Barmherzigkeit: Unterschied zwischen den Versionen

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("Def." Marmion)
 
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'''Barmherzigkeit''' ist eine menschliche Charaktereigenschaft, die ihren Ausdruck als [[Tugend]] in [[Werke der Barmherzigkeit|barmherzigem Handeln]] findet. Die Barmherzigkeit des Menschen hat Ursprung und Maßstab in der [[Barmherzigkeit Gottes]]: "Der Herr ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue." {{Bibel|Ex|34|6}} Für Christen ist wie für Juden und Muslime die Barmherzigkeit eine Eigenschaft Gottes.  
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'''Barmherzigkeit''' ([[lat.]]: misericordia → miser=elend, beklagenswert; cor=[[Herz]]) "ist Liebe, die sich dem Elend zuwendet"([[Columba Marmion: Christus in seinen Geheimnissen|vgl. Marmion]]). Sie ist eine menschliche Charaktereigenschaft, die ihren Ausdruck als [[Tugend]] in [[Werke der Barmherzigkeit|barmherzigem Handeln]] findet. Die Barmherzigkeit des Menschen hat Ursprung und Maßstab in der [[Barmherzigkeit Gottes]]: "Der Herr ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an [[Huld]] und [[Treue]]." (Ex 34, 6) Für Christen ist wie für [[Juden]] und [[Muslim]]e die Barmherzigkeit eine Eigenschaft Gottes. Das sittliche Endziel  des [[Ewiges Leben|ewigen Lebens]] des [[Mensch]]en zu erreichen, verlangt die [[Leibliche Werke der Barmherzigkeit|Leiblichen Werke der Barmherzigkeit]] (vgl. Mt 25, 31-46.<ref>Gerecht ist für uns das, "was man dem anderen schuldet", während barmherzig das ist, was aus Güte gegeben wird." : [[Papst]] [[Benedikt XVI.]] im Gespräch mit den Gefangenen in der Strafanstalt von Rebibbia im Dezember 2011: aus: [[Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung]]: Heilige und die Barmherzigkeit. Jubiläum der Barmherzigkeit 2015-2016. [[Schwabenverlag]] 2015, S. 12 (94 Seiten; ISBN 978-3-7966-1685-3).</ref>
  
==Die innere Haltung: Vom Elend anderer betroffen==
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Vollkommene Barmherzigkeit wird in der Feindesliebe erreicht.<ref> [[Augustinus von Hippo]]: Die [[Bergpredigt]], 12. Kapitel [[Augustinus von Hippo: Über die Bergpredigt#21. Kapitel: Mt 5, 43-48: Von der Feindesliebe|69]].</ref>
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== Etymologische Bedeutung der Barmherzigkeit<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 13-15.</ref>==
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In der  [[latein]]ischen Sprache setzt sich das Wort "Barmherzigkeit", ''misericordia'', aus zwei Worten zusammen, nämlich: miser'' (arm, elend) und ''cor'' (Herz). "Elend" bezeichnet jenen extremen Mangel, der Erbarmen und Mitleid verlangt, ein Mitgefühl, um das jemand in höchster Angst und Not bittet. "Elend" drückt also eine Bedürftigkeit aus, die ganz grundlegend die Existenz desjenigen Menschen bedroht, der sich in dieser Lage befindet, weil er gezwungen ist, am Rande des menschlichen Daseins zu leben und ihm das sozusagen die Luft zum Leben abschnürt. Der andere Begriff, der mit dem des Elends gekoppelt wird, ist das Herz. Wenn das Elend dem Herzen nahekommt (das im Lateinischen von der Wurzel urere, brennen, abgeleitet ist), wird es zerstört, als ob ein Brand darüber hinweggegangen sei. Wenn also das Herz das Elend bei einem Menschen wahrnimmt, urteilt es nicht darüber, sondern verbrennt und zerstört es. Und das ist Barmherzigkeit. Deshalb wird das "Herz" als der Sitz der Gefühle betrachtet, also von [[Freude]], [[Schmerz]], [[Liebe]], [[Gelassenheit]] oder Erregung. In seinen Bekenntnissen (3,2,2) erklärt der hl. [[Augustinus von Hippo]]: Im Allgemeinen definiert ''miser'' das eigene Leiden, während man die Leiden mit den anderen und für sie als "Mitleid" zu definieren pflegt.
  
Der [[Augustinus von Hippo|heilige Augustinus]] erklärt: "Wenn dein Herz angerührt wird, vom Elend anderer betroffen wird, siehe, das ist Barmherzigkeit. Merkt euch also, meine Brüder, dass alle guten Werke, die wir im Leben tun, wahrhaft mit der Barmherzigkeit zu tun haben. Zum Beispiel: Du gibst jemandem, der Hunger hat, Brot; gib es ihm von Herzen und nicht mit Gleichgültigkeit, um deinen Mitmenschen nicht wie einen Hund zu behandeln. Wenn du also einen Akt der Barmherzigkeit tust, verhalte dich [so]: Wenn du jemandem ein Brot reichst, versuche, am Leid dessen teilzunehmen, der Hunger hat; wenn du zu trinken gibst, nimm teil am Leid dessen, der Durst hat; wenn du ein Gewand gibst, teile das Leid dessen, der kein Gewand hat; wenn du Gastfreundschaft gewährst, teile das Leid dessen, der Pilger ist; wenn du einen Kranken besuchst, jemanden besuchst, [teile das Leid dessen,] der eine Krankheit hat; wenn du zu einem [[Begräbnis]] gehst, erbarme dich des Toten, und wenn du zwischen Streitenden Frieden stiftest, denke an das Leid dessen, der einen Streit hat. Wenn wir Gott und den Nächsten lieben, können wir diese Dinge nicht ohne Erbarmen im Herzen tun" ([[Augustinus von Hippo]], Predigt 358A).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 42-43.</ref>
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Auf [[Griechisch]], der Sprache des Neuen Testaments, heißt Barmherzigkeit ἔλεος ''éleos''. Wir kennen dieses Wort aus dem Gebet des "Kyrie eleison", der Anrufung des Erbarmens des Herrn. Es ist seinerseits die Übersetzung des hebräischen Wortes "hesed" (vgl. [[Gnade]]), einem der schönsten Worte der [[Bibel]], das die Treue von Gottes Barmherzigkeit für jeden Menschen betont. Deshalb wird es oft ganz einfach mit "Liebe" oder "Treue der Liebe Gottes" zur Menschheit übersetzt. Das griechische "eleos" übersetzt aber noch einen weiteren hebräischen Begriff, nämlich "rachamim", der eine "hesed" (treue Liebe) voller Gefühle umschreibt und ursprünglich die "Eingeweide" des Mutterschoßes bezeichnet. Gottes Treue in ihrer Barmherzigkeit wird in den Gebetsversammlungen der Israeliten mit den Psalmen 117 und 135 gepriesen.  
  
== Etymologische Bedeutung der Barmherzigkeit<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 13-15.</ref>==
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==Die innere Haltung: Vom Elend anderer betroffen==
  
Im [[Latein]]ischen setzt sich das Wort "Barmherzigkeit", misericordia, aus zwei Worten zusammen, nämlich miser (Elend, Misere) und cor (Herz). "Elend" bezeichnet jenen extremen Mangel, der Erbarmen und Mitleid verlangt, ein Mitgefühl, um das jemand in höchster Angst und Not bittet. "Elend" drückt also eine Bedürftigkeit aus, die ganz grundlegend die Existenz desjenigen Menschen bedroht, der sich in dieser Lage befindet, weil er gezwungen ist, am Rande des menschlichen Daseins zu leben und ihm das sozusagen die Luft zum Leben abschnürt. Der andere Begriff, der mit dem des Elends gekoppelt wird, ist das Herz. Wenn das Elend dem Herzen nahekommt (das im Lateinischen von der Wurzel urere, brennen, abgeleitet ist), wird es zerstört, als ob ein Brand darüber hinweggegangen sei. Wenn also das Herz das Elend bei einem Menschen wahrnimmt, urteilt es nicht darüber, sondern verbrennt und zerstört es. Und das ist Barmherzigkeit. Wenn sich dir ein Herz nähert, spürst du seine Wärme, und es verbrennt dein Elend, will sagen, das Negative, das es bemerkt hat; und du spürst die Wärme dessen, der dich umarmt, der es gut mit dir meint, weil dein Elend für ihn nicht wiegt. Und das Elend gibt es tatsächlich nicht mehr: Es ist verbrannt worden. Das ist das Wunder, das das barmherzige Herz wirkt. Das "Herz" ist das Zentrum des innersten und wahrsten Bereiches eines jeden Menschen. Deshalb wird das "Herz" als der Sitz der Gefühle betrachtet, also von Freude, Schmerz, Liebe, Gelassenheit oder Erregung. In seinen Bekenntnissen (3,2,2) erklärt der hl. [[Augustinus von Hippo]]: Im Allgemeinen definiert miser das eigene Leiden, während man die Leiden mit den anderen und für sie als "Mitleid" zu definieren pflegt.  
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Der [[Augustinus von Hippo|heilige Augustinus]] erklärt: "Wenn dein Herz angerührt wird, vom Elend anderer betroffen wird, siehe, das ist Barmherzigkeit.“ ([[Augustinus von Hippo]], Predigt 358A).<ref> Dann zählt er die [[Leibliche Werke der Barmherzigkeit|sieben leiblichen Werke der Barmherzigkei]] auf. aus: Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 42-43.</ref> Vor allem in Zeiten großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme und bei den Folgen von Naturkatastrophen findet sich oft eine Welle von [[Solidarität]] jenseits von Sprache, Rasse, Religion und Herkunftsland. Man entdeckt, dass es ein Gefühl gibt, das Männer und Frauen verbindet, nur weil sie alle Teil der [[Mensch]]heit sind. Man ist gerufen, auf jeden Menschen und auf alle Menschen zu achten. Die Barmherzigkeit ist ein selbstloser Dienst, eine Berufung, auf die wir antworten müssen, die sich nicht auf materielle Bedürfnisse beschränken darf, sondern fähig ist, auch die Seele einzubeziehen, bei der oft die Notwendigkeit von Hilfe am dringendsten ist.<ref>vgl. aus: [[Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung]]: Geistige und leibliche Werke der Barmherzigkeit. [[Jubiläum der Barmherzigkeit]] 2015-2016. [[Schwabenverlag]] 2015, S. 5 (80 Seiten; ISBN 978-3-7966-1686-0).</ref>
  
Auf [[Griechisch]], der Sprache des Neuen Testaments, heißt Barmherzigkeit "eleos". Wir kennen dieses Wort aus dem Gebet des "Kyrie eleison", der Anrufung des Erbarmens des Herrn. Es ist seinerseits die Übersetzung des hebräischen Wortes "hesed", einem der schönsten Worte der [[Bibel]], das die Treue von Gottes Barmherzigkeit für jeden Menschen betont. Deshalb wird es oft ganz einfach mit "Liebe" oder "Treue der Liebe Gottes" zur Menschheit übersetzt. Das griechische "eleos" übersetzt aber noch einen weiteren hebräischen Begriff, nämlich "rachamim", der eine "hesed" (treue Liebe) voller Gefühle umschreibt und ursprünglich die "Eingeweide" des Mutterschoßes bezeichnet. Gottes Treue in ihrer Barmherzigkeit wird in den Gebetsversammlungen der Israeliten mit den Psalmen 117 und 135 gepriesen.  
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==Möglichkeiten Barmherzigkeit zu üben ✍️==
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Es gibt eine dreifache Möglichkeit, Barmherzigkeit zu üben:
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:erstens: das barmherzige Wort - durch [[Vergebung]] und [[Trost]];
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:zweitens: wo Worte nichts ausrichten, [[Gebet|beten]] 🙏- auch das ist Barmherzigkeit;
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:drittens: [[Werke der Barmherzigkeit|barmherzige Taten]]. (Heilige Sr. [[Maria Faustyna Kowalska]], Tagebuch 1158).
  
 
==Antike Philosophie==
 
==Antike Philosophie==
  
Mit [[Platon]] (428-348 v. Chr.), aber vor allem später mit der [[Stoa]], welche die Barmherzigkeit als eine Krankheit der Seele betrachtete (aegritudo animi), hatte die [[Philosophie]] das Mitleid und die Barmherzigkeit wie irgendeine andere menschliche Schwäche betrachtet (vgl. Apologie 34c.ff). Für den Philosophen waren Mitleid und Barmherzigkeit unvereinbar mit einem Verhalten, das von der Vernunft und der Suche nach Gerechtigkeit geleitet wurde; und für die Menschen der Antike war die Gerechtigkeit grundsätzlich eine vergeltende: "Man muss jedem geben, was ihm zusteht" (suum cuique - Jedem das Seine).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 9.</ref>
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Mit [[Platon]] (428-348 v. Chr.), aber vor allem später mit der [[Stoa]], welche die Barmherzigkeit als eine Krankheit der Seele betrachtete (aegritudo animi), hatte die [[Philosophie]] das Mitleid und die Barmherzigkeit wie irgendeine andere menschliche Schwäche betrachtet (vgl. Apologie 34c.ff). Für den Philosophen waren Mitleid und Barmherzigkeit unvereinbar mit einem Verhalten, das von der [[Vernunft]] und der Suche nach [[Gerechtigkeit]] geleitet wurde; und für die Menschen der Antike war die Gerechtigkeit grundsätzlich eine vergeltende: "Man muss jedem geben, was ihm zusteht" (suum cuique - Jedem das Seine).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 9.</ref>
  
Bei [[Aristoteles]] (384-322 v. Chr.) wurde das Mitleid nicht als eine Tugend betrachtet, und dennoch besaß es einen positiven Aspekt: Nach Aristoteles bewegt die Erfahrung eines unverdienten Leidens den Geist dessen, der es sieht, weil ein ähnliches Übel auch ihn treffen könnte, und bringt ihn so dazu, etwas zu tun und mit dem ungerecht Leidenden solidarisch zu werden (vgl. Rhetorik 1385b). Für die [[Stoa|Stoiker]] ist die Emotion, die im menschlichen Geist durch das Mitleid erweckt wird, völlig unvereinbar mit den Grundsätzen der verstandesmäßigen Beherrschung der Gefühle, mit der Autarkie (Selbstgenügsamkeit), der Ataraxie (Unerschütterlichkeit) und der Seelenruhe, zu der die Anhänger der [[Stoa]] gerufen waren. Das verhinderte aber nicht, dass die stoische Philosophie die Übung der Milde (clementia), der Philanthropie (humanitas; Menschenfreundlichkeit) und der wohlwollenden Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen (benignitas), umfassend befürwortete (vgl. Seneca, Über die Milde, 2,6).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 10.</ref>
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Bei [[Aristoteles]] (384-322 v. Chr.) wurde das Mitleid nicht als eine [[Tugend]] betrachtet, und dennoch besaß es einen positiven Aspekt: Nach Aristoteles bewegt die Erfahrung eines unverdienten [[Leid]]ens den Geist dessen, der es sieht, weil ein ähnliches Übel auch ihn treffen könnte, und bringt ihn so dazu, etwas zu tun und mit dem ungerecht Leidenden solidarisch zu werden (vgl. Rhetorik 1385b). Für die [[Stoa|Stoiker]] ist die Emotion, die im menschlichen Geist durch das Mitleid erweckt wird, völlig unvereinbar mit den Grundsätzen der verstandesmäßigen Beherrschung der Gefühle, mit der Autarkie (Selbstgenügsamkeit), der Ataraxie (Unerschütterlichkeit) und der Seelenruhe, zu der die Anhänger der [[Stoa]] gerufen waren. Das verhinderte aber nicht, dass die stoische Philosophie die Übung der Milde (''clementia''), der Philanthropie (''humanitas'; Menschenfreundlichkeit) und der wohlwollenden Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen (''benignitas''; Güte), umfassend befürwortete (vgl. Seneca, Über die Milde, 2,6).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 10.</ref>
  
[[Cicero]] (106-43 v. Chr.), der oft von Augustinus und anderen Kirchenvätern des lateinischen Abendlandes zitiert wird, verwendet die stoische Definition von Barmherzigkeit - Mitleid als Krankheit der Seele; dennoch drückt er in seinen Schriften eine hohe Wertschätzung für die barmherzigen Menschen aus. In seiner Rede Für Murena distanziert er sich von den Übertreibungen der stoischen Position seines Gegners Cato, und unter Berufung auf das traditionelle römische Misstrauen gegenüber dem griechischen Denken zitiert er Zenon (336-263 v. Chr.) und die orthodoxen Stoiker, die vertraten, "dass der Weise sich niemals vom Mitleid bewegen lässt, niemals irgendjemand eine Sünde vergibt, und dass nur ein Törichter und ein Oberflächlicher mitleidig ist" (XXIX,61).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 10.</ref>
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[[Cicero]] (106-43 v. Chr.), der oft von [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] und anderen [[Kirchenväter]]n des lateinischen Abendlandes zitiert wird, verwendet die stoische Definition von Barmherzigkeit - Mitleid als Krankheit der Seele; dennoch drückt er in seinen Schriften eine hohe Wertschätzung für die barmherzigen Menschen aus. In seiner Rede für Murena distanziert er sich von den Übertreibungen der stoischen Position seines Gegners Cato, und unter Berufung auf das traditionelle römische Misstrauen gegenüber dem griechischen Denken zitiert er [[Zenon]] (336-263 v. Chr.) und die orthodoxen Stoiker, die vertraten, "dass der Weise sich niemals vom Mitleid bewegen lässt, niemals irgendjemand eine Sünde vergibt, und dass nur ein Törichter und ein Oberflächlicher mitleidig ist" (XXIX,61).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 10.</ref>
  
 
==Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ==
 
==Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ==
  
Die [[Gerechtigkeit]] ist ein grundlegendes Konzept der Zivilgesellschaft, in der man sich normalerweise auf eine Rechtsordnung bezieht, in deren Rahmen das Gesetz angewendet wird. Unter Gerechtigkeit versteht man auch, dass einem jeden das gegeben werden muss, was ihm zusteht. Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit führt zum Legalismus und zur Grausamkeit. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind zwei Dimensionen einer einzigen Wirklichkeit, die sich fortschreitend entwickelt, bis sie ihren Höhepunkt in der Fülle der Liebe erreicht hat.<ref>Verkündigungs[[bulle]] ''[[Misericordiae vultus]]'' des Außerordentlichen [[Jubiläum der Barmherzigkeit|Jubiläums der Barmherzigkeit]] vom [[11. April]] [[2015]], Nr. 20; [[Isaak von Ninive]] (7. Jahrhundert): "Wenn der Barmherzige nicht die Gerechtigkeit überwindet, ist er nicht barmherzig" (Aszetische Reden, 4): aus: Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 9.</ref> Der Barmherzige überschreitet das Gesetz der Gerechtigkeit und tritt in eine Liebesordnung ein, die man „die [[Goldene Regel]]“ nennen könnte. Diese besagt: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Diese ist seit Jahrtausenden in verschiedenen [[Kultur]]en und [[Religion]]en zu finden.
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Die [[Gerechtigkeit]] ist ein grundlegendes Konzept der Zivilgesellschaft, in der man sich normalerweise auf eine Rechtsordnung bezieht, in deren Rahmen das Gesetz angewendet wird. Unter Gerechtigkeit versteht man auch, dass einem jeden das gegeben werden muss, was ihm zusteht. Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit führt zum Legalismus und zur Grausamkeit. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind zwei Dimensionen einer einzigen Wirklichkeit, die sich fortschreitend entwickelt, bis sie ihren Höhepunkt in der Fülle der Liebe erreicht hat.<ref>Verkündigungs[[bulle]] ''[[Misericordiae vultus]]'' des Außerordentlichen [[Jubiläum der Barmherzigkeit|Jubiläums der Barmherzigkeit]] vom [[11. April]] [[2015]], Nr. 20; [[Isaak von Ninive]] (7. Jahrhundert): "Wenn der Barmherzige nicht die Gerechtigkeit überwindet, ist er nicht barmherzig" (Aszetische Reden, 4): aus: Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 9.</ref> Der Barmherzige überschreitet das bloße [[Gesetz]] der Gerechtigkeit und tritt in eine Liebesordnung ein, die man „die [[Goldene Regel]]“ nennen könnte. Diese besagt: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Diese ist seit Jahrtausenden in verschiedenen [[Kultur]]en und [[Religion]]en zu finden.
  
==Siehe Artikel zum Thema Barmherzigkeit==
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Im Jakobusbrief heißt es: "Redet und handelt wie Menschen, die nach dem Gesetz der Freiheit gerichtet werden. Denn das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der kein Erbarmen gezeigt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht." {{Bibel|Jak|2|12-13}}
  
*[[Barmherzigkeit Gottes]]
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[[:Vorlage:Leiste Vitia et Virtutes|Vitia et Virtutes]]
* [[Werke der Barmherzigkeit]]
 
* [[Geistige Werke der Barmherzigkeit]]
 
* [[Leibliche Werke der Barmherzigkeit]]
 
*[[Liebe]]
 
  
 
== Anmerkungen ==
 
== Anmerkungen ==

Aktuelle Version vom 26. Oktober 2024, 11:30 Uhr

Barmherzigkeit (lat.: misericordia → miser=elend, beklagenswert; cor=Herz) "ist Liebe, die sich dem Elend zuwendet"(vgl. Marmion). Sie ist eine menschliche Charaktereigenschaft, die ihren Ausdruck als Tugend in barmherzigem Handeln findet. Die Barmherzigkeit des Menschen hat Ursprung und Maßstab in der Barmherzigkeit Gottes: "Der Herr ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue." (Ex 34, 6) Für Christen ist wie für Juden und Muslime die Barmherzigkeit eine Eigenschaft Gottes. Das sittliche Endziel des ewigen Lebens des Menschen zu erreichen, verlangt die Leiblichen Werke der Barmherzigkeit (vgl. Mt 25, 31-46.<ref>Gerecht ist für uns das, "was man dem anderen schuldet", während barmherzig das ist, was aus Güte gegeben wird." : Papst Benedikt XVI. im Gespräch mit den Gefangenen in der Strafanstalt von Rebibbia im Dezember 2011: aus: Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung: Heilige und die Barmherzigkeit. Jubiläum der Barmherzigkeit 2015-2016. Schwabenverlag 2015, S. 12 (94 Seiten; ISBN 978-3-7966-1685-3).</ref>

Vollkommene Barmherzigkeit wird in der Feindesliebe erreicht.<ref> Augustinus von Hippo: Die Bergpredigt, 12. Kapitel 69.</ref>

Etymologische Bedeutung der Barmherzigkeit<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 13-15.</ref>

In der lateinischen Sprache setzt sich das Wort "Barmherzigkeit", misericordia, aus zwei Worten zusammen, nämlich: miser (arm, elend) und cor (Herz). "Elend" bezeichnet jenen extremen Mangel, der Erbarmen und Mitleid verlangt, ein Mitgefühl, um das jemand in höchster Angst und Not bittet. "Elend" drückt also eine Bedürftigkeit aus, die ganz grundlegend die Existenz desjenigen Menschen bedroht, der sich in dieser Lage befindet, weil er gezwungen ist, am Rande des menschlichen Daseins zu leben und ihm das sozusagen die Luft zum Leben abschnürt. Der andere Begriff, der mit dem des Elends gekoppelt wird, ist das Herz. Wenn das Elend dem Herzen nahekommt (das im Lateinischen von der Wurzel urere, brennen, abgeleitet ist), wird es zerstört, als ob ein Brand darüber hinweggegangen sei. Wenn also das Herz das Elend bei einem Menschen wahrnimmt, urteilt es nicht darüber, sondern verbrennt und zerstört es. Und das ist Barmherzigkeit. Deshalb wird das "Herz" als der Sitz der Gefühle betrachtet, also von Freude, Schmerz, Liebe, Gelassenheit oder Erregung. In seinen Bekenntnissen (3,2,2) erklärt der hl. Augustinus von Hippo: Im Allgemeinen definiert miser das eigene Leiden, während man die Leiden mit den anderen und für sie als "Mitleid" zu definieren pflegt.

Auf Griechisch, der Sprache des Neuen Testaments, heißt Barmherzigkeit ἔλεος éleos. Wir kennen dieses Wort aus dem Gebet des "Kyrie eleison", der Anrufung des Erbarmens des Herrn. Es ist seinerseits die Übersetzung des hebräischen Wortes "hesed" (vgl. Gnade), einem der schönsten Worte der Bibel, das die Treue von Gottes Barmherzigkeit für jeden Menschen betont. Deshalb wird es oft ganz einfach mit "Liebe" oder "Treue der Liebe Gottes" zur Menschheit übersetzt. Das griechische "eleos" übersetzt aber noch einen weiteren hebräischen Begriff, nämlich "rachamim", der eine "hesed" (treue Liebe) voller Gefühle umschreibt und ursprünglich die "Eingeweide" des Mutterschoßes bezeichnet. Gottes Treue in ihrer Barmherzigkeit wird in den Gebetsversammlungen der Israeliten mit den Psalmen 117 und 135 gepriesen.

Die innere Haltung: Vom Elend anderer betroffen

Der heilige Augustinus erklärt: "Wenn dein Herz angerührt wird, vom Elend anderer betroffen wird, siehe, das ist Barmherzigkeit.“ (Augustinus von Hippo, Predigt 358A).<ref> Dann zählt er die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkei auf. aus: Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 42-43.</ref> Vor allem in Zeiten großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme und bei den Folgen von Naturkatastrophen findet sich oft eine Welle von Solidarität jenseits von Sprache, Rasse, Religion und Herkunftsland. Man entdeckt, dass es ein Gefühl gibt, das Männer und Frauen verbindet, nur weil sie alle Teil der Menschheit sind. Man ist gerufen, auf jeden Menschen und auf alle Menschen zu achten. Die Barmherzigkeit ist ein selbstloser Dienst, eine Berufung, auf die wir antworten müssen, die sich nicht auf materielle Bedürfnisse beschränken darf, sondern fähig ist, auch die Seele einzubeziehen, bei der oft die Notwendigkeit von Hilfe am dringendsten ist.<ref>vgl. aus: Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung: Geistige und leibliche Werke der Barmherzigkeit. Jubiläum der Barmherzigkeit 2015-2016. Schwabenverlag 2015, S. 5 (80 Seiten; ISBN 978-3-7966-1686-0).</ref>

Möglichkeiten Barmherzigkeit zu üben ✍️

Es gibt eine dreifache Möglichkeit, Barmherzigkeit zu üben:

erstens: das barmherzige Wort - durch Vergebung und Trost;
zweitens: wo Worte nichts ausrichten, beten 🙏- auch das ist Barmherzigkeit;
drittens: barmherzige Taten. (Heilige Sr. Maria Faustyna Kowalska, Tagebuch 1158).

Antike Philosophie

Mit Platon (428-348 v. Chr.), aber vor allem später mit der Stoa, welche die Barmherzigkeit als eine Krankheit der Seele betrachtete (aegritudo animi), hatte die Philosophie das Mitleid und die Barmherzigkeit wie irgendeine andere menschliche Schwäche betrachtet (vgl. Apologie 34c.ff). Für den Philosophen waren Mitleid und Barmherzigkeit unvereinbar mit einem Verhalten, das von der Vernunft und der Suche nach Gerechtigkeit geleitet wurde; und für die Menschen der Antike war die Gerechtigkeit grundsätzlich eine vergeltende: "Man muss jedem geben, was ihm zusteht" (suum cuique - Jedem das Seine).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 9.</ref>

Bei Aristoteles (384-322 v. Chr.) wurde das Mitleid nicht als eine Tugend betrachtet, und dennoch besaß es einen positiven Aspekt: Nach Aristoteles bewegt die Erfahrung eines unverdienten Leidens den Geist dessen, der es sieht, weil ein ähnliches Übel auch ihn treffen könnte, und bringt ihn so dazu, etwas zu tun und mit dem ungerecht Leidenden solidarisch zu werden (vgl. Rhetorik 1385b). Für die Stoiker ist die Emotion, die im menschlichen Geist durch das Mitleid erweckt wird, völlig unvereinbar mit den Grundsätzen der verstandesmäßigen Beherrschung der Gefühle, mit der Autarkie (Selbstgenügsamkeit), der Ataraxie (Unerschütterlichkeit) und der Seelenruhe, zu der die Anhänger der Stoa gerufen waren. Das verhinderte aber nicht, dass die stoische Philosophie die Übung der Milde (clementia), der Philanthropie (humanitas'; Menschenfreundlichkeit) und der wohlwollenden Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen (benignitas; Güte), umfassend befürwortete (vgl. Seneca, Über die Milde, 2,6).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 10.</ref>

Cicero (106-43 v. Chr.), der oft von Augustinus und anderen Kirchenvätern des lateinischen Abendlandes zitiert wird, verwendet die stoische Definition von Barmherzigkeit - Mitleid als Krankheit der Seele; dennoch drückt er in seinen Schriften eine hohe Wertschätzung für die barmherzigen Menschen aus. In seiner Rede für Murena distanziert er sich von den Übertreibungen der stoischen Position seines Gegners Cato, und unter Berufung auf das traditionelle römische Misstrauen gegenüber dem griechischen Denken zitiert er Zenon (336-263 v. Chr.) und die orthodoxen Stoiker, die vertraten, "dass der Weise sich niemals vom Mitleid bewegen lässt, niemals irgendjemand eine Sünde vergibt, und dass nur ein Törichter und ein Oberflächlicher mitleidig ist" (XXIX,61).<ref> Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 10.</ref>

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Die Gerechtigkeit ist ein grundlegendes Konzept der Zivilgesellschaft, in der man sich normalerweise auf eine Rechtsordnung bezieht, in deren Rahmen das Gesetz angewendet wird. Unter Gerechtigkeit versteht man auch, dass einem jeden das gegeben werden muss, was ihm zusteht. Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit führt zum Legalismus und zur Grausamkeit. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind zwei Dimensionen einer einzigen Wirklichkeit, die sich fortschreitend entwickelt, bis sie ihren Höhepunkt in der Fülle der Liebe erreicht hat.<ref>Verkündigungsbulle Misericordiae vultus des Außerordentlichen Jubiläums der Barmherzigkeit vom 11. April 2015, Nr. 20; Isaak von Ninive (7. Jahrhundert): "Wenn der Barmherzige nicht die Gerechtigkeit überwindet, ist er nicht barmherzig" (Aszetische Reden, 4): aus: Kirchenväter und die Barmherzigkeit, S. 9.</ref> Der Barmherzige überschreitet das bloße Gesetz der Gerechtigkeit und tritt in eine Liebesordnung ein, die man „die Goldene Regel“ nennen könnte. Diese besagt: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Diese ist seit Jahrtausenden in verschiedenen Kulturen und Religionen zu finden.

Im Jakobusbrief heißt es: "Redet und handelt wie Menschen, die nach dem Gesetz der Freiheit gerichtet werden. Denn das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der kein Erbarmen gezeigt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht." ({{#ifeq: Brief des Jakobus | Barmherzigkeit |{{#if: Jak|Jak|Brief des Jakobus}}|{{#if: Jak |Jak|Brief des Jakobus}}}} 2{{#if:12-13|,12-13}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }})

Vitia et Virtutes

Anmerkungen

<references />