Laudato si (Wortlaut): Unterschied zwischen den Versionen

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'''100.''' Das Neue Testament spricht zu uns nicht nur vom irdischen Jesus und seiner so konkreten und liebevollen Beziehung zur Welt. Es zeigt ihn auch als den Auferstandenen und Verherrlichten, der mit seiner allumfassenden Herrschaft in der gesamten Schöpfung gegenwärtig ist: „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,19-20). Das versetzt uns ans Ende der Zeiten, wenn der Sohn dem Vater alles übergibt und Gott alles in allem ist (vgl. 1 Kor 15,28).  Auf diese Weise erscheinen uns die Geschöpfe dieser Welt nicht mehr als eine bloß natürliche Wirklichkeit, denn geheimnisvoll umschließt sie der Auferstandene und richtet sie auf eine Bestimmung der Fülle aus. Die gleichen Blumen des Feldes und die Vögel, die er mit seinen menschlichen Augen voll Bewunderung betrachtete, sind jetzt erfüllt von seiner strahlenden Gegenwart.
 
'''100.''' Das Neue Testament spricht zu uns nicht nur vom irdischen Jesus und seiner so konkreten und liebevollen Beziehung zur Welt. Es zeigt ihn auch als den Auferstandenen und Verherrlichten, der mit seiner allumfassenden Herrschaft in der gesamten Schöpfung gegenwärtig ist: „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,19-20). Das versetzt uns ans Ende der Zeiten, wenn der Sohn dem Vater alles übergibt und Gott alles in allem ist (vgl. 1 Kor 15,28).  Auf diese Weise erscheinen uns die Geschöpfe dieser Welt nicht mehr als eine bloß natürliche Wirklichkeit, denn geheimnisvoll umschließt sie der Auferstandene und richtet sie auf eine Bestimmung der Fülle aus. Die gleichen Blumen des Feldes und die Vögel, die er mit seinen menschlichen Augen voll Bewunderung betrachtete, sind jetzt erfüllt von seiner strahlenden Gegenwart.
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==DRITTES KAPITEL:  DIE MENSCHLICHE WURZEL DER ÖKOLOGISCHEN KRISE==
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'''101.''' Es wird uns nicht nützen, die Symptome zu beschreiben, wenn wir nicht die menschliche Wurzel der ökologischen Krise erkennen. Es gibt ein Verständnis des menschlichen Lebens und Handelns, das fehlgeleitet ist und der Wirklichkeit widerspricht bis zu dem Punkt, ihr zu schaden. Warum sollen wir nicht innehalten, um darüber nachzudenken? Bei dieser Überlegung schlage ich vor, dass wir uns auf das vorherrschende technokratische Paradigma konzentrieren und auf die Stellung des Menschen und seines Handelns in der Welt.
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===I. DIE TECHNOLOGIE: KREATIVITÄT UND MACHT===
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'''102.''' Die Menschheit ist in eine neue Ära eingetreten, in der uns die Macht der Technologie vor einen Scheideweg stellt. Wir sind die Erben von zwei Jahrhunderten enormer Veränderungswellen: die Dampfmaschine, die Eisenbahn, der Telegraph, die Elektrizität, das Automobil, das Flugzeug, die chemischen Industrien, die moderne Medizin, die Informatik und jüngst die digitale Revolution, die Robotertechnik, die Biotechnologien und die Nanotechnologien. Es ist recht, sich über diese Fortschritte zu freuen und angesichts der umfangreichen Möglichkeiten, die uns diese stetigen Neuerungen eröffnen, in Begeisterung zu geraten, da „Wissenschaft und Technologie ein großartiges Produkt gottgeschenkter Kreativität“<ref>[[Johannes Paul II.]], Ansprache an die Vertreter von Wissenschaft und Kultur und der höheren Studien an der Universität der Vereinten Nationen, Hiroshima (25. Februar 1981), 3: L’[[Osservatore Romano]] (dt.) Jg. 11, Nr. 11 (13. März 1981), S. 6; [[AAS]] 73 (1981), S. 422.</ref> sind. Die Umgestaltung der Natur zu Nützlichkeitszwecken ist für die Menschheit seit ihren Anfängen charakteristisch, und daher ist die Technik „Ausdruck der Spannung des menschlichen Geistes auf die schrittweise Überwindung gewisser materieller Bedingtheiten hin“.<ref>[[Benedikt XVI.]], [[Enzyklika]] [[Caritas in veritate]] (29. Juni 2009), 69: [[AAS]] 101 (2009), S. 702.</ref> Die Technologie hat unzähligen Übeln, die dem Menschen schadeten und ihn einschränkten, Abhilfe geschaffen. Wir können den technischen Fortschritt nur schätzen und dafür danken, vor allem in der Medizin, in der Ingenieurwissenschaft und im Kommunikationswesen. Und wie sollte man nicht die Bemühungen vieler Wissenschaftler und Techniker anerkennen, die Alternativen für eine nachhaltige Entwicklung beigesteuert haben?
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'''103.''' Die gut ausgerichtete Technoscience kann nicht nur wirklich wertvolle Dinge produzieren, um die Lebensqualität des Menschen zu verbessern, von Gebrauchsgegenständen im Haushalt bis zu wichtigen Verkehrsmitteln, Brücken, Gebäuden, öffentlichen Orten. Sie ist ebenso in der Lage, das Schöne hervorzubringen und den in die materielle Welt eingetauchten Menschen in die Sphäre der Schönheit „springen“ zu lassen. Kann man denn die Schönheit eines Flugzeuges oder mancher Wolkenkratzer leugnen? Es gibt wunderschöne Werke der Malerei und der Musik, die durch die Verwendung neuer technischer Mittel erzielt wurden. So vollzieht sich bei der Suche des technischen Erzeugers nach Schönheit und im Betrachter dieser Schönheit ein Sprung in eine gewisse echt menschliche Fülle.
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'''104.''' Wir können aber nicht unbeachtet lassen, dass die Nuklearenergie, die Biotechnologie, die Informatik, die Kenntnis unserer eigenen DNA und andere Fähigkeiten, die wir erworben haben, uns eine gewaltige Macht verleihen. Besser gesagt, sie geben denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt. Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Weise sie sich gerade jetzt ihrer bedient. Es genügt, an die Atombomben zu erinnern, die mitten im 20. Jahrhundert abgeworfen wurden, sowie an den großen technologischen Aufwand, den der Nationalsozialismus, der Kommunismus und andere totalitäre Regime zur Vernichtung von Millionen von Menschen betrieben haben – ohne hierbei zu vergessen, dass heute der Krieg über immer perfektere todbringende Mittel verfügt. In welchen Händen liegt so viel Macht, und in welche Hände kann sie gelangen? Es ist überaus gefährlich, dass sie bei einem kleinen Teil der Menschheit liegt.
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'''105.''' Man neigt zu der Ansicht, „jede Zunahme an Macht sei einfachhin »Fortschritt«; Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt, Lebenskraft, Wertsättigung“<ref>[[Romano Guardini]], Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1965 (9. Aufl.), S. 87.</ref>, als gingen die Wirklichkeit, das Gute und die Wahrheit spontan aus der technologischen und wirtschaftlichen Macht selbst hervor. Tatsache ist, dass „der moderne Mensch nicht zum richtigen Gebrauch der Macht erzogen wird“<ref>Ebd.</ref>, denn das enorme technologische Wachstum ging nicht mit einer Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen einher. Jede Zeit neigt dazu, eine dürftige Selbsterkenntnis in Bezug auf die eigenen Grenzen zu entwickeln. Aus diesem Grund ist es möglich, dass die Menschheit heute nicht den Ernst der Herausforderungen, die sich ihr stellen, wahrnimmt. „Die Möglichkeit, der Mensch werde die Macht falsch gebrauchen, [wächst] beständig“, wenn „keine Freiheitsnormen, sondern nur angebliche Notwendigkeiten des Nutzens und der Sicherheit bestehen“<ref>Ebd., S. 87-88.</ref>. Der Mensch ist nicht völlig autonom. Seine Freiheit wird krank, wenn sie sich den blinden Kräften des Unbewussten, der unmittelbaren Bedürfnisse, des Egoismus und der Gewalt überlässt. In diesem Sinne ist er seiner eigenen Macht, die weiter wächst, ungeschützt ausgesetzt, ohne die Mittel zu haben, sie zu kontrollieren. Er mag über oberflächliche Mechanismen verfügen, doch wir können feststellen, dass er heute keine solide Ethik, keine Kultur und Spiritualität besitzt, die ihm wirklich Grenzen setzen und ihn in einer klaren Selbstbeschränkung zügeln.
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===II. DIE GLOBALISIERUNG DES TECHNOKRATISCHEN PARADIGMAS===
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'''106.''' Das Grundproblem ist ein anderes, noch tieferes, nämlich die Art und Weise, wie die Menschheit tatsächlich die Technologie und ihre Entwicklung zusammen mit einem homogenen und eindimensionalen Paradigma angenommen hat. Nach diesem Paradigma tritt eine Auffassung des Subjekts hervor, das im Verlauf des logisch-rationalen Prozesses das außen liegende Objekt allmählich umfasst und es so besitzt. Dieses Subjekt entfaltet sich, indem es die wissenschaftliche Methode mit ihren Versuchen aufstellt, die schon explizit eine Technik des Besitzens, des Beherrschens und des Umgestaltens ist. Es ist, als ob das Subjekt sich dem Formlosen gegenüber befände, das seiner Manipulation völlig zur Verfügung steht. Es kam schon immer vor, dass der Mensch in die Natur eingegriffen hat. Aber für lange Zeit lag das Merkmal darin, zu begleiten, sich den von den Dingen selbst angebotenen Möglichkeiten zu fügen. Es ging darum, zu empfangen, was die Wirklichkeit der Natur von sich aus anbietet, gleichsam die Hand reichend. Jetzt hingegen ist das Interesse darauf ausgerichtet, alles, was irgend möglich ist, aus den Dingen zu gewinnen durch den Eingriff des Menschen, der dazu neigt, die Wirklichkeit dessen, was er vor sich hat, zu ignorieren oder zu vergessen. Deswegen haben der Mensch und die Dinge aufgehört, sich freundschaftlich die Hand zu reichen, und sind dazu übergegangen, feindselig einander gegenüber zu stehen. Von da aus gelangt man leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr begeisterte. Dieses Wachstum setzt aber die Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus „auszupressen“. Es handelt sich um die irrige Annahme, „dass man über eine unbegrenzte Menge von Energie und Ressourcen verfügen könne, dass diese sofort erneuerbar und dass die negativen Auswirkungen der Manipulationen der natürlichen Ordnung problemlos zu beheben seien“.<ref>[[Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden]], [[Kompendium der Soziallehre der Kirche]], Freiburg 2006, 462.</ref>
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'''107.''' Wir können daher sagen, dass am Beginn vieler Schwierigkeiten der gegenwärtigen Welt vor allem die – nicht immer bewusste – Neigung steht, die Methodologie und die Zielsetzungen der Techno-Wissenschaft in ein Verständnismuster zu fassen, welches das Leben der Menschen und das Funktionieren der Gesellschaft bedingt. Die Auswirkungen der Anwendung dieses Modells auf die gesamte menschliche und soziale Wirklichkeit können in der Umweltschädigung festgestellt werden, die allerdings nur ein Zeichen des Reduktionismus ist, der das Leben des Menschen und die Gesellschaft in allen ihren Dimensionen in Mitleidenschaft zieht. Man muss anerkennen, dass die von der Technik erzeugten Produkte nicht neutral sind, denn sie schaffen ein Netz, das schließlich die Lebensstile konditioniert, und lenken die sozialen Möglichkeiten in die Richtung der Interessen bestimmter Machtgruppen. Gewisse Entscheidungen, die rein sachbezogen erscheinen, sind in Wirklichkeit Entscheidungen im Hinblick auf die Fortentwicklung des sozialen Lebens.
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'''108.''' Es ist nicht an die Möglichkeit zu denken, ein anderes kulturelles Paradigma zu vertreten und sich der Technik als eines bloßen Instruments zu bedienen. Das technokratische Paradigma ist nämlich heute so dominant geworden, dass es sehr schwierig ist, auf seine Mittel zu verzichten, und noch schwieriger, sie zu gebrauchen, ohne von ihrer Logik beherrscht zu werden. Es ist „kulturwidrig“ geworden, wieder einen Lebensstil mit Zielen zu wählen, die zumindest teilweise von der Technik, von ihren Kosten und ihrer globalisierenden und vermassenden Macht unabhängig sein können. In der Tat neigt die Technik dazu, zu versuchen, dass nichts außerhalb ihrer harten Logik bleibt, und „der Mensch, der sie trägt, weiß, dass es in der Technik letztlich weder um Nutzen noch um Wohlfahrt geht, sondern um Herrschaft; um eine Herrschaft im äußersten Sinn des Wortes“.<ref>[[Romano Guardini]], Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1965 (9. Aufl.), S. 63-64.</ref> „Er greift“ daher „nach den Elementen der Natur, wie nach denen des Menschendaseins.“<ref>Ebd., S. 64.</ref> Die Entscheidungsfähigkeit, die ganz authentische Freiheit und der Raum für die eigenständige Kreativität der Einzelnen nehmen ab.
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'''109.''' Das technokratische Paradigma tendiert auch dazu, die Wirtschaft und die Politik zu beherrschen. Die Wirtschaft nimmt jede technologische Entwicklung im Hinblick auf den Ertrag an, ohne auf mögliche negative Auswirkungen für den Menschen zu achten. Die Finanzen ersticken die Realwirtschaft. Man hat die Lektionen der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt, und nur sehr langsam lernt man die Lektionen der Umweltschädigung. In manchen Kreisen meint man, dass die jetzige Wirtschaft und die Technologie alle Umweltprobleme lösen werden, ebenso wie man in nicht akademischer Ausdrucksweise behauptet, dass die Probleme des Hungers und das Elend in der Welt sich einfach mit dem Wachstum des Marktes lösen werden. Es handelt sich nicht um eine Frage von Wirtschaftstheorien, die vielleicht heute keiner zu verteidigen wagt, sondern um deren Einbindung in die tatsächliche Entwicklung der Wirtschaft. Auch wer sie zwar nicht in Worte fasst, unterstützt sie aber doch mit seinen Taten, wenn ein rechtes Ausmaß der Produktion, eine bessere Verteilung des Reichtums, ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur oder die Rechte der zukünftigen Generationen ihn nicht zu kümmern scheinen. Mit seinem Verhalten bringt er zum Ausdruck, dass für ihn das Ziel der Gewinnmaximierung ausreicht. Der Markt von sich aus gewährleistet aber nicht die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die soziale Inklusion.<ref>Vgl. [[Benedikt XVI.]], [[Enzyklika]] [[Caritas in veritate]] (29. Juni 2009), 35: [[AAS]] 101 (2009), S. 671.</ref> Unterdessen verzeichnen wir „eine Art verschwenderische und konsumorientierte Überentwicklung, die in unannehmbarem Kontrast zu anhaltenden Situationen entmenschlichenden Elends steht“<ref>Ebd., 22: [[AAS]] 101, S. 657.</ref>, und es werden nicht schnell genug wirtschaftliche Einrichtungen und soziale Programme erarbeitet, die den Ärmsten einen regulären Zugang zu den Grundressourcen ermöglichen. Man wird nie genug darauf hinweisen können, welches die tiefsten Wurzeln des gegenwärtigen Ungleichgewichts sind, die mit der Ausrichtung, den Zielen, dem Sinn und dem sozialen Kontext des technologischen und wirtschaftlichen Wachstums zu tun haben.
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'''110.''' Die der Technologie eigene Spezialisierung bringt eine große Schwierigkeit mit sich, das Ganze in den Blick zu nehmen. Die Aufsplitterung des Wissens erfüllt ihre Funktion, wenn sie konkrete Anwendungen erzielt, führt aber gewöhnlich dazu, den Sinn für die Gesamtheit, für die zwischen den Dingen bestehenden Beziehungen, für den weiten Horizont zu verlieren, der irrelevant wird. Genau dies hindert daran, passende Wege zu finden, um die komplexeren Probleme der gegenwärtigen Welt – vor allem die, welche die Umwelt und die Armen betreffen – zu lösen, die man nicht von einem einzigen Gesichtspunkt oder von einer einzigen Art des Interesses aus angehen kann. Eine Wissenschaft, die angeblich Lösungen für die großen Belange anbietet, müsste notwendigerweise alles aufgreifen, was die Erkenntnis in anderen Wissensbereichen hervorgebracht hat, einschließlich der Philosophie und der Sozialethik. Das ist aber eine Leistung, die heutzutage nur schwer erbracht werden kann. Deshalb kann man auch keine wirklichen ethischen Horizonte erkennen, auf die man sich beziehen könnte. Das Leben geht dahin, sich den Umständen zu überlassen, die von der Technik geprägt werden, die ihrerseits als die wesentliche Quelle zur Deutung der Existenz verstanden wird. In der konkreten Wirklichkeit, die uns entgegentritt, werden verschiedene Symptome sichtbar, die den Irrtum aufzeigen – wie zum Beispiel die Umweltverschmutzung, die Angst und der Verlust des Lebens- und Gemeinschaftssinns. So zeigt sich einmal mehr: „Die Wirklichkeit steht über der Idee.“<ref>[[Apostolisches Schreiben]] [[Evangelii gaudium]] (24. November 2013), 231: [[AAS]] 105 (2013), S. 1114.</ref>
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'''111.''' Die ökologische Kultur kann nicht reduziert werden auf eine Serie von dringenden Teilantworten auf die Probleme, die bezüglich der Umweltschäden, der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und der Verschmutzung auftreten. Es müsste einen anderen Blick geben, ein Denken, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand gegen den Vormarsch des technokratischen Paradigmas bilden. Andernfalls können auch die besten ökologischen Initiativen schließlich in derselben globalisierten Logik stecken bleiben. Einfach nur eine technische Lösung für jedes auftretende Umweltproblem zu suchen bedeutet, Dinge zu isolieren, die in der Wirklichkeit miteinander verknüpft sind, und die wahren und tiefsten Probleme des weltweiten Systems zu verbergen.
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'''112.''' Es ist jedoch möglich, den Blick wieder zu weiten. Die menschliche Freiheit ist in der Lage, die Technik zu beschränken, sie zu lenken und in den Dienst einer anderen Art des Fortschritts zu stellen, der gesünder, menschlicher, sozialer und ganzheitlicher ist. Die Befreiung vom herrschenden technokratischen Paradigma geschieht tatsächlich in manchen Situationen, zum Beispiel wenn Gemeinschaften von Kleinproduzenten sich für weniger verschmutzende Produktionssysteme entscheiden und dabei ein Modell des Lebens, des Wohlbefindens und des nicht konsumorientierten Miteinanders vertreten; oder wenn die Technik sich vorrangig darauf ausrichtet, die konkreten Probleme der anderen zu lösen, in dem Wunsch, ihnen zu helfen, in größerer Würde und in weniger Leid zu leben; oder auch wenn der Wille, Schönes zu schaffen, und die Betrachtung des Schönen bewirken, dass die Macht, die das Gegenüber nur als Objekt wahrnimmt, überwunden wird in einer Art Erlösung, die sich im Schönen und in seinem Betrachter vollzieht. Die echte Menschlichkeit, die zu einer neuen Synthese einlädt, scheint inmitten der technologischen Zivilisation zu leben – gleichsam unmerklich, wie der Nebel, der unter der geschlossenen Tür hindurchdringt. Wird sie trotz allem eine fortwährende Verheißung sein, die wie ein zäher Widerstand des Echten hervorsprießt?
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'''113.''' Andererseits scheinen die Menschen nicht mehr an eine glückliche Zukunft zu glauben, sie vertrauen nicht blind auf ein besseres Morgen von der aktuellen Lage der Welt und den technischen Fähigkeiten her. Sie werden sich der Tatsache bewusst, dass der Fortschritt der Wissenschaft und der Technik nicht dem Fortschritt der Menschheit und der Geschichte entspricht, und ahnen, dass die grundlegenden Wege für eine glückliche Zukunft andere sind. Dennoch denkt man ebenso wenig daran, auf die Möglichkeiten, die die Technik bietet, zu verzichten. Die Menschheit hat sich tiefgreifend verändert, und die Fülle an ständigen Neuerungen heiligt eine Flüchtigkeit, die uns über die Oberfläche in eine einzige Richtung mitreißt. Es wird schwierig für uns, innezuhalten, um die Tiefe des Lebens wiederzugewinnen. Wenn die Architektur den Geist einer Epoche widerspiegelt, dann bringen die Megabauten und die serienmäßigen Häuser den Geist der globalisierten Technik zum Ausdruck, in dem sich die dauernde Neuheit der Produkte mit einer lastenden Langeweile verbindet. Wir wollen uns damit nicht abfinden und nicht darauf verzichten, uns über den Zweck und den Sinn von allem zu fragen. Andernfalls würden wir nur die herrschende Situation legitimieren und mehr Surrogate brauchen, um die Leere auszuhalten.
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'''114.''' Was gerade vor sich geht, stellt uns vor die Dringlichkeit, in einer mutigen kulturellen Revolution voranzuschreiten. Wissenschaft und Technologie sind nicht neutral, sondern können vom Anfang bis zum Ende eines Prozesses verschiedene Absichten und Möglichkeiten enthalten und sich auf verschiedene Weise gestalten. Niemand verlangt, in die Zeit der Höhlenmenschen zurückzukehren, es ist aber unerlässlich, einen kleineren Gang einzulegen, um die Wirklichkeit auf andere Weise zu betrachten, die positiven und nachhaltigen Fortschritte zu sammeln und zugleich die Werte und die großen Ziele wiederzugewinnen, die durch einen hemmungslosen Größenwahn vernichtet wurden.
  
 
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Version vom 27. Juni 2015, 08:19 Uhr

(Umwelt)-Enzyklika
Laudato si’, mi’ Signore

unseres Heiligen Vaters
Franziskus
an jeden Menschen
über die Sorge für das gemeinsame Haus
24. Mai 2015

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitend

1. “Laudato si’, mi’ Signore – Gelobt seist du, mein Herr”, sang der heilige Franziskus von Assisi. In diesem schönen Lobgesang erinnerte er uns daran, dass unser gemeinsames Haus wie eine Schwester ist, mit der wir das Leben teilen, und wie eine schöne Mutter, die uns in ihre Arme schließt: “Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.”<ref>Sonnengesang: Fonti Francescane (FF) 263 (dt. Ausg.: Franziskus-Quellen, Kevelaer 2009, S. 40-41).</ref>

2. Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Die Gewalt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken. Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde, die „seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Wir vergessen, dass wir selber Erde sind (vgl. Gen 2,7). Unser eigener Körper ist aus den Elementen des Planeten gebildet; seine Luft ist es, die uns den Atem gibt, und sein Wasser belebt und erquickt uns. Nichts von dieser Welt ist für uns gleichgültig.

3. Vor mehr als fünfzig Jahren, als die Welt am Rand eines Nuklearkrieges stand, schrieb der heilige Papst Johannes XXIII. eine Enzyklika, in der er sich nicht damit begnügte, einen Krieg abzulehnen, sondern einen Vorschlag für den Frieden unterbreiten wollte. Er richtete seine Botschaft Pacem in terris an die gesamte „katholische Welt“, fügte aber hinzu: „und an alle Menschen guten Willens“. Angesichts der weltweiten Umweltschäden möchte ich mich jetzt an jeden Menschen wenden, der auf diesem Planeten wohnt. In meinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium schrieb ich an die Mitglieder der Kirche, um einen immer noch ausstehenden Reformprozess in Gang zu setzen. In dieser Enzyklika möchte ich in Bezug auf unser gemeinsames Haus in besonderer Weise mit allen ins Gespräch kommen.

4. Acht Jahre nach Pacem in terris sprach der selige Papst Paul VI. 1971 die ökologische Problematik an, indem er sie als eine Krise vorstellte, die „eine dramatische Folge“ der unkontrollierten Tätigkeit des Menschen ist. „Infolge einer rücksichtslosen Ausbeutung der Natur läuft er Gefahr, sie zu zerstören und selbst Opfer dieser Zerstörung zu werden.“<ref>Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), 21: AAS 63 (1971), S. 416-417.</ref> Auch vor der FAO sprach er von der Möglichkeit einer „ökologischen Katastrophe als Konsequenz der Auswirkungen der Industriegesellschaft“ und betonte „die Dringlichkeit und die Notwendigkeit eines radikalen Wandels im Verhalten der Menschheit“, denn „die außerordentlichsten wissenschaftlichen Fortschritte, die erstaunlichsten technischen Meisterleistungen, das wunderbarste Wirtschaftswachstum wenden sich, wenn sie nicht von einem echten sozialen und moralischen Fortschritt begleitet sind, letztlich gegen den Menschen.“<ref>Ansprache an die FAO anlässlich ihres 25-jährigen Jubiläums (16. November 1970), 4: AAS 62 (1970), S. 833.</ref>

5. Der heilige Johannes Paul II. widmete sich diesem Thema mit zunehmendem Interesse. In seiner ersten Enzyklika bemerkte er: „Der Mensch scheint oft keine andere Bedeutung seiner natürlichen Umwelt wahrzunehmen, als allein jene, die den Zwecken eines unmittelbaren Gebrauchs und Verbrauchs dient.“<ref>Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 15: AAS 71 (1979), S. 287.</ref> Später rief er zu einer weltweiten ökologischen Umkehr auf.<ref>Vgl. Generalaudienz (17. Januar 2001), 4: L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 31, Nr. 4 (26. Januar 2001), S. 2; Insegnamenti 24/1 (2001), S. 179.</ref> Doch zugleich wies er darauf hin, dass man sich viel zu wenig „für die Wahrung der moralischen Bedingungen einer glaubwürdigen »Humanökologie«“ engagiert.<ref>Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 38: AAS 83 (1991), S. 841.</ref> Die Zerstörung der menschlichen Umwelt ist etwas sehr Ernstes, denn Gott vertraute dem Menschen nicht nur die Welt an, sondern sein Leben selbst ist ein Geschenk, das vor verschiedenen Formen des Niedergangs geschützt werden muss. Alle Bestrebungen, die Welt zu hüten und zu verbessern, setzen vor allem voraus, „dass sich die Lebensweisen, die Modelle von Produktion und Konsum und die verfestigten Machtstrukturen [von Grund auf] ändern, die heute die Gesellschaften beherrschen“.<ref>Ebd., 58: AAS 83 (1991), S. 863.</ref> Die echte menschliche Entwicklung ist moralischer Art und setzt die vollkommene Achtung gegenüber der menschlichen Person voraus, muss aber auch auf die Welt der Natur achten und „der Natur eines jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System […] Rechnung tragen“.<ref>Johannes Paul II.Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 34: AAS 80 (1988), S. 559.</ref> Daher muss sich die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit umzugestalten, auf der Grundlage der ersten Ur-Schenkung der Dinge von Seiten Gottes entwickeln.<ref>Vgl. Ders., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 37: AAS 83 (1991), S. 840.</ref>

6. Mein Vorgänger Benedikt XVI. erneuerte die Aufforderung, „die strukturellen Ursachen der Fehlfunktionen der Weltwirtschaft zu beseitigen und die Wachstumsmodelle zu korrigieren, die allem Anschein nach ungeeignet sind, den Respekt vor der Umwelt […] zu garantieren“.<ref>Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps (8. Januar 2007): AAS 99 (2007), S. 73.</ref> Er erinnerte daran, dass die Welt nicht analysiert werden kann, indem man nur einen ihrer Aspekte isoliert betrachtet, denn „das Buch der Natur ist eines und unteilbar“ und schließt unter anderem die Umwelt, das Leben, die Sexualität, die Familie und die sozialen Beziehungen ein. Folglich hängt „die Beschädigung der Natur […] eng mit der Kultur zusammen, die das menschliche Zusammenleben gestaltet“.<ref>Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 51: AAS 101 (2009), S. 687.</ref> Papst Benedikt XVI. legte uns nahe anzuerkennen, dass die natürliche Umwelt voller Wunden ist, die durch unser unverantwortliches Verhalten hervorgerufen sind. Auch die soziale Umwelt hat ihre Verwundungen. Doch sie alle sind letztlich auf dasselbe Übel zurückzuführen, nämlich auf die Idee, dass es keine unbestreitbaren Wahrheiten gibt, die unser Leben lenken, und deshalb der menschlichen Freiheit keine Grenzen gesetzt sind. Man vergisst, dass „der Mensch […] nicht nur sich selbst machende Freiheit [ist]. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur“.<ref>Ansprache an den Deutschen Bundestag in Berlin (22. September 2011): L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 41, Nr. 39 (30. September 20011), S. 5; AAS 103 (2011), S. 664.</ref> Mit väterlicher Sorge lud er uns ein zu erkennen, dass die Schöpfung geschädigt wird, „wo wir selbst die letzten Instanzen sind, wo das Ganze uns einfach gehört und wir es für uns verbrauchen. Und der Verbrauch der Schöpfung setzt dort ein, wo wir keine Instanz mehr über uns haben, sondern nur noch uns selber wollen“.<ref>Begegnung mit dem Klerus der Diözese Bozen-Brixen (6. August 2008): AAS 100 (2008), S. 634.</ref>

Vereint in ein und derselben Sorge

7. Diese Beiträge der Päpste greifen die Überlegung unzähliger Wissenschaftler, Philosophen, Theologen und sozialer Organisationen auf, welche das Denken der Kirche über diese Fragen bereichert haben. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass auch außerhalb der katholischen Kirche andere Kirchen und christliche Gemeinschaften – wie auch andere Religionen – eine weitgehende Sorge und eine wertvolle Reflexion über diese Themen, die uns alle beunruhigen, entwickelt haben. Um nur ein bemerkenswertes Beispiel zu bringen, möchte ich kurz einen Teil des Beitrags des geschätzten Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus aufgreifen, mit dem wir die Hoffnung auf die volle kirchliche Einheit teilen.

8. Patriarch Bartholomäus hat besonders von der Notwendigkeit gesprochen, dass jeder Einzelne die eigene Weise, dem Planeten zu schaden, bereut, denn „insofern wir alle kleine ökologische Schäden verursachen“, sind wir aufgerufen, „unseren kleineren oder größeren Beitrag zur Verunstaltung und Zerstörung der Schöpfung“<ref>Message upon the World Day of Prayer for the Protection of Creation (1. September 2012).</ref> anzuerkennen. Zu diesem Punkt hat er sich wiederholt mit starken und anregenden Worten geäußert und uns aufgefordert, die Sünden gegen die Schöpfung einzugestehen: „Dass Menschen die biologische Vielfalt in der göttlichen Schöpfung zerstören; dass Menschen die Unversehrtheit der Erde zerstören, indem sie Klimawandel verursachen, indem sie die Erde von ihren natürlichen Wäldern entblößen oder ihre Feuchtgebiete zerstören; dass Menschen anderen Menschen Schaden zufügen und sie krank machen, indem sie die Gewässer der Erde, ihren Boden und ihre Luft mit giftigen Substanzen verschmutzen – all das sind Sünden.“<ref>Ansprache an das Umwelt-Symposium, Santa Barbara, Kalifornien (8. November 1997); Vgl. auch John Chryssavgis, On Earth as in Heaven: Ecological Vision and Initiatives of Ecumenical Patriarch Batholomew, Bronx, New York 2012.</ref> Denn „ein Verbrechen gegen die Natur zu begehen, ist eine Sünde gegen uns selbst und eine Sünde gegen Gott.“ <ref>Ebd.</ref>

9. Zugleich machte Bartholomäus auf die ethischen und spirituellen Wurzeln der Umweltprobleme aufmerksam, die uns auffordern, Lösungen nicht nur in der Technik zu suchen, sondern auch in einer Veränderung des Menschen, denn andernfalls würden wir nur die Symptome bekämpfen. Er schlug uns vor, vom Konsum zum Opfer, von der Habgier zur Freigebigkeit, von der Verschwendung zur Fähigkeit des Teilens überzugehen, in einer Askese, die „bedeutet, geben zu lernen und nicht bloß aufzugeben. Es ist eine Weise des Liebens, schrittweise von dem, was ich möchte, zu dem überzugehen, was Gottes Welt nötig hat. Es ist eine Befreiung von Ängstlichkeit, Habgier und Zwang“.<ref>Vortrag im Kloster von Utstein, Norwegen (23. Juni 2003).</ref> Wir Christen sind außerdem berufen, „die Welt als ein Sakrament der Gemeinschaft anzunehmen, als ein Mittel, mit Gott und unserem Nächsten auf globaler Ebene zu teilen. Es ist unsere bescheidene Überzeugung, dass das Göttliche und das Menschliche einander begegnen in den kleinsten Details des nahtlosen Gewandes der Schöpfung Gottes, sogar im winzigsten Staubkorn unseres Planeten.“<ref>Bartholomäus, Ansprache beim Halki Summit I, Global Responsibility and Ecological Sustainability: Closing Remarks, Istanbul (20. Juni 2012).</ref>

Der heilige Franziskus von Assisi

10. Ich möchte diese Enzyklika nicht weiterentwickeln, ohne auf ein schönes Vorbild einzugehen, das uns anspornen kann. Ich nahm seinen Namen an als eine Art Leitbild und als eine Inspiration im Moment meiner Wahl zum Bischof von Rom. Ich glaube, dass Franziskus das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie ist. Er ist der heilige Patron all derer, die im Bereich der Ökologie forschen und arbeiten, und wird auch von vielen Nichtchristen geliebt. Er zeigte eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Schöpfung Gottes und gegenüber den Ärmsten und den Einsamsten. Er liebte die Fröhlichkeit und war wegen seines Frohsinns, seiner großzügigen Hingabe und seines weiten Herzens beliebt. Er war ein Mystiker und ein Pilger, der in Einfachheit und in einer wunderbaren Harmonie mit Gott, mit den anderen, mit der Natur und mit sich selbst lebte. An ihm wird man gewahr, bis zu welchem Punkt die Sorge um die Natur, die Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft und der innere Friede untrennbar miteinander verbunden sind.

11. Sein Zeugnis zeigt uns auch, dass eine ganzheitliche Ökologie eine Offenheit gegenüber Kategorien verlangt, die über die Sprache der Mathematik oder der Biologie hinausgehen und uns mit dem Eigentlichen des Menschen verbinden. Wie es uns geht, wenn wir uns in einen Menschen verlieben, so war jedes Mal, wenn er die Sonne, den Mond oder die kleinsten Tiere bewunderte, seine Reaktion die, zu singen und die anderen Geschöpfe in sein Lob einzubeziehen. Er trat mit der gesamten Schöpfung in Verbindung und predigte sogar den Blumen „und lud sie zum Lob des Herrn ein, wie wenn sie vernunftbegabte Wesen wären“. <ref>Thomas von Celano, Erste Lebensbeschreibung des hl. Franziskus, I. Buch, XXIX, 81: FF 460 (dt. Ausg.: Franziskusquellen, Kevelaer 2009, S. 248).</ref> Seine Reaktion war weit mehr als eine intellektuelle Bewertung oder ein wirtschaftliches Kalkül, denn für ihn war jedes Geschöpf eine Schwester oder ein Bruder, ihm verbunden durch die Bande zärtlicher Liebe. Deshalb fühlte er sich berufen, alles zu hüten, was existiert. Sein Jünger, der heilige Bonaventura, erzählte: „Eingedenk dessen, dass alle Geschöpfe ihren letzten Ursprung in Gott haben, war er von noch überschwänglicherer Zuneigung zu ihnen erfüllt. Auch die kleinsten Geschöpfe nannte er deshalb Bruder und Schwester.“<ref>Legenda Maior, VIII, 6: FF 1145 (dt. Ausg: ebd., S. 736).</ref> Diese Überzeugung darf nicht als irrationaler Romantizismus herabgewürdigt werden, denn sie hat Konsequenzen für die Optionen, die unser Verhalten bestimmen. Wenn wir uns der Natur und der Umwelt ohne diese Offenheit für das Staunen und das Wunder nähern, wenn wir in unserer Beziehung zur Welt nicht mehr die Sprache der Brüderlichkeit und der Schönheit sprechen, wird unser Verhalten das des Herrschers, des Konsumenten oder des bloßen Ausbeuters der Ressourcen sein, der unfähig ist, seinen unmittelbaren Interessen eine Grenze zu setzen. Wenn wir uns hingegen allem, was existiert, innerlich verbunden fühlen, werden Genügsamkeit und Fürsorge von selbst aufkommen. Die Armut und die Einfachheit des heiligen Franziskus waren keine bloß äußerliche Askese, sondern etwas viel Radikaleres: ein Verzicht darauf, die Wirklichkeit in einen bloßen Gebrauchsgegenstand und ein Objekt der Herrschaft zu verwandeln.

12. Andererseits legt der heilige Franziskus uns in Treue zur Heiligen Schrift nahe, die Natur als ein prächtiges Buch zu erkennen, in dem Gott zu uns spricht und einen Abglanz seiner Schönheit und Güte aufscheinen lässt: „Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen“ (Weish 13,5), und „seine unsichtbare Wirklichkeit [wird] an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit“ (Röm 1,20). Deshalb forderte Franziskus, im Konvent immer einen Teil des Gartens unbebaut zu lassen, damit dort die wilden Kräuter wüchsen und die, welche sie bewunderten, ihren Blick zu Gott, dem Schöpfer solcher Schönheit erheben könnten.<ref>Vgl. Thomas von Celano, Zweite Lebensbeschreibung des hl. Franziskus, CXXIV, 165: FF 750 (dt. Ausg.: Franziskusquellen, Kevelaer 2009, S. 390).</ref> Die Welt ist mehr als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten.

Mein Aufruf

13. Die dringende Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen, denn wir wissen, dass sich die Dinge ändern können. Der Schöpfer verlässt uns nicht, niemals macht er in seinem Plan der Liebe einen Rückzieher, noch reut es ihn, uns erschaffen zu haben. Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen. Ich möchte allen, die in den verschiedensten Bereichen menschlichen Handelns daran arbeiten, den Schutz des Hauses, das wir miteinander teilen, zu gewährleisten, meine Anerkennung, meine Ermutigung und meinen Dank aussprechen. Besonderen Dank verdienen die, welche mit Nachdruck darum ringen, die dramatischen Folgen der Umweltzerstörung im Leben der Ärmsten der Welt zu lösen. Die jungen Menschen verlangen von uns eine Veränderung. Sie fragen sich, wie es möglich ist, den Aufbau einer besseren Zukunft anzustreben, ohne an die Umweltkrise und an die Leiden der Ausgeschlossenen zu denken.

14. Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle. Die weltweite ökologische Bewegung hat bereits einen langen und ereignisreichen Weg zurückgelegt und zahlreiche Bürgerverbände hervorgebracht, die der Sensibilisierung dienen. Leider pflegen viele Anstrengungen, konkrete Lösungen für die Umweltkrise zu suchen, vergeblich zu sein, nicht allein wegen der Ablehnung der Machthaber, sondern auch wegen der Interessenlosigkeit der anderen. Die Haltungen, welche – selbst unter den Gläubigen – die Lösungswege blockieren, reichen von der Leugnung des Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur bequemen Resignation oder zum blinden Vertrauen auf die technischen Lösungen. Wir brauchen eine neue universale Solidarität. Wie die Bischöfe Südafrikas sagten, „bedarf es der Talente und des Engagements aller, um den durch den menschlichen Missbrauch der Schöpfung Gottes angerichteten Schaden wieder gutzumachen“.<ref>Konferenz der katholischen Bischöfe Südafrikas, Pastoral Statement on the Environmental Crisis (5. September 1999).</ref> Alle können wir als Werkzeuge Gottes an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeiten, ein jeder von seiner Kultur, seiner Erfahrung, seinen Initiativen und seinen Fähigkeiten aus.

15. Ich hoffe, dass diese Enzyklika, die sich an die Soziallehre der Kirche anschließt, uns hilft, die Größe, die Dringlichkeit und die Schönheit der Herausforderung zu erkennen, die vor uns steht. An erster Stelle werde ich unter bestimmten Aspekten einen kurzen Überblick über die aktuelle ökologische Krise geben, zu dem Zweck, die besten Ergebnisse des heutigen Stands der wissenschaftlichen Forschung zu übernehmen, uns davon zutiefst anrühren zu lassen und dem dann folgenden ethischen und geistlichen Weg eine Basis der Konkretheit zu verleihen. Aus dieser Perspektive werde ich einige Hinweise aufgreifen, die sich aus der jüdisch-christlichen Überlieferung ergeben, in der Absicht, unserem Engagement für die Umwelt eine größere Kohärenz zu verleihen. Dann werde ich versuchen, zu den Wurzeln der gegenwärtigen Situation vorzudringen, so dass wir nicht nur die Symptome betrachten, sondern auch die tiefsten Ursachen. Auf diese Weise können wir eine Ökologie vorschlagen, die in ihren verschiedenen Dimensionen den besonderen Ort des Menschen in dieser Welt und seine Beziehungen zu der ihn umgebenden Wirklichkeit einbezieht. Im Licht dieser Überlegung möchte ich fortfahren mit einigen ausführlichen Leitlinien für Dialog und Aktion, die sowohl jeden von uns als auch die internationale Politik betreffen. Und da ich überzeugt bin, dass für jede Veränderung Beweggründe und ein erzieherischer Weg nötig sind, werde ich schließlich einige Leitlinien zur menschlichen Reifung vorschlagen, die von dem Schatz der christlichen spirituellen Erfahrung inspiriert sind.

16. Obwohl jedes Kapitel seine eigene Thematik und eine spezifische Methodologie besitzt, greift es seinerseits aus neuer Sicht wichtige Fragen wieder auf, die in den vorangegangenen Kapiteln behandelt wurden. Das betrifft speziell einige Zentralthemen, welche die gesamte Enzyklika durchziehen. Zum Beispiel: die enge Beziehung zwischen den Armen und der Anfälligkeit des Planeten; die Überzeugung, dass in der Welt alles miteinander verbunden ist; die Kritik am neuen Machtmodell und den Formen der Macht, die aus der Technik abgeleitet sind; die Einladung, nach einem anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu suchen; der Eigenwert eines jeden Geschöpfes; der menschliche Sinn der Ökologie; die Notwendigkeit aufrichtiger und ehrlicher Debatten; die schwere Verantwortung der internationalen und lokalen Politik; die Wegwerfkultur und der Vorschlag eines neuen Lebensstils. Diese Themen werden weder abgeschlossen noch aufgegeben, sondern sie werden ständig neu aufgegriffen und angereichert.

ERSTES KAPITEL: WAS UNSEREM HAUS WIDERFÄHRT

17. Die theologischen oder philosophischen Reflexionen über die Situation der Menschheit und der Welt können wie eine repetitive und abstrakte Botschaft klingen, wenn sie nicht von einer Gegenüberstellung mit dem aktuellen Kontext her neu vorgebracht werden, im Blick auf das, was dieser an noch nie Dagewesenem für die Geschichte der Menschheit enthält. Darum schlage ich vor, dass wir, bevor wir erkennen, wie der Glaube angesichts der Welt, zu der wir gehören, neue Beweggründe und Erfordernisse beisteuert, kurz bei einer Betrachtung dessen verweilen, was unserem gemeinsamen Haus widerfährt.

18. Die ständige Beschleunigung in den Veränderungen der Menschheit und des Planeten verbindet sich heute mit einer Intensivierung der Lebens- und Arbeitsrhythmen zu einem Phänomen, das einige als „rapidación“ bezeichnen. Wenn auch die Veränderung ein Teil der Dynamik der komplexen Systeme ist, steht doch die Geschwindigkeit, die das menschliche Handeln ihr heute aufzwingt, im Gegensatz zu der natürlichen Langsamkeit der biologischen Evolution. Hinzu kommt das Problem, dass die Ziele dieser schnellen und unablässigen Veränderung nicht unbedingt auf das Gemeinwohl und eine nachhaltige und ganzheitliche menschliche Entwicklung ausgerichtet sind. Die Veränderung ist etwas Wünschenswertes, wird aber beunruhigend, wenn sie sich in eine Verschlechterung der Welt und der Lebensqualität eines großen Teils der Menschheit verwandelt.

19. Nach einer Zeit irrationalen Vertrauens auf den Fortschritt und das menschliche Können tritt jetzt ein Teil der Gesellschaft in eine Phase stärkerer Bewusstheit ein. Es ist eine steigende Sensibilität für die Umwelt und die Pflege der Natur zu beobachten, und es wächst eine ehrliche, schmerzliche Besorgnis um das, was mit unserem Planeten geschieht. Wir geben einen – wenn auch sicherlich unvollständigen – Überblick über jene Fragen, die uns heute beunruhigen und die wir jetzt nicht mehr unter den Teppich kehren können. Das Ziel ist nicht, Informationen zu sammeln oder unsere Neugier zu befriedigen, sondern das, was der Welt widerfährt, schmerzlich zur Kenntnis zu nehmen, zu wagen, es in persönliches Leiden zu verwandeln, und so zu erkennen, welches der Beitrag ist, den jeder Einzelne leisten kann.


I. UMWELTVERSCHMUTZUNG UND KLIMAWANDEL

Verschmutzung, Abfall und Wegwerfkultur

20. Es gibt Formen der Umweltverschmutzung, durch die die Menschen täglich geschädigt werden. Den Schadstoffen in der Luft ausgesetzt zu sein, erzeugt ein weites Spektrum von Wirkungen auf die Gesundheit – besonders der Ärmsten – und verursacht Millionen von vorzeitigen Todesfällen. Sie erkranken zum Beispiel durch das Einatmen erhöhter Dosen an Rauch von den Brennstoffen, die sie zum Kochen oder zum Heizen verwenden. Dazu kommt die Verschmutzung, die alle schädigt, aufgrund des Verkehrswesens und durch Industrieabgase, aufgrund von Deponien, in denen Substanzen gelagert werden, die zur Versauerung von Boden und Wasser beitragen, aufgrund von Düngemitteln, Insektiziden, Fungiziden, Herbiziden und Agrotoxiden allgemein. Eine mit dem Finanzwesen verknüpfte Technologie, die behauptet, die einzige Lösung der Probleme zu sein, ist in der Tat oft nicht fähig, das Geheimnis der vielfältigen Beziehungen zu sehen, die zwischen den Dingen bestehen, und löst deshalb manchmal ein Problem, indem sie andere schafft.

21. Wir müssen auch die Verschmutzung in Betracht ziehen, die durch Müll verursacht wird, einschließlich der gefährlichen Abfälle, die in verschiedenen Gegenden vorhanden sind. Pro Jahr werden hunderte Millionen Tonnen Müll produziert, von denen viele nicht biologisch abbaubar sind: Hausmüll und Gewerbeabfälle, Abbruchabfälle, klinische Abfälle, Elektronikschrott und Industrieabfälle, hochgradig toxische Abfälle und Atommüll. Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermessliche Mülldeponie zu verwandeln. An vielen Orten des Planeten trauern die alten Menschen den Landschaften anderer Zeiten nach, die jetzt von Abfällen überschwemmt werden. Sowohl die Industrieabfälle als auch die in den Städten und in der Landwirtschaft verwendeten chemischen Produkte können im Organismus der Bewohner der angrenzenden Gebiete den Effekt einer Bioakkumulation bewirken, der auch dann eintritt, wenn sich an einem Ort das Vorkommen eines toxischen Elements auf niedrigem Niveau hält. Häufig werden Maßnahmen erst dann ergriffen, wenn die Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen bereits irreversibel sind.

22. Diese Probleme sind eng mit der Wegwerfkultur verbunden, die sowohl die ausgeschlossenen Menschen betrifft als auch die Dinge, die sich rasch in Abfall verwandeln. Machen wir uns zum Beispiel bewusst, dass der größte Teil des Papiers, das produziert wird, verschwendet und nicht wiederverwertet wird. Es fällt uns schwer anzuerkennen, dass die Funktionsweise der natürlichen Ökosysteme vorbildlich ist: Die Pflanzen synthetisieren Nährstoffe für die Pflanzenfresser; diese ernähren ihrerseits die Fleischfresser, die bedeutende Mengen organischer Abfälle produzieren, welche Anlass zu neuem Pflanzenwuchs geben. Dagegen hat das Industriesystem am Ende des Zyklus von Produktion und Konsum keine Fähigkeit zur Übernahme und Wiederverwertung von Rückständen und Abfällen entwickelt. Noch ist es nicht gelungen, ein auf Kreislauf ausgerichtetes Produktionsmodell anzunehmen, das Ressourcen für alle und für die kommenden Generationen gewährleistet und das voraussetzt, den Gebrauch der nicht erneuerbaren Reserven aufs Äußerste zu beschränken, den Konsum zu mäßigen, die Effizienz der Ressourcennutzung maximal zu steigern und auf Wiederverwertung und Recycling zu setzen. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre ein Weg, der Wegwerfkultur entgegenzuwirken, die schließlich dem gesamten Planeten schadet. Wir stellen jedoch fest, dass die Fortschritte in diesem Sinn noch sehr gering sind.

Das Klima als gemeinsames Gut

23. Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle. Es ist auf globaler Ebene ein kompliziertes System, das mit vielen wesentlichen Bedingungen für das menschliche Leben verbunden ist. Es besteht eine sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des Klimasystems befinden. In den letzten Jahrzehnten war diese Erwärmung von dem ständigen Anstieg des Meeresspiegels begleitet, und außerdem dürfte es schwierig sein, sie nicht mit der Zunahme extremer meteorologischer Ereignisse in Verbindung zu bringen, abgesehen davon, dass man nicht jedem besonderen Phänomen eine wissenschaftlich bestimmbare Ursache zuschreiben kann. Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen. Es stimmt, dass es noch andere Faktoren gibt (z. B. der Vulkanismus, die Änderungen der Erdumlaufbahn und der Erdrotationsachse, der Solarzyklus), doch zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass der größte Teil der globalen Erwärmung der letzten Jahrzehnte auf die starke Konzentration von Treibhausgasen (Kohlendioxid, Methan, Stickstoffoxide und andere) zurückzuführen ist, die vor allem aufgrund des menschlichen Handelns ausgestoßen werden. Wenn sie sich in der Atmosphäre intensivieren, verhindern sie, dass die von der Erde reflektierte Wärme der Sonnenstrahlen sich im Weltraum verliert. Das wird besonders durch das Entwicklungsmodell gesteigert, das auf dem intensiven Gebrauch fossiler Kraftstoffe basiert, auf den das weltweite Energiesystem ausgerichtet ist. Auch die zunehmende Praxis einer veränderten Bodennutzung hat sich ausgewirkt, hauptsächlich die Abholzung der Wälder zugunsten der Landwirtschaft.

24. Die Erwärmung beeinflusst ihrerseits den Kohlenstoffkreislauf. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der die Situation weiter verschärft und der die Verfügbarkeit unerlässlicher Ressourcen wie das Trinkwasser, die Energie und die Agrarproduktion in den heißesten Zonen beeinträchtigen und das Aussterben eines Teils der biologischen Vielfalt des Planeten verursachen wird. Durch das Schmelzen des Polareises und der Hochgebirgsflächen droht eine sehr gefährliche Freisetzung von Methangas, und die Verwesung der tiefgefrorenen organischen Stoffe könnte die Ausströmung von Kohlendioxid noch weiter erhöhen. Das Verschwinden der tropischen Urwälder verschlechtert seinerseits die Lage, denn sie helfen ja, den Klimawandel abzuschwächen. Die durch das Kohlendioxid verursachte Verschmutzung erhöht den Säuregehalt der Ozeane und gefährdet die marine Nahrungskette. Wenn die augenblickliche Tendenz anhält, könnte dieses Jahrhundert Zeuge nie dagewesener klimatischer Veränderungen und einer beispiellosen Zerstörung der Ökosysteme werden, mit schweren Folgen für uns alle. Der Anstieg des Meeresspiegels, zum Beispiel, kann Situationen von äußerstem Ernst schaffen, wenn man bedenkt, dass ein Viertel der Weltbevölkerung unmittelbar oder sehr nahe am Meer lebt und der größte Teil der Megastädte sich in Küstengebieten befindet.

25. Der Klimawandel ist ein globales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen; sie stellt eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Menschheit dar. Die schlimmsten Auswirkungen werden wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten auf die Entwicklungsländer zukommen. Viele Arme leben in Gebieten, die besonders von Phänomenen heimgesucht werden, die mit der Erwärmung verbunden sind, und die Mittel für ihren Lebensunterhalt hängen stark von den natürlichen Reserven und den ökosystemischen Betrieben wie Landwirtschaft, Fischfang und Waldbestand ab. Sie betreiben keine anderen Finanzaktivitäten und besitzen keine anderen Ressourcen, die ihnen erlauben, sich den Klimaeinflüssen anzupassen oder Katastrophen die Stirn zu bieten, und sie haben kaum Zugang zu Sozialdiensten und Versicherung. So verursachen die klimatischen Veränderungen zum Beispiel Migrationen von Tieren und Pflanzen, die sich nicht immer anpassen können, und das schädigt wiederum die Produktionsquellen der Ärmsten, die sich ebenfalls genötigt sehen abzuwandern, mit großer Ungewissheit im Hinblick auf ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Tragisch ist die Zunahme der Migranten, die vor dem Elend flüchten, das durch die Umweltzerstörung immer schlimmer wird, und die in den internationalen Abkommen nicht als Flüchtlinge anerkannt werden; sie tragen die Last ihres Lebens in Verlassenheit und ohne jeden gesetzlichen Schutz. Leider herrscht eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber diesen Tragödien, die sich gerade jetzt in bestimmten Teilen der Welt zutragen. Der Mangel an Reaktionen angesichts dieser Dramen unserer Brüder und Schwestern ist ein Zeichen für den Verlust jenes Verantwortungsgefühls für unsere Mitmenschen, auf das sich jede zivile Gesellschaft gründet.

26. Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. Viele Symptome zeigen aber an, dass diese Wirkungen jedes Mal schlimmer sein können, wenn wir mit den gegenwärtigen Produktionsmodellen und Konsumgewohnheiten fortfahren. Darum ist es dringend geboten, politische Programme zu entwickeln, um in den kommenden Jahren den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen stark verunreinigenden Gasen drastisch zu reduzieren, zum Beispiel indem man die Verbrennung von fossilem Kraftstoff ersetzt und Quellen erneuerbarer Energie entwickelt. Weltweit sind saubere und erneuerbare Energien nur in geringem Maß erschlossen. Noch ist es notwendig, angemessene Technologien für die Speicherung zu entwickeln. Trotzdem sind in einigen Ländern Fortschritte erzielt worden, die beginnen, von Bedeutung zu sein, auch wenn sie weit davon entfernt sind, eine  beachtliche Proportion zu erreichen. Es gab auch einige Investitionen in Produktionsweisen und Transportarten, die weniger Energie verbrauchen und geringere Mengen an Rohstoff erfordern, sowie in Bauformen oder Arten der Bausanierung, um die Energieeffizienz zu verbessern. Doch diese guten Praktiken haben sich noch lange nicht überall eingebürgert.

II. DIE WASSERFRAGE

27. Andere Anzeichen der aktuellen Situation stehen im Zusammenhang mit der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Wir wissen sehr wohl, dass es unmöglich ist, das gegenwärtige Konsumniveau der am meisten entwickelten Länder und der reichsten Gesellschaftsschichten aufrechtzuerhalten, wo die Gewohnheit, zu verbrauchen und wegzuwerfen, eine nie dagewesene Stufe erreicht hat. Es sind bereits gewisse Höchstgrenzen der Ausbeutung des Planeten überschritten worden, ohne dass wir das Problem der Armut gelöst haben.

28. Sauberes Trinkwasser ist eine Frage von vorrangiger Bedeutung, denn es ist unentbehrlich für das menschliche Leben und zur Erhaltung der Ökosysteme von Erde und Wasser. Die Süßwasserquellen versorgen die Bereiche von Gesundheitswesen, Landwirtschaft und Industrie. Über lange Zeit blieb der Wasservorrat relativ konstant, jetzt aber übersteigt an vielen Orten die Nachfrage das nachhaltige Angebot, mit schweren kurz- und langfristigen Folgen. Große Städte, die von einem bedeutenden Volumen der Wasserspeicherung abhängig sind, erleiden zeitweise einen Ressourcenrückgang, der in kritischen Momenten nicht immer mit einer angemessenen Steuerung und mit Unparteilichkeit verwaltet wird. Die Knappheit an Gemeinschaftswasser besteht besonders in Afrika, wo große Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser haben oder unter Dürreperioden leiden, die die Produktion von Nahrungsmitteln erschweren. In einigen Ländern gibt es wasserreiche Regionen und zugleich andere, die unter schwerem Wassermangel leiden.

29. Ein besonders ernstes Problem, das täglich viele Todesopfer fordert, ist die Qualität des Wassers, das den Armen zur Verfügung steht. Unter den Armen sind Krankheiten im Zusammenhang mit dem Wasser häufig, einschließlich derer, die durch Mikroorganismen und chemische Substanzen verursacht werden. Diarrhoe und Cholera, die mit unangemessenen hygienischen Einrichtungen und mit einem ungeeigneten Wasservorrat zusammenhängen, sind ein bedeutender Faktor für das Leiden von Kindern und für die Kindersterblichkeit. Das Grundwasser ist an vielen Orten durch die Verschmutzung bedroht, die von einigen Formen der Rohstoffgewinnung, von landwirtschaftlichen und von industriellen Betrieben  verursacht wird, vor allem in Ländern, in denen es keine Regelung und keine ausreichenden Kontrollen gibt. Denken wir nicht nur an die Abfälle der Fabriken. Die Waschmittel und die chemischen Produkte, welche die Bevölkerung vielerorts in der Welt verwendet, sickern fortlaufend in Flüsse, Seen und Meere.

30. Während die Qualität des verfügbaren Wassers ständig schlechter wird, nimmt an einigen Orten die Tendenz zu, diese knappe Ressource zu privatisieren; so wird sie in Ware verwandelt und den Gesetzen des Marktes unterworfen. In Wirklichkeit ist der Zugang zu sicherem Trinkwasser ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht, weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist. Diese Welt lädt eine schwere soziale Schuld gegenüber den Armen auf sich, die keinen Zugang zum Trinkwasser haben, denn das bedeutet, ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist. Diese Schuld wird zum Teil beglichen durch mehr wirtschaftliche Beiträge zur Versorgung der ärmsten Bevölkerung mit klarem Wasser und Hygiene. Es ist jedoch eine Wasserverschwendung nicht nur in den Industrieländern zu beobachten, sondern auch in den weniger entwickelten Ländern, die große Wasserreserven besitzen. Das zeigt, dass das Wasserproblem zum Teil eine Frage der Erziehung und ein kulturelles Problem ist, denn es fehlt das Bewusstsein der Schwere dieses Verhaltens in einem Kontext großer Ungleichheit.

31. Ein größerer Wassermangel wird einen Anstieg der Nahrungsmittelpreise und  der Kosten bestimmter Produkte verursachen, die vom Wasserverbrauch abhängen. Einige Forscher haben vor der Möglichkeit eines akuten Wassermangels innerhalb weniger Jahrzehnte gewarnt, wenn nicht schnell gehandelt wird. Die Umweltbelastungen könnten Milliarden von Menschen schaden, doch es ist absehbar, dass sich die Kontrolle des Wassers durch große weltweite Unternehmen in eine der hauptsächlichen Konfliktquellen dieses Jahrhunderts verwandelt.<ref>Vgl. Grußwort an das Personal der FAO (20. November 2014): AAS 106 (2014), S. 985.</ref>

III. DER VERLUST DER BIOLOGISCHEN VIELFALT

32. Die Ressourcen der Erde werden auch geplündert durch ein Verständnis der Wirtschaft und der kommerziellen und produktiven Tätigkeit, das ausschließlich das unmittelbare Ergebnis im Auge hat. Der Verlust von Wildnissen und Wäldern bringt  zugleich den Verlust von Arten mit sich, die in Zukunft äußerst wichtige Ressourcen darstellen könnten, nicht nur für die Ernährung, sondern auch für die Heilung von Krankheiten und für vielfältige Dienste. Die verschiedenen Arten enthalten Gene, die Ressourcen mit einer Schlüsselfunktion sein können, um in der Zukunft irgendeinem menschlichen Bedürfnis abzuhelfen oder um irgendein Umweltproblem zu lösen.

33. Doch es genügt nicht, an die verschiedenen Arten nur als eventuelle nutzbare „Ressourcen“ zu denken und zu vergessen, dass sie einen Eigenwert besitzen. Jedes Jahr verschwinden Tausende Pflanzen- und Tierarten, die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer. Die weitaus größte Mehrheit stirbt aus Gründen aus, die mit irgendeinem menschlichen Tun zusammenhängen. Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht.

34. Möglicherweise beunruhigt es uns, vom Aussterben eines Säugetiers oder eines Vogels zu erfahren, weil sie uns mehr vor Augen sind. Doch für das gute Funktionieren des Ökosystems sind auch die Pilze, die Algen, die Würmer, die Insekten, die Reptilien und die unzählige Vielfalt von Mikroorganismen notwendig. Einige zahlenmäßig geringe Arten, die gewöhnlich unbemerkt bleiben, spielen eine grundlegend entscheidende Rolle, um das Gleichgewicht eines Ortes zu stabilisieren. Es stimmt, dass der Mensch eingreifen muss, wenn ein Geosystem in ein kritisches Stadium gerät, doch heute hat das menschliche Eingreifen in eine so komplexe Wirklichkeit wie die Natur ein solches Maß erreicht, dass die ständigen vom Menschen verursachten Katastrophen sein erneutes Eingreifen herausfordern, so dass das menschliche Handeln allgegenwärtig wird, mit allen Risiken, die das in sich birgt. Gewöhnlich entsteht ein Teufelskreis, wo das Eingreifen des Menschen, um eine Schwierigkeit zu lösen, häufig die Situation weiter verschlimmert. So sind zum Beispiel viele Vögel und Insekten, die aufgrund der von der Technologie geschaffenen und in der Landwirtschaft verwendeten Agrotoxide aussterben, für ebendiese Landwirtschaft nützlich, und ihr Verschwinden muss durch ein weiteres technologisches Eingreifen ersetzt werden, das möglicherweise neue schädliche Auswirkungen hat. Lobenswert und manchmal bewundernswert sind die Anstrengungen der Wissenschaftler und Techniker, die versuchen, Lösungen für die vom Menschen verursachten Probleme zu schaffen. Wenn wir jedoch die Welt betrachten, stellen wir fest, dass dieses Ausmaß menschlichen Eingreifens, das häufig im Dienst der Finanzen und des Konsumismus steht, dazu führt, dass die Erde, auf der wir leben, in Wirklichkeit weniger reich und schön wird, immer begrenzter und trüber, während gleichzeitig die Entwicklung der Technologie und des Konsumangebots grenzenlos weiter fortschreitet. So hat es den Anschein, dass wir bestrebt sind, auf diese Weise eine unersetzliche und unwiederbringliche Schönheit auszutauschen gegen eine andere, die von uns geschaffen wurde.

35. Wenn die Umweltverträglichkeit irgendeines Unternehmens geprüft wird, achtet man gewöhnlich auf die Auswirkungen auf den Boden, das Wasser und die Luft, doch nicht immer wird eine sorgfältige Untersuchung über die Wirkung auf die biologische Vielfalt eingeschlossen, als sei der Verlust einiger Arten oder Gruppen von Tieren oder Pflanzen etwas von geringer Bedeutung. Schnellstraßen, Neukultivierungen, Drahtzäune, Talsperren und andere Konstruktionen ergreifen Besitz von den Lebensräumen, und manchmal zersplittern sie diese derart, dass die Tierpopulationen nicht mehr wandern, noch frei pendeln können, so dass einige Arten vom Aussterben bedroht sind. Es gibt Alternativen – wie die Schaffung von biologischen Korridoren –, welche die Wirkung dieser Bauten zumindest abschwächen, doch eine solche Umsicht und Vorsorge ist nur in wenigen Ländern zu bemerken. Wenn einige Arten kommerziell genutzt werden, erforscht man nicht immer die Weise ihres Wachstums, um ihre übermäßige Reduzierung und das daraus resultierende Ungleichgewicht des Ökosystems  zu vermeiden.

36. Die Pflege der Ökosysteme setzt einen Blick voraus, der über das Unmittelbare hinausgeht, denn wenn man nur nach einem schnellen und einfachen wirtschaftlichen Ertrag sucht, ist niemand wirklich an ihrem Schutz interessiert. Doch der Preis für die Schäden, die durch die egoistische Fahrlässigkeit verursacht werden, ist sehr viel höher als der wirtschaftliche Vorteil, den man erzielen kann. Im Fall des Verlustes oder des schweren Schadens an einigen Arten ist von Werten die Rede, die jedes Kalkül überschreiten. Darum können wir stumme Zeugen schwerster Ungerechtigkeiten werden, wenn der Anspruch erhoben wird, bedeutende Vorteile zu erzielen, indem man den Rest der Menschheit von heute und morgen die äußerst hohen Kosten der Umweltzerstörung bezahlen lässt.

37. Einige Länder haben Fortschritte gemacht im wirksamen Schutz gewisser Orte und Zonen – auf der Erde und in den Ozeanen –, wo jedes menschliche Eingreifen verboten ist, das ihre Physiognomie verändern oder ihre ursprüngliche Gegebenheit verfälschen kann. Bei der Pflege der biologischen Vielfalt beharren die Fachleute auf der Notwendigkeit, den artenreichsten Zonen mit heimischen, seltenen oder weniger wirksam geschützten Arten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Es gibt Orte, die einer speziellen Sorgfalt bedürfen wegen ihrer enormen Bedeutung für das weltweite Ökosystem oder weil sie wichtige Wasserreserven darstellen und so eine Gewähr für andere Formen des Lebens sind.

38. Nennen wir zum Beispiel jene an biologischer Vielfalt überreichen Lungen des Planeten, die das Amazonasgebiet und das Kongobecken darstellen, oder die großen Grundwasservorkommen und die Gletscher. Wir wissen um die Bedeutung dieser Orte für die Gesamtheit des Planeten und für die Zukunft der Menschheit ist nicht unbekannt. Die Ökosysteme der tropischen Urwälder enthalten eine biologische Vielfalt von einer enormen Komplexität, die ganz zu kennen beinahe unmöglich ist, doch wenn diese Wildnisse niedergebrannt oder eingeebnet werden, um Bodenbewirtschaftung zu entwickeln, gehen in wenigen Jahren unzählige Arten verloren, wenn die Gebiete sich nicht sogar in trockene Wüsten verwandeln. Dennoch sieht man sich, sobald man über diese Orte spricht, zu einem heiklen Balanceakt gezwungen, denn man darf auch nicht die enormen internationalen wirtschaftlichen Interessen außer Acht lassen, die unter dem Vorwand, für diese Orte zu sorgen, gegen die Souveränität der betroffenen Nationen verstoßen können. Tatsächlich existieren „Ideen […] das Amazonasgebiet zu internationalisieren: Solche Ideen nützen einzig und allein den ökonomischen Interessen der transnationalen Unternehmen“.<ref>V. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 86.</ref> Anerkennenswert ist die Aufgabenstellung von internationalen Organisationen und Vereinigungen der Zivilgesellschaft, welche die Bevölkerungen sensibilisieren und kritisch mitwirken – auch unter Einsatz legitimer Druckmittel –, damit jede Regierung ihre eigene und nicht delegierbare Pflicht erfüllt, die Umwelt und die natürlichen Ressourcen ihres Landes zu bewahren, ohne sich an unehrliche lokale oder internationale Interessen zu verkaufen.

39. Der Ersatz der wilden Flora durch Flächen, die mit Bäumen aufgeforstet werden und im allgemeinen Monokulturen sind, ist gewöhnlich auch nicht Gegenstand einer angemessenen Analyse. Denn das kann einer biologischen Vielfalt, die von den neu angepflanzten Arten nicht angenommen wird, schwer schaden. Auch die Feuchtgebiete, die in Kulturland verwandelt werden,  verlieren die enorme biologische Vielfalt, die sie beherbergen. In einigen Küstenzonen ist das Verschwinden der durch Mangrovensümpfe gebildeten Ökosysteme besorgniserregend.

40. Die Ozeane enthalten nicht nur den größten Teil des Wassers des Planeten, sondern auch den größten Teil der umfassenden Vielfalt an Lebewesen, von denen viele uns noch unbekannt und aus verschiedenen Gründen bedroht sind. Andererseits wird das Leben in den Flüssen, Seen, Meeren und Ozeanen, das einen großen Teil der Weltbevölkerung ernährt, durch die unkontrollierte Ausbeutung des Fischbestands geschädigt, die den drastischen Rückgang einiger Arten verursacht. Dennoch entwickeln sich weiter Formen selektiven Fischfangs, die einen großen Teil der eingeholten Arten vergeuden. Besonders bedroht sind Meeresorganismen, an die wir gar nicht denken, wie bestimmte Formen von Plankton, die eine sehr wichtige Komponente in der marinen Nahrungskette bilden und von denen letztlich Arten abhängen, die uns zur Nahrung dienen.

41. Wenn wir in die tropischen und subtropischen Meere eindringen, begegnen wir den Korallenbänken, denen die gleiche Bedeutung der Urwälder der Erde zukommt, denn sie beherbergen etwa eine Million Arten, darunter Fische, Krabben, Mollusken, Schwämme, Algen und andere. Viele der Korallenbänke der Welt sind heute schon steril oder befinden sich in einem fortwährenden Stadium des Niedergangs: „Wer hat die wunderbare Meereswelt in leb- und farblose Unterwasser-Friedhöfe verwandelt?“<ref>Konferenz der Katholischen Bischöfe der Philippinen, Hirtenbrief What is Happening to our Beautiful Land? (29. Januar 1988).</ref> Dieses Phänomen ist großenteils auf die Verschmutzung zurückzuführen, die ins Meer gelangt als Ergebnis der Entwaldung, der landwirtschaftlichen Monokulturen, der Industrieabfälle und der destruktiven Methoden des Fischfangs, besonders derer, die Zyanid und Dynamit benutzen. Es verschärft sich durch den Temperaturanstieg der Ozeane. All das hilft uns zu bemerken, in welcher Weise jeder beliebige Eingriff in die Natur Folgen haben kann, die wir auf den ersten Blick nicht wahrnehmen, und dass gewisse Formen der Ressourcennutzung auf Kosten einer Zerstörung geschehen, die schließlich sogar den Grund der Ozeane erreicht.

42. Es ist notwendig, viel mehr in die Forschung zu investieren, um das Verhalten der Ökosysteme besser zu verstehen und die verschiedenen Variablen der Auswirkung jeder beliebigen wichtigen Veränderung der Umwelt zu analysieren. Da alle Geschöpfe miteinander verbunden sind, muss jedes mit Liebe und Bewunderung gewürdigt werden, und alle sind wir aufeinander angewiesen. Jedes Hoheitsgebiet trägt eine Verantwortung für die Pflege dieser Familie. Es müsste für sie eine sorgfältige Bestandsaufnahme der Arten erstellen, die es beherbergt, um Programme und Strategien für den Schutz zu entwickeln, und dabei mit besonderer Sorge auf die Arten zu achten, die im Aussterben begriffen sind.

IV. VERSCHLECHTERUNG DER LEBENSQUALITÄT UND SOZIALER NIEDERGANG

43. Wenn wir berücksichtigen, dass der Mensch auch ein Geschöpf dieser Welt ist, das ein Recht auf Leben und Glück hat und das außerdem eine ganz besondere Würde besitzt, können wir es nicht unterlassen, die Auswirkungen der Umweltzerstörung, des aktuellen Entwicklungsmodells und der Wegwerfkultur auf das menschliche Leben zu betrachten.

44. Heute beobachten wir zum Beispiel das maßlose und ungeordnete Wachsen vieler Städte, die für das Leben ungesund geworden sind, nicht nur aufgrund der Verschmutzung durch toxische Emissionen, sondern auch aufgrund des städtischen Chaos, der Verkehrsprobleme und der visuellen und akustischen Belästigung. Viele Städte sind große unwirtschaftliche Gefüge, die übermäßig viel Energie und Wasser verbrauchen. Es gibt Stadtviertel, die, obwohl sie erst vor Kurzem erbaut wurden, verstopft und ungeordnet sind, ohne ausreichende Grünflächen. Es entspricht nicht dem Wesen der Bewohner dieses Planeten, immer mehr von Zement, Asphalt, Glas und Metall erdrückt und dem physischen Kontakt mit der Natur entzogen zu leben.

45. In einigen ländlichen und städtischen Zonen hat die Privatisierung von Geländen dazu geführt, dass der Zugang der Bürger zu Gebieten von besonderer Schönheit schwierig wird. Unter anderem werden „ökologische“ Wohnanlagen geschaffen, die nur einigen wenigen dienen, wo man zu vermeiden sucht, dass andere eintreten und die künstliche Ruhe stören. Eine schöne Stadt voller gut gepflegter Grünflächen findet man gewöhnlich in einigen „sicheren“ Gebieten, jedoch kaum in weniger sichtbaren Zonen, wo die von der Gesellschaft Ausgeschlossenen leben.

46. Zu den sozialen Komponenten der globalen Veränderung gehören auch die Auswirkungen einiger technologischer Neuerungen auf die Arbeit, die soziale Ausschließung, die Ungleichheit in der Verfügbarkeit und dem Konsum von Energie und anderen Diensten, die gesellschaftliche Aufsplitterung, die Zunahme der Gewalt und das Aufkommen neuer Formen sozialer Aggressivität, der Rauschgifthandel und der steigende Drogenkonsum unter den Jüngsten, der Verlust der Identität. Das sind unter anderem Zeichen, die zeigen, dass das Wachstum der letzten beiden Jahrhunderte nicht in allen seinen Aspekten einen wahren ganzheitlichen Fortschritt und eine Besserung der Lebensqualität bedeutet hat. Einige dieser Zeichen sind zugleich Symptome eines wirklichen sozialen Niedergangs, eines stillschweigenden Bruchs der Bindungen von sozialer Integration und Gemeinschaft.

47. Dazu kommen die Dynamiken der Medien und der digitalen Welt, die, wenn sie sich in eine Allgegenwart verwandeln, nicht die Entwicklung einer Fähigkeit zu weisem Leben, tiefgründigem Denken und großherziger Liebe begünstigen. Die großen Weisen der Vergangenheit würden in diesem Kontext Gefahr laufen, dass ihre Weisheit inmitten des zerstreuenden Lärms der Informationen erlischt. Das verlangt von uns eine Anstrengung, damit diese Medien sich in einer neuen kulturellen Entwicklung der Menschheit niederschlagen und nicht in einem Verfall ihres innersten Reichtums. Die wirkliche Weisheit, die aus der Reflexion, dem Dialog und der großherzigen Begegnung zwischen Personen hervorgeht, erlangt man nicht mit einer bloßen Anhäufung von Daten, die sättigend und benebelnd in einer Art geistiger Umweltverschmutzung endet. Zugleich besteht die Tendenz, die realen Beziehungen zu den anderen mit allen Herausforderungen, die sie beinhalten, durch eine Art von Kommunikation zu ersetzen, die per Internet vermittelt wird. Das erlaubt, die Beziehungen nach unserem Belieben auszuwählen oder zu eliminieren, und so pflegt sich eine neue Art künstlicher Gefühlsregungen zu bilden, die mehr mit Apparaturen und Bildschirmen zu tun haben, als mit den Menschen und der Natur. Die derzeitigen Medien gestatten, dass wir Kenntnisse und Gemütsbewegungen übermitteln und miteinander teilen. Trotzdem hindern sie uns manchmal auch, mit der Angst, mit dem Schaudern, mit der Freude des anderen und mit der Komplexität seiner persönlichen Erfahrung in direkten Kontakt zu kommen. Darum dürfte es nicht verwundern, dass sich gemeinsam mit dem überwältigenden Angebot dieser Produkte eine tiefe und wehmütige Unzufriedenheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen oder eine schädliche Vereinsamung breitmacht.

V. WELTWEITE SOZIALE UNGERECHTIGKEIT

48. Die menschliche Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht sachgemäß angehen können, wenn wir nicht auf Ursachen achten, die mit dem Niedergang auf menschlicher und sozialer Ebene zusammenhängen. Tatsächlich schädigen der Verfall der Umwelt und der der Gesellschaft in besonderer Weise die Schwächsten des Planeten: „Sowohl die allgemeine Erfahrung des alltäglichen Lebens als auch die wissenschaftliche Untersuchung zeigen, dass die schwersten Auswirkungen all dieser Umweltverletzungen von den Ärmsten erlitten werden.“<ref>Bolivianische Bischofskonferenz, Hirtenbrief über Umwelt und menschliche Entwicklung in Bolivien El universo, don de Dios para la vida (2012), 17.</ref> So beeinträchtigt zum Beispiel die Erschöpfung des Fischbestands speziell diejenigen, die vom handwerklichen Fischfang leben und nichts besitzen, um ihn zu ersetzen; die Verschmutzung des Wassers trifft besonders die Ärmsten, die keine Möglichkeit haben, abgefülltes Wasser zu kaufen, und der Anstieg des Meeresspiegels geht hauptsächlich die verarmte Küstenbevölkerung an, die nichts haben, wohin sie umziehen können. Die Auswirkung der aktuellen Formen von Unordnung zeigt sich auch im vorzeitigen Sterben vieler Armer, in den Konflikten, die durch Mangel an Ressourcen hervorgerufen werden, und in vielen anderen Problemen, die keinen ausreichenden Platz auf der Tagesordnung der Welt haben.<ref>Vgl. Deutsche Bischofskonferenz, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen Der Klimawandel: Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit (September 2006), 28-30.</ref>

49. Ich möchte darauf hinweisen, dass man gewöhnlich keine klare Vorstellung von den Problemen hat, die besonders die Ausgeschlossenen heimsuchen. Sie sind der größte Teil des Planeten, Milliarden von Menschen. Heute kommen sie in den internationalen politischen und wirtschaftlichen Debatten vor, doch oft scheint es, dass ihre Probleme gleichsam als ein Anhängsel angegangen werden, wie eine Frage, die man fast pflichtgemäß oder ganz am Rande anfügt, wenn man sie nicht als bloßen Kollateralschaden betrachtet. Tatsächlich bleiben sie im Moment der konkreten Verwirklichung oft auf dem letzten Platz. Das ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass viele Akademiker, Meinungsmacher, Medien- und Machtzentren weit von ihnen entfernt angesiedelt sind, in abgeschlossenen Stadtbereichen, ohne in direkten Kontakt mit ihren Problemen zu kommen. Sie leben und denken von der Annehmlichkeit einer Entwicklungsstufe und einer Lebensqualität aus, die für die Mehrheit der Weltbevölkerung unerreichbar sind. Dieser Mangel an physischem Kontakt und an Begegnung, der manchmal durch die Desintegration unserer Städte begünstigt wird, trägt dazu bei, das Gewissen zu „kauterisieren“ und einen Teil der Realität in tendenziösen Analysen zu ignorieren. Das geht zuweilen Hand in Hand mit „grünen“ Reden. Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.

50. Anstatt die Probleme der Armen zu lösen und an eine andere Welt zu denken, haben einige nichts anderes vorzuschlagen als eine Reduzierung der Geburtenrate. Es fehlt nicht an internationalem Druck auf die Entwicklungsländer, indem wirtschaftliche Hilfen von gewissen politischen Entscheidungen zugunsten der „Fortpflanzungsgesundheit“ abhängig gemacht werden. Doch „wenn es zutrifft, dass die ungleiche Verteilung der Bevölkerung und der verfügbaren Ressourcen die Entwicklung und den vertretbaren Umgang mit der Umwelt behindern, muss auch anerkannt werden, dass eine wachsende Bevölkerung mit einer umfassenden und solidarischen Entwicklung voll und ganz zu vereinbaren ist“.<ref>Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg 2006, 483.</ref> Die Schuld dem Bevölkerungszuwachs und nicht dem extremen und selektiven Konsumverhalten einiger anzulasten, ist eine Art, sich den Problemen nicht zu stellen. Es ist der Versuch, auf diese Weise das gegenwärtige Modell der Verteilung zu legitimieren, in dem eine Minderheit sich für berechtigt hält, in einem Verhältnis zu konsumieren, das unmöglich verallgemeinert werden könnte, denn der Planet wäre nicht einmal imstande, die Abfälle eines solchen Konsums zu fassen. Außerdem wissen wir, dass etwa ein Drittel der produzierten Lebensmittel verschwendet wird, und dass „Nahrung, die weggeworfen wird, gleichsam vom Tisch des Armen […] geraubt wird“.<ref>Generalaudienz (5. Juni 2013): L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 43, Nr. 24 (14. Juni 2013), S. 2; Insegnamenti 1/1 (2013), S. 280.</ref> Auf jeden Fall steht fest, dass das Ungleichgewicht in der Verteilung der Bevölkerung über das Territorium sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene beachtet werden muss, denn der Anstieg des Konsums würde zu komplexen regionalen Situationen führen wegen der Kombination von Problemen, die unter anderem mit der Umweltverschmutzung, dem Verkehrswesen, der Handhabung der Abfälle, dem Verlust der Ressourcen und der Lebensqualität verbunden sind.

51. Die soziale Ungerechtigkeit geht nicht nur Einzelne an, sondern ganze Länder, und zwingt dazu, an eine Ethik der internationalen Beziehungen zu denken. Denn es gibt eine wirkliche „ökologische Schuld“ – besonders zwischen dem Norden und dem Süden – im Zusammenhang mit Ungleichgewichten im Handel und deren Konsequenzen im ökologischen Bereich wie auch mit dem im Laufe der Geschichte von einigen Ländern praktizierten unproportionierten Verbrauch der natürlichen Ressourcen. Der Export einiger Rohstoffe, um die Märkte im industrialisierten Norden zu befriedigen, hat örtliche Schäden verursacht wie die Quecksilbervergiftung in den Goldminen oder die Vergiftung mit Schwefeldioxid im Bergbau zur Kupfergewinnung. Besonders muss man der Tatsache Rechnung tragen, dass der Umweltbereich des gesamten Planeten zur „Entsorgung“ gasförmiger Abfälle gebraucht wird, die sich im Laufe von zwei Jahrhunderten angesammelt und eine Situation geschaffen haben, die nunmehr alle Länder der Welt in Mitleidenschaft zieht. Die Erwärmung, die durch den enormen Konsum einiger reicher Länder verursacht wird, hat Auswirkungen in den ärmsten Zonen der Erde, besonders in Afrika, wo der Temperaturanstieg  vereint mit der Dürre verheerende Folgen für den Ertrag des Ackerbaus hat. Dazu kommen die Schäden, die durch die Exportierung fester und flüssiger toxischer Abfälle in die Entwicklungsländer und durch die umweltschädigende Aktivität von Unternehmen verursacht werden, die in den weniger entwickelten Ländern tun, was sie in den Ländern, die ihnen das Kapital bringen, nicht tun können: „Wir stellen fest, dass es häufig multinationale Unternehmen sind, die so handeln und hier tun, was ihnen in den entwickelten Ländern bzw. in der sogenannten Ersten Welt nicht erlaubt ist. Im Allgemeinen bleiben bei der Einstellung ihrer Aktivitäten und ihrem Rückzug große Schulden gegenüber Mensch und Umwelt zurück wie Arbeitslosigkeit, Dörfer ohne Leben, Erschöpfung einiger natürlicher Reserven, Entwaldung, Verarmung der örtlichen Landwirtschaft und Viehzucht, Krater, eingeebnete Hügel, verseuchte Flüsse und einige wenige soziale Werke, die nicht mehr unterhalten werden können.“<ref>Bischöfe der Region Patagonia-Comahue (Argentinien), Weihnachtsbotschaft (Dezember 2009), 2.</ref>

52. Die Auslandsverschuldung der armen Länder ist zu einem Kontrollinstrument geworden, das Gleiche gilt aber nicht für die ökologische Schuld. Auf verschiedene Weise versorgen die weniger entwickelten Völker, wo sich die bedeutendsten Reserven der Biosphäre befinden, weiter die Entwicklung der reichsten Länder, auf Kosten ihrer eigenen Gegenwart und Zukunft. Der Erdboden der Armen im Süden ist fruchtbar und wenig umweltgeschädigt, doch in den Besitz dieser Güter und Ressourcen zu gelangen, um ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen, ist ihnen verwehrt durch ein strukturell perverses System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen. Es ist notwendig, dass die entwickelten Länder zur Lösung dieser Schuld beitragen, indem sie den Konsum nicht erneuerbarer Energie in bedeutendem Maß einschränken und Hilfsmittel in die am meisten bedürftigen Länder bringen, um politische Konzepte und Programme für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Die ärmsten Regionen und Länder besitzen weniger Möglichkeiten, neue Modelle zur Reduzierung der Umweltbelastung anzuwenden, denn sie haben nicht die Qualifikation, um die notwendigen Verfahren zu entwickeln, und können die Kosten nicht abdecken. Darum muss man deutlich im Bewusstsein behalten, dass es im Klimawandel diversifizierte Verantwortlichkeiten gibt, und sich – wie die Bischöfe der Vereinigten Staaten sagten – entsprechend „besonders auf die Bedürfnisse der Armen, der Schwachen und der Verletzlichen konzentrieren, in einer Debatte, die oftmals von den mächtigeren Interessen beherrscht ist“.<ref>Konferenz der Katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten, Global Climate Change: A Plea for Dialogue, Prudence and the Common Good (15. Juni 2001).</ref> Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass wir eine einzige Menschheitsfamilie sind. Es gibt keine politischen oder sozialen Grenzen und Barrieren, die uns erlauben, uns zu isolieren, und aus ebendiesem Grund auch keinen Raum für die Globalisierung der Gleichgültigkeit.

VI. DIE SCHWÄCHE DER REAKTIONEN

53. Diese Situationen rufen das Stöhnen der Schwester Erde hervor, die sich dem Stöhnen der Verlassenen der Welt anschließt, mit einer Klage, die von uns einen Kurswechsel verlangt. Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten. Doch wir sind berufen, die Werkzeuge Gottes des Vaters zu sein, damit unser Planet das sei, was Er sich erträumte, als Er ihn erschuf, und seinem Plan des Friedens, der Schönheit und der Fülle entspreche. Das Problem ist, dass wir noch nicht über die Kultur verfügen, die es braucht, um dieser Krise entgegenzutreten. Es ist notwendig, leaderships zu bilden, die Wege aufzeigen, indem sie versuchen, die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen unter Einbeziehung aller zu berücksichtigen, ohne die kommenden Generationen zu beeinträchtigen. Es wird unerlässlich, ein Rechtssystem zu schaffen, das unüberwindliche Grenzen enthält und den Schutz der Ökosysteme gewährleistet, bevor die neuen Formen der Macht, die sich von dem techno-ökonomischen Paradigma herleiten, schließlich nicht nur die Politik zerstören, sondern sogar die Freiheit und die Gerechtigkeit.

54. Auffallend ist die Schwäche der internationalen politischen Reaktion. Die Unterwerfung der Politik unter die Technologie und das Finanzwesen zeigt sich in der Erfolglosigkeit der Weltgipfel über Umweltfragen. Es gibt allzu viele Sonderinteressen, und leicht gelingt es dem wirtschaftlichen Interesse, die Oberhand über das Gemeinwohl zu gewinnen und die Information zu manipulieren, um die eigenen Pläne nicht beeinträchtigt zu sehen. In diesem Sinn fordert das Dokument von Aparecida, „dass bei den Eingriffen in die natürlichen Ressourcen nicht die Interessen von Wirtschaftskreisen den Vorrang haben dürfen, die […] auf irrationale Weise die Quellen des Lebens vernichten“.<ref>V. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 471.</ref> Das Bündnis von Wirtschaft und Technologie klammert am Ende alles aus, was nicht zu seinen unmittelbaren Interessen gehört. So könnte man nur einige oberflächliche Deklamationen, vereinzelte menschenfreundliche Aktionen und sogar Bemühungen, Sensibilität für die Umwelt zu zeigen, erwarten, wobei in Wirklichkeit jeder beliebige Versuch der sozialen Organisationen, die Dinge zu ändern, als ein von romantischen Schwärmern verursachtes Ärgernis oder als Hindernis angesehen wird, das zu umgehen ist.

55. Nach und nach können einige Länder bedeutende Fortschritte, die Entwicklung von wirksameren Kontrollen und einen aufrichtigeren Kampf gegen die Korruption aufweisen. Es gibt mehr ökologisches Empfinden in der Bevölkerung, auch wenn es nicht reicht, um die schädlichen Konsumgewohnheiten zu ändern, die nicht nachzulassen scheinen, sondern sich verbreiten und entwickeln. Das ist es – um nur ein einfaches Beispiel zu bringen –, was mit dem ständig zunehmenden Gebrauch und der steigenden Intensität der Klimaanlagen geschieht. Die Märkte, die davon unmittelbar profitieren, regen die Nachfrage immer noch mehr an. Wenn jemand die Erdenbewohner von außen beobachten würde, würde er sich über ein solches Verhalten wundern, das bisweilen selbstmörderisch erscheint.

56. Indessen fahren die Wirtschaftsmächte fort, das aktuelle weltweite System zu rechtfertigen, in dem eine Spekulation und ein Streben nach finanziellem Ertrag vorherrschen, die dazu neigen, den gesamten Kontext wie auch die Wirkungen auf die Menschenwürde und die Umwelt zu ignorieren. So wird deutlich, dass die Verschlechterung der Umweltbedingungen und die Verschlechterung im menschlichen und ethischen Bereich eng miteinander verbunden sind. Viele werden sagen, dass sie sich nicht bewusst sind, unmoralisch zu handeln, denn die ständige Ablenkung nimmt uns den Mut, der Wirklichkeit einer begrenzten und vergänglichen Welt ins Auge zu schauen. Daher bleibt heute „alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden“.<ref>Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 56: AAS 105 (2013), S. 1043.</ref>

57. Es ist vorhersehbar, dass angesichts der Erschöpfung einiger Ressourcen eine Situation entsteht, die neue Kriege begünstigt, die als eine Geltendmachung edler Ansprüche getarnt werden. Der Krieg verursacht immer schwere Schäden für die Umwelt wie für den kulturellen Reichtum der Bevölkerungen, und die Risiken wachsen ins Ungeheure, wenn man an die nuklearen und die biologischen Waffen denkt. Denn „obwohl internationale Vereinbarungen den chemischen, bakteriologischen und biologischen Krieg verbieten, ist es eine Tatsache, dass in den Laboratorien die Forschung für die Entwicklung neuer Angriffswaffen fortgesetzt wird, die imstande sind, die natürlichen Gleichgewichte zu verändern“.<ref>Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 12: L‘Osservatore Romano (dt.), Jg.19, Nr. 50 (15. Dezember 1989), S. 7; AAS 82 (1990), S. 154.</ref> Von Seiten der Politik ist eine größere Aufmerksamkeit nötig, um den Situationen, die neue Konflikte verursachen können, zuvorzukommen und sie zu lösen. Doch die mit dem Finanzwesen verbundene Macht ist das, was sich am meisten gegen solche Bemühungen sträubt, und die politischen Pläne sind gewöhnlich nicht weitblickend. Warum möchte man heute eine Macht bewahren, die in die Erinnerung eingehen wird wegen ihrer Unfähigkeit einzugreifen, als es dringend und notwendig war?

58. In einigen Ländern gibt es positive Beispiele von Erfolgen bei der Umweltverbesserung, wie die Reinigung verschiedener Flüsse, die viele Jahrzehnte lang verseucht waren, oder die Rückgewinnung von einheimischen Wäldern oder die Verschönerung von Landschaften durch Umweltsanierung oder architektonische Projekte von großem ästhetischem Wert oder Fortschritte in der Produktion umweltfreundlicher Energie, in der Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und anderes. Diese Aktionen lösen nicht die globalen Probleme, bestätigen jedoch, dass der Mensch noch fähig ist, positiv einzuschreiten. Da er erschaffen ist, um zu lieben, keimen inmitten seiner Begrenztheiten unweigerlich Gesten der Großherzigkeit, der Solidarität und der Fürsorge auf.

59. Zugleich wuchert eine oberflächliche oder scheinbare Ökologie, die eine gewisse Schläfrigkeit und eine leichtfertige Verantwortungslosigkeit unterstützt. Wie es in Zeiten tiefer Krise, die mutige Entscheidungen erfordern, zu gehen pflegt, sind wir versucht zu denken, dass ungewiss ist, was eigentlich geschieht. Wenn wir auf den äußeren Eindruck schauen, hat es, abgesehen von einigen sichtbaren Zeichen der Verseuchung und des Verfalls, den Anschein, als seien die Dinge nicht so schlimm und der Planet könne unter den gegenwärtigen Bedingungen noch lange Zeit fortbestehen. Diese ausweichende Haltung dient uns, unseren Lebensstil und unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten beizubehalten. Es ist die Weise, wie der Mensch sich die Dinge zurechtlegt, um all die selbstzerstörerischen Laster zu pflegen: Er versucht, sie nicht zu sehen, kämpft, um sie nicht anzuerkennen, schiebt die wichtigen Entscheidungen auf und handelt, als ob nichts passieren werde.

VII. DIE UNTERSCHIEDLICHKEIT DER MEINUNGEN

60. Schließlich erkennen wir an, dass sich in Bezug auf die Situation und die möglichen Lösungen unterschiedliche Sichtweisen und gedankliche Richtungen entwickelt haben. Im einen Extrem vertreten einige um jeden Preis den Mythos des Fortschritts und behaupten, dass sich die ökologischen Probleme einfach mit neuen technischen Programmen lösen werden, ohne ethische Bedenken und grundlegende Änderungen. Im anderen Extrem ist man der Meinung, der Mensch könne mit jedem seiner Eingriffe nur eine Bedrohung sein und das weltweite Ökosystem beeinträchtigen. Deshalb sei es angebracht, seine Präsenz auf dem Planeten zu reduzieren und ihm jede Art von Eingriff zu verbieten. Zwischen diesen beiden Extremen müssten mögliche zukünftige Szenerien erdacht werden, denn es gibt nicht nur einen einzigen Lösungsweg. Das würde Anlass zu verschiedenen Beiträgen geben, die in Dialog treten könnten im Hinblick auf ganzheitliche Antworten.

61. In Bezug auf viele konkrete Fragen ist es nicht Sache der Kirche, endgültige Vorschläge zu unterbreiten, und sie versteht, dass sie zuhören und die ehrliche Debatte zwischen den Wissenschaftlern fördern muss, indem sie die Unterschiedlichkeit der Meinungen respektiert. Es genügt jedoch, aufrichtig die Realität zu betrachten, um zu sehen, dass unser gemeinsames Haus stark beschädigt ist. Die Hoffnung lädt uns ein zu erkennen, dass es immer einen Ausweg gibt, dass wir immer den Kurs neu bestimmen können, dass wir immer etwas tun können, um die Probleme zu lösen. Allerdings sind allem Anschein nach Symptome eines Bruchs zu bemerken, aufgrund der großen Geschwindigkeit der Veränderungen und der Verschlechterung. Diese zeigen sich sowohl in regionalen Naturkatastrophen als auch in Gesellschafts- oder sogar Finanzkrisen, da die Probleme der Welt isoliert weder analysiert noch erklärt werden können. Es gibt Regionen, die bereits in besonderer Gefahr sind, und abgesehen von jeglicher Katastrophenprognose ist sicher, dass das gegenwärtige weltweite System unter verschiedenen Gesichtspunkten unhaltbar ist, denn wir haben aufgehört, an den Zweck menschlichen Handelns zu denken: „Wenn wir die verschiedenen Gegenden des Planeten betrachten, erkennen wir bedauerlicherweise sofort, dass die Menschheit die Erwartungen Gottes enttäuscht hat.“<ref>Ders., Generalaudienz (17. Januar 2001), 3: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 31, Nr. 4 (26. Januar 2001), S. 2; Insegnamenti 24/1 (2001), S. 178.</ref>

ZWEITES KAPITEL: DAS EVANGELIUM VON DER SCHÖPFUNG

62. Warum in dieses, an alle Menschen guten Willens gerichtete Dokument ein Kapitel aufnehmen, das auf Glaubensüberzeugungen bezogen ist? Ich weiß sehr wohl, dass auf dem Gebiet der Politik und des Denkens einige mit Nachdruck die Idee eines Schöpfers ablehnen oder sie als irrelevant betrachten, bis zu dem Punkt, den Reichtum, den die Religionen für eine ganzheitliche Ökologie und eine volle Entwicklung der Menschheit bieten können, in den Bereich des Irrationalen zu verweisen. In anderen Fällen geht man davon aus, dass die Religionen eine Subkultur darstellen, die einfach toleriert werden muss. Dennoch können Wissenschaft und Religion, die sich von unterschiedlichen Ansätzen aus der Realität nähern, in einen intensiven und für beide Teile produktiven Dialog treten.

I. DAS LICHT, DAS DER GLAUBE BIETET

63. Wenn wir die Komplexität der ökologischen Krise und ihre vielfältigen Ursachen berücksichtigen, müssten wir zugeben, dass die Lösungen nicht über einen einzigen Weg, die Wirklichkeit zu interpretieren und zu verwandeln, erreicht werden können. Es ist auch notwendig, auf die verschiedenen kulturellen Reichtümer der Völker, auf Kunst und Poesie, auf das innerliche Leben und auf die Spiritualität zurückzugreifen. Wenn wir wirklich eine Ökologie aufbauen wollen, die uns gestattet, all das zu sanieren, was wir zerstört haben, dann darf kein Wissenschaftszweig und keine Form der Weisheit beiseitegelassen werden, auch nicht die religiöse mit ihrer eigenen Sprache. Zudem ist die katholische Kirche offen für den Dialog mit dem philosophischen Denken, und das gestattet ihr, verschiedene Synthesen zwischen dem Glauben und der Vernunft herzustellen. Was die sozialen Fragen betrifft, kann man dies an der Entwicklung der Soziallehre der Kirche feststellen, die berufen ist, aufgrund der neuen Herausforderungen immer reichhaltiger zu werden.

64. Andererseits möchte ich – obwohl diese Enzyklika sich einem Dialog mit allen öffnet, um gemeinsame Wege der Befreiung zu suchen – von Anfang an zeigen, wie die Überzeugungen des Glaubens den Christen und zum Teil auch anderen Glaubenden wichtige Motivationen für die Pflege der Natur und die Sorge für die schwächsten Brüder und Schwestern bieten. Wenn die bloße Tatsache, Mensch zu sein, die Menschen bewegt, die Natur zu pflegen, ein Teil derer sie ja selber sind, stellen „die Christen insbesondere […] fest, dass ihre Aufgaben im Bereich der Schöpfung, ihre Pflichten gegenüber der Natur und dem Schöpfer Bestandteil ihres Glaubens sind“.<ref>Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 15: L‘Osservatore Romano (dt.), Jg.19, Nr. 50 (15. Dezember 1989), S. 8; AAS 82 (1990), S. 156.</ref> Deshalb ist es ein Nutzen für die Menschheit und für die Welt, dass wir Gläubigen die ökologischen Verpflichtungen besser erkennen, die aus unseren Überzeugungen hervorgehen.

II. DIE WEISHEIT DER BIBLISCHEN ERZÄHLUNGEN

65. Ohne hier die gesamte Theologie der Schöpfung zu wiederholen, fragen wir uns, was uns die großen biblischen Erzählungen über die Beziehung des Menschen zur Welt sagen. In der ersten Schilderung des Schöpfungswerkes im Buch Genesis schließt der Plan Gottes die Erschaffung der Menschheit ein. Nach der Erschaffung des Menschen heißt es: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ (Gen 1,31). Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch aus Liebe erschaffen wurde, als Abbild Gottes und ihm ähnlich (vgl. Gen 1,26). Diese Aussage macht uns die unermessliche Würde jedes Menschen deutlich; „er ist nicht bloß etwas, sondern jemand. Er ist imstande, sich zu erkennen, über sich Herr zu sein, sich in Freiheit hinzugeben und in Gemeinschaft mit anderen Personen zu treten.“<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 357.</ref> Der heilige Johannes Paul II. erinnerte daran, dass die ganz besondere Liebe, die der Schöpfer zu jedem Menschen hat,  ihm eine unendliche Würde verleiht.<ref>Vgl. Botschaft an die Behinderten, Apostolische Reise in die Bundesrepublik Deutschland, Angelus (16. November 1980): L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 10, Nr. 47 (21. November 1980), S. 10; Insegnamenti 3/2 (1980), S. 1232.</ref> Diejenigen, die sich für die Verteidigung der Menschenwürde einsetzen, können im christlichen Glauben die tiefsten Argumente für diese Aufgabe finden. Was für eine wunderbare Gewissheit ist es, dass das Leben eines jeden Menschen sich nicht in einem hoffnungslosen Chaos verliert, in einer Welt, die dem puren Zufall unterliegt oder Zyklen, die sich sinnlos wiederholen! Der Schöpfer kann zu jedem von uns sagen: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen“ (Jer 1,5). Wir wurden im Herzen Gottes „entworfen“, und darum gilt: „Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“<ref>Benedikt XVI., Homilie zur feierlichen Amtseinführung (24. April 2005): L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 35, Nr. 17 (29. April 2005), S. 3; AAS 97 (2005), S. 711.</ref>

66. Die Schöpfungsberichte im Buch Genesis enthalten in ihrer symbolischen und narrativen Sprache tiefgründige Lehren über das Menschsein und seine historische Wirklichkeit. Diese Erzählungen deuten an, dass sich das menschliche Dasein auf drei fundamentale, eng miteinander verbundene Beziehungen gründet: die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Erde. Der Bibel zufolge sind diese drei lebenswichtigen Beziehungen zerbrochen, nicht nur äußerlich, sondern auch in unserem Innern. Dieser Bruch ist die Sünde. Die Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung wurde zerstört durch unsere Anmaßung, den Platz Gottes einzunehmen, da wir uns geweigert haben anzuerkennen, dass wir begrenzte Geschöpfe sind. Diese Tatsache verfälschte auch den Auftrag, uns die Erde zu „unterwerfen“ (vgl. Gen 1,28) und sie zu „bebauen“ und zu „hüten“ (vgl. Gen 2,15). Als Folge verwandelte sich die ursprünglich harmonische Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur in einen Konflikt (vgl. Gen 3,17-19). Darum ist es bedeutungsvoll, dass die Harmonie, in der der heilige Franziskus von Assisi mit allen Geschöpfen lebte, als eine Heilung jenes Bruches interpretiert wurde. Der heilige Bonaventura sagte, dass Franziskus, „da er mit allen Geschöpfen in Frieden war“, wieder in „den Zustand vor der Ursünde“ gelangte.<ref>Legenda Maior, VIII, 1: FF 1134 (dt. Ausg.: Franziskusquellen, Kevelaer 2009, S. 733).</ref> Weit von diesem Vorbild entfernt, zeigt sich die Sünde heute mit all ihrer Zerstörungskraft in den Kriegen, in den verschiedenen Formen von Gewalt und Misshandlung, in der Vernachlässigung der Schwächsten und in den Angriffen auf die Natur.

67. Wir sind nicht Gott. Die Erde war schon vor uns da und ist uns gegeben worden. Das gestattet, auf eine Beschuldigung gegenüber dem jüdisch-christlichen Denken zu antworten: Man hat gesagt, seit dem Bericht der Genesis, der einlädt, sich die Erde zu „unterwerfen“ (vgl. Gen 1,28), werde die wilde Ausbeutung der Natur begünstigt durch die Darstellung des Menschen als herrschend und destruktiv. Das ist keine korrekte Interpretation der Bibel, wie die Kirche sie versteht. Wenn es stimmt, dass wir Christen die Schriften manchmal falsch interpretiert haben, müssen wir heute mit Nachdruck zurückweisen, dass  aus der Tatsache, als Abbild Gottes erschaffen zu sein, und dem Auftrag, die Erde zu beherrschen, eine absolute Herrschaft über die anderen Geschöpfe gefolgert wird. Es ist wichtig, die biblischen Texte in ihrem Zusammenhang zu lesen, mit einer geeigneten Hermeneutik, und daran zu erinnern, dass sie uns einladen, den Garten der Welt zu „bebauen“ und zu „hüten“ (vgl. Gen 2,15). Während „bebauen“ kultivieren, pflügen oder bewirtschaften bedeutet, ist mit „hüten“ schützen, beaufsichtigen, bewahren, erhalten, bewachen gemeint. Das schließt eine Beziehung verantwortlicher Wechselseitigkeit zwischen dem Menschen und der Natur ein. Jede Gemeinschaft darf von der Erde das nehmen, was sie zu ihrem Überleben braucht, hat aber auch die Pflicht, sie zu schützen und das Fortbestehen ihrer Fruchtbarkeit für die kommenden Generationen zu gewährleisten. Denn „dem Herrn gehört die Erde“ (Ps 24,1), ihm gehört letztlich „die Erde und alles, was auf ihr lebt“ (Dtn 10,14). Darum lehnt Gott jeden Anspruch auf absolutes Eigentum ab: „Das Land darf nicht endgültig verkauft werden; denn das Land gehört mir, und ihr seid nur Fremde und Halbbürger bei mir“ (Lev 25,23).

68. Diese Verantwortung gegenüber einer Erde, die Gott gehört, beinhaltet, dass der Mensch, der vernunftbegabt ist, die Gesetze der Natur und die empfindlichen Gleichgewichte unter den Geschöpfen auf dieser Welt respektiert, „denn er gebot, und sie waren erschaffen. Er stellte sie hin für immer und ewig, er gab ihnen ein Gesetz, das sie nicht übertreten“ (Ps 148,5b-6). Daher kommt es, dass die biblische Gesetzessammlung sich damit aufhält, dem Menschen verschiedene Vorschriften nicht nur in Beziehung zu den anderen Menschen, sondern auch in Beziehung zu den anderen Lebewesen zu geben: „Du sollst nicht untätig zusehen, wie ein Esel oder ein Ochse deines Bruders auf dem Weg zusammenbricht. Du sollst dann nicht so tun, als gingen sie dich nichts an […] Wenn du unterwegs auf einem Baum oder auf der Erde zufällig ein Vogelnest mit Jungen oder mit Eiern darin findest und die Mutter auf den Jungen oder auf den Eiern sitzt, sollst du die Mutter nicht zusammen mit den Jungen herausnehmen“ (Dtn 22,4.6). Auf dieser Linie wird die Ruhe am siebten Tag nicht nur für den Menschen vorgeschrieben, sondern auch, „damit dein Rind und dein Esel ausruhen“ (Ex 23,12). Auf diese Weise bemerken wir, dass die Bibel keinen Anlass gibt für einen despotischen Anthropozentrismus, der sich nicht um die anderen Geschöpfe kümmert.

69. Während wir die Dinge in verantwortlicher Weise gebrauchen dürfen, sind wir zugleich aufgerufen zu erkennen, dass die anderen Lebewesen vor Gott einen Eigenwert besitzen und ihn „schon allein durch ihr Dasein preisen und verherrlichen“<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 2416.</ref>, denn der Herr freut sich seiner Werke (vgl. Ps 104,31). Gerade wegen seiner einzigartigen Würde und weil er mit Vernunft begabt ist, ist der Mensch aufgerufen, die Schöpfung mit ihren inneren Gesetzen zu respektieren, denn „der Herr hat die Erde mit Weisheit gegründet“ (Spr 3,19). Heute sagt die Kirche nicht einfach, dass die anderen Geschöpfe dem Wohl des Menschen völlig untergeordnet sind, als besäßen sie in sich selbst keinen Wert und wir könnten willkürlich über sie verfügen. Darum lehren die Bischöfe Deutschlands: Bei den anderen Geschöpfen „könnte man von einem Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein sprechen.“<ref>Deutsche Bischofskonferenz, Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit. Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung (1980), II, 2.</ref> Der Katechismus erörtert das, was ein fehlgeleiteter Anthropozentrismus wäre, auf sehr direkte und nachdrückliche Weise: „Jedes Geschöpf besitzt seine eigene Güte und Vollkommenheit […] Die unterschiedlichen Geschöpfe spiegeln in ihrem gottgewollten Eigensein, jedes auf seine Art, einen Strahl der unendlichen Weisheit und Güte Gottes wider. Deswegen muss der Mensch die gute Natur eines jeden Geschöpfes achten und sich hüten, die Dinge gegen ihre Ordnung zu gebrauchen.“<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 339.</ref>

70. In der Erzählung von Kain und Abel sehen wir, dass die Eifersucht Kain dazu führte, das extreme Unrecht gegen seinen Bruder zu verüben. Das wiederum verursachte einen Bruch der Beziehung zwischen Kain und Gott sowie zwischen Kain und dem Land, aus dem er vertrieben wurde. Diese Textstelle ist in dem dramatischen Gespräch Gottes mit Kain zusammengefasst. Gott fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Kain antwortet, er wisse es nicht, und Gott beharrt: „Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. So bist du verflucht, verbannt vom Ackerboden“ (Gen 4,9-11). Die Unachtsamkeit in dem Bemühen, eine angemessene Beziehung zu meinem Nächsten zu pflegen und zu erhalten, für den ich sorgen und den ich behüten muss, zerstört meine innere Beziehung zu mir selbst, zu den anderen, zu Gott und zur Erde. Wenn alle diese Beziehungen vernachlässigt werden, wenn die Gerechtigkeit nicht mehr im Lande wohnt, dann – sagt uns die Bibel – ist das gesamte Leben in Gefahr. Das ist es, was uns die Erzählung von Noach lehrt, als Gott droht, die Menschheit zu vernichten wegen ihrer andauernden Unfähigkeit, entsprechend den Anforderungen von Gerechtigkeit und Frieden zu leben: „Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist da; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat“ (Gen 6,13). In diesen so alten, an tiefem Symbolismus überreichen Erzählungen war schon eine heutige Überzeugung enthalten: dass alles aufeinander bezogen ist und dass die echte Sorge für unser eigenes Leben und unsere Beziehungen zur Natur nicht zu trennen ist von der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit und der Treue gegenüber den anderen.

71. Obwohl „auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm“ (Gen 6,5) und es Gott „reute […], auf der Erde den Menschen gemacht zu haben“ (Gen 6,6), entschied er doch, über Noach, der noch rechtschaffen und gerecht geblieben war, einen Weg zur Rettung zu öffnen. So gab er der Menschheit die Möglichkeit zu einem neuen Anfang. Ein guter Mensch ist genug, um die Hoffnung nicht untergehen zu lassen! Die biblische Überlieferung legt deutlich fest, dass diese Wiederherstellung die Wiederentdeckung und die Achtung der Rhythmen einschließt, die durch die Hand des Schöpfers in die Natur eingeschrieben sind. Das zeigt sich zum Beispiel im Sabbatgebot. Am siebten Tag ruhte Gott von all seinen Werken. Gott gebot Israel, jeden siebten Tag als Ruhetag, als Sabbat, zu begehen (vgl. Gen 2,2-3; Ex 16,23; 20,10). Außerdem wurde alle sieben Jahre auch ein Sabbatjahr für Israel und sein Land eingerichtet (vgl. Lev 25,1-4), in dem man dem Land eine völlige Ruhe gewährte; es wurde nicht gesät und nur geerntet, was zum Leben und um Gastfreundschaft zu bieten unentbehrlich war (vgl. Lev 25,4-6). Und schließlich wurde nach sieben Jahreswochen, das heißt nach neunundvierzig Jahren, ein Jubiläum gefeiert, ein Jahr der allgemeinen Vergebung und der „Freiheit für alle Bewohner des Landes“ (Lev 25,10). Die Entwicklung dieser Gesetzgebung versuchte, das Gleichgewicht und die Gerechtigkeit in den Beziehungen des Menschen zu den anderen und zu dem Land, in dem er lebte und das er bewirtschaftete, sicherzustellen. Zugleich war es aber die Anerkennung der Tatsache, dass das Geschenk der Erde und ihrer Früchte dem ganzen Volk gehört. Diejenigen, die das Land bebauten und hüteten, mussten seinen Ertrag teilen, besonders mit den Armen, den Witwen, den Waisen und den Fremden: „Wenn ihr die Ernte eures Landes einbringt, sollt ihr das Feld nicht bis zum äußersten Rand abernten. Du sollst keine Nachlese von deiner Ernte halten. In deinem Weinberg sollst du keine Nachlese halten und die abgefallenen Beeren nicht einsammeln. Du sollst sie dem Armen und dem Fremden überlassen“ (Lev 19,9-10).

72. Die Psalmen laden den Menschen häufig ein, Gott, den Schöpfer zu preisen, „der die Erde über den Wassern gegründet hat, denn seine Huld währt ewig“ (Ps 136,6). Doch sie laden auch die anderen Geschöpfe ein, ihn zu preisen: „Lobt ihn, Sonne und Mond, lobt ihn, all ihr leuchtenden Sterne; lobt ihn, alle Himmel und ihr Wasser über dem Himmel! Loben sollen sie den Namen des Herrn; denn er gebot, und sie waren erschaffen“ (Ps 148,3-5). Wir existieren nicht nur durch die Macht Gottes, sondern vor ihm und vereint mit ihm. Darum beten wir ihn an.

73. Die Schriften der Propheten laden dazu ein, in schwierigen Momenten die Seelenstärke wiederzuerlangen, indem man den mächtigen Gott betrachtet, der das Universum erschuf. Die unendliche Macht Gottes führt uns nicht dazu, vor seiner väterlichen Zärtlichkeit zu fliehen, denn in ihm sind liebevolle Zuneigung und Kraft miteinander verbunden. Tatsächlich beinhaltet jede gesunde Spiritualität, die göttliche Liebe aufzunehmen und den Herrn zugleich wegen seiner unendlichen Macht vertrauensvoll anzubeten. In der Bibel ist der Gott, der befreit und rettet, derselbe, der das Universum erschuf, und diese beiden göttlichen Handlungsweisen sind zutiefst und untrennbar miteinander verbunden: „Ach, mein Herr und Gott! Du hast Himmel und Erde erschaffen durch deine große Kraft und deinen hoch erhobenen Arm. Nichts ist dir unmöglich […] Du hast dein Volk Israel unter Zeichen und Wundern […] aus Ägypten herausgeführt“ (Jer 32,17.21). „Der Herr ist ein ewiger Gott, der die weite Erde erschuf. Er wird nicht müde und matt, unergründlich ist seine Einsicht. Er gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke“ (Jes 40,28b-29).

74. Die Erfahrung der babylonischen Gefangenschaft verursachte eine geistliche Krise, die eine Vertiefung des Glaubens an Gott auslöste, indem sie dessen schöpferische Allmacht verdeutlichte, um das Volk aufzufordern, inmitten seiner unglücklichen Situation die Hoffnung wiederzugewinnen. Jahrhunderte später, in einem anderen Moment der Prüfung und Verfolgung, als das römische Reich versuchte, eine absolute Herrschaft durchzusetzen, fanden die Gläubigen wieder Trost und Hoffnung, indem sie ihr Vertrauen auf den allmächtigen Gott stärkten und sangen: „Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr, Gott und Herrscher über die ganze Schöpfung. Gerecht und zuverlässig sind deine Wege, du König der Völker!“ (Offb 15,3). Wenn er das Universum aus dem Nichts erschaffen konnte, kann er auch in dieser Welt eingreifen und jede Form des Bösen überwinden. Unter solchen Umständen ist das Unrecht nicht unbesiegbar.

75. Wir können nicht eine Spiritualität vertreten, die Gott als den Allmächtigen und den Schöpfer vergisst. Auf diese Weise würden wir schließlich andere Mächte der Welt anbeten oder uns an die Stelle des Herrn setzen und uns sogar anmaßen, die von ihm geschaffene Wirklichkeit unbegrenzt mit Füßen zu treten. Die beste Art, den Menschen auf seinen Platz zu verweisen und seinem Anspruch, ein absoluter Herrscher über die Erde zu sein, ein Ende zu setzen, besteht darin, ihm wieder die Figur eines Vaters vor Augen zu stellen, der Schöpfer und einziger Eigentümer der Welt ist. Denn andernfalls wird der Mensch immer dazu neigen, der Wirklichkeit seine eigenen Gesetze und Interessen aufzuzwingen.

III. DAS GEHEIMNIS DES UNIVERSUMS

76. Von „Schöpfung“ zu sprechen ist für die jüdisch-christliche Überlieferung mehr als von Natur zu sprechen, denn es hat mit einem Plan der Liebe Gottes zu tun, wo jedes Geschöpf einen Wert und eine Bedeutung besitzt. Die Natur wird gewöhnlich als ein System verstanden, das man analysiert, versteht und handhabt, doch die Schöpfung kann nur als ein Geschenk begriffen werden, das aus der offenen Hand des Vaters aller Dinge hervorgeht, als eine Wirklichkeit, die durch die Liebe erleuchtet wird, die uns zu einer allumfassenden Gemeinschaft zusammenruft.

77. „Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen“ (Ps 33,6). So wird uns gezeigt, dass die Welt aus einer Entscheidung hervorging, nicht aus dem Chaos oder der Zufallswirkung, und das verleiht ihr noch mehr Würde. Es gibt eine freie Entscheidung, die in dem schöpferischen Wort ausgedrückt ist. Das Universum entstand nicht als Ergebnis einer willkürlichen Allmacht, einer Demonstration von Kraft oder eines Wunsches nach Selbstbestätigung. Die Schöpfung ist in der Ordnung der Liebe angesiedelt. Die Liebe Gottes ist der fundamentale Beweggrund der gesamten Schöpfung: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen“ (Weish 11,24). Jedes Geschöpf ist also Gegenstand der Zärtlichkeit des Vaters, der ihm einen Platz in der Welt zuweist. Sogar das vergängliche Leben des unbedeutendsten Wesens ist Objekt seiner Liebe, und in diesen wenigen Sekunden seiner Existenz umgibt er es mit seinem Wohlwollen. Der heilige Basilius der Große sagte, dass der Schöpfer auch „die unerschöpfliche Güte“<ref>Hom. in Hexaemeron, 1, 2, 10: PG 29, Sp. 9.</ref> ist, und Dante Alighieri sprach von der „Liebe, welche die Sonne und die Sterne bewegt“.<ref>Divina Commedia. Paradiso, 33. Gesang, 145.</ref> Daher steigt man von den geschaffenen Werken Gottes auf „zu seiner liebevollen Barmherzigkeit“.<ref>Benedikt XVI., Generalaudienz (9. November 2005), 3: L‘Osservatore Romano (dt.), Jg. 35, Nr. 46 (18. November 2005), S. 2; Insegnamenti 1 (2005), S. 768.</ref>

78. Zugleich entmythologisierte das jüdisch-christliche Denken die Natur. Ohne aufzuhören, sie wegen ihrer Pracht und ihrer Unermesslichkeit zu bewundern, schrieb es ihr keinen göttlichen Charakter mehr zu. Auf diese Weise wird unsere Verpflichtung ihr gegenüber noch mehr betont. Eine Rückkehr zur Natur darf nicht auf Kosten der Freiheit und der Verantwortung des Menschen geschehen, der ein Teil der Welt ist mit der Pflicht, seine eigenen Fähigkeiten auszubauen, um die Welt zu schützen und ihre Potenzialitäten zu entfalten. Wenn wir den Wert und die Zerbrechlichkeit der Natur erkennen und zugleich die Fähigkeiten, die der Schöpfer uns verliehen hat, gestattet uns das, heute mit dem modernen Mythos vom unbegrenzten materiellen Fortschritt Schluss zu machen. Eine zerbrechliche Welt mit einem Menschen, dem Gott sie zur Obhut anvertraut, appelliert an unsere Vernunft, um zu erkennen, wie wir unsere Macht orientieren, ausüben und beschränken müssten.

79. In diesem Universum, das aus offenen Systemen gebildet ist, die miteinander in Kommunikation treten, können wir unzählige Formen von Beziehung und Beteiligung entdecken. Das führt zu dem Gedanken, dass auch die Gesamtheit offen ist für die Transzendenz Gottes, in der sie sich entfaltet. Der Glaube gestattet uns, den Sinn und die geheimnisvolle Schönheit des Geschehens zu interpretieren. Die menschliche Freiheit kann ihren klugen Beitrag zu einer positiven Entwicklung liefern, aber sie kann auch neue Übel, neue Ursachen von Leiden und wirkliche Rückschritte hinzufügen. Das veranlasst die spannende und dramatische menschliche Geschichte, die imstande ist, sich in eine Entfaltung von Freiheit, Wachstum, Erlösung und Liebe oder in einen Weg des Verfalls und der gegenseitigen Zerstörung zu verwandeln. Darum beabsichtigt die Kirche mit ihrem Tun, nicht nur an die Pflicht zu erinnern, die Natur zu hüten, sondern „sie muss vor allem den Menschen gegen seine Selbstzerstörung schützen“.<ref>Ders., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 51: AAS 101 (2009), S. 687.</ref>

80. Trotzdem ist Gott, der gemeinsam mit uns handeln und auf unsere Mitarbeit zählen möchte, auch imstande, manches Gute aus den Übeln zu ziehen, die wir vollbringen, weil „der Heilige Geist eine unendliche Einfallskraft besitzt, die dem Denken Gottes eigen ist, der auch die Schwierigkeiten der kompliziertesten und undurchdringlichsten menschlichen Schicksale zu lösen weiß“.<ref>Johannes Paul II., Generalaudienz (24. April 1991), 6: L’Osservatore Romano (dt.), Jg. 21, Nr. 18 (3. Mai 1991), S. 2; Insegnamenti 14/1 (1991) S. 856.</ref> In gewisser Weise wollte er sich selbst beschränken, als er eine Welt schuf, die der Entwicklung bedarf, wo viele Dinge, die wir als Übel, Gefahren oder Quellen des Leidens ansehen, in Wirklichkeit Teil der „Geburtswehen“ sind, die uns anregen, mit dem Schöpfer zusammenzuarbeiten.<ref>Der Katechismus erklärt, dass Gott eine Welt erschaffen wollte, die auf dem Weg zu ihrer letzten Vollkommenheit ist, und dass dies das Vorhandensein der Unvollkommenheit und des physischen Übels mit sich bringt: vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 310.</ref> Er ist im Innersten aller Dinge zugegen, ohne die Autonomie seines Geschöpfes zu beeinträchtigen, und das gibt auch Anlass zu der legitimen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten.<ref>Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute, 36.</ref> Diese göttliche Gegenwart, die das Fortbestehen und die Entwicklung allen Seins sicherstellt, „ist die Fortsetzung des Schöpfungsaktes“.<ref>Thomas von AquinSumma theologiae I, q. 104, art. 1, ad 4.</ref> Der Geist Gottes erfüllte das Universum mit Wirkkräften, die gestatten, dass aus dem Innern der Dinge selbst immer etwas Neues entspringen kann: „Die Natur ist nichts anderes als die Vernunft einer gewissen Kunst, nämlich der göttlichen, die den Dingen eingeschrieben ist und durch die die Dinge sich auf ein bestimmtes Ziel zubewegen: so, als könne der Schiffsbauer dem Holz gewähren, dass es sich von selbst dahin bewegt, die Form des Schiffes anzunehmen.“<ref>Ders., In octo libros Physicorum Aristotelis expositio, Lib. II, lectio 14, n. 8.</ref>

81. Obwohl auch der Mensch Entwicklungsprozesse voraussetzt, schließt er etwas Neues ein, das von der Entwicklung anderer offener Systeme her nicht gänzlich erklärbar ist. Jeder von uns besitzt in sich eine persönliche Identität, die fähig ist, mit den anderen und mit Gott selbst in Dialog zu treten. Die Fähigkeit zu Reflexion, Beweisführung, Kreativität, Interpretation und künstlerischem Schaffen sowie andere, völlig neue Fähigkeiten zeigen eine Besonderheit, die den physischen und biologischen Bereich überschreitet. Die qualitative Neuheit, die darin besteht, dass im materiellen Universum ein Wesen auftaucht, das Person ist, setzt ein direktes Handeln Gottes voraus, einen besonderen Ruf ins Leben und in die Beziehung eines Du zu einem anderen Du. Von den biblischen Erzählungen her betrachten wir den Menschen als ein Subjekt, das niemals in die Kategorie des Objektes herabgesetzt werden kann.

82. Doch es wäre auch irrig zu denken, dass die anderen Lebewesen als bloße Objekte angesehen werden müssen, die der willkürlichen Herrschaft des Menschen unterworfen sind. Wenn die Natur einzig als Gegenstand des Profits und der Interessen gesehen wird, hat das auch ernste Folgen in der Gesellschaft. Die Sichtweise, welche die Willkür des Stärksten unterstützt, hat für die Mehrheit der Menschheit zu unermesslich viel Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gewalt geführt, denn die Ressourcen gehen dann in den Besitz dessen über, der zuerst ankommt oder der mächtiger ist: Der Sieger nimmt alles mit. Das Ideal von Harmonie, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Frieden, das Jesus vorschlägt, liegt im Gegensatz zu einem solchen Modell, und so drückte er es im Hinblick auf die Machthaber seiner Zeit aus: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“ (Mt 20,25-26).

83. Das Ziel des Laufs des Universum liegt in der Fülle Gottes, die durch den auferstandenen Christus – den Angelpunkt des universalen Reifungsprozesses – schon erreicht worden ist.<ref>Auf dieser Linie liegt auch der entsprechende Beitrag von Pierre Teilhard de Chardin SJ: vgl. Paul VI., Ansprache beim Besuch der chemisch-pharmazeutischen Fabrik I.C.A.R. (24. Februar 1966): Insegnamenti 4 (1966), S. 992-993; Johannes Paul II., Brief an P. George V. Coyne (1. Juni 1988): Insegnamenti 11/2 (1988), S. 1715; Benedikt XVI., Homilie in der Feier der Vesper in der Kathedrale von Aosta (24. Juli 2009): L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 39, Nr. 31/32 (31. Juli 2009), S. 7; Insegnamenti 5/2 (2009), S. 60.</ref> So fügen wir ein weiteres Argument hinzu, um jede despotische und verantwortungslose Herrschaft des Menschen über die anderen Geschöpfe abzulehnen. Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir. Doch alle gehen mit uns und durch uns voran auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist, in einer transzendenten Fülle, wo der auferstandene Christus alles umgreift und erleuchtet. Denn der Mensch, der mit Intelligenz und Liebe begabt ist und durch die Fülle Christi angezogen wird, ist berufen, alle Geschöpfe zu ihrem Schöpfer zurückzuführen.

IV. DIE BOTSCHAFT EINES JEDEN GESCHÖPFES IN DER HARMONIE DER GESAMTEN SCHÖPFUNG

84. Wenn wir auf der Aussage bestehen, dass der Mensch ein Abbild Gottes ist, dürfte uns das nicht vergessen lassen, dass jedes Geschöpf eine Funktion besitzt und keines überflüssig ist. Das ganze materielle Universum ist ein Ausdruck der Liebe Gottes, seiner grenzenlosen Zärtlichkeit uns gegenüber. Der Erdboden, das Wasser, die Berge – alles ist eine Liebkosung Gottes. Die Geschichte der eigenen Freundschaft mit Gott entwickelt sich immer in einem geographischen Raum, der sich in ein ganz persönliches Zeichen verwandelt, und jeder von uns bewahrt in seinem Gedächtnis Orte, deren Erinnerung ihm sehr gut tut. Wer in den Bergen aufgewachsen ist oder wer sich als Kind zum Trinken am Bach niedergesetzt hat oder wer auf dem Platz in seinem Wohnviertel gespielt hat, fühlt sich, wenn er an diese Orte zurückkehrt, gerufen, seine eigene Identität wiederzuerlangen.

85. Gott hat ein kostbares Buch geschrieben, dessen „Buchstaben von der Vielzahl der im Universum vertretenen Geschöpfe gebildet werden“.<ref>Johannes Paul II., Generalaudienz (30. Januar 2002), 6: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 32, Nr. 6 (8. Februar 2002), S. 2; Insegnamenti 25/1 (2002), S. 1240.</ref> Gut haben die Bischöfe von Kanada zum Ausdruck gebracht, dass kein Geschöpf von diesem Sich-Kundtun Gottes ausgeschlossen ist: „Von den weitesten Panoramablicken bis zur winzigsten Lebensform ist die Natur eine ständige Quelle für Verwunderung und Ehrfurcht. Sie ist auch eine fortwährende Offenbarung des Göttlichen.“<ref>Katholische Bischofskonferenz von Kanada. Kommission für soziale Angelegenheiten, Hirtenbrief „You Love All That Exists … All Things Are Yours, God, Lover of Life“ (4. Oktober 2003), 1.</ref> Die Bischöfe von Japan äußerten ihrerseits einen sehr reizvollen Gedanken: „Wahrzunehmen, wie jedes Geschöpf den Hymnus seiner Existenz singt, bedeutet, freudig in der Liebe Gottes und in der Hoffnung zu leben.“<ref>Konferenz der Katholischen Bischöfe Japans, Reverence for Life. A Message for the Twenty-First Century (1. Januar 2001), 89.</ref> Diese Betrachtung der Schöpfung erlaubt uns, durch jedes Ding irgendeine Lehre zu entdecken, die Gott uns übermitteln möchte, denn „die Schöpfung zu betrachten bedeutet für den Gläubigen auch, eine Botschaft zu hören, eine paradoxe und lautlose Stimme wahrzunehmen“.<ref>Johannes Paul II.Generalaudienz (26. Januar 2000), 5: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 30, Nr. 5 (4. Februar 2000), S. 2; Insegnamenti 23/1 (2000), S. 123.</ref> So können wir sagen: „Neben der eigentlichen, in der Heiligen Schrift enthaltenen Offenbarung tut sich Gott auch im Strahlen der Sonne und im Anbruch der Nacht kund.“<ref>Ders., Generalaudienz (2. August 2000), 3: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 30, Nr. 32/33 (11. August 2000), S. 2; Insegnamenti 23/2 (2000), S. 112. </ref> Wenn der Mensch auf dieses Sich-Kundtun achtet, lernt er, in der Beziehung zu den anderen Geschöpfen sich selbst zu erkennen: „Ich drücke mich selbst aus, indem ich die Welt zum Ausdruck bringe; ich erkunde meine eigene Sakralität, indem ich die der Welt zu entschlüsseln suche.“<ref>Paul Ricœur, Philosophie della volonté. 2. Finitude et Culpabilité, Paris 2009, S. 216.</ref>

86. Die Gesamtheit des Universums mit seinen vielfältigen Beziehungen zeigt am besten den unerschöpflichen Reichtum Gottes. Der heilige Thomas von Aquin hob weise hervor, dass die Vielfalt und die Verschiedenheit „aus der Absicht des Erstwirkenden“ entspringen, der wollte, dass „das, was dem einen zur Darstellung der göttlichen Güte fehlt, ersetzt werde durch das andere“<ref>Summa theologiae I, q.47, art. 1.</ref>, weil seine Güte „durch ein einziges Geschöpf nicht ausreichend dargestellt werden kann“.<ref>Ebd.</ref> Deshalb müssen wir die Verschiedenheit der Dinge in ihren vielfältigen Beziehungen wahrnehmen.<ref>Vgl. ebd., art. 2, ad 1; art. 3.</ref> Man versteht also die Bedeutung und den Sinn irgendeines Geschöpfes besser, wenn man es in der Gesamtheit des Planes Gottes betrachtet. So lehrt der Katechismus: „Die gegenseitige Abhängigkeit der Geschöpfe ist gottgewollt. Die Sonne und der Mond, die Zeder und die Feldblume, der Adler und der Sperling – all die unzähligen Verschiedenheiten und Ungleichheiten besagen, dass kein Geschöpf sich selbst genügt, dass die Geschöpfe nur in Abhängigkeit voneinander existieren, um sich im Dienst aneinander gegenseitig zu ergänzen.“<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 340.</ref>

87. Wenn wir uns bewusst werden, dass in allem, was existiert, der Widerschein Gottes vorhanden ist, verspüren wir zuinnerst den Wunsch, den Herrn für alle seine Geschöpfe und gemeinsam mit ihnen anzubeten, wie es in dem wunderschönen Hymnus des heiligen Franziskus von Assisi zum Ausdruck kommt:

„Gelobt seist du, mein Herr,

mit allen deinen Geschöpfen,

zumal dem Herrn Bruder Sonne

(Im Italienischen ist die Sonne [“frage Sole”] männlich und der Mond [„sora Luna“] weiblich [Anm. d. Übers.]),
welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest.

Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:

von dir, Höchster, ein Sinnbild.
Gelobt seist du, mein Herr,

durch Schwester Mond und die Sterne;
(Das hier mit “durch” übersetzte italienische “per” ist vielschichtig zu verstehen und bedeutet zugleich „wegen“ und „für“ [Anm. d. Übers.])

am Himmel hast du sie gebildet,

klar und kostbar und schön.
Gelobt seist du, mein Herr,

durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken

und heiteres und jegliches Wetter,

durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst.
Gelobt seist du, mein Herr,

durch Schwester Wasser,

gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr,

durch Bruder Feuer,

durch das du die Nacht erleuchtest;

und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.<ref>Sonnengesang: FF 263 (dt. Ausg.: Franziskusquellen, Kevelaer 2009, S. 40-41).</ref>

88. Die Bischöfe von Brasilien haben betont, dass die gesamte Natur Gott nicht nur kundtut, sondern auch Ort seiner Gegenwart ist. In jedem Geschöpf wohnt sein lebenspendender Geist, der uns in eine Beziehung zu ihm ruft.<ref>Vgl. Nationale Konferenz der Bischöfe Brasiliens, A Igreja e a questão ecológica (1992), 53-54.</ref> Die Entdeckung dieser Gegenwart regt in uns die Entwicklung der „ökologischen Tugenden“ an.<ref>Ebd., 61.</ref> Doch wenn wir dies sagen, vergessen wir nicht, dass auch ein unendlicher Abstand besteht und dass die Dinge dieser Welt nicht die Fülle Gottes besitzen. Andernfalls würden wir den Geschöpfen auch keinen Gefallen tun, denn wir würden ihnen nicht ihren eigentlichen und wahren Ort zuerkennen und letztlich zu Unrecht von ihnen erwarten, was sie uns in ihrer Kleinheit nicht geben können.

V. EINE UNIVERSALE GEMEINSCHAFT

89. Die Geschöpfe dieser Welt können nicht als ein herrenloses Gut betrachtet werden: Alles ist dein Eigentum, Herr, du Freund des Lebens (vgl. Weish 11,26). Das gibt Anlass zu der Überzeugung, dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft, die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt bewegt. Ich möchte daran erinnern, dass „Gott uns so eng mit der Welt, die uns umgibt, verbunden [hat], dass die Desertifikation des Bodens so etwas wie eine Krankheit für jeden Einzelnen ist, und wir […] das Aussterben einer Art beklagen [können], als wäre es eine Verstümmelung“.<ref>Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 215: AAS 105 (2013), S. 1109.</ref>

90. Das bedeutet nicht, alle Lebewesen gleichzustellen und dem Menschen jenen besonderen Wert zu nehmen, der zugleich eine unermessliche Verantwortung mit sich bringt. Es setzt ebenso wenig eine Vergötterung der Erde voraus, die uns die Berufung entziehen würde, mit ihr zusammenzuarbeiten und ihre Schwäche zu schützen. Diese Auffassungen würden letztlich neue Missverhältnisse schaffen, um der Realität zu entfliehen, die uns unmittelbar angeht.<ref>Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 14: AAS 101 (2009), S. 650.</ref> Manchmal bemerkt man eine Versessenheit, dem Menschen jeden Vorrang abzusprechen, und es wird für andere Arten ein Kampf entfacht, wie wir ihn nicht entwickeln, um die gleiche Würde unter den Menschen zu verteidigen. Es stimmt, dass wir uns darum kümmern müssen, dass andere Lebewesen nicht verantwortungslos behandelt werden. Doch in besonderer Weise müssten uns die Ungerechtigkeiten in Wut versetzen, die unter uns bestehen, denn wir dulden weiterhin, dass einige sich für würdiger halten als andere. Wir bemerken nicht mehr, dass einige sich in einem erniedrigenden Elend dahinschleppen ohne wirkliche Möglichkeiten, es zu überwinden, während andere nicht einmal wissen, was sie mit ihrem Besitz anfangen sollen, voll Eitelkeit eine vorgebliche Überlegenheit zur Schau stellen und ein Ausmaß an Verschwendung hinter sich zurücklassen, das unmöglich verallgemeinert werden könnte, ohne den Planeten zu zerstören. Wir lassen in der Praxis weiterhin zu, dass einige meinen, mehr Mensch zu sein als andere, als wären sie mit größeren Rechten geboren.

91. Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist. Die Ungereimtheit dessen, der gegen den Handel mit vom Aussterben bedrohten Tieren kämpft, aber angesichts des Menschenhandels völlig gleichgültig bleibt, die Armen nicht beachtet oder darauf beharrt, andere Menschen zu ruinieren, die ihm missfallen, ist offensichtlich. Das bringt den Sinn des Kampfes für die Umwelt in Gefahr. Es ist kein Zufall, dass der heilige Franziskus in dem Hymnus, in dem er Gott durch dessen Geschöpfe preist, hinzufügt: „Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen.“ Alles ist miteinander verbunden. Darum ist eine Sorge für die Umwelt gefordert, die mit einer echten Liebe zu den Menschen und einem ständigen Engagement angesichts der Probleme der Gesellschaft verbunden ist.

92. Wenn andererseits das Herz wirklich offen ist für eine universale Gemeinschaft, dann ist nichts und niemand aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen. Folglich ist es auch wahr, dass die Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Geschöpfen dieser Welt sich letztlich immer irgendwie auf die Weise übertragen, wie wir die anderen Menschen behandeln. Das Herz ist nur eines, und die gleiche Erbärmlichkeit, die dazu führt, ein Tier zu misshandeln, zeigt sich unverzüglich auch in der Beziehung zu anderen Menschen. Jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf „widerspricht der Würde des Menschen“.<ref>Katechismus der Katholischen Kirche, 2418.</ref> Wir können uns nicht als große Liebende betrachten, wenn wir irgendeinen Teil der Wirklichkeit aus unseren Interessen ausschließen. „Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind drei absolut miteinander verbundene Themen, die nicht getrennt und einzeln behandelt werden können, ohne erneut in Reduktionismus zu fallen.“<ref>Konferenz des Dominikanischen Episkopats, Carta pastoral sobre la relación del hombre con la naturaleza (21. Januar 1987).</ref> Alles ist aufeinander bezogen, und alle Menschen sind als Brüder und Schwestern gemeinsam auf einer wunderbaren Pilgerschaft, miteinander verflochten durch die Liebe, die Gott für jedes seiner Geschöpfe hegt und die uns auch in zärtlicher Liebe mit „Bruder Sonne“, „Schwester Mond“, Bruder Fluss und Mutter Erde vereint.

VI. DIE GEMEINSAME BESTIMMUNG DER GÜTER

93. Heute sind wir uns unter Gläubigen und Nichtgläubigen darüber einig, dass die Erde im Wesentlichen ein gemeinsames Erbe ist, dessen Früchte allen zugutekommen müssen. Für die Gläubigen verwandelt sich das in eine Frage der Treue gegenüber dem Schöpfer, denn Gott hat die Welt für alle erschaffen. Folglich muss der gesamte ökologische Ansatz eine soziale Perspektive einbeziehen, welche die Grundrechte derer berücksichtigt, die am meisten übergangen werden. Das Prinzip der Unterordnung des Privatbesitzes unter die allgemeine Bestimmung der Güter und daher das allgemeine Anrecht auf seinen Gebrauch ist eine „goldene Regel“ des sozialen Verhaltens und das „Grundprinzip der ganzen sozialethischen Ordnung“.<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), 19: AAS 73 (1981), S. 626.</ref> Die christliche Tradition hat das Recht auf Privatbesitz niemals als absolut und unveräußerlich anerkannt und die soziale Funktion jeder Form von Privatbesitz betont. Der heilige Johannes Paul II. hat mit großem Nachdruck an diese Lehre erinnert und gesagt: „Gott hat die Erde dem ganzen Menschengeschlecht geschenkt, ohne jemanden auszuschließen oder zu bevorzugen, auf dass sie alle seine Mitglieder ernähre.“<ref>Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 31: AAS 83 (1991), S. 831.</ref> Das sind inhaltsschwere und starke Worte. Er hob hervor, dass „ein Entwicklungstyp nicht wirklich des Menschen würdig wäre, der nicht auch die persönlichen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Menschenrechte, die Rechte der Nationen und Völker eingeschlossen, achten und fördern würde“.<ref>Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 33: AAS 80 (1988), S. 557.</ref> In aller Deutlichkeit erklärte er: „Die Kirche verteidigt zwar den berechtigten Anspruch auf Privateigentum, lehrt jedoch ebenso unmissverständlich, dass jedes Privateigentum immer mit einer »sozialen Hypothek« belastet ist, damit alle Güter der allgemeinen Bestimmung dienen, die Gott ihnen zugeteilt hat.“<ref>Ansprache an die Indios und Campesinos, Cuilapán, Mexikanische Republik (29. Januar 1979), 6: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 9, Nr. 7 (16. Februar 1979), S. 7; AAS 71 (1979), S. 209.</ref> Und er bekräftigte: Es ist also „nicht der Absicht Gottes entsprechend, diese Gabe in einer Weise zu verwalten, dass ihre Wohltaten nur einigen zugutekommen“.<ref>Homilie in der Messe für die Landarbeiter in Recife, Brasilien (7. Juli 1980), 4: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 19, Nr. 30 (25. Juli 1980), S. 8; AAS 72 (1980), S. 926.</ref> Das stellt die ungerechten Gewohnheiten eines Teils der Menschheit ernsthaft in Frage.<ref>Vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 8: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 19, Nr. 50 (15. Dezember 1989), S. 7; AAS 82 (1990), S. 152.</ref>

94. Der Reiche und der Arme besitzen die gleiche Würde, denn „der Herr hat sie alle erschaffen“ (Spr 22,2), „er hat Klein und Groß erschaffen“ (Weish 6,7) und „lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten“ (Mt 5,45). Das hat praktische Konsequenzen wie die, welche die Bischöfe von Paraguay darlegten: „Jeder Campesino hat ein natürliches Recht darauf, ein angemessenes Stück Land zu besitzen, wo er seine Wohnstätte errichten, für den Lebensunterhalt seiner Familie arbeiten und existentielle Sicherheit haben kann. Dieses Recht muss garantiert werden, damit es keine Illusion bleibt, sondern konkret angewendet wird. Das bedeutet, dass der Campesino außer dem Eigentumszertifikat sich auf Mittel technischer Schulung, Kredite, Versicherungen und Vermarktung verlassen muss.“<ref>Bischofskonferenz von Paraguay, Hirtenbrief El campesino paraguayo y la tierra (12. Juni 1983), 2, 4, d.</ref>

95. Die Umwelt ist ein kollektives Gut, ein Erbe der gesamten Menschheit und eine Verantwortung für alle. Wenn sich jemand etwas aneignet, dann nur, um es zum Wohl aller zu verwalten. Wenn wir das nicht tun, belasten wir unser Gewissen damit, die Existenz der anderen zu leugnen. Deshalb haben die Bischöfe von Neuseeland sich gefragt, was das Gebot „du sollst nicht töten“ bedeutet, wenn „zwanzig Prozent der Weltbevölkerung Ressourcen in solchem Maß verbrauchen, dass sie den armen Nationen und den kommenden Generationen das rauben, was diese zum Überleben brauchen“.<ref>Bischofskonferenz von Neuseeland, Statement on Environmental Issues, Wellington (1. September 2006).</ref>

VII. DER BLICK JESU

96. Jesus übernimmt den biblischen Glauben an den Schöpfergott und betont etwas Grundlegendes: Gott ist Vater (vgl. Mt 11,25). In den Gesprächen mit seinen Jüngern forderte Jesus sie auf, die väterliche Beziehung zu erkennen, die Gott zu allen Geschöpfen hat, und erinnerte sie mit einer rührenden Zärtlichkeit daran, wie jedes von ihnen in seinen Augen wichtig ist: „Verkauft man nicht fünf Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch vergisst Gott nicht einen von ihnen“ (Lk 12,6). „Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie“ (Mt 6,26).

97. Der Herr konnte andere auffordern, auf die Schönheit zu achten, die es in der Welt gibt, denn er selbst war in ständigem Kontakt mit der Natur und widmete ihr eine von Liebe und Staunen erfüllte Aufmerksamkeit. Wenn er jeden Winkel seines Landes durchstreifte, verweilte er dabei, die von seinem Vater ausgesäte Schönheit zu betrachten, und lud seine Jünger ein, in den Dingen eine göttliche Botschaft zu erkennen: „Blickt umher und seht, dass die Felder weiß sind, reif zur Ernte“ (Joh 4,35). „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum“. (Mt 13,31-32).

98. Jesus lebte in vollkommener Harmonie mit der Schöpfung, und die anderen wunderten sich: „Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar die Winde und der See gehorchen?“ (Mt 8,27). Er erschien nicht wie ein weltfremder und den angenehmen Dingen des Lebens feindlich gesonnener Asket. In Bezug auf sich selbst sagte er: „Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt; darauf sagen sie: Dieser Fresser und Säufer“ (Mt 11,19). Er war weit entfernt von den Philosophien, die den Leib, die Materie und die Dinge dieser Welt verachteten. Dennoch haben diese ungesunden Dualismen im Laufe der Geschichte einen bedeutenden Einfluss auf einige christliche Denker ausüben können und das Evangelium entstellt. Jesus arbeitete mit seinen Händen und hatte täglich Kontakt mit der von Gott geschaffenen Materie, um sie mit seinem handwerklichen Geschick zu gestalten. Es ist auffallend, dass der größte Teil seines Lebens dieser Aufgabe gewidmet war, in einem einfachen Leben, das keinerlei Bewunderung erregte: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria?“ (Mk 6,3). So heiligte er die Arbeit und verlieh ihr einen besonderen Wert für unsere Reifung. Der heilige Johannes Paul II. lehrte: „Indem der Mensch die Mühsal der Arbeit in Einheit mit dem für uns gekreuzigten Herrn erträgt, wirkt er mit dem Gottessohn an der Erlösung der Menschheit auf seine Weise mit.“<ref>Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), 27: AAS 73 (1981), S. 645.</ref>

99. Nach dem christlichen Verständnis der Wirklichkeit geht die Bestimmung der gesamten Schöpfung über das Christusmysterium, das vom Anfang aller Dinge an gegenwärtig ist: „Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ (Kol 1,16).<ref>Deshalb konnte der heilige Justin von „Samen des Wortes“ in der Weltsprechen: vgl. II Apologia 8,1-2; 13,3-6: PG 6, Sp. 457-458; 467.</ref> Der Prolog des Johannesevangeliums (1,1-18) zeigt das schöpferische Handeln Christi als des göttlichen Wortes (Lógos). Doch dieser Prolog überrascht durch seine Behauptung, dass dieses Wort „Fleisch geworden“ ist (Joh 1,14). Eine Person der Trinität hat sich in den geschaffenen Kosmos eingefügt und ihr Geschick mit ihm durchlaufen bis zum Kreuz. Vom Anbeginn der Welt, in besonderer Weise jedoch seit der Inkarnation, wirkt das Christusmysterium geheimnisvoll in der Gesamtheit der natürlichen Wirklichkeit, ohne deswegen dessen Autonomie zu beeinträchtigen.

100. Das Neue Testament spricht zu uns nicht nur vom irdischen Jesus und seiner so konkreten und liebevollen Beziehung zur Welt. Es zeigt ihn auch als den Auferstandenen und Verherrlichten, der mit seiner allumfassenden Herrschaft in der gesamten Schöpfung gegenwärtig ist: „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,19-20). Das versetzt uns ans Ende der Zeiten, wenn der Sohn dem Vater alles übergibt und Gott alles in allem ist (vgl. 1 Kor 15,28).  Auf diese Weise erscheinen uns die Geschöpfe dieser Welt nicht mehr als eine bloß natürliche Wirklichkeit, denn geheimnisvoll umschließt sie der Auferstandene und richtet sie auf eine Bestimmung der Fülle aus. Die gleichen Blumen des Feldes und die Vögel, die er mit seinen menschlichen Augen voll Bewunderung betrachtete, sind jetzt erfüllt von seiner strahlenden Gegenwart.

DRITTES KAPITEL:  DIE MENSCHLICHE WURZEL DER ÖKOLOGISCHEN KRISE

101. Es wird uns nicht nützen, die Symptome zu beschreiben, wenn wir nicht die menschliche Wurzel der ökologischen Krise erkennen. Es gibt ein Verständnis des menschlichen Lebens und Handelns, das fehlgeleitet ist und der Wirklichkeit widerspricht bis zu dem Punkt, ihr zu schaden. Warum sollen wir nicht innehalten, um darüber nachzudenken? Bei dieser Überlegung schlage ich vor, dass wir uns auf das vorherrschende technokratische Paradigma konzentrieren und auf die Stellung des Menschen und seines Handelns in der Welt.

I. DIE TECHNOLOGIE: KREATIVITÄT UND MACHT

102. Die Menschheit ist in eine neue Ära eingetreten, in der uns die Macht der Technologie vor einen Scheideweg stellt. Wir sind die Erben von zwei Jahrhunderten enormer Veränderungswellen: die Dampfmaschine, die Eisenbahn, der Telegraph, die Elektrizität, das Automobil, das Flugzeug, die chemischen Industrien, die moderne Medizin, die Informatik und jüngst die digitale Revolution, die Robotertechnik, die Biotechnologien und die Nanotechnologien. Es ist recht, sich über diese Fortschritte zu freuen und angesichts der umfangreichen Möglichkeiten, die uns diese stetigen Neuerungen eröffnen, in Begeisterung zu geraten, da „Wissenschaft und Technologie ein großartiges Produkt gottgeschenkter Kreativität“<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Vertreter von Wissenschaft und Kultur und der höheren Studien an der Universität der Vereinten Nationen, Hiroshima (25. Februar 1981), 3: L’Osservatore Romano (dt.) Jg. 11, Nr. 11 (13. März 1981), S. 6; AAS 73 (1981), S. 422.</ref> sind. Die Umgestaltung der Natur zu Nützlichkeitszwecken ist für die Menschheit seit ihren Anfängen charakteristisch, und daher ist die Technik „Ausdruck der Spannung des menschlichen Geistes auf die schrittweise Überwindung gewisser materieller Bedingtheiten hin“.<ref>Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 69: AAS 101 (2009), S. 702.</ref> Die Technologie hat unzähligen Übeln, die dem Menschen schadeten und ihn einschränkten, Abhilfe geschaffen. Wir können den technischen Fortschritt nur schätzen und dafür danken, vor allem in der Medizin, in der Ingenieurwissenschaft und im Kommunikationswesen. Und wie sollte man nicht die Bemühungen vieler Wissenschaftler und Techniker anerkennen, die Alternativen für eine nachhaltige Entwicklung beigesteuert haben?

103. Die gut ausgerichtete Technoscience kann nicht nur wirklich wertvolle Dinge produzieren, um die Lebensqualität des Menschen zu verbessern, von Gebrauchsgegenständen im Haushalt bis zu wichtigen Verkehrsmitteln, Brücken, Gebäuden, öffentlichen Orten. Sie ist ebenso in der Lage, das Schöne hervorzubringen und den in die materielle Welt eingetauchten Menschen in die Sphäre der Schönheit „springen“ zu lassen. Kann man denn die Schönheit eines Flugzeuges oder mancher Wolkenkratzer leugnen? Es gibt wunderschöne Werke der Malerei und der Musik, die durch die Verwendung neuer technischer Mittel erzielt wurden. So vollzieht sich bei der Suche des technischen Erzeugers nach Schönheit und im Betrachter dieser Schönheit ein Sprung in eine gewisse echt menschliche Fülle.

104. Wir können aber nicht unbeachtet lassen, dass die Nuklearenergie, die Biotechnologie, die Informatik, die Kenntnis unserer eigenen DNA und andere Fähigkeiten, die wir erworben haben, uns eine gewaltige Macht verleihen. Besser gesagt, sie geben denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt. Nie hatte die Menschheit so viel Macht über sich selbst, und nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Weise sie sich gerade jetzt ihrer bedient. Es genügt, an die Atombomben zu erinnern, die mitten im 20. Jahrhundert abgeworfen wurden, sowie an den großen technologischen Aufwand, den der Nationalsozialismus, der Kommunismus und andere totalitäre Regime zur Vernichtung von Millionen von Menschen betrieben haben – ohne hierbei zu vergessen, dass heute der Krieg über immer perfektere todbringende Mittel verfügt. In welchen Händen liegt so viel Macht, und in welche Hände kann sie gelangen? Es ist überaus gefährlich, dass sie bei einem kleinen Teil der Menschheit liegt.

105. Man neigt zu der Ansicht, „jede Zunahme an Macht sei einfachhin »Fortschritt«; Erhöhung von Sicherheit, Nutzen, Wohlfahrt, Lebenskraft, Wertsättigung“<ref>Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1965 (9. Aufl.), S. 87.</ref>, als gingen die Wirklichkeit, das Gute und die Wahrheit spontan aus der technologischen und wirtschaftlichen Macht selbst hervor. Tatsache ist, dass „der moderne Mensch nicht zum richtigen Gebrauch der Macht erzogen wird“<ref>Ebd.</ref>, denn das enorme technologische Wachstum ging nicht mit einer Entwicklung des Menschen in Verantwortlichkeit, Werten und Gewissen einher. Jede Zeit neigt dazu, eine dürftige Selbsterkenntnis in Bezug auf die eigenen Grenzen zu entwickeln. Aus diesem Grund ist es möglich, dass die Menschheit heute nicht den Ernst der Herausforderungen, die sich ihr stellen, wahrnimmt. „Die Möglichkeit, der Mensch werde die Macht falsch gebrauchen, [wächst] beständig“, wenn „keine Freiheitsnormen, sondern nur angebliche Notwendigkeiten des Nutzens und der Sicherheit bestehen“<ref>Ebd., S. 87-88.</ref>. Der Mensch ist nicht völlig autonom. Seine Freiheit wird krank, wenn sie sich den blinden Kräften des Unbewussten, der unmittelbaren Bedürfnisse, des Egoismus und der Gewalt überlässt. In diesem Sinne ist er seiner eigenen Macht, die weiter wächst, ungeschützt ausgesetzt, ohne die Mittel zu haben, sie zu kontrollieren. Er mag über oberflächliche Mechanismen verfügen, doch wir können feststellen, dass er heute keine solide Ethik, keine Kultur und Spiritualität besitzt, die ihm wirklich Grenzen setzen und ihn in einer klaren Selbstbeschränkung zügeln.

II. DIE GLOBALISIERUNG DES TECHNOKRATISCHEN PARADIGMAS

106. Das Grundproblem ist ein anderes, noch tieferes, nämlich die Art und Weise, wie die Menschheit tatsächlich die Technologie und ihre Entwicklung zusammen mit einem homogenen und eindimensionalen Paradigma angenommen hat. Nach diesem Paradigma tritt eine Auffassung des Subjekts hervor, das im Verlauf des logisch-rationalen Prozesses das außen liegende Objekt allmählich umfasst und es so besitzt. Dieses Subjekt entfaltet sich, indem es die wissenschaftliche Methode mit ihren Versuchen aufstellt, die schon explizit eine Technik des Besitzens, des Beherrschens und des Umgestaltens ist. Es ist, als ob das Subjekt sich dem Formlosen gegenüber befände, das seiner Manipulation völlig zur Verfügung steht. Es kam schon immer vor, dass der Mensch in die Natur eingegriffen hat. Aber für lange Zeit lag das Merkmal darin, zu begleiten, sich den von den Dingen selbst angebotenen Möglichkeiten zu fügen. Es ging darum, zu empfangen, was die Wirklichkeit der Natur von sich aus anbietet, gleichsam die Hand reichend. Jetzt hingegen ist das Interesse darauf ausgerichtet, alles, was irgend möglich ist, aus den Dingen zu gewinnen durch den Eingriff des Menschen, der dazu neigt, die Wirklichkeit dessen, was er vor sich hat, zu ignorieren oder zu vergessen. Deswegen haben der Mensch und die Dinge aufgehört, sich freundschaftlich die Hand zu reichen, und sind dazu übergegangen, feindselig einander gegenüber zu stehen. Von da aus gelangt man leicht zur Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr begeisterte. Dieses Wachstum setzt aber die Lüge bezüglich der unbegrenzten Verfügbarkeit der Güter des Planeten voraus, die dazu führt, ihn bis zur Grenze und darüber hinaus „auszupressen“. Es handelt sich um die irrige Annahme, „dass man über eine unbegrenzte Menge von Energie und Ressourcen verfügen könne, dass diese sofort erneuerbar und dass die negativen Auswirkungen der Manipulationen der natürlichen Ordnung problemlos zu beheben seien“.<ref>Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg 2006, 462.</ref>

107. Wir können daher sagen, dass am Beginn vieler Schwierigkeiten der gegenwärtigen Welt vor allem die – nicht immer bewusste – Neigung steht, die Methodologie und die Zielsetzungen der Techno-Wissenschaft in ein Verständnismuster zu fassen, welches das Leben der Menschen und das Funktionieren der Gesellschaft bedingt. Die Auswirkungen der Anwendung dieses Modells auf die gesamte menschliche und soziale Wirklichkeit können in der Umweltschädigung festgestellt werden, die allerdings nur ein Zeichen des Reduktionismus ist, der das Leben des Menschen und die Gesellschaft in allen ihren Dimensionen in Mitleidenschaft zieht. Man muss anerkennen, dass die von der Technik erzeugten Produkte nicht neutral sind, denn sie schaffen ein Netz, das schließlich die Lebensstile konditioniert, und lenken die sozialen Möglichkeiten in die Richtung der Interessen bestimmter Machtgruppen. Gewisse Entscheidungen, die rein sachbezogen erscheinen, sind in Wirklichkeit Entscheidungen im Hinblick auf die Fortentwicklung des sozialen Lebens.

108. Es ist nicht an die Möglichkeit zu denken, ein anderes kulturelles Paradigma zu vertreten und sich der Technik als eines bloßen Instruments zu bedienen. Das technokratische Paradigma ist nämlich heute so dominant geworden, dass es sehr schwierig ist, auf seine Mittel zu verzichten, und noch schwieriger, sie zu gebrauchen, ohne von ihrer Logik beherrscht zu werden. Es ist „kulturwidrig“ geworden, wieder einen Lebensstil mit Zielen zu wählen, die zumindest teilweise von der Technik, von ihren Kosten und ihrer globalisierenden und vermassenden Macht unabhängig sein können. In der Tat neigt die Technik dazu, zu versuchen, dass nichts außerhalb ihrer harten Logik bleibt, und „der Mensch, der sie trägt, weiß, dass es in der Technik letztlich weder um Nutzen noch um Wohlfahrt geht, sondern um Herrschaft; um eine Herrschaft im äußersten Sinn des Wortes“.<ref>Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1965 (9. Aufl.), S. 63-64.</ref> „Er greift“ daher „nach den Elementen der Natur, wie nach denen des Menschendaseins.“<ref>Ebd., S. 64.</ref> Die Entscheidungsfähigkeit, die ganz authentische Freiheit und der Raum für die eigenständige Kreativität der Einzelnen nehmen ab.

109. Das technokratische Paradigma tendiert auch dazu, die Wirtschaft und die Politik zu beherrschen. Die Wirtschaft nimmt jede technologische Entwicklung im Hinblick auf den Ertrag an, ohne auf mögliche negative Auswirkungen für den Menschen zu achten. Die Finanzen ersticken die Realwirtschaft. Man hat die Lektionen der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt, und nur sehr langsam lernt man die Lektionen der Umweltschädigung. In manchen Kreisen meint man, dass die jetzige Wirtschaft und die Technologie alle Umweltprobleme lösen werden, ebenso wie man in nicht akademischer Ausdrucksweise behauptet, dass die Probleme des Hungers und das Elend in der Welt sich einfach mit dem Wachstum des Marktes lösen werden. Es handelt sich nicht um eine Frage von Wirtschaftstheorien, die vielleicht heute keiner zu verteidigen wagt, sondern um deren Einbindung in die tatsächliche Entwicklung der Wirtschaft. Auch wer sie zwar nicht in Worte fasst, unterstützt sie aber doch mit seinen Taten, wenn ein rechtes Ausmaß der Produktion, eine bessere Verteilung des Reichtums, ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur oder die Rechte der zukünftigen Generationen ihn nicht zu kümmern scheinen. Mit seinem Verhalten bringt er zum Ausdruck, dass für ihn das Ziel der Gewinnmaximierung ausreicht. Der Markt von sich aus gewährleistet aber nicht die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die soziale Inklusion.<ref>Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 35: AAS 101 (2009), S. 671.</ref> Unterdessen verzeichnen wir „eine Art verschwenderische und konsumorientierte Überentwicklung, die in unannehmbarem Kontrast zu anhaltenden Situationen entmenschlichenden Elends steht“<ref>Ebd., 22: AAS 101, S. 657.</ref>, und es werden nicht schnell genug wirtschaftliche Einrichtungen und soziale Programme erarbeitet, die den Ärmsten einen regulären Zugang zu den Grundressourcen ermöglichen. Man wird nie genug darauf hinweisen können, welches die tiefsten Wurzeln des gegenwärtigen Ungleichgewichts sind, die mit der Ausrichtung, den Zielen, dem Sinn und dem sozialen Kontext des technologischen und wirtschaftlichen Wachstums zu tun haben.

110. Die der Technologie eigene Spezialisierung bringt eine große Schwierigkeit mit sich, das Ganze in den Blick zu nehmen. Die Aufsplitterung des Wissens erfüllt ihre Funktion, wenn sie konkrete Anwendungen erzielt, führt aber gewöhnlich dazu, den Sinn für die Gesamtheit, für die zwischen den Dingen bestehenden Beziehungen, für den weiten Horizont zu verlieren, der irrelevant wird. Genau dies hindert daran, passende Wege zu finden, um die komplexeren Probleme der gegenwärtigen Welt – vor allem die, welche die Umwelt und die Armen betreffen – zu lösen, die man nicht von einem einzigen Gesichtspunkt oder von einer einzigen Art des Interesses aus angehen kann. Eine Wissenschaft, die angeblich Lösungen für die großen Belange anbietet, müsste notwendigerweise alles aufgreifen, was die Erkenntnis in anderen Wissensbereichen hervorgebracht hat, einschließlich der Philosophie und der Sozialethik. Das ist aber eine Leistung, die heutzutage nur schwer erbracht werden kann. Deshalb kann man auch keine wirklichen ethischen Horizonte erkennen, auf die man sich beziehen könnte. Das Leben geht dahin, sich den Umständen zu überlassen, die von der Technik geprägt werden, die ihrerseits als die wesentliche Quelle zur Deutung der Existenz verstanden wird. In der konkreten Wirklichkeit, die uns entgegentritt, werden verschiedene Symptome sichtbar, die den Irrtum aufzeigen – wie zum Beispiel die Umweltverschmutzung, die Angst und der Verlust des Lebens- und Gemeinschaftssinns. So zeigt sich einmal mehr: „Die Wirklichkeit steht über der Idee.“<ref>Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 231: AAS 105 (2013), S. 1114.</ref>

111. Die ökologische Kultur kann nicht reduziert werden auf eine Serie von dringenden Teilantworten auf die Probleme, die bezüglich der Umweltschäden, der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und der Verschmutzung auftreten. Es müsste einen anderen Blick geben, ein Denken, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand gegen den Vormarsch des technokratischen Paradigmas bilden. Andernfalls können auch die besten ökologischen Initiativen schließlich in derselben globalisierten Logik stecken bleiben. Einfach nur eine technische Lösung für jedes auftretende Umweltproblem zu suchen bedeutet, Dinge zu isolieren, die in der Wirklichkeit miteinander verknüpft sind, und die wahren und tiefsten Probleme des weltweiten Systems zu verbergen.

112. Es ist jedoch möglich, den Blick wieder zu weiten. Die menschliche Freiheit ist in der Lage, die Technik zu beschränken, sie zu lenken und in den Dienst einer anderen Art des Fortschritts zu stellen, der gesünder, menschlicher, sozialer und ganzheitlicher ist. Die Befreiung vom herrschenden technokratischen Paradigma geschieht tatsächlich in manchen Situationen, zum Beispiel wenn Gemeinschaften von Kleinproduzenten sich für weniger verschmutzende Produktionssysteme entscheiden und dabei ein Modell des Lebens, des Wohlbefindens und des nicht konsumorientierten Miteinanders vertreten; oder wenn die Technik sich vorrangig darauf ausrichtet, die konkreten Probleme der anderen zu lösen, in dem Wunsch, ihnen zu helfen, in größerer Würde und in weniger Leid zu leben; oder auch wenn der Wille, Schönes zu schaffen, und die Betrachtung des Schönen bewirken, dass die Macht, die das Gegenüber nur als Objekt wahrnimmt, überwunden wird in einer Art Erlösung, die sich im Schönen und in seinem Betrachter vollzieht. Die echte Menschlichkeit, die zu einer neuen Synthese einlädt, scheint inmitten der technologischen Zivilisation zu leben – gleichsam unmerklich, wie der Nebel, der unter der geschlossenen Tür hindurchdringt. Wird sie trotz allem eine fortwährende Verheißung sein, die wie ein zäher Widerstand des Echten hervorsprießt?

113. Andererseits scheinen die Menschen nicht mehr an eine glückliche Zukunft zu glauben, sie vertrauen nicht blind auf ein besseres Morgen von der aktuellen Lage der Welt und den technischen Fähigkeiten her. Sie werden sich der Tatsache bewusst, dass der Fortschritt der Wissenschaft und der Technik nicht dem Fortschritt der Menschheit und der Geschichte entspricht, und ahnen, dass die grundlegenden Wege für eine glückliche Zukunft andere sind. Dennoch denkt man ebenso wenig daran, auf die Möglichkeiten, die die Technik bietet, zu verzichten. Die Menschheit hat sich tiefgreifend verändert, und die Fülle an ständigen Neuerungen heiligt eine Flüchtigkeit, die uns über die Oberfläche in eine einzige Richtung mitreißt. Es wird schwierig für uns, innezuhalten, um die Tiefe des Lebens wiederzugewinnen. Wenn die Architektur den Geist einer Epoche widerspiegelt, dann bringen die Megabauten und die serienmäßigen Häuser den Geist der globalisierten Technik zum Ausdruck, in dem sich die dauernde Neuheit der Produkte mit einer lastenden Langeweile verbindet. Wir wollen uns damit nicht abfinden und nicht darauf verzichten, uns über den Zweck und den Sinn von allem zu fragen. Andernfalls würden wir nur die herrschende Situation legitimieren und mehr Surrogate brauchen, um die Leere auszuhalten.

114. Was gerade vor sich geht, stellt uns vor die Dringlichkeit, in einer mutigen kulturellen Revolution voranzuschreiten. Wissenschaft und Technologie sind nicht neutral, sondern können vom Anfang bis zum Ende eines Prozesses verschiedene Absichten und Möglichkeiten enthalten und sich auf verschiedene Weise gestalten. Niemand verlangt, in die Zeit der Höhlenmenschen zurückzukehren, es ist aber unerlässlich, einen kleineren Gang einzulegen, um die Wirklichkeit auf andere Weise zu betrachten, die positiven und nachhaltigen Fortschritte zu sammeln und zugleich die Werte und die großen Ziele wiederzugewinnen, die durch einen hemmungslosen Größenwahn vernichtet wurden.

[Forsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />