Editae saepe (Wortlaut)

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Enzyklika
Editae saepe

unseres Heiligen Vaters
Pius X.
durch göttliche Vorsehung Papst
an Unsere Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe
und die anderen Ordinarien, welche mit dem Apostolischen Stuhle Frieden und Gemeinschaft haben
zur Dreijahrhundertfeier des Heiligsprechung des heiligen Karl Borromäus
26. Mai 1910

(Offizieller lateinischer Text: AAS II [1910] 357-380)

(Quelle: Rundschreiben unseres Heiligen Vaters Pius X. zur Dreijahrhundertfeier des Heiligsprechung des heiligen Karl Borromäus, Herdersche Verlagsbuchhandlung Freiburg im Breisgau 1916, Lateinischer und deutscher Text [in Fraktur abgedruckt]. Die Anmerkungen wurden in runder Klammer in den Text integriert. Die Nummerierung folgt der englischen Fassung)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder,
Gruß und Apostolischen Segen !

1 Die vielfältige, auch in der Heiligen Schrift ausgesprochene Verheißung Gottes, dass der Gerechte in ewigem gesegneten Andenken leben und selbst nach seinem Tode noch reden werde (Ps 111, 7; Spr 10, 7, Hebr 11, 4), wird in der Kirche durch Wort und Werk dauernd erfüllt. Eine Mutter und Nährerin der Heiligkeit voll Jugendkraft und geleitet von den Eingebungen des Ewigen, "weil sein Geist in uns wohnt" (Röm 8, 11), hat sie allein stets nicht nur die herrlichen Sprösslinge der Gerechtigkeit erzeugt, genährt und gehütet, sondern auch mit mütterlicher Liebe und Sorgfalt ihr Andenken festgehalten und ihre Verehrung in hervorragender Weise belebt. Diese Erinnerung ist für sie eine Quelle himmlischer Wonne und lenkt sie ab vom traurigen Schauspiel des Elendes dieser irdischen Pilgerfahrt. Darf sie doch die Seligen Himmelsbewohner als ihre Freude und ihrer Krone (Phil 4, 1) betrachten; in sie schaut in ihnen das hehre Abbild ihres himmlischen Bräutigams und mit neuem Zeugnis bestätigt sie dabei ihren Kindern das alte Wort: "Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Guten, ihnen, die gemäß dem Ratschluss zur Heiligkeit berufen sind." (Röm 8, 28) Ihre Ruhmestaten sind aber nicht nur eine freudige Erinnerung, sondern auch herrliche Vorbilder zur Nachahmung und eine nachhaltige Ermunterung zur Tugend ist die einmütige Ermahnung der Heiligen, die mit dem Worte des Apostels Paulus ruft: Seid meine Nachahmer, wie ich der Nachahmer Christi bin (1 Kor 4, 16).

2 Deshalb haben Wir, Ehrwürdige Brüder, gleich beim Beginn Unseres Pontifikates es als Unser Vorhaben zu erkennen gegeben, mit Standhaftigkeit dahin zu wirken, dass "alles in Christus erneuert werde". Und in dem ersten von Uns erlassenen Rundschreiben (E supremi vom 4. Oktober 1903) haben Wir nachdrücklich es erstrebt, dass alle mit Uns hinblicken auf den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses … auf den Urheber und Vollender unseres Glaubens, Jesus (Hebr 3, 1; 12, 2-3). Jedoch unsere Schwäche ist so gross, dass uns vor der Größe dieses hehren Vorbildes leicht Bestürzung erfasst. Deshalb hat die göttliche Vorsehung [durch] uns noch anderes Vorbild vor Augen gestellt, welches Christus am nächsten steht, soweit das für die menschliche Natur möglich ist und dem sich doch unsere Armseligkeit leichter anpasst, das ist die allerseligste Jungfrau und hehre Gottesmutter Maria (Rundschreiben Ad diem illum vom 2. Februar 1904). Bei den verschiedenen Gelegenheiten, das Andenken der Heiligen in Erinnerung zu bringen, haben Wir endlich die Bewunderung aller hingelenkt auf diese treuen Diener Gottes und Sachwalter im Hause des Herrn, seine Freunde und Diener, jeder nach seinen Verhältnissen, die da durch die Kraft ihres Glaubens Königreiche niedergeworfen, die Gerechtigkeit vollbracht und die verheissene Krone erlangt haben (Hebr 11, 33); möchte ihr Beispiel ein Ansporn sein, dass wir nicht fürderhin mehr Kinder seien, die [wie Meereswellen] hin und her fluten und von jedem Winde der Lehre hin und hergetrieben werden durch die Schalkheit der Menschen, durch die arglistigen Kunstgriffe der Verführung zum Irrtum, sondern dass wir Wahrheit üben in Liebe und zunehmen in allen Stücken in ihm, der das Haupt ist, Christus (Eph 4, 14f).

3 Wie herrlich der hehre Ratschluss der göttlichen Vorsehung gewaltet hat, das haben Wir insbesondere an drei Männern gezeigt, die groß waren als Hirten und Lehrer zugleich. Entstammen sie auch verschiedenen Zeitaltern, so fiel ihr Leben doch gleichmäßig in Tage, die für die Kirche voll Unheil waren. Diese Männer sind Gregor der Große, Johannes Chrysostomus und Anselm von Aorta, deren Jahrhundertfeier in den letzten Jahren zu begehen war. Außerdem haben Wir in den zwei Rundschreiben vom 12. März 1904 und vom 21. April 1909 die Hauptstücke der Glaubenslehre und die Gebote für das christliche Leben, wie das Bedürfnis der Gegenwart es Uns zu fordern schien, an der Hand des Beispiels und der Mahnungen der Heiligen ausführlich entwickelt.

4 Wir sind überzeugt, dass das Beispiel christlicher Helden viel mehr die Herzen der Menschen zu ergreifen vermag als Worte und ausgesuchte Erörterungen (Rundschreiben E supremi). Daher ergreifen Wir freudig die günstige Gelegenheit, die heilsamen Vorkehrungen zu empfehlen, die Wir von einem andern heiligen Hirten erhalten haben. Er steht der Gegenwart näher und die Bewegungen, gegen welche Gott ihn zu streiten aufgeweckt hat, waren fast die gleichen [wie jetzt]. Es ist Karl Borromäus, der Kardinal der heiligen römischen Kirche und Bischof von Mailand, den vor nunmehr 300 Jahren Paul V. in die Zahl der Heiligen aufgenommen hat. Dies ist keineswegs unzeitgemäß. Denn, um Uns die Worte Unseres genannten Vorgängers anzueignen, "Gott, der allein große Wunder tut, hat jüngst unter uns Großes getan. In seinem wunderbaren Gnadenakten stellte er über der apostolischen Felsenburg ein großes Licht auf, indem er sich aus dem Schoße der heiligen römischen Kirche den heiligen Karl, den treuen Priester und frommen Knecht, erwählte, das Vorbild der Herde, das Vorbild der Hirten. Mit reichem Glanze hat er die ganze Kirche geziert und den Priestern und dem Volke voran geleuchtet wie Abel in seiner Unschuld, wie Henoch in seiner Reinheit, wie Jakob durch die Ausdauer in seinen Mühen, wie Moses durch seine Sanftmut, wie Elias durch die Glut seines Eifers. Er bewährte sich als nachahmungswürdiges Vorbild der leiblichen Abtönung inmitten üppiger Vergnügungen wie Hieronymus, der Demut in hohen Würden wie Martinus, der Hirtensorgfalt wie Gregoires, des Freimutes wie Ambrosia, der Nächstenliebe eines Paulinus. Er ließ uns mit den Augen schauen und mit unsern Händen berühren einen Mann, der inmitten der Schmeicheleien des Lebens der Welt gekreuzigt war, der im Geiste lebte, die Welt verschmähte, unaufhörlich dem Himmel diente und wie er das Amt eines Engels bekleidete, so auch auf Erden in Gesinnung und Werk das Leben der Engel nachahmte (Aus der Bulle Unigenitus vom 1. November 1610).

5 So rühmte den heiligen Karl Unser Vorgänger fünf Lustren nach dem Tode. Nunmehr, wo dreihundert Jahre verflossen sind, seit ihm die Ehren des Heiligen zuerkannt wurden, "ist mit Recht unser Mund voll Freudenworte und unserer Zunge voll Jubel an dem herrlichen Tage unseres Festes, da der einzigen Braut unseres Herrn eine neue Krone aufs Haupt gesetzt wird, geschmückt mit jeglichen Edelgestein, indem dem Kardinalspriester der heiligen römischen Kirche, welcher Wir durch Gottes Gnaden vorstehen, die Ehren des Heiligen zuerkannt werden." Wie Unsern Vorgänger, so erfüllt auch Uns die feste Zuversicht, dass der Ruhm des Heiligen und noch mehr seine Lehre und sein Beispiel geeignet ist, bei allen Betrachtern die Anmaßung der Gottlosen in die Schranken zu weisen und alle zu beschämen, "die sich da rühmen in ihren Götzen" (Aus derselben Bulle Unigenitus). Karolus ward ein Vorbild für die Herde und die Hirten zu dieser Zeit. Er war ein unermüdlicher Vorkämpfer für die Hebung der kirchlichen Zucht und Mehrer derselben gegenüber jenen Neuerern, welche nicht für die Wiederherstellung des Glaubens und der Sitte wirkten, sondern die Entstellung und das Absterben derselben erzielten. Daher wird die Ernennung der Verehrung des Heiligen allen Katholiken ein Trost und eine Lehre sein. Ganz besonders wird sie denselben zum Antrieb gereichen, dass sie an dem Werke, an dem Uns so viel gelegen ist, nämlich der Erneuerung der Dinge in Christus, regen Anteil nehmen.

6 Euch Ehrwürdige Brüder, sieht es fest, dass die Kirche, mag sie auch immer angegriffen werden, niemals von Gott verlassen wird und sich alles Trostes beraubt sehen muss. Denn Christus liebt sie … und hat sich selbst für sie hingegeben, um sie zu heiligen und um selbst die Kirche herrlich darzustellen ohne Makel und Runzel oder etwas dergleichen, sondern dass sie heilig und unbefleckt sei (Eph 5, 25ff). Je mehr die Ungebundenheit sich gegen sie wendet, je schärfer der Angriff der Feinde wird, je gewandter die Nachstellungen werden, mit denen die Irrlehre ihr den Untergang zu bereiten scheinen möchte, mag es selbst in dem Maße geschehen, dass nicht wenige ihrer Söhne sich von ihr losreißen lassen im Strudel der Sünde und Gottvergessenheit treiben, um so näher fühlt sie den göttlichen Schutz. Denn Gott sorgt dafür, dass gerade der Irrtum, mögen die Bösen es wollen oder nicht, den Triumph der Wahrheit herbeiführt, deren Hut der Wachsamkeit der Kirche anvertraut ist. Die Entartung muss der Verbreitung der Heiligung dienen, deren Förderung der Kirche als Lehrerin anvertraut ist. Die Verfolgung macht die Rettung vor unseren Feinden nur wunderbarer (Lk 1, 71). So kommt es, dass die Kirche vor den Augen des weltlich Gesinnten in härtester Bedrängnis erscheint, fast dem Untergang geweiht und doch im gleichen Augenblick schöner, kräftiger, reiner sich erhebt und leuchtet im Glanze der herrlichen Tugenden.

7 So bekräftigt Gott in seiner Güte stets wieder mit neuen Beweisen den göttlichen Ursprung der Kirche, sei es, dass er bei der schmerzvollen Erfahrung, wie Irrtümer und Entartung unter ihren Mitgliedern eingeschlichen sind, sie zur Überwindung der Gefahr leitet; sei es, dass er das Wort Christi wieder bewahrheitet: Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen (Mt 16, 18); sei es, dass er durch den Erfolg das Wort Bestätigt: Siehe, ich bin bei euch bis ans Ende der Welt (Mt 28, 20), sei es endlich, dass er Zeugnis von jener geheimnisvollen Kraft ablegt, in der von Christus, nachdem er vollendet in den Himmel zurückkehrte, ein anderer Tröster dauernd über sie ausgegossen wird, sie schützt und in aller Trübsal aufrichtet, der Geist, der bei ihr bleibt bis in Ewigkeit, der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht aufnehmen kann, da sie ihn nicht sieht noch kennt, dieweil er bei euch bleibt und mit euch ist (Joh 14, 16f 26; 16, 7 ff). Er ist die Quelle der Belebung und Kraft für die Kirche. So zeigt sich die Kirche, wie das ökumenische Konzil vom Vatikan erklärt, mit offenkundigen Merkmalen ausgestattet und "wie ein unter den Völkern aufgestelltes Zeichen" von jeder anderen Gesellschaft ausgezeichnet (3. Sitzung, 3. Kapitel).

8 Sicher geschieht es nicht ohne ein Wunder der göttlichen Allmacht, dass die Kirche als geheimnisvoller Leib Christi niemals ihre heilige Lehre, ihre heiligen Gesetze und Ziele preisgibt, obwohl die Unbotmäßigkeit um sich griff und allenthalben der Abfall unter ihren Mitgliedern einriss; diese Allmacht bewirkt es, dass sie aus den Ursachen dieser Vorgänge gleiche Ergebnisse und Vorteile gewinnt und dass sie aus dem Glauben und der Gerechtigkeit der Mehrzahl ihrer Mitglieder die reichlichen Früchte des Heiles erntet. Kein geringeres Zeichen ihrer göttlichen Lebenskraft ist die Tatsache, dass sie inmitten des abstoßenden Wirrwarrs der Meinungen, inmitten der zahlreichen streitenden Feinde und vor der bunten Menge der Irrtümer als Säule und Grundfeste der Wahrheit unerschüttert feststeht mit dem einheitlichen Bekenntnis des Glaubens, mit der Teilnahme an den gleichen Heilmitteln, mit ihrer göttlichen Verfassung, ihrer Regierungstätigkeit und Sittenlehre. Diese Erscheinung ist um so wunderbarer, als sie selbst nicht nur dem Bösen widersteht, sondern auch das Böse durch das Gute besiegt und nicht aufhört für Freunde und Feinde zu beten, ganz dem einen Ziel alle ihr Kräfte widmend, dass die menschliche Gesellschaft wie die Einzelnen durch das Christentum zur Erneuerung gelangen. Das ist ja ihre wesentliche Aufgabe auf Erden und auch ihre Feinde erfahren die Wohltat derselben.

9 Dies wunderbare Eingreifen der göttlichen Vorsehung auf das von der Kirche ausgehende Werk der Erneuerung hat sich besonders reichlich in den Tagen gezeigt, welche zum Troste der Guten den heiligen Karl Borromäus hervorbrachten. Die Leidenschaften waren damals zur Herrschaft gelangt, der Sinn für die Wahrheit war gestört und verfinstert, der Streit mit den Irrtümern nahm kein Ende und die menschliche Gesellschaft, in die größten Übelstände versunken, schien schweres Verderben über sich selbst heraufzubeschwören. In diesen Zeitläuften erhoben sich stolze und aufrührerische Menschen, Feinde des Kreuzes Christi, die irdisch gesinnt sind, deren Gott der Bauch ist (Phil 3, 18f). Die Besserung der Sitten ließen sie außer acht, bemühten sich aber, die Hauptstücke des Glaubens zu leugnen und brachten so alles in Verwirrung, sicherten sich und andern freiere Bahn für ihre Willkür oder arbeiteten doch sicher auf die Zerstörung der kirchlichen Lehre, Verfassung und Zucht hin, indem sie sich der Autorität und Leitung der Kirche entzogen, dafür aber sich unter das willkürlich auferlegte Joch der entartesten Fürsten oder Völker beugten. Nach dem Beispiele jener Bösen, denen die Schrift die Drohung zuruft: "Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute bös nennet!" (Jes 5, 20) gaben sie diesem Aufruhr widerspenstiger Menschen und dieser Schädigung des Glaubens und der Sitten den Namen Erneuerung und sich selbst den Namen Wiederhersteller der alten Sitte. In der Tat aber haben sie Verderben gebracht. Indem die Kräfte Europas sich in Streitereien und Kriegen verzehrten, haben sie den Schwächungen und Spaltungen der Gegenwart vorgearbeitet. Wie mit einem Schlage ist daraus dann jener Krieg von drei Seiten entbrannt, während zuvor die Angriffe nur einzeln versucht worden waren und die Kirche aus ihnen immer heil und unversehrt hervorgegangen warm d.h. der Krieg mit blutiger Gewalttat wie in den ersten Zeiten, dann die Ansteckung durch Irrtümer im Innern, endlich unter dem Schein des Schutzes der religiösen Freiheit das Wuchern der Laster und die Zerstörung der Zucht in einem Grade, den vielleicht nicht einmal das Mittelalter erreicht hat.

10 Der Schar betrügerischer Menschen stellte Gott Erneuerer im wahren Sinn des Wortes entgegen, hervorragende Heilige, deren Aufgabe es war, den jähren Absturz aufzuhalten und die Glut der Leidenschaften zu mäßigen oder die schon entstandenen Schädigungen wieder gut zu machen. Ihre Arbeit für die Wiederherstellung der Zucht war anhaltend und mannigfaltig und hat der Kirche um so größeren Trost gebracht, je schwerer die Sorge war, die auf sie lastete. Sie wurde zur Bestätigung jenes Ausspruches: Gott ist getreu … er lenkt auch die Versuchung zum Vorteil (1 Kor 10, 13). Unter diesen Fügungen hat die Kirche die größte Freude gewonnen, als Gott den heiligen Karl Borromäus zu einzigartiger Wirksamkeit erweckte und zu großer Heiligkeit des Lebens.

11 Gott hat es gefügt, dass seine Amtswaltung mit einer besonderen Kraft und Eindringlichkeit ausgestattet war, die nicht allein den Trotz der Parteihäupter zu überwinden, sondern auch die Kinder der Kirche zu belehren und zu ermuntern wusste. Denn er hielt jene von ihren schädlichen Anschlägen zurück und entkräftete ihre leeren Beschuldigungen mit der eindrucksvollsten Beredsamkeit: dem Beispiel seines Lebens und seiner Werke; bei diesen aber kräftigte er die Hoffnung und nährte die Begeisterung. Die Eigenschaften eines wahren Reformators, die mir bei andern einzeln und getrennt finden, die besaß er wunderbarerweise schon in jungen Jahren alle in voller Harmonie verbunden: Mannesmut, Besonnenheit, Gelehrsamkeit, Ansehen, Arbeitskraft und Eifer. Sie wirkten wunderbar zusammen zur Verteidigung der Wahrheit des katholischen Glaubens gegen die umlaufenden Irrtümer; wie es die Absicht der gesamten Kirche war, so weckte er in vielen den abgestandenen, ja fast verlorenen Glauben wieder, schützte ihn durch kluge Maßnahmen und Verordnungen; die ins Wanken geratene Zucht stellte er wieder her und rief Klerus und Volk wieder entschieden zu einer sittlichen Haltung zurück, wie sie dem Geist des christlichen Lebens entsprach. So erprobte er sich in jeder Hinsicht als Reformator. Aber nicht minder bewährte er sich in den Obliegenheiten des treuen und guten Knechtes und dann im Amt des Hohenpriesters, der in seinen Tagen Gott gefallen hat und als gerecht erfunden worden ist. Er verdient es also wohl, dass die Menschen aller Verhältnisse, Kleriker und Laien, Reiche und Arme, zu ihm wie zu einem Vorbild aufblicken. Seine Vorzüge sind darin zusammenzufassen, was das Lob des Bischofs und Vorstehers ist, nämlich dass er, dem Worten des Apostels Petrus gehorsam, das Vorbild der Herde von Herzen geworden ist (1 Per 5, 3). Zur Bewunderung aber reisst uns Karolus ebenso hin, da er, noch nicht zwanzig Jahre alt, die höchsten Ehrenstellen erlangte und mit bedeutsamen und schwierigen kirchlichen Angelegenheiten betraut, durch die Betrachtung der göttlichen Dinge in heiliger Zurückgezogenheit zur geistlichen Erneuerung täglich mehr der vollen reichen Tugendhaftigkeit zustrebte und als Schauspiel leuchtete für die Welt, Engel und Menschen.

12 Damals wahrlich begann Gott, um die Worte Unseres schon erwähnten Vorgängers Paul V. zu gebrauchen, in Karl seine Wunderwerke zu offenbaren: die Weisheit du Gerechtigkeit, den glühenden Eifer für die Förderung der Ehre Gottes und des Ansehens der Katholischen Kirche, vor allem die Sorge für die Erneuerung des Glaubens und der gesamten Kirche, eine Aufgabe, welche in dem erhabenen Konzil von Trient zur Lösung stand. Die Ehre, die Abhaltung des Letzteren angeregt zu haben, wird von dem gleichen Päpste und der ganzen späteren Zeit Karl zuerkannt. Er gilt als der Mann, der nicht nur der treueste Vollstrecker desselben einst gewesen ist, sondern auch sein entschiedener Vorkämpfer. Ohne seinen vielen Nachtwachen, seine Sorgen und Anstrengungen aller Art wäre jener Erfolg nicht erreicht worden.

13 Jedoch alles dies war gleichsam nur die Vorbereitung, nur die Schulung für das weitere Leben zur Übung der Seele im frommen Geiste, des Verstandes in der Wissenschaft und des Leibes in der Abhärtung. Der demütige und bescheidene junge Mann war dem Tone gleich in der Hand des Herrn und seines Stellvertreters auf Erden. Die Neuerer der damaligen Zeit verachteten diese Haltung und begingen damit die gleiche Torheit wie die heutigen. Sie bedachten nicht, dass die wunderbaren Fügungen Gottes den Gehorsam und das fromme Gebet aus Verborgenheit und Schweigen ans Tageslicht führen und solche Übungen der Keim zur künftigen Entfaltung sind, so wie auch das Samenkorn die Hoffnung der Ernte in sich schließt.

14 Wir haben schon oben auf die Anzeichen heiligen Lebens und Handelns hingewiesen, welches mit diesen verheißungsvollen Anfängen begann. Gerade dort hat es sich gleichwohl am meisten entfaltet und die reichsten Früchte gebracht, als er "aus dem glanzvollen und großen Rom schied und als guter Arbeiter in das Erntefeld sich begab, welches er (in Mailand) übernommen hatte. Jeder Tag sah ihn dort seine Aufgabe besser erfüllen. Die Ungunst der Zeiten hatte das Feld zum Dornengestrüpp und verwildern lassen. Er wusste es wieder so herrlich umzubauen, dass die Kirche von Mailand durch ihn zum ruhmvollen Vorbild der kirchlichen Zucht wurde" (Bulle Unigenitus). Diese reichen und rühmlichen Erfolge erreichte er, weil er sein Erneuerungswerk nach den Grundsätzen einrichtete, welche das Konzil von Trient kurz zuvor aufgestellt hatte.

15 Die Kirche weiss wohl, wie sehr Sinnen und Denken des menschlichen Herzens zum Bösen geneigt sind (Gen 8, 21). Und sie hat niemals aufgehört, gegen Sünde und Irrtum zu kämpfen, auf dass der Leib der Sünde zerstört würde und wir nicht mehr der Sünde dienten (Röm 6, 6). In diesem Streite ist sie selbst sich Lehrmeisterin und wird getrieben von der Gnade, welche ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist. Die Regel für ihr Denken und Handeln ist hierbei das Wort des Lehrers der Völker [Paulus]: Erneuert euch im Geiste eures Gemütes (Eph 4, 23) und machet euch nicht dieser Welt gleichförmig, sondern wandelt euch selbst um in Erneuerung eures Sinnes, so dass ihr Prüfet, was der Wille Gottes, was gut, wohlgefällig und vollkommen sei (Röm 12, 2). Wer ein Sohn der Kirche und ein nicht bloß vorgeblicher Erneuerer derselben ist, wird nie sagen, dass er dieses Ziel erreicht habe; er rühmt sich nur, danach zu streben, gleich dem Apostel, der schreibt: Ich vergesse, was hinter mir liegt und Strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt; dem vorgesteckten Ziele eile ich zu, dem Preise der von oben erhaltenen Berufung Gottes in Christus Jesus" (Phil 3, 13f).

16 Daraus folgt, dass auch wir, in der Kirche mit Christus verbunden, wachsen sollen in allen Stücken in ihm, der das Haupt ist, Christus, durch welchen der ganze Leib … sein Wachstum erhält zu seiner Erbauung in Liebe (Eph 4, 15f); täglich mehr soll die Kirche, unsere Mutter, das Geheimnis der göttlichen Willens zur Geltung bringen, d.h. in der Fülle der Zeiten alles zu erneuern in Christus (Eph 1, 9f).

17 Darauf ihre Aufmerksamkeit zu lenken haben jene Geister verabsäumt, die es auf eigene Faust unternommen hatten, Glauben und Sitten zu erneuern und deren Unterfangen Karl Borromäus entgegentrat. Und ihre Nachbeter in unseren Tagen, gegen die Wir, ehrwürdige Brüder, entschieden kämpfen müssen, stellen es nicht besser an. Auch diese untergraben die Lehre, Gesetze und Einrichtungen der Kirche und führen die ernste Pflege des höheren Kulturfortschrittes im Munde, so tun sie dies nicht, weil sie darum sich besonders mühten, sondern um die eindrucksvollen Vorwänden ihre verkehrten Pläne leichter bemänteln können.

18 Was sie tatsächlich tun und erstreben, wohin ihr Weg geht, darüber täuscht sich keiner von euch und Wir haben ihre Absichten aufgedeckt und verwerfen. Sie arbeiten auf eine allgemeine Abwendung vom Glauben und von der Führung durch die Kirche hin und da sich diese Richtung fast in den Adern der Kirche selbst schlau zu verbergen und voran zu schleichen sucht und aus den verkehrten Voraussetzungen ihre -schlüsse so sein herzuleiten weiß, ist sie schlimmer als der Abfall, welcher die Zeit des heiligen Karolus bedrohte.

19 In beiden Fällen ist das Unheil von derselben Ursache ausgegangen; vom Feind, welcher zum Verderben des Menschengeschlechtes Unkraut mitten in den Weizen gesät hat (Mt 13, 25) - es hat ja wahrlich den Schlaf noch nicht abgetan -; beide Mal ist es derselbe verborgene und dunkle Pfad, derselbe Gang der Entwicklung, dasselbe Ende. Denn früher hat die unheilvolle Bewegung sich ihren Weg gebahnt, indem sie die Kräfte dort einsetzte, wo sie zufällig Aussicht bekam und den Stand der Vornehmen und den Stand des gewöhnlichen Volkes gegeneinander hetzte, um zuletzt beide zu betrügen und zu verderben. Jetzt hat sie in ähnlicher Weise in den Dürftigen den Neid gegen die Vermöglichen wachgerufen und verschärft, so dass keiner, mit seinem Lose zufrieden, sein Leben als ein Fortschleppen in dauerndem Elend ansieht und jene Strafe büßt, welche diejenigen trifft, die nicht das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen, sondern den hinfälligen und vergänglichen Gütern dieser Welt nachhängen. Ein Umstand aber macht den gegenwärtigen Zwiespalt verhängnisvoller. In den vergangenen Tagen haben die neuerungssüchtigen Geister aus dem Schätze der göttlichen Offenbarung meistenteils gewisse Punkte als sicher und unverrückbar festgehalten. In unserer Zeit dagegen scheinen dieselben nicht ruhen zu wollen, bis sie sehen, dass alles unterwühlt ist. Wo aber die Grundfesten der Religion zerbrechen werden, da muss auch die bürgerliche Gesellschaft zerfallen. Wahrlich ein trauriger Anblick für die Gegenwart und schaudervoll für die Zukunft! Für den Bestand der Kirche ist ja nicht zu fürchten. Die göttlichen Verheißungen schließen allen Zweifel daran aus. Aber den Familien und Völkern drohen Gefahren und am meisten diejenigen, welcher den unheilvollen Hauch der Gottlosigkeit zu offen sich aussetzen oder ihn zu geduldig über sich wehen lassen.

20 Es ist ein verhängnisvoller und törichter Krieg. Und die Gewalthaber, welche vor allen andern zu Uns halten und Unsere Sache schützen sollten, beteiligen sich mitunter selbst als Genossen und Helfer, wo er entfacht oder verbreitet werden soll. Von diesen vielfältigen Irrtümern und mannigfaltigen Verlockungen zur Sünde werden auch nicht wenige aus unsern Reihen berückt, welche der Schein der Neuheit oder der Wissenschaftlichkeit verführt oder die da eitler Hoffnung meinen, es sei eine freundliche Verständigung zwischen der Kirche und den Forderungen der Welt möglich. Bei dieser Sachlage, ehrwürdige Brüder, erkennt ihr klar, dass wir mit Entschiedenheit Widerstand leisten müssen und dass wir den Angriff der Feinde mit denselben Waffen aufnehmen müssen und welchen einst Karl Borromäus gekämpft hat.

21 Da dieselben den Glauben selbst als unsere Burg bedrohen, sei es durch offene Leugnung oder hinterlistige Angriffe und Verdrehung seiner Hauptstücke, so last uns demgemäß die Worte beherzigen, welche Karl Borromäus gar oft betonte: "Die erste und Hauptsorge der geistlichen Hirten muss der Erhaltung des unversehrten katholischen Glaubens gelten, den die heilige Römische Kirche hegt und lehrt und ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen" (Provinzialkonzil I, gegen Anfang). "Auf diesem Gebiete kann man mit seinem Eifer gar nicht zuviel tun, wenn man auch den allergrößten aufbietet" (Provinzialkonzil V, 1. Teil). Den "Sauerteig der häretischen Verderbnisse", der die ganze Masse verdirbt, sofern ihm nicht Einhalt getan, d.h. den verkehrten Lehren, die unter falscher Färbung eingeschmuggelt werden sollen und welch alle zusammen der Modernismus vertritt, muss man mit der gesunden Lehre entgegentreten und mit Karl beherzigen, "wie groß die Verpflichtung des Bischofs ist zum eifrigen Kampfe und zur weitaus größten und sorgsamsten Wachsamkeit gegen die Irrlehre" (Provinzialkonzil V, 1. Teil).

22 Die weiteren Worte, mit denen der Heilige die Verfügungen, Gesetze und Strafen in Erinnerung bringt, welche die Römischen Päpste erlassen haben gegen weniger sorgsame Hüter ihrer Diözesen vor der Ansteckung durch häretische Verderbnisse, brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Aber sehr nützlich ist es, auf die Schlussfolgerungen zu achten, die er daraus gezogen hat. "So soll den", sagt er, "den Bischof vor allem niemals die Sorge und Wachsamkeit verlassen, dass nicht nur die so verderbliche Krankheit der Irrlehre nirgends in die ihm anvertraute Herde eindringe, sondern dass sie auch gänzlichh frei sei von jedem, auch vom geringsten Verdacht. Wenn aber, was Christus in Gnade und Barmherzigkeit abwehren wolle, die Irrlehre sich in die Herde eingeschlichen hätte, so bemühe er sich mit allen Mitteln, um sie so schnell als möglich wieder zu ersticken. Gegen diejenigen, welche von der Irrlehre angesteckt sind oder als derselben verdächtig erscheinen, gehe er gemäß den Weisungen der päpstlichen Bestimmungen und Strafgesetze vor" (Provinzialkonzil V, 1. Teil).

23 Jedoch die Versuche, die häretischen Ansteckungen abzuwehren und ihnen vorzubeugen, müssen wirkungslos bleiben, wenn nicht die größte Sorgfalt auf die rechte Bildung des Klerus und Volkes verwendet wird. Denn der Glaube kommt vom Hören, das Hören aber durch das Wort Christi (Röm 10, 17). Die Notwendigkeit, allein die Wahrheit mit Nachdruck zu verkündigen, ist heute noch größer geworden, da Wir durch alle Adern der Gesellschaft, selbst wo man es am wenigsten vermuten sollte, das verderbliche Gift schleichen sehen und man auf alle anwenden kann, was einst der heilige Karl mit folgenden Worten in seinen Begründungen aussprach: "Wer mit Häretikern in Berührung kommt und nicht in den Grundlagen des Glaubens gefestigt und stark ist, für den muss man ängstlich fürchten, er möchte von ihnen nur zu leicht irgendwie in die Truggespinste der Gottlosigkeit und der Irrlehre verstrickt werden" (Provinzialkonzil V, 1. Teil). Denn wie im übrigen Leben, so schaffen auch für die Irrtümer die Erleichterungen des Reisens größere Gelegenheit zum Austausche. Die Gedanken neigen der Zügellosigkeit zu. Wir leben in einer verdorbenen Gesellschaft, wo die Wahrheit nicht herrscht, wo kein Wissen von Gott waltet (Hos 4, 1), in einer Welt, welche der Verödung verfallen ist, weil niemand ist, der mit sich zu Rate geht (Jer 12, 11). Aus diesem Grunde haben Wir, um mit Karolus zu sprechen, "bisher große Sorgfalt aufgeboten, damit die Christgläubigen alle und einzeln zum Unterricht in den Grundlehren des christlichen Glaubens gelangen sollten" (Provinzialkonzil V, 1. Teil). Weil diese Angelegenheit zu den wichtigsten Obliegenheiten gehört, haben Wir sie zum Gegenstande eines besonderen Rundschreibens gemacht (Rundschreiben Acerbo nimis vom 25. April 1905). Von ungestillter Sehnsucht brennend, klagte der heilige Borromäus, dass er "in der wichtigen Angelegenheit noch zu wenig erreicht habe." Wenn Wir diese Klage Uns nicht zu eigen machen, so bewegt Uns nichtsdestoweniger doch die gleiche "Größe der Sache und ihrer Gefährdung" wie ihn und Wir wünschten alle anzuspornen, dass sie dem Beispiele des heiligen Karl folgen und jeder gemäss seinem Amte und nach seinen Kräften dem Werke der Erneuerung des christlichen Geistes sich hingebe. Daher mögen die Familienväter und Herren die eifrigen Ermahnungen bedenken, mit denen jener heilige Seelenhirt unablässig sie ermuntere, ihre Kinder, ihre Hausgenossen und Dienstboten nicht nur zur Unterweisung in der christlichen Lehre zuzulassen, sondern sie dazu selbst anhalten. Desgleichen sollen die Geistlichen nicht vergessen, dass sie dem Vorsteher Hilfe leisten sollen im katechetischen Unterricht. Der Vorsteher selbst aber soll dafür sorgen, dass mehrere höhere Schulen vorhanden sind, entsprechend der Zahl und dem Bedürfnis der Gläubigen. Sie sollen sich empfehlen durch die Tüchtigkeit der Lehrer. Denselben sollen hinwieder ehrenwerte Männer oder Frauen als Hilfskräfte zugewiesen werden, so wie es die Vorschriften des Bischofs von Mailand anordnen (Provinzialkonzil V, 1. Teil).

[Fortsetzung folgt]