesellschaftsgefüge bilden und seine „Risse flicken“, mit Geduld und täglichen Opfern. Es ist daher eine Pflicht der Gerechtigkeit für die Mutter Kirche, der Vorbereitung jener, die der Herr zu einer so großen Sendung wie der zur Familie beruft, Zeit und Kraft zu widmen.

Daher habe ich, um dieser dringenden Notwendigkeit Konkretheit zu verleihen, „empfohlen, ein wahres Katechumenat der zukünftigen Brautleute einzurichten, das alle Etappen des sakramentalen Weges einschließt: die Zeit der Vorbereitung auf die Ehe, die Eheschließung und die unmittelbar darauffolgenden Jahre“ (Ansprache an die Teilnehmer des Kurses zum Eheprozessrecht, 25. Februar 2017). Das soll das Dokument tun, das ich hier vorstelle und für das ich dankbar bin. Es ist in drei Phasen unterteilt: Ehevorbereitung (ferne, nahe und unmittelbare); Trauung; Begleitung der ersten Jahre des Ehelebens. Wie Ihr sehen werdet, geht es darum, eine wichtige Wegstrecke gemeinsam mit den Paaren auf ihrem Lebensweg zu gehen, auch nach der Eheschließung, vor allem, wenn sie vielleicht Krisen und Zeiten der Entmutigung durchmachen. So werden wir versuchen, der Kirche treu zu sein, die Mutter, Lehrmeisterin und Wegbegleiterin ist, stets an unserer Seite. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass auf dieses erste Dokument so bald wie möglich ein weiteres folgen möge, in dem die konkreten pastoralen Bedingungen und möglichen Wege zur Begleitung aufgezeigt werden, die insbesondere jenen Paaren gewidmet sind, die das Scheitern ihrer Ehe erfahren haben und in einer neuen Verbindung leben oder zivil wiederverheiratet sind. Denn die Kirche möchte diesen Paaren nahe sein und auch mit ihnen die „via caritatis“ beschreiten (vgl. Amoris laetitia, 306), damit sie sich nicht verlassen fühlen und in den Gemeinden zugängliche und geschwisterliche Orte der Annahme, der Hilfe zur Entscheidungsfindung und der Teilhabe finden mögen.

Dieses erste Dokument, das angeboten wird, ist ein Geschenk und eine Aufgabe. Ein Geschenk, weil es allen überreiches und anregendes Material zur Verfügung stellt, Frucht der Reflexion und der pastoralen Erfahrungen, die in verschiedenen Diözesen/Eparchien der Welt bereits umgesetzt worden sind. Und es ist auch eine Aufgabe, denn es handelt sich nicht um „Zauberformeln“, die automatisch funktionieren. Es ist ein Gewand, das „maßgeschneidert“ werden muss für die Menschen, die es tragen werden. Denn es handelt sich um Leitlinien, die angenommen, angepasst und in den konkreten gesellschaftlichen, kulturellen und kirchlichen Situationen, in denen eine jede Teilkirche lebt, in die Praxis umgesetzt werden müssen. Ich appelliere daher an die Fügsamkeit, an den Eifer und an die Kreativität der Hirten der Kirche und ihrer Mitarbeiter, dieses lebenswichtige und unverzichtbare Werk der Ausbildung, der Verkündigung und der Begleitung der Familien, das der Heilige Geist uns in diesem Augenblick zu verwirklichen bittet, wirksamer zu gestalten.

Ich habe euch „nichts verschwiegen [...] von dem, was heilsam ist. Ich habe es euch verkündet und habe euch gelehrt, öffentlich und in den Häusern“ (Apg 20,20). Ich lade alle ein, die in der Familienpastoral tätig sind, sich diese Worte des Apostels Paulus zu eigen zu machen und sich nicht entmutigen zu lassen angesichts einer Aufgabe, die schwierig oder anspruchsvoll erscheint, oder von der man sogar meint, sie würde die eigenen Möglichkeiten übersteigen. Nur Mut! Beginnen wir mit den ersten Schritten! Setzen wir Prozesse der pastoralen Erneuerung in Gang! Stellen wir den Verstand und das Herz in den Dienst der zukünftigen Familien, und ich versichere euch, dass der Herr uns stützen wird, dass er uns Weisheit und Kraft schenken wird, bei uns allen die Begeisterung wachsen lassen und uns vor allem „die innige und tröstliche Freude der Verkündigung des Evangeliums“ (Evangelii gaudium, 9) erfahren lassen wird, während wir den neuen Generationen das Evangelium der Familie verkündigen.

FRANZISKUS

Einleitung: Der Vorschlag des Heiligen Vaters Franziskus für ein „Ehekatechumenat“

1. Der Heilige Vater Franziskus hat mehrfach seine Sorge innerhalb der Kirche um eine bessere und gründlichere Vorbereitung junger Paare auf die Ehe zum Ausdruck gebracht und auf die Notwendigkeit eines relativ breiten, vom Taufkatechumenat inspirierten Weges hingewiesen, der es ihnen, ausgehend von einer Glaubenserfahrung und einer Begegnung mit Jesus, ermöglichen würde, das Sakrament der Ehe bewusster zu leben.1 <ref>„[Ich] möchte [...] die Notwendigkeit eines ,neuen Katechumenats‘ zur Vorbereitung auf die Ehe noch einmal betonen. Dem Wunsch der Väter der letzten ordentlichen Synode entsprechend ist es dringend notwendig, konkret umzusetzen, was in Familiaris consortio (Nr. 66) bereits vorgeschlagen wurde: so wie für die Erwachsenentaufe das Katechumenat Teil des sakramentalen Prozesses ist, muss auch die Ehevorbereitung zum festen Bestandteil des ganzen sakramentalen Prozedere der Eheschließung werden, als Gegenmittel, das die Zunahme ungültiger oder unbeständiger Eheschließungen verhindert.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (21. Januar 2017); vgl. auch Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (29. Januar 2018); Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 205–211: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 204 (Bonn 2016), S. 146–151.</ref>

2. Das vorliegende Dokument greift auf, was bereits in einem Dokument des damaligen Päpstlichen Rates für die Familie<ref> PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996): Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 127 (Bonn 1996).</ref> zu diesem Thema gesagt wurde, und soll eine Antwort auf dieses Anliegen des Heiligen Vaters und eine Hilfe für die Teilkirchen sein, wenn es darum geht, ihre Wege der Vorbereitung auf das Ehesakrament sowie die Begleitung der ersten Jahre des Ehelebens zu überdenken oder neu zu gestalten. Diese Pastoralen Leitlinien sind aber nicht als strukturierter und vollständiger „Ehevorbereitungskurs“ zu verstehen, der in Form und Inhalt für die normale pastorale Arbeit geeignet ist. Vielmehr sollen einige allgemeine Grundsätze und ein konkreter und umfassender pastoraler Vorschlag dargelegt werden, den jede Ortskirche bei der Ausarbeitung ihres eigenen Katechumenatsweges für das Eheleben berücksichtigen soll, um so auf kreative Weise auf den Aufruf des Papstes zu antworten.<ref>„Es wird dann Aufgabe der verschiedenen Gemeinschaften sein, stärker praxisorientierte und wirkungsvolle Vorschläge zu erarbeiten, die sowohl die Lehre der Kirche als auch die Bedürfnisse und Herausforderungen vor Ort berücksichtigen.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 199: a. a. O., S. 142.</ref>

3. Die gegenwärtige Situation erfordert eine erneute pastorale Anstrengung, um die Vorbereitung auf das Ehesakrament in den Diözesen/Eparchien und Pfarreien aller Kontinente zu verstärken. Die immer weniger werdenden Eheschließungen im Allgemeinen, aber auch und vor allem die kurze Dauer der Ehen, selbst der sakramentalen, sowie das Problem der Gültigkeit der geschlossenen Ehen stellen eine dringende Herausforderung dar, die die Erfüllung und das Glück so vieler gläubiger Laien in der Welt aufs Spiel setzt. Die Ursache vieler Schwierigkeiten, welche die Familien erleben müssen, liegt in einer offensichtlichen Zerbrechlichkeit der Ehe, die wiederum durch eine Reihe von Faktoren verursacht wird, wie z. B.: die hedonistische Mentalität, welche die Schönheit und Tiefe der menschlichen Sexualität verzerrt, die Selbstbezogenheit, die es schwierig macht, die Verpflichtungen des Ehelebens zu übernehmen, ein begrenztes Verständnis der Gabe des Ehesakraments, der Bedeutung der ehelichen Liebe und ihres Charakters als echte Berufung, d. h. als Antwort auf den Ruf Gottes an den Mann und die Frau, die sich für die Ehe entscheiden, usw. Die Sorge, die die Mutter Kirche gegenüber diesen ihren Kindern, die der Hilfe und Führung bedürfen, empfindet, muss uns dazu bringen, neue Energien zugunsten der Paare zu investieren, „damit ihre Erfahrung der Liebe zum Sakrament, zum wirksamen Zeichen des Heils, werden kann“.<ref>PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (21. Januar 2017).</ref>

I. Allgemeine Hinweise Warum ein Katechumenat

4. Der Gedanke, katechumenale Wege für die Ehe zu bauen, ist im kirchlichen Nachdenken nicht neu.<ref>Der Gedanke taucht in verschiedenen Studien zu diesem Thema auf, u. a.bei F. Coudreau in: Verkündigung und Glaube. Festgabe für Franz X. Arnold (Freiburg i. Br. 1958) und Bernhard Häring, Soziologie der Familie (Salzburg 1954). Seit den 1960er Jahren haben auch einige Bischofskonferenzen dies in einigen nationalen und regionalen Dokumenten vorgeschlagen. Im Übrigen hat das Apostolische Schreiben Familiaris consortio, ausgehend von der Analogie zum Taufkatechumenat, bereits die Etappen des Weges der Ehevorbereitung aufgezeigt: die entferntere, die nähere und die unmittelbare Vorbereitung der Brautleute: vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), Nr. 66: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 33 (7. Auflage, Bonn 2011), S. 106–109.</ref> Nach den beiden Synoden über die Familie in den Jahren 2014 und 2015 hat Papst Franziskus dies in seinem ordentlichen Lehramt mehrfach vorgeschlagen, und es hat in seiner pastoralen Reflexion allmählich Gestalt angenommen, indem er die Linien für erneuerte Wege der Ehebegleitung gezogen hat.<ref> „Indem ich die Wünsche der Synodenväter aufgegriffen habe, hatte ich bereits Gelegenheit, das Bemühen um ein Ehekatechumenat anzuempfehlen, das als unverzichtbarer Weg der jungen Menschen und der Paare zu verstehen ist, mit dem Ziel, ihr christliches Gewissen neu zu beleben, gestützt von der Gnade der beiden Sakramente Taufe und Ehe. Wie ich bereits mehrmals betont habe, ist das Katechumenat an sich einzigartig, da es auf die Taufe bezogen, also in der Taufe verwurzelt ist. Gleichzeitig muss es im Leben einen beständigen Charakter haben, da die Gnade des Ehesakraments beständig ist.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (29. Januar 2018).</ref>

5. In der frühen Kirche musste – nach der gemeinsamen Überzeugung der Väter – der Feier des Sakraments eine klare christliche Lebensorientierung vorausgehen. „Man muss zuerst ein Jünger des Herrn und dann zur heiligen Taufe zugelassen werden“, sagt der heilige Basilius.<ref> BASILIUS VON CAESAREA, De baptismo I,1.</ref> Sichere Zeichen der neuen Lebensausrichtung waren Glaube und Bekehrung. Das antike Katechumenat war in der Tat die Zeit, in der die Taufbewerber geformt wurden, in der sie im Glauben genährt und zur Bekehrung ermutigt wurden. Der Glaube öffnete das Herz und den Verstand für Gott und das Erlösungswerk Jesu Christi, während die Bekehrung darauf abzielte, Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Lebenspraktiken zu korrigieren, die mit der neuen christlichen Existenz, welche die Katechumenen annehmen sollten, unvereinbar waren.

Ähnlich wie bei der Taufe in der alten Kirche wären heute im Hinblick auf die Eheschließung eine Glaubenserziehung und Begleitung bei der Aneignung eines christlichen Lebensstils, die sich speziell an Ehepaare richten, eine große Hilfe.<ref>„Es ist dringend notwendig [...], die Wege der Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe immer wirkkräftiger zu machen – nicht nur für das menschliche Wachstum der Verlobten, sondern vor allem für ihr Wachstum im Glauben. Der wesentliche Zweck der Begegnungen besteht darin, den Verlobten zu helfen, eine fortschreitende Eingliederung in das Geheimnis Christi zu vollziehen, in der Kirche und mit der Kirche. Das bringt ein fortschreitendes Heranreifen im Glauben mit sich, durch die Verkündigung des Wortes Gottes, die Treue und die großherzige Nachfolge Christi.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (21. Januar 2017).</ref> Das Katechumenat kann in der Tat in jedem Zeitalter neue Wege der Glaubenserneuerung inspirieren, weil es einen Stil der Begleitung vorschlägt – pädagogisch, schrittweise, ritualisiert –, der immer seine Wirksamkeit bewahrt. Das Ehekatechumenat ist nicht dazu bestimmt, eine bloße Katechese zu sein oder eine Lehre zu vermitteln. Es zielt darauf ab, das Geheimnis der sakramentalen Gnade, das ihnen kraft des Sakraments zukommt, unter den Eheleuten zum Klingen zu bringen: die Gegenwart Christi mit ihnen und zwischen ihnen lebendig zu machen.<ref>„Gott, der die Gatten zur Ehe berufen hat, ruft sie in der Ehe weiterhin an.“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 51: a. a. O., S. 86.</ref> Deshalb ist es im Hinblick auf diejenigen, die heiraten wollen, notwendig, über den Stil einer rein intellektuellen, theoretischen und allgemeinen Ausbildung (einer religiösen Alphabetisierung) hinauszugehen. Es ist notwendig, mit ihnen den Weg zu gehen, der sie zu einer Begegnung mit Christus oder zur Vertiefung dieser Beziehung führt, und eine authentische Unterscheidung über ihre eigene Berufung zur Ehe zu treffen, sowohl auf persönlicher Ebene als auch als Paar.<ref>„Weder geht es darum, ihnen den gesamten Katechismus beizubringen, noch darum, sie mit allzu vielen Themen zu übersättigen. Denn auch hier gilt: ,Nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das innerliche Verspüren und Schmecken der Dinge.‘ Die Qualität zieht mehr an als die Quantität, und – zusammen mit einer erneuerten Verkündigung des Kerygmas – muss man jenen Inhalten den Vorrang geben, die in anziehender und herzlicher Form vermittelt ihnen helfen, sich mit ,Großmut und Freigebigkeit‘ auf einen Weg für das ganze Leben zu verpflichten.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 207: a. a. O., S. 147 f.</ref>

Wem diese Aufgabe zufällt

6. Die Ausarbeitung eines katechumenalen Ehevorbereitungsweges und die konkrete Begleitung der Paare auf diesem Weg sind eine Aufgabe für die gesamte kirchliche Gemeinschaft, in einem gemeinsamen Weg von Priestern, christlichen Eheleuten, Ordensleuten und pastoralen Mitarbeitern, die untereinander und in Absprache mit ihrem Bischof zusammenarbeiten müssen. Die Ehe ist nicht nur eine soziale Tatsache, sondern für Christen auch eine „kirchliche“ Tatsache. Deshalb übernimmt die ganze Kirche als Leib Christi Verantwortung dafür und sieht sich veranlasst, sich in den Dienst der künftigen Familien zu stellen.<ref> Die christliche Gemeinschaft selbst ist aufgerufen, sich an der Vorbereitung der Brautleute auf die Ehe zu beteiligen, welche eine kirchliche Sendung darstellt. Die Eheleute „können [...] dazu beitragen, das Gefüge des gesamten kirchlichen Leibes zu erneuern“: ebd., 207: a. a. O., S. 147.</ref>

7. Sowohl für die Paare, die sich auf die Ehe vorbereiten, als auch für die Seelsorger, die sie begleiten, ist die Überzeugung ausschlaggebend, dass die Ehe kein Ziel ist, das man erreichen kann. Sie ist eine Berufung, ein Weg der Heiligkeit, der das ganze Leben eines Menschen umfasst.<ref>„[...] dass die Verlobten die Heirat nicht als das Ende eines Weges ansehen, sondern die Ehe als eine Berufung annehmen, die sie vorwärtstreibt, mit dem festen und realistischen Entschluss, alle Prüfungen und schwierigen Momente gemeinsam zu durchleben.“: Ebd., 211: a. a. O.,S. 150.</ref> Darüber hinaus erhalten die Laien aufgrund ihrer Teilhabe am prophetischen und königlichen Priestertum Christi im Sakrament der Ehe eine besondere kirchliche Sendung, auf die sie vorbereitet und in der sie begleitet werden müssen.<ref>„Kraft des Sakraments wird den Gatten eine wahre und eigene Sendung übertragen, damit sie, ausgehend von den einfachen Dingen des Alltags, die Liebe sichtbar machen können, mit der Christus seine Kirche liebt, der damit fortfährt, das Leben für sie hinzugeben.“: Ebd., 121: a. a. O., S. 88 f.</ref> So wie die Kirche darauf achtet, die Priester und Ordensleute in bester Weise auf ihre Berufung und Sendung vorzubereiten, indem sie ihnen eine langjährige Ausbildung zukommen lässt, so ist es auch die Aufgabe der Kirche, die Laien, die sich dazu berufen fühlen, angemessen darauf vorzubereiten, die Berufung zur Ehe anzunehmen und ihr Leben lang darin zu verharren, indem sie die ihnen zukommende Sendung erfüllen.<ref>„Man kann drei oder vier Vorträge in der Pfarrgemeinde nicht als ,Ehevorbereitung‘ bezeichnen. [...] Die Vorbereitung muss reif sein, und sie braucht Zeit. Die Eheschließung ist kein offizieller Akt: Sie ist ein Sakrament. Sie muss jedoch mit einem wahren Katechumenat vorbereitet werden.“: PAPST FRANZISKUS, Katechese über die Gebote, 11/A: Du sollst nicht ehebrechen (24. Oktober 2018).</ref> Das Weihesakrament, die Ordensweihe und das Ehesakrament verdienen die gleiche Aufmerksamkeit, denn der Herr ruft Männer und Frauen mit der gleichen Intensität und Liebe zu der einen oder anderen Berufung.

8. Um eine erneuerte Ehepastoral wirksam umsetzen zu können, ist es jetzt unerlässlich, dass sowohl begleitende Ehepaare in Pfarreien und Familienbewegungen als auch Priester bereits von der Seminarausbildung an sowie Ordensleute und Personen des geweihten Lebens angemessen ausgebildet und auf die gegenseitige Ergänzung und kirchliche Mitverantwortung vorbereitet werden.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 203: a. a. O., S. 144 f.; Katechismus der Katholischen Kirche, 1632.</ref> Diese natürliche Gemeinschaft im Apostolat zwischen Eheleuten und geweihten Zölibatären war im Leben der Kirche seit ihren Anfängen vorhanden, wie das Beispiel des Paulus zeigt, der bei der Evangelisierung von Aquila und Priscilla unterstützt wurde.<ref>Vgl. Apg 18,1–3; 18,18–19; 18,26; Röm 16,3–5; 1 Kor 16,19.</ref> Sie muss aber heute wiederentdeckt und in den Pfarreien und auf Diözesanebene voll gelebt werden, denn die Verschiedenheit der Stile und der Sprache, die Verschiedenheit der Lebenserfahrungen, die Verschiedenheit der Charismen und der geistlichen Gaben, die jeder Berufung und jedem Lebensstand eigen sind, sind eine große Bereicherung bei der Weitergabe des Glaubens an junge Paare und bei ihrer Einführung in das Eheleben.

9. Den mit der Seelsorge betrauten Personen – Pfarrern, Ordensleuten, Bischöfen – kommt eine wichtige Aufgabe der Animation und Koordinierung zu.<ref>„Euch Pfarrern, den unverzichtbaren Mitarbeitern der Bischöfe, ist dieses Katechumenat in erster Linie anvertraut. Ich ermutige euch, es trotz der Schwierigkeiten, denen ihr begegnen könnt, umzusetzen.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer des Kurses zum Eheprozessrecht (25. Februar 2017).</ref> Die Priester und insbesondere die Pfarrer, die in der Regel als erste den Antrag junger Menschen auf kirchliche Eheschließung entgegennehmen, tragen eine große Verantwortung dafür, die Paare willkommen zu heißen, zu ermutigen und zu begleiten und ihnen von Anfang an die tiefe religiöse Dimension der christlichen Ehe zu verdeutlichen, die weit über einen einfachen „zivilen Ritus“ oder eine „Gewohnheit“ hinausgeht.<ref>„Die Priester, vor allem die Pfarrer, sind die ersten Gesprächspartner der jungen Menschen, die eine neue Familie bilden und die sakramentale Ehe schließen wollen. Die Begleitung durch den geweihten Amtsträger hilft den zukünftigen Eheleuten zu verstehen, dass die Ehe eines Mannes und einer Frau Zeichen der bräutlichen Vereinigung zwischen Christus und der Kirche ist, und macht ihnen die tiefe Bedeutung des Schrittes, vor dem sie stehen, bewusst.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer eines Kurses, den das Gericht der Römischen Rota veranstaltet hat (27. September 2018).</ref>

10. Neben den Priestern und Ordensleuten müssen vor allem die Ehepaare eine wichtige Rolle spielen. Die Vorbereitung der Paare auf die Ehe ist ein echtes Werk der Evangelisierung,<ref>„Die Ehevorbereitung ist heute mehr denn je eine wahre Gelegenheit zur Evangelisierung der Erwachsenen und oft der sogenannten Fernstehenden. In der Tat gibt es zahlreiche junge Menschen, für die das Herannahen der Hochzeit die Gelegenheit darstellt, erneut dem Glauben zu begegnen, der seit langer Zeit an den Rand ihres Lebens verdrängt wurde. Außerdem befinden sie sich in einem besonderen Augenblick, der oft auch von der Bereitschaft geprägt ist, die Ausrichtung des Lebens zu überdenken und zu ändern. Es kann also ein günstiger Moment sein, um die eigene Begegnung mit der Person Jesu Christi, mit der Botschaft des Evangeliums und mit der Lehre der Kirche zu erneuern.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (21. Januar 2017).</ref> und die gläubigen Laien, insbesondere die verheirateten Paare, sind ebenso wie die Ordensleute und die geweihten Amtsträger dazu berufen, am Evangelisierungsauftrag der Kirche mitzuwirken: Sie sind ein Subjekt der Pastoral.<ref>„Die heiligen christlichen Ehepaare [...] sind [immer] das Werk des Heiligen Geistes, der immer der Protagonist der Sendung ist, und sie sind in unseren Ortsgemeinden bereits anwesend. [...] Denken wir an die Pastoralarbeit im Katechumenat vor und nach der Eheschließung: Diese Ehepaare sind es, die es durchführen und vorangehen müssen.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an das Gericht der Römischen Rota zur Eröffnung des Gerichtsjahres (25. Januar 2020).</ref> Aufgrund ihrer spezifischen Erfahrung können sie die Kurse zur Begleitung der Paare vor und während der Ehe konkretisieren, indem sie als Zeugen und Begleiter der Paare gegenüber vielen jungen Menschen auftreten im Hinblick auf Aspekte des Ehelebens (affektiv, sexuell, dialogisch, spirituell) und des Familienlebens (Aufgaben der Fürsorge und Pflege, Offenheit für das Leben, gegenseitige Hingabe, Kindererziehung, Unterstützung bei der täglichen Arbeit, bei Schwierigkeiten und Krankheit). Die Eheleute, die sich für diesen wertvollen Dienst der Begleitung zur Verfügung stellen, profitieren selbst in hohem Maße davon: Die gemeinsame Ausübung einer pastoralen Verpflichtung und die Verkündigung des „Evangeliums der Ehe“ an die anderen ist ein Faktor großer geistlicher Einheit und persönlicher und partnerschaftlicher Bereicherung. Es muss jedoch vermieden werden, dass Laien und insbesondere Ehepaare, die diese kirchliche Rolle leben, an die Stelle des Priesters treten und Rollen und Funktionen übernehmen, die ihnen nicht zustehen. Die Priester und Ordensleute werden ihrerseits darauf achten, die Anwesenheit der Laien nicht auf die eines bloßen Zeugen zu reduzieren, da sie Anspruch auf einen Raum wirksamer Mitverantwortung haben. Die Priester und Ordensleute werden sich daher bemühen, eine Haltung des ständigen Zuhörens und der Überprüfung des Weges gemeinsam mit den Ehepaaren einzunehmen, die mit ihnen zusammenarbeiten und die familiäre Dimension aus erster Hand erfahren und dabei vermeiden, die alleinigen Akteure zu sein oder, im Gegenteil, zu hohe Anforderungen zu stellen und zu viel zu delegieren, was die Gefahr birgt, „die Familien zu erschöpfen“.

Für eine erneuerte Pastoral des Ehelebens

11. Die pastorale Erneuerung, die Papst Franziskus seit Beginn seines Pontifikats anstrebt,<ref>„Die Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt verlangt, das bequeme pastorale Kriterium des ,Es wurde immer so gemacht‘ aufzugeben. Ich lade alle ein, wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungs-Methoden der eigenen Gemeinden zu überdenken. Eine Bestimmung der Ziele ohne eine angemessene gemeinschaftliche Suche nach den Mitteln, um sie zu erreichen, ist dazu verurteilt, sich als bloße Fantasie zu erweisen.“: PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013), 33: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194 (Bonn 2013), S. 30 f.</ref> muss daher auch die Pastoral des Ehelebens betreffen. In diesem Bereich lässt sich der Weg zur Erneuerung anhand von drei spezifischen „Noten“ aufzeigen: Transversalität, Synodalität und Kontinuität.

12. „Transversalität“ bedeutet, dass sich die Ehepastoral nicht auf den begrenzten Bereich der „Treffen für Verlobte“ beschränkt, sondern viele andere pastorale Bereiche „durchquert“ und dabei stets im Blick bleibt. Dadurch wird eine gewisse Aufteilung der pastoralen Arbeit in „getrennte Abteilungen“ vermieden, die ihre Wirksamkeit beeinträchtigt. Kinderpastoral, Jugendpastoral und Familienpastoral müssen hingegen gemeinsam und in Synergie arbeiten. Sie müssen sich gegenseitig über die Wege und pastoralen Ziele im Klaren sein, die sie sich setzen, um einen linearen Wachstumsprozess und eine allmähliche Vertiefung des Glaubens in Gang zu setzen. Der Pfarrer sollte in dieser Hinsicht eine wichtige koordinierende Rolle spielen, die er mit dem Pastoralteam teilt. Darüber hinaus wäre es von großem Nutzen, wenn die Berufungsperspektive in diesen drei Bereichen stets präsent wäre, um den Glaubensund Lebensweg der Menschen zu vereinen und kohärent zu gestalten. Auch die Sozialpastoral sollte in die Familienpastoral integriert werden, denn man kann eine angemessene Sozialpastoral heute nicht verstehen, ohne der Familie „zuzuhören“, so wie man die Familien nicht verstehen kann, ohne zu berücksichtigen, wie sie von der heutigen gesellschaftlichen Realität betroffen sind.

13. Die „Synodalität“ definiert den spezifischen modus vivendi et operandi der Kirche. Die Kirche ist Gemeinschaft und verwirklicht ihr Gemeinschaftssein konkret im gemeinsamen Gehen, in der Koordinierung aller pastoralen Bereiche und in der aktiven Teilnahme aller ihrer Glieder an ihrer evangelisierenden Sendung.<ref>INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche (2. März 2018), 6: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 215 (Bonn 2018), S. 11 f.</ref> Auch die Ehepastoral muss in diesem synodalen Stil gelebt werden, der von allen in der Kirche mitverantwortlich „übernommen“ werden muss, alle pastoralen Bereiche umfassen und mit dem gemeinsamen Weg der Kirche in jeder geschichtlichen Epoche Hand in Hand gehen muss, um mit ihr zu wachsen, sich mit ihr zu aktualisieren und zu erneuern.

14. „Kontinuität“ bezieht sich auf den nicht „episodischen“, sondern „zeitlich ausgedehnten“ – man könnte auch sagen „permanenten“ – Charakter der Ehepastoral. Auf diese Weise können pädagogische Wege geschaffen werden, die die Kinder und Jugendlichen in den verschiedenen Phasen des menschlichen und des Glaubenswachstums bei der schrittweisen Entdeckung ihrer Berufung begleiten: sei es zur Ehe, zum Priestertum oder zum Ordensleben. Es ist daher notwendig, die Berufung zur Ehe auf dem Weg der christlichen Initiation in den Glauben von Kindheit an zu verankern.<ref>PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 206: a. a. O., S. 146 f.</ref>

15. Im Lichte des eben Gesagten ist es notwendig, die Art und Weise, wie die Kirche das menschliche und geistige Wachstum der Menschen begleitet, ernsthaft zu überdenken. In der Tat gibt es in nicht wenigen Ländern im Leben und in der alltäglichen Arbeit der Pfarreien lange Phasen der „pastoralen Vernachlässigung“ bestimmter Lebensabschnitte von Einzelpersonen und Familien, die leider die Ursache für die Entfremdung von der Gemeinschaft und oft auch vom Glauben sind: man denke zum Beispiel an die Eltern nach der Taufkatechese ihrer Kinder oder an die Kinder nach ihrer Erstkommunion. Gerade um diese „pastoralen Lücken“ zu schließen, ist es angebracht, über spezifische Berufungswege als Fortsetzung der katechetischen Grundausbildung und anderer begleitender Wege nachzudenken, damit die Eltern das geistliche Wachstum ihrer Kinder in der Kindheit und Jugend verfolgen können und sich dabei von einer Gemeinschaft unterstützt fühlen, mit der sie ihre Überlegungen und Erfahrungen teilen können.<ref>„Familie und Jugendliche [dürfen] nicht zwei parallele Bereiche der Pastoral unserer Gemeinden sein [...], sondern [müssen] eng vereint miteinander unterwegs sein [...]. Denn oft sind die jungen Menschen das, was eine Familie ihnen in der Zeit des Heranwachsens gegeben hat. Diese Sichtweise gibt einer Berufungspastoral, die darauf achtet, das Antlitz Jesu in seinen zahlreichen Aspekten – als Priester, als Bräutigam, als Hirte – zum Ausdruck zu bringen, wieder ihre Einheitlichkeit zurück.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache bei der Begegnung mit den Gläubigen während des Besuchs in Loreto (25. März 2019).</ref>

II. Ein konkreter Vorschlag

16. Papst Franziskus hat empfohlen, „ein wahres Katechumenat der zukünftigen Brautleute einzurichten, das alle Etappen des sakramentalen Weges einschließt: die Zeit der Vorbereitung auf die Ehe, die Eheschließung und die unmittelbar darauf folgenden Jahre“.<ref> Papst FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer des Kurses zum Eheprozessrecht (25. Februar 2017).</ref> Wie bereits erwähnt, ist es die Aufgabe jeder Diözese/Eparchie, ihren eigenen Weg der Ehevorbereitung zu erarbeiten oder zu überdenken, der sich am Katechumenat vor der Taufe orientiert. Dies muss natürlich unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und Grenzen geschehen, die durch den eigenen geografischen, kulturellen und pastoralen Kontext definiert sind, wobei man sich von diesen Leitlinien auf flexible und kreative Weise inspirieren lassen sollte.

Bei der Ausarbeitung dieses Projekts müssen bestimmte Anforderungen beachtet werden:

– dass es lange genug dauert, damit die Paare wirklich nachdenken und reifen können;

– dass, ausgehend von der konkreten Erfahrung der menschlichen Liebe, der Glaube und die Begegnung mit Christus in den Mittelpunkt der Vorbereitung auf die Ehe gestellt werden;

– dass es sich in Etappen artikuliert, die – wo möglich und angemessen – durch Übergangsriten gekennzeichnet sind, die innerhalb der Gemeinschaft gefeiert werden;

– dass es alle der folgenden Elemente umfasst (ohne eines davon auszuschließen): Ausbildung, Reflexion, Austausch, Dialog, Liturgie, Gemeinschaft, Gebet, Feier.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass auch dann, wenn eine Diözese/Eparchie ihren eigenen Ehevorbereitungsweg entwickelt hat, dieses „pastorale Instrument“ nicht einfach als einziger Weg der Ehevorbereitung „aufgezwungen“ werden kann, sondern mit Unterscheidungsvermögen und gesundem Menschenverstand eingesetzt werden muss, wohl wissend, dass es Fälle gibt, in denen der Ehekatechumenat nicht befolgt werden kann oder sollte, sondern dass andere Wege und Formen der Ehevorbereitung gefunden werden müssen.

Modalitäten

17. Nachdem die Diözese/Eparchie ihren eigenen Weg des Ehekatechumenats ausgearbeitet hat, wird es angebracht sein, ihn einer Experimentierund Testphase durch ein „Pilotprojekt“ zu unterziehen, das zunächst in allen oder nur in einigen Pfarreien (je nach den pastoralen Realitäten) gestartet wird. Nach dieser ersten Erprobung müssen die Meinungen und Bewertungen sowohl der Seelsorger als auch der teilnehmenden Paare eingeholt werden, um gemeinsam über die festgestellten Vorzüge und Mängel nachzudenken und die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.

18. Angesichts der Vielfalt der persönlichen Situationen könnte die Diözese/Eparchie eine gemeinsame Form des katechumenalen Weges ins Auge fassen, um dann zu prüfen, wie der Weg auf die einzelnen Paare zugeschnitten werden kann. Seelsorgerische Kreativität und Flexibilität im Hinblick auf die konkrete Situation der verschiedenen Paare sind unerlässlich: religiöse Praxis, soziale und wirtschaftliche Beweggründe, Alter, Zusammenleben, Vorhandensein von Kindern und andere Faktoren, die mit der Entscheidung zur Heirat zusammenhängen.

19. Das Ritual der christlichen Initiation für Erwachsene kann ein allgemeiner Bezugsrahmen sein, an dem man sich orientieren kann. Es wird besonders wichtig sein, das hervorzuheben, was dem Katechumenat vorausgeht und folgt (Erstevangelisierung bzw. Mystagogie); sicherzustellen, dass die Übergänge von einer Zeit zur nächsten durch Unterscheidung, Symbole und Riten gekennzeichnet sind (es sei denn, kulturelle Gründe lassen das nicht ratsam erscheinen); dass es eine klare Verbindung zwischen den anderen Sakramenten (Taufe, Eucharistie, Firmung) und der Ehe gibt. All dies geschieht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Pädagogik des Glaubens eine persönliche Begegnung mit Christus, eine Bekehrung des Herzens und des praktischen Lebens sowie die Erfahrung des Geistes in der kirchlichen Gemeinschaft umfasst.

20. Es ist notwendig, dass alle, die begleiten – Ehepaare, Priester und im Allgemeinen die in der Pastoral Tätigen –, eine Ausbildung und einen Stil der Begleitung haben, die dem katechumenalen Weg angemessen sind. Wie bereits erwähnt, geht es nicht so sehr darum, Begriffe zu vermitteln oder Fähigkeiten zu erwerben, sondern vielmehr darum, die Paare auf einem gemeinsam zu beschreitenden Weg zu begleiten, ihnen zu helfen und ihnen nahe zu sein. Das Ehekatechumenat ist keine Vorbereitung auf eine „Prüfung, die es zu bestehen gilt“, sondern auf ein „zu lebendes Leben“. Zu diesem Zweck sind die Ausbildung und die ständige Weiterbildung von Priestern und Ordensleuten, die oft eine Sprache verwenden, die von der konkreten Realität der Familien „weit entfernt“ und für sie unverständlich ist, auch wegen der zu abstrakt dargestellten Inhalte, eine Priorität. Das Gleiche gilt für den allgemeinen „Ton“, der auf diesem katechumenalen Weg angeschlagen wird. Er soll weit über den „moralischen Appell“ hinausgehen und stattdessen aussagekräftig, überzeugend, ermutigend und auf das Gute und Schöne ausgerichtet sein, das man in der Ehe leben kann. Letztlich sollen Vollständigkeit, Präzision der Inhalte und der Stil der Begleitung darauf abzielen, die Würde und den Wert eines jeden Menschen und zugleich die Würde und den Wert der Berufung, zu der er berufen ist, immer in einer konkreten Realität zur Geltung zu bringen. Diese Sorgfalt im Hinblick auf den Stil ist heute besonders wichtig angesichts der Tatsache, dass viele Verlobte in komplexen Situationen des Zusammenlebens leben, in denen es ihnen schwerfällt, die sakramentale Bedeutung der Entscheidung, die sie treffen, und die „Bekehrung“, die eine solche Entscheidung mit sich bringt, zu verstehen, auch wenn sie das größere Geheimnis des Sakraments gegenüber dem bloßen Zusammenleben „erahnen“ können. Daher sind Gradualität, Annahme und Unterstützung notwendig, aber auch das Zeugnis anderer christlicher Ehepaare, die den Weg mitgehen und „dabei sind“. Deshalb ist es wichtig, dass in den Gemeinschaften der aktiven Präsenz der Eheleute als Eheleute, als Akteure der Ehepastoral, und nicht nur als einzelne Gläubige mehr Raum gegeben wird. Die „personalisierten“ Erfahrungen sollten in Untergruppen verstärkt werden, um zu arbeiten, zuzuhören und vorzubereiten – wenn nötig auch mit jedem Paar einzeln –, sodass die Paare von den begleitenden Ehepaaren eng begleitet werden, die dazu beitragen können, ein Klima der Freundschaft und des Vertrauens zu schaffen. Man soll sich auch in den Wohnungen treffen, damit sie sich willkommen und wohlfühlen.

21. Das Team der Begleiter kann aus einigen verheirateten Paaren bestehen, die von einem Priester und anderen Fachleuten der Familienpastoral unterstützt werden, sowie aus Ordensleuten und eventuell auch aus getrennten Paaren, die dem Sakrament treu geblieben sind und die ihr Zeugnis und ihre Berufungserfahrungen stets konstruktiv einbringen können und so dazu beitragen, das Gesicht einer gastfreundlichen, in der Realität verankerten Kirche zu zeigen, die allen zur Seite steht. Es soll darauf geachtet werden, diese Aufgabe nicht einem einzigen Paar, sondern mehreren Paaren, vorzugsweise unterschiedlichen Alters, zu übertragen und nicht über viele Jahre hinweg ein und dasselbe Team zu beauftragen, sondern einen angemessenen Wechsel zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit zwischen Pfarreien und/oder Seelsorgebereichen ist ebenfalls unerlässlich, um eine Diversifizierung der Wege und die Möglichkeit, allen einen Ausbildungsweg anzubieten, zu fördern.

22. Einige komplexe Themen, die die eheliche Sexualität oder die Offenheit für das Leben betreffen (wie verantwortliche Elternschaft, künstliche Befruchtung, Pränataldiagnostik und andere bioethische Fragen), haben starke ethische, beziehungsbezogene und spirituelle Auswirkungen für Ehepaare und erfordern heute eine spezielle Ausbildung und klare Vorstellungen. Dies gilt umso mehr, als manche Art des Umgangs mit diesen Themen problematische moralische Aspekte aufweist. Die Begleitpersonen selbst sind nicht immer in der Lage, mit diesen Problemen, die aber weit verbreitet sind, umzugehen. Die Einbeziehung erfahrenerer Personen ist in solchen Fällen umso sinnvoller.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 204: a. a. O., S. 145 f.</ref>

23. Im Verlauf des Weges haben die Riten die Funktion, den Abschluss einer Etappe und den Beginn der nächsten zu unterstreichen, und können der geeignete Ort sein, um den Willen zur Fortsetzung des Weges frei zu bekunden und so die schrittweise Vertiefung des Weges zu markieren. Der Ritus zeigt darüber hinaus auch die allmähliche Durchdringung zwischen dem Wachstum im Glauben und dem Wachstum in der Liebe der Brautleute an. Zu den Riten, die vor dem eigentlichen Trauungsritus zu bedenken sind, gehören: die Übergabe der Bibel an die Paare, die Vorstellung vor der Gemeinde, die Segnung der Verlobungsringe, die Übergabe eines „Paargebetes“, welches das Paar auf seinem Weg begleiten soll. Ob dies angemessen ist, wird je nach den örtlichen kirchlichen Gegebenheiten beurteilt. Jeder dieser Riten kann von Einkehrtagen begleitet werden, die zu einer Gelegenheit werden können, im geistlichen Dialog mit dem Begleitteam zu prüfen und zu entscheiden, ob die nächste Etappe in Angriff genommen werden soll oder nicht. In den ersten Jahren des Ehelebens könnte man dagegen die Errichtung eines „Familienaltars“ vorschlagen, d. h. eines Ortes in der Wohnung, an dem Eheleute und Kinder zum Gebet zusammenkommen.

Phasen und Stufen

24. In einer langfristigen pastoralen Perspektive wäre es gut, wenn dem eigentlichen katechumenalen Weg eine vorkatechumenale Phase vorausginge: Dies würde praktisch mit der langen Zeit der „entfernten Vorbereitung“ auf die Ehe zusammenfallen, die bereits in der Kindheit beginnt. Die eigentliche katechumenale Phase besteht aus drei verschiedenen Phasen: der näheren Vorbereitung, der unmittelbaren Vorbereitung und der Begleitung der ersten Jahre des Ehelebens. Zwischen der vorkatechumenalen und der eigentlichen katechumenalen Phase ist eine Zwischenphase denkbar, in der die Aufnahme der Kandidaten stattfindet, die mit einem Ritus des Eintritts in das Ehekatechumenat enden könnte. Schematisch zusammengefasst könnte dies die Abfolge der verschiedenen Phasen und Stufen sein, mit einigen der Riten und Rituale, die die einzelnen Schritte markieren:

A. Vorkatechumenale Phase: entfernte Vorbereitung

– Kinderpastoral

– Jugendpastoral

B. Zwischenphase (einige Wochen): Zeit für die Aufnahme der Bewerber

– Ritus des Eintritts in das Katechumenat (am Ende der Aufnahmephase)

C. Katechumenale Phase

– Erste Stufe: nähere Vorbereitung (etwa ein Jahr); Verlobungsritus (am Ende der näheren Vorbereitung); kurzer Einkehrtag als Übergang zur unmittelbaren Vorbereitung

– Zweite Stufe: unmittelbare Vorbereitung (einige Monate); kurze Einkehrzeit zur Vorbereitung auf die Hochzeit (einige Tage vor der Feier)

– Dritte Stufe: die ersten Jahre des Ehelebens (2–3 Jahre)

Zwei Klarstellungen

25. Die pastorale Erfahrung in einem großen Teil der Welt zeigt, dass immer wieder „neue Fragen“ im Hinblick auf die Vorbereitung auf die sakramentale Ehe von Paaren gestellt werden, die bereits zusammenleben, eine zivile Ehe geschlossen und Kinder haben. Solche Anfragen können von der Kirche nicht mehr umgangen werden, und sie können auch nicht auf den Wegen verringert werden, die für diejenigen, die von einem minimalen Glaubensweg kommen, vorgezeichnet sind; sie erfordern vielmehr personalisierte Formen der Begleitung oder die Begleitung in kleinen Gruppen, die auf eine persönliche und paarweise Reifung zur christlichen Ehe ausgerichtet sind, durch die Wiederentdeckung des Glaubens, ausgehend von der Taufe, und das allmähliche Verständnis der Bedeutung des Ritus und des Sakraments der Ehe. Für solche Paare könnten die Teilkirchen katechetische Wege außerhalb der entwicklungsorientierten Jugendund Verlobtenpastoral vorsehen – wie sie in diesem Dokument vorgeschlagen werden –, die zwar zu demselben Berufsund Sakramentenbewusstsein führen, aber von ihrer spezifischen Lebenserfahrung ausgehen. Damit würde ein neuer Vorschlag Gestalt annehmen, der versucht, auf die Bedürfnisse einer zeitgenössischen Familienrealität zu reagieren, die sich von der in den vergangenen Jahrzehnten vorherrschenden unterscheidet, aber dennoch den Wunsch hat, sich der Kirche und dem „großen Geheimnis“ der Ehe anzunähern.

26. In der folgenden Beschreibung werden auch einige „Riten“ vorgestellt. Man sollte darauf achten, wie diese Riten durchgeführt, und vor allem wie sie wahrgenommen werden. Obwohl sie von den Paaren, die an einem solchen Ausbildungsweg teilnehmen, im Allgemeinen sehr positiv aufgenommen werden, hat die Erfahrung auch gezeigt, dass es insbesondere in einigen Ländern aufgrund einer Kultur und Mentalität, die besonders empfindlich auf rituelle Gesten und deren soziale Bedeutung reagiert, mögliche Risiken geben kann. Es wurde nämlich festgestellt, dass die übermäßige öffentliche „Vorstellung“ der Verlobten mit der Teilnahme der Familien und der gesamten Pfarrgemeinde an den verschiedenen Riten des Katechumenats dazu führte, dass diese Riten fast als „Vorwegnahme“ der Ehe empfunden wurden, was falsche Erwartungen und unangemessenen psychologischen Druck auf die Verlobten erzeugte. Es liegt auf der Hand, dass all dies den Entscheidungsprozess der Verlobten negativ beeinflussen und ihre Freiheit einschränken könnte, wodurch die Voraussetzungen für eine ungültige Eheschließung geschaffen würden. Es werden daher die nötige Vorsicht und eine sorgfältige Bewertung der Art und Weise, wie diese Riten je nach dem sozialen Kontext, in dem man tätig ist, vorgeschlagen werden können, empfohlen. In einigen Fällen kann es beispielsweise vorzuziehen sein, dass solche Riten nur innerhalb der Gruppe von Paaren, die dem Ausbildungsweg folgen, vollzogen werden, ohne die Familien oder andere Personen einzubeziehen. In anderen Fällen ist es besser, sie ganz zu vermeiden.

A. Vorkatechumenale Phase: entfernte Vorbereitung

27. Die entfernte Vorbereitung geht dem eigentlichen Katechumenatsweg voraus. Sie zielt von Kindheit an darauf ab, „den Boden zu bereiten“, auf dem die Samen der künftigen Berufung zum Eheleben aufgepfropft werden können. Der „Boden“ ist gut vorbereitet, wenn den Kindern Wertschätzung für jeden echten menschlichen Wert eingeflößt wird, wenn Selbstachtung und Wertschätzung für andere kultiviert werden, wenn Selbstbeherrschung auch in kleinen Dingen gelehrt wird, der richtige Umgang mit den eigenen Neigungen, Respekt vor Personen des anderen Geschlechts und die Würde jedes Menschen im Allgemeinen.<ref>„Die entferntere Vorbereitung beginnt schon in der Kindheit mit einer klugen Familienerziehung, deren Ziel es ist, die Kinder dahin zu führen, sich selbst als Menschen zu entdecken, die ein reiches und vielschichtiges seelisches Leben und eine besondere Persönlichkeit mit je eigenen Stärken und Schwächen besitzen. Das ist die Zeit, in der der Sinn für jeden wahren menschlichen Wert in persönlichen wie auch in gesellschaftlichen Beziehungen geweckt wird. Und dies hat seine Bedeutung für die Formung des Charakters, für die Beherrschung und rechte Nutzung der eigenen Neigungen, für die Weise, Menschen des anderen Geschlechtes zu sehen und ihnen zu begegnen [...]. Außerdem ist, besonders für die Christen, eine gediegene geistige und katechetische Bildung erforderlich, die es versteht, die wahre Berufung und Sendung christli-cher Ehe aufzuzeigen [...]. Auf dieser Grundlage setzt dann intensiv die nähere Vorbereitung ein [...].“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 66: a. a. O., S. 107; vgl. auch PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 22: a. a. O., S. 98.</ref>

28. Die Kirche wird mit zuvorkommender mütterlicher Fürsorge nach der geeignetsten Art und Weise suchen, um den Kindern den Plan der Liebe zu „erzählen“, den Gott für jeden Menschen hat, dessen Zeichen die Ehe ist, und der sich auch in ihrem Fall als eine Berufung zeigen wird. Das Glück ganzer Generationen hängt davon ab. Schließlich betrifft die Berufung zur Familie die meisten Menschen auf der Welt. Zu diesem Zweck wird es notwendig sein, bereits in den Kindern eine gesunde christliche Anthropologie auszubilden – einschließlich der ersten Elemente der menschlichen Sexualität und der Theologie des Leibes<ref>Eine große Hilfe bei dieser Aufgabe ist die vom PÄPSTLICHEN RAT FÜR DIE FAMILIE erarbeitete pastorale Handreichung Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung. Orientierungshilfen für die Erziehung in der Familie (8. Dezember 1995): Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 127 (Bonn 1995).</ref> – und ihre Taufidentität in einer Perspektive der Berufung zu entwickeln, sowohl im Hinblick auf die Ehe als auch auf das Ordensleben.

29. Der mit den Kindern begonnene Ausbildungsprozess kann mit den Heranwachsenden und Jugendlichen fortgesetzt und vertieft werden, damit sie nicht fast zufällig und nach einer für ihr geistliches Leben schmerzhaften affektiven und sexuellen Erfahrung in der Adoleszenz zu der Entscheidung kommen, zu heiraten. Solche Erfahrungen können tiefe emotionale Wunden verursachen, die sich auf ihr Sexualund Eheleben als Erwachsene auswirken werden. Das Seelsorgeteam muss in der Lage sein, die Hilfe von Fachleuten vorzuschlagen, die diese jungen Menschen auf persönlicher Ebene begleiten können. Viele von ihnen treten zudem aus verschiedenen Gründen, die auf ihr familiäres, soziales oder kulturelles Umfeld zurückzuführen sind, in das Erwachsenenalter ein, ohne auf das Eheleben vorbereitet zu sein, und ebenso viele haben nie an die Ehe als Berufung gedacht und begnügen sich daher mit dem Zusammenleben. Meistens geschieht dies nicht aus einer ausdrücklichen Abneigung gegen die religiöse Dimension, sondern aus Unkenntnis des immensen Reichtums, der in der sakramentalen Gnade der christlichen Ehe enthalten ist, oder aus anderen sozialen oder kulturellen Gründen.<ref>„Die Entscheidung für die Zivilehe, oder, in anderen Fällen, für das einfache Zusammenleben, hat häufig ihren Grund nicht in Vorurteilen oder Widerständen gegen die sakramentale Verbindung, sondern in kulturellen oder faktischen Gegebenheiten. [...] Das einfache Zusammenleben wird oft aufgrund der allgemeinen Mentalität gewählt, die sich gegen Institutionen und endgültige Verpflichtungen wendet, aber auch in Erwartung einer existenziellen Sicherheit (Arbeit und festes Einkommen). Schließlich sind die faktischen Verbindungen in anderen Ländern sehr zahlreich, nicht nur, weil die Werte der Familie und der Ehe zurückgewiesen werden, sondern vor allem, weil dort die Heirat aus gesellschaftlichen Gründen als Luxus betrachtet wird, sodass die materielle Not die Menschen zu solchen faktischen Verbindungen drängt.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 294: a. a. O., S. 207 f.</ref> Aus diesem Grund ist es wichtig, die Seelsorger so vorzubereiten, dass sie sich einer angemessenen Sprache bedienen und das Wort Gottes in einer Weise vermitteln können, die die Jugendlichen verstehen, die in ihrer Realität verwurzelt ist und die bei ihnen echtes Interesse wecken kann.

30. Für die Jugendlichen gibt es zwei Gefahren: zum einen die Verbreitung einer hedonistischen und konsumorientierten Mentalität, die ihnen die Fähigkeit raubt, die schöne und tiefe Bedeutung der menschlichen Sexualität zu verstehen. Zum anderen die Trennung zwischen Sexualität und dem „Für-immer“ der Ehe.

Die Wege der Erziehung zur Affektivität und Sexualität – im Rahmen einer „positive[n] und kluge[n] Geschlechtserziehung“ –, die den Kindern, „den jeweiligen Altersstufen angepasst“,<ref>PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 280: a. a. O., S.196; vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Erklärung über die christliche Erziehung Gravissimum educationis, 1.</ref> vorgeschlagen werden, dürfen sich nicht auf den Horizont der Liebe schlechthin beschränken, da dieser nach der vorherrschenden kulturellen Interpretation hauptsächlich als romantische Liebe verstanden wird, sondern sollten in eine klare eheliche Vision der Liebe einbezogen werden, die als gegenseitige Hingabe verstanden wird, als Wissen, wie man liebt und wie man sich lieben lässt, als gegenseitiger Austausch von Zuneigung und bedingungsloser Annahme, als Wissen, wie man sich freut und wie man für den anderen leidet.<ref>„Auf die Ehe muss man sich vorbereiten. Dies erfordert, sich selbst zu erziehen, die besten Tugenden weiterzuentwickeln, vor allem die Liebe, die Geduld, die Fähigkeit zum Dialog und zum Dienen. Ebenso schließt es mit ein, die eigene Sexualität zu erziehen, damit sie immer weniger ein Mittel sei, den anderen zu gebrauchen, sondern immer mehr eine Fähigkeit, sich einer Person ganz zu schenken, in ausschließlicher und großzügiger Weise.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit an die jungen Menschen und an das ganze Volk Gottes (25. März 2019), 265: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 218 (Bonn 2019), S. 126.</ref>

Es ist besonders dringend notwendig, pastorale Wege zu schaffen oder zu verstärken, die sich vor allem an junge Menschen in der Pubertät und Adoleszenz richten. Angesichts der heutigen Herausforderungen kann die Familie nicht der einzige Ort für die Erziehung zur Affektivität sein. Deshalb braucht sie die Hilfe der Kirche. Zu diesem Zweck ist es wichtig, die Ausbilder, die die Jugendlichen bei der Erziehung in Sachen Sexualität und Affektivität begleiten, angemessen auszubilden, Experten einzubeziehen und Synergien zu schaffen, z. B. mit christlich inspirierten Beratungsstellen oder pastoralen Projekten für die Erziehung in Sachen Affektivität, die von der Diözese/Eparchie oder der Bischofskonferenz anerkannt und bekannt sind.

31. Sowohl die Kindheit als auch die Adoleszenz und die frühe Jugend sind in nahtlosem Übergang Teil eines einzigen Erziehungsweges, der auf zwei grundlegenden Wahrheiten beruht: „Die erste ist, dass der Mensch zum Leben in der Wahrheit und in der Liebe berufen ist; die zweite Grundwahrheit besagt, dass sich jeder Mensch durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst verwirklicht“,<ref>PAPST JOHANNES PAUL II., Brief an die Familien, Gratissimam sane (2. Februar 1994), 16.</ref> in einer Berufung. Die Aufklärung der jungen Menschen über die Beziehung zwischen Liebe und Wahrheit wird ihnen helfen, den Wandel der Gefühle und die Prüfung der Zeit nicht fatalistisch zu fürchten.<ref>„Nur insofern sie auf Wahrheit gegründet ist, kann die Liebe in der Zeit fortbestehen, den flüchtigen Augenblick überstehen und unerschütterlich bleiben, um einen gemeinsamen Weg zu stützen. Wenn die Liebe keinen Bezug zur Wahrheit hat, ist sie den Gefühlen unterworfen und übersteht nicht die Prüfung der Zeit. Die wahre Liebe vereint hingegen alle Elemente unserer Person und wird zu einem neuen Licht auf ein großes und erfülltes Leben hin. Ohne Wahrheit kann die Liebe keine feste Bindung geben, vermag sie das Ich nicht über seine Isoliertheit hinauszuführen, noch es von dem flüchtigen Augenblick zu befreien, damit es das Leben aufbaut und Frucht bringt.“: PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 27: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 193 (Bonn 2013), S. 30.</ref>

32. Der Bildungsweg der entfernten Vorbereitung sollte im pastoralen Ansatz jeder Pfarrei oder anderen kirchlichen Realität berücksichtigt werden. Insbesondere sollte sie im Rahmen der Jugendpastoral (einschließlich der Gruppen von Jugendlichen) ausdrücklich angekündigt und als günstige Zeit für den Beginn der Reifung der ehelichen Berufung vorgeschlagen werden.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit an die jungen Menschen und an das ganze Volk Gottes (25. März 2019), 242: a. a. O., S. 115 f.</ref> Es wäre angebracht, eine Zusammenarbeit mit Laienvereinigungen und -bewegungen zu initiieren, um pastorale Vorhaben in Synergie und im Geiste der kirchlichen Gemeinschaft durchzuführen.<ref>Vgl. ebd., 206: a. a. O., S. 97 f.</ref>

33. Was jungen Menschen wirklich hilft, ist eine Begleitung, die reich an Nähe und Zeugnis ist. Es ist für junge Menschen immer sehr interessant, direkt von Ehepartnern zu hören, die ihre Geschichte als Paar erzählen und die Gründe für ihr „Ja“ benennen, oder das Zeugnis von verlobten Paaren – auch von solchen, die sich noch nicht für eine Heirat entschieden haben –, die versuchen, ihre Verlobung auf christliche Weise als eine wichtige Zeit der Unterscheidung und Überprüfung zu leben, einschließlich derjenigen, die sich für Keuschheit vor der Ehe entschieden haben, und die jungen Menschen die Gründe für ihre Entscheidung und die geistlichen Früchte, die daraus entstehen, mitteilen.<ref>„Dazu ist es notwendig, an die Bedeutung der Tugenden zu erinnern. Unter ihnen erweist sich die Keuschheit als wertvolle Voraussetzung für ein echtes Wachstum der zwischenmenschlichen Liebe. Bezüglich dieses Erfordernisses betonen die Synodenväter übereinstimmend, dass es notwendig ist, die ganze Gemeinde stärker einzubeziehen.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 206: a. a. O., S. 146.</ref>

34. Junge Menschen brauchen auch persönliche Momente, die jedem einzelnen gewidmet sind,<ref> Vgl. Lk 4,40: „Er legte jedem von ihnen die Hände auf und heilte sie.“</ref> um Zweifel und Verwirrungen zu klären, sich Ängsten und Unsicherheiten zu stellen, um Hilfe bei der Reflexion über mögliche Unreife zu erhalten, um die Verschlossenheit des Ichs zu überwinden und sich für die konkrete Liebe eines anderen Menschen zu öffnen.<ref>„Darüber hinaus müssen Formen gefunden werden, durch missionarisch aktive Familien, durch die Familien der Verlobten selbst und durch verschiedene pastorale Hilfsmittel eine schon sehr früh ansetzende Vorbereitung anzubieten, welche die Liebe der beiden reifen lässt. Dazu bedarf es einer Begleitung, die ihnen nahe ist und Zeugnis gibt. Sehr hilfreich sind gewöhnlich die Gruppen für Verlobte und zusätzliche Gesprächsangebote über eine Vielfalt von Themen, welche die jungen Leute wirklich interessieren. Dennoch sind einige persönlich gestaltete Momente unerlässlich, denn das Hauptziel ist, jedem Einzelnen zu helfen, diese konkrete Person, mit der er das ganze Leben teilen will, lieben zu lernen. Jemanden lieben zu lernen ist nicht etwas, das man improvisiert, noch kann es das Ziel eines kurzen Kurses vor der Feier der Trauung sein. In Wirklichkeit bereitet sich jeder Mensch von seiner Geburt an auf die Ehe vor. [...] In diesem Sinn sind alle pastoralen Unternehmungen, die den Eheleuten helfen wollen, in der Liebe zu wachsen und das Evangelium in der Familie zu leben, eine unschätzbare Hilfe, damit ihre Kinder sich auf deren zukünftiges Eheleben vorbereiten.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 208: a. a. O., S. 148 f.</ref>

35. Viele junge Menschen begreifen nicht, dass zwischen dem Glaubensleben und dem Gefühlsleben ein enger Zusammenhang besteht. Die Kultivierung einer wahren und aufrichtigen menschlichen Liebe bereitet die Begegnung mit der größeren Liebe Gottes vor und erleichtert die Entdeckung (oder Wiederentdeckung) des Glaubens. Gleichzeitig geben die Begegnung mit der Liebe Gottes und die Entdeckung (oder Wiederentdeckung) des Glaubens der Erfahrung der menschlichen Liebe einen neuen Sinn und eine neue Tiefe.<ref>„Die treue Liebe Christi [ist] das Licht, um die Schönheit der menschlichen Affektivität zu leben. Denn unsere affektive Dimension ist eine Berufung zur Liebe, die in der Treue, in der Annahme und in der Barmherzigkeit zum Ausdruck kommt.“: PAPST FRANZISKUS, Katechese über die Gebote, 11/B: In Christus findet unsere bräutliche Berufung ihre Fülle (31. Oktober 2018).</ref> Der Glaube selbst besitzt eine ihm eigene Form der Erkenntnis, die aus der Liebe kommt und sich der Liebe öffnet.<ref>„Der Glaube verwandelt den ganzen Menschen, eben insofern er sich der Liebe öffnet. In dieser Verflechtung des Glaubens mit der Liebe versteht man die dem Glauben eigene Gestalt der Erkenntnis, seine Überzeugungskraft und seine Fähigkeit, unsere Schritte zu erhellen. Der Glaube erkennt, weil er an die Liebe gebunden ist, weil die Liebe selber Licht bringt. Das Glaubensverständnis beginnt, wenn wir die große Liebe Gottes empfangen, die uns innerlich verwandelt und uns neue Augen schenkt, die Wirklichkeit zu sehen.“: PAPST FRANZISKUS, Enzyklika Lumen fidei über den Glauben (29. Juni 2013), 26: a. a. O., S. 29.</ref> Die jungen Menschen müssen also in dieser entfernteren Phase zu einem harmonischen Wachstum geführt werden, das die menschliche und die spirituelle Dimension der Liebe vereint, vor allem bei denjenigen, die mit einer nur annähernden Glaubenserfahrung und ohne aktive Teilnahme am Leben der Kirche an die Ehevorbereitung herangehen.

36. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Ziele der entfernteren Vorbereitung folgende sind: a) die Kinder zur Selbstachtung und zur Wertschätzung der anderen, zum Wissen um die eigene Würde und zur Achtung der Würde der anderen zu erziehen; b) den Kindern die christliche Anthropologie und die in der Taufe enthaltene Perspektive der Berufung zu vermitteln, die zur Ehe oder zum geweihten Leben führen soll; c) die Heranwachsenden in Affektivität und Sexualität im Hinblick auf die künftige Berufung zu einer großzügigen, ausschließlichen und treuen Liebe (sei es in der Ehe, im Priestertum oder im gottgeweihten Leben) zu erziehen; d) den Jugendlichen einen Weg des menschlichen und geistlichen Wachstums vorzuschlagen, um Unreife, Ängste und Widerstände zu überwinden und sich für Freundschaftsund Liebesbeziehungen zu öffnen, die nicht besitzergreifend oder narzisstisch, sondern frei, großzügig und hingebungsvoll sind.

B. Zwischenphase: Aufnahme der Bewerber

37. Die Zwischenphase der Aufnahme kann unterschiedlich lang dauern: einige Wochen für diejenigen, die sich bereits auf einem Weg der christlichen Bildung befinden, einige Monate für diejenigen, die zusätzlich zu einer ersten Entscheidung über ihre Verlobung ihre Taufidentität vertiefen müssen. Eine Phase der Aufnahme kann auch für diejenigen Paare vorgesehen werden, die erst später als andere Paare mit der Vorbereitung beginnen.

38. Der Moment der Aufnahme sollte sich nicht auf einen formellen Termin zur gegenseitigen Vorstellung und zur Erledigung bürokratischer Formalitäten beschränken, sondern als eine Zeit der Begegnung und des persönlichen Kennenlernens erlebt werden. Die Art der Beziehung und der Aufnahme durch das Seelsorgeteam wird entscheidend sein. Dies gilt sowohl für diejenigen, die aus einer Zeit der entfernten Vorbereitung – und damit aus einem bereits gefestigten Glaubensleben und kirchlicher Beteiligung – kommen, als auch für diejenigen, die sich zum ersten Mal der Pfarrgemeinde nähern.<ref>„Die Mitarbeiter und Verantwortlichen [... müssen] als Erzieher auch über die Bereitschaft verfügen [...], die Verlobten unbeachtet ihrer soziokulturellen Herkunft, intellektuellen Ausbildung und konkreten Fähigkeiten anzunehmen.“: PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 43: a. a. O.,S. 106 f.</ref> Im letzteren Fall, vor allem wenn es sich um Menschen handelt, die weit entfernt von religiöser Praxis und oft auch von jeglichem Glaubensdiskurs sind, ist es wichtig, dass der Moment der Aufnahme zu einer Verkündigung des Kerygmas wird, sodass die barmherzige Liebe Christi den authentischen „spirituellen Ort“ darstellt, an dem ein Paar aufgenommen wird.<ref>„Im Mund des Katechisten erklingt immer wieder die erste Verkündigung: ,Jesus Christus liebt dich, er hat sein Leben hingegeben, um dich zu retten, und jetzt ist er jeden Tag lebendig an deiner Seite, um dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien‘. [...] Die ganze christliche Bildung ist in erster Linie Vertiefung des Kerygmas, das immer mehr und besser assimiliert wird, das nie aufhört, das katechetische Wirken zu erhellen, und das hilft, jedes Thema, das in der Katechese entfaltet wird, angemessen zu begreifen. Diese Verkündigung entspricht dem Verlangen nach dem Unendlichen, das es in jedem menschlichen Herzen gibt.“: PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013), 164–165: a. a. O., S. 117 f.</ref>

39. Nicht nur die „Erstverkündigung“ des Glaubens hat einen kerygmatischen Charakter, sondern es ist wichtig, dass auch das Ehesakrament selbst zum Gegenstand einer echten Verkündigung durch die Kirche wird, insbesondere für Menschen, denen es an einer reifen Glaubenserfahrung und an kirchlicher Beteiligung fehlt. Sie müssen an den bereits verheirateten Paaren sehen und selbst erfahren können, dass das eheliche Leben die Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen in seinem Verlangen nach Gegenseitigkeit, Gemeinschaft und Fruchtbarkeit, sowohl körperlich als auch geistig, ist.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 201: a. a. O., S. 143 f.</ref> Das katechetische Angebot wird daher versuchen, den ehelichen und familiären Charakter der Liebe hervorzuheben und alle ihre besonderen Merkmale hervorzuheben: Ganzheitlichkeit, Komplementarität, Einzigartigkeit, Endgültigkeit, Treue, Fruchtbarkeit, öffentlicher Charakter. Die „Verkündigung des Evangeliums“ über die Ehe wird zeigen, dass dies die Merkmale sind, die der inneren Dynamik der menschlichen Liebe entspringen. Das bedeutet, dass Treue, Einzigartigkeit, Endgültigkeit, Fruchtbarkeit, Ganzheitlichkeit im Grunde die „wesentlichen Dimensionen“ jeder echten Liebesbeziehung sind, die von einem Mann und einer Frau verstanden, gewollt und kohärent gelebt werden, und nicht nur die „charakteristischen Merkmale“ der „katholischen“ Ehe. Folglich kann das Ehesakrament den Paaren nicht als bloße moralische oder rechtliche Verpflichtung präsentiert werden, der sie sich unterwerfen müssen, sondern als Geschenk, als angebotene Gnade, als Hilfe, die Gott ihnen zur Verfügung stellt, gerade um die Anforderungen einer echten Liebe zu erfüllen. Die Ehepastoral muss, kurz gesagt, immer einen freudigen und kerygmatischen Ton anschlagen – energisch und gleichzeitig proaktiv – entsprechend dem, was von Johannes Paul II. und Franziskus vorgeschlagen wurde.<ref>Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 68: a. a. O., S. 111 ff.; PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 1, 59, 200–201: a. a. O., S. 9, 49 f., 142 ff.</ref> Das Zeugnis, die Schönheit und die anziehende Kraft der christlichen Familien werden den Hirten angesichts dieser Herausforderungen zu Hilfe kommen können.<ref>„Das überzeugendste Zeugnis des Segens der christlichen Ehe ist das gute Leben der christlichen Eheleute und der Familie. Es gibt keinen besseren Weg, um die Schönheit des Sakraments zum Ausdruck zu bringen!“: PAPST FRANZISKUS, Generalaudienz (29. April 2015).</ref>

40. In diesem Augenblick, in dem man die Paare kennenlernt, die zum Ehekatechumenat eingeladen werden können, sollte ein besonderes Augenmerk auf all jene gelegt werden, die es vorgezogen haben, zusammenzuleben, ohne zu heiraten, die aber dennoch offen für das religiöse Gespräch und bereit sind, sich der Kirche zu nähern. Mit verständnisvollem Blick<ref>Bei diesem Bemühen um Verständnis ist es nützlich, im Licht der in Amoris laetitia, 301–303, genannten Kriterien die subjektiven und objektiven Schwierigkeiten der Menschen zu berücksichtigen, die „Schwierigkeiten des Verstehens“ und die „Schwierigkeiten des Lebens“ von dem, was die Kirche vorschlägt: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 301–303: a. a. O., S. 214–217.</ref> sind sie mit Herzlichkeit und ohne Legalismus zu empfangen. Ihr „Wunsch nach Familie“ ist zu würdigen, ohne sie unter Druck zu setzen. Man soll sie einfach zu einer Zeit des Zuhörens und der Reflexion einladen und ihnen klar machen, dass jede Entscheidung, die sakramentale Ehe zu schließen, von ihnen selbst, autonom und aus persönlicher Überzeugung, als Frucht dieser Zeit der Unterscheidung getroffen wird.<ref>„Gleichzeitig sollt ihr mit dem Stil, der dem Evangelium entspricht, in der Begegnung und in der Annahme jenen jungen Menschen nahe sein, die zusammenleben möchten, ohne zu heiraten. Auf geistlicher und sittlicher Ebene gehören sie zu den Armen und den Geringen, gegenüber denen die Kirche, auf der Spur ihres Meisters und Herrn, eine Mutter sein will, die niemanden verlässt, sondern nahe ist und Sorge trägt. Auch diese Menschen sind vom Herzen Jesu geliebt. Betrachtet sie mit Zärtlichkeit und Mitgefühl.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer des Kurses zum Eheprozess (25. Februar 2017).</ref>

41. Die Aufnahme kann durch ein Ehepaar vorgenommen werden, das nach Möglichkeit vom Priester unterstützt wird. Sie kann aus einigen wenigen Treffen bestehen, bei denen in einer angenehmen und brüderlichen Atmosphäre versucht wird, gemeinsam mit dem Paar die wahren Gründe zu verstehen, warum es um die Vorbereitung auf die Ehe bittet, oder zumindest einen Weg der Unterscheidung gehen will. Dies ist ein günstiger Zeitpunkt für eine Klärung der zweideutigen Beweggründe, die dem Wunsch nach einer kirchlichen Trauung zugrunde liegen können, und, im Falle von Menschen, die sich von der religiösen Praxis distanziert haben, für eine erste Verkündigung des Glaubens. Es wird dem Paar Zeit gelassen, gemeinsam nachzudenken, zu entscheiden und eine fundierte Wahl zu treffen. Daher ist es gut, wenn der Dialog mit den Bewerbern zu verschiedenen Zeitpunkten stattfindet. Um der Arbeit des Paares an der Selbstbeobachtung eine Richtung zu geben und sie zu konkretisieren, kann es nützlich sein, einen Entwurf für die Reflexion im Hinblick auf spätere Treffen zu schaffen.

42. Sowohl für diejenigen, die bereits die religiöse und kirchliche Dimension leben, als auch für diejenigen, die noch keine Glaubenserfahrung haben, ist es wichtig, dass eine innere Bereitschaft besteht, mit dem Ehekatechumenat einen Weg der Glaubensumkehr zu beginnen. Erst wenn die Paare in ihrer Entscheidung gereift sind, den Weg des Glaubens weiterzugehen, werden sie zur nächsten Phase übergehen.

43. Wie bereits erwähnt, erfordert die sehr große Zahl der Getauften, die heute um eine kirchliche Trauung bitten, ohne eine reife Glaubenserfahrung und kirchliche Einbindung zu haben, eine pastorale Haltung, die ihnen mehr Aufmerksamkeit schenkt, als dies bisher der Fall war.<ref>Zu diesem grundlegenden Aspekt, der für eine angemessene Erneuerung der Ehevorbereitungspastoral nicht ignoriert werden kann, ist es sehr nützlich, auf das Dokument Die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung der Internationalen Theologischen Kommission zu verweisen, das am 19. Dezember 2019 die positive Stellungnahme des Heiligen Vaters erhalten hat: INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION: Die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 223 (Bonn 2020).</ref> Es ist darauf zu achten, dass diesen Situationen mit der richtigen Einstellung begegnet wird, wobei oberflächliche und übereilte Vorschläge zu vermeiden sind. Sie sind stattdessen als wertvolle Gelegenheit zur Verkündigung und zur Nähe gegenüber den „kleinen Brüdern und Schwestern im Glauben“, die zur Fülle des christlichen Lebens und des Ehesakraments<ref>„,All diese Situationen müssen in konstruktiver Weise angegangen werden, indem versucht wird, sie in Gelegenheiten für einen Weg hin zur Fülle der Ehe und der Familie im Licht des Evangeliums zu verwandeln. Es geht darum, sie mit Geduld und Feingefühl anzunehmen und zu begleiten.‘ Das tat Jesus mit der Samariterin (vgl. Joh 4,1–26): Er sprach ihre Sehnsucht nach wahrer Liebe an, um sie von allem zu befreien, was ihr Leben verfinsterte, und sie zur vollen Freude des Evangeliums zu führen.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 294: a. a. O., S. 208.</ref> begleitet werden sollen, zu verstehen, damit „jeder Mann und jede Frau, die heiraten, das Ehesakrament nicht nur gültig, sondern auch mit innerer Frucht empfangen“.<ref>PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 68: a. a. O., S. 113.</ref>

44. Es wird mehr denn je notwendig sein, an die nicht praktizierenden Getauften, die wenig oder gar keine Glaubenserfahrung haben, eine ausdrückliche Einladung zu richten, einen katechumenalen Weg zu beschreiten, der auf die Annahme des Kerygmas, die Bildung des Verstandes und des Herzens gemäß den Lehren Jesu und auf die Eingliederung in das Leben der Kirche abzielt. Das Lehramt der letzten drei Päpste hat in der Tat die Beziehung zwischen dem Glauben und dem Ehesakrament hervorgehoben und bekräftigt.<ref> Vgl. PAPST JOHANNES PAUL II., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (30. Januar 2003); PAPST BENEDIKT XVI., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (26. Januar 2013); PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (23. Januar 2015).</ref> Das Vorhandensein eines lebendigen und ausdrücklichen Glaubens bei den Eheleuten ist offensichtlich die ideale Situation, um mit der klaren und bewussten Absicht in die Ehe zu gehen, eine wahre Ehe zu schließen: unauflöslich und exklusiv, auf das Wohl der Eheleute ausgerichtet und offen für Nachkommen. Dennoch: Die für den Zugang zum Ehesakrament und dessen Gültigkeit notwendige Voraussetzung ist und bleibt nicht ein bestimmtes, a priori festgelegtes „Mindestmaß an Glauben“ seitens der Brautleute,<ref>„Es ist gut, noch einmal deutlich zu betonen, dass die Qualität des Glaubens keine wesentliche Bedingung für den Ehekonsens ist, der der immerwährenden Lehre zufolge nur auf natürlicher Ebene untergraben werden kann (vgl. CIC, can. 1055 § 1 und 2). Denn der habitus fidei wird im Augenblick der Taufe eingegossen und übt weiterhin einen geheimnisvollen Einfluss in der Seele aus, auch wenn der Glaube nicht entwickelt wurde und auf psychologischer Ebene nicht vorhanden zu sein scheint. Nicht selten haben die Brautleute, vom instinctus naturae zur wahren Ehe geführt, im Augenblick der Feier ein begrenztes Bewusstsein von der Fülle von Gottes Plan und entdecken erst später im Familienleben all das, was Gott, der Schöpfer und Erlöser, für sie bestimmt hat. Die mangelnde Glaubensbildung und auch der Irrtum über die Einheit, die Unauflöslichkeit und die sakramentale Würde der Ehe beeinträchtigen den Ehekonsens nur dann, wenn sie den Willen bestimmen (vgl. CIC, can. 1099). Gerade deshalb müssen die Irrtümer, die die Sakramentalität der Ehe betreffen, sehr vorsichtig bewertet werden.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (22. Januar 2016).</ref> sondern ihre Absicht, das zu tun, was die Kirche bei der Feier der Ehe zwischen Getauften beabsichtigt.<ref>„Die traditionelle Sakramentenlehre [ist] der Überzeugung, dass ein Sakrament zumindest die Intention voraussetzt, das zu vollziehen, was die Kirche tut: ,Alle diese Sakramente werden durch dreierlei vollzogen, nämlich durch die Dinge als Materie, die Worte als Form und die Person des Spenders, der das Sakrament erteilt in der Absicht, zu tun, was die Kirche tut (cum intentione faciendi quod facit ecclesia); wenn irgendetwas von diesen fehlt, kommt das Sakrament nicht zustande.‘ In der lateinischen Kirche gilt als ,opinio communis‘, dass die Spender des Ehesakramentes die Brautleute selbst sind, wenn sie sich wechselseitig die Ehe schenken. Jede sakramentale Ehe setzt mindestens die Intention voraus, eine Ehe im naturgegebenen Sinn eingehen zu wollen. Denn die naturgegebene Ehe impliziert nach kirchlicher Auffassung die wesentlichen Merkmale der Unauflöslichkeit, Treue und Hinordnung auf das ,Ehegut‘ der Nachkommenschaft. Deshalb lässt sich folgern: Wenn die Intention, eine Ehe einzugehen, diese wesentlichen Konstitutiva nicht zumindest implizit einschließt, fehlt ihr so Entscheidendes, dass das Zu-standekommen einer naturgegebenen Ehe infrage steht und also auch die unverzichtbare Voraussetzung für ihre Erhebung auf die sakramentale Ebene.“: INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION: Die Reziprozität zwischen Glaube und Sakramenten in der sakramentalen Heilsordnung, 168: a. a. O., S. 142 f.</ref>

45. Auf der pastoralen Ebene müssen die verschiedenen Situationen, in welchen sich diejenigen Getauften befinden, die eine unzureichende Bereitschaft zum Glauben zeigen, sorgfältig bewertet werden.

Wenn sie ausdrücklich und förmlich ablehnen, was die Kirche mit der Feier der Ehe beabsichtigt, können die Brautleute nicht zur sakramentalen Feier zugelassen werden.<ref>„Die mit dem Sakrament verbundene Intention ist nie Frucht eines Automatismus, sondern immer eines vom Glauben erleuchteten Gewissens, gleichsam das Ergebnis eines Zusammenspiels zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen. In diesem Sinne kann der Ehebund nur dann als wahr bezeichnet werden, wenn der menschliche Wille der Brautleute auf das ausgerichtet ist, was Christus und die Kirche wollen.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahrs der Römischen Rota (29. Januar 2018); „Wenn hingegen die Brautleute trotz aller pastoralen Bemühungen zeigen, dass sie ausdrücklich und formell zurückweisen, was die Kirche bei der Eheschließung von Getauften meint, kann sie der Seelsorger nicht zur Trauung zulassen. Wenn auch schweren Herzens, hat er die Pflicht, die gegebene Lage zur Kenntnis zu nehmen und den Betroffenen zu verstehen zu geben, dass unter diesen Umständen nicht die Kirche, sondern sie selber es sind, die die Feier verhindern, um die sie bitten.“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 68: a. a. O., S. 113.</ref> Manchmal kommt es vor, dass diese Ablehnung in den Köpfen und Herzen der Brautleute wirklich vorhanden ist, ohne dass sie sich dessen voll bewusst sind oder ohne dass sie es offen kundtun. Es ist daher die ernste Aufgabe der Seelsorger, die wirklichen Absichten der Brautleute herauszufinden, damit sie sich dieser bewusst werden und sie aufrichtig gegenüber ihren Begleitern bekunden, um zu vermeiden, dass die Vorbereitung und die Feier der Ehe auf rein äußerliche Handlungen reduziert werden.

Wenn hingegen, ohne das abzulehnen, was die Kirche zu tun beabsichtigt, eine unvollkommene Disposition der Brautleute vorliegt, darf ihre Zulassung zur Feier des Sakraments nicht ausgeschlossen werden. Die Pastoralreferenten werden es nicht versäumen, diese Situation als günstigen Moment für die Wiederentdeckung des Glaubens durch die Paare zu nutzen und sie zu einer größeren Reife zu führen, indem sie zu den Wurzeln ihrer Taufe zurückkehren, den „Samen“ des göttlichen Lebens, der bereits in sie gesät wurde, wiederbeleben und sie einladen, über die Wahl der sakramentalen Ehe als Festigung, Heiligung und volle Erfüllung ihrer Liebe nachzudenken.<ref>„Der Glaube dessen, der von der Kirche eine Trauungsfeier für sich erbittet, kann ja verschiedene Grade haben, und es ist eine vorrangige Verpflichtung der Seelsorger, diesen Glauben entdecken zu helfen, ihn zu stärken und zur Reife zu führen. Sie müssen aber auch die Gründe verstehen, die es der Kirche ratsam erscheinen lassen, auch Brautleute mit einer nur unvollkommenen Einstellung zur kirchlichen Trauung zuzulassen.“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 68: a. a. O., S. 111.</ref> Nur wenn man das Geschenk des Christseins – neue Geschöpfe, Kinder Gottes, von ihm geliebt und berufen – wiederentdeckt, ist es möglich, das Sakrament der Ehe, in Kontinuität mit der eigenen Taufidentität und als Erfüllung eines besonderen Rufes Gottes, klar zu erkennen. Das Wiedererwachen des Glaubens führt nämlich ganz natürlich dazu, die Kraft der sakramentalen Gnade, die in der Ehe vorhanden ist, wahrzunehmen und bereit zu sein, sie auf die bestmögliche Weise anzunehmen.<ref>„Die christlichen Brautleute sind nicht naiv, sie kennen die Probleme und die Gefahren des Lebens. Doch sie haben keine Angst, ihre Verantwortung zu übernehmen, vor Gott und der Gesellschaft. [...] Sicher, es ist schwierig. Darum braucht es die Gnade, die Gnade, die uns das Sakrament verleiht! Die Sakramente sind nicht dafür da, das Leben zu dekorieren [...] die Gnade ist nicht dazu da, um das Leben zu verschönern, sie ist da, um uns im Leben zu stärken, um uns mutig zu machen, damit wir vorangehen können! [...] Die Christen schließen eine sakramentale Ehe, weil sie sich bewusst sind, dass sie es brauchen! Sie brauchen es, um miteinander vereint zu sein und um ihre Aufgabe als Eltern zu erfüllen. ,In guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit‘.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Familien, die im Jahr des Glaubens nach Rom pilgern (26. Oktober 2013).</ref>

46. Einige Situationen, die in allen Regionen der Welt immer häufiger vorkommen, verdienen besondere Aufmerksamkeit und seelsorgerische Begleitung: Es handelt sich um Paare, bei denen ein Partner Christ ist und der andere einer nichtchristlichen Religion angehört, oder bei denen ein Partner katholisch ist und der andere einer anderen christlichen, nicht katholischen Konfession angehört. Genauso wie es Paare geben kann, bei denen beide Partner katholisch sind, aber einer der beiden weigert sich, den katechumenalen Weg zu gehen. In all diesen Fällen ist es die Aufgabe des Priesters, die beste Vorgehensweise bei der Ehevorbereitung zu beurteilen.

47. Am Ende der Phase der Aufnahme, wenn der Entschluss zum Eintritt in den Katechumenatsweg gereift ist, wird das Paar in die erste Phase der Ausbildung zur Ehe (nähere Vorbereitung) eingeführt. Dieser Schritt kann durch einen Ritus des Eintritts in das eigentliche Katechumenat ausgedrückt werden. Dies kann auf einfache Weise geschehen, indem die Paare während der sonntäglichen Feier der Gemeinde vorgestellt werden, mit kurzen Formeln, einem geeigneten Gebet und einigen konkreten Gesten, z. B. der Übergabe der Bibel; dabei ist jedoch zu vermeiden, dass ein solcher Ritus in irgendeiner Weise als „Hochzeitsritus“ erscheinen kann. Die Gemeinschaft sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Paare den katechumenalen Weg beschreiten, der eine Zeit der Unterscheidung im Hinblick auf die Entscheidung für die Ehe darstellt. Alternativ, insbesondere wenn es aus kulturellen Gründen angemessener wäre, ein „öffentliches“ und gemeinschaftliches Ritual zu vermeiden, könnte man die Paare innerhalb der Gruppe der neuen Katechumenen zu einem intimeren Moment des Gebets zusammen mit dem Begleitteam einladen, und ihnen die Bibel oder ein anderes geeignetes Symbol für diesen Anlass überreichen.

C. Katechumenale Phase

48. Das Katechumenat ist als eine unterschiedlich lange Ausbildungszeit gedacht, welche die nähere Vorbereitung, die unmittelbare Vorbereitung und die Begleitung in den ersten Ehejahren umfasst. Die folgenden Hinweise sind nur als Leitlinien gedacht und sollten mit pastoraler Klugheit entsprechend den konkreten Möglichkeiten, die sich in jeder Teilkirche ergeben, umgesetzt werden.

Im Allgemeinen wird empfohlen, dass die nähere Vorbereitung etwa ein Jahr dauert, je nach der bisherigen Glaubenserfahrung und dem kirchlichen Engagement des Paares. Wenn der Entschluss zur Heirat gefasst ist – ein Moment, der durch den Ritus der Verlobung besiegelt werden könnte –, könnte man mit der unmittelbaren Vorbereitung auf die Ehe beginnen, die einige Monate dauert, um eine echte und angemessene Einführung in das Ehesakrament zu erhalten. Die Dauer dieser Phasen muss, wie wir wiederholen, den religiösen, kulturellen und sozialen Aspekten des Umfelds, in dem man lebt, und sogar der persönlichen Situation des jeweiligen Paares angepasst werden. Es ist wichtig, den Rhythmus der Treffen zu bewahren, um die Paare daran zu gewöhnen, sich verantwortungsvoll um ihre Berufung und ihre Ehe zu kümmern.

Erste Phase: nähere Vorbereitung

49. Das Ehekatechumenat nimmt in dieser Phase den Charakter eines echten Glaubensweges an, auf dem die christliche Botschaft in ihrer immerwährenden Neuheit und Frische wiederentdeckt und neu dargeboten wird.<ref>„In den Ehevorbereitungskursen ist es unverzichtbar, die Katechesen der christlichen Initiation in den Glauben wieder aufzugreifen, deren Inhalte nicht als selbstverständlich betrachtet werden dürfen oder so, als hätten die Verlobten sie bereits verinnerlicht. Meistens muss die christliche Botschaft vielmehr ganz neu entdeckt werden von jenen, die bei einigen elementaren Inhalten des Katechismus der Erstkommunion und bestenfalls der Firmung stehengeblieben sind.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer eines Kurses, den das Gericht der Römischen Rota veranstaltet hat (27. September 2018).</ref> Zusammen mit der Wiederaufnahme einer Katechese zur christlichen Einführung in den Glauben werden die Sakramente der christlichen Initiation – Taufe, Firmung und Eucharistie – sowie das Sakrament der Versöhnung noch einmal behandelt. Ein ständiger Bezugspunkt für die Paare wird die Heilige Schrift sein, insbesondere die Genesis, die Propheten und das Hohelied, die Texte und Symbole enthalten, die für das Sakrament der Ehe grundlegend sind. Die Heiratskandidaten werden auch schrittweise in das christliche Gebet eingeführt – individuelles und gemeinschaftliches Gebet sowie das Gebet als Paar –, um sich eine Gebetsgewohnheit anzueignen, die eine große Stütze für ihr zukünftiges Eheleben sein wird, besonders in schwierigen Zeiten. <ref>„Der Weg der Vorbereitung auf die Ehe muss [...] auch hier [...] auf das Wesentliche abzielen: die Bibel, die man gemeinsam, in bewusster Weise neu entdecken muss; das Gebet in seiner liturgischen Dimension aber auch im ,häuslichen Gebet‘, das in der Familie gelebt werden muss; die Sakramente, das sakramentale Leben, die Beichte ..., wo der Herr in den Verlobten weilt und sie darauf vorbereitet, einander wirklich ,in der Gnade Christi‘ anzunehmen.“: PAPST FRANZISKUS, Generalaudienz (27. Mai 2015).</ref> In dieser Phase darf die Vorbereitung auf die besondere Sendung der Eheleute nicht vernachlässigt werden, da die Ehe ein Sakrament für die Sendung ist.<ref> „Die Entscheidung, ,im Herrn zu heiraten‘, enthält auch eine missionarische Dimension, die bedeutet, im Herzen die Bereitschaft zu haben, zum Vermittler des Segens Gottes und der Gnade des Herrn für alle zu werden. Denn die christlichen Eheleute haben als solche an der Sendung der Kirche teil. [...] Um allen die Gaben des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung anzubieten, braucht die Kirche auch die mutige Treue der Eheleute zur Gnade ihres Sakraments! Das Gottesvolk braucht ihren täglichen Weg im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung, mit allen Freuden und Mühen, die dieser Weg in einer Ehe und in einer Familie mit sich bringt.“: Papst FRANZISKUS, Generalaudienz (6. Mai 2015); vgl. auch PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 50: a. a. O., S. 83 f.; PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 121: a. a. O., S. 88 f.</ref>

50. Den Paaren wird geholfen, sich dem Leben der Kirche anzunähern und daran teilzuhaben.<ref>„Zugleich wurde die Notwendigkeit besonderer Kurse zur unmittelbaren Vorbereitung der Eheschließung betont, die eine wirkliche Erfahrung der Teilnahme am kirchlichen Leben sein sollen und die unterschiedlichen Aspekte des Familienlebens vertiefen.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 206: a. a. O., S. 147.</ref> Mit Sanftmut und menschlicher Wärme sowie Behutsamkeit können sie zu Gebetszeiten, zur sonntäglichen Eucharistiefeier, zur Beichte, zu Exerzitien, aber auch zu Feiern und zum geselligen Beisammensein eingeladen werden. Der Vorschlag sollte (je nach den konkreten Erfahrungen jedes Einzelnen) schrittweise umgesetzt werden, damit sich jedes Paar in den verschiedenen Bereichen des Gemeinschaftslebens – liturgisch, karitativ, sozial – wohlfühlen kann, ohne Zwang oder Druck auszuüben, sondern im Gegenteil das Gefühl hat, Gegenstand einer „unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien“<ref>Vgl. ebd., 296–297: a. a. O., S. 209 f.</ref> Barmherzigkeit zu sein, weil es den Ruf und das Geschenk erhalten hat, Teil der großen Familie der Jünger Christi zu sein.

51. Neben der Wiederaufnahme der christlichen Initiation in den Glauben stellt die nähere Vorbereitung auch eine Initiation in das Sakrament der Ehe dar. Aus diesem Grund wird es von grundlegender Bedeutung sein, in dieser Phase einen Reflexionsweg über die der Ehe eigenen Güter vorzubereiten, damit die neuen Generationen von Eheleuten mit größerem Bewusstsein zum Sakrament kommen, indem sie die wesentlichen Merkmale kennen, die es ausmachen, die Gnaden, die aus ihm fließen, und die Güter, die es mit sich bringt, und so bereit sind, diese Gnaden zu empfangen und diese Güter als Geschenk anzunehmen.<ref>„Es gibt verschiedene legitime Weisen, die unmittelbare Vorbereitung auf die Ehe zu gestalten, und jede Ortskirche soll unterscheiden, was für sie das Beste ist. Dabei soll sie für eine angemessene Fortbildung sorgen, die zugleich die jungen Menschen nicht vom Sakrament fernhält. [...] Es handelt sich um eine Art ,Initiation‘ in das Ehesakrament, die ihnen die notwendigen Elemente vermittelt, um es mit der besten inneren Bereitschaft empfangen zu können und das Familienleben mit einer gewissen Standfestigkeit zu beginnen.“: Ebd., 207: a. a. O., S. 147 f.</ref>

52. In dieser Phase wird es wichtig sein, alles zu vertiefen, was mit der Beziehung der Eheleute und den zwischenmenschlichen Dynamiken zu tun hat, die sie mit sich bringt, mit ihren „Regeln“, ihren Wachstumsgesetzen, den Elementen, die sie stärken und denen, die sie schwächen. Es wird sehr nützlich sein, die verschiedenen psychologischen und affektiven Haltungen, die für Männer und Frauen typisch sind, ihre unterschiedlichen Empfindlichkeiten, ihre verschiedenen Arten, Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen, die für die männliche und die weibliche Seele typischen „Nuancen“, die in jeder Zweierbeziehung zum Tragen kommen, genauer zu kennen.<ref>„Die Verlobung ist die Zeit, in der beide berufen sind, an der Liebe zu arbeiten – eine Arbeit, an der beide gemeinsam beteiligt sind und die in die Tiefe geht. Man erkennt einander also allmählich gegenseitig: Der Mann lernt die Frau kennen, indem er diese Frau, seine Verlobte, kennenlernt; und die Frau lernt den Mann kennen, indem sie diesen Mann, ihren Verlobten, kennenlernt. Wir dürfen die Bedeutung dieses Lernprozesses nicht unterbewerten: Es ist eine schöne Aufgabe, und die Liebe selbst erfordert sie.“: PAPST FRANZISKUS, Generalaudienz (27. Mai 2015).</ref> Die anthropologische Realität der menschlichen Person im Allgemeinen und der beiden Geschlechter im Besonderen, die von Gott geschaffen und gewollt ist, muss gut gekannt und verstanden werden, weil sie das „menschliche Material“ darstellt, das die Grundlage der ehelichen Beziehung bildet. Es gibt eine „Wahrheit“ der menschlichen Person sowie eine spezifische „Wahrheit“ des Mann- und Frauseins, die akzeptiert und angenommen werden müssen, da alles, was gegen diese „Wahrheiten“ verstößt und sie mit Füßen tritt, und auch innerhalb der Ehe Unbehagen und Leiden verursacht.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 133–141: a. a. O., S. 96–101.</ref>

53. Es gibt noch viele andere Aspekte, die mit der menschlichen Realität der Person und des Paares zusammenhängen und die eingehend untersucht werden müssen: die menschlichen Dynamiken der ehelichen Sexualität, die richtige Auffassung von verantwortungsvoller Vaterschaft und Mutterschaft, die Erziehung von Kindern. Die Katechese und die christlichen Lehren werden dazu beitragen, die Kenntnis der Wahrheit über die Ehe und die persönliche Gewissensbildung zu festigen.<ref>„Auf dieser Grundlage setzt dann intensiv die nähere Vorbereitung ein, die vom geeigneten Alter an und mit Hilfe einer angemessenen Katechese wie in einem Katechumenat eine mehr ins einzelne gehende Vorbereitung auf die Sakramente umfasst, die gleichsam deren Neuentdeckung bedeutet. Eine solche erneute Glaubensunterweisung für alle, die sich auf eine christliche Ehe vorbereiten, ist unbedingt notwendig, damit dieses Sakrament mit der rechten moralischen und geistlichen Einstellung gefeiert und gelebt wird. Die religiöse Formung der jungen Leute muss im geeigneten Augenblick und entsprechend den verschiedenen konkreten Notwendigkeiten durch eine Vorbereitung auf ein Leben zu zweit ergänzt werden, welche die Ehe als eine personale Beziehung von Mann und Frau darstellt, die ständig weiterentwickelt werden muss, und so dazu anregt, die Fragen ehelicher Sexualität und verantwortlicher Elternschaft zu vertiefen, zusammen mit den damit verbundenen Grundkenntnissen von Medizin und Biologie, welche ferner als Voraussetzung für ein gutes Familienleben richtige Methoden der Kindererziehung vermittelt und auch dazu anleitet, sich die Grundlagen für einen geregelten Unterhalt der Familie zu beschaffen.“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 66: a. a. O., S. 107 f.; vgl. auch PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 35: a. a. O., S. 103 f.</ref> In dieser Phase wird es wertvoll sein, die Erfahrung von Eheleuten wertzuschätzen, die bereits einige Jahre Ehe hinter sich haben.

54. Zu dieser Arbeit der Vertiefung der menschlichen Realität der Person und des Paares gehört es, sich eventueller psychologischer und/oder affektiver Mängel bewusst zu werden, die die Verpflichtung zur Selbsthingabe und gegenseitigen Liebe, die sich die Eheleute gegenseitig versprechen, schwächen oder sogar ganz zunichtemachen können. Die Entdeckung möglicher persönlicher Unzulänglichkeiten muss jedoch nicht notwendig dazu führen, dass die Entscheidung für das Eheleben aufgegeben wird, sondern kann der Anreiz sein, einen ernsthafteren Wachstumsprozess in Gang zu setzen, der den Menschen darauf vorbereitet, einen ausreichenden Zustand innerer Freiheit und psychologischer Reife zu erreichen, um das Eheleben mit Freude und Gelassenheit anzunehmen.<ref>Vgl. PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 36: a. a. O., S. 104.</ref>

55. Das spezifische Ziel dieser Phase ist es, die Entscheidung des Paares über seine Berufung zur Ehe abzuschließen. Dies kann zu der freien, verantwortungsvollen und wohlüberlegten Entscheidung führen, eine Ehe einzugehen, oder es kann zu der ebenso freien und wohlüberlegten Entscheidung führen, die Beziehung zu beenden und nicht zu heiraten. Um den Eheleuten „Stoff“ zur Unterscheidung zu bieten, wird sich diese Phase nicht nur mit der Theologie der Ehe befassen, sondern auch mit den vielen anderen Aspekten, die mit der „Praxis“ des Ehelebens zusammenhängen: mit den Absichten, die man in Bezug auf den Willen hat, sich lebenslang zu binden, sowie in Bezug auf die Nachkommenschaft mit möglichen Unvereinbarkeiten, Erwartungen und persönlichen Vorstellungen, die man in Bezug auf die Liebe und das Eheleben hat. Ziel ist es, ihnen den Unterschied zwischen der „Vorbereitung auf den Tag der Hochzeit“ (preparation of a wedding) und der „Vorbereitung auf das Eheleben“ (preparation to a marriage) zu verdeutlichen.

Die künftigen Eheleute werden aufgefordert, realistisch und aufrichtig – jeder für sich und gemeinsam – zu prüfen, ob der Weg der Ehe dem entspricht, was sie wünschen und wozu der Herr sie beruft.<ref>„Wenn es der Pfarrgemeinde gelingt, die bereits Verlobten eine gute Zeit vorher zu begleiten, dann muss diese Vorbereitung auch die Möglichkeit schaffen, Unverträglichkeiten oder Risiken zu erkennen. Auf diese Weise kann man zu der Erkenntnis kommen, dass es nicht sinnvoll ist, sich auf diese Verbindung festzulegen, um sich nicht einem absehbaren Scheitern auszusetzen, das sehr schmerzliche Folgen haben wird. Das Problem ist, dass die Anfangsbegeisterung dazu führt, dass man versucht, vieles zu verbergen oder zu relativieren; man vermeidet Unstimmigkeiten, und so schiebt man die Schwierigkeiten nur vor sich her. Die Verlobten müssten Anregung und Hilfe erfahren, damit sie darüber sprechen können, was jeder von einer eventuellen Ehe erwartet, was er unter Liebe und Verpflichtung versteht, was er sich vom anderen wünscht, welche Art von gemeinsamem Leben man planen möchte. Diese Gespräche können die Augen dafür öffnen, dass es in Wirklichkeit wenige Berührungspunkte gibt und dass die bloße gegenseitige Attraktion keine ausreichende Grundlage für eine Verbindung ist. Nichts ist flüchtiger, unsicherer und unberechenbarer als das Begehren, und niemals darf man zu der Entscheidung einer Eheschließung ermutigen, wenn nicht andere Motivationen ergründet worden sind, die dieser Bindung wirkliche Chancen zur Beständigkeit verleihen.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 209: a. a. O., S. 149.</ref> Eine solche Prüfung, die auch im Rahmen eines spirituellen Dialogs, sowohl persönlich als auch als Paar, durchzuführen ist, sollte nicht unterschätzt werden, da die Erfahrung der kirchlichen Gerichte die extreme Zerbrechlichkeit von Paaren zeigt, denen es trotz ihres Glaubens und ihrer anfänglichen Begeisterung an den grundlegenden Voraussetzungen fehlt, die notwendig wären, um eine Ehe zu schließen: Fähigkeit und Wille.<ref>„Das Recht auf Ehe oder ,ius connubii‘ muss in dieser Perspektive betrachtet werden. Es geht dabei also nicht um einen subjektiven Anspruch, der durch eine rein formale Anerkennung von den Hirten erfüllt werden muss, unabhängig vom tatsächlichen Inhalt der Vereinigung. Das Recht auf Ehe setzt voraus, dass man sie wirklich schließen kann und will, also in der Wahrheit ihres Wesens, wie die Kirche es lehrt. Niemand kann das Recht auf eine Trauung beanspruchen. Das ,ius connubii‘ bezieht sich nämlich auf das Recht, eine wahre Eheschließung vorzunehmen. Das ,ius connubii‘ würde demnach dort nicht verweigert werden, wo klar ist, dass die Voraussetzungen für seine Ausübung nicht gegeben sind – wenn also deutlich die verlangte Ehefähigkeit fehlt oder der Wille sich ein Ziel setzt, das im Gegensatz zur natürlichen Wirklichkeit der Ehe steht.“: PAPST BENEDIKT XVI., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (22. Januar 2011).</ref>

56. Jede einzelne Person wird auf ihrem eigenen Weg der Reflexion, der Bekehrung und des Verständnisses des Sinns des Ehelebens begleitet, wobei stets die Logik des Respekts, der Geduld und der Barmherzigkeit befolgt werden.<ref>Man muss „,die möglichen Wachstumsstufen der Menschen, die Tag für Tag aufgebaut werden, mit Barmherzigkeit und Geduld begleiten‘ und so eine Gelegenheit schaffen [...] für die ,Barmherzigkeit des Herrn, die uns anregt, das mögliche Gute zu tun‘“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 308: a. a. O., S. 221; vgl. auch ebd., 295: a. a. O., S. 208.</ref> Die Logik der Barmherzigkeit führt jedoch niemals dazu, „von den Erfordernissen der Wahrheit und der Liebe des Evangeliums, die die Kirche vorlegt, absehen [zu] können“,<ref> Ebd., 300: a. a. O., S. 214.</ref> und niemals darf auf die Vorstellung des göttlichen Plans der menschlichen Liebe und der Ehe in seiner ganzen Schönheit und Größe verzichtet werden.<ref>„Dass die Kirche in keiner Weise darauf verzichten darf, das vollkommene Ideal der Ehe, den Plan Gottes in seiner ganzen Größe vorzulegen: ,Die jungen Getauften sollen ermutigt werden, nicht zu zaudern angesichts des Reichtums, den das Ehesakrament ihrem Vorhaben von Liebe schenkt, gestärkt vom Beistand der Gnade Christi und der Möglichkeit, ganz am Leben der Kirche teilzunehmen.‘ Die Lauheit, jegliche Form von Relativismus oder der übertriebene Respekt im Augenblick des Vorlegens wären ein Mangel an Treue gegenüber dem Evangelium und auch ein Mangel an Liebe der Kirche zu den jungen Menschen selbst. Außergewöhnliche Situationen zu verstehen bedeutet niemals, das Licht des vollkommeneren Ideals zu verdunkeln, und auch nicht, weniger anzuempfehlen als das, was Jesus dem Menschen anbietet. Wichtiger als eine Seelsorge der Gescheiterten ist heute das pastorale Bemühen, die Ehen zu festigen und so den Brüchen zuvorzukommen.“: Ebd., 307: a. a. O., S. 220 f.</ref> Die höchsten und nobelsten Ideale können anspruchsvoll und mühsam erscheinen. Sie sind aber auch diejenigen, die die menschliche Seele am stärksten anziehen, sie dazu anregen, über sich hinauszuwachsen und unserem irdischen Dasein Wert und Würde zu verleihen.

57. In dieser Hinsicht darf es der Kirche niemals an Mut fehlen, die kostbare Tugend der Keuschheit vorzustellen,<ref>Es ist „notwendig, an die Bedeutung der Tugenden zu erinnern. Unter ihnen erweist sich die Keuschheit als wertvolle Voraussetzung für ein ech-tes Wachstum der zwischenmenschlichen Liebe“: ebd., 206: a. a. O., S. 146; „Keuschheit ist die Freiheit von Besitz in allen Lebensbereichen. Nur wenn eine Liebe keusch ist, ist sie wirklich Liebe. Die Liebe, die besitzen will, wird am Ende immer gefährlich, sie nimmt gefangen, erstickt und macht unglücklich. Gott selbst hat den Menschen mit keuscher Liebe geliebt und ihm die Freiheit gelassen, Fehler zu machen und sich gegen ihn zu stellen. Die Logik der Liebe ist immer eine Logik der Freiheit.“: PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Patris corde anlässlich des 150. Jahrestages der Erhebung des heiligen Josef zum Schutzpatron der ganzen Kirche (8. Dezember 2020), 7.</ref> so sehr dies auch in direktem Gegensatz zur allgemeinen Mentalität stehen mag. Die Keuschheit muss als echte „Verbündete der Liebe“ dargestellt werden, nicht als deren Verneinung. Sie ist nämlich der bevorzugte Weg, um zu lernen, die Individualität und Würde des anderen zu respektieren, ohne ihn den eigenen Wünschen unterzuordnen. Die Keuschheit lehrt die Brautleute die Zeiten und Wege der wahren, zarten und großzügigen Liebe und bereitet sie auf die authentische Selbsthingabe vor, die dann ein Leben lang in der Ehe gelebt wird.<ref>„In dieser Zeit darf eine aufrichtige und mutige Erziehung zur Keuschheit, zur Liebe als Selbsthingabe nicht fehlen. Die Keuschheit ist keine Abtötung der Liebe, sondern Voraussetzung für wahre Liebe. Denn wenn die Berufung zur ehelichen Liebe Berufung zur Selbsthingabe in der Ehe ist, ist die Selbstbeherrschung notwendig, um sich wirklich hingeben zu können.“: PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 24: a. a. O., S. 99.</ref>

Es ist daher wichtig zu zeigen, dass die Tugend der Keuschheit nicht nur eine negative Dimension hat, die von jedem verlangt, sich je nach seinem Lebensstand eines unangemessenen Gebrauchs der Sexualität zu enthalten, sondern auch eine sehr wichtige positive Dimension der Freiheit vom Besitz des anderen – in körperlicher, moralischer und geistiger Hinsicht – besitzt, die im Fall der Berufung zur Ehe von grundlegender Bedeutung ist, um die eheliche Liebe zu orientieren und zu nähren und sie vor jeder Manipulation zu bewahren. Die Keuschheit lehrt letztlich, in jeder Lebenslage der Wahrheit der eigenen Liebe treu zu sein. Für verlobte Paare bedeutet dies, Keuschheit in Enthaltsamkeit zu leben und, sobald sie verheiratet sind, die eheliche Intimität in moralischer Rechtschaffenheit zu leben.<ref>„Die Keuschheit ,soll die Menschen in den verschiedenen Lebensständen auszeichnen: die einen im Stand der Jungfräulichkeit oder in der gottgeweihten Ehelosigkeit, einer hervorragenden Weise, sich leichter mit ungeteiltem Herzen allein Gott hinzugeben; die anderen, in der für alle vom Sittengesetz bestimmten Weise, je nachdem ob sie verheiratet oder unverheiratet sind‘. Verheiratete sind berufen, in ehelicher Keuschheit zu leben; die anderen leben keusch, wenn sie enthaltsam sind. [...] Die Brautleute sind aufgefordert, die Keuschheit in Enthaltsamkeit zu leben. Sie sollen diese Bewährungszeit als eine Zeit ansehen, in der sie lernen, einander zu achten und treu zu sein in der Hoffnung, dass sie von Gott einander geschenkt werden. Sie sollen Liebesbezeugungen, die der ehelichen Liebe vorbehalten sind, der Zeit nach der Heirat vorbehalten. Sie sollen einander helfen, in der Keuschheit zu wachsen.“: Katechismus der Katholischen Kirche, 2349–2350.</ref>

Die in Enthaltsamkeit gelebte Keuschheit lässt die Beziehung allmählich und in der Tiefe reifen. Wenn nämlich, wie es oft der Fall ist, die sexuell-genitale Dimension zum wichtigsten, wenn nicht gar einzigen Element wird, das ein Paar zusammenhält, treten alle anderen Aspekte unweigerlich in den Hintergrund oder werden verdrängt und die Beziehung kommt nicht voran. Die in Enthaltsamkeit gelebte Keuschheit erleichtert dagegen das gegenseitige Kennenlernen der Verlobten, denn indem sie verhindert, dass die Beziehung auf die körperliche Instrumentalisierung des anderen fixiert wird, ermöglicht sie einen tieferen Dialog, eine freiere Offenbarung des Herzens und das Hervortreten aller Aspekte – menschlich und geistig, intellektuell und emotional – der eigenen Persönlichkeit, in einer Weise, die ein echtes Wachstum in der Beziehung, in der persönlichen Gemeinschaft, in der Entdeckung des Reichtums und der Grenzen des anderen ermöglicht: und darin liegt der wahre Sinn der Verlobungszeit.<ref>„Ja, viele Paare sind lange Zeit zusammen, vielleicht auch in der Intimität, manchmal leben sie zusammen, aber sie kennen einander nicht wirklich. Das mag seltsam erscheinen, aber die Erfahrung zeigt, dass es so ist. Daher muss die Verlobung als Zeit des gegenseitigen Kennenlernens und des gemeinsamen Planens neu aufgewertet werden.“: PAPST FRANZISKUS, Generalaudienz (27. Mai 2015).</ref>

Auch wenn man sich an zusammenlebende Paare wendet, ist es nie unnütz, von der Tugend der Keuschheit zu sprechen. Diese Tugend lehrt jeden Getauften in jeder Lebenslage den richtigen Umgang mit seiner Sexualität, und deshalb ist sie auch im Eheleben von höchstem Nutzen. Bei den Eheleuten tritt nämlich die Bedeutung jener Werte und Achtsamkeiten, die die Tugend der Keuschheit lehrt, noch deutlicher hervor: die Achtung vor dem anderen, die Sorge, ihn niemals den eigenen Begierden zu unterwerfen, die Geduld und die Sanftmut gegenüber dem Ehepartner in Zeiten körperlicher und geistiger Schwierigkeiten, die Stärke und die Selbstbeherrschung, die in Zeiten der Abwesenheit oder der Krankheit eines der Ehepartner notwendig sind usw.<ref>Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 2348–2350.</ref> Auch in diesem Zusammenhang wird die Erfahrung der christlichen Eheleute wichtig sein, um die Bedeutung dieser Tugend in der Ehe und in der Familie zu erklären.

58. Besondere Aufmerksamkeit muss der spirituellen Methode gewidmet werden, die in dieser Phase der näheren Vorbereitung anzuwenden ist. Während dieser Zeit der Ausbildung und Einführung ist es notwendig, dass die Vermittlung theoretischer Inhalte mit dem Vorschlag eines spirituellen Weges einhergeht, der Gebetserfahrungen (persönlich, in der Gemeinschaft und als Paar), die Feier der Sakramente, geistliche Exerzitien, Momente der eucharistischen Anbetung, missionarische Erfahrungen und karitative Aktivitäten (je nach den pastoralen Kontexten) umfasst.

59. Am Ende dieser Phase und als Zeichen des Eintritts in die nächste Phase der unmittelbaren Vorbereitung könnte der Ritus der Verlobung stattfinden. Dieser Ritus – mit der Segnung der Verlobten und der Verlobungsringe (wo ein solcher Brauch üblich ist) – erhält seine volle Bedeutung nur, wenn er im Glauben gefeiert und gelebt wird, denn in ihm bittet man den Herrn um die Gnaden, die man braucht, um in der Liebe zu wachsen und sich würdig auf das Ehesakrament vorzubereiten.<ref>Vgl. BENEDIKTIONALE DES RITUALE ROMANO, 614, 625.</ref> Die Wahl des geeignetsten Zeitpunkts für die Feier dieses Ritus wird im Dialog mit den Mitgliedern des Begleitteams und dem geweihten Seelsorger persönlich getroffen.

60. Der Ritus der Verlobung sollte in seinem persönlichen und kirchlichen Wert sicherlich als ein bedeutsamer Moment auf dem Glaubensweg zum Sakrament der Ehe aufgewertet werden. In diesem Ritus „überträgt“ die Kirche den Paaren die Aufgabe der Verlobung, die in der Unterscheidung besteht. Indem dieser Moment ritualisiert wird, werden sich die Paare der Tatsache bewusster, dass sie in den kommenden Monaten dazu aufgerufen sind, eine innere Gewissheit über die Entscheidung zu heiraten und über die Person, die sie heiraten möchten, zu erlangen. Im Lichte eines vernünftigen menschlichen Urteils und im Lichte des Glaubens muss jeder Mensch in seinem Herzen diese Schlussfolgerung über den künftigen Ehepartner ziehen können: Er oder sie ist der Partner, der mit mir eine echte, treue und dauerhafte Liebesbeziehung leben wird und mit dem wir gemeinsam unsere künftige Familie gründen werden; er oder sie ist der Partner, den der Herr mir gegeben hat, damit wir gemeinsam einen Weg der Heiligkeit gehen, der mit mir Vater und Mutter der Kinder sein wird, die er uns schenken wird, und mit dem wir für den Rest unseres Lebens die „Mission“ unserer Ehe leben werden. Zu dieser Gewissheit zu gelangen, ist die „Sendung“ der Unterscheidung, welche die Kirche der Verantwortung der Ehepaare anvertraut und sie auffordert, sie mit dem nötigen Ernst anzunehmen.

61. Der Verlobungsritus wird auch als „Eheversprechen“ verstanden.<ref>„Das Eheversprechen [...] richtet sich nach dem Partikularrecht, das von der Bischofskonferenz unter Berücksichtigung von Gewohnheiten und weltlichen Gesetzen, soweit es welche gibt, erlassen worden ist.“: CIC, can. 1062 § 1.</ref> Aus diesem Versprechen ergibt sich jedoch keine rechtliche Verpflichtung zur Eheschließung, und die Freiheit des Vertragspartners, den Ehekonsens zu erklären, bleibt stets gewahrt. Die Feier des Ritus sollte außerdem keinesfalls mit der Ehe verwechselt werden: Aus diesem Grund wird empfohlen, die „Verlobung“ (Eheversprechen) oder den besonderen Segen für die Verlobten niemals mit der Feier der Messe zu verbinden.<ref>Vgl. BENEDIKTIONALE DES RITUALE ROMANO, 610.</ref> Der Ablauf der Feier sollte einfach und nüchtern sein: Einleitungsriten, Verkündigung des Wortes Gottes, Fürbitten, mögliches „Zeichen der Verpflichtung“ (z. B. Austausch der Verlobungsringe), Segensgebet und Abschluss des Ritus. Es ist wichtig, ausdrücklich an das Thema der Berufung zur Ehe zu erinnern und dass die biblischen Lesungen und die Gebete für Paare auf die eheliche Liebe, die durch dieselbe Liebe Gottes, die in die Herzen der Menschen eingegossen ist, geläutert, gestärkt, gefestigt und großzügig ist, ausgerichtet sind.

62. Die Tatsache, dass der „Status“ der Verlobten in dieser Phase des Weges in gewisser Weise formalisiert wird, ist von erheblicher Bedeutung und muss auch in ihrer gesellschaftlichen und kirchlichen Relevanz verstanden werden. Für diejenigen, die zusammenleben, kann es beispielsweise eine Hilfe zur „Objektivierung“ ihrer Beziehung sein – die von einigen von ihnen vielleicht nur in einer persönlichen und „privaten“ Perspektive wahrgenommen wird –, indem sie ihr eine öffentliche Dimension geben, die ihnen das Gefühl gibt, Teil einer aufnehmenden Gemeinschaft zu sein, die sie begleitet und sich ihre Verbindung zu Herzen nimmt. Für sie alle ist es eine Aufforderung zu verstehen, dass der künftige Lebensstand der „Eheleute“, auf den sie sich vorbereiten, weit über eine affektive Beziehung hinausgeht, die auf die private Sphäre emotionaler Erfahrungen beschränkt ist, und eine neue Realität hervorbringen wird, die Familie, die eine grundlegende soziale und kirchliche Rolle spielt.<ref>„Im Fall der Familie wird die Brüchigkeit der Bindungen besonders ernst, denn es handelt sich um die grundlegende Zelle der Gesellschaft, um den Ort, wo man lernt, in der Verschiedenheit zusammenzuleben und anderen zu gehören, und wo die Eltern den Glauben an die Kinder weitergeben. Die Ehe wird tendenziell als eine bloße Form affektiver Befriedigung gesehen, die in beliebiger Weise gegründet und entsprechend der Sensibilität eines jeden verändert werden kann. Doch der unverzichtbare Beitrag der Ehe zur Gesellschaft geht über die Ebene der Emotivität und der zufälligen Bedürfnisse des Paares hinaus. Wie die französischen Bischöfe darlegen, geht sie nicht hervor ,aus dem Gefühl der Liebe, das definitionsgemäß vergänglich ist, sondern aus der Tiefe der von den Brautleuten übernommen Verbindlichkeit, die zustimmen, eine umfassende Lebensgemeinschaft einzugehen‘.“: PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013), 66: a. a. O., S. 54.</ref>

63. Zusammengefasst sind die Ziele der näheren Vorbereitung: a) eine Katechese zur Einführung in den christlichen Glauben und eine Annäherung an das kirchliche Leben vorzuschlagen; b) eine spezifische Einführung in das Ehesakrament und ein klares Bewusstsein für seine wesentlichen Elemente zu erlangen; c) die Fragen im Zusammenhang mit der Beziehung des Paares zu vertiefen und sich der eigenen psychologischen und emotionalen Unzulänglichkeiten bewusst zu werden; d)eine erste Phase der Unterscheidung des Paares in Bezug auf die Berufung zur Ehe abzuschließen; e)den geistlichen Weg entschlossener fortzusetzen.<ref> PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 45–46: a. a. O., S. 107 f.</ref>

Zweite Phase: unmittelbare Vorbereitung

64. In den Monaten vor der Eheschließung findet die unmittelbare Vorbereitung auf die Hochzeit statt.<ref>„Die unmittelbare Vorbereitung auf die Feier des Ehesakramentes soll in den letzten Monaten und Wochen vor der Trauung stattfinden.“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 66: a. a. O., S. 108.</ref> Der Beginn dieses neuen Abschnitts kann durch einen kurzen geistlichen Einkehrtag und die Übergabe eines symbolischen Gegenstandes, z. B. eines Gebetes, markiert werden, das die Paare bei ihrer Begegnung gemeinsam beten können.

65. Es ist angebracht, die wichtigsten Inhalte des bisherigen Vorbereitungsweges in Erinnerung zu rufen: es ist zu erinnern an die unabdingbaren Bedingungen der Freiheit (im Paar und vom Paar) und des vollen Bewusstseins der Verpflichtungen, die mit der bevorstehenden Entscheidung eingegangen werden, die mit den wesentlichen Merkmalen der Ehe (Unauflöslichkeit, Einheit, Treue, Fruchtbarkeit) verbunden sind und die das spezifische Thema der vom Kirchenrecht vorgesehenen Gespräche mit dem Pfarrer sein werden.<ref>Es ist gut, dass der Inhalt dieser Gespräche zum Gegenstand einer ausdrücklichen Katechese wird, damit sie, wenn sie stattfinden, von den Eheleuten nicht als bloße Formalität, sondern als ein wichtiges Moment der freien Annahme der ehelichen Verpflichtungen und der vollen Übernahme der Verantwortung erlebt werden. In diesem Zusammenhang ist es gut, sich die Worte von Benedikt XVI. vor Augen zu halten: „Zu den Mitteln, die sicherstellen sollen, dass der Plan der Brautleute wirklich auf die Ehe ausgerichtet ist, gehört vor allem das Brautexamen. Dieses Examen hat in erster Linie einen rechtlichen Zweck: Es soll sicherstellen, dass einer gültigen und rechtmäßigen Eheschließung nichts im Wege steht. ,Rechtlich‘ bedeutet jedoch nicht ,formalistisch‘, als ob es ein bürokratischer Schritt sei, der darin besteht, ein Formular auszufüllen, auf der Grundlage standardisierter Fragen. Es handelt sich vielmehr um eine einzigartige pastorale Gelegenheit – der alle Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit entgegengebracht werden muss, die sie verlangt –, in der der Hirte durch ein respektvolles und herzliches Gespräch versucht, der Person zu helfen, sich der Wahrheit über sich selbst und über ihre menschliche und christliche Berufung zur Ehe ernsthaft zu stellen. In diesem Sinne erfordert das Gespräch, das immer mit jedem der beiden Verlobten allein geführt werden muss – was der Zweckdienlichkeit weiterer Gespräche mit dem Paar keinen Abbruch tut –, eine Atmosphäre völliger Aufrichtigkeit, wobei man die Tatsache hervorheben sollte, dass es vor allem im Interesse der Brautleute selbst liegt, eine gültige Ehe einzugehen.“: PAPST BENEDIKT XVI., Ansprache zur Eröffnung des Gerichtsjahres der Römischen Rota (22. Januar 2011).</ref> Gleichzeitig werden die lehrmäßigen, moralischen und geistlichen Aspekte der Ehe in Erinnerung gerufen. Auf diese Weise wird es möglich sein, auf die wesentlichen Punkte der Einführung in das Ehesakrament zurückzukommen, die bereits in der vorangegangenen Phase der näheren Vorbereitung behandelt wurden, oder es wird möglich sein, sie als eine wirkliche „Verkündigung des Evangeliums der Ehe“ für die Paare zu präsentieren, die nicht von einem solchen vorangegangenen Weg kommen.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 59–66: a. a. O., S. 49–53.</ref> Aufgrund verschiedener Umstände ist es nämlich möglich, dass einige Paare erst jetzt in den katechumenalen Weg aufgenommen werden und dass die unmittelbare Vorbereitung für sie die einzige konkrete Möglichkeit darstellt, ein Minimum an Ausbildung im Hinblick auf die Feier des Ehesakraments zu erhalten. Für sie wäre es angebracht, einige persönliche Gespräche mit dem pastoralen Team der Ehevorbereitung vorzusehen, um ihnen das Gefühl zu geben, dass man sich um sie kümmert und ihnen Aufmerksamkeit schenkt, um gemeinsam einige persönlichere Aspekte der Entscheidung für die Ehe zu vertiefen, je nach der Situation des Paares (das vielleicht Kinder hat und seit Langem zusammenlebt), um eine Beziehung mit den begleitenden Paaren herzustellen, die von Vertrauen, Herzlichkeit und Freundschaft gekennzeichnet ist. Gleichzeitig ist es sinnvoll, die „neuen“ Paare – die nicht aus der näheren Vorbereitungsphase kommen – ebenfalls an den Gruppentreffen teilnehmen zu lassen, damit sie sich in relativ kurzer Zeit im kirchlichen Kontext angenommen und eingebunden fühlen.

66. Daher werden speziell für Paare konzipierte spirituelle Erfahrungen (Hören des Wortes, Feier der Sakramente, Momente des persönlichen und gemeinsamen Gebets) durchgeführt, sodass die Begegnung mit dem Herrn als Quelle allen christlichen Lebens immer im Mittelpunkt steht. Es ist in der Tat immer notwendig, über eine rein soziologische Sicht der Ehe hinauszugehen, um den Brautleuten das Geheimnis der Gnade, das in ihr enthalten ist, und ganz allgemein die gesamte geistliche Dynamik des christlichen Lebens, die ihr zugrunde liegt, verständlich zu machen.

67. Es wird daher nützlich sein, die kerygmatische Verkündigung der Erlösung durch Christus neu zu formulieren, der uns von der Realität der Sünde rettet, die immer über dem Leben des Menschen schwebt. Die Eheleute dürfen nie vergessen, dass es letztlich die Sünde ist, die ihre Liebe wirklich bedroht. <ref> Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1606–1608.</ref> Viel schwerwiegender als jeder psychologische Mangel oder jede unvollkommene zwischenmenschliche Dynamik ist die Entfremdung von Gott, die im menschlichen Herzen eine Spirale der Verschlossenheit und des Egoismus auslöst, die die wahre Liebe behindert, weil sie die Offenheit, den Respekt und die Großzügigkeit gegenüber dem anderen verhindert. Um jeden Tag in der gegenseitigen Liebe wachsen zu können, ist es daher unabdingbar, mithilfe der Gnade die Sünde, die an der Tür des eigenen Herzens „lauert“ (Gen 4,7), zu beherrschen und darüber hinaus auf die Vergebung Gottes zurückzugreifen, der im Sakrament der Versöhnung, seine Liebe ausgießt, die stärker ist als jede Sünde.<ref>„Die Feier dieses Sakramentes bekommt für das Familienleben eine besondere Bedeutung. Die Gatten und alle Glieder der Familie entdecken im Licht des Glaubens, dass die Sünde nicht nur dem Bund mit Gott widerspricht, sondern auch dem Bund der Gatten und der Familiengemeinschaft; sie finden zur Begegnung mit Gott, ,der voll Erbarmen ist‘ und der in seiner Liebe, die stärker ist als die Sünde, die Gemeinschaft der Ehe und der Familie wiederherstellt und vertieft.“: PAPST JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (22. November 1981), 58: a. a. O., S. 95 f.</ref>

68. Je näher die Hochzeit rückt, desto mehr sollten sich die Paare bewusst machen, dass sie nicht nur Zuschauer, sondern im Namen Christi bei der Feier ihrer Ehe Spender des Sakramentes sind. Daher ist es wichtig, der liturgischen Vorbereitung der Paare, d. h. dem vollständigen Verständnis der Gesten und Bedeutungen, die dem Hochzeitsritus eigen sind, viel Raum zu widmen.<ref>„In der direkten Vorbereitung ist es wichtig, den Verlobten die nötige Einsicht zu vermitteln, damit sie die liturgische Feier ganz tief erleben, und ihnen zu helfen, den Sinn jeder Geste zu begreifen und innerlich nachzuvollziehen. Erinnern wir uns: Wenn es sich um zwei Getaufte handelt, können ein so bedeutendes Versprechen wie jenes, das der Ehekonsens ausdrückt, und die Vereinigung der beiden Körper, welche die Ehe vollzieht, nur als Zeichen der Liebe des Sohnes Gottes gedeutet werden, der Mensch geworden ist und sich in einem Bund der Liebe mit seiner Kirche vereint hat. Bei den Getauften verwandeln sich die Worte und die Gesten in ein beredtes Sprechen des Glaubens. [...] Manchmal begreifen die Brautleute nicht das theologische und spirituelle Gewicht des Konsenses, der ein Licht auf die Bedeutung aller späteren Gesten wirft. Es muss betont werden, dass diese Worte nicht auf die Gegenwart beschränkt werden können; sie beinhalten eine Totalität, welche die Zukunft einschließt.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 213–214: a. a. O., S. 151 f.</ref> Das Ritual für die Hochzeitsliturgie hat in sich einen pädagogischen Weg, der den Reichtum der anthropologischen (das Leben der Menschen), der biblischen (der Plan Gottes für die Familie), der kirchlichen (die Sendung der Familie in der Kirche und in der Welt) und der spirituellen Dimension (der Weg der Bekehrung und die Antwort auf das Wirken des Geistes) umfasst, sodass er den Umriss eines Weges für diese Phase darstellt. Die Paare sollen über den außerordentlichen Wert des „sakramentalen Zeichens“ unterrichtet werden, das ihr Eheleben annehmen wird: Mit dem Hochzeitsritus werden sie zu einem bleibenden Sakrament Christi, der die Kirche liebt. So wie die geweihten Amtsträger dazu berufen sind, „lebendige Abbilder“ Christi, des Priesters, zu werden, so sind auch die christlichen Ehepartner dazu berufen, „lebendige Abbilder“ Christi, des Bräutigams, zu werden. Mehr als Worte ist es die Art und Weise, wie die Eheleute leben und miteinander umgehen, die der Welt die großzügige und vollkommene Liebe vor Augen führen soll, mit der Christus die Kirche und die ganze Menschheit liebt.<ref>„Das Sakrament ist weder eine ,Sache‘ noch eine ,Kraft‘, denn in Wirklichkeit begegnet Christus selbst den christlichen Gatten [...]. Die christliche Ehe ist ein Zeichen, das nicht nur darauf hinweist, wie sehr Christus seine Kirche in dem am Kreuz besiegelten Bund geliebt hat, sondern das diese Liebe in der Gemeinschaft der Gatten gegenwärtig werden lässt. Indem sie sich vereinen und ein Fleisch werden, bilden sie die Vermählung des Gottessohnes mit der menschlichen Natur ab. [...] Auch wenn die ,Analogie zwischen dem Paar Mann-Frau und Christus-Kirche‘ eine ,unvollkommene Analogie‘ ist, lädt sie dazu ein, den Herrn anzurufen, dass er seine eigene Liebe in die Begrenztheit der ehelichen Beziehungen ausgieße.“: Ebd., 73: a. a. O., S. 57 f.</ref> Und das ist in der Tat das außergewöhnliche Zeugnis, das so viele christliche Eheleute der Welt geben: Ihre Fähigkeit zur Hingabe füreinander und für ihre Kinder, ihre Fähigkeit zur Treue, zur Geduld, zur Vergebung und zum Mitgefühl sind so stark, dass man eine „übernatürliche Quelle“ an der Basis ihrer Beziehung spüren kann, ein „Mehr“, das menschlich nicht erklärbar ist, das ihre Liebe unaufhörlich nährt und sie fast heroisch erscheinen lässt.<ref>„Da kommt mir die wunderbare Brotvermehrung in den Sinn: auch für euch kann der Herr die Liebe vermehren, sie euch jeden Tag frisch und gut schenken! Er hat einen unerschöpflichen Vorrat! Er schenkt euch die Liebe, die das Fundament eurer Verbindung ist, und erneuert, stärkt sie jeden Tag. Und er macht sie noch größer, wenn die Familie wächst, wenn Kinder dazukommen.“: PAPSt FRANZISKUS, Ansprache an junge Paare, die sich auf die Ehe vorbereiten (14. Februar 2014).</ref>

69. Im Hinblick auf die Hochzeitsfeier sollte darauf geachtet werden, dass die Braut und der Bräutigam in die Auswahl der Lesungen für den Gottesdienst einbezogen werden und möglicherweise auch dann, wenn es um die Auswahl der Optionen, die für andere Teile des Ritus vorgesehen sind (z. B. die verschiedenen Modalitäten des Eingangsritus, der Zeitpunkt des Ehesegens, die Formeln der Fürbitten, die Lieder usw.), geht. Ein Aspekt, der noch weiter hervorgehoben werden sollte, ist das Bewusstsein einer neuen Ausgießung des Heiligen Geistes während des Eheritus, der, indem er sich in die in der Taufe eingeleitete Dynamik der Gnade einfügt, der göttlichen Liebe, die uns von der Taufe an eingegossen wurde, eine neue Bedeutung verleiht und die nun die Züge der „ehelichen Liebe“ annimmt. Durch diese neue Ausgießung des Geistes werden die Herzen der Eheleute erneuert und ihre eheliche Liebe wird ausgerichtet und umgewandelt in eine Liebe, die die Tiefe und die unerschöpfliche Kraft der göttlichen Liebe in sich trägt, eben die „eheliche Liebe“.<ref>Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1624: „In der Epiklese dieses Sakramentes empfangen die Brautleute den Heiligen Geist als Gemeinschaft der Liebe zwischen Christus und der Kirche. Er ist das Siegel ihres Bundes, der stets strömende Quell ihrer Liebe, die Kraft, in der sich ihre Treue erneuert.“ Vgl. auch PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 120: a. a. O., S. 87 f. Es gibt verschiedene Epiklesen im Eheritus, und hier sind einige von ihnen (nach der italienischen Version der editio typica altera des Ordo celebrandi Matrimonium, die von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung durch das Dekret Prot. no. 874/02/L vom 29. April 2004 approbiert worden sind) zitiert; das Gebet am Ende der Anrufungen der Heiligen: „Gieße, Herr, über N. und N. den Geist deiner Liebe aus, damit sie ein Herz und eine Seele werden: Lass nichts die Eheleute trennen, die du vereint hast, und lass sie, erfüllt von deinem Segen, durch nichts betrübt werden. Durch Christus, unseren Herrn“; die Epiklese im Segensgebet der Eheleute (erste Formel): „Sieh mit Güte auf diese deine Kinder, die, vereint im Band der Ehe, um die Hilfe deines Segens bitten; gieße über sie die Gnade des Heiligen Geistes, damit sie durch die Kraft deiner Liebe in ihren Herzen dem ehelichen Bund treu bleiben“; im Segensgebet der Eheleute (zweite Formel): „O Gott, strecke deine Hand über N. und N. aus und gieße in ihre Herzen die Kraft des Heiligen Geistes. Gib, Herr, dass sie in der von dir geweihten Vereinigung die Gaben deiner Liebe teilen und, indem sie füreinander zum Zeichen deiner Gegenwart werden, ein Herz und eine Seele sind.“</ref> Auch die Heiligen, die in den Litaneien angerufen werden, sind Fürsprecher im Hinblick auf diese Ausgießung. Es wäre eine große Hilfe für Ehepaare, heilige/selige Ehepaare unserer Zeit anrufen zu können, die bereits die Erfahrung gemacht haben, Ehemann und Ehefrau, Vater und Mutter zu sein, sowie die Fürsprache der Heiligen, die für die Brautleute wichtig sind, um die Würde des Ehelebens in der kirchlichen Gemeinschaft zu stärken und ihnen zu helfen, die Schönheit und Kraft dieses Sakraments in der Heilsökonomie zu verstehen.

70. Einige Tage vor der Hochzeit ist eine einbis zweitägige spirituelle Einkehr sehr nützlich. Auch wenn dies in Anbetracht der vielen Verpflichtungen, die mit der Organisation der Hochzeit verbunden sind, unrealistisch erscheinen mag, so hat es sich doch in den Fällen, in denen sie durchgeführt wurde, als sehr vorteilhaft erwiesen. Gerade die Hektik der vielen praktischen Aufgaben im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Fest kann den Geist des Brautpaares von dem ablenken, was am wichtigsten ist: die Feier des Sakraments und die Begegnung mit dem Herrn, der kommt, um ihre menschliche Liebe zu „bewohnen“ und sie mit seiner göttlichen Liebe zu erfüllen. Übermäßige Angst vor „Dingen, die zu tun sind“, kann zur Ablenkung führen und die Gefahr bergen, dass die monatelange geistige Vorbereitung in den Hintergrund gerät. In diesem Sinne kann eine kurze Zeit der Einkehr im Vorfeld der Hochzeit helfen, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, den Blick von den sekundären Dingen abzuwenden und ihn stattdessen auf den Herrn zu richten, der den Brautleuten entgegenkommt und die Berufung, zu der er sie berufen hat, zur Vollendung bringt. Dort, wo ein echter Einkehrtag nicht möglich ist, kann auch eine kürzere Gebetszeit (z. B. ein abendliches Treffen wie eine „Gebetswache“) den Zweck erfüllen. In jedem Fall sollte der konkrete Vorschlag die konkreten Lebensverpflichtungen der betreffenden Paare und ihre tatsächlichen Möglichkeiten berücksichtigen, diese Zeit des Rückzugs vor der Hochzeitsfeier vorzusehen.

71. Im Vorfeld der Hochzeit – im Rahmen des oben erwähnten Einkehrtages oder der „Gebetswache“ oder auch in einem anderen Zusammenhang – ist die Feier des Sakraments der Versöhnung von großer Bedeutung.<ref>Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1622; PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 53: a. a. O., S. 111.</ref> Die Erfahrung zeigt, dass der Empfang der Vergebung Gottes – gegebenenfalls auch durch ein tieferes Bekenntnis, das das ganze bisherige Leben umfasst – das Paar besser als alles andere dazu befähigt, die Gnade anzunehmen, die Gott im Sakrament der Ehe für sie bereithält, da sie tiefe Schuldgefühle, die man aus der Vergangenheit „mitschleppt“, beseitigt, inneren Frieden schenkt, den Geist auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit und auf das, was wirklich zählt, ausrichtet und die Aufmerksamkeit von den rein materiellen Aspekten der Hochzeit ablenkt. Darüber hinaus ist die Beichte anlässlich der Eheschließung, manchmal nach Jahren des „Weglaufens“ vor dem Sakrament der Versöhnung, für viele ein Moment der Rückkehr zur sakramentalen Praxis. Wenn möglich, könnte man auch eine gemeinsame Feier des Sakraments der Versöhnung in Erwägung ziehen, zu der sich die Herkunftsfamilien der Brautleute, die Trauzeugen und andere, die daran teilnehmen möchten, versammeln, damit die Gabe der göttlichen Barmherzigkeit auch über die Herkunftsfamilien der Brautleute ausgegossen wird, die immer der Versöhnung in sich selbst und des Aufbaus in der Gemeinschaft bedürfen. Auf diese Weise wird allen, die an der Hochzeit teilnehmen, geholfen, diesen Moment in der richtigen Stimmung zu erleben.

72. Die Einbeziehung der Eltern, der Trauzeugen und der engsten Familienangehörigen in ein Gebet vor der Hochzeit, auch außerhalb der Feier der Beichte, kann eine sehr schöne Gelegenheit für alle sein, sich um das neue Paar zu versammeln; für die Braut und den Bräutigam, den Segen der Eltern zu empfangen, wie es in der Bibel überliefert ist (vgl. Tob 10,11–13; 11,17), für die Verwandten und Freunde zu verstehen, dass sie die kirchliche Gemeinschaft repräsentieren und sichtbar machen, die die neue Familie in der größeren Familie der Kirche aufnimmt und die sich verpflichtet fühlt, die Brautleute zu unterstützen.

73. Zusammengefasst sind die Ziele der unmittelbaren Vorbereitung: a) die lehrmäßigen, moralischen und spirituellen Aspekte der Ehe in Erinnerung zu rufen (wobei auch die Inhalte des kirchenrechtlich vorgeschriebenen Gesprächs deutlich gemacht werden); b) spirituelle Erfahrungen der Begegnung mit dem Herrn zu machen; c) sich auf eine bewusste und fruchtbare Teilnahme an der Hochzeitsliturgie vorzubereiten.<ref>Vgl. PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 50–58: a. a. O., S. 110–112.</ref>

Dritte Phase: Begleitung der ersten Jahre des Ehelebens

74. Der katechumenale Weg endet nicht mit der Feier der Eheschließung. Es handelt sich dabei nämlich nicht um einen isolierten Akt, sondern um den Eintritt in einen „Dauerzustand“, der daher eine spezifische „ständige Weiterbildung“ erfordert, die aus Reflexion, Dialog und Hilfe der Kirche besteht.<ref>„Deshalb kann man die Vorbereitung auf die christliche Ehe als ein Weg des Glaubens bezeichnen, der nicht mit der Feier der Trauung beendet ist, sondern sich im ganzen Familienleben fortsetzt. Infolgedessen beschränkt sich unsere Sicht nicht auf die Trauung als einmaligen Akt, auf den Augenblick der Feier, sondern auf die Ehe als fortwährenden Stand.“: Ebd., 16: a. a. O., S. 94.</ref> Deshalb es notwendig, zumindest die ersten Jahre des Ehelebens zu „begleiten“<ref>„Die größte Wirkkraft entfaltet die pastorale Fürsorge dort, wo die Begleitung nicht mit der Trauung endet, sondern dem Paar wenigstens in den ersten Jahren des Ehelebens ,Geleitschutz‘ gibt. Durch Gespräche mit den einzelnen Ehepaaren und gemeinschaftliche Augenblicke versucht man, den jungen Eheleuten zu helfen, die Mittel und die Unterstützung zu erlangen, die notwendig sind, um ihre Berufung zu leben. Und das kann nur durch einen Weg des Wachstums im Glauben der Ehepaare selbst geschehen.“: PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Teilnehmer eines Kurses, den das Gericht der Römischen Rota veranstaltet hat (27. September 2018). und die Neuvermählten nicht in der Einsamkeit zurückzulassen.<ref>„Eine Begleitung in den ersten Ehejahren [erweist sich] als unerlässlich, um die bewusste und freie Entscheidung, einander zu gehören und zu lieben bis zum Ende, zu beleben und zu vertiefen. Oft reicht die Verlobungszeit nicht aus, wird die Entscheidung zu heiraten aus verschiedenen Gründen übereilt getroffen, und zu allem Übel hat sich die Reifung der jungen Menschen verzögert. Daher müssen die Neuvermählten diesen Prozess vervollständigen, den sie während der Verlobungszeit hätten verwirklichen sollen.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 217: a. a. O., S. 154.</ref>

75. Es ist notwendig, den Brautleuten bewusst zu machen, dass die Feier der Eheschließung der Beginn eines Weges ist und dass das Paar noch ein „offenes Projekt“ und kein „vollendetes Werk“ darstellt.<ref>„Der Liebesbund zwischen Mann und Frau, ein Bund für das Leben, lässt sich nicht improvisieren, nicht von einem Tag auf den anderen erreichen. Es gibt keine Express-Ehe: Man muss an der Liebe arbeiten, man muss auf dem Weg sein. Den Liebesbund zwischen Mann und Frau lernt und formt man. Ich erlaube mir zu sagen, dass er ein handwerklicher Bund ist. Aus zwei Leben ein einziges Leben zu machen ist fast ein Wunder, ein Wunder der Freiheit und des Herzens, das dem Glauben anvertraut ist.“: PAPST FRANZISKUS, Generalaudienz (27. Mai 2015).</ref> Es ist daher gut, dass die Brautleute gerade in dieser ersten Phase unterstützt werden, in der sie beginnen, das „Lebensprojekt“, das in der Ehe angelegt, aber noch nicht vollständig verwirklicht ist, in die Praxis umzusetzen. Die im Sakrament enthaltene Gnade wirkt nämlich nicht automatisch, sondern macht es erforderlich, dass die Eheleute mit ihr zusammenarbeiten, und dabei verantwortungsvoll die Aufgaben und Herausforderungen des Ehelebens übernehmen.<ref>„Die Vereinigung ist real, unwiderruflich und durch das Ehesakrament bestätigt und geheiligt worden. Doch indem sie sich zusammenschließen, werden die Eheleute [mit Jesus, der in ihrer Mitte gegenwärtig ist] zu Protagonisten, die ihre Geschichte selbst in der Hand haben, und zu Schöpfern eines Projektes, das sie gemeinsam voranbringen müssen. [...] Das ,Ja‘, das sie einander gegeben haben, ist der Anfang eines Weges mit einem Ziel, das fähig ist, das, was die Umstände mit sich bringen, wie auch die Hindernisse, die sich in den Weg stellen, zu überwinden. Der empfangene Segen ist eine Gnade und ein Antrieb für diesen immer offenen Weg. Er pflegt ihre Bereitschaft zu fördern, miteinander zu sprechen, um ihre konkreten Pläne in ihren Zielen, ihren Mitteln und ihren Einzelheiten auszuarbeiten.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 218: a. a. O., S. 154 f.</ref>

76. Um all dies zu erreichen, wird den Paaren die Fortsetzung des katechumenalen Weges vorgeschlagen, mit regelmäßigen Treffen – möglicherweise monatlich oder in anderen Abständen, je nach Ermessen des Begleitteams und je nach den Möglichkeiten der Paare – und anderen Momenten, sowohl gemeinschaftlich als auch auf das Paar bezogen.<ref>„Es wäre wünschenswert, wenn die jungen Eheleute, insbesondere in den ersten fünf Jahren ihres Ehelebens, eine angemessene Begleitung erführen. Diese kann durch Kurse nach der Eheschließung erfolgen, die in den Pfarreien oder Dekanaten [...] abgehalten werden.“: PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 73: a. a. O., S. 116.</ref> Wenn das Paar bei seiner Heirat den Wohnort und die Pfarrei wechselt, ist es gut, dass es sich in der neuen Pfarrei integrieren kann und von ihr zu den Wegen der Begleitung der Eheleute der neuen Gemeinschaft eingeladen wird.

77. Dies ist der richtige Zeitpunkt für eine echte „Mystagogie der Ehe“. Der Begriff „Mystagogie“ bedeutet „Einführung in das Geheimnis“, d. h. eine besondere Art von Katechese, welche die Hirten der Kirche in den ersten Jahrhunderten an die Neugetauften richteten, um ihnen das Geschehen der in der feierlichen Osternacht empfangenen Taufe verständlich zu machen.<ref>Vgl. z. B. Kyrill von Jerusalem – Johannes von Jerusalem, Mystagogische Katechesen; Ambrosius von Mailand, De Sacramentis; De Mysteriis.</ref> Die mystagogische Katechese nämlich wurde oft von rhetorischen Fragen unterbrochen wie: „Wisst ihr, was ihr empfangen habt?“, „Wisst ihr, was der Herr in euch bewirkt hat?“. Eine solche Katechese sollte also nach der Feier der Taufe nach und nach zu deren vollem Verständnis führen, zunächst rituell und symbolisch – durch die Erläuterung des geistlichen Inhalts jedes einzelnen Aspekts des Ritus –, aber auch in seinen moralischen und existenziellen Implikationen, in dem Sinne, dass man über die konkreten Auswirkungen der Feier auf das Leben aufgeklärt wurde.

Dieser Stil der mystagogischen Katechese kann auf die Ehe übertragen werden. Wenn man die verschiedenen Momente des Hochzeitsrituals betrachtet, kann man ihre reiche symbolische und spirituelle Bedeutung und ihre konkreten Auswirkungen auf das Eheleben ergründen: der Konsens, der ausgetauscht wurde (die Bereitschaft, sich zu vereinen, und nicht nur ein vorübergehendes Gefühl, das die Grundlage der Ehe bildet, eine Bereitschaft, die immer verstärkt werden muss),<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 133–135; 143–146; 163–164; 321–323: a. a. O., S. 96 ff.; 102 ff.; 115 ff.; 231–234.<ref> die Segnung der Zeichen, die an die Eheschließung erinnern, z. B. der Ringe (das Versprechen der Treue, das immer wieder erneuert werden muss),<ref>Vgl. ebd., 125; 147–152; 319–320: a. a. O., S. 91; 104–107; 230 f.</ref> der feierliche Segen der Eheleute (die Gnade Gottes, die auf die menschliche Beziehung herabkommt, sie annimmt und heiligt, für die man immer offen bleiben soll),<ref>Vgl. ebd., 77; 120–124: a. a. O., S. 60 f.; 87–91.</ref> das Gedenken an die Eheleute im Herzen des eucharistischen Gebets (um die eheliche Liebe immer wieder in das Ostergeheimnis Christi einzutauchen, um sie neu zu beleben und zu vertiefen).<ref>Vgl. ebd., 72–75; 317–318: a. a. O., S. 56–59; 228 ff.</ref> Letztlich lautet die Einladung in der mystagogischen Ehekatechese wie in der Taufkatechese: „Werdet, was ihr seid! Jetzt seid ihr Eheleute, also lebt mehr und mehr als Eheleute! Der Herr hat eure Vereinigung mit Gnade gesegnet und ,erfüllt‘, deshalb lasst diese Gnade Frucht bringen!“ Zu diesem Zweck ist es wichtig, dass die Eheleute die Gegenwart Christi nicht nur in den anderen Sakramenten, sondern auch im Sakrament der Ehe selbst wahrnehmen. Christus ist zwischen ihnen als Eheleuten gegenwärtig: Er nährt ihre Beziehung täglich und sie können sich im Gebet gemeinsam an ihn wenden. Die Gnade des Sakraments wirkt zwischen ihnen und manifestiert sich in ihrem konkreten Leben. Den Eheleuten muss daher geholfen werden, die „Zeichen“ der Gegenwart Christi in ihrer Gemeinschaft zu erkennen.<ref>„In Wirklichkeit wird das ganze gemeinsame Leben der Ehegatten, das ganze Netz der Beziehungen, die sie untereinander, mit ihren Kindern und mit der Welt knüpfen werden, geprägt und gestärkt sein durch die Gnade des Sakramentes, das aus dem Geheimnis der Inkarnation und aus dem Pascha-Mysterium entspringt, in dem Gott seine ganze Liebe zur Menschheit zum Ausdruck brachte und sich innig mit ihr vereinte. Niemals werden sie nur auf ihre eigenen Kräfte gestellt sein, um sich den Herausforderungen zu stellen, die ihnen begegnen. Sie sind aufgefordert, auf die Gabe Gottes mit ihrem Bemühen, ihrer Kreativität, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihrem täglichen Ringen zu antworten; doch immer werden sie den Heiligen Geist anrufen können, der ihre Vereinigung geheiligt hat, damit die empfangene Gnade in jeder neuen Situation von neuem offenbar wird.“: Ebd., 74: a. a. O., S. 58.</ref>

Oftmals konzentriert sich die Aufmerksamkeit junger Ehepaare auf die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, und auf die Kinder, während sie aufhören, an der Qualität der gegenseitigen Beziehung zu arbeiten und die Gegenwart Gottes in ihrer Liebe vergessen. Es lohnt sich, jungen Ehepaaren zu helfen, Zeit zu finden, um ihre Freundschaft zu vertiefen und die Gnade Gottes anzunehmen. Sicherlich begünstigt die voreheliche Keuschheit diesen Weg, denn sie gibt den Jungvermählten Zeit, zusammen zu sein, sich besser kennenzulernen, ohne sofort an die Zeugung und das Heranwachsen von Kindern zu denken.

78. Vom Beginn des Ehelebens an ist es wichtig, konkrete Hilfe zu erhalten, um die zwischenmenschliche Beziehung gelassen zu leben. Es gibt viele neue Dinge zu lernen: die Unterschiedlichkeit des Anderen zu akzeptieren, die unmittelbar zum Ausdruck kommt;<ref>„Der Blick richtet sich auf die Zukunft, die Tag für Tag mit der Gnade Gottes aufgebaut werden muss, und eben darum verlangt man vom Ehepartner nicht, dass er bzw. sie vollkommen ist. Man muss die Illusionen beiseitelassen und den anderen Menschen so annehmen wie er ist: unvollendet, berufen zu wachsen, in der Entwicklung. Wenn der Blick auf den Ehepartner ständig kritisch ist, zeigt dies, dass man auch die Ehe nicht als ein mit Geduld, Verständnis, Toleranz und Großherzigkeit gemeinsam zu gestaltendes Vorhaben angenommen hat. Das führt dazu, dass die Liebe allmählich ersetzt wird durch einen inquisitorischen und unerbittlichen Blick, durch die Kontrolle der Verdienste und Rechte eines jeden, durch Beanstandungen, Konkurrenz und Selbstverteidigung. So werden die Ehepartner unfähig, sich umeinander zu kümmern, um gemeinsam zu reifen und in der Einigkeit zu wachsen. Den Neuvermählten ist dies von Anfang an in realistischer Klarheit zu zeigen, damit sie sich bewusst werden, dass sie ,gerade erst beginnen‘.“: Ebd., 218: a. a. O., S. 155.</ref> keine unrealistischen Erwartungen an das gemeinsame Leben zu haben und es als einen Weg des Wachstums zu sehen;<ref>Vgl. ebd., 221: a. a. O., S. 157.</ref> mit den Konflikten umzugehen, die unweigerlich entstehen;<ref>Vgl. ebd., 106; 163; 210; 232–234; 240: a. a. O., S. 80; 115 ff.; 149 f.; 164 ff.; 169 f.</ref> die verschiedenen Phasen zu kennen, die jede Liebesbeziehung durchläuft;<ref>„Zum Weg gehört es, verschiedene Phasen zu durchlaufen, die zu einer großherzigen Selbsthingabe einladen: Vom ersten Eindruck, der durch eine stark gefühlsmäßige Anziehung gekennzeichnet ist, kommt man dahin, des anderen zu bedürfen und dies als Teil des eigenen Lebens zu empfinden. Von da aus gelangt man zum Gefallen am wechselseitigen Zugehören, danach zum Verständnis des gesamten Lebens als eines Vorhabens beider, zur Fähigkeit, das Glück des anderen über die eigenen Bedürfnisse zu stellen, und zur Freude darüber, die eigene Ehe als ein Gut für die Gesellschaft zu sehen.“: Ebd., 220: a. a. O., S. 156.</ref> einen Dialog zu führen, um ein Gleichgewicht zwischen den persönlichen Bedürfnissen und denen des Paares und der Familie zu finden;<ref>„Die Reifung der Liebe schließt auch ein, ,verhandeln‘ zu lernen. Das ist keine eigennützige Haltung oder ein geschäftsmäßiges Spiel, sondern letztlich eine Übung der gegenseitigen Liebe, denn dieses Handeln ist eine Verflechtung wechselseitiger Geschenke und Verzichte zum Wohl der Familie. In jeder neuen Phase des Ehelebens muss man sich zusammensetzen, um wieder Vereinbarungen auszuhandeln, sodass es nicht Gewinner und Verlierer gibt, sondern beide gewinnen.“: Ebd., 220: a. a. O., S. 156.</ref> sich gesunde tägliche Gewohnheiten anzueignen;<ref>„Die jungen Ehepaare muss man auch anregen, eine eigene Alltagsroutine zu schaffen, die ein gesundes Gefühl von Stabilität und Halt vermittelt und die man mit einer Reihe von täglichen gemeinsamen Ritualen aufbaut. Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen und jeden Abend einander zu segnen, auf den anderen zu warten und ihn zu empfangen, wenn er ankommt, manchmal zusammen auszugehen und die häuslichen Aufgaben gemeinsam zu erledigen.“: Ebd., 226: a. a. O., S. 160 f.</ref> von Anfang an eine richtige Beziehung zu den Herkunftsfamilien aufzubauen;<ref>Vgl. ebd., 17–18.: a. a. O., S. 19 f.</ref> eine gemeinsame eheliche Spiritualität zu pflegen<ref>Vgl. ebd., 313 f.: a. a. O., S. 83 f.</ref> und vieles mehr. Aus den verschiedenen möglichen Vorschlägen könnte man die Eheleute dazu anregen, als eine Art regelmäßige Überprüfung der ehelichen Gemeinschaft ein „Ehe-Tagebuch“ zu führen, in dem Freud und Leid und alles, was die konkrete Erfahrung des Lebens des Paares ausmacht, festgehalten werden. Eine Art „heilige Schrift“, die jeden bedeutsamen Moment des Lebens, der von der Gnade des Heiligen Geistes berührt wurde, im Gedächtnis bewahrt und zu einem Mittel für die Weitergabe des Glaubens in der Familie werden kann: ein „Gedächtnis“ der Gnade des Heiligen Geistes, die in der Familie wirkt.

79. Es gibt viele Aspekte des ehelichen und familiären Lebens, die in diesen Jahren Gegenstand des Dialogs und der Katechese sein können. So ist es von grundlegender Bedeutung, die Paare über das heikle Thema der Sexualität in der Ehe<ref> Vgl. ebd., 150–157: a. a. O., S. 106–111.</ref> und damit zusammenhängende Fragen, d. h. die Weitergabe des Lebens und die Regelung der Geburten, sowie über andere moralische und bioethische Fragen aufzuklären.<ref> Vgl. ebd., 80–83: a. a. O., S. 62–65.</ref> Ein weiterer Bereich, der nicht übersehen werden darf, ist die menschliche und christliche Erziehung der Kinder, die eine ernste Verantwortung für die Eltern darstellt, und für die die Paare angesichts der immer weiter verbreiteten Tendenz, im Hinblick auf dieses Thema verschiedener Meinung zu sein oder sich nicht um die Erziehung der Kinder zu kümmern, indem man sie an andere delegiert, Verantwortung tragen.<ref> Vgl. ebd., 84–85: a. a. O., S. 65 f.; PAPST FRANZISKUS, Generalaudienz (20. Mai 2015).</ref> Im Hinblick auf diese Fragen stellt die Lehre der Kirche den Eheleuten einen Schatz an Weisheit zur Verfügung, der, wenn er ihnen gut dargeboten wird, von den Ehepartnern sehr geschätzt und begrüßt wird.

80. Es handelt sich also um eine „Lehrzeit“, in der die Nähe und die konkreten Anregungen von bereits reifen Ehepaaren, die mit den Jüngeren teilen, was sie „auf dem Weg“ gelernt haben, eine große Hilfe sind.<ref>„Die Ehepaare, die eine gute Erfahrung eines Lernprozesses in diesem Sinn haben, können die praktischen Hilfsmittel weitergeben, die ihnen selbst nützlich waren: die Planung der Momente ungezwungenen Beisammenseins, die Zeiten der Erholung mit den Kindern, die verschiedenen Weisen, wichtige Dinge zu feiern, die Freiräume für gemeinsam gelebte Spiritualität. Aber sie können auch Mittel und Wege lehren, die helfen, diese Momente mit Inhalt und Sinn zu füllen, um zu lernen, besser miteinander zu kommunizieren.“: PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 225: a. a. O., S. 160.</ref> Die Bereitschaft der Großeltern, sich um ihre Enkelkinder zu kümmern, ist eine große Ressource. Dies ermöglicht den Ehepartnern, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Manchmal ist dies jedoch nicht möglich, sodass das Paar gezwungen ist, alternative Lösungen zu finden. Solche Beispiele von Großzügigkeit und Hilfe für junge Ehepartner sind wunderbare Zeichen der Nächstenliebe.

81. Die Ehepastoral wird vor allem eine Pastoral des Ehebandes sein:<ref>Vgl. ebd., 211.: a. a. O., S. 150 f.</ref> den Ehepaaren wird immer dann geholfen, wenn sie mit neuen Schwierigkeiten konfrontiert werden, wobei vor allem die Verteidigung und Festigung des Ehebundes zu ihrem eigenen Wohl und zum Wohl der Kinder am Herzen liegen soll. Es ist notwendig, in den ihnen vorgeschlagenen Treffen auf die Heiligkeit des ehelichen Bundes hinzuweisen und, wie die Erfahrung zeigt, auf die Tatsache, dass die geistigen, seelischen und materiellen Güter, die sich aus der Aufrechterhaltung der Verbindung ergeben, immer weitaus größer sind als die, die man sich von einer möglichen Trennung erhofft. Dies lehrt die richtige Geduld, Stärke und Besonnenheit für schwierige Zeiten, und man lernt, in der Auflösung des ehelichen Bandes keine übereilte Lösung der Probleme zu sehen, wie es den Paaren leider oft geraten wird.

Indem man lernt, schwierige Momente zu überwinden, reift man in der Liebe und die Verbindung wird gestärkt: Jede Krise ist ein Moment des Wachstums und eine Gelegenheit, einen „qualitativen Sprung“ in der Beziehung zu machen, die zu einer neuen Tiefe und Authentizität aufgerufen wird.<ref>„Man muss helfen zu entdecken, dass eine überwundene Krise nicht zu einer weniger intensiven Beziehung führt, sondern dazu, den Wein der Verbindung zu verbessern, sich setzen und reifen zu lassen [...], wenn man die Ehe als eine Aufgabe annimmt, die auch bedeutet, Hindernisse zu überwinden, wird jede Krise als eine Gelegenheit erkannt, dahin zu gelangen, gemeinsam den besseren Wein zu trinken.“: Ebd., 232.: a. a. O., S. 164 f.</ref> Wie man sich im christlichen Leben im „Kampf des Glaubens“ (1 Tim 6,12) „übt“, so müssen sich die Eheleute im Eheleben darin üben, ihre Ehe gegen alle inneren und äußeren, menschlichen und geistlichen, sozialen und kulturellen Bedrohungen zu „verteidigen“, die ihre Festigkeit und Existenz untergraben können. Es ist wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die angebotene Hilfe eine spirituelle Begleitung, praktische Wege, aus der Erfahrung abgeleitete Strategien und psychologische Beratung umfassen muss. Es ist auch sinnvoll, den Paaren Orte und Personen, Beratungsstellen oder Familien zu nennen, an die sie sich wenden können, wenn Schwierigkeiten auftreten.

82. Es ist wesentlich, den Weg des Paares auf die Begegnung mit Christus auszurichten: Das Paar muss Christus ständig begegnen und sich von seiner Gegenwart nähren lassen. Frischvermählte müssen vor allem die außergewöhnliche Chance erkennen, die ihnen im Sakrament der Eucharistie und im Sakrament der Versöhnung angeboten wird, um einen lebendigen Kontakt mit Jesus zu haben, um Ihm gleichgestaltet zu werden.<ref>„Die bräutliche Spiritualität, die die menschliche Erfahrung umfasst und nie vom sittlichen Verhalten getrennt ist, hat ihren Ursprung in Taufe und Firmung. Zur Vorbereitung der Verlobten muss demzufolge auch die Wiedergewinnung des sakramentalen Lebens gehören, in dem die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie eine besondere Rolle spielen. Das Sakrament der Versöhnung macht die göttliche Barmherzigkeit gegenüber dem menschlichen Elend deutlich und bringt die Lebenskraft der Taufe und die Tatkraft der Firmung zur Reife. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Verstärkung der Pädagogik der erlösten Liebe, die angesichts des Dramas des Menschen, der von Gott geschaffen und noch wunderbarer erlöst ist, voller Verwunderung die Größe der Barmherzigkeit Gottes erkennen lässt. Die Eucharistie als Feier des Gedächtnisses der Hingabe Jesu an seine Kirche entfaltet die der Ehe eigentümliche affektive und in der täglichen Hingabe an den Gatten und die Kinder vollzogene Liebe. Dabei darf man nicht vergessen und ignorieren, dass die Feier, die jeder anderen Gebetsund Kultform erst Sinn gibt, diejenige ist, ,die sich im alltäglichen Dasein der Familie ausdrückt, wenn es ein Dasein ist, das von Liebe und Sichverschenken bestimmt wird‘ (EV 93).“: PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe (13. Mai 1996), 41: a. a. O., S. 106.</ref> Durch die Eucharistie erhalten die Eheleute nämlich die Gnade, ihre eigene Verschlossenheit und Selbstsucht zu überwinden.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 186; 318: a. a. O., S. 133 f.; 229 f.</ref> Im Sakrament der Versöhnung erfahren sie den unendlichen Reichtum der Barmherzigkeit Gottes, der uns in seinem Sohn immer wieder vergibt; so lernen sie, untereinander Geduld und Barmherzigkeit walten zu lassen, denn die empfangene Vergebung wird zur gegebenen Vergebung, gemäß der Lehre Jesu: „Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ (Mt 18,33).<ref>Vgl. ebd., 105–108: a. a. O., S. 79 ff.</ref> In der Begegnung mit Christus durch die Sakramente reift also allmählich die spezifische eheliche Identität der christlichen Eheleute.

83. Die ständige und dauerhafte Sorge der Kirche für die Eheleute kann durch verschiedene pastorale Mittel verwirklicht werden:<ref> Vgl. ebd., 227–229: a. a. O., S. 161 ff.</ref> das Hören auf das Wort Gottes, insbesondere durch die lectio divina; Treffen zum Nachdenken über aktuelle Themen, die sich auf das Eheund Familienleben beziehen; die Teilnahme der Ehepaare an speziell für sie gestalteten liturgischen Feiern; regelmäßige geistliche Einkehrtage für Ehepaare; eine für die Eheleute organisierte eucharistische Anbetung mit Meditationen, die z. B. aus den Biografien heiliger Eheleute entnommen sind; geistliche Gespräche und Begleitung; die Teilnahme an Familiengruppen, um den Austausch mit anderen Familien zu fördern; die Beteiligung an caritativen und missionarischen Aktivitäten.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Ansprache an das Gericht der Römischen Rota zur Eröffnung des Gerichtsjahres (29. Januar 2019).</ref> Die Eheleute müssen eine echte „eheliche Spiritualität“ entwickeln, die den spezifischen Weg der Heiligkeit, dem sie im Eheleben folgen, nährt und unterstützt.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 313–324: a. a. O., S. 226–234; PAPST FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute (19. März 2018), 14–34: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 213 (Bonn 2018), S. 12–21.</ref>

Zu den bevorzugten pastoralen Hilfsmitteln gehört die Feier des Hochzeitstages im Rahmen einer gemeinschaftlichen liturgischen Feier mit einem besonderen Segen für die Eheleute. An den wichtigsten Jahrestagen (z. B. alle fünf Jahre) könnte dem Brautpaar, das dieses Jahr feiert, die Erneuerung des Eheversprechens vorgeschlagen werden. Auf diese und andere Weise kann man der Familie helfen, sich als Teil einer kirchlichen Gemeinschaft zu fühlen, die die Freude und den Weg des Brautpaares feiert und teilt und zu einer „Familie der Familien“ wird.<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 87: a. a. O., S. 67.</ref>

84. In dem Maße, in dem sich die Identität der Eheleute entwickelt, kann der Sinn für die Sendung, die sich aus dem Sakrament ergibt, wachsen.<ref> Vgl. ebd., 88; 324: a. a. O., S. 67 f.</ref> In dieser Zeit, in der der katechumenale Weg für das Eheleben zu Ende geht, ist es daher angebracht, die Paare einzuladen, sich in die normale Familienpastoral in ihren Pfarreien oder anderen kirchlichen Einrichtungen, mit denen sie eine Beziehung aufgebaut haben, einzugliedern. Neu-Vermählte könnten zum Beispiel schrittweise in die katechumenale Ehevorbereitung neuer Gruppen von Verlobten und in das Gemeinschaftsleben, oder in die Kinderund Jugendpastoral einbezogen werden, indem sie besondere Aufgaben bei der Belebung der Gemeinschaft übernehmen. Es könnten Gruppen für eheliche Spiritualität (auch mithilfe von Familienbewegungen, soweit vorhanden) und die Ehepastoral gebildet werden.

85. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ziele der Begleitung in den ersten Jahren des Ehelebens folgende sind: a) in einer „mystagogischen Ehekatechese“ die spirituellen und existenziellen Konsequenzen des gefeierten Sakraments im konkreten Leben darzustellen; b) den Paaren von Anfang an zu helfen, die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Ehe richtig anzugehen; c) die Themen der Sexualität in der Ehe, der Weitergabe des Lebens und der Erziehung der Kinder zu vertiefen; d) den Eheleuten den festen Willen zu vermitteln, das Eheband in jeder Krisensituation, die aufkommen kann, zu verteidigen; e) die Begegnung mit Christus als unverzichtbare Quelle für die Erneuerung der ehelichen Gnade und den Erwerb einer ehelichen Spiritualität vorschlagen; f) den Sinn für die besondere Sendung der christlichen Eheleute in Erinnerung rufen.

'86. Als logische Folge dieses Vorschlags kommt man nicht umhin, die Dringlichkeit einer angemesseneren Ausbildung von Priestern, Seminaristen und Laien (einschließlich verheirateter Paare) für den Dienst der Begleitung junger Menschen zur Ehe zu verdeutlichen. Eine systematische Ausund Weiterbildung von Priestern/Ordensleuten und pastoralen Mitarbeitern im Hinblick auf das Ehekatechumenat ist unerlässlich, um alte Gewohnheiten zu überwinden und sie in einem Stil der Begleitung sowie in der Kenntnis von Inhalten (theologisch, moralisch, bioethisch und spirituell) zu schulen, die der Realität der heutigen Paare entsprechen, die häufig bereits zusammenleben und Kinder haben, wenn sie sich an die Kirche wenden, um zu heiraten. Insbesondere in vielen pastoralen Kontexten ist eine Ausbildung von Seminaristen und Priestern, die sich stärker auf die neuen Herausforderungen der Eheund Familienpastoral konzentriert, einschließlich Fragen der Sexualund Ehemoral und der Bioethik, die heute in vielen Teilen der Welt zum Alltag der Familien gehören, unerlässlich geworden. Für eine wirksame und effektive Beteiligung der Eheleute als pastorale Akteure ist es unabdingbar, das Band der Komplementarität und der kirchlichen Mitverantwortung zu verstehen, das zwischen dem ordo sacerdotalis und dem ordo coniugatorum besteht, um das Handeln der Priester für eine stärkere Zusammenarbeit mit den Laien und den Familien zu öffnen und deren bedeutende pastorale Rolle in den Pfarreien und auf diözesaner Ebene anzuerkennen. Was in vielen örtlichen Gegebenheiten fehlt, ist die Möglichkeit für Ehepartner, als Ehepartner in der Seelsorge tätig zu sein. Es steht nämlich außer Zweifel, dass es, um den missionarischen Charakter der Ehepastoral zum Ausdruck zu bringen, neben der spezifischen Begleitung der Hirten auch das Zeugnis der Familien und der Eheleute braucht: In diesem Sinne ist es nicht gut, ecclesia docens und ecclesia discens zu trennen, gerade wegen der reichen und konkreten Erfahrung des Eheund Familienlebens, die die Eheleute besitzen.

Begleitung von Paaren „in der Krise“

87. In der Geschichte jeder Ehe kann es Zeiten geben, in denen die eheliche Gemeinschaft nachlässt und die Eheleute – manchmal auch lange – Zeiten des Leidens, der Müdigkeit und der Missverständnisse durchleben und echte „Ehekrisen“ durchmachen. Sie sind Teil der Geschichte der Familien: Es sind Phasen, die, wenn sie überwunden werden, dem Paar helfen können „zu lernen, in einer neuen Weise glücklich zu sein, ausgehend von den Möglichkeiten, die jede neue Phase erschließt“, wodurch der „Wein der Verbindung“ noch reifer wird.<ref> Vgl. ebd., 232: a. a. O., S. 164 f. Zu den Herausforderungen der Ehekrise vgl. die Nummern 232–240: a. a. O., S. 164–170.</ref>

Um jedoch zu verhindern, dass sich die Krisensituation so weit verschlimmert, dass sie unlösbar wird, ist es angebracht, dass die Pfarrei oder die Gemeinschaft über einen pastoralen Dienst zur Begleitung von Paaren in Krisen verfügt, an den sich diejenigen wenden können, die feststellen, dass sie sich in dieser besonderen Situation befinden; „ein Dienst, der sich denen widmet, deren eheliche Beziehung zerbrochen ist, [erscheint] besonders dringend“.<ref> Ebd., 238: a. a. O., S. 169.</ref> Die Vorbeugung von Zerwürfnissen ist in der Tat heute ein entscheidender Faktor, um Trennungen zu vermeiden, die Bindung auf irreparable Weise beschädigen können.

88. Da die Erfahrung zeigt, „dass die Mehrheit [der Personen] sich in schwierigen oder kritischen Situationen nicht an eine pastorale Begleitung wendet, weil sie diese nicht als verständnisvoll, nahe, realistisch und ,inkarniert‘ empfindet“,<ref> Ebd., 234: a. a. O., S. 166.</ref> ist es angebracht, dass – neben dem Hirten – Ehepartner, vor allem diejenigen, die eine überwundene Krise erlebt haben, als „Begleiter“ von Ehepaaren in Schwierigkeiten oder bereits getrennten Familien fungieren. Sie werden die „begleitende Gemeinschaft“ sein, die bezeugen und deutlich machen kann, dass der barmherzige Samariter der auferstandene Christus ist, der die Wunden an seinem glorreichen Leib bewahrt und gerade deshalb Mitleid mit dem Verwundeten hat, der verlassen auf der Straße ist:<ref> Vgl. PAPST FRANZISKUS, Ansprache an die Mitglieder der Bewegung „Retrouvaille“ (6. November 2021).</ref> die Ehepaare in Not.

89. In diesem Sinne ist es auch dringend notwendig, Ausbildungsprojekte für Ehepaare zur Begleitung von Menschen in Krisen und nach Trennungen zu entwickeln, um die Voraussetzungen für eine Pastoral zu schaffen, die den Bedürfnissen der Familien gerecht wird. Die Aufmerksamkeit muss in zweierlei Hinsicht gelten: den Ehepartnern, die sich in Schwierigkeiten befinden, aber auch den Kindern, sofern vorhanden, die durch einen psychologischen und geistlichen Dialog begleitet werden müssen, der in der Lage ist, ihre persönliche und familiäre Notlage zu erfassen und sie zu unterstützen.

In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Pastoral des (Ehe-)Bandes wieder deutlich, die von den ersten Jahren des Ehelebens an die jungen Eheleute in den verschiedenen Phasen ihres gemeinsamen Lebens begleiten muss. Denn die Krisen, die zum Weg gehören, müssen in Gelegenheiten umgewandelt werden, die manchmal schmerzhaft sind, die zwar Wunden und Verletzungen im Herzen und im Fleisch verursachen, aber Raum für Versöhnung, Vergebung und das Wirken der Gnade lassen, die im sakramentalen Band weiterwirkt.

90. Es gibt allgemeine Krisen, die in allen Ehen vorkommen und bestimmte Phasen des Familienlebens kennzeichnen (die Ankunft des ersten Kindes, die Kindererziehung, das „leere Nest“, das Alter der Eltern); aber es gibt auch persönliche Krisen, die mit wirtschaftlichen, beruflichen, affektiven, sozialen und spirituellen Schwierigkeiten oder mit traumatischen und unerwarteten Umständen und Ereignissen zusammenhängen.<ref>Vgl. PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 235–236: a. a. O., S. 166 f.</ref> In all diesen Fällen erfordert „die mühevolle Kunst der Versöhnung, die der Unterstützung der Gnade bedarf, [...] die großherzige Mitarbeit von Verwandten und Freunden und manchmal auch eine professionelle Hilfe von außen“.<ref>Ebd., 236: a. a. O., S. 167.</ref> Es geht darum, eine nicht nur psychologische, sondern auch spirituelle Begleitung zu gewährleisten, um mit einem schrittweisen und persönlichen mystagogischen Weg sowie mithilfe der Sakramente die tiefe Bedeutung des (Ehe-)Bundes und das Bewusstsein der Gegenwart Christi unter den Eheleuten wiederzuerlangen. In der Stille des Herzens den Namen Jesu Christi anzurufen und auf seine Stimme zu hören, kann ihnen helfen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Er ihre Beziehung nährt, ihnen in ihren Schwierigkeiten hilft, innehält und mit ihnen den Kelch des Leidens trinkt, indem er ihnen zur Seite steht wie den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus (vgl. Lk 24,13).

In der Praxis geht es darum, Räume und Wege zu schaffen, die geeignet sind, die Menschen in die Kunst der Unterscheidung im täglichen Leben einzuführen, damit sie rechtzeitig Situationen des Leidens, zu vermeidende Gefahren, Unreife und zu überwindende Wunden erkennen können. Die Ermahnung, die in müden Herzen nachhallen wird, lautet: „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9).

91. Wir schlagen als Beispiel eine mögliche praktische Anwendung der dargelegten Grundsätze vor, indem wir für Ehepaare in Krisen einen Weg vorschlagen, der von Jesu Weg mit den Emmaus-Jüngern inspiriert ist (vgl. Lk 24,13 und 35). Wenn ein Paar einen gemeinsamen Weg der Begleitung wünscht und akzeptiert, kann man, nachdem man die Pfarrgemeinde in geeigneter Weise mit dem Dienst vertraut gemacht hat, versuchen, zwischen „Einzel“-Treffen (mit dem einzelnen Paar) und „Gruppen“-Treffen (mit mehreren Paaren) abzuwechseln. Kurz gesagt, könnte der Weg wie folgt verlaufen:

  • „Jesus kam selbst hinzu und ging mit ihnen“ (Lk 24,15) – erste („individuelle“) Begegnung der Aufnahme und des Kennenlernens.

Es ist angebracht, dass das erste Treffen in einem Kontext des Vertrauens und der persönlichen Nähe stattfindet, also auf ein einzelnes Paar beschränkt ist, das von einem Paar von Begleitern und vom Priester aufgenommen und angehört wird, die in der Lage sind, Einfühlungsvermögen, Zuneigung und volle Bereitschaft zur Unterstützung zu zeigen. Diesem ersten, dem „Zuhören“ gewidmeten Treffen werden weitere folgen, die den eigentlichen Begleitungsprozess einleiten.

  • „Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?“ (Lk 24,17) – einige („individuelle“) Treffen, damit die Eheleute Gott und dem eigenen Partner den Grund für ihr „trauriges Gesicht“ (vgl. Lk 24,17) nennen können.

Alle Treffen finden immer in einer Atmosphäre des Gebets statt, denn es handelt sich um einen spirituellen Weg und nicht um eine rein psychologische „Paartherapie“. Das Paar, das sich in die Gegenwart Gottes begibt, wird daher angeleitet, „das eigene Herz zu öffnen“, damit jeder der beiden Ehepartner weiß, „was den anderen leiden lässt“. Die Begleiter werden diese „Öffnung des Herzens“ so lenken, dass es nicht nur zu einem Austausch von Vorwürfen kommt. Die Fragen, die es zu beantworten gilt, lauten daher nicht „Was sind Deine Fehler?“, „Was solltest Du ändern?“ usw., sondern vielmehr: „Was ist das Leiden, das ich in mir trage?“; „Welches Unbehagen empfinde ich?“; „Was verletzt mich an der Art und Weise, wie wir unsere Beziehung leben?“. Es ist in der Tat nicht ungewöhnlich, dass es Paaren an Kommunikation und Dialog mangelt, um den Seelenzustand und die Sichtweise des anderen zu erkennen.

  • „Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Christus das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen?“ (Lk 24,25–26) – („erweiterte“) Treffen mit verschiedenen Paaren, um Krisen zu „erhellen“.

Auf Einzeltreffen mit jedem einzelnen Paar können Gruppentreffen folgen, bei denen eines der begleitenden Paare von seinen Erfahrungen und den erlebten Krisen berichten kann, wobei die „neuen Dinge“ hervorgehoben werden, die in schwierigen Momenten und Prüfungen in der Ehe erlernt wurden. Es kann auch eine kurze Belehrung mit der Lektüre und dem Kommentar von entsprechend ausgewählten Teilen von Amoris laetitia oder Auszügen aus den Schriften heiliger Eheleute, die schwierige Momente der Eheprüfung überwunden haben, stattfinden. Ziel ist es, deutlich zu machen, dass „Krisen“, wenn sie akzeptiert, verstanden, gemeinsam gelebt und mit der Hilfe des Herrn bewältigt werden, sich als Momente der Gnade und des Wachstums für das Paar erweisen können. Letztlich sind Krisen keine „Anomalien“, sondern „normale“ Ereignisse im Eheleben. Auch Krisen, die auf persönliche Schwächen und Sünden zurückzuführen sind. Auch sie können zu den „Leiden Christi“ werden, der unter den Eheleuten gegenwärtig ist, der durch ihre Sünden verwundet wird und mit ihnen leidet, um mit ihnen in die Herrlichkeit (vgl. Lk 24,26) einer geheilten und „erlösten“ Beziehung einzugehen. Bei diesen Begegnungen darf, wie schon im Katechumenatsweg zur Ehe betont wird, eine kerygmatische Verkündigung nicht fehlen: Der Herr ist gegenwärtig und lebt! Gemeinsam mit ihm kann sogar der „Tod“ einer Krise in die Auferstehung zu einem neuen Leben verwandelt werden!

  • „Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“ (Lk 24,27) – („Gruppen“-)Treffen mit der Heiligen Schrift im Mittelpunkt.

Auf die vorangegangenen „Katechese“-Treffen können weitere Gruppentreffen folgen, bei denen gemeinsam ein Wortgottesdienst gefeiert wird: eine Bibelstelle wird verkündet, es folgt eine Zeit der Meditation und des Austauschs, die von einigen Fragen geleitet wird und mit einer von den Leitern vorgeschlagenen Schlussbetrachtung endet. Es wird darauf geachtet, biblische Texte zu folgenden Themen auszuwählen: Gottes Nähe in den Prüfungen, von Gott empfangene und geschenkte Vergebung, Gnade, die in der Schwachheit wirkt, Herzensgemeinschaft, die Frucht des Heiligen Geistes ist, die Berufung zur Heiligkeit, das Ehesakrament usw.

  • „Bleibe bei uns; denn es wird Abend“ (Lk 24,29) – eucharistische Anbetung und das Sakrament der Versöhnung.

Den Paaren, die den Weg gehen, kann ein „eucharistischer Abend“ (oder auch mehrere) vorgeschlagen werden. Nach den verschiedenen Begegnungen, die die unterschiedlichen Krisen, die man erlebt, beleuchtet haben, fühlt man sich oft machtlos, sie zu überwinden. Die Schwierigkeiten scheinen die eigenen Kräfte zu übersteigen. Dies kann der Moment sein, die eigene Krise in die Gegenwart des Herrn zu bringen, der im Allerheiligsten Sakrament gegenwärtig ist, sie „vorzustellen“ und „zu seinen Füßen zu legen“, damit er die Wunden und die Herzen heilen kann. Diese Übergabe der Krise an den Herrn kann durch eine konkrete Geste des Paares vor dem Allerheiligsten (Niederlegung eines Gegenstandes, eines Symbols) im Rahmen eines einfachen liturgischen Augenblicks erfolgen.

Eine weitere Möglichkeit, wie Paare den Herrn, der „bei uns bleibt“, erfahren können, ist eine Bußfeier. In Momenten der Krise ist es von größter Bedeutung, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen. Nichts hilft mehr, die Wunden zu heilen und dem Ehepartner zu vergeben, als die Vergebung, die man vom Herrn erhält. Das Sakrament schenkt der Seele besondere Gnaden der Versöhnung: Versöhnung mit Gott, mit sich selbst und seiner Vergangenheit, mit dem Nächsten. All dies trägt dazu bei, Trennungen und „innere“ Entfremdung zwischen Eheleuten mit dem Balsam der Versöhnung und der Vergebung zu heilen.

  • „Er nahm [...] das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen“ (Lk 24,30) – Eucharistiefeier.

Den Paaren können eine oder mehrere Eucharistiefeiern vorgeschlagen werden, um ihnen zu helfen, zu erfahren, dass Jesus auch inmitten einer Krise lebendig und gegenwärtig ist. Er ist derjenige, der jedes Mal zum „für uns gebrochenen Brot“ wird, der das Leid der Ablehnung und des Unverständnisses erfahren hat und es zu einer Gelegenheit der Liebe und des Gebens für alle macht. Dies ist die Gnade, die auch Ehepaare empfangen können: nicht im eigenen Leid zu verharren, sondern es in eine Chance für mehr Liebe und ein erneutes gegenseitiges Geben zu verwandeln.

  • „Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn. [...] Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück“ (Lk 24,31–33) – der Abschluss des Weges.

Paaren könnten auch Momente der Entspannung und des gemeinsamen Feierns angeboten werden. Auch in Krisen darf man nie die Hoffnung verlieren und sich einer negativen Sichtweise des Lebens hingeben. Vor allem die Entdeckung der Anwesenheit von Brüdern und Schwestern im Glauben, die uns zur Seite stehen und uns unterstützen, kann das Vertrauen und die Freude im Herzen neu entfachen.

Die abschließenden Treffen des Weges können den Paaren helfen, „nach Jerusalem zurückzukehren“, d. h., das Eheleben mit einer neuen, durch die Krise erworbenen Weisheit fortzusetzen, indem sie das Gelernte anwenden und auch anderen Paaren gegenüber Zeugnis ablegen von dem, was sie erlebt haben, und von ihrer Begegnung mit dem lebendigen Jesus.

Es wäre jedoch kein endgültiger Abschied. Das Leben stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen, und Krisen können nicht immer vollständig überwunden werden. Es ist daher gut, dass die Begleitpersonen den Paaren versichern, dass sie auch in Zukunft bereit sind, sie aufzunehmen, ihnen zuzuhören und sie zu unterstützen. Wenn ein Klima des Vertrauens geschaffen wurde, können sich Paare weiterhin an jemanden wenden, wenn sie Hilfe brauchen. Die Begleiter müssen den Paaren das Gefühl vermitteln, dass die Kirche immer für sie da ist, wie eine Mutter, die immer bereit ist, ihre Kinder aufzunehmen.

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es im Laufe des Weges zusätzlich zu den Gruppensitzungen notwendig sein kann, weiterhin Einzelsitzungen mit jedem Paar abzuhalten. Wenn es in der Tat eine große Hilfe und Ermutigung ist, der Erfahrung anderer zuzuhören – wie dies beim gemeinsamen Austausch der Fall sein kann – können die Paare mit anderen Paaren das Bedürfnis nach einem persönlicheren Austausch und größerer Vertraulichkeit verspüren, um sich frei zu fühlen, über ihre Schwierigkeiten zu sprechen.

92. Das bisher vorgeschlagene Modell ist nur ein Beispiel, um zu zeigen, wie dieser Weg der Begleitung von Paaren in Krisen auch dem oben beschriebenen Stil des katechumenalen Weges der Ehevorbereitung folgen kann. Auch in diesem Fall darf sich die Methodik nicht darauf beschränken, „Vorträge“ anzubieten und Definitionen weiterzugeben, sondern muss unter Einbeziehung der christlichen Gemeinschaft eine Erfahrung menschlicher und geistlicher Nähe ermöglichen, wobei sich Momente der Glaubensvertiefung und Momente der Begegnung, des Gebets, des Zuhörens, des Austauschs abwechseln mit rituellen Gesten, der Feier der Sakramente. Der Weg ist gekennzeichnet durch fortschreitende Stufen des Wachstums, der Einladung zur Unterscheidung, der kerygmatischen Verkündigung usw. Jede Ortskirche wird daher ihren eigenen Weg entwickeln können, mit ihrer eigenen Vorgehensweise oder mit der Inspiration durch andere „biblische Modelle“ als das hier vorgeschlagene: zum Beispiel die Begegnung des Samariters mit dem Verwundeten (Lk 10,25–37), der verlorene Sohn, der zu seinem Vater zurückkehrt (Lk 15,11–32), der Wein, der bei der Hochzeit zu Kana fehlt und wieder reichlich vorhanden ist (Joh 2,1–12), die Begegnung der Samariterin mit Jesus und die Entdeckung des neuen Wassers, das jeden Durst löscht (Joh 4,1–43) usw.

93. Trotz aller Unterstützung, die die Kirche Paaren in Krisen bieten kann, gibt es jedoch Situationen, in denen eine Trennung unvermeidlich ist. „,Manchmal kann sie sogar moralisch notwendig werden, wenn es darum geht, den schwächeren Ehepartner oder die kleinen Kinder vor schlimmeren Verletzungen zu bewahren, die von Überheblichkeit und Gewalt, von Demütigung und Ausbeutung, von Nichtachtung und Gleichgültigkeit verursacht werden‘. Sie muss jedoch ,als ein äußerstes Mittel angesehen werden, nachdem jeder andere vernünftige Versuch sich als vergeblich erwiesen hat‘.“<ref> PAPST FRANZISKUS, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 241: a. a. O., S. 170 f.</ref>

In diesen Fällen ist „ein besonderes Urteilsvermögen [...] unerlässlich, um [auch] die Getrenntlebenden, die Geschiedenen und die Verlassenen pastoral zu begleiten. Vor allem muss das Leid derer angenommen und geachtet werden, die ungerechterweise Trennung oder Scheidung erlitten haben, die verlassen wurden oder wegen Misshandlungen durch den Ehepartner gezwungen waren, das Zusammenleben aufzugeben. Die Vergebung des erlittenen Unrechts ist nicht einfach, sie ist aber ein Weg, den die Gnade möglich macht. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Pastoral der Versöhnung und der Mediation, auch durch besondere Beratungsstellen, die in den Diözesen einzurichten sind“.<ref>Ebd., 242: a. a. O., S. 171.</ref>

94. Gleichzeitig „müssen nicht wiederverheiratete Geschiedene, die oft Zeugen der ehelichen Treue sind, [...] ermutigt [werden], in der Eucharistie die Nahrung zu finden, die sie in ihrer Lebensform stärkt. Die Gemeinde vor Ort und die Hirten müssen diese Menschen fürsorglich begleiten, vor allem wenn Kinder vorhanden sind, oder sie unter schwerer Armut leiden“.<ref>Ebd.</ref> Nur an wenigen Orten schenkt man ihnen seelsorgerische Aufmerksamkeit. Ihre besondere Situation, die durch das Geschenk der Treue zum Ehesakrament genährt wird, kann andererseits ein Zeugnis und ein Beispiel für junge Paare sein, aber auch für die Priester, die im Leben dieser Menschen die ständige Gegenwart Christi, des Bräutigams, entdecken und „sehen“ können. Er ist auch in Einsamkeit und Verlassenheit treu: eine „bewohnte“ Einsamkeit, die von der Vertrautheit mit dem Herrn und der Verbundenheit mit der Kirche und der Gemeinschaft geprägt ist, die gegenwärtig und zum Begleiter auf dem Weg wird. Die bräutliche Dimension der beiden Berufe – Weihe und Ehe – zeigt sich in diesen Fällen einmal mehr in ihrer ganzen Schönheit und Komplementarität. In diesem Sinne ist es auch notwendig, innerhalb der Kirche die pastorale Bedeutung der getrennten Gläubigen zu entdecken, die eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft spielen und ihrerseits anderen helfen können.

Zusammenfassung

Die hier vorgeschlagenen Pastoralen Leitlinien sind zwar nicht erschöpfend, wollen aber den Diözesen/Eparchien und Pfarreien Hilfe und Anregung bei der Erstellung ihrer eigenen „katechumenalen Wege für das Eheleben“ sein, so wie es Papst Franziskus angekündigt hat. Es ist daher sinnvoll, abschließend an einige pastorale Grundsätze zu erinnern, die bei der Abfassung dieses Dokuments Pate standen, und die auch die Grundlage für ähnliche Umsetzungsdokumente bilden sollten, die in den Teilkirchen erarbeitet werden.

Diesem Dokument liegt vor allem der Wunsch zugrunde, den Paaren eine bessere und gründlichere Vorbereitung auf die Ehe zu bieten, und zwar durch einen Weg, der sich am Taufkatechumenat orientiert, der breit genug angelegt ist, um ihnen, ausgehend von einer Erfahrung des Glaubens und einer Begegnung mit Jesus, eine angemessene Ausbildung für das christliche Eheleben zu ermöglichen. Ein Weg, der sich also nicht auf einige wenige Begegnungen am Rande der Feierlichkeiten beschränkt, sondern den fast „permanenten“ Charakter der von der Kirche angestrebten Pastoral des Ehelebens deutlich werden lässt.

Bei der Aufgabe, die Paare zu begleiten, muss die gesamte kirchliche Gemeinschaft in einen gemeinsamen Weg von Priestern, christlichen Ehepartnern und pastoralen Mitarbeitern einbezogen werden, wobei die Hauptakteure Ehepaare sind – mit unterschiedlichem Alter und unterschiedlich vielen Jahren Eheleben hinter sich –, die ihre Erfahrung in den Dienst der Teilnehmer des katechumenalen Weges stellen. Zu diesem Zweck sind Ausbildungsund Auffrischungskurse notwendig, die sich an alle, insbesondere aber an die Priester richten, damit die unverzichtbare Komplementarität und Mitverantwortung von Laien und Priestern/Ordensleuten im Dienst der Familienpastoral wahrgenommen wird.

Ein katechumenaler Weg im Hinblick auf die Ehe ist als ein „pastorales Werkzeug“ zu betrachten, das mit Unterscheidungsvermögen, Weisheit und dem nötigen gesunden Menschenverstand eingesetzt wird, damit es – was die Art und Weise und den Zeitpunkt der Umsetzung betrifft – flexibel an die konkreten Situationen der uns gegenüberstehenden Paare und an die konkreten Möglichkeiten der pastoralen Mitarbeiter der Ortskirche angepasst werden kann.

Der Weg beschränkt sich nicht auf die Vermittlung von Lehrinhalten und versucht, über die klassische Typologie von „Ehekursen“ hinauszugehen. Zu diesem Zweck bedient es sich nicht nur der katechetischen Methode, sondern auch des Dialogs mit den Paaren, der individuellen Begegnungen, liturgischer Momente des Gebets und der Feier der Sakramente, der Riten, des Austauschs unter den Paaren selbst, die an dem Programm teilnehmen, der Beiträge externer Experten, der Einkehrtage und der Interaktion mit der gesamten kirchlichen Gemeinschaft, die den langen Prozess der Vorbereitung der Paare unterstützt und daran teilnimmt.

Der Weg behält während seiner gesamten Dauer stets einen kerygmatischen Charakter; fast bei jeder neuen Etappe kehrt er wie in „aufeinanderfolgenden Wellen“ zur ersten Verkündigung des Glaubens zurück und das Ehesakrament selbst wird als „frohe Botschaft“ vorgestellt, das heißt als Geschenk Gottes an die Paare, die ihre Liebe in Fülle leben wollen.

In jeder Etappe des Weges werden der Weg des menschlichen Wachstums (Bildung einer harmonischen und gefestigten Persönlichkeit, Überwindung von Unreife, Verschlossenheit und Ängsten, Beziehungsdynamik im Allgemeinen und in der Partnerschaft, Kommunikationsund Dialogfähigkeit usw.) und der Weg des geistlichen Wachstums (Annahme der Liebe Gottes, persönliche Bekehrung und Überwindung moralischer Grenzen, Gebetsleben, Verständnis der konstitutiven Dimension der Gemeinschaft und der kirchlichen Dimension des Glaubens, Teilnahme an den Sakramenten usw.) immer zusammengehalten.

Der katechumenale Weg für Jugendliche und Paare will Teil der heutigen konkreten Realität sein und scheut sich nicht, Themen und Fragen anzusprechen, die soziale und kulturelle Herausforderungen darstellen: Erziehung zu echter Liebe, die sich nicht auf zerbrechliche emotionale Erfahrungen beschränkt, Anerkennung des Reichtums und der Komplementarität von Mann und Frau, Erziehung zu Affektivität und Sexualität, der Wert endgültiger Entscheidungen, der menschliche, spirituelle und soziale Wert der Familie, bioethische Fragen usw. Auf diese Weise trägt er zur Bildung eines persönlichen moralischen Gewissens und zur Formulierung eines familiären Lebensentwurfs bei.

Die Wachstumsstufen, die der Weg vorschlägt, sind durch Rituale gekennzeichnet – wo es aus kulturellen Gründen nicht unangemessen oder problematisch ist, sie vorzuschlagen, weil diese Rituale zweideutig interpretiert werden könnten –, die den Weg markieren, den man beschreitet; und die jedes Mal das psychologische Bewusstsein vermitteln, an einem Wendepunkt zu stehen, der dazu aufruft, auf der Ebene der menschlichen und geistigen Reife und auf der Ebene der Entscheidungsfindung, im Hinblick auf das Ziel des christlichen Ehelebens, einen neuen Schritt vorwärts zu machen.

Der Weg gliedert sich in drei Hauptabschnitte: die entferntere Vorbereitungsphase, welche die Kinderund Jugendpastoral umfasst, eine Zwischenphase der Aufnahme und die eigentliche katechumenale Phase, die ihrerseits drei verschiedene Abschnitte umfasst. Eine erste Phase der näheren Vorbereitung, die länger und von unterschiedlicher Dauer ist; eine zweite Phase der unmittelbaren Vorbereitung, die kürzer ist, und eine dritte Phase der Begleitung der Paare in den ersten Jahren des Ehelebens, die mit der Einbeziehung des Paares in die normale Familienpastoral der Pfarrei und der Diözese/Eparchie endet.

Der Weg zielt darauf ab, von Kindheit an die Entdeckung des christlichen Glaubens und die Initiation in die Sakramente mit der Entdeckung einer Berufung zur Ehe oder zum Priestertum/Ordensleben zu verbinden. Die inzwischen weitverbreitete Gegenwart von Paaren, die in einer Lebensgemeinschaft leben und Kinder haben, und die um eine kirchliche Trauung bitten, erfordert jedoch parallel zu der hier vorgeschlagenen entwicklungsbegleitenden Berufungspastoral den Entwurf lokaler Wege, die auf die konkrete Realität dieser Paare ausgerichtet sind, die zweifellos eine besondere Betreuung und Aufmerksamkeit benötigen, verglichen mit Verlobten, die in gewisser Weise bereits eine christliche Lebenserfahrung haben.

Ausgehend von der Erfahrung einer persönlichen pastoralen Begleitung, die sich vor allem auf das Zeugnis der Begleiter und der anderen an diesem Weg beteiligten Ehepaare stützt, geht es darum, sie zu einer ernsthaften persönlichen und gemeinsamen Unterscheidung zu führen, damit die Feier der Eheschließung und das eheliche Leben die Frucht einer bewussten, freien und mit Freude getragenen Entscheidung ist und nicht einfach die passive Anpassung an eine kulturelle Tradition oder eine gesellschaftliche Formalität.

Der Weg bereitet die Paare auf das Ehesakrament vor, führt sie aber gleichzeitig in das kirchliche Leben ein und hilft ihnen, in der Kirche den Ort zu finden, an dem sie, vor allem durch die Sakramente, das eheliche Band nähren können, und an dem sie ihr ganzes Leben lang in ihrer Berufung und ihrem Dienst am Nächsten wachsen, sodass sie ihre eheliche Identität und ihre kirchliche Sendung voll entfalten.

Besondere Aufmerksamkeit muss daneben der Begleitung von Ehepaaren in Krisenzeiten gewidmet werden. In der Tat ist es dringend notwendig, in jeder lokalen Wirklichkeit einen Seelsorgedienst einzurichten, der sich denjenigen widmet, deren Ehebeziehung zerbrochen ist oder sich in großen Schwierigkeiten befindet, auch mit der Unterstützung einer Pastoral der Versöhnung und Vermittlung, um das Eheband aufrecht zu erhalten und eine Trennung nach Möglichkeit zu verhindern.

Auch wenn das Unterfangen, einen solchen langfristigen Ausbildungsweg einzurichten, undurchführbar erscheinen mag, fordern wir die Teilkirchen auf, mutig zu sein und die richtige Glaubenshaltung einzunehmen, da wir wissen, dass, wie Jesus uns gelehrt hat, die Werke des Reiches Gottes immer wie ein kleines Senfkorn beginnen, aber mit der Zeit zu einem großen Baum werden können, der den Suchenden und Bedürftigen Obdach und Schutz bietet. Indem wir den neuen Generationen katechumenale Wachstumswege im Hinblick auf die Ehe anbieten, entsprechen wir einem der dringendsten Bedürfnisse der Kirche von heute, nämlich der Notwendigkeit, die jungen Menschen bei der vollen Verwirklichung dessen zu begleiten, was immer noch einer ihrer größten „Träume“ und eines der wichtigsten Ziele ist, die sie im Leben erreichen wollen: eine feste Beziehung mit einem geliebten Menschen einzugehen und darauf eine Familie aufzubauen.

Wir wollen dieses Werk der Fürsprache des heiligen Joseph, des Bräutigams der Jungfrau und Beschützer des Erlösers, und der heiligsten Maria, der Mutter Jesu und der Mutter der Kirche, anvertrauen, damit sie uns die Liebe zu allen Familien der Welt und den unermüdlichen Eifer für ihren Dienst einflößen.