Johannes Bonaventura: Mystisch-aszetische Schriften, 1. Teil
ERSTER TEIL
Quelle: DES HL. BONAVENTURA MYSTISCH-ASZETISCHE SCHRIFTEN, ERSTER TEIL, NACH DER AUSGABE VON QUARACCHl ÜBERTRAGEN UND HERAUSGEGEBEN VON SIEGFRIED JOHANNES HAMBURGER, THEATINER-VERLAG MÜNCHEN 1923 (183 Seiten, Imprimatur Monachii, die 15. decembris 1922).
Inhaltsverzeichnis
- 1 VON DEN FÜNF FESTEN DES KINDES JESU
- 1.1 VORWORT
- 1.2 DAS ERSTE FEST: AUF WELCHE WEISE DER SOHN GOTTES CHRISTUS JESUS VON DEM GEMÜTE GEISTLICH EMPFANGEN WERDE
- 1.3 DAS ZWEITE FEST: AUF WELCHE WEISE DER SOHN GOTTES IM ANDÄCHTIGEN, GEMÜT GEISTLICH GEBOREN WERDE
- 1.4 DAS DRITTE FEST: AUF WELCHE WEISE DAS JESUSKIND VON DER ANDÄCHTIGEN SEELE GEISTLICH ZU BENENNEN SEI
- 1.5 DAS VIERTE FEST: AUF WELCHE ART DER SOHN GOTTES VON DER ANDÄCHTIGEN SEELE IN GEMEINSCHAFT MIT DEN WEISEN ZU SUCHEN UND ANZUBETEN SEI
- 1.6 DAS FÜNFTE FEST: AUF WELCHE WEISE DER SOHN GOTTES IM TEMPEL DARGEBRACHT WERDE
- 2 DER MYSTISCHE WEINSTOCK ODER TRAKTAT VON DEM LEIDEN DES HERRN
- 2.1 VORWORT
- 2.2 ERSTES KAPITEL: VON DEN EIGENTÜMLICHKEITEN DES WEINSTOCKES
- 2.3 ZWEITES KAPITEL: VON DER BESCHNEIDUNG DES WEINSTOCKES
- 2.4 DRITTES KAPITEL: VON DER UMGRABUNG DES WEINSTOCKES
- 2.5 VIERTES KAPITEL: VON DER BINDUNG DES WEINSTOCKES
- 2.6 FÜNFTES KAPITEL: VON DER ÄHNLICHKEIT DES WEINSTOCKES UND ZWAR ZUNÄCHST IN BEZUG AUF SEINEN LEIB
- 2.7 SECHSTES KAPITEL: VON DER ZWEITEN ÄHNLICHKEIT ODER VON DEN BLÄTTERN DES WEINSTOCKES, ZUNÄCHST IM ALLGEMEINEN
- 2.8 SIEBENTES KAPITEL: VON DEN BLÄTTERN DES WEINSTOCKES IM BESONDEREN UND ZWAR VON DEM ERSTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.9 ACHTES KAPITEL: VON DEM ZWEITEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM ZWEITEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.10 NEUNTES KAPITEL: VON DEM DRITTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM DRITTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.11 ZEHNTES KAPITEL: VON DEM VIERTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM VIERTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.12 ELFTES KAPITEL: VON DEM FÜNFTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM FÜNFTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.13 ZWÖLFTES KAPITEL: VON DEM SECHSTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM SECHSTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.14 DREIZEHNTES KAPITEL: VON DEM SIEBTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM SIEBTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
- 2.15 VIERZEHNTES KAPITEL: VON DER DRITTEN ÄHNLICHKEIT DES WEINSTOCKES - IN BEZUG AUF DIE BLÜTEN
- 2.16 FÜNFZEHNTES KAPITEL: VON DER IN ROTE LEUCHTENDEN UND GLÜHENDEN ROSENBLÜTE IM ALLGEMEINEN
- 2.17 SECHZEHNTES KAPITEL: VON DER ROSE DER LIEBE
- 2.18 SIEBZEHNTES KAPITEL: VON DER ROSE DES LEIDENS
- 2.19 ACHTZEHNTES KAPITEL: VON DER ERSTEN VERGIESSUNG DES BLUTES JESU CHRISTI
- 2.20 NEUNZEHNTES KAPITEL: VON DER ZWEITEN BLUTVERGIESSUNG
- 2.21 ZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER DRITTEN BLUTVERGIESSUNG
- 2.22 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER VIERTEN BLUTVERGIESSUNG
- 2.23 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER FÜNFTEN BLUTVERGIESSUNG
- 2.24 DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER SECHSTEN UND SIEBTEN BLUTVERGIESSUNG
- 2.25 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL AUFFORDERUNG ZUR BESCHAUUNG DES LEIDENS UND DER LIEBE CHRISTI
- 3 BRIEF ENTHALTEND FÜNFUNDZWANZIG MERKPUNKTE
- 3.1 VORWORT
- 3.2 DIE ALLGEMEINEN MERKPUNKTE
- 3.3 DIE BESONDEREN MERKPUNKTE
- 3.3.1 1. ÜBER DIE ABTÖTUNG DER BEGIERDEN
- 3.3.2 2. VON DER AUSROTTUNG DER LASTER
- 3.3.3 3. VON DER ZERSCHNEIDUNG DER FESSELN
- 3.3.4 4. VON DEM GEDULDIGEN ERTRAGEN DER TRÜBSALE
- 3.3.5 5. DASS DU ÜBER NICHTS DICH BEKLAGEST
- 3.3.6 6. VON DER ARMUT UND SELBSTVERACHTUNG
- 3.3.7 7. DASS MAN DIE EHREN FLIEHEN SOLLE
- 3.3.8 8. ÜBER DIE WAHRE DEMUT
- 3.3.9 9. VON DEM FRIEDEN DER SEELE UND WIE MAN IHN BEWAHREN SOLL
- 3.3.10 10. VON DER BEWACHUNG DER SINNE
- 3.3.11 11. VON DER EINSAMKEIT UND DEN NACHTWACHEN
- 3.3.12 12. VON DEM GÖTTLICHEN OFFIZIUM
- 3.3.13 13. DASS DU ÜBER ALLES DIE GLORREICHE JUNGFRAU STETS VEREHREN SOLLEST
- 3.3.14 14. DASS MAN DAS ZUSAMMENSEIN MIT FRAUEN FLIEHEN SOLLE
- 3.3.15 15. DASS VERDROSSENHEIT UND TRAURIGKEIT ZU FLIEHEN SEI
- 3.3.16 16. DASS DIR ALLES ZU GUTEM BEISPIEL SEI
- 3.3.17 17. VON DER BEWACHUNG DES HERZENS
- 3.3.18 18. VON DER LIEBE ZU DEN NÄCHSTEN
- 3.3.19 19. VON DEN GEBETEN - IN IHRER EINHEIT MIT DEN HEILIGEN WERKEN
- 3.3.20 20. VON DEM HEILIGEN GEHORSAM
- 3.3.21 21. DASS DU TRÖSTUNGEN UND BETRÜBNISSE GEHEIMHALTEN SOLLST
- 3.3.22 22. DASS DU GOTT IMMER UND ÜBERALL IM GEDÄCHTNIS HABEN SOLLST
- 3.3.23 23. VON DER SORGFÄLTIGEN BEWACHUNG DES HERZENS
- 3.3.24 24. VON DEM REINEN BEKENNTNIS DER SÜNDEN
- 3.3.25 25. WIE WIR VOR UNSEREM EIGENEN URTEIL ERSCHEINEN MÜSSEN, AUCH WENN WIR NOCH SO VOLLKOMMEN SIND
- 3.4 ABSCHLUSS
- 4 VON DER LENKUNG DER SEELE
- 5 ABHANDLUNG VON DER VORBEREITUNG ZUR HEILIGEN MESSE
- 5.1 VORWORT
- 5.2 ERSTES KAPITEL: VON DER ZUVOR ZU ÜBENDEN VIERFACHEN SELBSTPRÜFUNG
- 5.2.1 ERSTENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, MIT WELCHEM GLAUBEN ER HINTRETE ZUM ALTAR
- 5.2.2 ZWEITENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, MIT WELCHEM VORSATZ UND IN WELCHER VERFASSUNG ER HINTRETE
- 5.2.3 DRITTENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, WIE GROSS DIE LIEBE UND WELCHES DIE GLUT SEI, MIT WELCHER ER HINTRITT
- 5.2.4 VIERTENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, WESHALB ER HINTRETE
- 5.3 ZWEITES KAPITEL: VON DER REUE UND DEM SCHULDBEKENNTNIS, VON DER UNMITTELBAREN VORBEREITUNG UND VON DER FEIER SELBST
VON DEN FÜNF FESTEN DES KINDES JESU
VORWORT
Nach dem Urteil der ehrwürdigen Männer, die in der Kirche Gottes durch göttliche Einstrahlung reicher erleuchtet, - deren Gedanke durch himmlische Andacht und deren Lehre durch des süßen Jesu Betrachtung überströmender entflammt ist, - ergötzt des fleischgewordenen Wortes fromme Beschauung den andachtsvollen Geist mehr als Honig und aller duftenden Salben Wohlgerüche, - beseligt ihn lieblicher, berauscht ihn süßer, tröstet und stärkt ihn vollkommener denn alles dieses. So geschah es denn, als ich der lärmenden Unruhe zufälliger Gedanken mich ein wenig entzogen hatte und bei mir selbst im geheimen bedachte, was ich zu dieser Zeit über die göttliche Inkarnation im Geist erwägen solle (woraus ich etwa ein wenig göttlicher Süßigkeit in diesem Tale der Tränen wie im Spiegel verkostete, um danach zeitliche und eingebildete Tröstung vollkommener zu verschmähen) - so geschah es, dass heimlich mir in den Sinn fiel: es könne die gottandächtige Seele Gottes, des Vaters, gebenedeites Wort und eingeborenen Sohn durch die vermittelnde Gnade des Heiligen Geistes aus der Kraft des Allerhöchsten im Geist empfangen, gebären, benennen, mit den seligen Weisen suchen und anbeten und es endlich Gott, dem Vater, nach dem Gesetz des Mose im Tempel glückselig darbringen, - und so vermöchte sie gleichsam als wahre Jüngerin der christlichen Frömmigkeit die fünf Feste, welche die Kirche zu Ehren des Kindes Jesu begeht, andächtigen Sinnes mit aller Ehrfurcht zu feiern. Und wie ich es demütig im Geist empfangen, so habe ich es in demütigen Worten schriftlich zusammengestellt; der Kürze halber es unterlassend, die hiermit zusammentreffenden Aussprüche von Gewährsmännern anzuführen. Sollte jemand bei Lesung oder Betrachtung dieser kurzen und geringen Abhandlung auch nur ein wenig Andacht zum allersüßesten Jesus empfangen, so möge er diesen loben und benedeien, als aller Güte Urheber, Quelle und Anfang; wenn aber nicht, so möge er mir, der es an zulänglicher und würdiger Schreibart fehlen lässt, vielleicht aber auch dem eigenen Mangel an frommer und demütiger Art zu lesen, - es anrechnen und zuschreiben.
DAS ERSTE FEST: AUF WELCHE WEISE DER SOHN GOTTES CHRISTUS JESUS VON DEM GEMÜTE GEISTLICH EMPFANGEN WERDE
1. Zu Beginn also, - nachdem der Verstand durch das Bad der Reue gereinigt und das Gefühl durch der Liebe Feuer entflammt und gehoben worden, - ist in keuschen Betrachtungen und andächtigen Erwägungen tief zu durchdenken, auf welche Art der gebenedeite Gottessohn Christus Jesus von dem andächtigen Gemüt geistlich zu empfangen sei.
Wenn die andächtige Seele, sei es durch Hoffnung himmlischen Lohnes, sei es durch Furcht vor ewiger Strafe, sei es durch Überdruss, länger noch in diesem Tal der Tränen zu weilen, angetrieben und gestachelt, - von neuen Eingebungen heimgesucht, von heiligen Gefühlen entflammt, von himmlischen Erwägungen in Unruhe versetzt und nach endlichem Abwerfen und Verachten der alten Fehler und früheren Wünsche unter Fassung eines neuen Lebensvorsatzes vom "Vater der Lichter, von dem jede beste Gabe und jedes vollkommene Geschenk", innerlich durch den Geist der Gnade befruchtet wird; was geschieht dann anderes als dies: dass - überkommen von der Kraft des Höchsten und der Überschattung himmlischen Erquickens, welche die fleischlichen Begierden sänftigt, die, geistlichen Augen zum Sehen kräftigt und unterstützt, - der himmlische Vater mit einer Art göttlichen Samens die Seele schwanger macht und befruchtet? - Nach dieser allerheiligsten Empfängnis erbleicht die Seele im Angesicht durch wahre Demut im Wandel, Ekel an Speise und Trank steigt auf in ihrem Geist als völlige Verachtung und Verwerfung der irdischen Dinge, - sie wandelt sich um in Verlangen und Neigung, indem sie neuartige Güter sich vorsetzt und anstrebt, ja endlich beginnt sie sogar gleichsam hinfällig und krank zu werden, indem sie den eigenen Willen verwirft. Schon nämlich geht sie einher in Trauer und innerem Sturm wegen der alten Fehler Verschuldung, wegen des Verlustes der Zeit, wegen der Geselligkeit und des Wandels mit denen, die in der Welt auf die Weise der Welt ihr Leben führen. Schon beginnt allmählich zu Last und Überdruss alles zu sein, was außen ist und außen gewahrt wird, weil man es nun als jenem missfällig gewahrt, den man im Innern empfängt und verspürt.
2. O glückselige Empfängnis, der eine solche Verachtung der Welt und solch ein Verlangen folgt, das Himmlische zu wirken und von dem Göttlichen erfüllt zu sein! Schon, wenn auch erst ein weniges, "widersteht der Seele das Fleisch, nachdem sie den Geist im Seufzer verkostet", schon beginnt sie mit Maria zu dem Gebirge emporzusteigen, denn nach solcher Empfängnis verschmäht man die Dinge der Erde und ersehnt das Himmlische und Ewige. Schon beginnt sie, jener Menschen Gesellschaft zu fliehen, die "am Irdischen Wohlgeschmack fühlen", und strebt nach derer Vertraulichkeit, die nach dem Himmlischen begehren. Schon beginnt sie "Elisabeth zu dienen", das ist: jenen, die göttliche Weisheit erleuchtet und göttliche Gnade zu höherer Liebe in Flammen setzt. Und dies tritt deutlich hervor, denn vielen geschieht es so mit Notwendigkeit: Je mehr sie der Welt sich entziehen, um so inniger werden sie den guten Menschen liebenswert und vertraut, so dass um so mehr der Schlechten Gesellschaft ihnen widerstrebt, je süßer der Guten und geistlich Lebenden ehrenhafter Umgang ihre Liebe weckt und in Flammen setzt; "denn", wie der hl. Gregorius sagt, "wer einem heiligen Mann anhängt, dem wird zuteil, dass er - durch jenes Mannes beständigen Anblick, durch seiner Unterredung Genuss, durch seines Wandels Beispiel - selbst entbrennt in Liebe zur Wahrheit, dass er der Sünden Finsternis flieht und zur Liebe des göttlichen Lichtes entflammt wird." Darum sagt Isidorus: "Suche auf der Guten Gesellschaft. So nämlich fügt es sich: Wie du warst Genosse des Umgangs, so wirst du auch sein Genosse der Tugend." - Hier bedenke die gläubige Seele, wie keusch, wie heilig und andächtig jener Heiligen Gespräche waren, wie göttlich und heilsam die Ratschläge, wie wunderbar heilig und innig gemeinschaftlich in gegenseitiger Anteilnahme die Werke, indem ein jeder den andern durch Wort und Beispiel zum Besseren aufrief.
3. So magst du denn tun, andächtige Seele, wenn du vom Heiligen Geist neue Sehnsucht zu himmlischem Leben empfangen zu haben fühlst. Flieh der Schlechten Gemeinschaft, steige hinan mit Maria, suche der geistlichen Männer Rat, mühe dich der Vollkommenen Fußtapfen nachzufolgen, betrachte der Guten Worte, und ebenso ihre Werke und Beispiele. - Fliehe der Verderbten giftige Ratschläge, die stets zu verkehren trachten und zu hindern streben, die ohne Unterlass die neue Sehnsucht des Heiligen Geistes verunglimpfen und allzu oft unter dem Anschein der Frömmigkeit das Gift verruchter Lauheit einträufeln; indem sie sagen: "Allzu groß ist dies dein Beginnen, allzu steil der Weg deines Vorsatzes, unerträglich das, was du tust. Die Kräfte stehen dir nicht zu Gebote; die natürlichen Fähigkeiten ermangeln; der Kopf wird verwirrt; die Augen verderben; Krankheiten wird vielerlei Nahrung geboten; Schwindsucht, Lähmung, Stein, Schwindel des Kopfes, Verdunkelung der Vernunft und Verfall der Kräfte - all dem wirst du unterliegen, wenn du dich nicht des Begonnenen enthältst und mehr auf den Vorteil des Körpers achtest. Für deinen Stand ist solches nicht ziemlich, durch dies wird Ehre verringert und Ansehen." - Du siehst, wie schon zum Lehrer der Zucht und zum Arzt des Leibes geworden, der weder die eigenen Sitten zu ordnen weiß noch des eigenen Gemütes Krankheit zu heilen. Wehe, wehe, wie Viele und wie Große hat der verfluchte Ratschlag der weltlich Gesinnten zu Fall gebracht, die Empfängnis des Gottessohnes durch den Heiligen Geist in ihnen erstickend! Dies ist jener elende Trank, jene todbringende teuflische Überredung, die in vielen die geistliche Empfängnis verhindert, in den meisten die schon im Vorsatz geformte oder im Gelübde vollzogene Empfängnis tötet und auslöscht.
4. Doch gibt es auch andere, die als gut und fromm erscheinen und vielleicht es auch sind; allzu furchtsam jedoch - so reden wir unbeschadet der Ehrerbietung - bedenken sie nicht, dass "noch nicht verkürzt ist die Hand des Herrn, so dass er nicht zu retten vermöchte", und erwägen nicht, dass noch nicht kleiner geworden die Liebe des Höchsten, so dass er nicht helfen wollte und könnte, - und so "haben sie den Eifer Gottes, aber nicht gemäß der Wissenschaft", da sie aus Mitgefühl mit körperlichem Leiden oder in Befürchtung natürlicher Schwäche - indessen sie andere mannhaft vollführen sehen, was sie selbst schon längst für gut und heilig erachtet und dennoch nicht gewagt in Angriff zu nehmen - die Menschen zurückziehen von den Werken der Vollkommenheit. Sie raten ab von dem, was über den Stand des gemeinen Lebens hinausgeht, und vernichten die heiligen Ratschläge der göttlichen Eingebung, welche, je mehr sie in Hinsicht des Lebens die höchste Bürgschaft, - von jenen eben um so mehr für gefahrvoll erachtet werden.
5. Diese reden zuweilen, indem sie sehr schlau nach des alten Feindes Erfindung einwerfen: "Wenn du dies oder jenes tust, wirst du für einen Heiligen, für einen guten und andachtsvollen Ordensmann gelten. Und da in dir noch nicht ist, was die andern von dir vermeinen, wirst du im Angesicht des höchsten Richters, der deine großen, schweren und abscheuerweckenden Sünden kennt, ein Schuldiger sein, wirst das Verdienst deines Werkes verlieren und als einer, der heuchelt und Tugend vorspiegelt, gerichtet werden." Solche Übungen nennen sie Sache jener, die keinerlei Schlechtes getan, die heilig und schuldlos gelebt, die alles um Gottes willen verlassen, die zu aller Zeit des Lebens Gott in vollkommener Weise angehangen.
6. Aber auch diese, geliebte, gottandächtige Seele, sollst du meiden; "steige hinan zu dem Berg" mit Maria. Nicht hatte Paulus ohne Sünde gelebt, nicht lange hatte er Gott gedient, als er bis in den dritten Himmel entrückt ward und Gott von Angesicht zu Angesicht schaute. Maria Magdalena, ganz hochmutig, ganz der weltlichen Eitelkeit zugewandt, des Fleisches Begierden sich völlig überlassend, saß nicht lange danach zu Jesu Füßen unter den heiligen Aposteln und lauschte der andachtsvollen Lehre der Vollkommenheit; als erste von allen ward sie bald danach Gott zu schauen gewürdigt, und sie war es auch, die den andern die Worte der Wahrheit beharrlich verkündete. Denn "nicht sieht Gott auf die Person", nicht misst er nach dem Adel des Geschlechtes, nicht nach der Länge der Zeit, nicht nach der großen Zahl der Werke, sondern nach der höheren Glut und der größeren Liebe des andächtigen Gemütes. - Nicht nämlich fällt für ihn ins Gewicht, wie du einst gewesen, sondern wie zu sein du soeben begonnen. - Jener Menschen Ratschläge würden deshalb gar sehr zu tadeln sein, wären sie nicht durch - freilich zu missbilligende - Einfalt entschuldigt.
7. Kannst du also nicht durch Unschuld Rettung erlangen, so trachte danach, durch Reue gerettet zu werden; vermagst du es nicht, Katharlna oder Cäcilia zu sein, so sollst du es nicht verachten, Maria Magdalena oder Maria von Ägypten zu sein.
Flieh darum eilends, wenn du in heiligem Vorsatz Gottes süßesten Sohn empfangen zu haben fühlst, vor jenen tödlichen Giften, und strebe sehnlichst nach Art einer Schwangeren, glücklich zur Geburt zu gelangen.
DAS ZWEITE FEST: AUF WELCHE WEISE DER SOHN GOTTES IM ANDÄCHTIGEN, GEMÜT GEISTLICH GEBOREN WERDE
1. Zum zweiten achte darauf und erwäge, wie dieser gebenedeite Gottessohn, der schon geistlich empfangen, - geistlich im Gemüt geboren werde. Geboren wird er nämlich, wenn nach Fassung eines gesunden Vorsatzes, nach hinlänglicher Erwägung des zu Tuenden, nach Anrufung der göttlichen Hilfe, der heilige Vorsatz zur Ausführung gebracht wird; wenn bereits die Seele beginnt, im Werk zu vollführen, was sie lange im Geist erwogen, aber dennoch sich anzugreifen gescheut aus Furcht, sie würde versagen. Bei dieser allerseligsten Geburt frohlocken die Engel, lobpreisen Gott und verkündenden Frieden denn wahrlich, wiederhergestellt wird der Friede des inneren Menschen; wenn so, was längst schon im Geist empfangen, in gutem Werke zur Tat wird. Nicht nämlich wird im Reich der Seele der Friede bewahrt, wenn das Fleisch dem Geist, der Geist dem Fleisch widerstrebt; wenn der Geist das Alleinsein, und das Fleisch die Menge liebt; wenn den Geist Christus ergötzt und das Fleisch die Welt; wenn der Geist die Ruhe gottvereinter Beschauung sucht und das Fleisch der Ehre weltlichen Ranges nachstrebt. Wird, umgekehrt, das Fleisch dem Geist untertan - nachdem, was lange Zeit durch das Fleisch verhindert, endlich verwirklicht worden -, so stellt dies endlich den inneren Frieden und inneren Jubel wieder her. O wie selig die Geburt, der solche Freude der Engel und Menschen folgt! "O wie süß und beseligend wäre es, sich gemäß der Natur zu verhalten, wenn jener Wahnsinn von uns ließe, nach dessen Heilung sogleich die Natur dem Natürlichen freundlich lächelte!" (S. Bern.) Schon würde man dann erfahren, dass wahr ist jenes Wort des Evangeliums: "Nehmt mein Joch auf euch" usw., und das Folgende: "Und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist süß und meine Bürde leicht."
2. Aber dies ist hier zu beachten, andächtige Seele: Wenn diese freudevolle Geburt dich beseligt, so ist es an dir, vorher Maria zu sein. "Maria" wird nämlich übersetzt als "bitteres Meer", als "Erleuchterin" und als "Herrin". So sei denn ein "bitteres Meer" durch tränenvolle Zerknirschung, so dass du über die begangenen Sünden bittersten Schmerz empfindest, über das unterlassene Gute aufs tiefste seufzest, über die vernachlässigten und verlorenen Tage unaufhörlich dich betrübst. - Sei zum zweiten eine "Erleuchterin" durch ehrenhaften Wandel, durch tugendvolle Werke und durch eifrige Unterweisung der andern im guten. - Sei drittens endlich eine "Herrin" der Sinne, der Begierden des Fleisches und aller deiner Werke, so dass du alle Handlungen nach dem richtunggebenden Urteile der Vernunft lenkest und in ihnen allen deine Rettung, des Nächsten Erbauung, Gottes Lobpreis und Herrlichkeit anstrebst und suchest.
3. Dies ist jene glückselige Maria, die um der begangenen Sünden willen trauert und seufzt, die in Tugend erstrahlt und glänzt, die die fleischlichen Lüste beherrscht. Von dieser Maria geistlich geboren zu werden, - freudenvoll, ohne Schmerz und ohne Mühsal, - verschmäht Jesus Christus nicht. Nach dieser glückseligen Geburt erkennt und schmeckt sie, wie "süß der Herr" Jesus. Und er ist wahrlich süß, wenn er genährt wird durch heilige Betrachtungen, wenn er gebadet wird in andachtsvollen und warmen Quellen von Tränen, wenn er eingehüllt wird in den keuschen Hüllen sehnsüchtiger Wünsche, getragen wird in der Liebe Umarmungen, stets von neuem geküsst durch häufige Gefühle der Andacht und gewärmt am inneren Busen des Gemütes. So also wird das Jesuskind geistlich geboren.
DAS DRITTE FEST: AUF WELCHE WEISE DAS JESUSKIND VON DER ANDÄCHTIGEN SEELE GEISTLICH ZU BENENNEN SEI
1. Zum dritten ist zu betrachten, wie dieses gebenedeite Kindlein, das geistlich geboren ist, zu benennen sei. Und ich meine, dass es nicht passender genannt werden kann als Jesus, da geschrieben ist: "Mit Namen wurde er 'Jesus' genannt". Dies ist jener heiligste Name, von den Propheten vorausgesagt, von den Engeln verkündet, von den Aposteln gepredigt, von allen Heiligen ersehnt. O Name voll Kraft und Gnade, voller Freude, Wonne und Herrlichkeit! Voll Kraft, denn er besiegt die Feinde, stellt wieder her die Kräfte, erneuert die Geister; - voller Gnade, denn in ihm besitzen wir des Glaubens Begründung, des Hoffens Befestigung, der Liebe Vermehrung, der Gerechtigkeit Ergänzung; voller Freude, denn er ist "Frohlocken im Herzen, Gesang im Ohr, Honig im Mund", Strahlen im Geist; - voll süßer Wonne, denn "gedacht, gibt er Nahrung, - ausgesprochen Sänftigung, - angerufen Salbung", - geschrieben Erquickung, - gelesen Unterweisung; - ein Name wahrhaft der Herrlichkeit voll, denn den Blinden verleiht er das Gesicht, den Lahmen den Gang, den Tauben das Gehör, Sprache den Stummen, Leben den Gestorbenen. Wahrlich also gebenedeiter Name, der so große Wirkung seiner Kraft offenbart! O Seele, ob du schreibst, oder lesest, oder lehrst oder was immer tust, - möge nichts dir schmecken, nichts dir wohlgefallen außer Jesus! So nenne denn "Jesus" dein Kindlein, das in dir geistlich geboren ist: den "Erlöser" .:..in dieses Lebens Verbannung und Elend; erlösen möge es uns von der Eitelkeit der Welt, die dich anficht, von des Teufels Falschheit, die dich bedroht, von der Schwachheit des Fleisches, die dich quält.
2. Rufe, o andächtige Seele, unter so zahlreichen Geißeln dieses Lebens: O Jesu, Erlöser der Welt, erlöse uns, der du uns durch dein Kreuz und Blut erkauft hast, hilf uns, Herr, unser Gott! Erlöse - so sage ich - allersüßester Jesu Erlöser, durch Stärkung des Schwachen, durch Tröstung des Betrübten, durch Stützung des Gebrechlichen, durch Festigung des Unbeständigen.
3. O welche Süßigkeit fühlte immer von neuem, nach der Verleihung des gebenedeiten Namens, jene glückselige Mutter, die Jungfrau Maria, die Mutter war der Natur nach und wahrhaft auch geistiger Weise, - als sie inne ward, dass in diesem Namen die bösen Geister vertrieben, die Wunder gehäuft, die Blinden erleuchtet, die Kranken geheilt, die Toten wiedererweckt zu neuem Leben! So musst auch du, o Seele, geistliche Mutter, gewiss nach Gebühr dich freuen und jubeln, wenn du in dir und anderen wahrnimmst, wie dein gebenedeites Kind Jesus "Teufel austreibt" im Abstehen von der Sünde, "die Blinden erleuchtet" durch Eingießen der wahren Erkenntnis, "die Toten wiedererweckt" in Erweisung der Gnade, "die Kranken gesund macht, die Lahmen heilt, die Gelähmten und Verkrümmten gerade richtet" in der geistlichen Stärkung, so dass durch die Gnade nun kräftig und mannhaft werden, die vorher hinfällig und schwach durch die Schuld. O wie glücklich und selig der Name, der solche Tugend und Wirkung zu besitzen gewürdigt!
DAS VIERTE FEST: AUF WELCHE ART DER SOHN GOTTES VON DER ANDÄCHTIGEN SEELE IN GEMEINSCHAFT MIT DEN WEISEN ZU SUCHEN UND ANZUBETEN SEI
1. Es folgt die vierte Feier, die in der Anbetung der Weisen besteht. Nachdem nämlich die Seele dieses allersüßeste Kind durch die Gnade geistlich empfangen, geboren und benannt hat, erachten drei Könige, das ist drei Kräfte der Seele, - die 'sehr gut "Könige" genannt werden, da sie bereits dem Fleisch gebieten, die Sinne beherrschen und, wie sich ziemt, nur mit gottgerichtetem Streben befasst sind, - sie erachten, das Kind, welches schon durch vielfache Wirkung in der königlichen Stadt - das ist: im Gebäude der ganzen Welt - ihnen offenbart ist, nunmehr suchen zu müssen. So suchen sie denn in Betrachtungen, forschen nach in Bewegungen des Gemütes, fragen in frommen Gedanken: "Wo ist, der geboren worden? Gesehen haben wir seinen Stern im Aufgang"; gesehen haben wir seine Helle aufleuchten im frommen Gemüt, gesehen seinen Schimmer, erglänzend im Innersten der Seele, gehört seine Stimme, die die allersüßeste, - geschmeckt seine Süßigkeit, die die allerlieblichste, - empfunden seinen holdesten Duft, empfangen seine beseligendste Umarmung. Nun, Herodes, gewähre Antwort, zeige den Geliebten, weise das ersehnte Kindlein. Dieses ist es, nach dem wir verlangen und suchen.
2. "O süßester, o liebeerfülltester ewiger Knabe, du Kind von alters her lebend, wann werden wir dich sehen, wann dich finden, wann vor deinem Angesicht erscheinen? Überdruss ist, ohne dich sich zu freuen, Seligkeit, mit dir sich zu freuen, wie mit dir zu weinen. Alles, was dir entgegen, ist uns zur Last; was dir wohlgefällt, unsere unauslöschliche Sehnsucht. O - ist es so süß, um dich zu weinen, welche Süßigkeit muss es wohl sein, an dir sich zu freuen! " Wo also bist du, den wir suchen? Wo bist du, den wir in allem und vor allem ersehnen? "Wo bist du, der du geboren bist als Herrscher der Juden" - als Gesetz der Frommen, als Leuchter der Blinden, als Leben der Sterbenden, als das ewige Heil der in Ewigkeit Lebenden?
3. Es folgt als passende Antwort: "Zu Bethlehem in Juda." "Bethlehem" wird als "Haus des Brotes", "Juda" als "der Bekennende" übersetzt. Dort nämlich wird Christus gefunden, wo nach Bekenntnis der Vergehen das Brot des himmlischen Lebens, das ist: des Evangeliums Lehre gehört, erwogen und andächtigen Sinnes bewahrt wird - auf dass sie im Werk sich erfülle und den andern als ein zu Erfüllendes vor Augen trete. Dort wird das Jesuskind, mit Maria, der Mutter, gefunden, wo nach tränenvoller Reue und fruchtbringendem Schuldbekenntnis die himmlische Süßigkeit der Beschauung und Tröstung zu ihrer Zeit inmitten reichlichster Tränen verkostet wird, wenn das Gebet den Geist, den es fast in Verzweiflung gefunden, voll Freude und auf Vergebung hoffend zurücklässt. O glückselige Maria, von welcher Jesus empfangen wird, aus der er geboren, mit der er so süß und so freudigerweise gefunden!
Aber auch ihr, o Könige, das besagt: ihr natürlichen Kräfte der andächtigen Seele, sollt suchen mit den irdischen Königen, auf dass ihr ihn anbetet und Geschenke darbringt. Betet an mit Ehrfurcht, denn er ist der Schöpfer, Erlöser und Vergelter: Schöpfer in des natürlichen Lebens Erzeugung, Erlöser in des geistlichen Lebens Wiederherstellung, Vergelter in des ewigen Lebens Spendung. O ihr Könige, betet an mit Ehrfurcht, denn er ist der allermächtigste König, betet an nach Gebühr, denn er ist der allerweiseste Lehrer, betet an mit Freude, denn er ist der freigebigste Fürst. - Und nicht genüge Euch Anbetung, wenn sie nicht mit der Gaben Darbringung vereint ist. Bringt dar, so sage ich, das Gold der brennendsten Liebe, bringet dar den Weihrauch der andächtigsten Beschauung, bringet dar die Myrrhe der bittersten Reue: das Gold der Liebe wegen der gespendeten Güter, den Weihrauch der Andacht wegen der vorbereiteten Freuden, die Myrrhe der Reue wegen der begangenen Sünden, - das Gold bietet dar seiner ewigen Göttlichkeit, den Weihrauch der Heiligkeit seiner Seele, die Myrrhe der Leidunterworfenheit des Körpers. - So suchet denn, ihr Kräfte der Seele, betet an und bringet Geschenke dar!
DAS FÜNFTE FEST: AUF WELCHE WEISE DER SOHN GOTTES IM TEMPEL DARGEBRACHT WERDE
1. Zum, fünften und letzten betrachte die andächtige und glaubensvolle Seele, auf, welche Weise das Kind - geboren durch Vollbringung gotterfülIter Werke, benannt durch Verkosten himmlischer Süßigkeit, gesucht und gefunden, angebetet und geehrt durch Darbringung geistlicher Gaben - im Tempel darzustellen sei, um dem Herrn aufgeopfert zu werden, - nämlich durch andächtiges und demütiges Abstatten des geschuldeten Dankes. Nachdem nämlich diese glückselige Maria, Jesu geistliche Mutter, in des gebenedeiten Sohnes Empfängnis gereinigt ward durch die Buße, nachdem sie in etwa bereits in der Geburt gestärkt durch die Gnade, nachdem sie auch schon durch Verleihung des gebenedeiten Namens im Innersten getröstet und endlich in der Anbetung mit den Königen göttlich unterwiesen, was bleibt anderes, als dass sie nach dem himmlischen Jerusalems trage in den Tempel der Gottheit, und dort darstelle jenen, der Gott ist, Gottes und der Jungfrau Sohn?
2. Steige also hinan, geistliche Maria, - nicht mehr zu den Gebirgen, sondern zu den Wohnstätten des himmlischen Jerusalems, zu den Palästen der Stadt in der Höhe. Dort, vor dem Thron der ewigen Dreifaltigkeit und unteilbaren Einheit beuge in Demut das geistliche Knie; dort stelle Gott, dem Vater, deinen Sohn dar, - indem du den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geist lobest, rühmst und benedeiest. Lobe mit Frohlocken Gott, den Vater, durch dessen Eingebung du den guten Vorsatz empfangen. Rühme mit Lobpreis Gott, den Sohn, durch dessen innere Unterweisung du den empfangenen Vorsatz im Werke ausgeführt. Benedeie und ehre die Heiligkeit Gottes, des Heiligen Geistes, durch dessen Tröstung du in der guten Übung bis jetzt verharrt bist.
3. O Seele, rühme Gott, den Vater, in all seinen Gaben und all deinen Gütern, denn er selbst ist es, der dich aus der Welt durch verborgene Eingebung wegberufen, gleichsam sprechend: Kehre um, kehre um, Sunamitin. - Gott, den Sohn, verherrliche in allen seinen, Heiligen. Er selbst nämlich ist es, der von des Teufels Knechtschaft durch seine heimliche Unterweisung dich befreit hat - indem er sprach: "Nimm mein Joch auf dich" - das Joch des Teufels wirf von dir. Sein Joch ist das bitterste, meines das süßeste. Seinem Joch wird folgen ewige Qual und Marter, dem meinen süßeste Frucht und Erquickung in Fülle. Gewährt das seine jemals Süßigkeit, so ist sie trügerisch und augenblicklich; wenn meines Freude spendet, so ist sie wahrhaft und heilsam. Jener erhebt seine Diener für kurze Zeit um ein weniges, um sie für ewig zuschanden zu machen, - wer mir hingegen Ehre erweist, wird solcher Art für den Augenblick erniedrigt, dass er ewig herrscht und in Glorie steht. - Dieses war die Lehre durch welche der Gottessohn - zuzeiten durch sich selbst, zuzeiten durch seine Lehrer und Freunde - dich unterwiesen und von des Teufels lügenhafter Überredung, von des Fleisches und der Welt schmeichlerischer Täuschung befreit hat. - Und Gott, den Heiligen Geist, sollst du stets benedeien und heilig verehren, - der durch seine honigfließende Tröstung dich im guten gestärkt hat, sprechend: "Kommt zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich werde euch erquicken." Denn wie, o Seele, so schwach und zart, so gebrechlich und hinfällig, gewöhnt an die Lüste der Welt, von den Freuden dieser Zeit wie von unflätigem Wein in der Art von Schweinen berauscht, - wie hättest denn du unter so vielen und gefährlichen Netzen des alten Feindes, unter soviel falschen Ratschlägen, unter so vielfältigen Hindernissen, unter so zahllosen Geschossen der Freunde, Verwandten und anderen nahestehenden Menschen, die dich von dem Wege der Liebe zurückzuziehen suchten, - im Guten verharren, ja, von soviel Sündenfesseln umwunden, sogar im Guten fortschreiten können, hätte dir nicht die Gnade des Heiligen Geistes barmherzig zur Seite gestanden und gar oft dir süße Tröstung und Erquickung gespendet? Auf ihn denn führe all deine Werke zurück, für dich sollst du nichts zurückbehalten.
4. Sprich mit reiner und andachtsvoller Meinung des Gemütes: "All meine Werke hast du vollbracht, o Herr", in deinem Angesicht bin ich nichts, vermag ich nichts; von deinem Schenken rührt her, dass ich bin, ohne dich kann ich nichts vollbringen. Dir, o mildester "Vater der Erbarmungen", biete ich dar, was deines ist, dir empfehle, dir übergebe ich mich Unwürdigen, und als undankbar für all deine Gaben erkenne ich mich in Demut. Dir sei Lob, dir Ruhm, dir Danksagung, heiligster Vater, ewige Majestät, der du mich durch deine grenzenlose Macht aus dem Nichts erschaffen! - Dich lobe, dich rühme, dir danke ich, heiligster Sohn, Abglanz des Vaters, der du durch deine ewige Weisheit mich vom Tod befreit! - Dich benedeie ich, dich heilige ich, dich bete ich an, Heiliger Geist, hocherhabener, der du mich durch deine gebenedeite Güte und Milde von der Sünde zur Gnade, von der Welt zum gottseligen Leben, von der Verbannung zur Heimat, von der Mühsal zur Ruhe, von der Trauer zur Süßigkeit des heitersten und freudenreichsten seligen Genusses berufen! Den uns gewähre Jesus Christus, Mariä, der Jungfrau, Sohn, der mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!
DER MYSTISCHE WEINSTOCK ODER TRAKTAT VON DEM LEIDEN DES HERRN
VORWORT
"Ich bin der wahre Weinstock ..." O Jesus, du gütiger Weinstock, komme! "Baum des Lebens", welcher "steht in der Mitte des Paradieses", Jesus Christus, du unser Herr, dessen "Blätter zum Heilmittel sind", dessen Früchte aber zum ewigen Leben; du gebenedeite Blüte zugleich und Frucht jenes gebenedeiten Reises, der allerkeuschesten Jungfrau und Mutter, - du, ohne den niemand weise ist, weil du ja bist des ewigen Vaters Weisheit: würdige dich, meinen schwachen und dürren Geist mit dem Brot der Einsicht und dem Wasser der Weisheit zu stärken,damit, indem du selbst, "Schlüssel Davids", eröffnest, mir das Verborgene entriegelt werde, indem du selbst, o "wahrhaftes Licht", deine Strahlen sendest, das Dunkle sich offenbare; auf dass wir alle, der Redende sowohl wie die Hörenden, während durch mich du selbst offenbarst und erleuchtest, des ewigen Lebens teilhaft werden! Amen!
ERSTES KAPITEL: VON DEN EIGENTÜMLICHKEITEN DES WEINSTOCKES
1. "Ich bin der wahre Weinstock ... " Lasst uns, mit dem Beistand Jesu Christi, unseres Herren selbst, den Blick hinwenden auf gewisse Besonderheiten des irdischen Weinstocks, an denen wir zugleich auch der Eigenschaften jenes himmlischen Weinstocks inne zu werden vermöchten. Aber nicht nur auf solches lasst uns das Auge richten, was dem Weinstock natürlicherweise innewohnt, vielmehr auch auf das, was von außen zum Zweck seiner Pflege hinzugebracht wird.
2. Es begegnet nun dem Blick als Erstes, dass für gewöhnlich der Weinstock gepflanzt wird und nicht gesät; übertragen von seinem Ursprungsstock wird er gepflanzt; dies scheint mir auf Jesu Empfängnis Bezug zu haben. Der Weinstock nämlich, im Beginn entsprossen dem Weinstock, ist Gott, der erzeugt ist von Gott, - der Sohn von dem Vater, gleich ewig und gleichen Wesens mit dem, aus dem er ersteht. Doch um reichere Frucht zu bringen, ward er in die Erde gepflanzt, das ist: im Schoße der Jungfrau Maria empfangen, - werdend, was er nicht war, bleibend, was er gewesen. Gebenedeit diese Erde, welche aller Völker Benedeiung hervorbringt! O wahrhaft gebenedeit, die durch Gottes spendende Güte, erzeugt hat so gebenedeite Frucht. Dies ist die Erde, von welcher gesagt ward: "Nicht hat jemand Mühe an sie gewandt, sondern bewässert ward sie von dem Quell, der aufsteigt vom Paradies her." Und fürwahr, nicht hat diese Erde menschliches Wirken erfahren, dass empfangen werde in ihr der Sohn Gottes, sondern durch das Wasser des Heiligen Geistes ward sie bewässert. So nämlich liest du: "Der Heilige Geist wird dich überkommen und des Allerhöchsten Kraft dich beschatten." Und zum zweiten wurde von jener Erde geschrieben: "Es tue sich auf die Erde, und sie lasse hervorsprießen den Erlöser!" Und wahrlich, auftat im Glauben sich jene Erde, die selige Jungfrau Maria, - gläubig gehorchend den Worten des Engels; und hervorsprießen ließ sie den Weinstock der Rettung, unsern Erlöser, "der des ewigen Lebens Belohnungen spendet". - Nachdem so unser Weinstock zum Licht entsprossen, ward zu dem, was ihm eigentümlich, einiges noch hinzugefügt, was auf seine Pflege Bezug hat.
ZWEITES KAPITEL: VON DER BESCHNEIDUNG DES WEINSTOCKES
1. Es wird ein fruchtbarer Weinstock gewöhnlich beschnitten, was sowohl leibhaft wie bildlich genommen werden kann. Beschnitten ward unser Herr Jesus Christus, nicht als ob er dieser Beschneidung selbst bedurft, sondern auf dass er uns in unseren Schmerzen tröste mit den Schmerzen jenes, der nicht um seiner selbst, sondern um unseretwillen gelitten hat, der verwundet ward nicht für sich selbst, sondern um unseren Schmerzen Heilung zu bringen.
2. Aber wir können unseres Weinstocks, des liebreichsten Jesus, Beschneidung auch in anderem Sinne verstehen, - so nämlich, dass wir alles das "von ihm losgeschnitten" nennen, woran er in diesem Leben Entbehrung litt, obwohl in seiner Macht stand, es zu besitzen. - Lasst uns also diese Beschneidung gemäß dem Wort des Apostels verstehen, der von ihm sagt: "... welcher, da er in Gottes Gestalt war, sich selbst entäußert hat, indem er Knechtsgestalt annahm." Dieses "Sich-selbst-entäußern" ist an sich nämlich schon eine Art von Beschneidung; denn wie der Weinstock geringer wird durch die Beschneidung, so wird auch der "wahre Weinstock", unser Herr Jesus Christus, in der Fleischwerdung "geringer gemacht denn die Engel", ja selbst unter alle Menschen erniedrigt.
3. "Auf welche Weise?" Abgeschnitten ward ihm der Ruhm mit dem Messer der Schmach, die Macht mit dem Messer der Verwerfung, die Lust mit jenem des Schmerzes, der Reichtum mit dem Messer der Armut. Und nun erblicke, "wie sehr" er beschnitten ward. Jener, dem dienstbar ist alle himmlische Herrlichkeit, ja der selbst allein die Herrlichkeit ist, er hat gleichsam die Herrlichkeit von sich geworfen, - er wird umhüllt mit dem Kleid des Knechts, nimmt auf sich Schmähung, wird bekleidet mit Schande über Schande, - auf dass er uns von der Schande loskaufe und die vormalige Herrlichkeit wieder erneuere. Jener, dessen mächtiger Wink allem gebietet, was in der Tiefe, was auf Erden und über den Himmeln ist, - er wird so völlig erniedrigt, dass man ihn achtet für den "letzten aller Männer"; untertan wird er dem Hunger, dem Durst, Hitze, Kälte, und Krankheit und endlich verfällt er sogar der Marter des Todes. Er, der "wohnt in unzugänglichem Licht", "dessen Anblick die Engel ersehnen", dessen bloßer Duft so sehr berauscht der Heiligen Seelen, dass sie, der gegenwärtigen Welt wie ihrer selbst vergessend, mit all ihren Kräften ihm nacheilen, - er wird so großem Schmerz unterworfen, dass man wahrhaft erfüllt weiß, was er vorher durch den Propheten gesprochen: "O ihr alle, die ihr auf dem Weg vorübergeht, merkt auf und seht, ob ein Schmerz ist gleich meinem Schmerz!" "In dem alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind," der reich' ist in allem, der allein keiner Sache bedürftig, - er wird so arm, nach seinem eigenen Zeugnis, dass er ärmer noch denn die Füchse der Erde und Vögel des Himmels; sagt er doch: "Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel des Himmels ihre Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wo er sein Haupt niederlege," er, der arm war in seiner Geburt, ärmer während des Lebens, am ärmsten an dem Kreuz. Soeben geboren, hatte er als Nahrung der Jungfrau Milch, als Hülle geringe Windeln. Schon während des Lebens erlitt er jedoch, wenn er auch Kleidung besaß, sich zu decken, nur zu häufig Mangel an Nahrung. In seinem Tod aber wirst du nackt sowohl als dürstend ihn finden, es sei denn, du erblicktest eine Erquickung für seinen Durst in dem "Essig, der mit Galle und Wermut gemischt".
4. Endlich aber sind mit dem Messer der Furcht losgeschnitten von ihm alle Freunde und Verwandten, auf dass "niemand sei, der ihn tröste, von allen die ihm teuer". Denn "die Kelter hat er allein getreten, und von den Menschen war keiner mit ihm". Und als "sein Herz die Schmach erfuhr, da schaute er, wer mit ihm sich betrübe, und es war keiner, der ihn tröstete, und er fand einen solchen nicht". Siehe jetzt, wie sehr beschnitten ward unser Weinstock, der allergütigste Jesus! Welcher Weinstock hat jemals solche Beschneidung erduldet? Doch ist als wahrhafter Trost für diese Verwundung vielfältige Frucht der vielfachen unvergleichlichen Beschneidung gefolgt.
DRITTES KAPITEL: VON DER UMGRABUNG DES WEINSTOCKES
1. "Rings umgraben" wird auch der Weinstock. Unter diesem Graben verstehen wir den Betrug jener, die ihm Nachstellung bereiten; denn eine Grube verfertigt gleichsam, wer mit Arglist gegen jemanden Täuschung ins Werk setzt. Klagend spricht er deshalb: "Sie haben vor meinem Angesicht eine Grube gegraben." Nicht nämlich konnte jenem eine List verborgen werden, dessen Auge vorwärts und rückwärts blickt, der sowohl das Zukünftige wie auch das Vergangene schaut, als wäre es gegenwärtig. Lasst uns eine jener Gruben als Beispiel zeigen: "Sie führen", so spricht das Evangelium, zu Jesus, unserem Herrn, "eine ehebrecherische Frau", redend, dass "Moses eine solche im Gesetz zu steinigen gebot. Was sagst du jedoch?" Siehe hier die Gruben des wahren Weinstocks, mit denen die bösen Landleute unseren seligen Weinstock, Jesus, unseren süßesten Herrn, umgeben, nicht um ihn emporsprießen, sondern um ihn verdorren zu lassen. Aber wahrlich, zum Gegenteil ist ausgeschlagen ihr Streben, und der Umgrabene ward groß und ließ auf uns niederträufeln den Saft der Barmherzigkeit.
2. Bei weitem wäre es jedoch zu viel, alle Gruben im einzelnen zu nennen, welche die bösen Landleute bereiteten, - sie, die ja all seine Worte wie Taten zu verleumden suchten. Sobald sie aber gesehen, dass die Umgrabung in nichts dem Weinstock schade, dass vielmehr die Grabenden selbst in ihre Gruben fielen, - mühten sie sich nicht mehr den Weinstock nur rings zu umstechen, sondern suchten ihn selbst zu durchstechen, damit er auf diese Art wenigstens, nach der Weise der anderen Gewächse, ewiger Verdorrung anheim fiele. So stachen sie denn und durchstachen nicht nur die Hände, sondern auch die Füße, und durchbohrten die Seite und des allerheiligsten Herzen Innerstes mit der Lanze der Wut, das längst ja schon durch der Liebe Lanze durchbohrt gewesen. "Verwundet hast du", so spricht er, "mein Herz, du meine Schwester, meine Braut, verwundet hast du mein Herz." Es hat verwundet dein Herz, o liebeglühendster Jesus, "deine Braut, deine Schwester, deine Geliebte"; was tat es not, dass es weiter noch von deinen Feinden verwundet werde? Was seid ihr geschäftig, ihr Feinde? Wenn es verwundet ist, - und wahrlich, es ist verwundet des süßesten Jesu Herz, - was fügt ihr eine zweite Wunde hinzu? Wisst ihr denn nicht, dass das Herz, von einer Verwundung betroffen, abstirbt und in gewisser Weise empfindungslos wird? Abgeschieden ist das Herz meines süßesten Herren, denn es ward verwundet; es nahm Besitz die Wunde der Liebe von Jesu, des Bräutigams, Herz, - Besitz hat ergriffen von ihm der Tod der Liebe. Wie wird ein zweiter Tod in ihm Eingang finden? "Stark wie der Tod" - und wahrlich, stärker noch als der Tod - "ist die Liebe". Nicht kann vertrieben werden der erste Tod, - die Liebe nämlich zu jenen vielen, die im Tod befangen - aus dem Haus des Herzens, da er es ja für sich, den Unverwundbaren, durch seine Wunde erworben hat. Wenn zwei, die gleich stark sind, einander bekämpfen, von denen der eine im Haus, der andere außen, wer zweifelte dann, dass der im Innern befindliche siegen werde? Und dazu ziehe noch in Betracht, wie gewaltig die Kraft jener Glut, die das Haus des Herzens in Besitz hält und durch die Wunde der Liebe tödlich versehrt; und das nicht allein in dem Herzen Jesu, sondern auch in dem seiner Diener. Auf diese Art war ja längst schon verwundet und abgestorben das Herz unseres Herren, "der ertötet ward um unseretwillen den ganzen Tag, gleichgeachtet dem Schaf, das geschlachtet wird". Hinzu kommt dennoch der leibliche Tod und siegt für die Zeit, um besiegt zu werden für ewig.
3. Doch da wir einmal zu dem Herzen unseres süßesten Herren gelangt sind und "es gut für uns ist, hier zu weilen", - so mögen wir nicht so leicht uns losreißen lassen von jenem, über welches geschrieben ist: "Die von dir sich entfernen, werden dem Staub zugeschrieben werden." Doch was wird jenen zuteil, die zu dir hintreten? Nahen werden wir dir, so heißt es, - und "frohlocken und uns freuen in dir, die wir eingedenk" deines Herzens. "O wie gut und lieblich ist es zu wohnen" in diesem Herzen! Ein herrlicher Schatz, eine kostbare Perle ist dein Herz, o gütigster Jesu, eine Perle, die wir gefunden haben, da aufgegraben ward der Acker deines Leibes. Wer möchte diese Perle von sich werfen? Wahrlich, - vielmehr will ich alle meine Perlen darangeben, meine Gedanken und Gefühle eintauschen und mir jene erwerben, - indem ich "alle meine Gedanken werfe" auf des gütigen Jesus Herz und dieses ohne Trug "mich ernähren wird".
4. "Zu diesem Tempel hin", diesem Heiligtum der Heiligtümer, dieser Arche des Bundes "will ich anbeten und lobpreisen den Namen des Herrn", mit David sprechend: "Gefunden habe ich mein Herz, auf dass ich bete zu meinem Gott". Denn ich, der gefunden das Herz meines Herrn und Königs, meines Bruders und Freundes, des mildesten Jesus, ich sollte nicht anbeten? Wahrlich, ich werde anbeten! Sein Herz ist ja auch das meine, mit Kühnheit will ich es sagen. Wenn doch Christus mein Haupt, wie sollte, was meinem Haupt gehört, nicht auch mein Eigen sein? Wie nämlich meines Hauptes Augen wahrhaft die meinigen sind, so ist in gleicher Weise meines geistlichen Hauptes Herz auch das meinige. Wohl mir darum: denn siehe, ich habe mit Jesu ein Herz; und was Wunder, da ja auch "die Menge der Gläubigen ein Herz nur hatte". Darum will ich, o süßester Jesu, nachdem ich dieses Herz, das deines und meines, gefunden, dich anbeten als meinen Gott. Lass eindringen in das Heiligtum der Erhörung meine Gebete, ja ziehe mich selbst ganz und gar hinein in dein Herz. Denn hindert mich auch die Verkrümmtheit meiner Sünden, so ist doch jenes in unbegreiflicher Liebe weit und groß, und "du, der du der Einzige bist", vermagst es, "rein zu machen den von unreinem Samen Empfangenen"; darum, o du Schönster von allen, "wasche mich rein von meiner Unlauterkeit und von meiner Sünde reinige mich", auf dass ich, gereinigt durch dich, zu dir, dem Reinsten, hintreten könne und in deinem Herzen "alle Tage meines Lebens" gewürdigt werde "zu wohnen" - und "zu schauen" sowohl wie "zu tun deinen Willen".
5. Hierzu nämlich ward deine Seite durchbohrt, dass uns offen stehe der Eingang; hierzu verwundet dein Herz, dass wir im Innern des Weinstocks, - geschieden von allem, was von außen her in Verwirrung setzt - zu wohnen vermöchten. Nicht minder ward es jedoch auch hierzu verwundet, dass wir vermöge des sichtbaren Wundmals die unsichtbare Wunde der Liebe erschauten. Denn wer glühend liebt, der ist durch die Liebe verwundet. Wie könnte diese Glut besser sich offenbaren als dadurch, dass sie nicht nur den Leib, sondern sogar auch das Herz durch die Lanze versehrt werden ließ? Die fleischliche Wunde macht demnach die geistige sichtbar; und dies bestätigt in schöner Weise die vorher gebotene Gewährsstelle, an welcher zweimal dies Wort steht: "Du hast verwundet." Für jede der beiden Wunden ist nämlich jene Schwester und Braut die Ursache, - gleich wie wenn der Bräutigam unverhüllt sagte: "Weil du mich durch den Brand deiner Liebe versehrt, ward ich auch durch die Lanze des Kriegsknechts verwundet." Denn wer ließe für den Freund sein Herz verwunden, hätte es nicht zuvor die Wunde der Liebe empfangen? Darum spricht er: "Verwundet hast du mein Herz, meine Schwester, meine Braut, verwundet hast du mein Herz." Doch weshalb "Schwester" und "Braut"? Konnte denn nicht des liebenden Bräutigams Zärtlichkeit das Wort "Schwester" oder "Braut" allein offenbaren? - Und ebenso, weshalb "Braut" und nicht "Gemahlin", da sie doch - sei es: dass die Kirche, sei es: dass irgendwelche gläubige Seele gemeint ist - Tag für Tag unablässig ihrem Bräutigam der guten Werke Nachkommenschaft gebärt? Mit wenigen Worten sage ich es. Es werden gewöhnlich die Bräute glühender geliebt, wenn die Gemeinschaft noch frisch, - als später, wenn mit dem Fortschreiten der Zeit das Feuer der Liebe zur Ruhe gelangt. Deshalb nennt unser Bräutigam, um die Größe seiner nie durch die Zeit verminderten Liebe kundzutun, seine Geliebte: Braut, - denn seine Liebe ist immer neu.
6. Doch weil eine Braut auch fleischlich geliebt wird, darum redet er, auf dass du in der Liebe unseres Bräutigams nichts Fleischliches verspürest, diese seine Braut als Schwester an, da ja zur Schwester niemals eine fleischliche Neigung gefasst wird. Er spricht also: "Verwundet hast du mein Herz, meine Braut, meine Schwester", gleich als spräche er: "Da ich aufs höchste dich liebe wie eine Braut, und keusch wie eine Schwester, ward verwundet mein Herz um deinetwillen." Wer sollte das Herz, das so verwundet, nicht lieben? Wer sollte dem, der solcherart liebt, nicht die Liebe erwidern? Wer sollte den, der so keusch, nicht in Liebe umfassen? Es liebt gewiss den Verwundeten jene, die - selbst in der gegenseitigen Glut versehrt - den Ruf ertönen lässt: "Verwundet bin ich durch die Liebe." Es erwidert jene des Bräutigams Liebe, die ausruft: "Verkündet dem Geliebten, dass ich vor Liebe vergehe!" - Lasst also uns, die wir noch immer im Fleisch weilen, so sehr wir nur können, des Bräutigams Liebe erwidern; umarmen wir unseren Verwundeten, dessen "Hände und Füße", Seite und Herz die ruchlosen Landleute "durchstochen" haben; und beten wir darum, dass er unser Herz, welches so hart noch und unbußfertig, mit der Fessel seiner Liebe zu binden und mit ihrem Speer zu verwunden sich würdigen möge! Amen!
VIERTES KAPITEL: VON DER BINDUNG DES WEINSTOCKES
1. Es wird des weiteren der Weinstock "gebunden". - Wer sähe die Fesseln unseres Weinstockes nicht? Lasset sie uns ins Auge fassen! Die erste Fessel war, so meine ich, der Gehorsam. Gehorcht hat er nämlich dem Vater "bis zum Tod, dem Tod jedoch des Kreuzes". Gehorcht hat er der Mutter sowohl wie dem Joseph, nach jenem Wort: "Er kam nach Nazareth mit ihnen und war ihnen untertan." Gehorcht hat er auch den irdischen Richtern, indem er die Doppeldrachme bezahlte - Die zweite Fessel war der Jungfrau Schoß, "denn den die Himmel nicht zu fassen vermochten, hast du in deinem Schoß getragen". - Die dritte Fessel bestand in der Krippe, nach jenem Wort: "Ohne Heimat das Kind, in enge Krippe gelegt." - Die vierte Fessel war der Strick, mit dem man ihn band, als er gefangen wurde. "Es legten die Ungerechten ihre Hand an Jesus und fesselten ihn." O "König der Könige und Herr der Herrscher", was haben Fesseln mit dir zu tun? Gebunden werden die Weinstöcke; damit ihre Frucht, wenn sie am Boden daniederliegen, sich nicht mindere oder verderbe. Unverderblich aber ist deine Frucht. Warum also wird er gebunden? Als man, einstmals den Alexander, der von einem widerhakigen Pfeil durchbohrt war, mit Bitten bestürmte, er möchte sich für den Augenblick des Herausziehens binden lassen, weil er durch die leichteste Bewegung dem Tod verfallen könnte, - gab er sehr gut zur Antwort: "Nicht ziemt es sich, dass ein König gefesselt werde; frei soll sein und stets unversehrt des Königs Gewalt." O "Gott der Götter", wie wurde doch Abbruch getan deiner Freiheit und Macht? Mit so vielen Fesseln wirst du gebunden, der du allein die Freiheit besitzest, - gebunden wirst du, der du allein zu binden und lösen die Macht hast! Doch um deiner Barmherzigkeit willen geschah es, dass du dich binden ließest, auf dass du uns ledig machest unseres Elends. O wie grausam waren die Fesseln jener Grausamsten, mit denen sie dich, das mildeste Lamm, in Bande schlugen. Ich sehe, so wie es mir möglich - mit des Geistes Augen: wie du, o Jesus, mein Herr, von so harter Fessel umwunden, vor das Gericht des Hohepriesters und dann vor Pilatus geschleppt wirst. Ich sehe es und erschaudere, und verlöre vor Staunen die Besinnung, würde ich nicht mit voller Gewissheit erkennen, dass du vorher im Herzen durch der Liebe Bande gefesselt wardst, die leicht dich hatten bewegen können, die äußere Fessel auf dich zu nehmen. Dank deinen Fesseln, o gütiger Jesus, die die unseren so machtvoll zerreißen!
2. Die fünfte Fessel war jene, durch die er gebunden ward an die Säule, als man ihn geißelte, obwohl wir auch die Geißeln selbst, die seinen Körper rings umschlangen, nicht unpassend eine Fessel nennen können. Doch mögen sie noch so grausam, hart und ungerecht sein, dennoch liebe ich diese Bande der Geißeln, denen dein allerheiligster Leib übergeben ward zur Berührung, die von deinem allerheiligsten Blut so sehr durchtränkt sind. O gütiger Jesus! Wenn dein Blut in der Geißelung so reichlich vergossen wurde, dass die mit seinen Tropfen besprengte Säule, wie man sagt, bis heute rote Spuren bewahrt hat, wie viel Blut ist wohl an den Geißeln selbst, die doch deinen Leib zerrissen, haften geblieben! Siehe jedoch, wie wohl zu dieser Fesselung sich fügt, dass der Weinstock an einen Pfahl gebunden wird. Denn was kann besser unter diesem Pfahl verstanden werden als eben die Säule, an die der Herr gebunden ward? Wie nämlich der Weinstock an den Pfahl, so wird Christus an die Säule gebunden.
3. Die sechste Fessel war jene Dornenkrone, die sein liebliches Haupt mit großer Bitterkeit drückte und die Wundmale vieler Stacheln in ihm zurückließ, - die die Blutstropfen auf allen Seiten hervortrieb und wohl auch auf das ehrwürdige Antlitz herabfließen machte, das noch kaum von dem Speichel der Juden getrocknet. Grausam war diese Fessel, und die Qual, die zugefügt ward durch die Abzeichen der Ehre, sehen wir mit schmählichster Schändung verbunden. O "König der Glorie", gütiger Jesus, Krone aller, die dich bekennen, welche dir folgen, die kämpfen für dich, die siegen durch dich, die verharren in dir, - wer hat dich zu so bitterer Fessel der Schmach verdammt? Siehe, es "bedeckt Schande dein Haupt" und dein liebliches "Angesicht"; erwiesen wird dir von dem elenden und verderbten Geschlecht in der Krone die Ehre der Verhöhnung, in den Stacheln der Dornen aber wahrhafter Schmerz. Es streiten in dir Schändung und Schmerz, ich weiß nicht, durch welches von beiden du stärker gemartert wirst; Durch Verhöhnung trifft dich die Krone, durch Verwundung quälen die Dornen. So "geht heraus, ihr Töchter Sions, und erblickt den König Salomo geschmückt mit dem Diadem, mit dem ihn gekrönt seine Mutter am Tag seiner Vermählung und am Tag der Freude seines Herzens". Welche Seele sich immer als Tochter Sions, das ist: der Kirche bekennt, gehe heraus aus zeitlichen Sorgen, aus eiteln Gedanken, - und erblicke durch die Beschauung den König Salomo, das ist: Jesus Christus, der "unser Friede", Feindschaft zerstörend und Freundschaft erneuernd zwischen Gott und dem Menschen. - Erblicke diesen, o gläubige Seele, "im Diadem, mit dem ihn seine Mutter gekrönt", die Synagoge nämlich, das jüdische Volk. O bittere Mutter, was hat denn dieser dein guter Sohn gesündigt, dass er mit Dornenfesseln sogar gebunden wird? Dieser ist es ja, "der erlöst hat deine Gefangenen und aufgerichtet die Gebeugten,- Waisen und Witwen" tröstend, - und ein solcher verdiente gefesselt zu werden? Spendest du etwa dies als Mitgift, dies als Geschenk zu jenes Vermählung? Denn der "Tag der Verlobung" ist ja der erste von allen, - an Schmach zwar und Lästerung, an Trübsal und Elend, an Durchbohrung und Schmerz; an Fessel und Tod. Solcherart ist dieser Tag der Verlobung, und durch solches Unterpfand, o gläubige Seele, hat dein Bräutigam, "schön von Gestalt vor den Söhnen der Menschen", dich verpflichtet; und er selbst "schreitet" heute "einher wie ein Bräutigam", gekrönt nicht mit Gold, noch mit Edelstein, sondern mit Dornen. Doch mangelte nicht der Purpur dem Gewand des Spottes; denn "sie legten ihm einen Purpurmantel um", mochte er gleich das Kleid des Leibes durch seines allerheiligsten Blutes Vergießung um vieles edler mit Purpur gefärbt haben. Mit Purpur wird nicht öfter als zweimal gefärbt; er aber hat das Purpurkleid seines Leibes nicht zweimal nur, sondern durch einen dritten Blutstrom sogar gefärbt. Siehe, o Braut, deinen Bräutigam: gerötet im Schweiß, gerötet unter der Geißel, gerötet am Kreuz. Erhebe deines Geistes Augen und schaue, ob dies "das Gewand" deines Bräutigams "sei oder nicht". Siehe, "ein gar böses reißendes Tier", die hündische Wut, das jüdische Volk, "es verschlingt ihn", ein gar böses reißendes Tier, es verdammt deinen Sohn, deinen Bruder, deinen Bräutigam. Wer sollte hier von Schmerz nicht ergriffen werden? Wer hier Tränen und Klage zurückhalten? Denn wie sich fromme Liebe für Jesus freut, so ist, es ihr auch zu eigen, um Jesus, den von frommer Liebe erfüllten, zu weinen.
4. Die siebente Fessel - er ward mit ihr am Kreuz befestigt - war von Eisen. Diese Fessel jedoch war viel stärker und gewaltiger als die übrigen, da sie nicht nur der allerheiligsten Hände und Füße Zusammenfügung, sondern auch die allermildeste Seele von des allerreinsten Leibes Herberge geschieden. - Nun "gehet heraus, ihr Töchter Sions, und sehet" den friedebringenden Kämpfer für unsere Freiheit im Streit fallen. Seht unseres Lebens Urheber des Todes Schwelle betreten, um uns zu des Lebens Straße zurückzurufen. Seht die allerhärtesten Fesseln, die eisernen Nägel, wie sie die Hände und Füße, die stets auf das Heil gerichtet waren und unser "Heil wirkten inmitten der Erde", grausam durchbohren. Seht das Holz des Kreuzes, wie man es anlegt an unser Brot, das in Reinheit strahlendste Brot, das zarte Brot, "das Brot der Engel, das vom Himmel herabgekommen", damit es uns sich als Speise gebe, damit es unsere Seelen, die unablässiger Mühsal unterworfenen, mit sich selbst, mit keiner anderen Speise, erquicke; dies jedoch, indem er Fleisch für uns ward, nicht um zu unserem Fleisch sich selbst, sondern um uns zu seinem Geist zu gestalten. Seht doch, Geliebteste, wie er gebunden wird, wie "unter die Übeltäter" gerechnet wird unser aller freiester und allerbester Bräutigam. Es stirbt unser Leben, nicht fürwahr um seiner, sondern um unserer Notwendigkeit willen. Lasset der Tränen Ströme fließen für den in solcher Fessel Sterbenden, hat er doch selbst zuvor für uns seine Tränen vergossen. Steht zur Seite dem, der am Kreuz hängt, "seid still und schaut", zu welch bitterem, welch schimpflichem Tod er verdammt wird. Noch wartet er nämlich und blickt mit Sehnsucht, "ob jemand sei, der mit ihm sich betrübe", ob er jemand finde, der ihm Tröstung spende, der des Blutes Bäche ihm trockne, der seine Augen zudrücke, der die Nägel, mit denen er gefesselt, herausziehe, der ihn vom Kreuz herabnehme und in "reinem Tuch" nicht des Gewandes, sondern des Herzens zu Boden lege, - und mit den klageerfüllten heiligen Frauen weinend, zu dem Grab ihn geleite.
5. Lasst doch auch uns, nach der Mahnung des hl. Paulus, "herausgehen" mit unserem Bräutigam, dem gütigen, edelsten Jesus, "heraus aus dem Lager", das ist: den Begierden dieser Zeit, die "Schmach" des Kreuzes und der Fesseln Rauheit mit ihm "tragend", denn es ziemt sich nicht, dass das Glied sich in zartem Wohlsein befinde, wenn das Haupt über ihm gekreuzigt ist, und nicht gebe es vor, zu des Hauptes Leib als Glied zu gehören, wenn es nicht mit dem Haupt gelitten. - Mögen wir, uns denn binden lassen mit der Fessel des Leidens, das der gütige, liebeglühendste Jesus erduldet, auf dass uns auch der Liebe Fessel im Verein mit ihm zu binden vermöge. Schon durch der Liebe Fessel völlig gebunden, ließ er, das Leid zu erdulden, von dem Himmel zur Erde sich ziehen; mögen hingegen wir, die wir von der Erde nach dem Himmel uns sehnen, zuvor durch des Leidens Fessel mit unserem Haupt verknüpft sein, auf dass wir, durch Ihn zu der Liebe Fessel gelangend, endlich eins mit ihm werden mögen.
FÜNFTES KAPITEL: VON DER ÄHNLICHKEIT DES WEINSTOCKES UND ZWAR ZUNÄCHST IN BEZUG AUF SEINEN LEIB
1. Nachdem wir nun einesteils ins Auge gefasst, was an den Weinstock zur Pflege von außen hinzugebracht wird, mögen wir jetzt ihm selbst unseren Geist zuwenden, um vermittels gewisser ÄhnIichkeiten unseren wahren Weinstock, Jesus, unseren Herren, noch eigentlicher und näher zu beschauen. - Es wird die Gestalt des Weinstocks als Ganzes für unansehnlicher denn die aller Bäume und Sträucher erfunden und gleichsam als völlig wertlos und nichtig betrachtet, wie auch als nicht geeignet für irgend welchen Gebrauch.
Was aber spricht sich hierin aus? Der Leib des irdischen Weinstocks müsste den Leib unseres Weinstocks, Jesu, unseres Herren, bedeuten, wenn einander nicht aufs äußerste zu widerstreiten schienen die Hässlichkeit jenes und die Schönheit dessen, von dem geschrieben ist: "HerrIich an Schönheit vor den Söhnen der Menschen." Und dennoch, lasst uns hören, was Isaias sagt: "Siehe, wir haben ihn erschaut, und nicht hatte er Wohlgestalt, noch Schmuck, ein stattliches Ansehen war nicht an ihm; und wir haben nach ihm uns gesehnt, nach dem Verachteten und letzten der Männer, nach dem Mann der Schmerzen und Kundigen der Schwäche; gleichsam verhüllt ist sein Angesicht wie eines Verachteten. Daher schätzten wir ihn gering, und er dünkte uns gleich einem Aussätzigen, gleich einem solchen, den der Herr geschlagen hat und erniedrigt." Siehe als ein solcher wird er beschrieben von dem Propheten.
2. Schon jedoch ist es Zeit, dass wir zu seines Leidens Erdulden gelangen. "Leiden" aber benennen wir nicht nur jenen einen Tag, an dem er verschieden ist, sondern sein ganzes Leben. Denn das ganze Leben Christi war ein Beispiel des Leidens und ein Martyrium. Kurz wollen wir davon sprechen, doch in der Betrachtung dabei um so länger verweilen, wie arm er war in Enthaltsamkeit, wie verschwenderisch in Nachtwachen, wie ohne Unterlass betend und tätig in Mühe und Schweiß des Angesichts, wie beharrlich, wenn er "rings umherging in den Flecken und Dörfern, allenthalben predigend und die Kranken heilend"; wie häufig Hunger und Durst ertrug "jenes lebendige Brot", jene "Quelle Wassers, das entspringt zum ewigen Leben". Blicken wir hin auf jenes vierzigtägige Fasten, nach welchem "ihn hungerte", und eilen wir ihm entgegen, da er bereits von der Wüste zu den Menschen zurückkehrt, um sein liebliches Angesicht zu schauen.
3. Endlich aber lasst des letzten Tages Kampf uns nahen, und nicht wird es möglich noch sein, die Ursachen der Leibesentstellung zu übersehen. So beginne denn unsere Betrachtung da, wo nach seinem eigenen Zeugnis, - indem er "anfing, zu zagen und von Überdruss erfüllt zu werden", "seine Seele betrübt war bis auf den Tod"; der blutige Schweiß des von Todesangst Befallenen überströmte reichlich die Glieder, so dass er nicht mehr hernieder träufelte, sondern im Strom zur Erde herablief. Lasst uns weitergehen und die Bitternisse jener Macht durchlaufen: wie er gefangen ward, wie gebunden, fortgeschleppt, gestoßen, geschlagen und bespien, mit Faustschlägen und Backenstreichen misshandelt, mit Dornen gekrönt und Scharlachgewand bekleidet, mit falscher Anbetung und Kniebeugung verspottet, mit dem Rohr geschlagen, mit weißem Gewand verhöhnt, mit den schärfsten Geißeln zerfleischt, mit seinem eigenen Kreuz beladen, so dass er zuvor selbst jenes trug, das sofort danach ihn hat tragen sollen. In solcher Gestalt erblicke Jesus! Welcher Ort hier für köstliche Wonnen, welch strahlender Glanz hier um seine Gestalt! Wer suchte an so misshandeltem Leib noch der Bildung Schönheit!
4. Doch lasst uns zum Ende kommen! Entblößt ward Jesus, unser liebreichster Herr. Weshalb? Damit du des allerreinsten Leibes Entstellung zu schauen vermagst. Entblößt wird denn der gute, der beste Jesus! Wehe mir! Entblößt wird der Herr, der vor den Jahrhunderten herrschend "sich mit Ehre bekleidet und Kraft"; dem wir singen: "Lobpreis und Herrlichkeit zogst du an, umhüllt von dem Licht als deinem Gewand." "Schauspiel" wird er und Schmach "der Welt und den Menschen", zum Wunder gleichsam für die Vielen und unter den Völkern zum Schütteln des Hauptes" - er, der unser Haupt, unsere Freude, unsere Ehre, der gütige Jesus! Doch was verweile ich? Erhöht wird er am Kreuz, durchbohrt werden Hände und Füße, hervorgetrieben das Blut, wofern noch Blut in seinem Leib. Es "steht" unser Mittler "im Angesicht" des Vaters "im Bruch, abzuwenden seinen Zorn, auf dass er uns nicht verderbe". Und ob auch gebrochen am ganzen Leib, fällt er doch nicht im Geist, sondern bleibt standhaft aufrecht in der Beharrlichkeit des guten Willens. O welchen Anblick bietest du mir, süßer Jesus! O süßester, liebeglühendster, guter Jesus! Wer hat dich so bitterem Tod zugesprochen, du unser alten Wunden einziger Heiland! Wer hat dich bis zum Erdulden dieser nicht härtesten nur, sondern auch schimpflichsten Wunden herabgezogen! O allersüßester Weinstock, gütiger Jesu, es bringt diese Frucht dir dein eigener Weinberg, den du "aus Ägypten geführt". Du hattest in Geduld "gewartet" bis zu diesem Tag deiner Vermählung, dass er "Trauben erzeuge, doch er brachte nur Dornen". Mit Dornen nämlich krönte er dich und mit Dornen umgab er dich.- Siehe, zu welcher Bitterkeit jener Weinstock gewandelt, der nicht mehr der deine ist, sondern ein fremder. Denn er hat dich verleugnet, indem er ausrief und schrie: "Wir haben keinen König außer dem Kaiser!"
5. Und nachdem du so geworfen warst aus dem Weinberg von Stadt und Gemeinschaft, töteten die frevlerischen Landleute dich nicht in kurzer Zeit, sondern indem sie von langer Kreuzesqual dich verzehren und von den vielen Geißel- und Nägelwunden dich martern ließen. O wie viele sind es, die dich schlagen, guter Jesus! Es schlägt dich dein Vater, da er "des eigenen Sohnes", deiner selbst, "nicht geschont, sondern für uns alle" dich hingegeben. Du selbst sogar schlägst dich "zum Tod übergebend deine Seele", die niemand "von dir zu nehmen vermag" ohne dich; es schlägt dich dein Jünger durch Verrat und falschen Kuss; es schlägt der Jude mit Faustschlägen und Backenstreichen; es schlagen dich die Heiden mit Geißeln und Nägeln; sieh also, wie über alles Maß du geschlagen bist und erniedrigt! O wie viele, die dich misshandeln! - Doch wie viele auch, die dich preisgeben! Preisgegeben hat dich der himmlische Vater, der "für uns alle" dich "hingab". Preisgegeben hast du dich selbst, wie ja einer deiner Diener frohlockend sprach: "Der mich geliebt und um meinetwillen sich hingab". "O wahrhaft wunderbarer Kauf", hingegeben hat sich der Herr für den Knecht, der Gott für den Menschen, der Schöpfer für das Geschöpf, der Unschuldige für den Schuldigen. Hingegeben hast du dich in jenes Verräters, des falschen Jüngers, Hand, Verraten hat dich jener Verräter den Juden. Und verraten haben dich jene schändlichen verratvollen Juden zu "Verspottung, Anspeiung, Geißelung, Kreuzigung". Du hast es verkündet und prophezeit, und siehe, es ist geschehen. Als alles vollbracht war, siehe, da wurdest du an das Kreuz geschlagen und unter die Übeltäter gerechnet. Und nicht genug mit deiner Verwundung, "taten sie noch zu dem Schmerz der Wunden hinzu", indem sie dir, dem Dürstenden, "mit Myrrhe und Galle gemischten Essig zu trinken gaben".
6. "Trauer erfasst mich um deinetwillen", mein König, mein Herr und Meister, mein Vater und Bruder, o liebeglühendster Jesu, "überaus lieblich, mehr als die Liebe der Frauen", dessen "Pfeil nicht nach rückwärts abirrt" . "Scharf" nämlich "sind deine Pfeile" - deine krafterfüllten Lehren, denn "lebendig ist" deine "Rede und wirksam und durchdringender als ein zweischneidiges Schwert, hindurchgehend bis zur Trennung von Seele und Geist"; und nicht ist dein Schild vom Kampf gewichen. Mit dem "Schilde" nämlich "des guten Willens" hast du uns "gerüstet". Die Lanze deiner Gebete hat nicht sich abgewandt, denn für die Frevler selbst hast du gebetet, dass sie nicht zugrunde gingen, - um wie viel mehr für die Freunde! Du, der du tapferer als ein Löwe, - denn "ein Löwe vom Stamm Juda, bist du es ja, der jenen Löwen überwältigt hat, welcher "umhergeht, suchend, wen er verschlinge". Du, schneller als der Adler, - der du "frohlocktest gleich einem Riesen, zu laufen deine Bahn", zur Erfüllung des Geheimnisses deiner Fleischwerdung, bis dass du "wie ein Adler die Jungen zum Fliegen aufrufend", ausbreitetest die Schwingen deiner Arme am Kreuz und "über uns fliegend, uns an dich nahmst und hintrugst mit deinen Schultern" und "der Fülle deiner Kraft zu deiner heiligen Wohnung" - in das Haus deiner Freundschaft und deiner" Verklärung", wo du zum Fest des "Lammes" und um der "verlorenen und wiedergefundenen Drachme" willen ein "Mahl" bereitet hast "deinen Nachbarn und Freunden", den seligsten Geistern die "Freude" schenkest "über den Sünder, der Buße tut". Und du, ein solcher und so gewaltiger, du wirst zu "schimpflichstem Tod" verurteilt, - empfiehlst deinen Geist in die Hände des Vaters, neigest das Haupt und verscheidest.
7. Kommt doch, ich bitte euch, und trauert mit mir, die ihr euch zu freuen sehnt im Herrn! Erblickt euern starken Helden, wie er in Trübsal; euren Ersehnten, wie er entstellt; euren Friedebringer, wie er im Kampf getötet. Wo ist der rosige Glanz, wo der schneeige Schimmer, wo wirst du an so misshandeltem Leib Schönheit finden? Siehe, "es sind geschwunden die Tage" jenes, der unser Tag, des gütigsten Jesus, der allein ist Tag ohne Dunkel; seine "Gebeine verdorren wie dürres Reis, getroffen ist er wie Heu, und es ward dürre sein Herz", er ward "emporgehoben" und "niedergeworfen" gar sehr. Doch bei aller äußeren Schändung bewahrte er Schönheit sowohl wie Ehre im Inneren. Darum verzage nicht für ihn in aII seiner Trübsal; denn ihn, der "herrlich an Gestalt vor den Söhnen der Menschen", haben jene Menschen am Kreuz nur gesehen, die allein auf das Äußere blicken, - und so sahen sie ihn als einen, der "nicht Wohlgestalt hatte noch Glanz", dessen Antlitz vielmehr gleich dem eines Verachteten und dessen Stellung entehrend. Aus dieser Schändung aber unseres Erlösers ist geflossen der Kaufpreis unserer Herrlichkeit. - Doch haben wir nun zwar das Hässliche der äußeren Schändung, die dem Leib des liebeglühendsten Jesus zugefügt ward, zum Teil uns vor Augen gestellt; wer aber wird seine innere Herrlichkeit schildern, die Herrlichkeit dessen, "in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt"? Lasset darum auch uns am äußeren Leib Ungestalt annehmen mit dem entstellten Jesus, auf dass wir mit ihm neugeformt werden im Inneren zu der Gestalt seiner Herrlichkeit. Lasst unsere Leiber gleichförmig werden dem Leib unseres Weinstocks, auf dass zu neuer Gestalt erstehe "der Leib unserer Niedrigkeit, gleichförmig gemacht dem ,Leibe' seiner , Verklärung".
SECHSTES KAPITEL: VON DER ZWEITEN ÄHNLICHKEIT ODER VON DEN BLÄTTERN DES WEINSTOCKES, ZUNÄCHST IM ALLGEMEINEN
1. Die Blätter des Weinstocks sind vortrefflicher als fast aller andern Gewächse Blätter. Was aber wird in den Blättern anderes als unseres Weinstocks, des gütigsten Jesus, Worte uns dargeboten? Hoch ragt über alles in seinen Blättern der Weinstock, hoch ragt über alles in seinen Worten Jesus. Doch da erquickender noch zu sein pflegt der Schatten der Blätter, wenn der Weinstock, über ein gewisses Hölzergerüst erhoben, hierhin und dorthin auseinander gespannt wird; so lasst uns sehen, ob auch unser Weinstock einstmals erhoben ward und auseinander gespannt, und welches die Blätter süßer Worte gewesen, die er in jener Zeit zu unserer Beschirmung hervorsprießen ließ.
2. Dass unser Weinstock, Jesus unser Herr, erhoben wurde, bezeugt er selbst, von sich sprechend: "Und ich, wenn ich über die Erde erhöht sein werde, werde alles an mich ziehen." Es ist aber völlig offenbar, dass von dieser Erhöhung im Hinblick auf das Kreuz gesprochen wird. Und siehe, wie offenkundig das Hölzergerüst, über das man die Weinstöcke zu heben pflegt, das Kreuz bezeichnet. Die Hölzer werden gegittert, das ist: in der Art von Kreuzen gelegt, und entsprechend wird der Weinstock über sie hingespannt. Was ist passender? Es werden "gegittert" die Hölzer des Kreuzes, erhoben zu ihm und auseinander gespannt an Armen und ganzem Leib wird unser Weinstock, der gütige Jesus. So stark nämlich war er am Kreuz auseinander gespannt, dass gezählt werden konnten alle seine Glieder; wie er ja auch durch den Propheten gesprochen: "Sie haben meine Hände und Füße durchbohrt und alle meine Gebeine gezählt", - gleich als spräche er: So sehr ward ich auseinander gespannt nach der Rechten, nach der Linken und von dem Haupt herab, dass an meinem Leib, der gleich dem Fell einer Trommel gespannt, leicht alle meine Gebeine gezählt werden konnten.
3. "Blicke in das Angesicht deines Christus", o christliche Seele, erhebe deine Augen zu seinen Qualen nicht ohne Tränen und das betrübte Herz nicht ohne Schluchzen, und sieh, welche Trübsal er fand, da du es warst, den er suchte, um dich zu finden, öffne weit deine Augen, dass du "blickst in das Angesicht deines Christus"; lausche mit gespanntem Gehör, ob er in so gewaltigem Schmerz ein Wort ausspreche, - und was du gehört, das bewahre als kostbarsten Schatz im innersten Gemach deines Herzens. Siehe, er liegt auf grausamem Bett, auf dem Bett des Todes, dem Kreuz. So bewahre denn deines Bräutigams letzte Gebote, wenn du "die Erbschaft" erlangen willst, die "fleckenlos ist und unverwelklich". Nicht viele Worte ja sind es, die er sterbend gesprochen; leicht können sie aufbewahrt werden von Christi williger Braut.
SIEBENTES KAPITEL: VON DEN BLÄTTERN DES WEINSTOCKES IM BESONDEREN UND ZWAR VON DEM ERSTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
1. Sieben Worte sind es, die gleich sieben immergrünen Blättern unser Weinstock, an dem Kreuz erhöht, hat hervorsprießen lassen. Zu einer Zither ward dir dein Bräutigam, deren Holz sein Kreuz ist, deren darüber gespannte Saiten jedoch sein Leib uns darstellt. Dieses aber sind die sieben Worte.
2. Als erstes sprach der mildeste Jesus, da er gekreuzigt ward: "Vater, verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." O herrlich grünendes Blatt, o Wort, so gemäß dem Wort des höchsten Vaters! Es vollbringt der gute Lehrer, was er gebietet: Er betet nicht für die Freunde nur, sondern selbst für jene, die "ihn verfolgen und verleumden". Lege nieder in der Schatzkammer deines Herzens dieses Wort, damit, wann immer wüten die Feinde, du "das Gedächtnis der überfließenden Milde Jesu" auszuströmen vermagst, - indem du dies Wort allzeit gleich einem Schild der Feinde Angriff entgegenhältst. Es betet der Bräutigam für seine Mörder, und du wirst nicht beten für jene, die dich verkleinern?
3. Doch lasst uns das Gebet selbst noch näher betrachten. "Vater" - so spricht er; weshalb wendet er die Benennung "Vater" an? Es pflegen die Kinder, wenn sie besonders dringend um etwas bitten, den Namen "Vater" als Anrede zu gebrauchen, - um die natürliche Liebe wachzurufen, vermöge deren sie leichter eine Wirkung ihrer Bitte erlangen. So auch Jesus, der "reich an Erbarmen und Mitleid, geduldig und vieler Erbarmung" und "mild gegen alle". Ob er sich gleich von dem Vater immer gehört weiß, so hat er dennoch - ans Herz uns legend, wie innig selbst für die Feinde zu beten sei - die Anrede der Liebe gebraucht, wie wenn er spräche: Bei der väterlichen Liebe, durch welche wir eines sind, flehe ich dich an für diese, auf dass du mich erhörst und meinen Mördern vergebest; erkenne an deines Sohnes Freundschaft, dass nicht mehr du kennest deiner Feinde Schuld.
ACHTES KAPITEL: VON DEM ZWEITEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM ZWEITEN WORT CHRISTI AM KREUZ
Zweites Blatt unseres Weinstockes und zweite Saite unserer Zither ist jenes Wort des Herrn, das er zu dem seine Schuld bekennenden und um Christi Gemeinschaft flehenden Räuber gesprochen. "Wahrlich," so redete er, "ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein." O lebenerfülltes Blatt! O Süßigkeit, die tönt aus unserer Saite. Wie plötzlich ward ein Freund aus dem Feinde, aus dem Fremden ein Vertrauter, aus dem Fernen ein Nächster, aus dem Räuber ein Bekenner! O wie groß des Räubers Vertrauen! Jedes bösen und keinerlei guten Werks sich bewusst, Übertreter des Gesetzes, fremden Lebens sowohl wie Eigentums Räuber, gestellt vor die Pforte des Todes, an der Grenze des Lebens, verzweifelnd am gegenwärtigen Dasein: scheut er sich nicht, die Hoffnung des zukünftigen Lebens, das so oft verwirkt und niemals verdient, zu ergreifen und zu ihrer Verheißung emporzustreben. Wer ist der Mensch, der verzweifelnd die Hoffnung ließe, wenn der Räuber von Hoffnung erfüllt ist?
2. Erhört hat freilich der Bräutigam die Seele nicht mehr des Räubers, sondern des Bekenners, die ja schon seine Braut ist, - und so erquickt er die Flehende mit schon ihrer Würde gemäßem Worte:" Wahrlich," spricht er, "ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein." Wem dieses "dir"? "Dir", der du mich bekannt hast am Kreuz der Qualen. "Mit mir wirst du sein im Paradiese" der Seligkeiten; nicht sagt er einfach "du wirst im Paradiese sein", oder "mit den Engeln", sondern "mit mir wirst du im Paradiese sein"; dem wirst du geeint sein, nach dem du dich sehnst; schauen wirst du in Majestät, den du bekennst in seiner Schwäche; und nicht schiebe ich auf, was ich verheiße, denn "heute noch wirst du mit mir sein". Jesus, der wahrlich gütige und süße Herr, schnell erhört er, schnell verheißt er, schnell gibt er. Wer sollte an so mildem Erhörer, so schnellem Verheißer, so bereitem Gewährer verzweifeln? So hoffen wir denn auf dich, da wir kennen deinen süßen Namen, "weil nicht du jene im Stich lässest, welche dich suchen". So nahen wir dir, o gütiger Jesu, im Geist, wie uns möglich, dir, der sitzt auf dem Thron der Majestät, indem wir flehen, jenes Einganges - bei dir und durch dich - gewürdigt zu werden, durch welchen eingetreten der Räuber: dich bekennend auf dem "Thron des Kreuzes".
NEUNTES KAPITEL: VON DEM DRITTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM DRITTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
Drittes Blatt und dritte Saite der Zither ist jenes dritte Wort: "Mutter, siehe hier deinen Sohn"; und "siehe, deine Mutter". O süßes Wort und liebliches, Wort voll der Wunder, seiner Liebe große Zärtlichkeit in sich enthaltend. Nicht lesen wir, dass der gütige und mildeste Jesus, besonders, da er zu vorgerücktem Alter gelangt, seiner teuersten Mutter in vertrauterem Umgang angehangen, dass er mit ihr häufiger das Mahl gehalten, dass er mehr denn zu allen übrigen gerade zu ihr mit Milde gesprochen. Doch wie groß in ihm zur Mutter der Liebe Innigkeit gewesen, hat er - schon im Begriff, leiblich von dannen zu scheiden - in jenen kurzen Worten den Herzen kundgetan; und, um zu schweigen von seiner eigenen Kreuzesqual: von welchem Mitleid über alle Maßen musste er gegen seine selige Mutter erfüllt sein, deren allermildestes Herz, wie er vollkommen wusste, von so gewaltigen Schmerzes Schwert durchbohrt war. Vermehrend trat zu der Wunden Leid noch das Mitleid mit seiner Mutter; die er so jammervollen Herzens, mit aneinander geschlagenen Händen, mit Augen, die überflossen von der Tränen Strom, mit vor Schmerz verzogenem Gesicht und klagender Stimme unter Aufgebot aller Kräfte des Leibes bei ihm an dem Kreuz standhaft verharren sah. Wie oft mag sie, die aus jungfräulicher Scham wie vor unermesslichem Schmerz wohl mit verhülltem Haupt am Kreuz stand, - erseufzt sein in Trauer um ihren Sohn, gleich als spräche sie: Jesus, mein Sohn, Jesus, "wer wird es mir geben, dass ich" mit dir und "für dich sterbe, mein Sohn", süßester Jesus! Wie oft hat sie zu jenen grausamen Wunden die Schrecken erfüllten Augen erhoben, wenn anders sie ihre Augen je abgewandt - und bei dem übermäßigen Strömen der Tränen jene noch hat erschauen können. Wie hat es geschehen können, dass sie vor der Unermesslichkeit des Schmerzes in ihrem Innern nicht ohnmächtig ward, eines solchen Schmerzes, dass ich selbst staune, wie sie durch ihn nicht getötet wird. Mit ihm stirbt sie lebend, indem sie lebend den Schmerz trägt, der grausamer ist als der Tod.
2. Doch dass sie nicht sterbend vergehe, ward sie von dem Sohn gestärkt im Inneren, von außen aber durch Wort und Handlung voller Liebe getröstet. Auf welche Weise? "Sie stand am Kreuz"; er redete zu ihr: "Siehe, dein Sohn"; als spräche er: Du wirst meiner, des Sohnes, leiblich beraubt; deshalb gebe ich den vor allen geliebten Freund dir an Stelle des Sohnes, dessen Gegenwart, während ich fern bin, dich trösten möge! Du, Johannes, wirst meiner, des Vaters beraubt, deshalb übergebe ich diese meine teuerste Mutter dir als die deine. - O wie reichschenkend warst du zu deiner Hochzeit, o König und Bräutigam, gütiger Jesus; wie freigebig gabst du alles hin, was du besaßest! Siehe, selbst deinen Kreuzigern schenktest du des Gebetes Inbrunst, dem Räuber botest du das Paradies, der Mutter den Sohn, dem Sohn die Mutter, den Abgestorbenen das Leben, den Händen des Vaters deine Seele, der ganzen Welt die Zeichen deiner Gewalt, - zur Loskaufung des Sklaven vergossest du: nicht einen Teil, sondern all dein Blut aus vielen weiten Öffnungen, - deinem Angeber jedoch und Verräter, ihm erteiltest du des Verschuldens Strafe, der Erde endlich für kurze Zeit jenen Leib, welcher nicht hat verwesen sollen.
ZEHNTES KAPITEL: VON DEM VIERTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM VIERTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
1. Viertes Blatt und vierte Saite der Zither ist jenes vierte Wort des Herrn, welches er ausrief "um die neunte Stunde", mit lauter Stimme schreiend: "Eli, Eli, lamma sabacthani", das ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Welche Augen sähen nicht dieses Blatt, welche Ohren hörten nicht diese Saite? Weshalb aber "schreit" er, wenn nicht, um stärker vernommen zu werden? Wie ungeheuer muss des bittersten Schmerzes Größe gewesen sein, als der gute Jesus diese Worte, am ganzen Leibe auseinander gezerrt, vernehmen ließ! Doch hüte dich, wegen des Schreiens zu glauben, es sei in Ungeduld gefallen Jesus, unser sanftmütigster Herr. Denn seine Geduld hat er bewahrt - wie wir an dem folgenden Blatt, der nächsten Saite, kundtun werden - "im aller bittersten Leiden, - doch gab er auch die Größe des Schmerzes dabei zu erkennen.
2. Dass er aber diese Worte gesprochen aus dem angenommenen menschlichen Sein, welches indessen mit dem Sohn Gottes Eine Person nur bildet, tritt darin hervor, dass er spricht: "Mein Gott"; so würde er, der Ein Gott ist mit dem Vater, keineswegs sprechen, hätte er nicht die menschliche Natur an sich genommen. Doch was ist dies, dass er spricht: Warum hast du mich verlassen? Hat denn der Vater seinen eingeborenen Sohn verlassen können? Dies sei ferne; vielmehr spricht so unser Haupt, der gütigste Jesus, für den ganzen Leib, das ist: für die ganze Kirche. In der Absicht nämlich, seine Einheit mit der Kirche und seine Liebe zu ihr, seiner Braut, unserem Inneren kundzutun, hat auf sein künftiges Leiden in all seinen Gliedern jener gewiesen, der damals das Leiden als Haupt ertrug, das ist: am eigenen Leib, den er von der Jungfrau empfangen. So schreit also über Verlassenheit, der nicht hat können verlassen werden, weil vielen seiner Glieder so große Trübsal bevorstand, dass sie völlig von Gott verlassen schienen. Gebenedeit sei der liebliche Herr, der gütigste Jesus, der zuerst in sich für uns, nun aber auch mit uns in uns selbst zu leiden sich würdigt, unsere Trübsal, die wir um der Gerechtigkeit willen erleiden, für seine achtend und rufend: "Mit ihm bin ich in der Trübsal", auf dass wir um so sicherer auf ihn unsere Zuversicht setzen.
ELFTES KAPITEL: VON DEM FÜNFTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM FÜNFTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
1. Fünftes Blatt und fünfte Saite ist des liebeglühendsten Jesus fünftes "Wort, das er aussprach am Kreuz, indem er sagte: "Mich dürstet." "Und sie gaben ihm mit Myrrhe und Galle gemischten Wein." Gepeinigt waren alle Glieder des süßesten Jesus, so blieb noch übrig, dass auch seine Zunge gepeinigt werde. So gab ihm, dem Dürstenden, jener "fremdgewordene Weinstock, umgewandelt in Bitterkeit", von seiner Frucht einen bitteren Trank, nicht freilich, dass er getrunken, sondern eher, dass er verkostet werde, denn zur Pein der Zunge genügte es, ihn zu verkosten.
2. Doch wenn sich dies alles zur Erfüllung der Schrift auch wahrhaft so zugetragen, so scheint dennoch durch dieses Wort: "Mich dürstet" noch etwas anderes zum Ausdruck zu kommen. Ich meine nämlich, dass er so sprechend die Unermesslichkeit seiner Liebe hat fühlbar machen wollen, da ja von einem dürstenden Menschen viel glühender noch der Trank ersehnt wird als Speise von dem Hungernden. Indem er uns also im Durst die Sehnsucht nach dem, was am glühendsten begehrt wird, vor Augen stellt, zeigt er bildlich durch jenen die Glut seiner Liebe; wenn ich auch der Wahrheit gemäß annehmen kann, dass ihn gedürstet, - denn da sein ganzer Leib durch des heiligsten Blutes Vergießung trocken geworden, hatte er "Gebeine", die ausgedörrt waren "wie Reisig". Doch ist es nicht recht glaublich, dass vom leiblichen Durst jener gesprochen, der sich unmittelbar vor dem leiblichen Tod wusste, sondern viel mehr noch, so glauben wir, hat ihn vor glühendster Sehnsucht nach unserem Heil gedürstet. - Etwas aber muss unser Herz in tiefstes Erstaunen setzen, dass nämlich Jesus, unser gütigster Herr, als herankam die Stunde des äußersten Leidens, zum Gebet sich anschickend "niederfiel auf sein Angesicht, betend und sprechend: Mein Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen" - und dies nicht nur einmal, sondern auch zum zweiten und dritten Mal - indem er mit dem zu trinkenden Kelch das Leiden bezeichnete, das er auf sich zu nehmen im Begriff war. Nun aber, da eben jener Kelch des Leidens getrunken ist, spricht er: "Mich dürstet!' Was ist dies? Bevor du verkostest, guter Jesu, bittest du, dass der Kelch gänzlich von dir genommen werde, aber nachdem du getrunken, dürstet dich? Wie ich sehe, bist du wahrhaft ein verwunderlicher Trinkender. War etwa mit dem Wein der Fröhlichkeit und nicht vielmehr mit dem Wein der Trübsal und höchsten Bitternis gefüllt dein Kelch? Wahrhaft, der bittersten Trübsal ist er voll, und er sollte nicht Durst, sondern eher Abscheu gegen das Trinken erzeugen.
3. Doch, wie ich meine, hast du vor dem Leiden nicht etwa deshalb um Hinwegnahme des Kelches gebetet, weil du das Leiden nicht liebtest, das zu erdulden du ja gekommen warst, und ohne welches dem Menschengeschlecht keine Rettung erstanden; sondern damit niemand glaube, dass du, der wahre Mensch, des Leidens Bitterkeit nicht fühltest, weil du eins mit der Gottheit: hast du mit jenem Gebet, dass der Kelch von dir genommen werde, - und dies noch ein zweites und drittes Mal - die äußerste Bitterkeit deines Leidens den Zweifelnden kundgetan; ferner auch uns, den Nachfolgenden, als deiner Lehre und deines Beispiels Gebot vor Augen geführt, dass in drohenden Gefahren, selbst wenn sie zu unserem Nutzen gereichen, wir den Herrn immer wieder anflehen können und sollen, dass er die Geißel seines Zornes von uns abzuwenden sich würdige; dass wir sie aber nichtsdestoweniger, auch wenn sie nicht von uns genommen wird, nach dem Beispiel deines Leidens dankbar, geduldig und mutvoll mit aller Beharrlichkeit tragen. Indem du aber vorher um Hinwegnahme des Kelches batest, und dennoch, als er bereits geleert, noch sprachst: "Mich dürstet" - hast du deiner Liebe Größe unserem Herzen fühlbar gemacht, wie wenn du sagtest: Mochte mein Leiden selbst so gewaltig sein, dass ich, soweit das Gefühl der menschlichen Natur sich geäußert, um seine Abwendung bat, so dürste ich dennoch, o Mensch, da die Liebe zu dir den Sieg davonträgt und selbst die Qualen des Kreuzes überwindet, - noch mehr und noch größere Qualen, wofern es nottut, auf mich zu nehmen. Nichts nämlich gibt es, was ich zu leiden verschmähte um deinetwillen, den zu erkaufen "ich meine Seele" zum Preis "setze".
ZWÖLFTES KAPITEL: VON DEM SECHSTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM SECHSTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
1. Sechstes Blatt und sechste Saite der Zither ist jenes Wort, welches Jesus, unser Herr - "als empfangen hatte den Essig" die wahre und höchste Süßigkeit - "aussprach", indem er sagte: "Es ist vollbracht." Was ist doch dies? Weiter oben wurde gesagt: Da "der Herr sah, dass alles vollbracht war, sprach er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet". Und als er verkostet hatte, sprach er: "Es ist vollbracht." Vollbracht ward gewiss und vollendet das Zeugnis der Schrift, welche sagt: "Sie gaben zur Speise mir Galle"; und es erhielt hierdurch "alles, was in der Schrift von ihm geschrieben ist", seine Erfüllung.
2. Gleichwie also unser Haupt - für unsere Sünden des Leidens Bitterkeit tragend bis zur Vollendung, das ist: zur Vollbringung alles dessen, was in der Schrift von ihm gesagt war in Geduld verharrt ist, so mögen auch wir, wenn wir dieses Hauptes Glieder sein wollen, in allen unseren Widerwärtigkeiten die Tugend der Beharrlichkeit bewahren, damit wir, geführt von dem gütigsten Jesus selbst, das Ende all unserer Leiden erreichen mögen und mit ihm voller Zuversicht sprechen können: "Es ist vollbracht", mit deiner Hilfe, nicht aus eigener Kraft "habe ich den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt". So erteile denn, was jenen, die nach dem Gesetz im Wettkampf streiten, nach deinem Versprechen hinterlegt ist: die "Krone der Gerechtigkeit", welche du, "ein gerechter Richter", verleihen wirst an deinem Tag, der da ist ohne Dunkel, - an jenem Tag, der "- in deinen Vorhöfen - besser sein wird denn tausend Tage", an welchem du allein die einzige Sonne. - O "Sonne der Gerechtigkeit", gütiger Christus Jesus, leuchtend in deiner Tugend, verleihe dich selbst als ewigen Lohn all denen, die gekämpft und kämpfend beharrt im Wettstreit; empfangen mögen sie von dir die ewige Herrlichkeit, in welcher beständig die Seligen sich freuen. Diese Herrlichkeit aber wird keiner erlangen können, wenn er nicht "ausharret bis zum Ende", denn "die Tugend des guten Werkes liegt in der Beharrlichkeit".
DREIZEHNTES KAPITEL: VON DEM SIEBTEN BLATT DES WEINSTOCKES ODER DEM SIEBTEN WORT CHRISTI AM KREUZ
1. Siebentes und letztes Blatt unseres Weinstocks und siebente Saite der Zither war dies letzte Wort des liebeglühendsten Jesus: "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist." Der buchstäbliche Sinn liegt zutage. Doch was ist dies, dass der Sohn - dem Ewigkeit und Wesen gemein mit dem Vater - seine Seele so ausdrücklich in die Hände des Vaters empfahl, dem sie nicht weniger empfohlen gewesen, hätte er auch jenes Wort nicht gesprochen? Ganz sicherlich, - war er sich dessen auch noch so bewusst, dass seine heiligste Seele dem Vater empfohlen sei, er, der ja kurz vorher gesagt: "Es kommt der Fürst dieser Welt" - dies ist: Satanas - "doch über mich hat er keine Gewalt"; so hat er doch seine Seele den Händen des Vaters empfehlen wollen, damit er uns eine Lehre erteile, die wir Staub sind und Asche; nämlich: auf dass wir lernen, unsere Seele des ewigen Vaters Händen anzuempfehlen, damit sie nicht, den Körper verlassend, ergriffen werde von dem Fürsten dieser Welt, der in uns - wehe! - so manches fände, was seines Reiches ist; zumal selbst jener, der in Nichts der Sünde verhaftet, ja eben dazu erschienen war, sie wegzunehmen, - seinen heiligen reinsten Geist, als er von dem reinsten Leib zu scheiden im Begriff war, - keineswegs zwar aus Notwendigkeit, sondern des Beispiels halber - seines Vaters Händen empfohlen hat.
VIERZEHNTES KAPITEL: VON DER DRITTEN ÄHNLICHKEIT DES WEINSTOCKES - IN BEZUG AUF DIE BLÜTEN
Um dessentwillen "hat sich selbst entäußert" der Sohn Gottes, "indem er Knechtsgestalt annahm", ward er eingepflanzt in unsere Erde, nahm er an unseres Leibes Ungestalt, grünte und blühte er und brachte zahlreichste Frucht: dass er, mit unserer Menschennatur geeint, eben hierdurch mit seiner Göttlichkeit uns vereine. Doch da ohne Blüte nicht gelangt wird zur Frucht, so hat auch geblüht mein Jesus, der gütigste Herr. Welches sind seine Blüten wenn nicht die Tugenden? Auf wunderbare, auf ganz einzige und erhabene Art hat aber geblüht unser ruhmleuchtender Weinstock, nicht nämlich nur mit einer Blütenart wie die anderen Weinstöcke und Bäume, sondern aller Blüten Gattung in sich vereinend: das Veilchen der Demut, die Lilie der Keuschheit, die Rose der Geduld und Liebe und den Krokus der Enthaltsamkeit. - Doch lasst uns des weiteren die anderen Blüten übergehend - nur von der Rose sprechen.
FÜNFZEHNTES KAPITEL: VON DER IN ROTE LEUCHTENDEN UND GLÜHENDEN ROSENBLÜTE IM ALLGEMEINEN
1. Es blühet an unserem Weinstock, dem gütigsten Jesus, eine Rose, in Röte leuchtend und glühend, rot von dem Blut des Leidens, in Glut von dem Feuer der Liebe, betaut von den Tränen des süßen Jesus. - Denn geweint hat ja und getrauert, der meine Freude ist, und mehr noch: die Freude der Engel, der beste Jesus, "der" - wie der Apostel sagt - "in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem darbrachte, der ihn von dem Tod erretten konnte, und erhört worden ist wegen seiner Ehrfurcht". Hörst du es, Herz nicht aus Fleisch, sondern Stein, dass Jesus, der Erhabene und Allergütigste, in den Tagen seines Fleisches, das er für mich angenommen, von Tränen nass war, und du bleibst trocken? O du hartes Herz, du hörest, dass bewegt werde für dich zu Tränen, der "in Ewigkeit nicht wird bewegt werden", und noch wirst du nicht zu Tränen gerührt? So denke noch an das Feuer seiner Liebe und an das Blut des Leidens, ob dann du vielleicht erwärmest, ob du nicht weich wirst, so dass du dem süßesten Jesus für seine Tränen und sein vergossenes Blut mit Tränen wenigstens entgeltest. Und hierzu will ich noch den schweren Hammer nehmen und die eisernen Nägel dir einschlagen, dass du auf solche Art wenigstens erschüttert werdest. Denn wärest du wie "Erde ohne Wasser" so dürr, so könntest du leicht noch erweicht werden, - nur überströmt von den Tränen des süßesten Jesus; wenn du jedoch durch den eisigen Anhauch vielfachen Unrechts erstarrt sein solltest zur Härte des Steins, so füge ich starke Werkzeuge noch hinzu: den Hammer des Kreuzes und die Spitzen der eisernen Nägel, auf dass du durch sie gespalten werdest und den heilsamen Quell der Tränen entspringen lassest.
2. Solltest du aber noch immer unbewegt sein, du hartes "und unbußfertiges Herz", so bist, du härter als der Kieselstein in der Wüste, der, zweimal von Mose mit der Rute geschlagen, reichlichste Ströme Wassers entspringen ließ, zumal der Hammer des Kreuzes kräftiger ist zum Schlag als des Moses Rute, und drei eiserne Nägel, dreimal eingeschlagen, stärker sein müssen und kräftiger zu des Wassers Hervorlockung als der doppelte Schlag der Rute des Mose. - Verharrst du aber gar jetzt noch undurchbohrt, weil du in des Diamanten Härte verwandelt, der nur durch des Bockes Blut erweicht werden kann, so bringe ich dir solchen Bockes sowohl wie "unbefleckten Lammes", des gütigsten Jesus, Blut in Fülle, - von unvergleichlicher Wärme der Liebe glühend, hat es ja doch durch seine Kraft jene diamantene Feindschaftsschranke, die zwischen Gott und den Menschen gesetzt war, völlig vernichtet und aufgelöst; eine Schranke, welche soviel Jahrtausende hindurch in solcher Härte bestanden, dass sie weder durch das Gesetz, noch die Propheten, die mit den Hämmern mannigfacher Gebote und Drohungen auf sie schlugen, hat vernichtet werden können. Sowie ihr jedoch genaht ist das Blut jenes Bocks: unseres Lammes, des lieblichen Jesus, ward sie nicht nur durchbohrt, sondern völlig zerstört. - Es wird aber hier auf Jesus, unseren Herrn, der Name des Bocks, eines unreinen Tieres, bezogen, - weil er an sich die Natur trug, die in uns erfüllt ist vom Schmutz der Sünde, in ihm jedoch nichts von der Sünde enthielt; wegen seiner einzigen Reinheit aber ist er das Lamm, das nicht nur frei ist von Sünde, sondern sogar der ganzen" Welt Sünden wegnimmt".
3. In das Blut dieses Bockes also und Lammes, das in Fülle strömt, sollst du, o diamantenes Herz, dich tauchen, - liegen sollst du in ihm, auf dass du erwärmest, - warm geworden erweichest, als ein erweichtes aber den Quell der Tränen entspringen lassest. Suchen mag ich mir also, dann aber auch finden - der Tränen Quelle in eben den Tränen, in dem Kreuz und den Nägeln und endlich auch in dem Blut des in Röte strahlenden mildesten Jesus. Betrachten möge ich also, und begreifen, soweit er selbst es gewährt, - das leuchtende Rot des Fleisches und der Seele des "Geliebten vor den Geliebten", des liebeglühendsten Jesus. Rot war er nämlich in beidem: im Fleisch aus dessen Natur, weil alles Fleisch natürlicherweise rot ist; nicht weniger aber durch das Blut des Leidens, mit dem er sein Fleisch aus Liebe zu uns so häufig und in solcher Fülle übergossen hat. Doch haben wir diese Vergießungen des heiligsten Blutes ja schon früher des öfteren vor Augen geführt. Darum vielleicht erschiene es gut, hierbei nicht länger zu verweilen, damit dem Leser nicht Überdruss komme.
4. Aber wer - wenn er nicht völlig nur Fleisch und Blut ist und gar nichts Geistiges in sich hat - wer sollte an jenem Blut Überdruss finden? Wer, der frei werden will "von dem Blut", das ist: von den Sünden, in die er durch Fleisch und Blut gefallen, - sollte dies heilsamste Blut des reinsten Jesus nicht glühend lieben? Wer einmal nur durch jenes süßeste Blut berauscht ward, welches "Gott dem Armen bereitet hat in seiner Süßigkeit", - wird er nicht mehr und immer mehr nach ihm dürsten, indem er hört und versteht das wahrhafte Wort der Weisheit Gottes, des Eingeborenen vom Vater, - des gütigsten Jesus, der da spricht: "Die mich essen, werden noch hungern, und die mich trinken, noch dürsten?" Wenn wahr ist, was hierüber gesagt wird, - und sicherlich ist es wahr - so wohnt dem menschlichen Blut vor dem aller andern Wesen von Natur so große Süßigkeit inne, dass manche wilden Tiere, die es einmal verkostet, für alle übrige Zeit derart nach ihm begehren, dass sie alles andere verschmähend ihm nur nachstellen und selbst in den Tod stürzen, es zu erlangen: welche Süßigkeit muss dann in sich enthalten das Blut jenes Menschensohnes, des wahren Gottes und wahren Menschen, des süßesten Jesus? Siehe, es dürsten die unvernünftigen Tiere nach dem Blut des Menschen, und ich dürstete nicht nach dem Blut dessen, der Gott und Mensch ist, des besten Jesus? Die Tiere, - je mehr sie verkostet, um so mehr dürsten sie nach dem Blut des Menschen; und ich sollte verschmähen das Blut des Gottes und Menschen, des gütigsten Jesus? Die Tiere stürzen in den Tod, um die Süßigkeit des Menschenbluts zu erlangen; ich sollte nicht hineilen zu meinem Leben, zu dem Blut Jesu, der da ist "von schimmerndem Weiß und strahlender Röte"? Wahrlich und gewiss, eilen will ich und trinken und "kaufen ganz umsonst den Wein und die Milch", die uns "die Weisheit" des höchsten Vaters, der gütigste Jesus, "gemischt hat im Krug" seines Fleisches: sein Blut, den Kaufpreis unseres Lebens. Ihr alle "eilet" mit mir, die ihr liebt Jesus, den Geliebten; "kauft nicht mit zerstörbarem Gold und Silber", sondern mit Umwandlung eurer Sitten und eueres Lebens jenen Wein und jene Milch, das allerreinste Blut, berauschend die "Vollkommenen" als Wein und als Milch die "Kleinen" ernährend. Wenn du ein "Vollkommener", wenn du ein Starker bist, so ist dir Wein das Blut Jesu, ist es dir unvermischtestes Blut der Traube; bist du jedoch ein "Schwacher", der noch der Milch bedarf, so ist es dir Milch zu deiner Ernährung. So trinke denn dies "unvermischteste Blut"!
SECHZEHNTES KAPITEL: VON DER ROSE DER LIEBE
Nachdem die Rose betrachtet, sind Liebe und Leiden ins Auge zu fassen. Die Glut der Liebesrose erwägen wir, wenn wir mit Hingebung betrachten: "wer" der Liebende sei und: "weshalb", "welche Wesen", "wie sehr" geliebt der barmherzige und wunderbare Liebhaber - jener unser Liebender, über dem nichts Größeres, nichts Reicheres, nichts Stärkeres, - dem aller Geist Lobpreis darbringt, da "du mein Gott bist". In diesem Wort verstehen wir "wer" der Liebende sei: nämlich "Gott"; - und "weshalb" er geliebt, wird dem folgenden Wort entnommen; nicht nämlich liebte er uns, um von dem Unsrigen irgendwie zu empfangen, da "unserer Güter er nicht bedarf", - sondern allein aus seiner gnädigen Huld. Und wenn selbst in uns ein Gutes wäre, das er erstrebte, so hätten wir es ja nicht von uns, sondern nur von ihm. "Welche Wesen" er aber in uns geliebt, legt jener dar, welcher spricht: "Da wir noch Feinde waren, sind versöhnt wir worden mit Gott". Der Gerechte, er hat die Ungerechten, der Herrliche die Abscheulichen, der "einzige Gute und Fromme" die Sünder und Gottlosen in Liebe umfasst. O welche große Herablassung! - Nun jedoch lasst uns, "wie sehr" er geliebt, betrachten. Wer aber vermag es hiervon zur Genüge zu sprechen?
SIEBZEHNTES KAPITEL: VON DER ROSE DES LEIDENS
1. Siehe, indem wir dies Wort erläutern, ist es notwendig, die Rose des Leidens mit der Rose der Liebe vereint zu erblicken, so dass die Rose der Liebe im Leiden erröte und die Rose des Leidens im Feuer der Liebe erglühe. So sehr nämlich hat uns geliebt unser Liebender, dass er, gezwungen von seiner Liebe Glut, der Röte des Leidens anheim fiel und "hingab zum Tod seine Seele, zum Tod jedoch des Kreuzes" -, welches aber nicht kurz nur gewährt hat, sondern von Anbeginn seines, Ursprungs bis zu dem Ende des härtesten Todes. Darum steht alles, was erlitten hat der gütige Jesus "in den Tagen seines Fleisches", ganz und gar in Bezug zu der Röte der Rose des Leidens, wenngleich sie durch die so häufigen Vergießungen seines allerheiligsten Blutes in besonderer Weise gerötet ward. Aber weil alles, was er erlitten, nicht aufgezählt werden kann, so lasse man es sich nicht verdrießen, zum wenigsten die heilbringenden Blutvergießungen sich von neuem vor Augen zu stellen, damit, was dauernd bewahrt werden soll, dem Gedächtnis um so fester sich einpräge.
ACHTZEHNTES KAPITEL: VON DER ERSTEN VERGIESSUNG DES BLUTES JESU CHRISTI
1. Von der ersten Blutvergießung lesen wir bei der Beschneidung, als er "mit dem Namen Jesus benannt ward", so dass damals schon sich geheimnisvoll anzeigt, dass er durch Vergießung seines Blutes in Zukunft uns werden sollte der wahre Jesus, das ist: der Erlöser. Hören mögen es und verstehen die Knaben wie die Mädchen des zarten Alters, und immer wieder möge ihrem Geist eingeprägt werden des unschuldigen Jesus frühes Martyrium. Darum sagt auch Isaias von der Geburt unseres süßesten Jesus: "Ein Kind ist uns geboren, und ein Sohn uns geschenkt, auf dessen Schultern die Herrschaft ruht", - indem er das Kreuz, auf welches er mit dem Wort "Herrschaft" hindeutet, sofort mit seiner Geburt verbindet, wie ja auch wirklich mit dem Anbeginn seiner Geburt zugleich die Geburt seines Kreuzes den Anfang nahm. In nicht geringem Maß nämlich tritt auch darin sein in Röte leuchtendes Leid uns entgegen, dass unser Herr an fremdem Ort, inmitten des Winters, zur Mitte der Nacht von einer armen Mutter geboren ward. Und wenn auch hier sein Blut nicht vergossen wurde, so geschah dies doch ganz kurze Zeit, nämlich sieben Tage danach.
2. O wie preisenswert gibt hier seine Liebe sich kund! Kaum ist geboren des Himmels Glorie, des Himmels Reichtum, des Himmels Wonne, Jesus, der süßeste und liebreichste Knabe, und siehe, schon wird mit dem völlig neuen Lebensbeginn des Kreuzes Schmach, des Kreuzes Schmerz, des Kreuzes höchste Armut verbunden. Aber aufgewogen ward das Elend des Kreuzes durch der Herrschaft wahrhaften Namen. Denn durch das Kreuz hat die ganze Welt zugleich mit der Hölle besiegt, der "geherrscht hat vom Holz" - der starke Jesus; um des Kreuzes willen "hat er sich bis zu dem Tod erniedrigt, gehorsam" dem Vater; "darum hat ihn auch Gott" der Vater, "erhört und ihm gegeben den Namen, der ist über allem Namen". - Sehr gut also fügt sich zur ersten Vergießung des Blutes des reinsten Lammes der Name "Jesus", da hier um unserer Erlösung willen das Blut zu fließen begann, welches zur Vollendung des Heils in Zukunft sich ganz hat ergießen sollen.
NEUNZEHNTES KAPITEL: VON DER ZWEITEN BLUTVERGIESSUNG
1. Zum zweiten Male ward das Blut unseres süßesten Jesus - des Leidens Rose färbend vergossen im blutigen Schweiß des betenden und in Todesangst leidenden Jesus; denn "als ihn Todesangst befiel, betete er inständig; und sein Schweiß ward wie Tropfen auf die Erde herabrinnenden Blutes". Aufhören mag alle übrige Blutvergießung - hat denn diese allein nicht genügend Kraft, die Rose zu färben? Wahrlich, sie kann es! - Erhebe dich und zerreiße, du mein elendes Herz, denn siehe, mein Schöpfer wird um meinetwillen von blutigem Schweiß überströmt, und nicht etwa wenig nur, sondern so, dass er zur Erde hinab läuft. Wehe dem elenden Herzen, welches, von solchem Schweiß in solcher Fülle überströmt, nicht feucht wird! Blicke doch hin auf die Trübsal, von welcher gequält ward das mildeste Herz, als der ganze Leib ringsum von blutigem Schweiß troft. Denn in keiner Weise wäre ja außen der Leib von so vielem und solchem Schweiß überflossen, wenn das Herz im Innern durch jenes Schmerzes Last nicht gebrochen würde. "Gebrochen ist", so spricht der Prophet, "mein Herz inmitten meines Inneren." Erst nachdem zerrissen ward im Innern das Herz, ward auch außen zerrissen die Haut des wahrhaften Salomo, des liebeglühendsten Jesus, und es ergoss sich blutiger Schweiß zur Erde. Es rötete sich die Rose der Liebe und des Leidens - Christi Jesu, des rotüberströmten! Sieh', wie er völlig "in Röte erglänzt!"
2. Und wahrlich, nicht ermangelt des Geheimnisses diese allseitige Ergießung des Blutes des gütigsten Jesus. Geschwitzt hat nämlich am ganzen Leib; der unsere Krankheit - die unserem Leib und Blut entkeimt - wegzunehmen herabkam, - so dass zu Gesundung und Heil des gesamten geistlichen Leibes: der Kirche, hinreichend war der blutige Schweiß, der an jeglichem Teil seines Leibes von unserem Haupt Jesus vergossen ward. So sind wir "befreit von dem Blut, durch den Gott unseres Heils", den liebreichsten Jesus, der für uns sein Blut vergossen hat. Und ebenso deutete sicherlich der blutige Schweiß auch darauf, dass künftig am ganzen geistlichen Leibe das Blut der Martyrer strömen und so die Kirche in rotem Schimmer erstrahlen würde.
ZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER DRITTEN BLUTVERGIESSUNG
1. Die dritte Blutvergießung geschah bei dem Zerren an den Wangen, bekundet von dem Wort des Propheten, nach welchem Jesus, unser lieblicher Herr, also redet: "Meinen Leib gab ich preis an die Schlagenden, die Wangen aber an die Zerrenden"; dies erklären einige mit Bezug auf die Zerfleischung der Kinnbacken durch die Fingernägel der gottlosen Juden, einige aber mit Bezug auf die Ausreißung des Bartes Jesu, unseres Herrn; in jedem Fall ist es, ob nun beides oder eines von beiden die wahre Meinung, nicht ohne Vergießung des Blutes geschehen. So sehe ich denn die gottesschänderischen Hände des ruchlosesten Volkes - nicht zufrieden mit Faustschlägen und Backenstreichen und der Anspeiung unserer Sehnsucht, des Angesichts Jesu, unseres gütigsten Herrn, vielmehr sogar zu zerrendem Verwunden seiner Wangen entbrennen und seinem süßesten Angesicht, auf dass röter werde unsere Rose, das Blut entlocken. Ich sehe, wie jenes "fleckenlosen Lammes" wunderbare, als Vorbild uns leuchtende Geduld die schamvollen Wangen den Nägeln jener Schamlosesten mit aller Sanftmut zur Zerfleischung bietet, auf dass wir es geduldig ertragen, wenn um seinetwillen einmal unser "Angesicht die Schande bedecken" sollte.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER VIERTEN BLUTVERGIESSUNG
Die vierte Vergießung des Blutes geschah in der Aufsetzung der grausamen Dornenkrone, welche nicht leicht nur aufgesetzt, sondern voll Hass tief eingedrückt ward dem süßesten Haupt unseres Jesus. Denn zu sehr nur entspricht ja der Wahrheit, dass die Hasser der Wahrheit nicht nur ihre Schande erstreben, sondern auch ihre Marter. Ganz gewiss sind hier nicht ausgeblieben die Bäche des Blutes, die von dem Haupt, welches von Hohn und von Hass gekrönt, niederflossen auf den Hals und das Angesicht des süßesten Jesus; denn hätten sie dem Gekrönten nicht Qual zugleich mit dem Spott zufügen wollen, so hätten sie leicht aus anderen Reisern oder Baumzweigen eine Krone zu flechten vermocht. Damit sie jedoch ihrer Sitten Stacheln verrieten, haben sie dem mildesten Lamme, Jesus, unserem Herrn, der nun "mit Ruhm und Ehre gekrönt", - aus DornenstacheIn eine Krone bereitet. Und wenn sie ihn auch zum Hohn gekrönt, so haben sie dennoch - aus Spott und ohne ihr Wissen - ihn als König bekannt, da ja die Krone den Königen eigen: so wird er von ihnen ohne ihr Wissen als König offenbart, während in den Dornen der Krönenden Bosheit zu Tag tritt.
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER FÜNFTEN BLUTVERGIESSUNG
1. Die fünfte Vergießung des Blutes besteht in der grausamen Geißelung unseres sanftmütigsten Lammes, des rosenfarbigen Jesus. O in welch großer Menge ist wohl dieses heiligste Blut vom zerfetzten Leib des Gegeißelten zur Erde geflossen! Unter welcher Raserei der knirschenden Frevler, unter welchem Getöse der Wütenden ist wohl der süße Jesus gegeißelt worden, der hierzu eben gekommen war, dass er uns von den Geißeln ewiger Verdammnis befreie! "Ohne Ursache", so spricht er, "haben sie mich mit Geißeln geschlagen." Wahrhaft "ohne Ursache", es sei denn, dass jene Elendesten und Verderbten deine guten Werke für strafwürdig erachten, sie, die "die Wahrheit" in der Lüge "fesseln".
2. Aber wir werden hierdurch auch angeleitet, dass wir die Geißelschläge des heiligsten Vaters mit ruhigem Gemüt zu ertragen lernen, da der Verruchtesten Hiebe für uns Unwürdige Jesus, unser süßester Herr, mit solcher Geduld ertragen hat. Denn welche Schläge sollte nicht gern ertragen der Mensch, der "geboren zur Mühsal", in Sünden genährt und wandelnd, der Erbschaft des himmlischen Palastes, welcher die Reinen nur in sich aufnimmt, entsetzt, - wenn er sieht, wie der König aller Könige und Herr der Herrscher, der liebeglühendste Jesus, "der keine Sünde begangen, und in dessen Mund kein Betrug erfunden ward", mit so schweren Geißelschlägen misshandelt wird? "Höre es, törichter und einsichtsloser Mensch", und "lasse dich belehren" weiche nicht zurück, ergreife selbst vielmehr die Geißel der Zucht, auf dass du nicht verloren gehst vom rechten Weg, und dein Herr dir nicht zürne, der "seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern" um deinetwillen "ihn hingegeben" zur Geißelung.
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: VON DER SECHSTEN UND SIEBTEN BLUTVERGIESSUNG
1. Zum sechsten Mal ward das Blut - in reichlichster Fülle - vergossen bei dem Einschlagen der Nägel. Wer nämlich könnte zweifeln, dass den geöffneten und sogar durchbohrten Händen und Füßen des unschuldigen Jesus eine Fülle heiligen Blutes entströmt sei? In den Strömen dieses Blutes wird unsere Rose mit Purpur gefärbt, denn wahrlich, hier findet sich glühendste Liebe, hier in Röte leuchtendes Leiden. In dieser Größe des Leidens erschaue man die Größe der Liebe; die Glut der Rose der Liebe sollst du erkennen in der leuchtenden Röte des Leidens. Wer hat je so Schweres, so Schmachvolles ertragen? Gott ist es, der hier leidet, und nicht hat in irgend etwas die harte Kelter des Leidens sich leichter gemacht, der für seine Diener die Gewalt der Marter völlig aufzuheben oder doch zu erleichtern gewohnt ist. Nicht schont seiner selbst, der der Seinigen zu schonen weiß. Hiervon hast du im Evangelium Johannis den Augenschein, dort, wo er seinen Häschern auf ihr Wort, dass sie ihn suchten, sofort als Antwort erteilt: "Ich bin es. Wenn ihr also mich sucht, so lasst diese gehen." O Glut wahrer, ja allerwahrster Liebe - es offenbart und überliefert sich selbst die Liebe den rasenden Feinden, ihrer selbst nicht schonend, für die Ihrigen aber bittet sie, dass ihnen Schonung zuteil werde. So wird er denn gefangen und nach maßloser Verspottung durch Juden wie Heiden, nach maßlosem Vergießen des Blutes mit Nägeln an Händen und Füßen durchbohrt, - und es wird an das Holz des Kreuzes geschlagen unser mildester Erlöser, der geliebte Jesus. - Schaue an und betrachte die Rose blutigen Leidens, wie sie erstrahlt zum Zeichen glühendster Liebe. Es wetteifern Liebe und Leiden, jene dass sie in stärkerer Glut, dieses, dass es in tieferer Röte noch strahle. Doch wunderbar, wie aus der Glut der Liebe die Röte, des Leidens ersteht, denn er litt ja nicht, wenn er nicht auch liebte; und in dem Leiden und seiner Röte wird sichtbar die Glut der größten unvergleichlichen Liebe. Denn gleichwie eine Rose, die von der Kälte der Nacht geschlossen, in der Wärme der Sonne sich völlig eröffnet und mit entfalteten Blättern in ihrer Röte erschauen lässt die wonnige Glut, ebenso ward die beseligende Blume des Himmels, der beste Jesus, welchen so lange Zeit hindurch die Sünde des ersten Menschen wie ein nächtlicher Frost verschlossen gehalten, so dass er den Sündern noch nicht der Gnade Fülle erteilte, - ebenso ward, als die Fülle der Zeit gekommen, auch er von den Strahlen brennender Liebe in Flammen gesetzt und an jeglichem Teil seines Leibes eröffnet; und die Glut der Rose der Liebe strahlte zurück in der Röte vergossenen Blutes.
2. Sieh denn, wie unter solcher Rosen Schmuck Jesus erblüht in rotem Schimmer! Blicke auf seinen ganzen Leib; wo wirst du der Rosen Blüte nicht finden? Blicke hin auf die eine Hand und die andere, ob du nicht Rosenblüten gewahrst; blicke hin auf der Seite Öffnung, denn auch sie ermangelt der Rose nicht, wenngleich sie nur rötlich ist wegen untergemischten Wassers, da ja aus ihr "hervor geflossen ist Blut und Wasser". Denn er ist es ja, "der da kommt durch das Wasser und das Blut", der gütigste Christus Jesus. - O allermildester Herr und Erlöser, guter Jesus, wie werde ich würdig dir danken, der du von Anbeginn deines Ursprungs bis zu dem härtesten Tod, ja selbst noch nach deinem Tod für mich solche Fülle deines Blutes vergossen, der du die Glut deiner erhabensten Liebe durch so häufiges Vergießen deines Blutes hast offenbaren wollen! O wie so viele Blätter sind es, die deine Rose hundertfältig bereichern und schmücken! Wer kann sie alle aufzählen? Zähle die Tropfen Blutes, das vergossen ward von der süßesten Seite und dem Leib des liebeglühendsten Jesus, und du hast aufgezählt der Leidens- und Liebesrose Blätter. Denn eben die einzelnen Tropfen Blutes sind ihre einzelnen Blätter. - Von der siebenten Vergießung des Blutes des Herrn haben wir schon in Kürze gesprochen, als die Rede war von der Öffnung der Seite, aus welcher jenes "Blut und Wasser hervor geflossen", durch das wir empfangen haben das Sakrament der Taufe.
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL AUFFORDERUNG ZUR BESCHAUUNG DES LEIDENS UND DER LIEBE CHRISTI
1. Und nun werde stark, meine Seele, schwinge dich empor, die du elend und schwach, - mit den Flügeln des Glaubens und der Hoffnung strebe aufwärts zu diesem Garten der Liebe; sammle in Eins des ganzen Gemütes Schauen, das verstreut ist im Mannigfaltigen, und ahme nach der kleinen Biene Emsigkeit, zu bereiten dir den Honig der Andacht; zum Paradies der Liebe steige empor, steige empor, so sage ich, zu dem "erhobenen Herzen", - denn siehe: den du suchst, er ist erhöht. - Auf dass du dich aber nicht fürchtest, ward "er, der erhöht ist, erniedrigt". Nicht nämlich' ward er erhöht am Kreuz, dass er schwer zugänglich sich zeige denen, die ihm zu nahen begehren, - darum vielmehr, dass er für alle leichter zu finden sei. Mit Zuversicht also tritt hin zu jenem Paradies, und in der Ausbreitung der Arme erkenne des Duldenden Liebe, die Umarmung dessen, der sich zu dir, und dich zu sich gleichsam einlädt, der in gewisser Weise klagend und voller Barmherzigkeit ausruft: "Kehre um, kehre um, Sunamitin; kehre um, kehre um, auf dass wir dich schauen." Umkehren sollst du von bösem Willen, von bösem Tun, von Hartnäckigkeit und Verzweiflung; umkehren sollst du zu mir, die du abgewandt warst von mir, auf dass mit jenem Blick der Gnade, mit dem auf die Sünderin wir geschaut und den Räuber, auch auf dich wir hinblicken mögen.
2. So lies denn mich, das "Buch des Lebens, geschrieben innen und außen" - und was du gelesen, verstehe; lies zusammen dir meine Blüten, dass du eingehen könnst in jenes Paradies, vor dessen Pforte der Cherubim steht mit flammendem Schwert. Denn kräftig ist die Wissenschaft, die bei mir du in Fülle zu lernen vermagst, - den hindernden Cherubim zu entfernen; die Rosen des Blutes jedoch löschen aus des doppelschneidigen Schwertes Flamme. So gehe denn ein, o Seele, in jenes Paradies, das besser denn alle Paradiese - vorerst noch allein mit der Liebe der Betrachtung, sowie du es gegenwärtig vermagst, auf dass du in kurzem mit Seele und mit Leib in jenen himmlischen Garten der Seligkeit eingehen könnest. Und nicht sollst du kurz nur im ganzen das Paradies umfassen, vielmehr sollst du fliegen von Blüte zu Blüte, und saugen an der einzelnen Blüten Blätter; nun zur Rechten, nun zur Linken sollen den blutsprühenden Bächen wir immer näher und inniger uns nahen. Allenthalben ist Andacht zu suchen und Gnade tränenvoller Zerknirschung; überall zu betrachten, wie grausam der Nägel Einschlagung, wie bitter der Adern und Gebeine Zerschmetterung an den Händen dessen, der erschaffen hat Himmel und Erde, - wie er "gewirkt hat das Heil inmitten der Erde"; und unter der Betrachtung von alledem ist immer von neuem zu beten: "Gib wieder mir die Freude deines Heiles", indem du der Biene nachahmst, die unter dem Fliegen stets ein gewisses Tönen bewahrt und nicht eher still wird, als bis sie in das Innere der Blüte gedrungen, wo sie des willkommenen Honigs Süßigkeit sammelt und einsaugt. O wie selig wirst du sein, wenn dir Einlass gewährt ist in unseres blühenden und süßesten Paradieses blutige Rosen, in Christi Wunden, - wenn von dem Lärm dieser Welt und der Versuchungen Ansturm du völlig frei zu werden vermagst und ihm, zu dem du eingegangen, einzig geöffnet kosten kannst und verstehen, wie gut und süß Jesus ist! - So sollst du auch seine Füße betrachten, nicht weniger blutüberströmt, nicht weniger Schmerzen ertragend als seine Hände selbst durchstoßen auch und durchbohrt, mit Strömen und Tropfen Blutes übergossen und besprengt.
3. Endlich aber sollst du dich jenem demütigsten Herzen Jesu nahen, des Hocherhabenen, durch das Tor der von der Lanze durchbohrten Seite; dort ist ganz gewiss ein unsagbarer Schatz der ersehntesten Liebe verborgen; dort auch wird Andacht gefunden, von dort her der Tränen Gnade geschöpft, wird erlernt Sanftmut und Geduld in Widerwärtigkeiten, Mitleid in Betrübnis, wird vor allem "ein Herz voll Zerknirschung und Demut" gefunden. Ein solcher ist es und ein so großer, der sich nach deiner Umarmung sehnt; ein solcher wartet auf dich, dass er dich umfange; das umblühte Haupt, mit so vielen Dornenstacheln behaftet, dir neigt es sich zu, dass es zu des Friedens Kuss dich lade, als spräche er gleichsam: Siehe, wie ich entstellt ward, wie durchbohrt, wie misshandelt, damit ich dich könne auf meine Schultern legen, dich, mein verirrtes Schaf, und dich zurückführen könne zum Paradies der himmlischen Weide. Übe Vergeltung, lass dich von Mitleid mit meinen Wunden bewegen und "lege mich" als solchen, wie du jetzt mich erblickst, "gleich einem Siegel auf dein Herz, gleich einem Siegel auf deinen Arm", damit du in allen Gedanken deines Herzens, in allen Werken deiner Arme mir, dem so, wie du es siehst, Gezeichneten ähnlich erfunden werdest. Nachgebildet hatte ich dich dem Bild meiner Gottheit, da ich dich schuf, nachgeformt ward ich dem Bild deiner Menschheit, auf dass ich dich wiederherstellte, Du, der du nicht die Form meiner Gottheit bewahrt, dir eingeprägt in deiner Erschaffung, bewahre wenigstens die Gestalt deiner Menschheit, die mir erteilt ward in deiner Erneuerung; bewahrst du dich nicht, als der du von mir erschaffen, - so bewahre dich wenigstens, als der du von mir erneuert; fassest du es nicht, wie groß die herrlichen Kräfte, die ich dir in deiner Schöpfung verliehen, so fasse zum wenigsten, wie groß das Elend, das ich in deiner Menschheit um deinetwillen auf mich genommen, indem ich dich neu schuf und zu noch höheren Wonnen als jene, für die du gebildet, erneuerte. Denn hierzu ward ich sichtbarer Mensch, dass du, mich schauend, in Liebe zu mir erglühest, - zu mir, der ich nicht gesehen und nicht sichtbar in meiner Gottheit, in gewisser Weise auch nicht geliebt ward. Gib darum hin den Preis meiner Fleischwerdung - indem du dich selbst hingibst dem Leiden. Ich gab mich dir, - gib du dich mir!
4. O süßester guter Jesus! "Vater der Lichter", von welchem "jede beste Gabe und jedes vollkommene Geschenk" ist, blicke barmherzig auf uns, die wir in Demut dich lobpreisen, wahrhaft wissend, dass ohne dich wir nichts tun können; und der du für uns dich als Lösepreis gabst, verleihe, dass wir, obgleich so hohen Preises völlig unwert, dennoch deiner Gnade so ganz und vollkommen zurückgeschenkt werden, dass gleichgeformtdem Bild deines Leidens - wir zu jenem nicht minder, welches durch die Sünde verloren: zu deiner Göttlichkeit Bild aufs neue gestaltet werden; was gewähren möge unser Herr! Amen!
BRIEF ENTHALTEND FÜNFUNDZWANZIG MERKPUNKTE
VORWORT
Seinem in Christus geliebten Bruder M. wünscht Bruder Bonaventura, sein Mitbruder im Herrn, dass, nachdem in jeglicher Weise von ihm "der alte Mensch abgelegt", er für Christus lebe und sterbe für die Welt. -
1. Du, mein geliebter Bruder im Herrn, hast zur Zeit, da ich noch in deiner Gegenwart weilte, mich inständigst gebeten, dass ich dich späterhin mit einigen kürzeren geistlichen Ermahnungen brieflich heimsuchte. Nun weiß ich zwar, mein Bruder, dass du mit diesen Worten "glühende Kohlen sammelst auf meinem Haupt", Dennoch aber, - da du in liebevoller Inständigkeit meiner Härte Stolz mit dem Flehen deiner Demut soweit wenigstens besiegt hast, dass ich eben dies schon versprach, worum du batest (ob es zwar durchaus gebührlicher wäre, wenn ich von dir dergleichen empfinge, als dass ich dir in solcher Weise eine Richtschnur gebe), - da nun einmal die Beharrlichkeit deines andachtsvollen Anliegens mich dazu treibt, töricht zu werden in dieser Hinsicht; so will ich nach meinen Kräften, wie immer es gehen mag, das versuchen, wozu du mich aufforderst, - ohne dir aber etwas anderes - Besonderes - zu schreiben als das - zwar Rohe und Einfältige -, das ich für mich selbst zusammenzustellen gedachte, wovon dir das meiste schon bekannt ist. Indessen aber - ich spreche zu deiner Liebe, mein Teuerster -, da keiner, nach der Lehre gewisser Erfahrung, in vollkommener Weise Gott zu dienen vermag, wenn er nicht von Grund aus Sorge trägt, sich loszulösen von der Welt, so tut es not, wenn anders wir nachfolgen wollen dem Herrn, unserem Erlöser, - dass wir dem Wort des Propheten gehorchen und "lösen die Bande der Bosheit, losmachen die niederdrückenden Fesseln", um so, ungehemmt durch irdisches Treiben, mit freiem Schritt dem Erlöser zu folgen. Denn, nach des Apostels Zeugnis, soll ja "kein Streiter Gottes sich in weltliche Geschäfte verwickeln".
2. Nie also lasst uns erlauben, dass um irgendein geschaffenes Ding, es sei denn, insofern es in uns der göttlichen Liebe und Hinneigung Gefühl erweckt - unser Herz sich in Sorge befinde, da der vergänglichen Dinge vielfältige Verschiedenheit, mehr als pflichtgemäß beachtet, nicht allein durch Zerstreuung des Geistes die gnadenvolle Ruhe des Gemütes stört, sondern sogar, indem sie im Geist Phantasmen erzeugt, durch stürmischer Erschütterungen Beschwerde dieselbe gewaltsam vertreibt. Sondern lasst uns vielmehr - ablegend aller irdischen Neigungen Bürde, fern von allen Zögerns Beschwertheit - hineilen zu dem, der uns zu sich lädt, in welchem ist der Seelen reichste Erquickung und der "höchste Frieden, der allen Sinn übersteigt".
3. "Kommet her zu mir", so spricht er, "alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken!" O Herr, wessen bedarfst du? Weshalb rufst du, was ist dir gemein mit uns? O wahrhaft Stimme der Liebe! "Kommt zu mir", so spricht er, "und ich werde euch erquicken." O wunderbare Herablassung unseres Gottes! O unaussprechliche Liebe! Denn wer hat je solches getan? Wer ähnliches jemals gehört, oder wer gesehen? Siehe, er lädt die Feinde ein, er muntert die Schuldigen auf, er lockt die Undankbaren zu sich! "Kommt", so spricht er, "zu mir alle! Und lernt von mir! Nehmt mein Joch auf euch, und ihr werdet Ruhe finden für euere Seelen!" O süßeste Worte, o liebliche Worte, Worte, die umbilden zu Gott, "schärfer durchdringend als jedes zweischneidige Schwert", das innerste Mark des Herzens verwundend, und, erfüllt von alles übersteigender Süßigkeit, "hingehen bis zur Scheidung von Seele und Geist"! - Wache nun auf, o christliche Seele, zu lieben so große Güte, zu verkosten so große Süßigkeit, zu genießen so holden Duft. Sicherlich, - wer diese nicht fühlt, der ist krank, ist von Sinnen, ist schon dem Tod nahe. Ich bitte dich entbrenne, meine Seele, schwill über, werde ganz süß in deines Gottes Barmherzigkeit, in deines Gottes Milde, in deines Bräutigams Liebe; niemand möge dich hindern einzutreten, zu halten, zu verkosten.
4. Was suchen wir weiteres, was erwarten wir, wonach sehnen wir uns? Haben wir doch in diesem Einen alles Gute. Aber weh unser erstaunlichen Raserei, wehe unser elenden Krankheit, weh unseres abscheulichen Wahnsinns! Denn gerufen sind wir zur Ruhe: und wir folgen zur Mühsal, - eingeladen sind wir zum Trost: und wir suchen den Schmerz, - verheißen wird uns die Freude: und wir streben der Trauer nach! Elende Krankheit, wahrlich, und jammervollste Verderbnis! Denn schon fühllos gleichsam sind wir geworden und schlechter als bloße Bildwerke; denn Augen haben wir und sehen nicht, Ohren und hören nicht, - Vernunft und unterscheiden nicht, da wir "das Bittere als süß und das Süße als Bitteres nehmen".
5. O Gott, woher kommt uns so großer Verderbnis Besserung, woher so schweren Verstoßes Genugtuung? Gewiss wird nichts der Art in uns erfunden, wenn es nicht durch dein Geschenk uns erteilt wird. Denn du allein kannst uns bessern, du allein Genugtuung leisten für unsere Fehltritte, der du allein kennst unsere Verwundung, du unser Heil und unsere Erlösung, der du solches in jenen allein vollbringst, die elend sich in unterster Tiefe sehend, auf dich allein ihre Zuversicht setzen, aufs neue erhoben werden zu können.
6. Richten wir also zu Gott unseres Geistes Augen empor, und erfassen soll unser Blick, in welcher Tiefe wir jetzt daniederliegen; denn wer seinen Fall nicht durchaus kennt, wird nicht genug für seine Erhebung sorgen. Zur Erkenntnis aber gelangend, sollen "schreien wir" aus all unser Kraft "zum Herrn aus der Tiefe", dass er die helfende Hand uns reiche seiner Barmherzigkeit; die "nie wird zur Rettung verkürzt werden können". Nie, ich bitte dich, lasst uns "das Vertrauen" verlieren, "das großen Lohnes teilhaftig wird". "Lasst uns mit Zuversicht hintreten zu dem Thron seiner Gnade", zu erlangen "das Ziel unseres Glaubens, das Heil" unserer "Seelen". Nicht sei noch Zaudern in uns. Schon nämlich ruft uns das Leben, erwartet das Heil, stachelt an die Trübsal, dass wir in sein Inneres eingehen. Was also tun wir? Was sind wir träge? Was lassen wir uns auf Verzögerung ein? - "Lasst uns eilen, einzugehen in jene Ruhe" der ewigen Freude, die da in sich birgt "Großes und Unerforschliches und Wunderbares, dessen keine Zahl ist". "Es steige empor", so bitte ich, "unser Herz nach Jerusalem": seufzen wir nach dem Haus unseres Vaters streben wir aufwärts zu unserer Mutter! "Treten wir ein in das Reich des Herrn", schauen wir auf unseren milden König, der in ihm herrscht, - und in seinen Erbarmungen unsere Herzen schmelzen mögen.
7. Danken wir jenem von ganzem Herzen, der - den Fehler unserer Undankbarkeit nicht ansehend - nicht seiner Barmherzigkeit Milde uns entzogen hat, die Sehnsucht uns schenkend "den Weg zu eilen seiner Gebote", den ohne Sehnsucht keiner hineilen kann. Wahrlich, ein Geschenk ist dies, nicht gering zu achten, vielmehr in großer Ehre zu halten, wie denn auch jener Prophet, der hervorragt unter den andern, von sich selbst eindringlich sagt, er habe nach ihm begehrt: "Verlangen trug meine Seele", so spricht er, "sich zu sehnen nach deinen Satzungen zu jeglicher Zeit". Da aber eben diese Sehnsucht zuweilen in folge der allzu großen Lauheit unseres sorglosen und nachlässigen Wesens erschlafft, gedachte ich gewisse Merkworte zu ihrer Wachrufung aufzuzeichnen, in denen klargelegt werde, wovor man fliehen und welchen Dingen man nachgehen solle; in deren alltäglicher - wirksam und hingabevoll geübten Erwägung wir die alte Stärke wiedererlangen und solange unermüdlich durch Tugenden und Gnaden in der Liebe Gottes wachsen mögen, bis dass in ihrer Vollendung "komme die Sehnsucht der ewigen Hügel" über uns. - Von diesen Merkpunkten nun werden zuvor einige allgemeiner Natur - acht an der Zahl - geboten, denen die andern, besonderen Inhalts, späterhin nachfolgen.
DIE ALLGEMEINEN MERKPUNKTE
Gemeint sind hier gewisse Tugenden, - anstehend den Jünglingen und wie eine Stufenleiter des Heiles, über welche sie ohne Zweifel zur Vollkommenheit der Tugenden und zum höchsten Gipfel der Herrlichkeit hinan steigen können, wofern sie sich treu in ihnen geübt, - nämlich: eine heilige Schamhaftigkeit in all ihren Worten und Taten, Zurückhaltung in der Rede, Raschheit im Gehorchen, Häufigkeit des Gebetes, Fliehen des Müßiggangs und der Zerstreuungen, reines und häufiges Bekennen der Sünden, freudiges Dienen und Meiden unfruchtbarer Gesellschaft. Es sind dies gleichsam blitzende Perlen, die ihren Eigentümer Gott und Engeln und Menschen zur Freude machen. "Wenn es jedoch Ihm gut schien, der dich von deiner Mutter Leib her ausgesondert, und dich berufen hat durch seine Gnade: dass er in dir das Bild seines Sohnes" offenbare, aus jammervoller ägyptischer Knechtschaft hinaus dich führend "in die Freiheit der Kinder Gottes", und schon auf den Weg des neuen Menschen du begonnen hast, auf den Pfad der Demut deinen Fuß zu setzen, der mitten inne zwischen Furcht und Liebe gegründet; so wirst du alsdann - über eben jenen Weg der Demut zu Erhabenerem steigend auch in Höherem dich üben können. Hierüber werden einige Merkpunkte im folgenden aufgezeichnet.
DIE BESONDEREN MERKPUNKTE
1. ÜBER DIE ABTÖTUNG DER BEGIERDEN
Zum ersten ist dies vor allem notwendig, dass du in deinem Begehren den Spuren des Erlösers folgst, der Art, dass du - deine ganze Hoffnung am Herrn befestigt haltend - von allen Tröstungen dieser Welt all deine Hoffnung von Grund aus ablösest.
2. VON DER AUSROTTUNG DER LASTER
Das Zweite ist, dass du von allen Lastern und bösen Begierden, insoweit die menschliche Verfassung es zulässt, dich völlig zu reinigen suchst, so dass "nach Ausfegung des alten Sauerteigs der" gesamten "Bosheit und Schlechtigkeit du wandelst in Erneuerung des Lebens" in der Nachfolge Christi; denn hast du zuvor nicht jene Ketten der Bosheit gebrochen, so wird deine Seele, in Nebeln beschwert, zu dem Himmlischen nicht sich erheben können.
3. VON DER ZERSCHNEIDUNG DER FESSELN
Das Dritte ist, dass du alle äußere Fessel von dir ablösest, so dass dein Gemüt völlig an Gott gefesselt werden könne.
4. VON DEM GEDULDIGEN ERTRAGEN DER TRÜBSALE
Das Vierte: dass du aus Liebe zum Höchsten alle Verfolgungen dieser Welt mit Gleichmut ertragest, ja selbst, wenn möglich nach ihnen dich sehnst und nur in Christi Leid deine Wonne findest, - dass du, zeitliche Fröhlichkeit von dir weisend, in Trübsalen sogar voller Heiterkeit seist, indem du dafür hältst: sie seien dir alle zur Läuterung von Vergehen und zum Gewinn deiner Seele bereitet.
5. DASS DU ÜBER NICHTS DICH BEKLAGEST
Das Fünfte: dass du, wohl wissend, wie sehr du deinen und aller Wesen Schöpfer beleidigt, für dich von keinem Geschöpfe Rechenschaft forderst.
6. VON DER ARMUT UND SELBSTVERACHTUNG
Das Sechste: dass du dir selbst zur Verachtung seist und auch wünschest von allen verachtet zu werden, dass du, nacheifernd der heiligsten Armut, in allem, was dich betrifft, aus ganzem Vermögen an das Raue, Geringe und Dürftige dich haltest; - dies aber nicht bei den anderen verlangest, sondern, glücklich und erfreut über jede Tröstung der Brüder, ihnen wenn nötig mit Dienst und Hilfe zur Seite stehst, indem du sie jeder Tröstung für würdig erachtest; es mag denn, was ferne sei, so offenbar dir an jemand eine Beleidigung Gottes vor Augen stehen, dass ihm jede Entschuldigung mangelt. Über diese aber sollst du in Mitleid und Furcht aus innerstem Herzen trauern, so sehr du vermagst.
7. DASS MAN DIE EHREN FLIEHEN SOLLE
Das Siebente: dass du - zu aller Zeit in der Furcht lebend - die Schmeichelwerke der Welt, Ehren, Ruhm oder Gunst und die Winde der Eitelkeit gleichwie tödliche Pest gänzlich fliehst, aus allem Vermögen, - und ständig gesammelt in dir selbst, allezeit auf der Hut vor dir seist; denn, wenn du in vollkommener Weise über dich selbst den Sieg erlangt, wird kein, sei es innerer sei es äußerer, Feind fernerhin dir noch Schaden zufügen.
8. ÜBER DIE WAHRE DEMUT
Das Achte: dass du aus Liebe zu jenem, der, obwohl Herr über alles, was im Himmel, auf Erden und unter der Erde, für uns hat angenommen des niedrigsten Knechtes Gestalt, in ihr aus freiem Willen der Menschen Gewalt unterworfen, - in Demütigung deiner selbst jeden Menschen nehmest für deinen Herren, dich selbst aber wahrhaft für jeglichen Wesens Diener erachtest in allen Dingen. So wirst du auch stete Ruhe und Frieden mit allen erlangen und durchaus nichts von Ärgernis wissen.
9. VON DEM FRIEDEN DER SEELE UND WIE MAN IHN BEWAHREN SOLL
Das Neunte: dass du nichts von jenen Dingen berührest, die nicht dich durch ihren geistlichen Nutzen berühren, - dies besagt: dass du um keine Sache dich sorgst, noch in irgend etwas, sei es ein Inneres, sei es ein Äußeres, wie immer dich verwickelst, wo du nicht findest deiner Seele Gewinn, - noch auch in dergleichen von irgend jemand dich verwickeln lassest; ein wunderbares Geheimnis nämlich liegt hier verborgen - unsichtbar denen, die ohne Erfahrung.
10. VON DER BEWACHUNG DER SINNE
Das Zehnte: dass du Gesicht und "Mund" und den übrigen Sinnen des Leibes auf jede Art "eine Wache setzest", so dass du nichts mehr künftig sehen, hören und berühren willst als was von Nutzen für deine Seele. Auch deine Zunge sollst du völlig in Schranken halten, so dass du gar nichts redest, es sei denn gefragt und durch Not oder augenscheinlichen Nutzen gezwungen, doch dann mit heiliger Scheu und Furcht und geistiger Süße, kurz und in Demut, wenn möglich stets alle Vielzahl der Wörter vermeidend und jeden Anlass hierzu nach Möglichkeit abschneidend.
11. VON DER EINSAMKEIT UND DEN NACHTWACHEN
Das Elfte: dass du, nach gnadenvoller und heiliger Einsamkeit Sehnsucht tragend, zu jeder Zeit der Nachtwachen Übung dir kostbar sein lassest, indem du stets in ihnen Gott deine Gebete darbringst in achtsamer Erwägung der Worte, in andachterfüllter Glut und in tiefster Demut.
12. VON DEM GÖTTLICHEN OFFIZIUM
Das Zwölfte: du sollst, wenn du das göttliche Offizium zu verrichten hast, so in dir selbst zur Ruhe gelangen, dass du, unbewegbaren Sinnes den himmlischen Geheimnissen obliegend und aller irdischen Dinge vergessend, jenem Gebet mit so großer Andacht, Ehrerbietung, Freude und Furcht dich hingibst, wie wenn du, unter der Engel Scharen gestellt, dem göttlichen Angesicht selbst dein Lob mit jenen vereint in voller Gegenwart darbrächtest.
13. DASS DU ÜBER ALLES DIE GLORREICHE JUNGFRAU STETS VEREHREN SOLLEST
Das Dreizehnte: dass du der glorreichen Königin, der Mutter unseres Herren, zu jeder Zeit in höchster Verehrung ergeben seist und in allen Nöten und Ängsten zu ihr als zur sichersten Zuflucht dich wendest, um Schutz und Hilfe sie anflehend; und dass du, zu deiner Fürsprecherin sie nehmend, voll tiefster Andacht und Zuversicht ihr deine Sache anvertrauest, die Mutter ist der Barmherzigkeit, - Tag für Tag dich bemühend, ihr eine ganz besondere und einzige Verehrung zu weihen, Und damit deine Andacht wohl aufgenommen und die Verehrung willkommen sei, so strebe aus ganzem Vermögen, ihrer Reinheit herrlichen Glanz durch Übung jeglicher Tugend ungeschwächt an Seele und Leib in dir selbst zu bewahren - und so ihrer Demut und Sanftmut Spuren zu folgen.
14. DASS MAN DAS ZUSAMMENSEIN MIT FRAUEN FLIEHEN SOLLE
Das Vierzehnte: dass du allenthalben die Frauen und bartlosen Jünglinge, es sei denn im Fall der Notwendigkeit oder eines offensichtlichen Nutzens, insgesamt meiden sollest. - Einen erwähle, wo du auch seist, dir zum Vater, - einen heiligen Mann, wohl unterscheidend, mild und gütig, unterrichtet mehr in der Erfahrung eigenen Werkes als in Erhabenheit der Rede, - der dich durch wirksames und feuriges Wort und Beispiel zur Liebe Gottes anleite und entflamme, bei dem du in all deinen Nöten Zuflucht und geistlichen Trost zu finden vermögst.
15. DASS VERDROSSENHEIT UND TRAURIGKEIT ZU FLIEHEN SEI
Das Fünfzehnte: dass du, - jegliches Erkalten in Verdrossenheit und Traurigkeit, worin verborgen ist der Weg der Verstörung, "der da führt zum Tod", auf das Entschiedenste und Nachdrücklichste von dir schüttelnd, - nach Innen wie nach Außen in Heiterkeit stets und in Ruhe lebst. Niemandem sollst du irgendwie widersprechen oder Widerstand leisten in irgendetwas, vielmehr auf jede Art in allem mit allen in Frieden sein, sofern es nur nicht dem Lob Gottes oder dem Heil der Seele entgegensteht.
16. DASS DIR ALLES ZU GUTEM BEISPIEL SEI
Das Sechzehnte: dass du deine Neigungen und Wünsche gleichförmig machest dem göttlichen Willen. Alles soll dich erbauen und nicht soll irgend etwas in dieser Welt die Erbauung dir stören, um der Reinheit und Unschuld willen, die dir durch Gottes schenkende Gnade verliehen sei. Und nicht etwa sollst du - mehr als geboten durch anderer Mängel beunruhigt - zu Unrecht noch Unrecht fügend von fremdem Schmutz dich beflecken lassen, auf dass du nicht, im Wunsch, andere aus dem Sumpf zu befreien, auf schlimmere Weise selbst in die Tiefe stürzest. Lieber noch mögest du alles, worin du nicht ohne Schaden zu nützen vermagst, mit milder Liebe bedecken und jener höchsten Weisheit überlassen, die es wohl versteht, Gutes aus dem Schlechten, welcher Art es auch sei, entspringen zu lassen; und so wirst du in allem Guten so sehr wie im Schlechten, wenn der Herr es gewährt, deinen geistlichen Fortschritt zu finden vermögen.
17. VON DER BEWACHUNG DES HERZENS
Das Siebzehnte: dass deinem Herzen, indem du es hütest mit aller Wachsamkeit und es nur den geistlichen Übungen weihest, keinerlei Bilder der sichtbaren Dinge sich einprägen, damit es, fern von allen Geschöpfen, dem geöffnet sein könne in Freiheit, der da ist ihrer aller Schöpfer.
18. VON DER LIEBE ZU DEN NÄCHSTEN
Das Achtzehnte: dass du, hinblickend auf das Abbild und Gleichnis der göttlichen Majestät in allen Menschen, so sehr alle insgesamt mit der Zärtlichkeit innerster Liebe umfassest und für sie alle, besonders aber die Schwachen und Bedürftigen jeglicher Art, Fürsorge tragest - sofern dir nur für die geistlichen Dinge hier nicht schädliche Zerstreuung erwächst: "gleichwie eine" gute "Mutter liebt" und versorgt "ihr einziges" vor allen geliebtes "Kind".
19. VON DEN GEBETEN - IN IHRER EINHEIT MIT DEN HEILIGEN WERKEN
Das Neunzehnte: dass du fortgesetzt dein Gemüt der Art auf Gott hin geordnet und mit ihm vereinigt bewahrst, dass all dein Tun und Wirken des Geistes sowohl wie Leibes Gebet sei, - und dass du jederlei Dienst, besonders niederer Art, mit so großer Glut der Liebe vollbringest, wie wenn du ihn Christus leibhaftig erwiesest. Dies sollst und kannst du gewiss der Wahrheit gemäß dir vorstellen, da er ja selbst im Evangelium sagt: "Was ihr einem von meinen Geringsten getan, das habt ihr mir getan."
20. VON DEM HEILIGEN GEHORSAM
Das Zwanzigste: dass du Ehre und Hochachtung allen erweisest in so pflichtbeflissener wie ergebener Art, - und des heiligsten Gehorsams Regel nicht nur in Großem und Zweifelhaftem, sondern selbst in den kleinsten Dingen "wie deinen Augapfel" stets zu wahren suchst ohne Verletzung, - indem du nicht nur Gehorsam leistest den Größeren und Vorgesetzten, sondern sogar den Geringeren insgesamt, und dich untertan machst einem jeden, wer es auch sei, solcher Art für Christus dich selbst verleugnend. In Gutem und Gleichgültigem suche stets des Andern Willen zu tun, in Nichts erweise dich jemandem lästig; alle Wesen vielmehr in der Liebe Christi umfassend, sollst du allen insgesamt dich zur Freude machen. - Freundschaftsbezeigungen, Anhänglichkeit und Vertraulichkeiten besonderer Art sollst du fliehen; vor allem sei auf der Hut, dass du nie durch Wort, durch Tat oder Gebärde für Groll, Hass, Beschwerde, Beleidigung, Verwirrung, Murren, verkleinerndes Herabziehen, Ärgernis oder auch Schmeichelei, und alles andere Ähnliche, auf irgendwelche Art und Weise, durch dich selbst oder durch einen andern - zur Ursache oder Gelegenheit werdest.
21. DASS DU TRÖSTUNGEN UND BETRÜBNISSE GEHEIMHALTEN SOLLST
Das Einundzwanzigste: dass du geistliche Tugenden oder Gnaden, welche in dir oder durch dich die Barmherzigkeit Gottes zu wirken sich würdigt, desgleichen auch Trübsale, Kämpfe, Tugendvorsatz und ähnliche Dinge vor allen geheim zu halten suchest, soviel du vermagst dies freilich ausgenommen, was du deinem Priester in der Anklage deiner selbst zu entdecken hast; es sei denn, dass du es einem besonders vertrauten, bewährten Freunde um des geistlichen Nutzens willen enthüllest, einem solchen, von dem du glaubst, dass sein Rat und seine Belehrung in derartigen Dingen für dich etwas fruchten könne. Mit Eifer sei stets bedacht, überall Zeit zu erbeuten, damit du frei dem gewohnten Gebet und der heiligen Betrachtung obliegen könnest und "in Einsamkeit ruhend erhoben" werdest in Sehnsucht zu jenem, was oben ist.
22. DASS DU GOTT IMMER UND ÜBERALL IM GEDÄCHTNIS HABEN SOLLST
Das Zweiundzwanzigste: dass du, losgelöst von jeglichem Ding und nichts Irdisches noch begehrend, unter Verachtung aller Geschöpfe mit solcher Bemühung des Geistes und Glut der Sehnsucht auf deinen Schöpfer dich richten sollst, dass du, gleichsam alles Niederen vergessend, - was du auch tun, wo immer du weilen; in welche Geschäfte du immer verwickelt seist, am Tag und in der Nacht, jeden Augenblick und jede Stunde, Gott stets im Gedächtnis habest, - indem du wahrhaft glaubst und bedenkest, dass du der vollsten Wirklichkeit nach in seiner Gegenwart bist und er selbst von allen Seiten dich anblickt. Dies aber bedenke mit heiliger Scheu, mit Furcht sowohl wie mit Zittern, mit tiefster Unterscheidung und glühendster Liebe, - bald, indem du, vor den Füßen seiner unermesslichen Majestät hingeworfen, mit bitterstem Herzen um deiner Sünden Vergebung flehst; - bald, indem du, durch des allerheiligsten Leidens Mitleid wie durch ein Schwert im Angesicht seines Kreuzes mit Ihm verwundet, voller Tränen und Klage vor ihm erscheinst; - bald, indem du seines ganzen Lebens Ablauf der Gekrümmtheit des deinen wie eine Richtlinie der Geradheit vorsetzest; - bald, indem du seine unbeschreiblichen und unermesslichen Wohltaten tief im Geist erwägend, inständigen Danksagungen dich hingibst; - bald, indem du, von den Stacheln seiner Liebe auf das Glühendste verwundet, diese in allen seinen Geschöpfen anschauest; - bald, indem du, nun auf seine Macht, nun auf seine Weisheit, nun auf seine Güte und Milde achtend, ihn auf das Höchste in allen seinen Werken lobpreisest; bald, indem du, durch die Sehnsucht nach der himmlischen Heimat angezogen, nach ihm in klagenden Seufzern lechzest; - bald, indem du, das Innerste seiner unschätzbaren Liebe gegen uns betrachtend, in einer freudeerfüllten und verzückten Bewunderung, mit Herz und Geist in ihm zunichte wirst; - bald, indem du darauf hinblickst, wie du kopfüber fällst, fliehst, stürzest, wie nun aber Gott dich ermutigt in deiner Furcht, dich zurückhält und an sich zieht, wie Gott auf dich Undankbaren in allem seinen Blick gerichtet hält, - und indem du nach dieser Betrachtung, wenn so das unsagbare Innerste der göttlichen Barmherzigkeit dir eröffnet ist, vor übergroßem Feuer der Liebe in ihn dich hineinbewegst und ganz in Tränen dich lösest; - bald aber, indem du, die überaus verborgenen, tiefen, wunderbaren und geheimnisvollen und über alles Maß erstaunlichen Urteilssprüche seiner Gerechtigkeit mit aller Hingebung ins Auge fassend, in allem getreu und standhaft in höchster Liebe, doch auch mit grenzenloser Furcht und mit Zittern, ehrfürchtig unterscheidend, flehentlich und voll Demut ihn anbetest; - vor allem aber, indem du ein ununterbrochenes und lebendiges Gedenken seines allerheiligsten Leidens in deinem Geist und Herzen trägst.
23. VON DER SORGFÄLTIGEN BEWACHUNG DES HERZENS
Das Dreiundzwanzigste: dass du, auf der Hut "zu deiner Bewachung", zu jeder Zeit vor den Listen des alten Feindes, der, oftmals "die Gestalt eines Engels des Lichtes annehmend", auf allen Menschenwegen Schlingen und Netze spannt, auf dass er unsere Seelen zu fangen vermöchte, - mit höchster Vorsicht und Sorgfalt dich schützest, indem du der Jäger Schlingen fliehst wie der Sperling. Und so groß werde durch heilige Demut deiner Augen Reinheit, dass auch seine feinsten Netze dich nicht zu halten vermögen; aus ihnen wirst du dann gewiss in Freiheit und ohne Wunde hervorgehen können, so du ein "Israel" geworden, der unausgesetzt mit den geistlichen Augen hinblickt auf Gott; denn "nicht schlummern wird ja noch schlafen sein Hüter".
24. VON DEM REINEN BEKENNTNIS DER SÜNDEN
Das Vierundzwanzigste: dass du, - festhaltend ohne Erschlaffung des heiligen Vorsatzes Strenge, von heiliger Glut in himmlischer Sehnsucht entflammt und so der Seele und des Leibes leuchtende Reinheit, der Unschuld Lauterkeit und des Gewissens Zartheit ungemindert bewahrend, - mit der allereifrigsten Sorgfalt dich hütest, dass du je, lau werdend in irgend etwas, die geistliche Salbung verlierest. Und damit du ebendies um so sorgfältiger und reiner beobachtest, sollst du in täglicher tiefer Durchforschung sieben Mal des Tags dein Leben prüfen, stets nämlich vor oder unmittelbar nach einer jeden kanonischen Tagzeit, - indem du in aufmerksamster Weise betrachtest und zergliederst, wie du von Stunde zu Stunde gewandelt seist "würdig Gottes", ohne Flecken auf dem Pfad der Gerechtigkeit. Und da es niemanden gibt, der so die Zucht und Gerechtigkeit wahrte, dass er ganz und gar nichts vernachlässigte oder unterließe; so ist es notwendig, dass du, zu der Buße Reinigungsbad deine Zuflucht nehmend, mit Schmerz und Seufzen auf das Häufigste deiner Selbstanklage dich widmest. In dieser Anklage oder Beichte sollst du vollständig, wahrhaft und rein, ohne jeden Schleier der Entschuldigung, Verheimlichung oder Abschwächung, der Ordnung nach alle deine Sünden bis ins letzte, wie Gott selbst, deinem Priester offenbaren, - zunächst die Unterlassungen, die du in dem begangen, was auf Gott sich bezieht, vor allem im Gebet nach seiner doppelten Art, dem inneren und dem mündlichen; weiterhin die Fehler in der Beobachtung der Gerechtigkeit gegenüber dem Nächsten; danach die Vergehen, deren du dich schuldig gemacht aus schlechter Bewachung der Sinne und der den Sinnen benachbarten Gefühle und Gedanken.
Dieses Bekenntnis aber soll stets begleitet sein von Reueschmerz und Genugtuung, der Art, dass du Schmerz empfindest über die Beleidigungen Gottes, nicht über die großen nur, sondern auch über die geringeren, und in diesem Schmerz dich hütest, die Schuld zu erneuern, - immer bestrebt, die Ursachen und Gelegenheiten der Sünde abzuschneiden, so eng sie auch durch Liebe mit dir verbunden scheinen; weil ja ebendann, nach des Erlösers Wort, du ausreißen sollst dein Auge, das dich ärgert, - nämlich die Gelegenheiten zur Sünde, die uns nur zu köstlich erscheinen, selbst wenn ihre Wirkungen gar sehr missfallen. Darum ist tapferster Streit in diesem Kampf vonnöten; und so muss denn durchaus der Diener Gottes blind sein, taub, stumm und ohne Gefühl für alles, worin er nicht findet seiner Seele Gewinn. -
Damit du jedoch nach Beobachtung der göttlichen Gebote und ihrer himmlischen Zucht, in dem, wovon wir gesprochen, und in allem andern, mit noch höherem Eifer strebst und zu ihr noch glühender entflammt werdest, so lasse es dir angelegen sein, diese fünf Dinge einmal zum wenigsten im Lauf des Tages oder der Nacht mit innerer Hingabe und Beharrlichkeit immer von neuem in aufrichtigem Gemüte zu erwägen: wie kurz nämlich sei unser Leben, wie schlüpfrig der Weg, wie ungewiss die Stunde des Todes, welche Belohnungen den Gerechten bereitet und welche Strafen den Ungerechten, damit der Dienst nicht sei ohne Furcht und die Freude nicht ohne Zittern.
25. WIE WIR VOR UNSEREM EIGENEN URTEIL ERSCHEINEN MÜSSEN, AUCH WENN WIR NOCH SO VOLLKOMMEN SIND
Das Fünfundzwanzigste und letzte ist, dass, wenn durch göttliches Gnadengeschenk alles von dir in der rechten Weise getan sein sollte, du dich immer noch als "unnützen Knecht" und Sünder erkennest und jeder Wohltat Gottes für unwürdig achtest, allzeit jedoch den stärksten Glauben bewahrend, von göttlicher Liebe erfüllt und mit fester Zuversicht hoffend, dass der allerbarmherzigste Vater seines Erbarmens Schoß dir eröffne; so dass wenn du ohne Ermatten in tiefer Demut den festesten Grund des Glaubens gelegt, und errichtet hast die leuchtendsten Pfeiler unaufhörlicher glühender Liebe, die ausgeschmückt mit aller Tugend Gemälde, zuletzt auch das strahlende Dach gefügt hast sehnsuchtsvoller seligster Hoffnung, - dass endlich, wenn alles in Ordnung bereitet, jener höchste himmlische Einwohner und süße Gast der gläubigen Seelen, dessen "Wonne es ist, mit den Menschenkinder zu weilen", solange bei dir durch seine Gnade in dieser Verbannung sich würdige zu wohnen, bis dass, nachdem dieses Lebens Grenze erreicht, du in der Heimat himmlischer Seligkeit, bekleidet mit dem glorreichen Gewand immerwährender Unsterblichkeit, die herrliche Verklärung Seines Angesichts mit allen Heiligen zu schauen gewürdigt werdest in Jubel, dort, wo sein wird das höchste Glück und die ewige Seligkeit, das Ziel und die Erfüllung all unserer Sehnsucht.
ABSCHLUSS
Dies aber, teuerster Bruder, sollst du noch wissen und es festhalten über allem Zweifel, dass, wenn du nicht vollkommen dich selbst verleugnest, nicht du nachfolgen kannst der Spur des Erlösers, dass ohne unaufhörliche Sorge und Mühe du seine Gnade nicht zu erlangen vermagst, dass, wenn du nicht ständig klopfst an seine Tür, du nicht wirst eingehen können zu dem Frieden des Gemütes, und, wenn du nicht beharrlich in der Furcht Gottes dich hältst, sehr bald dein Haus zusammenstürzt in die Tiefe. Und wenn du im Vorgesagten dich treu und beständig geübt, so hoffe ich in der Barmherzigkeit des Erlösers, dass er selbst seiner Gnade würdig dich mache in der Gegenwart, - und dass mit ihm du genießest der Herrlichkeit in der Zukunft. Amen.
Dies aber, Teuerster, habe ich nicht sowohl deshalb an dich gerichtet, weil ich glaubte, dass du dergleichen bedürfest, als vielmehr darum, weil ich ebendieses für mich selbst gesammelt und, im Hinblick auf meine geringe Beständigkeit, es dir, gleichsam als treuem Helfer, mitzuteilen gedachte, - damit was von meiner Schwachmut und lauen Nachlässigkeit verfehlt wird, von deiner Großherzigkeit und deinem glühenden Eifer wieder gutgemacht werde, zumal ich, gleichsam als eines Herzens mit all meinen Wünschen und Gebeten dich kennend, wohl weiß, dass an so einfältigen Gedanken du eben die meiste Freude findest. Aus diesem Grund, mein Teuerster, mögest du dies, so bitte ich, mit der nämlichen Liebe empfangen, mit der ich es dir, in verehrungsvoll ergebener Zärtlichkeit, gesandt zu haben mir bewusst bin.
Und so mögest du all dem oben Gesagten, dessen "Zucht in der Gegenwart" zwar "nicht zur Freude zu sein scheint, sondern zur Trauer", - dich so sehr durch des himmlischen Strebens Übung hinzugeben beeifern, dass es "friedenreichste Frucht der Gerechtigkeit" bringe in Zukunft, und dass durch ihrer Erwartung süßes Gedenken auch schon jetzt deine Seele sich fülle mit dem Geschmack der Andacht, mit ihrem Reichtum und ihrer Sättigung, durch Christus Jesus, unseren Herrn, welchem du mich, der ich trocken und wortreich mehr als andächtigen Geistes, in deinen frommen Gebeten empfehlen wirst; dessen ist "die Ehre und Herrlichkeit", der Glanz "und die Herrschaft", ohne Grenzen "von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen".
VON DER LENKUNG DER SEELE
1. Vor allem anderen tut dir not, meine Seele, dass du zur höchsten Erhabenheit, Güte und Heiligkeit dich erhebst im Gedanken an Gott, den Höchsten und Besten, - mit gewisser Zuversicht glaubend, mit hingegebenem Gemüt betrachtend und mit tiefschauendem Blick des Geistes voll Bewunderung durchdringend.
2. Zur höchsten Erhabenheit steigst du empor im Gedanken an Gott, den Besten und Höchsten, wenn du die unermessliche Macht dessen, der alles insgesamt aus dem Nichts erschafft und im Dasein trägt, - des Allregierers und Allordners unendliche Weisheit, - des Allrichters und Allvergelters unbegrenzte Gerechtigkeit in andachtsvoller und tiefdringender Beschauung glaubst, bewunderst und lobpreisest, - sowohl zu dem, was außerhalb deiner, dich im Geist bewegend, als auch in dein eigenes Innere zurück dich wendend, sowie über dich selbst hinaus zur Höhe emporsteigend, auf dass du mit dem Propheten in Wahrhaftigkeit singst: "Es frohlocken die Töchter Judas um deiner Gerichte willen, o Herr, denn du bist der höchste Herr über die ganze Erde, überaus erhaben über alle Götter." - Zur höchsten Güte steigst du empor im Gedanken an Gott, den Allerbesten, wenn du seine unermessliche Barmherzigkeit bewunderst, umarmst und benedeist, insofern sie von höchster Güte erfüllt in der Annahme unserer menschlichen und sterblichen Natur, insofern sie der tiefsten Verwundung sich preisgibt im Erleiden des Kreuzes und Todes, und insofern sie aufs höchste freigebig in der Schenkung des Heiligen Geistes und der Einsetzung der Sakramente, da er sich selbst, über alle Grenzen freigebig, mitteilt im Sakrament des Altars, - indem du jene Worte des Psalmes aus ganzer Seele anstimmst: "Mild ist der Herr allen Wesen, und seine Erbarmungen über all seinen Werken." - Zur höchsten Heiligkeit steigst du empor im Herzen, wenn du seine unbegreifliche Heiligkeit betrachtest, bewunderst und zu ihrer Ehre lobsingend mit den seligen Seraphim das "Heilig, heilig, heilig" ertönen lässest. "Heilig" einmal, da er in sich selbst die Heiligkeit auf solche Weise in höchster Art und Reinheit ist, dass er unmöglich irgendein Nichtheiliges will oder billigt; "heilig" zum Zweiten, da er die Heiligkeit in so vollkommener Weise an anderen liebt, dass er unmöglich denen, die sie in Wahrheit beobachten, sei es der Gnade Geschenke entzieht, sei es der Glorie Belohnungen verweigert; "heilig" zum Dritten, da er so streng das ihr Entgegengesetzte verabscheut, dass er unmöglich die Sünden nicht verwirft oder ungestraft lässt. Wenn du so denkst in deinem Herzen, wirst du mit dem Gesetzgeber singen: "Gott ist getreu und ohne alle Bosheit, gerecht und gerade."
3. Darauf wende die Augen deines Geistes dem Gesetz Gottes zu, welches gebietet, dass du entgegenbringst dem Allerhöchsten ein Herz voller Demut, dem Allergütigsten ein Herz voll liebender Andacht, dem Allerheiligsten ein Herz, das sich selbst als Opfer weiht. Ein Herz voller Demut sollst du dem Höchsten entgegenbringen durch Ehrfurcht in der Gesinnung, durch Gehorsam in der Tat, durch Ehrerbietung in Wort und Zeichen, so dass du gemäß der apostolischen Vorschrift und Lehre "alles zur Ehre Gottes tust". Ein Herz voll liebender Andacht sollst du entgegenbringen dem Gütigsten durch Bestürmung mit glühenden Gebeten, durch Verkosten geistlicher Süßigkeit, durch Abstattung vielfältigen Dankes, so dass deine Seele beständig "durch die Wüste emporsteigt" zu Gott, "wie eine Säule Rauches aus den Gewürzen der Myrrhe und des Weihrauchs". - Ein Herz, das sich selbst als Opfer weiht, sollst du dem heiligsten Bräutigam auf solche Weise entgegenbringen, dass in dir keinerlei verderbtes Gefallen herrsche, sei es in Sinnesempfindung, sei es in Zustimmung, sei es in Anhänglichkeit an leibliche Lust, - dass in dir sei kein Streben irdischer Gier, keine Leidenschaft innerer Bosheit, so dass du, frei von aller Makel der Sünde, mit dem Psalmisten singen kannst: "Es werde mein Herz ohne Makel in deinen Rechtfertigungen, auf dass ich nicht zugrunde gehe."
4. Achte also mit Sorgfalt darauf und siehe zu, ob du alles dieses seit deiner Jugend bewahrt. Wofern du es so in deinem Gewissen befunden, so rechne nicht dir es zu, sondern danke es Gott und seinem Geschenke. Wenn du aber entdeckst, dass du einmal oder öfter in einem dieser Stücke oder in mehreren, vielleicht in allen auf schwere oder leichte Art es hast fehlen lassen, sei es aus Schwäche, sei es aus Unkenntnis oder aber mit vollem Wissen, so trachte danach, durch "unaussprechliche Seufzer" mit Gott aufs neue versöhnt zu werden - und damit du ihm Sühne erweisest, sollst du erfüllen dich lassen von dem Geist der Tugend, auf dass du mit dem Büßer wahrhaft singen und psallieren könnest: "Denn unter der Geißel bin ich allzeit, und mein Schmerz ist stets vor meinem Angesicht."
5. Es muss jedoch der Schmerz der Seele von zweierlei begleitet sein, damit er die Fähigkeit habe, die Seele zu läutern und Gott zu versöhnen, - nämlich von der Furcht vor Gottes Gericht und von der Glut innerer Sehnsucht, auf dass du fürchtend ein Herz wiedererlangst, das voll Demut, dich sehnend ein Herz, das voll liebender Andacht, Schmerzen fühlend ein Herz, das als Opfer geweiht. - Fürchte also die göttlichen Gerichte, welche ein "tiefer Abgrund" sind. Fürchte heftig, dass du, wenn auch von einiger Bußfertigkeit, gleichwohl noch Gott missfallen möchtest; fürchte noch heftiger, dass du nach der Buße wiederum Gott beleidigst; am heftigsten aber fürchte, dass du am Ende von Gott in die Ferne weichest, für immer des Lichtes entbehrend, für immer brennend im Feuer, niemals frei von dem nagenden Wurm, sowie es wahrhaft geschehen wird, wenn du nicht nach wahrer Buße in der Gnade des Endes hinübergehest, - so dass du mit dem Propheten singst: "Durchbohre mit deiner Furcht mein Fleisch; denn vor deinem Gericht bin ich in Bangen."
6. Fühle auch Schmerz und Not um der begangenen Sünden willen. Fühle heftigen Schmerz wegen der Vernichtung alles Guten, das von Gott dir verliehen; fühle heftigeren Schmerz, weil du Christus widerstritten, der für dich geboren ward und gekreuzigt; fühle den heftigsten Schmerz, weil du Gott gering geschätzt, - da durch Übertretung seiner Gebote du der Ehre beraubt hast seine Majestät, geleugnet seine Wahrheit, beleidigt seine Güte, - überdies noch das ganze Universum schändend, entstellend, verwirrend, indem du den göttlichen Satzungen, Geboten und Urteilssprüchen dich widersetzend, Missbrauch getrieben hast mit allen Naturen, Schriften, Rechtfertigungen, Erbarmungen, Gnadengaben und verheißenen Belohnungen, die um Gottes willen dir zu Gebote standen. Hast du dies mit Hingebung ins Auge gefasst, so "trage Leid wie über einen eingeborenen Sohn; lass einem Bach gleich Tränen fließen Tag und Nacht; ruhe nicht, und lass nicht rasten deinen Augapfel."
7. Gleichwohl sehne dich aber nach den göttlichen Gnadengaben, durch die Flamme göttlicher Liebe zu Gott dich erhebend, welcher dich, den Sünder, so geduldig ertragen, so langmütig erwartet, so barmherzig zur Buße zurückgeführt; der da Verzeihung gewährt, mit Gnade erfüllt und die Krone verheißt, auf dass du ihm erstattest, - oder vielmehr von ihm selbst empfängst, was du ihm nur wiedererstattest: "das Opfer eines zerknirschten Geistes, eines betrübten Herzens, das sich demütigt" in bitterer Reue, in wahrhafter Buße, in angemessener Genugtuung. Sehne dich glühend nach dem göttlichen Wohlgefallen, geschenkt in der eingegossenen Fülle des Heiligen Geistes, sehne dich glühender nach der Gleichförmigkeit mit Gott, die erwächst in voller Nachahmung des gekreuzigten Christus, sehne dich am glühendsten nach der Umfassung Gottes in der eröffneten Anschauung des ewigen Vaters, auf dass du wahrhaft mit dem Propheten singst: "Es dürstete meine Seele nach Gott, dem Starken, Lebendigen; wann werde ich kommen und erscheinen vor dem Angesicht Gottes?"
8. Damit du sodann; diesen Geist der Furcht, des Schmerzes und der Glut in deinem Innern bewahrest, sollst du nach außen dich üben in jeglicher Sittsamkeit, Gerechtigkeit, Gottseligkeit, so dass du nach der Lehre des Apostels "entsagend der Gottlosigkeit und allen weltlichen Lüsten, sittsam, gerecht und gottselig lebst in dieser Welt". - Übe dich denn in jeder Sittsamkeit, auf dass nach der Lehre des Apostels "deine Sittsamkeit kund werde allen Menschen". Die Sittsamkeit des sparsamen Maßes übe in Speise und Kleidung, in Schlaf und Wachen, in Muße und Arbeit, so dass du in nichts das Maß überschreitest. Die Sittsamkeit der Zucht jedoch übe durch Maßhaltung in Schweigen und Rede, in Trauer und Freude, in Milde und Strenge, je wie die Gelegenheit es erfordert und die rechte Vernunft es vorschreibt. - Die Sittsamkeit der Ehrbarkeit sollst du üben durch Regelung, Ordnung und Mäßigung deiner Handlungen, Bewegungen, Gebärden, deiner Kleider oder Gewänder, deiner Glieder und Sinne, so wie es Ehrbarkeit der Sitten und Einhaltung geregelten Wandels verlangt, so dass du mit Recht zu jenen gezählt werdest, zu denen der Apostel spricht: "Alles geschehe bei euch in Ehrbarkeit und nach Ordnung."
9. Übe dich auch in der Gerechtigkeit, dass man wahrhaft auf dich jenes Wort des Propheten anwenden könne: "Um der Wahrheit und Milde und Gerechtigkeit willen ... " usw. In ganzer Gerechtigkeit sollst du dich üben durch den Eifer für Gottes Ehre, durch Beobachtung des göttlichen Gesetzes, durch die Sehnsucht nach dem Heil deiner Brüder. - In geordneter Gerechtigkeit übe dich durch Gehorsam im Hinblick auf die Oberen, durch Verträglichkeit im Hinblick auf die Gleichstehenden, durch Zucht im Hinblick auf die Untergebenen. - In vollkommener Gerechtigkeit sollst du dich der Art üben, dass du aller Wahrheit beistimmst, aller Güte geneigt seist, aller Bosheit widerstrebst sowohl im Geist wie im Wort oder im Werk, nichts einem andern zufügend, wovon du nicht willst, dass es dir zugefügt werde, nichts einem andern verweigernd, wovon du wünschest, dass es dir erteilt werde, so dass du jenen in vollkommener Weise nachahmst, denen gesagt ward: "Wenn eure Gerechtigkeit nicht überfließender ist denn jene der Pharisäer und Schriftgelehrten, so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen."
10. Übe dich endlich in der Gottseligkeit, denn, wie der Apostel sagt, "die Gottseligkeit ist zu allem nützlich, und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens". Übe dich in der Gottseligkeit des Gottesdienstes, indem du voller Aufmerksamkeit, Andacht und Ehrfurcht die kanonischen Tagzeiten betest, indem du täglich deine Sünden bekennst und beweinst, indem du zu angemessener Zeit die allerheiligste Eucharistie empfängst und täglich die heilige Messe hörst. - Übe dich in der Gottseligkeit, die nach dem Heil der Seelen strebt, indem du ihnen beistehst durch häufiges Gebet, durch unterweisende Rede, durch den Antrieb des Beispiels, so dass "wer es hört, reden mag: Komme". Hierbei aber musst du so weise verfahren, dass du nicht an eigenem Heil Einbuße leidest. - Übe dich in der Gottseligkeit der Linderung leiblicher Not, indem du trägst mit Geduld, tröstest mit Freundlichkeit, Hilfe erweisest mit Demut, Heiterkeit und Barmherzigkeit, auf dass du so das göttliche Gesetz erfüllst, weIches der Apostel mit den Worten ausspricht: "Der eine von euch trage des anderen Lasten, und so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen."
Dass man alles dieses vollbringe, hierzu - so glaube ich - fließt die Kraft vor allem aus der Erinnerung an den Gekreuzigten, durch welche dein Geliebter gleich wie "ein Myrrhenbüschlein" an dem "Busen" deines Gemütes ständig "verweile"; was jener dir zu verleihen sich würdige, der da gebenedeit ist von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!
ABHANDLUNG VON DER VORBEREITUNG ZUR HEILIGEN MESSE
VORWORT
Zu Ehren der glorreichen unteilbaren Dreifaltigkeit sowie zum Preis des erhabensten Sakramentes: des kostbaren Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus will ich dir eine Anweisung aufzeichnen, welche leicht dich hinführen kann zur Beschauung eines so erhabenen Geheimnisses und deinem Innern die angemessene Ordnung zu geben vermag für seinen Empfang; nicht sollst du sie eilends gleich einem Getön von Worten nur lesen, vielmehr ihren inneren Sinn wirksam dem Herzen einprägen und aus innerster Hingabe ein jedes Einzelne im Ganzen sowohl wie im Teil je nach seinem Wortlaut wiederholt in Sorgfalt erwägen.
ERSTES KAPITEL: VON DER ZUVOR ZU ÜBENDEN VIERFACHEN SELBSTPRÜFUNG
Zunächst, - wenn du hintreten willst zu dem Tisch des himmlischen Mahles, sollst du nach dem Apostel "dich selbst prüfen" und sorgfältig erforschen, mit welchem Glauben, aus wie großer Liebe, in welcherlei Vorsatz und um wessen willen du hintrittst.
ERSTENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, MIT WELCHEM GLAUBEN ER HINTRETE ZUM ALTAR
1. Richte also den Geist auf jedes Einzelne dieser vier Stücke für sich und betrachte zunächst, welchen Glauben du hegen müssest in Hinsicht auf Wahrheit und Wesen dieses Sakramentes. Für wahr halten musst du nämlich mit Festigkeit und in keiner Weise bezweifeln, gemäß der Lehre und Predigt des katholischen Glaubens, dass in der Zeit des Aussprechens der Worte Christi jenes Brot, das stofflich und sichtbar, dem sich nahenden lebenspendenden Brot des Himmels, - wie wenn es ihm, dem wahren Schöpfer, die geschuldete Ehre erwiese -, seine Stätte: nämlich die sichtbare Gestalt seiner Akzidenzien, in sakramentaler Verrichtung gleichsam und Dienstbarkeit überlässt; indem es aufhört zu bestehen, ist auf wunderbare und unsagbare Weise im nämlichen Augenblick alles dieses unter jenen Akzidenzien wahrhaft gegenwärtig: zum Ersten jenes allerreinste Fleisch - der heilige Leib Christi, welcher geboren ward aus dem Schoß Mariä, der glorreichen Jungfrau, in Wirksamkeit des Heiligen Geistes, - der geheftet ward an das Kreuz, niedergelegt in das Grab und verherrlicht im Himmel. - Zum Zweiten, - da ja das Fleisch nicht lebt ohne Blut, ist mit Notwendigkeit dort jenes kostbare Blut, das glücklich geflossen zum Heil der Welt am Kreuz. - Zum Dritten, - da nicht wahre Menschheit ohne vernünftige Seele besteht, - ist dort jene glorreiche Seele Christi, überschreitend an Gnade und Glorie jede Tugend und Glorie und Macht, in welcher niedergelegt sind "alle Schätze der göttlichen Weisheit". - Zum Vierten, da Christus wahrer Mensch ist und wahrer Gott, ist folglich im Sakrament auch Gott gegenwärtig, in seiner Herrlichkeit und Majestät. Alles dieses, insgesamt wie auch jedes für sich, ist in seiner Ganzheit sowohl unter Brotes- wie Weinesgestalt völlig zugegen, nicht minder im Kelch als in der Hostie, nicht minder in der Hostie als im Kelch; und nicht wird in dem einen ergänzt ein Mangel des andern, sondern in beiden findet es sich als unangetastet Vollkommenes, kraft des Geheimnisses, von welchem "groß ist die Rede". Genüge tut hier der Glaube, dass unter beider Gestalt zugegen wahrhafter Gott und wahrhafter Mensch, dem dienstbar zur Seite der Engel Schar und der Heiligen Gegenwart.
2. Und siehe, wie schön es gefügt ist, dass Christus nur unter diesen zwei Gestalten zugegen. Einmal nämlich sind Brot und Wein die beste Nahrung des ganzen Menschen. Denn das Brot ernährt das Fleisch oder den Leib, und der Wein geht über in das Blut, den Sitz der Seele. Zum Zweiten wird, da ihr Genuss besonders ursprünglich und allgemein, da er auch für besonders rein gilt und wenig dem Überdruss ausgesetzt, die Reinheit der geistlichen Erquickung auf das Beste durch sie bezeichnet. Zum Dritten deuten sie in vorzüglichster Weise den Leib und das Blut Christi uns an. Denn das Brot weist hin auf jenen Leib, der gleichsam im Leiden gedroschen ward, gemahlen und gebacken, - bereitet und gar geworden im Feuer der göttlichen Liebe, auf dem Brandherd und Opferaltar des Kreuzes. Der Wein jedoch weist hin auf das Blut, das aus jener Traube: dem Leib Christi, in des Kreuzes "Kelter" gepresst ward von den keltertretenden Juden. Viertens wird hier in schöner Weise auch Christi mystischer Leib, die Kirche, bezeichnet, welche sich aus der Menge der Gläubigen sammelt, die bestimmt sind zum Leben, - wie aus einer Menge von Körnern und Beeren.
3. Hüte dich also, indem du dich nahst, zweifelnd zu schwanken und als Blinder gleichsam mit der Hand hintastend dich zu stützen auf einen Dornenstab: auf Gründe natürlicher Art und menschliche Erwägung, so wie einstmals die Juden es taten, welche "heftig stritten", und einige Schüler, die "Ärgernis nehmend von dannen gingen"; vielmehr sollst du dich Gott unterwerfen und deinen Geist gefangen geben dem Joch des Glaubens, den du durch so erhabene Zeugen bekräftigt siehst. Denn welcher Zweifel bleibt übrig in Hinsicht auf dies Sakrament, das du von Christus so ausdrücklich uns anvertraut, von den Aposteln gepredigt, von den heiligen rechtgläubigen Vätern soviel Jahrhunderte hindurch gefeiert, durch soviel Zeichen, Wunder und Verehrung wie durch handgreifliche Zeugnisse bekräftigt siehst? - Nimm dieses Sakrament weg von der Kirche, und was wird sein in der Welt wenn nicht Irrtum und Unglaube, und das christliche Volk wie eine Herde von Schweinen zerstreut und dem Götzendienst preisgegeben, so wie es ausdrücklich am Tag liegt bei all den Ungläubigen. Durch dieses Sakrament steht die Kirche, ist kraftvoll der Glaube und lebendig die christliche Frömmigkeit und Verehrung Gottes; um seinetwillen sagt Christus: "Siehe, ich bin bei euch bis zu dem Ende der Zeiten."
4. Nächst jenem beachte auch dies, wie angemessen es ist, dass sich Christus verschleiert uns schenkt. Denn welchen Wert besäße dein Glauben, wenn Christus in eigener Gestalt dir sichtbar erschiene? Als Wissender und gezwungen betetest du ihn an; und wie vermöchten zudem fleischliche Augen so erhabene Glorie zu ertragen? Wer vollends spräche in Torheit, dass er das menschliche Fleisch und Blut in unbereiteter Form zu essen und trinken vermöchte? - So weiche denn aller Zweifel; denn wie dereinst sich die Gottheit im Schoß der Jungfrau verborgen und der Gottessohn unter des menschlichen Fleisches Hülle sichtbar der Welt erschienen ist, so verbirgt sich auch seine zur Glorie erhobene Menschheit, mit der Gottheit vereint, unter Brotes- und Weinesgestalt, um gemilderten Glanzes mit uns Sterblichen sich verbinden zu können.
ZWEITENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, MIT WELCHEM VORSATZ UND IN WELCHER VERFASSUNG ER HINTRETE
5. Zum Zweiten prüfe dich selbst, mit welchem Vorsatz und in welcher Verfassung du hintretest. Durchforsche hierzu und durchprüfe im Geist das Haus des Gewissens und siehe zu, ob nicht im Innern etwa sei eine Schändlichkeit im Gemüt oder eine äußere Befleckung sich finde am Fleisch, welche die Augen jenes beleidigen könnte, der da ist der Heilige der Heiligen.
Indem du also zunächst im Innern zurückgehst auf die Unlauterkeit deines Geistes, sollst du betrachten, wie viel du Böses getan von Jugend an, wie viel Gutes du vernachlässigt, wie kurz das Leben, wie ungewiss die Stunde des Todes, wie schlüpfrig und gefährlich die Bahn dieser Zeit. Besonders aber erwäge aufs Gründlichste, ob nicht - was ferne sei - nach vorausgegangener Beichte und Buße irgendwie in dir sich noch finde eine Todsünde oder ein sündiger Vorsatz, so dass deine elende Seele abgestorben - losgeschnitten von ihrer Wurzel in Christus und der Kirche, da jenes belebende Brot, die Speise des Himmels, nicht gewährt den Zufluss des Lebens noch seine Nährkraft den abgetrennten und erstorbenen Gliedern, - nach dem bezeugenden Worte der Schrift: "In eine böswillige Seele wird nicht eingehen die Weisheit; noch wohnen in einem Leib, der den Sünden untertan ist." Darum wird von solchen zwar empfangen das Sakrament, nicht aber des Sakramentes Gehalt: Christi Gnade und seine göttliche Liebe; zur Speise wird es dem äußeren Geschmack nach, nicht aber erquickt es im Innern; es bewegt sich hinein in den Leib, doch nicht geht es in den Geist ein; wie von einem Tier nur wird es - unberührt in sich selbst - verschluckt, und es belebt die Seele nicht, nicht vereinigt es sie mit sich selbst und verleibt sie sich ein; vor Ekel ausgespien wird eine solche vielmehr von Christus, wie ein fauliger Leichnam, den man wilden Tieren und Vögeln zum Verschlingen vorwirft. So fürwahr überlässt der Heiland die unglückliche Seele dem Satan zur Peinigung, wie ja auch von Judas geschrieben ist: "Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn." Darum hüte dich, wenn du in Gefahr eines solchen Fallstrickes bist, - aus irgendwelcher Ursache oder Nötigung, ohne zuvor gemäß deiner Schuld bereut und in Bußfertigkeit die Sünde bekannt zu haben, dem Altar dich nahen zu wollen; denn "furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen".
6. Doch wehe, wie viel Priester gibt es heute, unglückselig und gänzlich unbedacht auf ihr Heil, - die Christi Leib am Altar wie das Fleisch von Tieren genießen, die, befangen im Schmutz von Abscheulichkeiten, von denen auch nur zu reden nicht angeht, mit frevlerischen Händen und besudelten Lippen sich zu berühren nicht scheuen und zu küssen den Sohn Gottes und Mariä, der Jungfrau! Wahrlich, wenn Gott das Opfer dieser Priester annimmt, so ist er - ich wage es zu sagen - ein Lügner und Genosse der Sünder. Ja, was noch schlimmer, zu solcher Verderbnis und Torheit sind dieser Tage manche gelangt, dass sie in ihrer Unglückseligkeit meinen, die Schändlichkeiten und Sündenflecken, die sie alltäglich erneuern und zu erneuern im Sinne haben, durch die heilige Kommunion selbst, indem sie Tag für Tag zelebrieren, wieder sühnen zu können. Solche sind nicht Priester, sondern Schänder des Heiligtums; nicht Christen, sondern Häretiker.
7. Zum Zweiten ist nicht nur auf des Geistes, sondern auch auf des Leibes Reinheit zu achten. Sei darum auf der Hut, dass du nicht als Unreiner hintretest; nicht nur gilt dies für freiwillige Unreinheit, die ja Todsünde ist, sondern auch für nächtliche oder sonstige zufällig geschehene Befleckung, welche die Feier des Geheimnisses verhindert, wo nicht eine dringende Notwendigkeit oder ein Gebot der Verordnungen es anders erheischt. Wo aber dieses der Fall und sofern du zu jener Befleckung nicht selbst Gelegenheit oder Anlass geboten durch vorher gehegte Begierlichkeit oder ungeordneten Trunk, wenn des weitern auch keine schwere Befleckung des Geistes gefolgt ist durch Erinnerung und Vorstellung fleischlicher Bilder; so glaube ich, dass du wohl hintreten kannst - unbeschadet besserer Erkenntnis -, vor allem, wenn eine besondere Andacht um einer Festlichkeit oder einer andern ähnlichen Ursache willen zur Feier dich hinzieht. - Hüten sollst du, so viel du nur kannst, auch die Schamhaftigkeit der Hände, und die Reinheit aller deiner Glieder. Deshalb rate ich dir, mehr denn alle übrigen Menschen zu jeder Zeit, besonders wenn du die Messe zu feiern im Begriff bist, dich zu hüten vor jeder nicht völlig reinen Berührung, nicht nur vor solcher, die, als schamlos und unlauter, geradezu Sünde enthält, vielmehr vor einer jeden überhaupt, die irgendwie unangemessen ist und befleckend. Halte dich völlig gesammelt, damit weder Tat noch Gedanke irgendwie zu Fremden hin sich zerstreue. - Und überdies trage stets die hingebendste Sorge für Reinheit und Schönheit der Altarparamente und heiligen Gefäße, auf dass mit aller Ehre und Auserwählung jenem begegnet werde, vor welchem Engel und Erzengel in Ehrfurcht erzittern.
DRITTENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, WIE GROSS DIE LIEBE UND WELCHES DIE GLUT SEI, MIT WELCHER ER HINTRITT
8. Zum Dritten prüfe dich selbst, mit wie großer Liebe und mit welchem Feuer du hintrittst. Denn nicht die tödlichen nur, sondern auch die lässlichen Sünden, vervielfacht durch Nachlässigkeit und Müßigkeit wie auch durch Unbedachtheit und die Zerstreutheit eines ungesammelten Lebens, - ob sie gleich die Seele nicht töten - so machen sie doch den Menschen nur zu oft lau, schwer, im Innern verdunkelt, schlecht geordnet und wenig bereit zur Feier, wenn nicht jene Staubwolke, jene Spreu der lässlichen Sünden, durch den Anhauch des Geistes und die Flamme der Liebe hinweggeweht wird und aufgezehrt in dem lodernden Feuer des Herzens und der Betrachtung des eigenen Elends. Darum hüte dich, allzu sehr in Lauheit und Unordnung befangen und gleichsam ohne Besinnung zum Altar zu treten, da du unwürdig das Allerheiligste empfängst, wenn du ihm nicht nahst voller Ehrfurcht, mit dem wachsten Sinn und Bewusstsein. Deshalb sagt der Apostel im 11. Kapitel des 1. Briefes an die Korinther: "Ein solcher isst und trinkt sich das Gericht" (1 Kor 11, 27), was er noch deutlicher uns einschärft mit den nachfolgenden Worten: "Darum sind unter euch so viele Geistesschwache", nämlich vermöge der Unbeständigkeit ihres Glaubens, "und Kranke", die durch schwere Sünde verwundet, "und es entschlafen viele" in geistlicher Erschlaffung und Müßigkeit.
9. "O wie schwere Verlegenheit, o wie große Verlegenheit, die mich von allen Seiten beengt. Unwürdig zum Sakrament zu treten bedeutet Zuziehung furchtbaren Gerichtes, es gar nicht zu tun aus Nachlässigkeit oder Nichtachtung hingegen verdammenswürdige Schuld." So Beda. Wenn nämlich der Priester von Todsünde frei und guten Vorsatzes ist, und - ohne gesetzmäßiges Hindernis - nicht aus Ehrfurcht, sondern aus Nachlässigkeit das Zelebrieren unterlässt, so beraubt er, insoweit es an ihm gelegen, die allerheiligste Dreifaltigkeit ihres Lobes und Preises, die Engel ihrer Freude, die Sünder der Vergebung, die Gerechten der Hilfe und Gnade, die Seelen im Fegfeuer der Erquickung, die Kirche Christi des geistlichen Gewinnes und sich selbst des Heilmittels und der Hilfe gegen Krankheiten und tägliche Sünden; denn, wie Ambrosius sagt, "wenn jegliches Mal, da vergossen wird das Blut Christi, es fließt zur Vergebung der Sünden, so muss ich es stets in mir aufnehmen, auf dass mir stets die Sünden vergeben werden; immer sündigend, bedarf ich immer des Heilmittels". Ferner beraubt er sich all solcher Früchte der heiligen Kommunion, wie es sind Vergebung der Sünden, Milderung der Versuchung, Erleuchtung des Geistes, Erquickung im Innern, Einverleibung in Christus und seinen mystischen Leib, Stärkung der Tugenden, Wappnung gegen den Teufel, Gewissheit des Glaubens, Aufschwung des Hoffens, Erweckung der Liebe, Vermehrung der Andacht und engelhafter Wandel. - Des Weitern vollzieht er auch nicht den von hoher Würde gekrönten Dienst, der ihm auferlegt, - und lässt ungeübt das Amt geschuldeter Gottesverehrung, da doch geschrieben ist: " Verflucht sei der Mensch, welcher das Werk Gottes in Nachlässigkeit verrichtet." - Ebenso verachtet er das Gebot der Feier dieses Sakramentes; zu solchen aber spricht Christus die Drohung: "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht essen werdet ... " usw. (" ... und sein Blut nicht trinkt, so werdet ihr das Leben in euch nicht haben.") - Des Ferneren wirft er von sich die Wegzehrung seiner Wanderschaft, der Gefahr des Todes sich preisgebend, denn wenn er nicht Christi Leib als Nahrung empfängt und als Kräftigung seines Lebens, so wird er einem verdorrten Glied ähnlich, zu welchem nicht der leiblichen Speise Nährkraft gelangt. - Und schließlich lässt er, soviel an ihm liegt, zunichte werden die Verehrung Gottes und die dem Schöpfer gebührende Anbetung, voller Undankbarkeit für seine Wohltaten. Hiervon heißt es im neunten Kapitel des Buches der Zählung: " Wenn jemand rein ist" nämlich von tödlicher Sünde, "und nicht auf der Reise," dies besagt: nicht auf andere Weise verhindert, "und doch nicht feiert den Vorübergang des Herrn, dessen Seele soll aus seinem Volk ausgetilgt werden, weil er das Opfer des Herrn zu seiner Zeit nicht gebracht." - Darum vertreibe aus dir, so sehr du nur kannst, durch Übung guter Werke, durch tränenvolle Zerknirschung wie auch durch die Flamme der Andacht alle Erschlaffung und Nachlässigkeit, dass du nicht dich erweisest als jemand, der so erhabener Gnaden Geschenke verschmäht.
10. Begehrst du jedoch, zur Liebe entflammt zu werden, so betrachte aus ganzem Gemüte dies beides : Zum Ersten jene erhabenste glutvolle Liebe, in welcher die allerhöchste Güte für dich; den stinkenden Wurm, unter so schwerer Marter auf sich genommen des Kreuzes Schmach; zum Zweiten jene süßeste Speise, die es in seinem edeln Leib uns gewährt, - sowie seines Blutes Trank.
Zunächst blicke hin auf jenen seligsten Tod und erwäge seine Ursache. Eine andere Ursache hatte er nicht als diese, dass er notwendig war zu unserer Erlösung. Jegliches Gesetz verurteilt ja für Verletzung der Majestät den schuldigen Angeklagten zum Tod. Deshalb, - da wir gemäß unseren Sünden dem Tod verfallen wären, hat Gott zum Ausgleich so großer Schuld, sich erbarmend des menschlichen Elends und mit dem Tod uns verschonend, in seiner Fürsorge den Alten gewährt, dass an Stelle des Todes der Menschen Tiere geschlachtet würden und ihm dargeboten als Sühnopfer und Gabe der Versöhnung; und wie oft jemand sündigte, so oft musste für ihn ein Opfer geschlachtet werden. Alles dies waren "Bilder und Schatten" für die Zeit, bis Christus, das Haupt des Menschengeschlechts, gesandt würde, das lebendige und geistige Schlachtopfer, frei von aller Sünde, - welches aus Liebe für alle Menschen zum Tod sich dargebracht, auf dass wir von unserem Tod befreit würden. Doch da es nicht nottat, dass er öfter den Tod erleide, weil jenes Eine Sterben genuggetan für alle geschehenen wie künftigen Sünden; so ist hierin volles Genüge enthalten: dass er jenes Eine Schlachtopfer seines Leibes, welches zu jener vergangenen Zeit einmal nur dargebracht ward, sterbend uns hinterließ, auf dass wir es täglich für noch bleibende Schuld in mystischer Weise darbrächten, - um so von dem Tod uns loszukaufen, dem "wir täglich verfallen sind durch Sünde". Deshalb sagt Augustinus: "Erneuert wird täglich dies Opfer, obwohl einmal nur Christus gelitten hat, weil wir alltäglich Sünden begehen, ohne welche die sterbliche Schwäche nicht leben kann; da wir jeden Tag fallen, wird jeden Tag Christus für uns in mystischer Weise geopfert." - Deshalb wird durch alles, was in der Messe geschieht, durch alle Zurüstung und alle Zeremonien, nichts anderes vergegenwärtigt als Christi Leiden. Vor allem tut also not, dass man in der Messe des Todes Christi gedenke; wie ja Christus selbst im zweiundzwanzigsten Kapitel des Lukas-Evangeliums - spricht: "Tut dies zu meinem Gedächtnis"; und der Apostel sagt im elften Kapitel des ersten Korintherbriefes: "So oft ihr esset dies Brot und den Kelch des Herrn trinket, sollt ihr den Tod des Herrn verkünden, bis dass er kommt" (11, 26) - nämlich zum Gerichte. - Indem du also hintrittst zum Altar, sollst du aus ganzem Herzen sprechen:
11. Siehe, himmlischer Vater, gedenkend des Todes deines eingeborenen Sohnes, unseres Herrn Jesu Christi, bringe ich dir dieses Schlachtopfer dar, das er selbst dir einst dargebracht zu meiner und der ganzen Welt Errettung. Siehe, dem Altar deiner Majestät vertraue ich an das lebendige Opfer, das du selbst in der Fülle deines Erbarmens anvertraut hast dem Altar des Kreuzes, damit es für uns geopfert werde. So gedenke denn jenes hochheiligen Schweißes, der wie Tropfen Blutes zur Erde hinabfloss. Blicke hin auf jenes jungfräuliche Fleisch, das mit Geißeln grausam gepeitscht ward, durch Backenstreiche misshandelt, in Striemen geschwollen, durch Anspeien besudelt, mit Blut übergossen, mit Dornen durchbohrt, mit Nägeln an das Kreuz geschlagen, durch die Lanze verwundet. Wohlan denn, jene Liebe, die deinen Sohn hingezogen und überwunden, - die ihn vermocht hat, dass er an der Wage des Kreuzes den Sünden der ganzen Welt das Gleichgewicht halte, sie zwinge auch dich, o Vater, dich unseres Elends zu erbarmen. Blicke nicht, ich flehe dich an, auf unsere Sünden, sondern auf das Angesicht deines Christus. "Denn nicht uns stützend auf eigene Gerechtigkeit schütten vor dir wir unser Gebet aus, sondern auf die Fülle deiner großen Barmherzigkeit bauend." -
12. Zum Zweiten - sofern du willst, dass dich Liebe entzünde und in Flammen setze - blicke hin auf jene süßeste Speise, die uns in seinem heiligen Leibe zuteil wird, und betrachte, "wie mild und süß sein Geist in uns weilt", wie angemessen und förderlich der himmlische Vater mit belebender Nahrung für uns gesorgt. - Denn hierzu ward das vernünftige Geschöpf hervorgebracht, dass es in sich aufnehme und fasse die Güte Gottes, der Art, dass es aus dieser Teilnahme lebe und zu dem seligen "Sein" gelange. Aus sich selbst jedoch strebt es zum Nichts und zum ewigen Tod, wenn es nicht durch lebenspendende Nahrung allzeit gestärkt wird, - Anteil erhaltend an göttlicher Kraft und Gnade. Diese Teilnahme nenne ich Speisung, weil, wie der irdische Leib durch die Speise gestärkt und gesättigt, erwärmt und belebt wird, ebenso auch die vernünftige Seele durch den Geist Christi, der sie erquicken soll, - unter Erfüllung ihres ganzen Fühlens und Denkens ernährt, gestärkt, entflammt und belebt wird. Und gleichwie die Engel in der himmlischen Heimat von der ewigen lebendigen Quelle des Lichtes in vollem Zug trinken und "gesättigt werden von der Überfülle des Hauses Gottes", so hat die ewige Weisheit auch Fürsorge getragen, auf dass sie die vernunftbegabten Seelen der Menschen, die sie so teuer erkauft und durch die Gnade verherrlicht und ähnlich den Engeln Gottes gemacht, - speise mit jenem Brot, durch das die Engel ernährt werden, ohne das weder jene noch diese zu leben vermögen, - und dies in der Form, die uns Kleinen gemäß ist. Denn unmöglich ist es für uns, mit diesem unserem sterblichen Leib jenes Brot des Lebens in der erhabenen Gediegenheit seiner eigenen Form, der Göttlichkeit, zu verkosten: deshalb - um uns verzehrbare Speise zu geben - bot er sie uns in gemäßerer Form: in jener des leiblichen Brotes und Weines, weil in angemessener Weise Ähnlichkeit hat das Brot mit dem Brot und der Trank der Erquickung mit dem Trank der Erquickung; so dass, wie er die Engel, lebendige Geister, ernährt mit dem ungeschaffenen Wort, er die sterblichen Menschen mit dem Wort speist, das Fleisch geworden, in der Gabe des Sakramentes. Darum wurde gesagt: "Das Brot der Engel ward Speise des Menschen", und "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen. "
13. Beachte auch dies, dass auf nämliche Weise, wie Gott ein jedes leibliche Wesen mit entsprechender Nahrung versorgt, er Sorge trägt für die Ernährung seines überaus edlen mystischen Leibes, der Kirche, deren Haupt ist Christus, der Gottessohn; und nicht soll von andersher sie Kraft und Leben empfangen als von ihrem Haupt, so dass all ihre Glieder: die Gerechten - vereinigt und miteinander zusammenhängend in Christus, ihrem Haupt - durch Seinen Geist und Seine Liebe Nahrung empfangen kraft dieses Sakramentes der Einheit und Liebe; und so erwächst denn, wie es kein Leben des Leibes gibt ohne Einverleibung passender Speise, - auch der vernünftigen Seele kein geistliches Leben, ohne dass ihrem Innersten zugeführt wird und einverleibt diese ihrem Wesen entsprechende Nahrung; darum sagt Christus: "Wer mich isst, wird leben um meinetwillen." - Dies aber ist ein Unterschied zwischen geistlicher und leiblicher Speise, dass diese übergeht in Substanz und Lebenssaft dessen, der sie isst, in jenem Fall aber der Essende einverleibt wird in Christus und übergeht in die Einheit und Liebe des Geistes Christi. Darum ward dem heiligen Augustinus gesagt: "Nicht werde ich umgewandelt werden in dich, sondern du wirst umgewandelt in mich", dies besagt: in ein ähnliches Abbild meiner selbst, meiner Güte, Heiligkeit usw.; so wie das Feuer das Eisen in ein Abbild seiner selbst verwandelt.
VIERTENS: EIN JEDER SOLL SICH PRÜFEN, WESHALB ER HINTRETE
14. Zum Vierten und Letzten prüfe dich selbst, weshalb und aus welcher Ursache du hintretest. Und hierbei richte den Blick deines Geistes vor allem auf zweierlei: ob dich reine Hingabe und heilige Sehnsucht treiben, und zweitens: ob du von der gebührenden Meinung und dem notwendigen Vorsatz erfüllt seist.
Zunächst sollst du ins Auge fassen, was dich innerlich hinziehe, dass du nicht etwa aus Habsucht, oder Furcht, oder Eitelkeit, oder Gewohnheit, oder um irgendeiner weltlichen Gefälligkeit oder zeitlichen Gunst willen hintretest; wie ja so viele in dieser Zeit missbrauchen zu ihrem Verderben, was gegeben worden zur Rettung. Wehe, wehe, o unser Herr und Gott, wie viel Unglückselige nahen sich heute den heiligen Weihen und dem göttlichen Geheimnis, nicht das himmlische Brot, sondern das irdische suchend; nicht den Heiligen Geist, sondern niederen Vorteil; nicht Gottes Verherrlichung, sondern das Ziel ihres Ehrgeizes; nicht Rettung der Seelen, sondern Erwerbung von Reichtümern; nicht Christus zu dienen in den heiligen Geheimnissen, mit reinem Herzen und Leib, sondern um Ergötzen, Reichtum, stolzes Ansehen und Üppigkeit zu gewinnen aus der Erbschaft Christi und den Almosen des Volkes; und indem sie kirchlichen Würden unter vielfachem Hader und mit Bestechungen nachtrachten, reißen sie diese mehr an sich, als dass sie sie nach der Ordnung erlangten, nicht gerufen von Gott, sondern angestachelt vom Teufel.
15. Du hingegen, Mann Gottes, richte Wunsch und Sehnsucht auf Gott und siehe zu, welche Liebe und Sehnsucht dich hinziehen solle zur Feier der heiligen Geheimnisse.
Zum Ersten ziehe dich hin dein Gewissen und sein Schmerz über deine Versündigungen, - indem du hoffst, durch den Heiland als Opfer der Sühne von aller Schuld gereinigt zu werden.
Zum Zweiten der Anblick und die Erwägung deiner Krankheit, - um deren willen du ihn zu dir rufest gleich einem Arzt, der von aller Krankheit dich heile.
Zum Dritten jegliche Angst und Trübsal, auf dass jener, der alles vermag, dich bald von jedem Unglück befreie und vor ihm dich bewahrt halte.
Zum Vierten die Sehnsucht nach jeglicher Gnade oder geistlichen Gabe, - auf dass sie durch ihn, dem der Vater nichts zu verweigern vermag, dir zuteil werden möge.
Zum Fünften die Danksagung für alle zeitlichen und geistlichen Wohltaten, die dir und anderen erwiesen worden, - da wir nichts vermögen, um "Gott zu vergelten für alles, was er uns erwiesen", als dass wir "den Kelch des Heiles ergreifen und darbringen das Opfer des Lobes": Jesus Christus.
Zum Sechsten die Liebe und das Mitgefühl mit dem Nächsten, da für die Rettung der Seele und die Ruhe der Abgeschiedenen nichts heilsamer wirkt als Christi Blut, das "vergossen ward zur Vergebung der Sünden".
Zum Siebenten das Lob Gottes und der Heiligen, da wir keinerlei Möglichkeit haben, Gott und die Heiligen ihrer erhabenen Würde gemäß zu loben, als diese, dass wir Christus in sakramentaler Weise Gott, dem Vater, darbringen und aufopfern.
Zum Achten die Liebe und Hinneigung zu Gott, - auf dass du ihn einlädst zu dir, und durch geistliche Erquickung im Herzen ihn aufnehmend, in deinem Innern voller Seligkeit ihn umarmst.
Zum Neunten der Durst und die Sehnsucht nach Mehrung der Gnade, da dieses Sakrament die Quelle enthält der Gnade und Heiligung und in sich schließt den Urheber des Heils, Jesus Christus, den Herrn; darum wird es auch "Eucharistie" genannt, das ist: "Die gute Gnade". Die übrigen Sakramente hingegen sind Nebenströme und Bäche der Gnaden, durch die wir geheiligt werden.
Zum Zehnten die innere Glut und das Seufzen, mit dem du aus deinem ganzen Herzen durch die Kraft dieser alles überschreitenden Liebe und süßesten Erquickung geheiligt zu werden begehrst und gereinigt "von jeder Befleckung des Fleisches und Geistes", - die Glut, mit der du dich sehnst, entrissen zu werden allen Gefahren und Versuchungen - und unzertrennlich vereint mit Christus dem Erlöser, für immer bewahrt zu werden in seiner Liebe. Darum sagt Christus im siebzehnten Kapitel des Johannes: "Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie auch wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien."
16. Zweitens sollst du den Geist darauf richten, welche Meinung und welcher Vorsatz erfordert sei in dem, was du hier zu vollbringen hast. Dreierlei aber ist es, worauf du, im Begriff die Messe zu zelebrieren, abzielen musst, nämlich: Gott durch Anbetung zu verehren, des Todes Christi zu gedenken und der ganzen Kirche Nutzen zu wirken.
Zum Ersten sollst du darauf abzielen, Gott durch Anbetung zu verehren. Der Dienst der Anbetung aber (Latria), Gott allein gebührend, ist die dem höchsten Schöpfer erwiesene Ehre, dargeboten aus der Schuld des Knechtes, durch die wir verpflichtet sind, nicht nur alles, was unser ist, sondern uns selbst sogar darzubringen zu seiner Ehre und für ihn zu sterben, wenn es Not tut, zum Dank für seine Wohltaten und die unermessliche Güte, die er uns erwiesen, - und zwar zerknirschten Herzens und niedergebeugten Leibes; und indem wir mit all unserem Fühlen, Tun und Verhalten, mit Gebärde und Zeichen uns niederwerfen vor den Augen seiner Majestät und durch Opfer und Gaben ihn verehren, sollen auf ihn wir zurückführen all unsere Hoffnung und unsere Sehnsucht als auf ihr letztes Ziel, um dessen willen alles besteht, - von ihm allen Lohn und alle Vergeltung des Guten und Schlechten erwartend, gemäß der Entscheidung seiner Gerechtigkeit und seines Gefallens. - Den Heiligen gilt die Verehrung, welche "Dulia" genannt wird, die nicht Gottesdienst ist noch Anbetung, sondern ein Flehen und Anrufen, dass sie bei Gott unsere Fürsprecher seien. Und alle Verehrung, die man ihnen darbringt, wird erwiesen um Gottes willen, mit dem sie verbunden sind.
17. Gott aber soll von uns unermesslich gefürchtet, geehrt und geliebt werden. Einmal ist er aufs Höchste zu fürchten um seiner Allmacht und Gerechtigkeit willen, die uns mit vollstem Recht verdammen kann und erretten. Aus dieser Furcht entspringen Schmerz über die Sünden, Beschämung, Seufzer, Tränen, Schlagen der Brust, flehendes Gebet, Fasten, Geißelung, 'Wallfahrten und anderes dieser Art. - Ferner ist er angesichts seiner Weisheit und Majestät aufs Höchste zu ehren. Hieraus nun entspringen Ehrfurcht und heilige Scheu, Kniebeuge und Verneigung, Niederwerfung, Anbetung, Reinigungen, Weihungen, Schönheit der heiligen Gefäße und Schmuck und Pracht der Paramente, festlicher und feierlicher Glanz der Lichter, Gesang von Psalmen, Hymnen oder Lektionen und anderes dieser Art. - Drittens ist er um seiner Güte und Milde willen ohne Grenzen zu lieben. Aus dieser Liebe jedoch entspringen Danksagung, Lobgesänge, Hymnen, Segnungen, heilige Gelübde, Weihrauch und das übrige dieser Art.
18. Du sollst darauf abzielen, dass durch die Feier des Gottesdienstes "auch in uns geheiligt werde der Name Gottes", - dass er von uns durch heiliges Leben verherrlicht werde in der Welt, dass wachse über den Erdkreis der Dienst und die Ehre Gottes, dass in uns erkenne die ganze Welt die wahren Verehrer des Einen wahrhaften Gottes und Erlösers Jesus Christus.
19. Du sollst inne sein und gedenken des Todes Christi. Hierüber wurde im obigen schon gesprochen. - Des Ferneren sollst du darauf abzielen, dass du der ganzen Kirche förderlich seist; darum lass dir angelegen sein, zu Gott zu flehen für den Papst, für die Kardinäle, für die Patriarchen, die Erzbischöfe, die Bischöfe, Lehrer, Leiter, Priester, Kleriker, Mönche, Ordensmänner, Einsiedeleien und für alle, die Christus dienen; für die Könige, Herzöge, Fürsten und übrigen Männer vornehmen Standes; für die Jungfrauen, Witwen, Waisen, Pilger, Gefangenen, Betrübten, Schwachen, Kranken und das gesamte Volk Gottes; auch für die Heiden, Schismatiker und Häretiker, auf dass sie sich bekehren zu dem wahren Gott und zur Einheit der heiligen Kirche. - Des weiteren sollst du auch im besonderen für einige beten: für die teuren Eltern, Verwandten, Freunde, für fromme Personen und solche, die dir anempfohlen und auf dein Gebet ihre Hoffnung setzen; und schließlich besonders auch für dich selbst. Und wenn du irgendeinen der vorgenannten Gläubigen, insbesondere aus irgendweIchem Hass oder Groll, ausschließest, dass er nicht teilhaft werde einer so großen Wohltat; so sündigst du tödlich, indem du von Hass erfüllt der göttlichen Geheimnisse Feier begehst.
ZWEITES KAPITEL: VON DER REUE UND DEM SCHULDBEKENNTNIS, VON DER UNMITTELBAREN VORBEREITUNG UND VON DER FEIER SELBST
1. Nachdem all dieses vorausgeschehen, nachdem aus inständiger Erwägung des oben Gesagten durch "das Feuer deine Betrachtung im Herzen entbrannt ist", sollst du auswerfen; und von dir waschen den Unrat deiner Sünden, "mit zerknirschtem und demütigem Geist" dich erinnernd, wie Schlimmes du begangen in Gedanken, in Wort und in Werk, wie viel Gutes du versäumt, was du tun hättest sollen und können, und indem du zu dem geistlichen Arzt und Vater dich wendest, sollst du ihm nennen deine Sünden. Und dies sollst du keineswegs nur in allgemeinem und unbestimmtem Bekenntnis tun, wie so manche, die in der Härte ihres Herzens mit den Blättern allgemeiner Worte in unbestimmtem Bekenntnis das Übermaß ihrer Sünden verdecken und weit entfernt von aller Furcht und allem Schmerz in einer Weise sie vortragen, wie man sie ohne Erröten auch auf den Straßen vor allem Volk zu bekennen vermöchte. Dies ist nicht eine Beichte, sondern Betrug und Verhöhnung. Willst du jedoch in Wahrheit geheilt werden, so enthülle deine Wunden und berichte aus tiefstem Herzen in klarer und offener Weise, was du nach der letzten Beichte begangen, - nicht nur die Werke, sondern auch die verderbten Gedanken, aus denen geistbefleckendes Ergötzen fließt, - nicht nur Todsünden, sondern auch die lässlichen Sünden schwererer Art, die im Gewissen schmerzen und verwunden. Das übrige sollst du in allgemeiner Art auf kurze und klare Weise zum Ausdruck bringen.
2. Danach, wenn du die auferlegte Buße verrichtet, singe mit Andacht die folgenden fünf Psalmen: "Quam dilecta", "Benedixisti", "Inclina", "Credidi" und "De profundis", mit ihren Versikeln und Gebeten. Sprich auch, wenn dir die Zeit zu Gebote steht, das Gebet: "Summe Sacerdos", das sehr wirksam ist und vom Geist der Andacht erfüllt. Wenn du danach hervortrittst, stelle dir Christus im Geist vor, der zum Kreuz schreitet, und hefte dein Herz an seines Leidens Geschehnisse; lies klar und deutlich das, was zu lesen ist, - vermehre nicht die Kollekten zu übermäßiger Zahl und lies nichts anderes aus Andacht oder eigener Willkür, als was von den heiligen Vätern verordnet.
3. Bist du aber zum heiligen Kanon gelangt, so sammele den Geist, auf dass er nicht hier hin und dorthin schweife. Gib einer hohen Sorgfalt dich hin in Zeichen und Bewegung, - einer höheren noch in den Worten, der höchsten jedoch in der Meinung, da du Berührung erfährst mit so kostbarem Leib, mit so glorreicher Seele, ja mit der unermesslichen Gottheit. Bei dem "Memento" für die Lebenden wie für die Gestorbenen geschehe die Anempfehlung nicht mit Stimme und Sprache, vielmehr sollst du nur im Geist an einige besonders Vertraute im einzelnen denken, die übrigen aber in Kürze zusammenfassen, auf alle deine Meinung beziehend, für die du vorher gebetet oder zu beten dir vorgesetzt. Wenn du jedoch zum "Qui pridie" gelangt bist, so richte den Geist und die Meinung darauf, dass du jenes vollziehest, was Christus selbst bei seinem Mahl im Sinn gehabt, und worauf hier abzielt unsere heilige Mutter, die Kirche. Bei der Kommunion aber halte ein wenig inne und sprich, - nicht mit der Zunge oder den Lippen, sondern im Herzen:
4. Mein Herr, wer bist du und wer bin ich, dass ich im Sinn habe, dich einzuführen in die stinkende Grube meines Leibes und meiner Seele? Was hast du mich erschaffen, dass ich dir eine so fluchwürdige Unannehmlichkeit zufüge? Denn tausend Jahre der Tränen und Buße reichten nicht hin zu einmaligem würdigen Empfang eines so erhabenen Sakramentes. Um wie viel mehr bin ich Elender unwürdig, der ich täglich Sünden begehe, in Unverbesserlichkeit beharre und unvorbereitet mich nahe; aber um ein Unendliches größer ist deine Barmherzigkeit als mein Elend; darum wage ich es, auf deine Güte vertrauend, dich zu empfangen. -
Diese zwei Dinge nämlich sind vor allem zu angemessenem Empfang des Sakramentes erfordert: tiefe, selbstvernichtende Demut und Mitleiden mit dem Tod Christi.
5. Wofern du nach der heiligen Kommunion nicht irgendwelche Erquickung im Geist fühlst, so ist es ein Zeichen, dass du geistlich krank bist oder gestorben. Du hast Feuer an deinen Busen gelegt und spürst nicht die Wärme, hast Honig in deinem Mund, und schmeckst nicht seine Süße. Doch wenn du irgendwie Tröstung verspürst, so schreibe nicht dir es zu, sondern seiner unermesslichen Güte, die sich sogar auf die Schlechten erstreckt und die Unwürdigen tröstet, - und du sollst in deinem Herzen sprechen: Auf meine verabscheuenswerte Erbärmlichkeit hin hat er mit seinen Wohltaten mich überhäuft. Wenn er mir, dem Sünder, solches erwiesen, was erst wird er wohl tun, wenn ich mein Leben gebessert? Deshalb will ich, soviel ich nur kann, mich ändern und ihm zu aller Zeit anhangen.
Dies aber glaube nicht zu vermögen durch eigene Kraft, sondern allein durch den Beistand Seiner Gnade; welche Er dir und mir zu verleihen sich würdige!
Amen!