Klarheit und Wahrheit: Papst Paul VI. zu aktuellen Glaubensfragen

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Klarheit und Wahrheit
Papst Paul VI. zu aktuellen Glaubensfragen

Quelle: Ingo Dollinger, Klarheit und Wahrheit, Papst Paul VI. zu aktuellen Glaubensfragen, Pistis Verlag München (Imprimatur des Bischöflichen Ordinariates Augsburg vom 27.7.1977; Die Anmerkungen am Ende der Seite wurden in den Text eingefügt.

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Frontispiz des Buches

Begleitwort des Bischofs von Augsburg

In seinem apostolischen Lehrschreiben „Evangelii nuntiandi" vom 8. 12. 1975 hat Papst Paul VI. seinen eigenen Verkündigungsauftrag so beschrieben: „Der Nachfolger des Petrus ist nach dem Willen Christi in besonderer Weise mit dem Dienstamt beauftragt, die geoffenbarte Wahrheit zu lehren. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte dies bekräftigen, indem es erklärte: >Die volle, höchste und universale Gewalt, die Christus seinem Stellvertreter zur pastoralen Leitung seiner Kirche anvertraut, meint vor allem den Auftrag des Papstes, sich aktiv zu bemühen, die Frohbotschaft vom Heil zu predigen und predigen zu lassen< (Ad Gentes Nr. 38)."

Paul VI. hat diesen Verkündigungsauftrag unermüdlich in den wöchentlichen Generalaudienzen, zahlreichen Homilien zu besonderen Anlässen und nicht wenigen päpstlichen Dokumenten verwirklicht.

Mit höchster Autorität nimmt er zu den konkreten Fragen unserer Zeit und ihren drängenden Problemen Stellung.

Aus dem reichen Schatz dieser Lehrtätigkeit der Jahre 1974 bis 1977 werden im vorliegenden Buch zu wichtigen Grundfragen unseres Glaubens jeweils die Antworten geboten, welche ein klares Wissen um das entsprechende Glaubensgeheimnis vermitteln können und geeignet sind, die darüber verbreiteten Irrtümer zurückzuweisen, sowie eindeutige Linien für die kirchliche Verkündigung und Lehrtätigkeit aufzuzeigen.

Wer die Äußerungen des Papstes liest, wird echte Freude am Glauben empfinden, die Geborgenheit in ihm neu erleben und mit Dankbarkeit auf den Heiligen Vater blicken als den nicht wankenden Felsen im Sturm der Zeit und im Anbranden verführerischer Irrlehren.

Diese Erfahrung wird jeder machen, der im Glauben der Kirche steht. In der um sich greifenden Verunsicherung ist die vorliegende Auswahl der Worte des Papstes eine höchst aktuelle Gabe zum 80. Geburtstag des Nachfolgers Petri. Gerne gebe ich dieser Publikation meine Empfehlung.

Augsburg, am Fest des Apostels Jakobus, zum 25. Juli 1977

Josef Stimpfle

† Bischof v. Augsburg

Einführung

Angesichts der vielfältigen direkten und unterschwelligen Angriffe auf unseren Glauben als Ganzen, ebenso wie auf verschiedene Glaubenswahrheiten im einzelnen, sowie angesichts der uferlosen Infragestellung jedes Glaubenssatzes nahezu und aller kirchlichen Einrichtungen und umgeben von vielfältigen Irrlehren und bestechenden Ideologien sind nicht wenige Gläubige in eine gefährliche Verunsicherung hineingeführt worden. Davon gibt unter anderem die häufig zu hörende Frage Zeugnis: »Was gilt denn heute noch in der Kirche? Was hat sich geändert, ist überhaupt noch etwas geblieben - und wenn ja, was dann?« Manche klagen auch darüber, dass auf dieselbe Frage verschiedene, ja, sogar widersprüchliche Antworten gegeben würden. Die Verdrängung der Freude an der frohen Botschaft durch lähmende Verdrossenheit droht sich so zuweilen einzustellen.

Bei nicht wenigen Gläubigen sind Minderwertigkeitskomplexe anzutreffen, weil sie fürchten, mit ihrem Glaubenswissen hoffnungslos veraltet zu erscheinen und mit der modernen Zeit nicht mehr mitzukommen.

Darum ist es sehr hilfreich, gerade die Worte des Heiligen Vaters zu entscheidenden und aktuellen Fragen, zu den bekämpften oder in Frage gestellten Glaubenswahrheiten möglichst allgemein zugänglich zu machen und zu verbreiten.

Auf diese Weise kann der Klarheit und Festigkeit in der Kenntnis der Lehre der Kirche Gottes ein echter Dienst geleistet werden.

Für besonders angezeigt erscheint das Eingehen auf folgende Glaubenswahrheiten: das Geheimnis der gottmenschlichen Person Jesu Christi, die Tradition, das Gewissen und die Sakramente der Taufe, Buße, Eucharistie und Priesterweihe.

Zu der Zusammenstellung der päpstlichen Äußerungen ist zu bemerken:

Aus verschiedenen Ansprachen und päpstlichen Dokumenten der Jahre 1974 bis 1977 wurden zu den sieben genannten Glaubensgeheimnissen entscheidende Aussagen zusammengetragen.

Das hat den Vorteil, dass nicht nur eine gelegentliche Äußerung, sondern eine stets wiederholte Lehre sichtbar wird. Das hat weiterhin den Vorteil, dass die genannten Themen eine relativ vielseitige Beleuchtung erfahren. Wiederholungen sind dabei bewusst in Kauf genommen worden.

Diese Art des Vorgehens brachte natürlich auch einige Nachteile, welche freilich unbedeutend sind, wenn man sie kennt:

Es wurden Stellen aus dem Zusammenhang gerissen, es fehlt manchmal der organische Aufbau, und gelegentlich ist der Abschluss unvermittelt.

Wer sich zu tieferem Studium der Texte veranlasst fühlt, kann dies aufgrund unserer Quellenangaben leicht tun. Dabei können dann die angeführten Einschränkungen dieser Publikation behoben werden. Zur Qualifikation der päpstlichen Äußerungen ist das Zweite Vatikanum zu zitieren: »Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit und Vielheit von Bischöfen und Gläubigen... Der religiöse Gehorsam des Willens und Verstandes ist in besonderer Weise dem authentischen Lehramt des Bischofs von Rom, auch wenn er nicht kraft höchster Lehrautorität spricht, zu leisten; nämlich so, dass sein oberstes Lehramt ehrfürchtig anerkannt und den von ihm vorgetragenen Urteilen aufrichtige Anhänglichkeit gezollt wird, entsprechend der von ihm kundgetanen Auffassung und Absicht. Dies lässt sich vornehmlich erkennen aus der Art der Dokumente, der Häufigkeit der Vorlage ein und derselben Lehre und der Sprechweise" (Lumen gentium, Nr. 23 und 25). Die Nützlichkeit von Publikationen der vorliegenden Art wird durch folgende Beurteilung der Situation von Paul VI. erhellt: »Wir stehen in einer apostolischen, missionarischen und katechetischen Phase von solcher Wichtigkeit, wie sie das Leben der Kirche nie zuvor aufzuweisen hatte" (Generalaudienz vom 12. 1.1977).

Die im Text wiederholt auftretenden Punkte ( ...) sind aus dem amtlichen Original übernommen.

1. Zum Geheimnis der Person Jesu Christi

Vorbemerkung

Das zentrale Geheimnis unseres Glaubens, der Existenzgrund der ganzen Schöpfung und unser aller Ziel ist die Heiligste Dreifaltigkeit. Der Glauben an das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit schließt den Glauben an die Gottheit aller drei heiligen Personen, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, ein. Im ersten Abschnitt dieses Buches geht es um die herrliche und geheimnisvolle Wahrheit von der Gottheit unseres Erlösers Jesus Christus, der menschgewordenen zweiten göttlichen Person.

Diese Wahrheit ist auch für unsere Erlösung entscheidend. Nur wenn Christus in Wahrheit der wesensgleiche Sohn des Vaters ist, sind wir wirklich erlöst, haben wir Zutritt zum Vater und sind Erben des ewigen Lebens, gibt es in der Tat eine Kirche, die sich Kirche Christi und Haus Gottes nennen darf.

Darum ist kaum ein Angriff so radikal gegen die wahre Religion, ja, gegen unsere Existenz als Erlöste und das ganze Heilswerk des Neuen Bundes gerichtet, wie die Leugnung der Gottheit Jesu Christi. Diese Leugnung hat vielfältige Formen:

Da gibt es die spöttische und Hasserfüllte Bekämpfung Christi von Feinden außerhalb der Kirche. Da gibt es die mehr oder weniger raffiniert getarnte Infragestellung dieses entscheidenden Geheimnisses der Person Christi in der uns umgebenden Gesellschaft. Da gibt es innerhalb der Kirche in manchen Büchern Formulierungen, die unklar sind, mehr noch, da scheint es sogar in theologischen Werken mehr oder weniger deutlich an der Weitergabe der Überzeugung vom Glaubensgeheimnis der göttlichen Wesenheit des Erlösers zu fehlen. Dabei ist zu bedenken, dass das im Auftrag des 2. Vatikanum veröffentlichte »Allgemeine Katechetische Direktorium" anordnet: »Die Katechese muss täglich den Glauben an die Gottheit Jesu Christi verteidigen und bestärken" (Directorium Catechisticum Generale Nr. 53).

Wer ist Jesus? Was ist die richtige Definition für sein Geheimnis? Was ist es um die verschiedenen Titel des Herrn im Neuen Testament? Zu dieser fundamentalen Lebensfrage des Christentums wollen wir die lichtvollen und klaren Worte des Heiligen Vaters kennenlernen.

Die Worte Papst Paul VI.

Wer das Weihnachtsfest gefeiert hat und in der schlichten Tatsache der Geburt Jesu, das Geheimnis der Inkarnation, der Menschwerdung, also des Kommens Christi, des Erlösers, des Messias, des menschgewordenen ewigen Wortes Gottes entdeckt, der wird zu einer weiteren Entdeckung geführt, die uns hinführt zum Mittelpunkt der gesamten Religion, zum Geheimnis des Lebens Gottes und zugleich des Lebens des Menschen. Weihnachten offenbart uns nicht nur Christus, sondern durch ihn, durch seine Offenbarung, durch sein Erscheinen, das ihn als Gottes- und als Menschensohn offenbar werden lässt, erschließt sich uns in strahlender, faszinierender Schau die Vaterschaft Gottes und damit das Geheimnis des göttlichen Lebens selbst, das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit: Gott ist Vater und zeugt ewig in sich selbst den Sohn, seinen eigenen lebendigen Gedanken, sein „Wort“, welches ihm, Gottvater, dem alleinigen absoluten Ursprung wesensgleich ist, und von beiden, Vater und Sohn, die der Substanz nach eins sind, geht der Heilige Geist aus, der die Liebe ist. Ein einziges göttliches Sein, aber in drei Personen, die gleich, unterschieden und ewig sind (vgl. Denz-Sch. 800); (In der Generalaudienz vom 2. Jan. 1974 zitiert nach Paul VI., Wort u. Weisung im Jahr 1974, Seite 3 [Im Folgenden nur mit Datum, Jahreszahl und Seitenzahl zitiert]).

Wenn wir wirklich verstanden haben, dass wir in der Feier des Weihnachtsfestes dem menschgewordenen Gott begegnet sind als einem von uns, dessen Absicht es war, uns ähnlich zu werden, uns zu suchen und für uns Menschengestalt anzunehmen, um mit uns zu sprechen und bestimmend zu werden für das Schicksal unseres eigenen Lebens, das heißt, um uns zu retten - wenn wir das verstanden haben, dann müssen wir nochmals darauf zurückkommen und anerkennen, dass diese Begegnung für unser ganz persönliches Leben von entscheidender Bedeutung ist.

Denken wir einmal gut darüber nach, was die Begegnung mit Christus bedeutet. Bedenken wir vor allem, dass dieses Ereignis Wirklichkeit ist. Betrachten wir es im großen Zusammenhang des Heilsplanes für die Welt und ihre Geschichte. Der geheimnisvolle Gott gibt sein Wesen, die Kennzeichen seiner Göttlichkeit nicht auf. Er bleibt der Ewige - und kommt doch auf die sich ständig wandelnde Bühne der Zeit (vgl. Eph 1, 10). Er bleibt der Unendliche - und tritt doch ein in die Grenzen der „kenonis“, der Selbstentäußerung (vgl. Phil 2, 7).

Er bleibt der Unaussprechliche - und wird doch für uns im Gewand des Fleisches sichtbar (vgl. 1 Tim 3,16; Joh 14, 9). Er bleibt der Unerreichbare - und doch offenbart er sich den Kleinen (vgl. Mt 11,25). Er nimmt unser menschliches Los auf sich (Bar 3, 38), um unser Leben, das sich mühsam auf der Erde dahinschleppt, auf eine übernatürliche Ebene zu erheben (2 Petr 1,4), um das Geschick der Menschheit, auf ewig verlorenzugehen, in ungeahntes Glück umzuwandeln... Können wir da noch gleichgültig bleiben, daran achtlos vorbeigehen? * (6. Febr. 1974, S. 21).

Wir brauchen Christus. Wie können wir aber mit ihm in Verbindung treten? Und selbst wenn wir, das Glück gehabt hätten, in seiner Zeit zu leben, wären wir dann in der Lage gewesen, ihn als den zu erkennen, der er wirklich war, ihn zu verstehen, in das Geheimnis seines göttlichen Seins einzudringen? Wäre es uns tatsächlich möglich gewesen, Christus zu erkennen in seiner göttlichen und menschlichen Natur und seiner göttlichen Person als Gottes wahrer Sohn, das unendliche und ewige Wort des Vaters? Nun sind wir aber zeitlich weit von ihm entfernt, im Ozean der Menschheit eingetaucht. Wie soll es uns da jeweils möglich sein, ihm nahezukommen?

Das für uns unlösbare Problem hat der Herr jedoch auf wunderbare Weise gelöst. Hört die Schlussworte des Markusevangeliums: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet" (Mk 16, 16). Glaube und Taufe sind also die beiden Grundbedingungen für .den Eintritt in den leuchtenden und realen Bereich christlicher Erlösung: diese ist nichts Geringes, schenkt sie uns doch nicht weniger als das unsterbliche, göttliche Leben Christi (Gener. Aud. vom 18. Mai 1977, OSSERVATORE ROMANO DEUTSCH [= ORD in Folgenden) vom 2.7. Mai 1977, S. 1).

Wer ist Jesus? ... Ihr alle kennt die Definition aus dem Katechismus: Jesus ist der Mensch gewordene Sohn Gottes. Auch wisst ihr sehr viel über ihn, durch die Berichte der Evangelisten... Aber es gibt da einen ersten charakteristischen, fundamentalen Zug an unserer Kenntnis von Jesus Christus. Wenn wir ihn wirklich kennen, merken wir doch, dass wir ihn nicht genügend kennen. Was wir von ihm wissen, stillt nicht unser Verlangen, genügt nicht unserer Verpflichtung zu geistiger Erkenntnis; vielmehr wird dieses Verlangen dadurch noch gereizt, angespornt und angestachelt und unsere Verpflichtung uns noch mehr bewusst. Wir alle finden uns aufgefordert, ja, gleichsam verstandesmäßig und geistlich gedrängt, ihn besser kennenzulernen und uns ein klareres, konkreteres und vollkommeneres Bild von ihm zu machen. Die neugeweckte Wissbegier lässt uns nicht mehr zur Ruhe kommen und bestürmt unseren Geist mit der unerbittlichen Frage: Wer ist Jesus? ..

Jeder von Euch wird sich erinnern, dass dieses Forschen schon unter den Zeitgenossen Jesu einsetzte, bei denen vor allem nach so manchem seiner Wunder - immer wieder die Frage auftauchte: "Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar Wind und Wasser gehorchen, wenn er es befiehlt?" (Lk 81 25) Ihr erinnert euch, dass Jesus selbst unter den Jüngern eine Art Meinungsumfrage anstellte: Der Evangelist Matthäus erzählt: "Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er: Für wen halten die Leute den Menschensohn?" (Mt 16, 13). Die Meinungen gingen auseinander. Ein Zeichen dafür, dass die Offenbarung, die Jesus über sich selbst machte, zwar etwas Außergewöhnliches aufscheinen ließ, jedoch hinter dem Schleier der Menschlichkeit verborgen blieb, der nicht immer und nicht für alle durchsichtig war.

Das ganze Johannesevangelium ist erfüllt von dem quälenden Problem der Identifizierung der Person des Meisters (vgl. Joh 101 241 "wenn du der Messias bist, sage es uns offen"). Und über diesem Problem braut sich das Drama seiner Passion zusammen, in dem Doppelprozess, dem religiösen, wie dem zivilen, welch erster zu seinem Bekenntnis als Messias, als Sohn Gottes führt, der zweite zur Bejahung des Titels: König der Juden. Dann das unfassbare Machtwort seiner Auferstehung, die selbst die Fassungskraft seiner unmittelbaren Zeugen übersteigt, was ihnen sogar den Vorwurf des Auferstandenen einbringt: „Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben" (Lk 24, 25) ! Jesus ist ein Mysterium. Wir werden ihn niemals hinreichend erforschen, niemals ganz erfassen und begreifen können. Die Kenntnis von ihm muss schließlich in den Glauben münden, das heißt in eine die Vernunft übersteigende Kenntnis (13. Febr. 1974, S. 24-26).

... Nehmt es uns nicht übel, wenn wir wiederholen: Seien wir auf der Hut! Es besteht die Gefahr, dass wir selbst, auch wenn wir bereits auf der Höhe christlicher Weisheit und Glaubensfestigkeit leben dürfen, von diesem Horizontalismus beeindruckt werden, um bald Opfer der betörenden Schwäche des Säkularismus zu sein, der aus einer unbedachten und unklugen Verweltlichung herrührt... Es besteht die Gefahr, eine Formel für gültig zu halten, die das Ja zu Christus auf die Tatsache beschränken möchte, dass Er „für die anderen“ da war (Vgl. Bonhoeffer), so als ob das genügen könnte, wo wir in ihm doch unseren Lehrer und Erlöser nur dann anerkennen können, wenn wir das Geheimnis seiner Gottheit festhalten *(17. Juli 1974, S. 97).

Advent heißt Erwartung, Vorbereitung, Sehnsucht, Hoffnung auf die Ankunft Jesu in der Welt, im geschichtlichen Raum des auserwählten Volkes und im Gesamtplan der Menschheit; Hoffnung auf die Ankunft dessen, auf den sich jahrhundertelang aus schmerzlichsten Erfahrungen die Sehnsucht nach Rettung und die prophetische Schau von einem siegreichen König richtete, der Gerechtigkeit und Frieden bringt. So heißt es in der Prophezeiung des Jesaias: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf seinen Schultern ruht die Herrschaft. Man nennt ihn Wunderrat, starker Gott, Ewigvater, Friedensfürst. Groß ist die Herrschaft und endlos der Friede ... (Jes 9, S-6)

Diese adventliche Spiritualität durchzieht das ganze Alte Testament. Sie ist ausgerichtet auf eine neue, glückliche, unbeschreibliche Zukunft, auf eine außergewöhnliche Persönlichkeit, in der die Idealgestalt des Königs David wiederersteht und zur transzendenten, geheimnisvollen Persönlichkeit eines Befreiers und Erretters wird. Im Laufe der unglücklichen an Enttäuschungen reichen Geschichte nimmt diese Spiritualität, aus der das Volk lebt, immer deutlichere und vollere Züge an und gibt dem Volk eine Zuversicht, die sich offensichtlich auch in bittersten Ereignissen bewährt.

Gerade diese messianische Hoffnung hält im Volk die Erinnerung an die geschichtlichen Erfahrungen vergangener Zeiten und an die von den Vätern überkommenen religiösen und sittlichen Pflichten wach; sie macht das von ihnen erhaltene Gesetz zur Norm für das eigene Verhalten und gewinnt aus der Treue zur Überlieferung die Kraft zur eigenen Identität.

So wurde Jesus erwartet. Wir kennen das Evangelium. Die Verheißungen wurden in den Augen der Menschen von der Gestalt und der Sendung Jesu nicht erfüllt, obzwar auch diese kenosis, diese Selbstentäußerung des Herrn in den berühmten Prophezeiungen vom „Gottesknecht" (Vgl. Jes 53) klar bezeugt worden war. Tatsächlich wurden sie aber noch übertroffen in der realen Existenz Christi, des wahren Gottessohnes und wahren Menschensohnes, der Kraft dieser seiner Doppelnatur, der göttlichen und der menschlichen, die in dem einen menschgewordenen Wort, in dem Sohne Gottes, lebten, das Erlösungswerk vollbrachte, indem er um unseres Heiles willen starb und auferstand (4. Dez. 1974, S. 173-174).

Wenn Weihnachten wiederkehrt, sehen wir uns mit der ganzen Menschheit vor eine Frage gestellt, nämlich nach Jesus. Wer war Jesus? Unser Glaube ruft es voll Freude hinaus: Jesus, das ist er, der menschgewordene Gottessohn, der Messias, den wir erwartet haben, der Retter der Welt und Herr unseres Lebens; der Hirte, der die Menschen jetzt auf seine Weide und dann zu ihrer überirdischen Bestimmung führt. Er ist die Freude der Welt, das Abbild des unsichtbaren Gottes (Kol 1, 15). Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6). Er ist unser Freund (Vgl. Joh 15,14-15), der uns schon von weitem erkennt (Vgl. Joh 1,48). Er weiß unsere Gedanken (Lk 6, 8i Joh 2,25). Er kann unsre Sünden vergeben (Mt 9,2), uns trösten (Joh 20, 13; Mt 5,39), uns heilen (Lk 6, 19) und uns vom Tode auferwecken (Lk 7, 14; Mt 9,25; Joh 11,4.3). Er wird wiederkommen, als Richter aller und jedes einzelnen (Mt 25,31), in der Fülle seiner Herrlichkeit (ebd.) und zu unserer ewigen Glückseligkeit. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen, um zu einem kosmischen Gesang ohne Ende und Grenze anzuschwellen (vgl. Kol 2).

Nehmen wir einmal an, es wären niemals leere Vermutungen und falsche Lehren aufgetaucht, die unseren Glauben an Jesus Christus/ unseren Herrn, verwirren. Dann würden wir um so stärker die Fülle der Sehnsucht mit ihrer inneren Freude erfahren, in unseren Herzen die entscheidenden, klaren und feierlichen Definitionen widerklingen zu lassen, welche die Kirche in mühsamer Arbeit und mit großer, einzigartiger Wahrheitsliebe für unser Denken, Beten und Handeln formuliert hat. Hören wir noch einmal eine dieser Formulierungen, die im Grunde nur ein Kommentar zum Satz des Evangeliums ist: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt"; (Joh 1, 14). Sie lautet: „Jesus Christus ... ist wahrer Gott und wahrer Mensch" (Denz-Sch. 301-3921. Dies ist die richtige Definition für ihn, dies ist für uns die wahre Theologie. An dieser Aussage für Jesus festzuhalten, das ist unser Glaube, das ist unsere Sicherheit. Sie macht aus Jesus nicht zwei Gestalten, so als wäre der Jesus des Evangeliums ein anderer als der Jesus der Theologie/ vielmehr verteidigt sie eifersüchtig den geheimnisvollen Schatz der Wahrheit, der in Christus offenbar geworden ist und der uns ermächtigt, dadurch die Tiefe zu durchdringen. Er erschöpft nicht unser Verlangen nach Forschung und Wissen, sondern erschließt uns den Weg und bietet uns Führung an. Er bringt die Sprache des Herzens und der Poesie nicht zum Verdorren, sondern entzündet und entflammt sie. Er lässt in unserem Denken keinen Hochmut entstehen, sondern stellt es demütig auf die Stufe der Gemeinschaft mit den Brüdern in der einzigartigen Harmonie des Glaubens und der Liebe.

Aber wir wissen leider, dass Jesus Christus, wie ihn die Kirche bekennt, rühmt, verteidigt und liebt auch heute noch - und heute vielleicht mehr denn je- „ein Zeichen ist, dem widersprochen wird,“, wie der greise Simeon bei der Darstellung Jesu im Tempel zu Maria sagte (Vgl. Lk 2, 24). Eine umfangreiche gelehrte und bisweilen sogar künstlerische hochwertige Literatur wurde vom vorigen Jahrhundert an bis heute nicht müde, das Evangelium auseinander zunehmen, um Jesus mit Zweifel zu umgeben und schließlich sogar seine Existenz zweifelhaft erscheinen zu lassen: „Niemand wäre es in den Sinn gekommen zu fragen, ob es Christus gibt oder nicht, wenn hinter dieser Frage nicht dunkel der entscheidende Wunsch gestanden hätte, nämlich es möge Christus nicht geben“ (vgl. D. Merezkovskij, Der unbekannte Jesus, 8). Diese Beobachtung gibt uns in ihrer Radikalität den Schlüssel zur Beurteilung eines Großteils dieser Literatur, auch aus moderner Zeit, in die Hand. Sie geht von subjektiven Voraussetzungen aus, nach denen sie das wahre und objektive Zeugnis des Evangeliums zurechtbiegt; Hypothesen, private Meinungen, literarische Kunstgriffe, wissenschaftliche Möglichkeiten, humanistischer Menschenkult, sentimentale Oberflächlichkeit, exegetische oder hermeneutische Einfälle oder andere virtuose Tricks, wie sie dem eigen sind, der an die Stelle wohldurchdachter und inspirierter Reflektion des von Christus zur Verkündigung des Evangeliums eingesetzten Lehramtes die freie Prüfung setzt (11. Dez. 1974, S. 177-179).

Es ist viel vom Christentum im allgemeinen gesprochen worden ... von der Neuheit der christlichen Botschaft, die es wiederzuentdecken gilt, oder mit anderen Worten: von der Annahme eines neuen Systems zu denken, zu leben und mit Gott und den Menschen in Verbindung zu treten; wir können dieses System in die Ausdrücke "Himmelreich“ oder "Reich Gottes« oder „Botschaft des Evangeliums“ fassen. Dann haben wir nach der Quelle dieser Botschaft gesucht und haben sie in Jesus Christus gefunden, der in aller Bescheidenheit als Handwerker auf Erden erschienen ist; auch für die öffentliche Meinung stammte er aus Nazareth, war für die kurzsichtigen Augen des rein weltlichen Betrachters irgendein Mensch; und von den gut informierten Quellen, wie wir sie nennen, hören wir zu wiederholten Malen: „Ist dieser nicht der Zimmermann, der Sohn Marias? ..." (Mk 6, 3), was er ja wirklich war. Aber diese Bemerkung hat das Problem nicht zufriedenstellend gelöst, denn die Leute fragten sich verwundert, woher denn Jesus soviel Gelehrsamkeit nahm und wie er dazu kam, Wunder zu wirken. Es war nur folgerichtig, in ihm einen Propheten, einen Meister zu sehen. Wir haben auch die Bedeutung dieses Titels Meister erwähnt, den Jesus selbst als das höchste und ausschließliche Recht des erwarteten Messias, des Christus, bezeichnete. Aber auch dieser Titel Meister sagt nicht alles über Christus aus, der erkennen ließe, dass er selbst der Meister, der so heißersehnte und hochgepriesene Messias, der Christus sei. Er tat dies in einem Maß, dass schon vom Beginn seines Auftretens im öffentlichen Leben an die ersten Jünger erahnten, welch geheimnisvolle Persönlichkeit Jesus war. Unter diesen Jüngern hat beispielsweise Nathanael (Bartholomäus) bei der Begegnung mit Jesus, als er sich von ihm mit unfehlbar das Innere durchdringendem Blick erkannt sah, ausgerufen: »Rabbi (das heißt Meister), Du bist der Sohn Gottes, Du bist der König von Israel" (Joh I, 49). Die Bezeichnung Meister genügt also nicht, um Jesus zu beschreiben; ein weiterer Titel steht ihm zu: „Sohn Gottes!" Das ist ein sehr schwer zu erklärender Titel; er macht jedoch die Gestalt Jesu erheblich größer, als dies der einfache Titel Meister und der auch nur menschlicher Vorstellungskraft entsprechende Titel Messias vermögen. In demselben Bericht des Evangeliums erschallt an der Mündung des Jordans in das tote Meer eine weitere Bezeichnung für Jesus: „Seht das Lamm Gottes", das heißt, das bevorzugte und für eine geheimnisvolle Opferhandlung vorher bestimmte Opferlamm (Joh 1, 29 und 36). Die Neugier und das Erstaunen nehmen zu, auch wenn Jesus gewöhnlich von sich selbst als vom „Menschensohn“ spricht; das ist ein weiterer, scheinbar bescheidener Titel, der aber reich an biblischen Anklängen und tiefen Bedeutungen ist. Auf die Frage „Wer ist Jesus“ gibt es die verschiedensten Antworten. Es war auch den Jüngern selbst zunächst durchaus nicht klar, wie die richtige Antwort lauten sollte. Genau zu diesem Zeitpunkt ging Jesus mit der kleinen Gruppe eben dieser Jünger in Richtung Cäsarea Philippi im Norden Galiläas nahe dem Hermon Gebirge und stellte die forschende Frage: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ Nach den verschiedenen recht wirren Antworten, die man der öffentlichen Meinung entnahm, schürfte Jesus tiefer und stellte seinen künftigen Aposteln die Frage: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Damals war es, dass Petrus, erleuchtet von Gott dem Vater, sicherlich auch im Namen der anderen mit der berühmten unübertrefflichen Definition für Jesus antwortete: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Wir sagen jetzt nicht mehr über Inhalt und Geschichte dieser Offenbarung. Übrigens wisst ihr ja selbst, dass im weiteren Verlauf des Evangeliums ganz besonders beim Evangelisten Johannes die Frage nach der geheimnisvollen Identität Jesu den breitesten Raum einnimmt, und sich sogar dramatisch zuspitzt auf Grund der radikalen Opposition der Pharisäer, der Schriftgelehrten und der Sadduzäer einerseits und des wachsenden Interesses des Volkes andererseits (vgl. Joh 12, 12). Sie wird schließlich zur entscheidenden und tragischen Frage, weil eben dieser messianische und göttliche Titel „Sohn Gottes“ den Jesus der Menschensohn, während seines zweifachen, des religiösen, wie des politischen Prozesses für sich in Anspruch nimmt, zum Hauptgrund für die Verurteilung zum Kreuzestod wird. Jesus stirbt als Opfer und Märtyrer seiner geheimnisvollen gott-menschlichen Identität. Und aufgrund dieser seiner Identität steht er am dritten Tag von den Toten auf und wird so zum Erlöser der Welt. Halten wir alle diese ganz sichere und unaussprechliche Wahrheit über unseren Herrn Jesus Christus in unserem Denken, unserem Herzen und unserem Leben fest: Er ist einzigartig in der göttlichen Person des eingeborenen Sohnes Gottes, ewig in der Natur des Wortes, fleischgeworden in der Menschennatur aus Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes. Erinnern wir uns dieses realen Geheimnisses, das über der ganzen Geschichte und dem gesamten Schicksal der Menschheit steht: Das Geheimnis der einzigartigen Person des Wortes Gottes, das in der göttlichen und in der menschlichen Natur Jesu lebendig ist. Dies ist unser oberster Glaubenssatz, und wir bekennen ihn in der heiligen Messe an jedem Sonn- und Feiertag, wenn wir das Credo beten. Das ist die Grundlage unseres christlichen Glaubens und unserer Erlösung. Denken wir alle daran, dass wir mit ausdrücklicher Zustimmung und unerschöpflicher Freude das Bekenntnis des Petrus hier, an seinem Grab, abgelegt haben in der Gewissheit, dass auf diesem apostolischen Felsen (Mt 16, 18) oder vielmehr auf dem Eckstein, der Christus selber ist (1 Petr 2,6; Mt 21,42), das Gebäude begründet ist, das er errichtet, indem er aus uns lebendige Steine macht (1 Petr 2,5). In der Gewissheit auch, dass es nicht zum Einsturz gebracht werden kann (Mt 16, 18) weder durch die vorübereilende Zeit noch durch den Tod, der alles zu zerstören scheint. Dies ist seine heilige und unsterbliche Kirche, der anzugehören wir das Glück haben und von der wir Christus selbst empfangen als das Brot des ewigen Lebens (Joh 6, 51). Hier erscheint der Glaube in seiner höchsten Bedeutung und Notwendigkeit, in seiner Herkunft als wirksames Geschenk Gottes und als demütige und ehrliche Öffnung unserer selbst für sein Wort (vgl. Joh 1, 12; 3,21 f). Und mit einem Akt des Glaubens, das heißt der Annahme der göttlichen Wahrheit, die unser Erkenntnis- und Prüfungsvermögen weit übersteigt, grüßen wir Jesus Christus noch einmal mit den Worten des Simon Petrus: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du allein hast Worte des ewigen Lebens. Und wir haben geglaubt und erkannt, dass Du der Christus, der Sohn Gottes bist" (Joh 6,69); (27. Aug. 1975, S. 110-113).

Das Geheimnis der Himmelfahrt! Ja, es ist wahrhaftig ein Geheimnis! Geheimnis dadurch, dass es sich auf Christus bezieht. Geheimnis durch die Art und Weise, mit der es uns weiterhin gegeben ist, an seine göttliche und menschliche Gestalt zu denken und sie gegenwärtig zu haben ... Ja, es ist wirklich ein Geheimnis, sowohl im ontologischen wie im theologischen Sinn, den dieses letzte, abschließende Ereignis des Erdenlebens Jesu im göttlichen Heilsplan der Menschwerdung und Erlösung hat. - Erinnern wir uns an die kurze aber erstaunliche Erzählung dieses Ereignisses, wie sie uns der heilige Lukas bietet: Nachdem Jesus sich von den Aposteln verabschiedet, ihnen die Sendung des Heiligen Geistes verheißen und ihnen die Ausbreitung des Evangeliums unter den Völkern aufgetragen hatte, „wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken" (Apg 1, 8 bis 9) ... Bis zu seiner Parusie, also bis zu seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten in einer Welt, die von unserer gegenwärtigen völlig verschieden ist, werden wir ihn nicht mehr sehen! - Bis dahin bleibt Jesus unsichtbar, wohlgemerkt unsichtbar, nicht abwesend.

Vor allem ist dieser eschatologische, das heißt letzter und endgültiger Abschied Jesu von seinem Erdenleben bereits an sich eine Bestätigung seiner Göttlichkeit und verbürgt einen Heilsplan für die gesamte Geschichte der Menschheit (8. Mai 1975, S. 273-274).

„Wer mich sieht, sieht den Vater", ermahnt Jesus seinen Jünger Philippus, als dieser es gewagt hatte, von Jesus zu fordern: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns" (Joh 14, 8-9J. Jesus selbst lässt uns in seiner eigenen Person seine zweifache Natur gewahr werden: die göttliche in ihrer grenzenlosen Vollkommenheit, und die menschliche in ihrer vielfachen Demütigung ... (10. Nov. 1976, S. 133).

Wer ist Jesus Christus? ... Hören wir die Stimme eines Außenstehenden, ... Dieser Jesus ... „Ist nichts anderes als >der kleine Jude<“, sagt Nietzsche, und mit ihm viele unter den weisesten, berühmtesten und mächtigsten Männern auf Erden ... „Er ist arm, bloß, wird verachtet, lässt sich beschimpfen und bespeien, ist ein Wurm und kein Mensch ... Wenn sie ihm jedoch etwas aufmerksamer ins Antlitz blicken, werden sie wahnsinnig vor Angst ihm vor die Füße fallen wie einst der Besessene von Gadara: Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!« (Merezkovskij, Der unbekannte Jesus). Wer ist Jesus Christus? Nun, so wollen wir es als treue Schüler der Kirche und in bleibender Erinnerung an unseren Katechismus, an unsere Theologie, mit einem Titel, der alles in einem einzigen Wort ausdrückt und über seinem Haupte geschrieben steht, sagen. Er ist, was ihm der Engel, als er der Welt seine Ankunft verkündete, mit der Sprache der Bibel als angestammtes Recht zuerkannte: „Du sollst ihm den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben« (Lk 1, 31-33). Er ist der, zu dem ihn eines Tages nach dem aufsehenerregenden Wunder der Brotvermehrung das überschwängliche, begeisterte Volk machen wollte: nämlich König in messianischer, zeitlicher und prophetischer Bedeutung, ein Königtum, dem er sich verweigerte, indem er sich vom Volk zurückzog (vgl. Joh 6,15). Er ist, was ihm von der öffentlichen Meinung als ein Anklagepunkt angelastet wurde, und was er vor Pilatus nur mit Mühe in seine Jenseitigkeit zu rücken vermochte: „Bist du der König der Juden?« fragte Pilatus unter dem Drängen der Anklage des wütenden Volkes. Worauf Jesus antwortete: „Meine Königsherrschaft ist nicht von dieser Welt.“ Da drängte der Statthalter: „Also bist du doch ein König?« . Und Jesus erwiderte: „Du sagst es, ich bin ein König.“ Diese Behauptung brachte Jesus nach der Geißelung und unter grausamem Spott der Soldaten die Dornenkrone ein (vgl. Joh 19, 2) und dann auf dem Kreuz die von Pilatus selbst befohlene Inschrift: „Jesus von Nazaret, der König der Juden... und zwar in hebräisch, lateinisch und griechisch" (Joh 19, 20). Als König und weil er König war, wurde Christus gekreuzigt. Als König wurde der auferstandene Christus dann verherrlicht, und so wird es in Ewigkeit bleiben: „Er ist bekleidet mit einem blutgetränkten Gewand, und sein Name heißt >Das Wort Gottes<, so enthüllt es uns die Offenbarung des Johannes (Off 19/ 13). „Auf seinem Gewand und an der Hüfte trägt er als Namen geschrieben: >König der Könige und Herr der Herren<" (Offb 19, 16). Ja, Christus ist König. Uns sagt dieser höchste Titel heute vielleicht weniger. Wir müssen versuchen, den biblischen und aktuellen Sinn zu unterscheiden. Dazu sollten wir wieder jenes päpstliche Dokument lesen und durcharbeiten, mit dem sich Pius XI. zum Schluss des Heiligen Jahres 1925 an die Kirche wandte, um das Christkönigsfest einzuführen, nämlich die Enzyklika Quas primas (Acta Apost. Sedis, Bd XVII, 1925, 503 ff). Das Königtum Christi fasst in liturgischer und geistlicher Hinsicht den Kreis unseres Kirchenjahres zusammen und bietet uns für unser religiöses Leben ein Thema großartiger, unbegrenzter Meditationen. Unsere Christologie wird auf diese Weise christozentrisch. Sie ist Schlüssel zur Erfassung des Evangeliums, wenn das Evangelium tatsächlich Verkündigung und Beginn des Gottesreiches in dieser Zeit, in der Menschheit und im Leben der Kirche ist. Die Königswürde ist das Gewand, mit dessen Hilfe wir in die unsagbare Tiefe des Geheimnisses Christi eindringen (Offb 1, 12 ff), in seine weltweite Ausdehnung (vgl. den glänzenden Abschnitt bei Paulus an die Kolosser (Kol 1, 15-23) und seine theologische Formulierung (vgl. „Tomus" von Papst Leo I. (Denz.-Schön. 290 ff) L. Boyer, Le Fils éternel, Reflexions, 469 ff). Die feierliche Verherrlichung der Königswürde Jesu Christi wird uns Ursache und Antrieb sein, ihm in seiner Menschlichkeit näher zu kommen. Wir werden seine Majestät und Macht entdecken, aber ebenso seine Strahlkraft, die den Geist ausgießt und jedes Menschenschicksal an sich bindet.

Wir werden in ihm dem Haupt, dem Lehrer, dem Hirten, dem Erlöser, dem fleischgewordenen Wort, dem Lamm Gottes, dem Priester und Opfer von unendlicher Güte begegnen.

Diese strahlende Gestalt des Christkönigs, die, soweit wir begreifen, seine eschatologische und himmlische Erscheinung vorwegnimmt, entfremdet ihn uns keineswegs, denn der Spiegel, in dem wir seine lebendige Gestalt schauen können, ist der Glaube. Diesen Glauben kann ein jeder von uns wie seinen Augenstern hüten, dort, wo - wie uns der heilige Paulus versichert und unsere eigene religiöse Erfahrung bestätigt - er, Christus, »in uns wohnt« (Eph 3, 17); * (24. Nov. 1976, S. 137-139).

2. Zur Tradition

Vorbemerkung

Hier geht es hauptsächlich um die Frage bzw. Infragestellungen der Tradition in der Kirche. Muss man in Wahrheit sagen, die Vergangenheit der Kirche bedeutet heute lediglich einen Hemmschuh für uns, oder ist dies nur ein oberflächliches Urteil?

Muss an Stelle der Traditionsgebundenheit reine Zukunftsorientierung der Kirche treten?

Muss die jugendkonforme Aversion für alles Frühere zum Prinzip einer modernen Verkündigung werden, um bei der Jugend anzukommen?

Ist es bloße Undankbarkeit oder aktuelle Notwendigkeit, sich von dem Überkommenen in der Kirche zu distanzieren?

Ist die sogenannte dekadente Kunst und Moral ein Rückschritt oder bringt sie am Ende eben doch einen Fortschritt?

Geht es in der Tradition wirklich um ewige Werte?

Wie steht es um die Geschichtlichkeit der Traditionswurzeln?

Was ist das Verhältnis von Heiliger Schrift und mündlicher Überlieferung in der Urkirche?

Gibt es eine Eindeutigkeit der katholischen Glaubenslehre, bleibt sie sich durch alle Zeiten gleich oder ist ihre wesentliche Ausprägung und ursprüngliche Bedeutung doch einem Wandel unterworfen?

Hat es einen Sinn, heute noch auf Thomas von Aquin zurückzugreifen?

Haben wir nicht doch von der protestantischen Position sola fides, sola scriptura zu lernen? Was ist das grundsätzliche Verhältnis von Tradition und Heiliger Schrift?

Ist die Kirche mit ihrer langen Vergangenheit nicht alt geworden, ein Anachronismus, dem Tode geweiht?

Ist ihre Lebensform nicht überholt, ein radikaler Umsturz nötig, der alle ihre alten Dogmen und Strukturen hinwegfegt und durch Gleimförmigkeit mit der heutigen Zeit ihre Daseinsberechtigung erweist?

Tradition, ist sie eine Lebensquelle, oder nur ein übertünchtes Grab für die Kirche?

Ist es überhaupt möglich, die Kirche mit rein irdischen Maßstäben zu messen?

Kann die Kirche sich auf die Tradition als Garant einer ewigen Jugend verlassen, oder ist die Kirche gewissermaßen vom Punkt Null ausgehend neu zu bauen? Kann angesichts der raschen Entwicklung fast aller Dinge heute noch an der Unveränderlichkeit von Dogmen und Moralprinzipien festgehalten werden? Ist es bloßer Revolutionsgeist, die Arbeit früherer Generationen beiseite zu schieben, oder ist es durch das notwendige aggiornamento sogar gefordert?

Kann angesichts des Pluralismus und Relativismus an der Unveränderlichkeit des Glaubens und überhaupt an dem Begriff einer unveränderlichen Wahrheit noch festgehalten werden?

Und schließlich, wie steht es um die Autorität in der Kirche? Muss nicht in unserem demokratischen Zeitalter die Autorität auch in der Kirche von der großen Basis ausgehen?

Auf alle diese wichtigen Fragen geht der Heilige Vater in den folgenden Ausführungen ein.

Die Worte Papst Paul VI.

Das Ohr des modernen Menschen hört zunächst mit einem gewissen missfallenden Ausdruck Tradition, der zur Annahme einer Erbschaft aus früherer Zeit verpflichtet. Dem oberflächlichen Urteil vieler unserer Zeitgenossen nach ist die Vergangenheit ein Hemmschuh, sie möchten ungehindert auf neuen Wegen in die Zukunft eilen, ohne an eine als wertlos, veraltet und überholt betrachtete Tradition gebunden zu sein.

Diese klare Ausrichtung des menschlichen Geistes auf das Neue, auf die Zukunft hin, durchdringt nicht nur das philosophische und religiöse Denken, mit dem wir uns hier beschäftigen, sondern die ganze moderne Mentalität. Diese Mentalität wird leicht unduldsam, manchmal sogar unruhig, zornig und revolutionär, sobald sie irgendwie mit der Vergangenheit in Berührung kommt. Eine solche Reaktion ist bei einem Großteil der Jugend instinktiv; die Jugend gewinnt erst Selbstbewusstsein und erträgt nur unwillig das, was ihr aus der Vergangenheit angeboten und als verpflichtend vorgelegt wird. Ihr Unwille äußert sich oft in Undankbarkeit und Ablehnung; der Klugheit und Erfahrung früherer Generationen zieht sie das Abenteuer einer noch verborgenen Zukunft vor. In der heutigen Zeit macht sich überhaupt das Neue, das heißt der Fortschritt mit so großartigen Eroberungen und Versprechungen auf allen Gebieten des Wissens und Handeins breit, dass er für die psychologische Einstellung der Jugend immer Sieger bleibt. Das gilt auch dort, wo er - wie das z. B. bei einer gewissen dekadenten Kunst und Moral der Fall ist - diesen Namen nicht mehr verdient, sondern ganz offensichtlicher Rückschritt ist. Er ist etwas Neues und das genügt, er ist der Weg in die kommende Zeit oder zumindest die Form, die Mode für die heutige Zeit. Und Mode ist Königin! Zudem begünstigt die heute übliche pragmatische und auf Wirklichkeit gerichtete Denkweise diese Haltung zum Schaden anderer Werte, die diesem unruhigen und fortgesetzten Umwandlungsprozess Widerstand zu leisten scheinen. Die Geschichte, Mutter der Vergangenheit und der Zukunft, bewahrt diese als ewige Werte in ihrem Besitz, nicht etwa weil sie sie selbst geschaffen hätte, sondern weil sie aus ihrem Wirken hervorgegangen sind. Dieser Prozess hat im übrigen seine Berechtigung und seine Vorteile: Die Zeit ist es, die geheimnisvolle Zeit, die ihn vorantreibt. Und dabei lehrt sie uns gerade durch diese unerbittliche Dynamik, dass den Dingen Unzulänglichkeit innewohnt; sie prägt ihnen dadurch ihre grundsätzliche Bezeichnung „Geschöpf" auf. Das wiederum treibt den denkenden Geist zu der ewigen Frage: Wo ist dann der Schöpfer? Das ist Metaphysik, hier ist der Zugang zur Religion... Wir wollen von einer rein rational und natürlich aufgefassten Religion weitergehen zu unserer Religion. Sie wird uns vom Glauben dargeboten, und dessen objektiver Inhalt wird uns aus einer genau beschriebenen Geschichte überliefert, die in der Zeit, oder besser in der Vergangenheit unter genauer Orts- und Zeitangabe ihren Platz hat (vgl. Lk 2, 1; 3, 1 ff). Wir kennen das Evangelium. Es ist eingemeißelt in den Ablauf der Geschichte. Und wir kennen die Autorität, die es dort eingemeißelt hat: Jesus Christus. Er ist der Angelpunkt für all die Zeit vor ihm, die wir nun als Altes Testament bezeichnen, und er ist der Angelpunkt für all die Zeit nach ihm, das Neue Testament bis in unsere Zeit hinein, und sie reicht bis zu seiner letzten Wiederkehr, „bis er wiederkommt" (Mt 10, 23). Nur aus diesem Verständnis des Laufs der Zeit erhält die Geschichte einen Sinn; eine innere Logik, eine Möglichkeit, sie in ihrem inneren Zusammenhang zu verstehen... So kommt es, dass wir Gläubige den Blick unverrückbar auf die Vergangenheit geheftet haben, auf eine ganz bestimmte, historische, unauslöschliche Vergangenheit. „Daher ist die christliche Heilsordnung", sagt das Konzil (Dei verbum Nr. 4) „nämlich der neue und endgültige Bund, unüberholbar, und es ist keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten vor der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus (Vgl. 1 Tim 6, 14; Tit 2, 13). Wir sind glücklicherweise von einer Tradition getragen.

Hier müssen wir nun erklären, was wir unter Tradition in diesem religiösen Sinn verstehen. Da ist einmal jene Überlieferung, die zusammen mit der Heiligen Schrift die göttliche Offenbarung wesentlich ausmacht. Daneben verstehen wir unter Überlieferung die unverfälschte und verpflichtende Weitergabe der Offenbarung durch das Lehramt der Kirche, das dabei vom Heiligen Geist geleitet wird. Doch glauben wir, dass diese Begriffe allgemein bekannt sind und man sie deshalb auch genügend von jenen, „Traditionen" unterscheidet, die man besser Gewohnheiten, Gebräuche, Stile, in jedem Fall veränderliche und vergängliche Formen menschlichen Zusammenlebens nennen sollte, denn ihnen fehlt das Charisma einer Wahrheit, die sie unveränderlich und verpflichtend macht...

Das Neue, das wir suchen und fördern möchten, besteht oft in dem Bemühen, zu den Ursprüngen zurückzukehren und aus den alten, echten Quellen der Überlieferung Kraft und Anregung für eine lebensvolle Zukunft zu schöpfen... Die wahre Tradition ist eine Wurzel, keine Fessel, sie ist ein unersetzliches Erbe, ist Nahrung, Reichtum, Lebenskraft. Welches nun freilich genau der Schatz ist, aus dem der weise Christ Altes und Neues hervorholt, wie der Herr gesagt hat (vgl. Mt 13,52), ist nicht leicht in wenigen Worten zu beschreiben. Hier haben wir eine besondere Hilfe nötig, nämlich das kirchliche Lehramt, dem vor allem in den entscheidenden Aussagen der Beistand des „Geistes der Wahrheit“ (Joh 14, 17 j 16, 13) verheißen ist. Es hat den Auftrag, die Glaubenslehre zu verkünden, zu hüten und auszulegen und ihre Anwendung im täglichen Leben genauer aufzuzeigen (vgl. DS 1501, 3006) Konst. Dei Verbum Nr. 8-10).

Dabei muss es bekanntlich gegen zwei Abweichungen ankämpfen: einmal engen manche den Bereich des Glaubens ausschließlich auf die Heilige Schrift ein, obwohl feststeht, dass die Heilige Schrift selber aus der mündlichen Verkündigung entstanden ist, also aus der Überlieferung der Urkirche.

Andere erheben den Anspruch, dem christlichen Glauben ihre eigene oder die ursprüngliche oder eine willkürliche Deutung geben zu können, ihn frei prüfen zu dürfen, und zwar ohne Rücksicht auf das Lehramt dessen, der die Verpflichtung hat, „das anvertraute Gut zu bewahren« (1 Tim 6, 20), und - wie der heilige Paulus mahnt - sich fernzuhalten von dem leeren Geschwätz und den falschen Lehren der sogenannten Erkenntnis (ebd. 1 Tim 1,6). Damit ist nicht gesagt, die Wahrheiten des Glaubens dürften und müssten nicht studiert, untersucht, vertieft und dann auch formuliert werden, wie es bestimmten Kulturräumen und Geistesrichtungen entspricht. Die Glaubenslehre des Glaubens kennt sehr wohl eine gedanklich zusammenhängende Entwicklung, ja, sie geht sogar gern auf die Forderungen des Denkens und auf die Pflicht zur Kontemplation ein; der heilige Paulus selber ermuntert ja dazu, „in der Erkenntnis Gottes zu wachsen« (vgl. Eph 1, 17; Kol 1, 10). Aber die katholische Glaubenslehre bleibt eindeutig. Sie hält treu an ihrer wesentlichen, ursprünglichen Bedeutung fest, bleibt sich selber gleich, so wie Christus sie verkündet hat und wie die Kirche sie unter der Führung des Heiligen Geistes zum Heil der Menschen heute noch darbietet, verteidigt und wachsen lässt. Denn die Wirklichkeit, um die es hier geht, ist göttlich und unaussprechlich, der Blick findet keine Grenze. Altes und Neues! Vergesst es nicht (7. Aug. 1974, S. 106-110).

Katholisches Denken ist optimistisch. Es ist sich durch die Gnade Gottes der Echtheit seiner hervorragenden Ergebnisse sicher. Das Gedenken an den 700. Todestag des heiligen Thomas von Aquin, den wir kürzlich begangen haben, hat uns seine zeitlos gültige Gewissheit erneut vor Augen geführt. Wir müssen zur Schule des heiligen Thomas wie auch der anderer Weiser, seiner und unserer Zeit zurückkehren, um die Kunst menschlichen Denkens und das Vertrauen zu ihm wiederzugewinnen.

Noch zwei Gedanken, die vom Zeitgeschehen her mit der Echtheit unseres religiösen Denkens in Zusammenhang stehen. Man hat vom Glauben als der einzigen religiösen Grundlage unserer religiösen Gewissheit gesprochen. Sola fides, der Glaube allein, lehrte schon immer die protestantische Überlieferung. Und für den Glauben gilt wiederum: sola scriptura, die Schrift allein, womit mündliche Überlieferung und kirchliches Lehramt abgelehnt werden. Erinnern wir uns statt dessen, um sogleich zu der Lösung zu gelangen, um die es uns hier geht, an die Worte des letzten Konzils: „Die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche sind gemäß dem weisen Ratschluss Gottes so miteinander verknüpft und einander zugestellt, dass keines ohne die anderen besteht und dass alle zusammen, jedes auf seine Art, durch das Tun des einen Heiligen Geistes wirksam dem Heil der Seelen dienen“ (Die Verbum Nr. 10).

Wachen wir also voll Eifer über diese Echtheit unserer Lehre, die Grundlage unseres Denkens und Lebens sein muss. Und glauben wir nicht, dass diese Echtheit die Forschung, also die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Vertiefung der religiösen Wahrheit, lahm legt. Sie ist vielmehr Rückhalt und Ansporn unserer Liebe zur göttlichen Weisheit, von der der heilige Augustinus sagt: „die Liebe müht sich, die Liebe sucht, die Liebe klopft an, die Liebe offenbart“ (De mor. Eccl. Cath. I, 17, 31; PI 32, 1324) (10. Nov. 1974, S. 167-168).

Sie wissen, dass die Heilige Schrift, vor allem das Neue Testament, in der Herzmitte der Gemeinschaft des Gottesvolkes entstanden ist, anders gesagt: in der um die Apostel versammelten Kirche. Diese, herangebildet in der Schule Jesu und Zeugen seiner Auferstehung, haben seine Taten und Lehren überliefert und die Heilsbedeutung der Ereignisse, deren Zeugen sie waren, dargetan. Wenn man also mit Recht sagen kann, dass Gottes Wort die Kirche berufen und gezeugt hat, so gilt ebenso, dass die Kirche in gewisser Weise der Mutterboden der Heiligen Schrift ist; denn die Kirche hat in ihnen für alle kommenden Geschlechter zugleich ihren Glauben, ihre Hoffnung, ihre Lebensregel sowohl ausgedrückt wie erkannt. Die Arbeiten der letzten Jahrzehnte haben außerordentlich dazu beigetragen, die enge Beziehung und die unlösbare Bindung zwischen Schrift und Kirche deutlicher zu machen. Sie haben deren Wesensstruktur ins Licht gerückt, den „Sitz im Leben", das Gebet, die brennende Liebe zum Herrn, die Verbundenheit mit den Aposteln, die Schwierigkeiten mit der Umwelt, die mündliche und schriftliche Überlieferung, den missionarischen und katechetischen Eifer, sowie die ersten Entwicklungen in den verschiedenen religiösen und kulturellen Sphären. Es scheint sogar, dass in der heutigen Exegese die Besinnung auf die tiefen Entsprechungen zwischen Schrift und Kirche vorherrschend und bestimmend ist. Gleiches mag gelten von den heutigen Bemühungen eine "diachronische" Lektüre - das heißt eine solche, welche die Textgeschichte berücksichtigt - mit einer „synchronischen" Betrachtungsweise zu verbinden - das heißt mit einer solchen, die dem ganzen literarischen und existenziellen Gefüge des Textes seinen Stellenwert... anweist. Diese Forschungen führen deutlich hinein in das Leben der Kirche. Selbst jene Untersuchungen über die "Pluralität der Theologien" oder besser: über die verschiedenen einander ergänzenden Gesichtspunkte, unter denen bestimmte Grundthemen des Neuen Testamentes etwa das Heil, die Kirche, das Geheimnis der Person Christi selbst dargestellt und beleuchtet werden - ähneln nicht auch sie dem Chorgesang einer Gemeinde, die mit vielen Stimmen ihren Glauben an das eine Heilsgeheimnis bekennt. Die Rolle der Hermeneutik schließlich, die in Ergänzung zur historisch-literarischen Exegese im letzten Jahrzehnt mehr und mehr führend geworden ist - fordert nicht auch sie vom Exegeten über die Suche nach dem „reinen Urtext“ hinauszugehen und sich daran zu erinnern, dass es ja die Kirche als lebendige Gemeinde ist, welche die Botschaft des Textes für die Menschen der jeweiligen Gegenwart „aktualisiert“? Wir meinen in diesen Richtungen der heutigen Exegese die Grundüberzeugungen der christlichen Tradition wiederzuerkennen, wie sie von dem Apostel Paulus bis hin zur Lehre unseres großen Vorgängers Pius XII. durch Patristik und Mittelalter hindurch ihren feierlichen Ausdruck gefunden hat in dem großartigen Text des Zweiten Vatikanums: „Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden einen der Kirche überlassenen Schatz des Wortes Gottes. Voller Anhänglichkeit an ihn verharrt das ganze heilige Volk, mit seinen Hirten vereint, ständig in der Lehre und Gemeinschaft der Apostel, bei Brotbrechen und Gebet, so dass im Festhalten am überlieferten Glauben, in seiner Verwirklichung und seinem Bekenntnis ein einzigartiger Einklang herrscht zwischen Vorstehern und Gläubigen« (Dei Verbum Nr. 10); (14. März 1974, S. 232.-233).

Wir erlauben uns, Ihnen in einer kurzen Zusammenfassung einige aktuelle Aspekte dieser unserer heiligen katholischen und apostolischen Kirche vorzutragen. Der erste Aspekt ist der der Geschichte der Kirche. Viele und ernste Überlegungen drängen sich uns auf. Die erste hat die Gestalt einer allgemein üblichen und oberflächlichen Frage: Ist die Kirche alt geworden? Hat die Zeit vielleicht ihrem Antlitz „irgendeinen Flecken, irgend eine Falte oder etwas dieser Art“ eingegraben? Der Apostel Paulus spielt darauf an, wenn er von der Kirche spricht, die als Braut Christi für ihn immer in jugendlicher Schönheit, „heilig und makellos“ erscheinen sollte (vgl. Eph 5, 25-27). Die Beziehung einer jeden menschlichen Einrichtung zur Zeit ist eine vom Schicksal geprägte Beziehung. Es ist eine Beziehung des Lebens und des Todes, wobei das Leben begrenzt ist in seiner Wirksamkeit und in seiner Dauer, der Tod aber unheilvoll und unausweichlich. Sollte dieses Schicksal auch der Kirche bestimmt sein? Und wenn sie doch noch immer überlebt, ist ihr Fortbestehen dann nicht ein Anachronismus geworden? Ist ihre Lebensform nicht überholt? Und um ihr neue Wirksamkeit zu geben, wäre dann heute nicht die Stunde da für einen radikalen Umsturz, der ihre Dogmen und Strukturen hinwegfegt? Muss nicht auch sie ihre Daseinsberechtigung aus der Gleichförmigkeit mit den Lebensgewohnheiten der Zeit ableiten? Wie kann die moderne Welt Weisheit und Lebenskraft schöpfen aus einem Organismus, der ständig von einer anspruchsvollen Tradition gehemmt wird? Tradition - da haben wir das Schlüsselwort. Während man mit seiner Hilfe versucht, die Kirche in ihr Grab einzuschließen, öffnet es dagegen für uns, wenn es recht verstanden wird, das Geheimnis ihrer geheimnisvollen Lebendigkeit. Wenn auch die Kirche hineingestellt ist in die Geschichte, so ist sie doch nicht eine x-beliebige menschliche Einrichtung; ihr Leben kann nicht mit dem Maßstab gemessen werden, der für die rein irdischen Dinge geeignet und angemessen ist. Die Tradition hat für die Kirche die Bedeutung einer lebendigen und tiefreichenden Wurzel, die hinabreicht bis zum Urquell ihrer geschichtlichen und göttlichen Stiftung, bis zum authentischen Gut ihrer übernatürlichen Lehre, und die dieses Gut exakt, lebensspendend und fruchtbar weiterleitet an die nachkommenden Generationen für einen stets neu anbrechenden Frühling. Die Tradition ist der Garant für die Treue der Kirche, für ihre nicht alternde Geschichte, für ihre ewige Jugend, die genährt wird vom beständigen Rückgriff auf die eigenen Ursprünge und die unerschüttert, in Kampf und in Leiden, durch die Jahrhunderte fortdauert in der Erwartung der Endzeit, die alles glücklich löst. Dies lehrt uns - neben vielen anderen - eine besondere Seite des jüngsten Konzils, die von der Erneuerung des religiösen Lebens handelt. Dieses entspringt aus dem ursprünglichen Geist, passt sich in kluger Weise den Bedingungen und Notwendigkeiten der Zeiten an und packt voll höheren Vertrauens und voll unerschöpflicher Ausdauer die Zukunft an (vgl. Perfectae caritatis Nr. 2). Möge die ganze heilige Kirche sich in diesem Sinne ihrer selbst oder vielmehr jener letzten Verheißung Christi bewusst werden, die sich herausfordernd dem nagenden Verschleiß durch die Zeit entgegenstellt: „Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt« (Mt 28, 20); (23. Dez. 1974, S. 417-418).

Es gilt festzuhalten, dass es sich für uns nicht so sehr darum handelt, die Kirche neu zu erbauen, als vielmehr sie wiederherzustellen - es sei denn, wir befinden uns auf dem Felde der Mission - ... Wir aber in den Ländern alter christlicher Prägung müssen uns klar vor Augen halten, dass beim Aufbau der Kirche ein Faktor unerlässlich ist, nämlich die Tradition, die in Jahrhunderten vollbrachte Arbeit derer, die vor uns an der Kirche gebaut haben. Wir sind Erben, wir führen ein in der Vergangenheit begonnenes Werk weiter. Wir müssen Geschichtsbewusstsein haben und in uns die Haltung einer Treue ausformen, die demütig ist und glücklich über alles, was uns vergangene Jahrhunderte an Lebendigem und Echtem beim Aufbau des mystischen Leibes Christi hinterlassen haben. Wir müssen uns hüten vor der Gewissenlosigkeit des Revolutionsgeistes, wie er für so viele Menschen unserer Zeit bezeichnend ist, diese Gewissenlosigkeit möchte die Arbeit früherer Generationen beiseite schieben und glaubt, das Heil der Menschen dadurch einleiten zu können, dass sie alles zurückweist, was uns die von einem Lehramt mit Sinn für Kontinuität und Ursprünglichkeit bestätigte Erfahrung bewahrt hat, und das Unternehmen einer neuen Zivilisation beim Punkte Null beginnen lässt. Wir wollen klug bewahren und überlegt weiterführen und brauchen keine Angst zu haben, dass diese doppelte Einstellung, richtig verstanden, unserem Wirken in dieser Zeit seine Lebendigkeit und seine Originalität nimmt... Einen weiteren, wohl den wichtigsten Faktor, müssen wir noch bedenken, wenn wir uns vornehmen, die Kirche zu erbauen: Das Fundament auf dem dieses Gebäude ruht und sich erheben muss. Dieses Fundament ist der Glaube, der Glaube an Jesus Christus, „Ihr seid Gottes Bau", schreibt wiederum der heilige Paulus: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt: ein anderer baut darauf weiter. Jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist: Jesus Christus" (11 Kor 3, 9 bis 11). Dies schrieb der Apostel an die Korinther. Die Römer lehrte er dann - und eröffnete damit der christlichen Theologie den Weg: „Wie in der Schrift steht: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben“ (Röm 1, 17; vgl. 3, 22). Er wird leben, indem er den Glauben zum Prinzip des Heils, der Rechtfertigung macht; objektives Prinzip als Geschenk Gottes; subjektives Prinzip als Annahme dieses Glaubensgeschenkes subjektiven Charakters (vgl. Conc. Trid. Sess VI, 7; Denz.-Sch. 1528 f). Der Glaube, erinnern wir uns, ist das Fundament, der Glaube des Petrus, der auf göttliche Eingebung hin Jesus antwortete: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16, 16); (14. Juli 1976, S. 77-78).

Noch einen Punkt sollten wir bedenken: das Glück der Gewissheit, die der Glaube dem Menschen schenkt, der ihn in weiser Demut annimmt (Gen. Aud. vom 16. Mai 1977, ORD, S. 12.).

Wir wollen wahre, echte Nachfolger des Herrn sein, der vom Himmel herabgekommen ist, um uns zu suchen: der Glaube ist Gewissheit (Angelus Domini am 6. Jan. 1977, ORD vom 14. Jan. 1977, S. 16).

Wie ein großer Baum, der seine Wurzeln tief in die ihn seit Jahrhunderten nährende Erde getrieben hat, so hat auch die Kirche ihre Wurzeln in die Vergangenheit hinabgesenkt, um bis zu Christus und den Aposteln vorzudringen. In diesem Sinn ist die Unveränderlichkeit des Glaubensgutes - es wäre unsinnig das zu bestreiten - über jeden Zweifel erhaben, und die Kirche hütet dieses Gut, wenn sie Dogmen, Sittengesetz und auch die Liturgie nach dem lichtvollen Grundsatz „das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens“ darlegt. Das Leben der Kirche bleibt ein und dasselbe, gediegen und fest, denn da ist „ein Leib und ein Geist... ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,4 ff). Auf dieser Linie haben wir uns bisher gehalten, auf ihr stehen wir, und auf ihr werden wir weiterhin bleiben.

Aber weil diese Unveränderlichkeit aus den Wurzeln selber aufsteigt, mit denen die Kirche ihren Lebenssaft aus der Vergangenheit saugt und die kraft der Mittlerschaft Christi bis ins Innerste Gottes selber hineinreichen, steht diese Unveränderlichkeit absolut nicht im Widerspruch zu dem Leben, das aus diesen Wurzeln aufsprudelt und aufblüht. Es gibt keinerlei Gegensatz zwischen Leben und Unveränderlichkeit; im Gegenteil: das Leben selbst sichert die wesenhafte Unveränderlichkeit eines lebenden Wesens. Die Unveränderlichkeit des Steines, der unbelebten Materie überhaupt, ist etwas ganz anderes als die Unveränderlichkeit, die die ständige Identität des lebenden Wesens mit sich durch alles physische und geistige Wachsen hindurch und im Austausch mit den gegebenen Lebensbedingungen gewährleistet. Eine Pflanze, ein organischer Leib, bleiben in ihrem Wesen dieselben, auch wenn sie wachsen. Es ist dies der alte und stets treffende Vergleich des Vinzenz von Lerin, der allen bekannt ist (Commonitorium. Primum, 23; PL 50, 667 f). Diesen Gedanken hat schon Cyprian mit eindrucksvollen Bildern anschaulich gemacht: „Die Kirche des Herrn... dehnt aus der Fülle ihrer Fruchtbarkeit ihre Zweige über die ganze Erde hin aus, und sie macht die schon breit dahinfließenden Ströme noch weiter: sie hat aber nur ein Haupt und einen Ursprung und ist eine einzige Mutter, überreich an Zeichen ihrer Fruchtbarkeit“ (De unitate Ecclesiae 5; PL 4, 518). Von den tiefreichenden Wurzeln her entfalten sich die Zweige ein und desselben Stammes, immer alt und immer neu: Genährt aus dem Lebenssaft der Vergangenheit, strecken sie sich der Zukunft entgegen, streben sie nach vorn, um die Scharen der Vögel des Himmels aufzunehmen, die dort Schatten und Ruhe suchen (vgl. Mk 4,32). Entwicklung ist wesentlich für das Leben der Kirche.

Gewiss, die Unveränderlichkeit des Glaubens wird heute von dem Relativismus bedroht, dem einige Autoren verfallen sind. Doch gegen diese Einstellung haben wir mit Entschiedenheit hervorgehoben, dass die göttliche Offenbarung einen genau bestimmten Sinn hat. Es geht um eine unveränderliche Wahrheit, die uns Christus, die Überlieferung der Apostel und die Äußerungen des Lehramtes zu glauben vorgelegt haben. Wir haben mahnend darauf aufmerksam gemacht, dass keine Auslegungsmethode - in der Absicht, die Frohbotschaft dem sich wandelnden Denken verschiedener Epochen und Kulturräume zugänglich zu machen - das Recht hat, diese Bedeutung durch andere, vermeintlich gleichartige Bedeutungen zu ersetzen, denn diese sagen statt dessen teilweise das Gegenteil aus oder verkürzen die Wahrheit in unheilvoller Weise (20. Dez. 1976, S. 385-387).

Es war der Wille Christi, dass die Einheit in der Liebe niemals von der Einheit in der Wahrheit losgelöst werde, ohne die jene einem unannehmbaren Pluralismus oder einer verderblichen Gleichgültigkeit verfallen könnte. Die „regula fidei" fordert dieses vollkommene Zusammenstehen in Treue vor dem Wort Gottes, ohne dass jemals die reine Quelle der Wahrheit getrübt wird, so wie sie in der Heiligsten Dreifaltigkeit entspringt und an die Menschen weitergegeben wurde durch Christus, Gottessohn und Menschensohn, den Eckstein, auf den sich die Kirche gründet. Ebenso wenig darf jemals die Kontinuität unterbrochen werden, mit der dieses Offenbarungsgut im Laufe der Jahrhunderte besonders in gleichbleibender Treue weitergegeben worden ist. Sie hat ja die Schätze, die darin verborgen sind, in beständiger Vertiefung freigelegt, jedoch jeweils im „selben Sinn und in gleicher Bedeutung" (Vinzenz von Lerin, Commonitorium, 23).

Wer aber ist nach der Lehre Christi selbst und nach der unveränderlichen Struktur der Kirche verantwortlich für das zu treffende Urteil über die Treue zum "depositum fidei", über die Übereinstimmung einer Lehre oder einer Verhaltensweise mit der lebendigen Tradition der Kirche? Es ist das authentische Lehramt, das vom Apostolischen Stuhl und von der Gesamtheit der Oberhirten, in Gemeinschaft mit diesem, ausgeübt wird (Konsistorium vom 27. Juni 1977, ORD vom 1. Juli 1977, S. 4).

Die Kirche bauen, das heißt, die Gesellschaft der Gläubigen der im selben Glauben Vereinten, die ein und denselben gesellschaftlichen und geistlichen Körper bilden, der beseelt ist vom Heiligen Geist, dem Christus selbst als das göttliche Haupt der Kirche vorsteht und der in dieser Welt regiert wird von einer beauftragten, sichtbaren, menschlichen und hierarchischen Autorität, die ihre Gewalt von den Aposteln herleitet, nicht von der Basis, das heißt den Gläubigen, und noch weniger aus irdischer Macht oder spontaner Eigenbestimmung: die sich also von Christus herleitet, der zu den Aposteln gesagt hat: „Nicht ihr habt mich erwählt...“ (Joh 15,16; vgl. 6,7; 15,19), und diese Absicht des Herrn, seine Jüngerschaft zu organisieren durch das Werk, das heißt durch das Amt, den Dienst einiger Auserwählter, mit besonderem Auftrag versehener Jünger, wird im ganzen Evangelium sichtbar, in der Zuteilung besonderer Rechte und Pflichten, in der Übertragung besonderer göttlicher Vollmachten und einer besonderen Sendung zur Unterweisung und Regierung des Gottesvolkes ... Wir wollen einiges kurz zitieren, z. B. „Wer euch (d. h. die Apostel) hört, der hört mich (d. h. Christus) und wer euch verachtet, der verachtet mich, wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat (d. h. Gott den himmlischen Vater)" (Lk 10,16). Und weiter: „Wahrlich ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein" (Mt 18, 18 und 16, 19) mit der berühmten Übertragung der Schlüsselgewalt an Petrus. Und der auferstandene Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern mit den feierlichen Worten: „Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Darum geht zu allen Völkern und lehrt sie..." (Mt 28, 18-19).

Klar, sehr klar ist die Leitungsgewalt der Apostel gleich nach Pfingsten, nicht nur auf prophetische und charismatische Weise, sondern auch in der pädagogischen, strengen Form von Tadel und Bestrafung. Wer erinnert sich da nicht an die abschreckende Episode mit Ananias und Saphira (Apg 5, I f)? Und wie interessant wäre es, zu studieren, wie sehr sich Paulus seiner Leitungsgewalt bewusst ist - sowohl im Sinn leidenschaftlicher, positiver und unvergleichlicher Hingabe an sein Amt (Vgl. 2 Kor 12, 15; Apg 20, 20.24.35; Gal 4, 19 usw.) als auch als Gesetzgeber (vgl. Gal 1,8; 1 Kor 16,22) oder als Inhaber von Strafrecht (1 Kor 4,21; 5, 3 ff).

Es gibt keine Kirche Christi ohne hierarchische Struktur, ohne eine eigene Organisation mit Ordnungsfunktionen (1 Kor 14,40) und Gehorsam (2 Kor 10,5). Sie wird geleitet von Amtsträgern, die ihre Gewalt von Christus und von Gott haben, nicht wie man sagt, von der Basis, auch wenn sie aus der von qualifizierten menschlichen Personen verwalteten göttlichen Ordnung abgeleitet wird. Das ist ein wesentlicher Aspekt der Kirche, der immer von denen bestritten wurde, die die Autorität in der Kirche aus anderer Quelle als von Christus und der echten apostolischen Tradition herleiten oder die Rechtstitel bekämpfen, auf die sie sich beruft. Die Spaltungen in der Kirche entstehen nicht nur aus häretischen Meinungen, sondern auch aus schismatischen Spaltungen, d. h. aus der mehr oder weniger radikalen Leugnung der Existenz rechtmäßiger, ja notwendiger Leitungsautoritäten im mystischen Leib Christi, die der Heilige Geist bestellt hat, die Kirche Gottes zu regieren (Vgl. Apg 20, 28). Wer die hierarchische Funktion der Kirche Christi leugnet und bestreitet, wer sich mit vorgeblicher eigener Autorität anmaßt, Urteile zu fällen, löst von selbst die Bande, die ihn mit der Kirche verbinden...

Eine kurzsichtige und manchmal starrköpfige Interpretation der eigenen Freiheit bei der Prüfung, Haltung und Handlungsweise gegenüber der kindlichen und solidarischen Zustimmung, die dem verantwortlichen Leiter der pilgernden Kirche geschuldet wird, trifft ihr höchstes und göttlichstes Vorrecht, das Charisma der Einheit zu besitzen und zu fördern, das Christus der Kirche verheißen hat. Gewiss muss die Autorität in der Kirche diese Autorität immer auf ihren echten Inhalt zurückführen, sie darf nie vergessen, dass es sich um eine von Christus abgeleitete Gewalt handelt (vgl. 1 Kor 4, 4. 15); (4. Aug. 1976, S. 86-88).

Bei dem Gedenken an den Tod der heiligen Apostel Petrus und Paulus tauchen viele altbekannte und wichtige Fragen von neuem auf... Was Petrus betrifft, war es glücklicherweise möglich, mit Sicherheit sein Grab hier an dieser ehrwürdigen Stätte zu lokalisieren, wo sich die ihm geweihte Basilika erhebt ... Damit ist der Aufenthalt des Apostels in der Stadt Rom unbestreitbar bewiesen. Einen weiteren Glücksfall bedeuteten die offenbar positiven Ergebnisse unermüdlicher und intensiver Forschung, die zur Identifizierung und zur Feststellung der Echtheit der so sehr verehrten Reliquien des heiligen Petrus führten – des Simon, Sohn des Johannes, des einfachen Fischers aus Galiläa, des Jüngers und Apostels, der von Jesus Christus zum Haupt seiner ersten Gefolgsleute eingesetzt wurde. Er ist das Fundament jenes Gebäudes, das wir Kirche nennen, die Christus begründete und der er seinen Schutz zusagte im geheimnisvollen Kampf mit den Mächten der Finsternis (vgl. Mt 16, 18) ... Damit wird durch neue historische und wissenschaftliche Beweise die jahrhundertealte Überzeugung von der Verehrung des Apostelfürsten hier an diesem Ort untermauert und zugleich die Bestätigung und Vorahnung seiner dramatischen aber siegreichen Mission anerkannt, den Namen Christi in Geschichte und Welt zu verkünden. Und eben auf diesen Auftrag wollen wir heute eure Aufmerksamkeit und eure Verehrung lenken. Wir können diesen Auftrag mit einem prophetischen und grundlegenden Wort Christi in Verbindung bringen, das sich in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich auf Petrus bezieht. Es ist jenes Wort aus den Abschiedsreden Jesu, das uns der heilige Lukas im ersten Kapitel der Apostelgeschichte, dem ersten Buch über die Geschichte der Kirche, überliefert. Der auferstandene Herr sagt zu seinen Jüngern: „Ihr werdet meine Zeugen sein" (Apg 1,8). Dieses Wort wird in der Gesamtordnung unserer Religion viel verwendet, insofern es sich auf deren ursprüngliche, in die Transzendenz verweisende Inhalte bezieht, als auf die Offenbarung und ihre getreue und ständige Übermittlung (29. Juni 1976, S. 294 und 295).

3. Zum heiligen Sakrament der Taufe

Vorbemerkung

Seit nicht wenigen Jahren ist die Diskussion um das Sakrament der Taufe stets heftiger geworden. Die Kindertaufe wird immer wieder als Vergewaltigung angeprangert, die Taufe nur als Aufnahmeritus in die Ortsgemeinde ausgelegt. Das übernatürliche Geschehen der Wiedergeburt zum ewigen Leben kommt dabei überhaupt nicht mehr in die Erörterung. Von Erbsünde, ja überhaupt von Auslöschung eines sündigen Daseinszustandes, von der ererbten Gottesferne ist in vielen Tauferörterungen überhaupt keine Rede. Die christliche Anthropologie, welche die Erbsünde, den aus ihr hervorgehenden Zustand der Menschen und die unheilvollen zeitlichen und ewigen Folgen desselben kennt, wird als eine Vorstellung eines überholten pessimistischen Menschenbildes angesehen.

Die Lehre von dem unauslöschlichen Prägmal, von dem sakramentalen Charakter, den die Taufe der Seele einprägen würde, wird von nicht wenigen als eine unerträgliche Peinlichkeit empfunden, über welche die theologische Erkenntnis schon längst hinweggeschritten sei.

Sowohl hinsichtlich der subjektiven Glaubensverpflichtung, wie auch des objektiven Glaubensinhaltes, welch mit der Taufverpflichtung verbunden sind, hat sich auf dem Hintergrund von Pluralismus und modischem Zeitgeist eine neue Auffassung breitgemacht. Schließlich ist auch zu reden von der Aushöhlung der Taufe im persönlichen wie im gesellschaftlichen Leben durch die reine Wissenschaftsgläubigkeit eines gewissen Typs des modernen Menschen, der sich in Selbstgefälligkeit und Selbstherrlichkeit des emanzipierten Christen einbildet, er könne alles als überwundene Mentalität ansehen, was die Kirche zu predigen nicht aufhört.

All diese verschiedenen Fragen finden eine Erörterung in den diesbezüglichen Ausführungen des Papstes. Sie gewinnen besonderes Gewicht auf dem aktuellen Hintergrund der Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der ungetauften Kinder wächst jährlich. In München wurden in den letzten Jahren, seit Abschaffung der Taufspendung in den Entbindungsstationen bis zu jährlich 30 Prozent der Neugeborenen aus katholischen Familien nicht getauft.

Wenn man dazu noch in Betracht zieht, dass vom Jahre 1982 an bereits jeder zweite Schulanfänger ein Ausländerkind ist, wovon die Mehrheit Türken, das heißt Islamiter sind, wird deutlich, dass bald nicht einmal mehr die Hälfte aller Kinder in Deutschland das größte Geschenk Gottes, die Erlösung Christi in der heiligen Taufe, erhalten werden. Diese Beobachtungen geben dem Kapitel Taufe zusätzliche Aktualität.

Die Worte Papst Paul VI.

Die Kirche ist Christi Bau, in dem jeder einzelne Mensch gewissermaßen „vergöttlicht" wird, d. h. als menschliche Person zur unaussprechlichen Teilhabe an der Fülle göttlichen Lebens erhoben und damit zugleich eingefügt wird in die Einheit des mystischen, aus vielen gebildeten Leibes (vgl. 1 Kor 12, 3) durch Beseelung mit dem Geist Christi. Das ist so wunderbar, dass uns die Worte fehlen, es in angemessener Form auszudrücken.

Woher stammt unsere Existenz? Sie hat ihren Ursprung in Gott, im Vater, in einem Schöpfergedanken, der uns metaphysisch und in der Wirklichkeit vorausliegt, der uns in Liebe bestimmt hat, „an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben" (Röm 8,29). Und dann? Nun, die erste Station ist die Taufe, die Wiedergeburt unseres Lebens, das aus der erbsündigen Nachkommenschaft Adams stammt und die Hineinnahme in den Heilsplan, in Christus, in die Kirche. Der Plan greift auf die menschliche Ebene über: Deshalb, ihr Eltern, weckt das Gewissen eurer Kinder für die Suche nach dem, was vorrangig in unserem Leben sein muss, macht sie schon früh mit dem Geheimnis bekannt, das diesem Leben Sinn gibt und es als Glück erfahren lässt...

Der Heranwachsende soll möglichst wissen, was seine Würde ist: Du bist ein Christ, weißt du, was das bedeutet? Es ist dein Glück und dein Schicksal, nie darfst du dich schämen, dass du zum Reich Christi gehörst (15. Sept. 1976, S. 105-107).

Christ - dieser Name überfällt uns, wandelt uns innerlich um: wir sind Christen. Ein umstrittener Name.. . Für die wirklich Gläubigen wurde er schon bald ein guter und herrlicher Name (vgl. Jak 2,7). Er sollte kennzeichnend für alle werden, die Christus folgen (vgl. E. Jacquier, Les Actes 351, 352). Diesen Namen haben wir bei unserer Taufe erhalten, wo wir ja Christen geworden sind... Bei der Taufe sind wir Christus begegnet: im Sakrament, entscheidend für unser Leben, darin neugestaltet... Doch was bedeutet eine solche Begegnung mit Christus? Wieder belehrt uns das Evangelium: sie bedeutet die Nachfolge Christi. Sie bedeutet einen eigenen Lebensstil. Sie bedeutet eine unaufgebbare Verpflichtung und unschätzbares Glück (vgl. E. Neuhäusler). Hier liegt der Kern des Ganzen. Hier haben wir den Zusammenhang mit unserem Leben, hier die Treue zu unserem religiösen Bekenntnis, hier das Talent, in dieser Welt zu bestehen, hier unsere sittliche Verpflichtung der Zeugenschaft, hier die Kraftquelle, übermenschliches zu vermögen, hier den innigsten Trost in aller irdischen Mühsal und schließlich die dringende Notwendigkeit unserer missionarischen und sozialen Liebe.

Christsein! ... Wir müssen der Tatsache, dass wir getauft sind und durch dieses Sakrament dem mystischen Leibe Christi, der Kirche, eingepflanzt sind, ihre volle Bedeutung wiedergeben. Insbesondere muss der Getaufte sich bewusst werden seiner Erhebung oder vielmehr seiner Wiedergeburt zur beglückenden Wirklichkeit eines Adoptivkindes Gottes, zur Würde eines Bruders Christi, zum Glück, das heißt, zur Gnade und Freude der Einwohnung des Heiligen Geistes, zur Berufung zu einem neuen Leben, das trotz des Unglücks der Erbsünde nichts Menschliches verloren hat und das alles Menschliche zur höchsten Vollkommenheit und zum Genuss der reichsten und besten Früchte befähigt (6. Febr. 1974, S. 22. u. 23).

In der Besinnung auf unsere Taufe sollten wir alle die Feier von Ostern geistig fortsetzen. In seinem Brief an die Römer hat uns der heilige Paulus mit klaren Worten auf die enge Beziehung zwischen dem Ostergeheimnis, das Christus mit seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung gefeiert hat, und auf das Sakrament unserer Taufe hingewiesen: „Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit so, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, auch wir in dieser neuen Wirklichkeit leben. Wenn wir nämlich mit der Gestalt seines Todes vereinigt worden sind, dann werden wir es auch mit der Gestalt seiner Auferstehung sein. Das wissen wir: unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der Leib der Sünde vernichtet wird und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferstanden, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn durch sein Sterben ist er der Sünde gestorben, ein für allemal, sein Leben aber lebt er für Gott. Ebenso urteilt über euch selbst: ihr seid tot für die Sünde, aber ihr lebt für Gott in Christus Jesus“ (Röm 6, 3-11). Das ist ein unerschöpflicher Quell christlicher Lehren: über das Heil, das Christus der Menschheit durch das Ostergeheimnis bringt, über die vom Christentum vertretene Anthropologie, nämlich über die Erbsünde, über das heilbringende sakramentale Geschehen, das sich ebenfalls vom Ostergeheimnis herleitet; über die Wirkungen der Taufe, wie die Reinigung von der Sünde und die Wiedereinsetzung des Getauften in die göttliche Teilnahme unseres natürlichen Lebens an dem übernatürlichen göttlichen Leben. Dies zieht Folgen nach sich ... vor allem für unsere endzeitliche Bestimmung nach dem irdischen Tod, für die Ewigkeit, aber auch jetzt für unsere lebendige Gemeinschaft mit Christus unserem Haupt, an dessen mystischem Leib der Kirche wir zu Gliedern werden, und es enthält unsererseits die Verpflichtung, mit göttlicher Hilfe oder eben mit Unterstützung der Kirche „neue Menschen" zu sein (vgl. Eph 4, 24) in der Gesinnung (Vgl. Röm 12,2), im Verhalten, im Lebensstil und besonders in der Liebe zum Nächsten (1 Joh 3, 13). Diese Lehre über unsere Taufe sollte uns vertrauter sein und die Grundlage unseres geistlichen und sittlichen Lebens bilden, welches sich mystisch und moralisch nach dem Leben Christi ausrichten sollte. Wir müssten uns gewissermaßen mit ihm kreuzigen lassen (Vgl. Röm 6, 6; Gal 2, 20), mit ihm den Tod erleiden (2 Tim 2,12), mit ihm begraben werden (Kol 2, 12), um uns mit Christus neu zu bekleiden (Gal 3, 27) und sodann mit ihm wieder zum Leben erweckt (Eph 2, 5i Kol 2,13) und als seine Miterben mit ihm zusammen verherrlicht zu werden (Röm 8, 17).

Konzentrieren wir unser Leben auf den Brennpunkt dieser für jeden Christen grundlegenden Lehre, nämlich auf den Kontakt, auf die. Vereinigung, auf die lebendige Gemeinschaft, welche die Taufe kraft des Leidens, Sterbens und Auferstehens Christi in uns wirkt. Das ist das Geheimnis der von der Liebe Gottes für unsere Rettung ersonnenen Rechtfertigung und Heiligung. Das Bewusstsein unserer Taufe muss aufs neue in uns lebendig werden (17. April 1974, S. 48 u. 49).

Wir wollen auf die doppelte Symbolik des Taufritus hinweisen, dessen Bedeutung uns den theologischen, also den wesenhaften Sinn des Sakramentes erschließt. Zunächst ist die Taufe ein Bad. Aber bedarf denn ein neugeborenes Kind, ja, überhaupt jeder Mensch der Reinigung, wenn es zum Reiche Gottes zugelassen und Christ genannt werden soll? Hier stehen wir vor der gewaltigen geschichtlichen Tatsache der Erbsünde, jener Sünde, die im eigentlichen Sinn Adam beging, die aber als unseliges Erbe auf das gesamte Menschengeschlecht überging, zwar nicht als persönliche Schuld, wohl aber als persönlicher Zustand für jeden Sohn Adams, unfähig, sich selbst von den verhängnisvollen Folgen der Sünde des ersten Menschen zu erlösen (vgl. ad Romanos, 5; Denz. Schön. 621). Dies ist ein Kernpunkt im religiösen Verständnis des Christentums und der ganzen Menschheit. Aus ihm ergibt sich sowohl die Notwendigkeit der Erlösung als auch das unermessliche Glück, das uns durch die Reinigung in der Taufe zuteil wird.

Die andere Symbolik der Taufe ist die mystische Teilhabe am Tod und an der Auferstehung des Herrn. Beim heiligen Paulus lesen wir: „Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft sind? Wenn wir nämlich mit der Gestalt seines Todes vereinigt worden sind, dann werden wir es auch mit der Gestalt seiner Auferstehung sein" (Röm 6, 3 + 5).

Eine christliche Lebensauffassung muss sich also unbedingt von der Glaubenslehre über unser Ostern tief durchdringen lassen. Dieses Ostern aber ist Christus, der sich als Opfer dargebracht hat: es wird uns im Sakrament der Wiedergeburt, nämlich in unserer Taufe, mitgeteilt. Wir sollten es niemals vergessen (Gen. Aud. v. 13. April 1977, ORD V. 22. April 1977, S. 2).

Die Taufe ist ja nicht nur rituelle, sondern sakramentale Teilnahme am Ostergeheimnis, an unserer Erlösung, die Christus durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung vollbracht und uns eben im wirkungsmächtigen Symbol der Taufe im Glauben geschenkt hat.

Die Taufe ist daher nicht bloß eine Zeremonie, ein zufälliges Ereignis, ein bloß gedächtnismäßiges Bedenken des Ostergeheimnisses. Sie ist ein Lebensprinzip, das uns übernatürlich, dauernd und tiefgehend neu macht, das menschliche Sein umgestaltet, ihm eine neue Lebensform aufprägt und ihm im Reich Christi neue Ziele setzt. Hier erhebt sich nun eine entscheidende Frage: Stellt diese wunderbare Grundlegung unserer Existenz, die wir ganz dem Wirken Gottes, seinem ebenso transzendenten wie barmherzigen Eingreifen verdanken, auch Forderungen an uns? Ist die Taufe ein rein automatischer Vorgang oder verlangt sie von dem, der sie empfängt, ein besonderes Verhalten? Ja, gewiss. Das geht so weit, dass bei getauften Kindern, die sich nicht des Geschehens bewusst sind, die Kirche selbst diese persönliche Stellungnahme leisten muss, wie sie es gewöhnlich besonders durch die Taufpaten tut. Welches sind nun diese Forderungen? ... Als Zusammenfassung nennen wir euch das Wort Katechumenat ... was soviel wie Erteilung mündlichen Unterrichtes bedeutet, der in der Urkirche bekanntlich die Zulassung zur Taufe vorausging. Das Katechumenat ist der erste Teil einer Einführung in das christliche Leben, von der man heute wieder viel spricht. Was ist nun der Schlüssel zum Eintritt in das Katechumenat? Es ist die berühmte Frage, mit der bekanntlich auch heute noch der großartige Taufritus beginn“: „Was begehrst du hier an der Schwelle der Kirche Gottes?" So fragt der taufende Priester den Täufling. Die Antwort lautet: „Im bitte um den Glauben." Nun fragt der Taufende weiter: „Was kann dir der Glaube geben?" Antwort: „Das ewige Leben." Nichts kann schlichter und zugleich bedeutender sein als dieses grundlegende Gespräch über den Glauben als Schlüssel für den Eintritt ins Christentum. Der Glaube ist die unerlässliche Vorbedingung zur Erlangung des christlichen Heiles. Es geht hier nicht so sehr um einen bereits ausgebildeten Glauben, sondern um eine Offenheit für den ganzen Glauben, der die Wahrheiten kennt, die er im menschlichen Geist aufbaut, damit sie ihn immer besser im ganzen weiteren Verlauf des Christenlebens erleuchtet. Ihr werdet dann auch verstehen, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt während des Katechumenats, also der Vorbereitung auf die Taufe, von dem Taufkandidaten bzw. seinem Vertreter oder Begleiter ein ausdrückliches, zusammenfassendes Bekenntnis zum Glauben verlangt, und zwar durch Sprechen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses ... Die Taufe umfasst eine genaue und entschlossene Verpflichtung gegenüber der Lehre. Getauft zu sein, das heißt Christ zu sein, verlangt den Glauben. Und zwar subjektiv als persönliche, endgültige und freudige Antwort auf die göttliche Liebe, die in Christus, dem Quell unseres ganz neuen Lebens, heilbringend offenbar wurde; als auch objektiv als Zustimmung zu einer in ganz bestimmten Wahrheitsbegriffen verkündeten Heilsbotschaft, die das Lehramt der Kirche als Glaubensinhalte ohne Vorbehalte und zweideutige Auslegungen hinstellt.

Ihr versteht, dass die Lehre der Kirche seit den Anfangszeiten für jeden, der sich zum echten christlichen Glauben bekennen will, eine grundlegende und feierliche Verpflichtung darstellt. Diese Treue gegenüber der Lehre der Kirche hat nichts mit einem veralteten und sturen Integralismus zu tun und lässt auch keinen Pluralismus persönlicher, schwankender Meinungen zu, die von der eigentlichen Substanz der Lehre abweichen, wie sie das Lehramt der Kirche aufgrund seiner Verantwortung und hohen Aufgabe, „das, was ihr anvertraut ist, zu bewahren" (1 Tim 6,20) festhält, verteidigt und entsprechend auch fördert und entwickelt, eingedenk der Aufforderung des Apostels: „Auf dass eure Liebe immer reicher an Einsicht und Verständnis wird“ (Phil 1,9). Sicherheit und Harmonie ist die Wahrheit des Glaubens in seinen unerschöpflichen Ausdrucksformen. Sicherheit und Harmonie ist es, was die Kirche heute besonders nötig hat. Die Kirche braucht keinen oberflächlichen und künstlichen Synkretismus, nicht kämpferische und subversive Kritik, keinen primitiven und disziplinlosen Pluralismus, sondern Menschen, die, wie der Apostel sagt: „die Wahrheit in Liebe leben" (Eph 4, 15); (24. April 1974, S. 50-52).

Unsere Taufe schließt eine sittliche Verpflichtung ein, sie fordert einen starken, neuen, erstaunlichen sittlichen Einsatz von uns. Wir wissen alle um das Widersagen und Versprechen bei unserer Taufe. Aber eine sittliche Verpflichtung? Also eine neue Pflicht, eine weitere schwere Forderung? Eine Fessel für unser Gewissen? Schranken für unsere Freiheit? Ja, so ist es. Die Taufe bedeutet eine sittliche Verpflichtung, die unsere gesamte Lebensführung erfasst. Das christliche Leben, das mit der Taufe begann, und uns als Kinder Gottes auf eine neue Seinsebene erhob, verlangt von uns, dass wir „heilig und untadelig vor Gott leben“ (Eph 1,4). Das mag uns als eine übertriebene Forderung, als sittliche Utopie, als eine allzu schwere Last erscheinen. Und doch ist es so (vgl. Lumen gentium Nr. 40). Wenn wir es mit einem Programm zur Erneuerung des christlichen Lebens wirklich ernst meinen, können wir von dieser bindenden Verpflichtung nicht absehen, welche die Echtheit und Ursprünglichkeit unseres Seins kennzeichnen muss. Wir sollten aus einer tief empfundenen Dankbarkeit gegenüber Gott leben für die Heiligkeit, die er uns als seinen Adoptivkindern bereits verliehen hat, und müssten unermüdlich nach Vollkommenheit streben. Schon der Herr hat ja gesagt: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5, 48).

In der Lehre der Apostel stoßen wir immer wieder auf diesen wichtigen Punkt (Vgl. Röm 12,2; Eph 4,13; Kol 1,28; Jak 1,4; usw.). Das ist auch die beständige Lehre der Kirche, die sich ihrer menschlichen Unzulänglichkeiten bewusst ist und sich bereitwillig an die Brust schlägt und sich ihrer Schwachheit anklagt, und doch ermuntert und bestärkt sie uns als unermüdliche Lehrmeisterin der Heiligkeit durch das Beispiel und den Beistand ihrer besten Söhne und Töchter. Diese entscheiden sich in ihrem Leben für einen solchen Weg sittlicher Vollkommenheit, dass die Kirche sie uns als Vorbilder zur Nachahmung, Verehrung und Anrufung in der Gemeinschaft der Heiligen vor Augen stellt, wenn sie in das andere Leben hinübergegangen sind, wo ihre Tugenden und Charismen in vollem Glanz erstrahlen.

Wenn wir von einer moralischen Verpflichtung sprechen, gilt es, auf einen ersten Einwand zu antworten. Man wendet ein: Ist Christus denn nicht gekommen, uns zu befreien? Wie kann dann das christliche Leben als eine neue und ernstere Verpflichtung dargestellt werden? Es bedürfte da einer langen Abhandlung (Vgl. Kard. G. Colombo, Per la liberazione deI l'uomo - zur Befreiung des Menschen, Rusconi 1972), einer sehr langen sogar, denn dieses Wort „Befreiung" ist heute zu einer verführerischen Neuentdeckung, zu einer magischen Formel geworden, die dem Menschen alle Skrupel nimmt und ihm gestattet, seinen Instinkten und Leidenschaften freien Lauf zu lassen bei seinem nur psychologischen Gewissen und in der irrigen, bisweilen verhängnisvollen Illusion, dass die Loslösung seines Verhaltens von jeder Autorität, von allen Geboten und Verboten, die Preisgabe aller Schranken und Hemmungen das beste Mittel für ein leichtes und glückliches Leben sei. Aber das stimmt nicht. Der Herr hat im Heilsplan des Neuen Testamentes den Menschen zwar von der kleinlichengstirnigen Befolgung der Vorschriften des Alten Testamentes befreit (vgl. Mt 12, 1-8; Mk 2,27), aber er hat manche der sittlichen Forderungen des alten Gesetzes vervollkommnet (vgl. Bergpredigt Mt 5,17 ff). Die Vorschriften des Naturgesetzes, also die zehn Gebote (vgl. Röm 2, 14 f), hat er beibehalten und hat in die Normenlehre vom menschlichen Leben zwei wichtige, diese Lehre ergänzende und vervollständigende Neuerungen eingeführt. Erstens hat er die sittliche Tat verinnerlicht und das sittliche Verhalten in das Herz, in das Gewissen des Menschen verwiesen (vgl. Mt 15, 11; Lk 18, 10 ff; Mk 7,6), dann hat er „das ganze Gesetz und die Propheten" (Mt 22, 40) zusammengefasst in der Liebe zu Gott und zum Nächsten, indem er die sich bis zur Selbstaufopferung hingebende Liebe zum grundlegenden und fruchtbringenden Prinzip des allgemeinen Sittengesetzes für den Menschen machte (Vgl. Joh 13, 35; 15, 13; Mt 25, 31 ff).

An all das müssen wir denken. Wie weit ab von diesem Wege ist doch die sogenannte „permissive Sittlichkeit“, die Loslösung menschlichen Verhaltens von den absoluten Normen des Guten und Bösen. Unvollkommen bleibt doch eine subjektive sittliche Norm, die sich nur vom psychologischen Bewusstsein leiten lässt, losgetrennt vom sittlichen Gewissen, das vom Gesetz Gottes bestimmt ist und vom kirchlichen Lehramt, das dies verkündet. Wie herrlich, erfreulich und stark ist dagegen ein Leben, das sich an der Pflicht orientiert und diesen Anspruch vom Licht und der Verpflichtung der Taufe herleitet (8. Mai 1974, S. 58-60).

Es gibt noch eine andere Folgerung, die sich ebenfalls aufgrund der Taufe ergibt: aus unserem lebendigen Verbundensein mit dem Ostergeheimnis leitet sich nämlich die Verpflichtung zum Einsatz für die Kirche her. Wir sollten es nicht so sehr eine Pflicht als vielmehr Glück, ein Geschenk, eine Berufung nennen (15. Mai 1974, S. 61).

Wenn, wie wir wissen, die Taufe also aus dem Menschen einen Christen macht, was wird dann an seinem Leben neu? Handelt es sich um eine reine Äußerlichkeit, wie etwa die Eintragung des Getauften in das Register der Kirche? Oder ist etwas tatsächlich, etwas existenziell Neues, übernatürliches in das innerste Leben und Wesen des Getauften eingedrungen und bestimmt jetzt sein Lebensziel? ...

Die Taufe ist das erste Sakrament, der Eintritt in das Christentum, unsere Aufnahme in den wunderbaren Heilsplan, der uns auf eine neue unfassliche Weise zu Adoptivkindern Gottes macht, ja uns in gewissem Maße Anteil an der göttlichen Natur gibt (Vgl. 2 Petr 1,4). Diese außergewöhnliche Erhebung des menschlichen Seins auf die höhere Stufe des vergöttlichten Lebens macht nicht bei der Taufe halt, sondern wächst mit den anderen Sakramenten (Vgl. Thomas v. A. S. Th. III, 73, 3 ad 3), den Charismen und christlichen Tugenden, entwickelt sich weiter und verbindet sich schließlich mit den Erfahrungen des natürlichen Lebens, dieses erfährt dadurch eine Art Metamorphose, und es entsteht eine Symbiose zwischen der gewöhnlichen weltlichen und der außergewöhnlichen, gnadenhaften Existenz, es geschieht eine Erneuerung, eben jene Erneuerung der unser Interesse gilt (16. Aplil 1975, S. 45 u. 46).

Das Sakrament der Taufe ist eine Realität und ein Geheimnis, so groß und so bedeutend, so tief, dass wir uns immer wieder ganz bewusst fragen müssen: Was ist die heilige Taufe, was bedeutet sie? Überlegen wir einmal, gibt es in eurem ganzen Leben einen wichtigeren, entscheidenderen Augenblick als diesen? Nein! Dieser Augenblick ist einzigartig und einmalig. Gibt es bei all euren Erlebnissen ein schöneres, beglückenderes Ereignis als dieses? Nein, das ist der glücklichste Moment eures ganzen Daseins. Wozu hätte uns das Hineingeborenwerden in das natürliche irdische Leben genützt (wie uns der heilige Ambrosius lehrt), wenn uns nicht das Glück beschieden wäre, in der Taufe wiedergeboren zu werden fürs übernatürliche Leben.

Man hat euch ausführlich über dieses Ereignis belehrt: Glaube, Wiedergeburt zu einem reinen und unschuldigen Leben, Kirche, neues Beten ... lässt sich das alles in einem einzigen Wort zum Ausdruck bringen? Sehr wohl! Bezeichnet dies alles mit einem zusammenfassenden, zentralen Ausdruck: Ihr seid Christen geworden! So beginnt mit der Taufe eine neue Art und Weise zu leben, eine neue Art zu denken, nämlich aus dem Glauben. Wir gewinnen eine neue Sicht von der Zeit, von den Dingen, von Schmerz und Tod, nämlich aus der Hoffnung. Und es beginnt ein neues Verhalten gegenüber den Mitmenschen: die Liebe! Aus diesem Ereignis der Taufe erwächst eine große Verpflichtung, die aber auch leicht ist und glücklich macht: die Verpflichtung, Gläubige zu sein. Das muss stets in unserem Gewissen widerhallen, das fassen wir in diesen schlichten Worten zusammen: Christ sei Christ! (29./30. März 1975, S. 238 u. 239).

Unter den vielen Schrifttexten, die uns über die Beziehung zwischen Christus und uns, zwischen seinem Leiden, seiner Auferstehung und unserer Wiedergeburt zu neuem übernatürlichen Leben belehren, wollen wir zunächst jene zwei erwähnen, die der heilige Paulus als Grundlage der neuen, also katholischen und über die Zeiten hin bleibende Religion hervorhebt: „Jesus Christus, wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben - (hier ist die Opferbedeutung des Kreuzes gemeint) - wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt - (hier unsere Erlösung) –„ (Röm 4,25). Es muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, wie eng Jesus und die Menschheit in den Ereignissen miteinander verbunden sind, die das irdische, dem unseren gleichenden Leben des Herrn betreffen: Er ist für uns gestorben und auferstanden. Wie erfüllt sich nun diese Heilsabsicht des gestorbenen und auferstandenen Christus in unserem Leben? Sie vollzieht sich in einmaliger Weise, nämlich nach dem von Gott beschlossenen Plan in zeichenhafter, sakramentaler Form, die in symbolischer Weise, aber mit geheimnisvoller Wirksamkeit in jedem von uns den Tod Christi, und damit den Tod des alten, seines lebendigen, übernatürlichen Kontakts mit Gott enterbten Menschen, wie auch die Auferstehung mit Christus - in Form der Wiedergeburt zu einem neuen, in das des auferstandenen Jesus eingegliederten Lebens widerspiegelt und uns zu Kindern des Himmlischen Vaters macht, beseelt vom geheimnisvollen Hauch des Heiligen Geistes (Vgl. F. Prat, La théol. de St. Paulj Lumière et vie, le Baptême 26 und 27, 1956) S. Th I-lI, 106; III, 66).

Eine Frage: Welche Voraussetzungen werden für solch eine Wiedergeburt verlangt, deren Tragweite doch über unser irdisches Leben hinausreichen soll? Es ist eine doppelte Voraussetzung: die Umkehr, d. h. die wahrhaft sittliche Ausrichtung des menschlichen Lebens und der Glaube. Wir müssen auch darauf achten, wie leicht unsere sogenannte christliche Gesellschaft praktisch und ideell den Wert dieses Sakramentes der Taufe aushöhlt, weil sie nicht immer den Lebensstil eines Christen von dem eines Nichtchristen unterscheidet. Das ist eine sehr ernste Sache, für den einzelnen, der damit praktisch seiner außerordentlichen Berufung absagt, als auch für eine Gesellschaft, in der typisch christliche Gewohnheiten von Verhaltensweisen aufgelöst und überdeckt werden, die bestenfalls noch von christlichen Grundsätzen markiert ist, aber nicht mehr oder nicht immer um die weitreichende Verpflichtung weiß, die sie wahrhaft menschlich und sogar übermenschlich machen würde...

Um uns einen Augenblick auf die Ebene des modernen Menschen zu stellen, der - ob getauft oder nicht getauft - nicht im Einklang mit dem Glaubensverständnis der Taufe steht, möchten wir ihn auffordern, eine doppelte Selbstüberwindung zu vollziehen, einmal die Überwindung der Selbstgefälligkeit und Selbstherrlichkeit, in der sich der moderne Mensch oft gefällt. Er bildet sich ein, er könne alles, was die heilige Kirche als notwendig und wichtig nicht zu predigen aufhört, als überwundene, ritualisierte, religiöse Mentalität ansehen, sich nun als emanzipierten Christen betrachten und als zufrieden mit dem Glauben an Wissenschaft und Vernunft bekennen, als ob nicht auch von der Wissenschaft und der Vernunft nachdrückliche Fragen an die Religion und an die Gewissheit des christlichen Glaubens gerichtet würden. Die andere Selbstüberwindung betrifft die Grenzen unserer tatsächlichen Möglichkeiten, das Helldunkel des Zweifels, oder die Konfusion des Synkretismus zu überschreiten: der Skeptizismus, also die Leere und Verzweiflung, die mit so vielen Namen und Verhaltensweisen überdeckt wird, welche, auch wenn sie Respekt heischen und ernst zu nehmen sind, die Leere und Verzweiflung dessen verbergen, der sich zum Zweifel bekennt. Demütig, inständig wollen wir versuchen, uns in Freude und Treue wieder auf das Glück unserer Taufe zu besinnen (21. April 1976, S. 43-45).

Die Theologie der Taufe erinnert uns an unsere persönliche Heilsgeschichte. Wir sind in die Welt gekommen in einem unglücklichen Zustand, was unsere Beziehung zur wahren und höchsten Quelle des Lebens, d. h. zum lebendigen Gott betrifft, aufgrund der Erbsünde. Von dieser wurden wir gereinigt und der Gnade übernatürlichen Lebens teilhaftig durch Christus, unseren Erlöser und Bruder, der für uns gestorben und auferstanden ist und mit dem wir durch die Taufe im Heiligen Geist verbunden und auf diese Weise hineingenommen sind in die „Gemeinschaft des Geistes" (Phil 2, 1) d. h. in die Kirche. Das wissen wir, und wir müssen uns bemühen, es immer besser zu erkennen und zu wachsen in diesem wunderbaren Wissen (Vgl. Phil 1,9). Es wäre sehr interessant, die Zeugnisse von Heiligen über ihre Taufe zusammenzustellen. Wir erwähnen nur das sehr bekannte, rasch niedergeschriebene und fast schüchterne Wort des heiligen Augustinus:... „und wir wurden getauft", so schreibt er in seinen Bekenntnissen (IX, 6) „und es schwand von uns jede Angst des bisherigen Lebens. In jenen Tagen, die erfüllt waren von einer wunderbaren Schönheit, wurde ich auch nicht müde, nachzudenken über die Tiefe deines Planes, oh Herr, zur Rettung der Menschheit. Wie habe ich bei den zu deinen Ehren gesungenen Hymnen und Gesängen geweint..." Ähnliche Zeugnisse kennen wir von Konvertiten (Papini). Im übrigen weist uns der kluge und immer noch aktuelle Katechismus des Konzils von Trient auf den Nutzen solcher Überlegungen hin (II, 2, 2).

Welche Schlüsse können wir aus diesen flüchtigen Hinweisen ziehen? Es sind zwei, der erste ist die Pflicht – eine sehr angenehme Pflicht, wenn wir einmal Erfahrung mit ihr gemacht haben -, unsere Gesinnung zu formen nach diesen Lehren und Geboten, ja nach den Gnaden, die uns die Taufgewissheit gibt. Wir können nicht christlich denken, ohne auf dieses neue, lichtvolle Wissen um unser Dasein zurückzugreifen. „Auch wir waren früher unverständig und ungehorsam; wir gingen in die Irre, waren Sklaven aller möglichen Leidenschaften und Begierden... Als aber die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters, erschien, hat er uns gerettet ... aufgrund seines Erbarmens durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist. Ihn hat er in reichem Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus » (Tit 3, 3-6). Es bedarf also einer Umformung unseres Denkens und Lebens nach dem Glauben, in dessen Licht uns die Taufe gestellt hat. Und hier ergibt sich die zweite Schlussfolgerung, nämlich die Freude an einem geistlichen Zustand, der nur dem Christen als ständig Neubekehrtem, der in das Reich Christi aufgenommen wurde, eigen ist; dem Zustand der Gewissheit, der Klarheit, des Lichts ... Der Glaube ist ein Licht, eine Kraft (Vgl. 1 Petr 5,9). Er ist die Konsequenz, das Charisma unserer Taufe (28. April 1976, S. 46-48).

Von der Ähnlichkeit der Taufe mit dem Tod und der Auferstehung des Herrn, das heißt mit seinem Erlösungswerk, das jedem von uns durch die Taufe zuteil wird, resultiert, wie wir alle aus dem Katechismus wissen, eine zweifache Wirkung: Erstens sind wir Christen geworden. Wir sind in Christus wiedergeboren, erneuert, geheiligt worden und, wenn wir gut sind, für die ewige Glückseligkeit bestimmt; wir befinden uns in „der Gnade« Gottes, erhoben zu einer höheren Würde des Lebens und zur Unsterblichkeit bestimmt (vgl. 1 Petr 2,9). Zweitens wurde unserem Wesen ein sakramentaler Charakter eingeprägt, eine Ähnlichkeit mit Christus, die nie mehr verlöscht. Wir können, zu unserem großen Unglück, der Gnade des göttlichen Lebens aus der Taufe verlustig gehen; wir können jedoch nicht dieses Siegel, diesen „Charakter“ verlieren, der uns zum Bild Christi gemacht hat, weshalb wir als Christen immer die Gunst der Freundschaft des Herrn besitzen, aber auch immer verantwortlich sind für diese neue unauslöschliche Beziehung unseres Lebens zu dem ewigen Leben Gottes: wir sind die Seinen, sind für immer Christen, das ist unser Glück, aber auch unsere Verpflichtung * (5. Mai 1976, S. 49).

... Weihnachten bedeutet die Feier der Geburt des Erlösers und damit das Fortschreiten unserer Wiedergeburt im Heilsplan. Der heilige Augustinus sagt: „Er ist geboren, damit wir wiedergeboren werden" (Sermo 189, 3 PL 38, 1006). Das Thema der Wiedergeburt des Menschen kehrt in der gesamten Heilsökonomie immer wieder. Erinnern wir uns an die Stelle im Evangelium, die von Nikodemus handelt ...

Erinnert euch an die erste und fundamentale Lehre, die der Herr ihm mit folgenden Worten gibt: „In Wahrheit sage ich Dir, wenn jemand nicht von oben her geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen" (Joh 3, 3). Wie aber ist es möglich, wiedergeboren zu werden? Das ist der Eckpfeiler der christlichen Lehre von der Taufe, welche nicht nur die Auslöschung der Erbsünde verlangt, die der Mensch als Nachkomme Adams schon durch die natürliche Geburt in sich trägt, sondern auch ein neues Lebensprinzip eingibt, die Gnade, die das menschliche Leben mit dem untrüglichen göttlichen Leben verbindet (vgl. 1 Petr 1, 23; 2 Petr 1, 4). Der Mensch kann wiedergeboren werden, ja er muss wiedergeboren werden. Wir müssen wieder Kinder werden, unschuldig, rein und neu (vgl. Mt 18,3); (22. Dez. 1976, S. 146 u. 147).

4. Zum heiligen Sakrament der Buße

Vorbemerkung

Da das Verständnis, die Wertschätzung und der Empfang des Bußsakramentes nicht immer und überall in die Kirche den angemessenen Platz erhalten, ist es hilfreich, gerade auch zu diesem Thema Worte des Heiligen Vaters anzuführen.

Zunächst befasst sich unser Papst mit der alten, wieder neu virulent gewordenen Frage der protestantischen Kontroverstheologie, ob es überhaupt nach der Reinigung der Seele durch das Sakrament der Taufe noch ein zweites Reinigungssakrament, nämlich das der sakramentalen Buße geben kann.

Buße und Umkehr setzen die Einsicht voraus in das, was Sünde ist. Ausgehend vom inneren Zusammenhang von Sünde und Tod gibt der Heilige Vater eine Theologie der Sünde mitsamt einer Anmerkung zur Erbsünde. Was hat es mit dem Konflikt zwischen menschlichem und göttlichem Willen auf sich? - Hier wird die transzendente Dimension der Sünde ausgeführt, ebenso wie das Verderben der Sünde für den, der sie begeht. Auch die alte Frage nach der Möglichkeit des Menschen, aus sich heraus allein über die Sünde Herr zu werden, ist nicht übergangen. Hier wird zu dem Standpunkt jener modernen Ideologen Stellung genommen, die Begriff und Wirklichkeit der Sünde theoretisch und praktisch aus dem Gespräch unserer Zeit verbannen wollen. Wo es keine Religion gibt, hat da die Rede von der Sünde noch einen Sinn? Was ist zur Sünde im Hinblick auf Gott, auf die Gemeinschaft und auf den Sünder zu sagen?

In einem weiteren Schritt wird schon hier etwas über das Gewissen gesagt, über das Glück auch der Selbstfindung durch das Gewissen. Wenn sich unsere Freiheit wieder der Fülle des Heiles zuwendet, begegnen wir der Reue. Damit kommt die Rede auf den wesentlichsten Punkt der katholischen Bußdisziplin: das Wesen und die verschiedenen Formen der Reue auf ihre Motive bezogen.

Eingehend werden dann die verschiedenen Formen der neuesten Beichtpraxis erklärt: die persönliche Einzelbeichte, die Einzelbeichte mit vorausgehender gemeinsamer Vorbereitung und schließlich die gemeinsame Wiederversöhnung in der Generalabsolution. Auch die Frage nach der Abschaffung der Beichtstühle wird nicht ausgeklammert.

Wie muss das Bekenntnis gestaltet werden, was muss der Pönitent sagen? Ist es berechtigt, vom Glück des Heilsvollzugs bei der Lossprechung zu reden?

Was ist zum Amts- und Dienstcharakter der Beichte zu sagen? Hat es noch Sinn, am rituellen und kirchlichen Vollzug festzuhalten?

Ist es noch zeitgemäß, von einer wunderbaren Vollmacht des Priesters zu reden, Sünden zu vergeben, den und den ungetreuen Bruder mit Gott und der Kirche wieder zu versöhnen?

Was ist von der christlichen Weisheit her zu jenen Stimmen zu bedenken, welche die häufige Beichte, ja, überhaupt die Beichte als überholte Form abtun möchten und dafür eine sogenannte lebendige, persönliche, angeblich an Evangelium orientierte Spiritualität setzen möchten?

Was kann schließlich zum Lobe der verborgenen Herrlichkeit des Sakramentes der Buße gesagt werden?

Die Worte Papst Paul VI.

Da das Verständnis, die Wertschätzung und der Empfang des Bußsakramentes nicht immer und nicht von allen so betrachtet werden, wie sie es verdienen, wollen wir wenigstens im Umriss einige Dinge in Erinnerung rufen, die unserer Spiritualität Nahrung und Aufmunterung geben können.

Greifen wir gleich den wichtigsten Punkt heraus, nämlich den Ort, den dieses Sakrament im göttlichen Heilsplan einnimmt. Hierauf bezieht sich die Frage, deren Anfänge ins 3. Jahrhundert zurückreichen, die aber auch in neuere Zeit in der protestantischen Kontroverstheologie auftaucht, nämlich: Gibt es im christlichen Heilsplan nach dem Sakrament der Taufe noch ein Bußsakrament? Kann ein Christ, der nach der Taufe in Sünden fällt, sich noch an die Barmherzigkeit Gottes wenden? Können dem Menschen noch Sünden vergeben werden, wenn er doch das unschätzbare Glück der göttlichen Gnade empfangen hat, nämlich die durch Christus verdiente Verbindung des eigenen Lebens mit dem Leben Gottes, das alles menschliche Begreifen übersteigt (vgl. 2 Petr 1,4), und er dann diese lebendige Verbindung zerrissen und verraten hat? Ist der Christ nicht von seinem Wesen her zu gläubiger Treue verpflichtet? Und wenn er nun nicht in dieser gläubigen Treue aushält, kann er dann noch beanspruchen oder zumindest hoffen, wieder in den Stand der Gnade aufgenommen zu werden? Wenn wir die unerschöpfliche Güte Gottes voraussetzen, genügt dann die Zerknirschung des Sünders auf Grund des Glaubens, ihn in die lebenspendende Freundschaft Gottes und die Gemeinschaft der Kirche zurückkehren zu lassen?

Und hier die paradoxe, aber wirkliche Wahrheit: im Plan der Güte Gottes gibt es die Möglichkeit, dass einem Christen auch die Sünden vergeben werden, die – weil nach der Taufe begangen - schwerer wiegen und anstößiger werden. Wir wissen das und freuen uns darüber: diese Möglichkeit gibt es! Durch die allzu enge und wörtliche Auslegung eines Satzes, den wir im Hebräerbrief finden, nämlich in: „wenn wir vorsätzlich sündigen, nachdem wir die Kenntnis der Wahrheit empfangen haben, gibt es für diese Sünde keine Opfer mehr“ (Hebr 10,26), weigerte sich die frühe Kirche an manchen Orten, verschiedene sehr schwere Sünden, die Ärgernis erregten, nachzulassen: nämlich Glaubensabfall, Mord und Ehebruch. Als dann besonders nach der Verfolgung des Decius zuerst Papst Cornelius und dann der heilige Cyprian von Karthago die „Gefallenen", das heißt diejenigen, die den Göttern geopfert hatten, um der Todesstrafe zu entgehen, wieder zur Buße und zur Versöhnung zuließen, wenn sie wirkliche Reue zeigten (Vgl. A. Saba, Storia della Chiesa, I, 166; Cyprian von Karthago, De lapsis, PL 4,463-494; G. Mercari, Le Lettere di S. Cornelio Pap u. a. m.I, begann für Lehre und Praxis der Buße eine neue Entwicklung. Fand sich denn dafür nicht eine gute Begründung im Wort des Herrn (Mt 16,19; 18,18; 18,22: „nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“; Joh 20, 23)? Aus dieser heilsamen Großzügigkeit entwickelte sich eine Bußpraxis, bei der die Reue von entscheidender Bedeutung ist und von der sich die sakramentale Buße herleitet, die mit der Veröffentlichung des neuen Ordo paenitentiae ... eine Neufassung gefunden hat ... Wir wollen unsere Aufmerksamkeit, unsere Bewunderung und Freude auf die Tatsache lenken, dass Christus uns diese unschätzbare Gnade erworben hat, dass wir auch nach der Taufe Vergebung unserer so widersinnigen und beklagenswerten Sünden im Sakrament der Buße finden können (vgl. Denz.-Schön. 1601). Wahrlich ein Akt der unendlichen Güte und Barmherzigkeit unseres Gottes, ein direktes Eingreifen seiner Macht (Vgl. Mk 2,7), um unsere Seelen zu neuern und göttlichem Leben zu erwecken. Schenken wir diesem Sakrament, und wenn nötig aufs neue, jene Verehrung, Dankbarkeit und Freude, die es von unserem Glauben und unserer Frömmigkeit her verdient (26. Febr. 1975, S. 26-28).

Wir alle wissen, worum es sich bei der Beichte handelt. Dieses Thema ist so wichtig und so kontrovers, dass wir es nicht für überflüssig halten, einige seiner Aspekte in Erinnerung zu bringen. Vor allem den folgenden: Wir haben schon einiges über die Rolle Gottes, der Transzendenz und der Übernatur bei diesem Sakrament gesagt, das wirklich ein göttliches Zeichen ist, insofern es die Gnade wieder schenkt, also in uns das göttliche Leben wiedererweckt, jenes Leben, das für unsere Seelen das Wichtigste ist. Jetzt bleibt uns noch, daran zu erinnern, dass solches heilbringende Eingreifen der übermächtigen Barmherzigkeit Gottes dem Empfänger einige Bedingungen abverlangt. Auch diese Bedingungen kennen wir alle. Die sakramentale Wirkung der Buße ist keine automatische und keine magische. Sie ist eine personale Begegnung, die eine Bereitschaft voraussetzt, eine Empfänglichkeit, eine Vorbereitung, ein gewisses notwendiges Mitwirken von seiten des Menschen. Hier liegt die Schwierigkeit, auf die das uns angebotene Gnadengeschenk des Bußsakramentes beim Menschen stößt (5. März 1975, S. 29).

Wir bedenken heute den Anstoß, die Erschütterung, den „Schock", den die Mahnung an unseren Tod in uns auslösen will. Denn wir sollen dadurch nicht nur an die unerbittliche und täglich zu erfahrende Hinfälligkeit menschlichen Lebens erinnert werden, das seiner Natur nach dem Tod unterworfen ist, sondern auch an die Ursache dieses furchtbaren Geschickes, von der uns der heilige Paulus in einer seiner ernstesten und am meisten beachteten Stelle sagt: „Durch die Sünde kam der Tod in die Welt" (Röm 5, 12). Wir kommen damit auf ein Thema zurück, das in der Predigt wie in der allgemeinen Auffassung vom christlichen Leben immer wiederkehrt - auf die Sünde. Was ist das, die Sünde? Sie ist der Konflikt zwischen unserem Willen als freie und zugleich verantwortliche, aber winzige und geschaffene Wesen, mit dem souveränen, guten und väterlichen Willen Gottes. Sie ist in religiöser Sicht eine verfehlte Tat. Sie ist ein bewusst gewollter Affront gegen die Beziehung, die zwischen unserem Leben und dem Gesetz Gottes besteht, ob wir wollen oder nicht. Wer diese transzendente Auswirkung unseres Tuns auf die immer wache Gegenwart Gottes in Gerechtigkeit und Liebe bedenkt und begreift, der weiß, was Sünde ist. Noch mehr, er wird sich ihrer unauslotbaren, abgrundtiefen Schwere bewusst. Denkt an die Worte des verlorenen Sohnes in dem berühmten Gleichnis des Evangeliums, die uns das Drama der Sünde vor Augen stellt: „Vater, ich habe gegen Gott im Himmel und gegen dich gesündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein" (Lk 15,21). Sünde ist gleichzeitig Beleidigung Gottes und das Verderben für den, der sie begeht. (Vgl. Thomas v. A. S. Th. I-II, 85,1 u. 2). Ein Verderben, das, solange wir noch in diesem Leben stehen, nicht endgültig ist. Der Mensch bleibt Mensch, das heißt, er bleibt fähig, vernünftig zu überlegen; er bleibt von Natur aus zum Guten geneigt, aber er ist zu schwach, mit rein natürlichen Kräften das Gute zu erreichen. Die Erfahrung des Bösen, die heute selbst viele Erzieher als nützlich zur Formung des menschlichen Gewissens ansehen, ist in Wirklichkeit eine Krankheit, eine Folge der Erbsünde (12. Febr. 1975, S. 23 u. 24).

Wieder einmal bietet uns der heilige Augustinus eine Formel, die nicht ein leeres Wort ist, sondern eine menschliche und theologische Wirklichkeit ausdrückt und nur aus zwei gewaltigen Worten besteht: Elend und Erbarmen (Vgl. En. in Ps 32; PL 36, 287 u. De Civ. Dei, PL 41, 636; usw.). Wenn wir Elend sagen, meinen wir die Sünde, jene menschliche Tragödie, die sich im Rahmen der Geschichte des Bösen abspielt, jenen dunklen Abgrund, der uns in einfurchtbares Verderben stürzen lässt, die Sünde! Darüber haben wir schon oft gesprochen. Und immer wieder in allen unseren religiösen und menschlichen Gesprächen taucht ihre beunruhigende Gegenwart auf. Nun ist es an der Zeit, diesen Begriff, dem in der gesamten christlichen Auffassung von der menschlichen Existenz eine Schlüsselstellung zukommt und der etwas Niedriges und Negatives meint, einmal etwas genauer zu betrachten. Das scheint uns um so nötiger, als die modernen Ideologien den Begriff und die Wirklichkeit der Sünde theoretisch und praktisch aus dem Gespräch unserer Zeit verbannen wollen. Wo es keine Religion gibt, hat auch die Sünde keinen Sinn mehr. Die Sünde ist eine Verletzung der geordneten Beziehung, die den Menschen mit Gott verbindet. Auch hier ist noch immer die klassische Definition der Sünde gültig, die vom heiligen Augustinus aufgestellt und von den großen christlichen Denkern übernommen wurde: Die Sünde ist ein Akt, eine Tat, ein Wort oder auch nur ein böser Gedanke, der dem ewigen Gesetz Gottes widerspricht, also jener göttlichen Vernunft, welch den Dingen ihre innere, wesentliche Ordnung gibt (vgl. Heiliger Augustinus, Contra Faustum, 22, 27; PL 42, 418; Heiliger Thomas, S. Th. I-lI, 71, 6).

Wir sprechen hier nicht von der Erbsünde, die ein grundlegendes Kapitel unserer Theologie und der katholischen Anthropologie bildet. Aber die bloße Erinnerung an dieses traurige, tragische Erbe macht uns deutlich, dass wir in unserer Lebensauffassung nicht davon absehen können, dass wir von einem unstillbaren Verlangen nach Erlösung durchdrungen sind, dass wir diese aber keinesfalls mit unseren eigenen Kräften zu erreichen vermögen. Geboren zu sein, nützte uns gar nichts, würde uns nicht das Glück der Wiedergeburt geschenkt (Vgl. das Exsultet der Osternacht). Wir sprechen von der sogenannten Tatsünde, jener Sünde also, die unsere Freiheit und unsere Verantwortung aufs Spiel setzt und die nur allzu oft aus Umständen heraus, die unser rechtschaffenes Handeln ungünstig beeinflussen, Anstiftung findet. Wir haben ja Verstand, freien Willen und Verantwortungsgefühl.

Die Immanenz des moralischen Gewissens macht unsere Existenz zu einem Drama. Die Folge davon ist, dass der Verstoß gegen dieses Gesetz, der objektiv gesehen eine unerträgliche Beleidigung Gottes darstellt, sich subjektiv tödlich auswirkt für jeden, der diese Beleidigung begeht. Der Verstoß verwandelt sich nämlich in eine Selbstverwundung, in einen Makel, den die naturalistischen Weltanschauungen vergebens sich bemühen auszulöschen mit dem Versuch, die Sünde einfach auf Unwissenheit, Schwachheit oder Leitung durch den Instinkt zurückzuführen.

„Der Lohn, den die Sünde zahlt, ist der Tod", sagt Paulus (Röm 6, 23).

Wir werden den Heilsplan zu unserer Erlösung niemals ganz erforschen können, in dem sich die unendliche Güte Gottes, die unvergleichliche Liebe Christi zu uns und das grenzenlose Glück offenbart, das uns zu unserer ewigen Bestimmung angeboten ist. Sich auf diesen Plan einlassen, bedeutet Buße tun: diesen Heilsplan zu erkennen, ihn anzunehmen und wieder neu zu leben. Gibt es etwas Größeres, etwas, das wir notwendiger hätten, etwas, das letztlich schöner, leichter und besser wäre? (20. März 1974, S. 38-40).

So wie sich alle unsere persönlichen Verfehlungen auf unsere grundlegende Lebensbeziehung zu Gott auswirken, so haben sie auch ihre Auswirkungen auf jene Gemeinschaftsbeziehung, die genauso fundamental und lebenswichtig ist und uns mit dem mystischen Leib Christi verbindet, also mit der heiligen lebendigen Kirche, deren Glieder wir sind... Wir werden gut daran tun, diesem Thema erneuerter sakramentaler Buße ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen, - handelt es sich doch dabei um eines unserer höchsten Anliegen, um unser Heil. Seien wir nicht gleichgültig und erst recht nicht misstrauisch gegenüber der Aufforderung der Kirche zur Erneuerung unserer Gesinnung und dann auch unseres tatsächlichen religiösen Verhaltens im Hinblick auf das Bußsakrament. Wir meinen damit die Wiederversöhnung mit Gott und Aussöhnung mit der Kirche, denn das Bußsakrament macht aus uns, die wir krank oder tot waren, wieder gesunde lebendige Glieder (3. April 1974, S. 41).

Über das Gewissen ist schon viel geredet worden, und man redet immer noch davon... Was ist das Gewissen? Betrachten wir einige Beispiele: ein Sich-selbst-bewußt-werden über eine Erkenntnis. „Erkenne dich selbst", lehrt Sokrates. „Zu erkennen wissen", nennt es Platon. Und Florin spricht vom Gewissen als dem Spiegel des Selbst. Bei den modernen Denkern heißt es z. B. die nach innen gerichtete Reflexion, die Analyse des Innenlebens, das Bewusstsein des denkenden Ich, usw. Wir dürfen aber nicht bei diesem gewiss fruchtbaren psychologischen Feld des Gewissens stehen bleiben, wenn wir unser Interesse auf einen ganz besonderen Bereich des Gewissens überhaupt lenken wollen, auf einen zentralen und für unser christliches Leben äußerst bedeutsamen Bereich, nämlich auf das moralische Gewissen. Auf jenen geistigen Akt also, durch den wir unser Tun nach unserem Denken ausrichten (vgl. Heilige Thomas, S. Th. 1, 79). Betrachten wir jetzt das Gewissen als urteilende Instanz über die Sittlichkeit unseres Handeins, als höchste sittliche Einsicht, und gerade deshalb in Beziehung zum absoluten Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse - eine Beziehung, die sich ausrichtet nach ihrem unverrückbaren Mittelpunkt, gleich einem geometrischen Ort, der gefordert wird von einem vorgegebenen Plan, der göttlich ist. Das moralische Gewissen, das in seiner spontanen und logischen Entwicklung geformt wird, fordert als logisches Ziel und daher auch als ontologisches Prinzip Gott. Gerade deshalb steht das moralische Gewissen heute im Kreuzfeuer moderner Auseinandersetzungen, aus denen es, wenn auch arg mitgenommen und entstellt, noch immer siegreich hervorgeht, sobald es wieder in seine normale Funktion eingesetzt wird.

Lassen wir alle Streitfragen beiseite und schlagen wir eine der bekanntesten, bezeichnendsten Seiten des Evangeliums auf, nämlich die Geschichte vom verlorenen Sohn. Das Evangelium, das heißt Jesus, unser Meister, erzählt die Geschichte vom verlorenen Sohn in seinem tiefsten Unglück, das sich zu seinem größten Glück wenden sollte, denn der bedauernswerte „Titelheld" dieses traurigen Abenteuers ging schließlich in sich, er besann sich: „in se autem reversus" (Lk 15,17). Denken wir einmal über dieses schlichte Wort nach; es ist wie ein Wegweiser, der einer Kolonne anzeigt, wo sie vom bisherigen Weg abbiegen muss. Er ging in sich. Aber hatte es dieser junge Mensch nötig, in sich zu gehen, der doch voller Leben war, der... nichts anderes als sich selbst gesucht hatte, der sein Leben in Freiheit und Vergnügen genießen wollte, alles, was einen Lebenshungrigen des Lebens Fülle, Echtheit und Glück scheinbar erfahren ließen? So hatte er sich selbst aufgegeben, sein eigenes Gewissen, seine eigentliche echte Persönlichkeit, und war auf dem Tiefpunkt eines verzweiflungsvollen und würdelosen Elends angekommen, aber nun kehrte er dahin zurück, von wo er weggegangen war: zu sich selber. Ein dramatischer und erstaunlicher Vorgang, dazu höchst lehrreich. Dieser Vorgang einsamer, mutiger, persönlicher Besinnung bildet für den Menschen den subjektiven Ausgangspunkt für die Wiedergewinnung des wahren und neuen Lebens, natürlich nicht ohne die unberechenbare, aber entscheidende göttliche Gnadenhilfe. Die Gewissensforschung, die Wahrheit über sich selbst, die gerechte Beurteilung des eigenen Verhaltens, der Mut zu Reuetränen - ohne Verzweiflung -, das alles könnte uns zu großartigen Einsichten bringen über das Böse, das man gewollt und getan hat. Das Ganze stünde dabei schon unter dem Gewicht einer Selbstverurteilung, die in ihrem ungewöhnlichen inneren Reichtum nicht bloß leidenschaftlich und buchstäblich, sondern zugleich weise und menschlich ist, so dass sie Mitleid und ganze Vergebung verdient.

In se autem reversus. Für wie viele Betrachtungen würde das noch Stoff bieten! Man könnte sprechen über das Schweigen, über das innere Leben, über die menschliche Wandlungsfähigkeit, über das Glück der Selbstfindung und damit dann schließlich auch zu Gott, zum Vater finden! Das geistliche Krankheitsbild gilt für alle. Bedenken wir das! (13. März 1974, S. 35-37).

Wir kämen an kein Ende, wollten wir alle Worte und Gleichnisse des Evangeliums aufführen, um Bedeutung und Wert dieser Umkehr, dieser Buße, dieser metanoia zu erhellen, die ja vor allem eine innere Wandlung meint, das Einschlagen eines anderen Weges, eine Rückkehr in die Arme des Vaters, wie es das Gleichnis von der Heimkehr des verlorenen Sohnes mit unvergleichlicher Anschaulichkeit erzählt (vgl. Lk 15, 11-52). Wie wir aus der eindeutigen Lehre Jesu entnehmen können, besteht das eigentliche Ziel in einer tiefgreifenden Wandlung: diese muss in zwei Richtungen erfolgen.

Vor allem gilt es, die Denkweise, die Gesinnung, die innere Ausrichtung unseres HandeIns zu ändern. Bedenken wir, welche schwierige Wandlung gemeint ist, sind wir doch in der geheimsten Tiefe unserer Persönlichkeit betroffen. Zweitens aber geht es darum, auch das praktische Verhalten des Menschen, das Handeln zu ändern, damit unser äußeres Tun nicht im Gegensatz steht zu dieser Wandlung der Gesinnung, sondern ihr entspricht.

Mit einem Wort: es geht darum, eine innere vollkommene Übereinstimmung unseres Denkens und Handelns mit dem Willen Gottes zu erreichen, wie uns Jesus im Hauptgebet des Christen zu bitten lehrt: „Dein Wille geschehe“ (Mt 6, 10) ohne Behinderung, ohne Verzögerung, ohne Widerstand wie im Himmel so auf Erden.

Diese Worte sind unangenehm, aber nur für den, der es ablehnt, sein Herz der Stimme des Herrn zu öffnen: sie sind peinlich nur für den, der allen Ermahnungen der Offenbarung und des Gehorsams zum Trotz hartnäckig in der „verbotenen Fahrtrichtung“ weitergeht. Gewiss sind wir weit entfernt von der modernen permissiven Auffassung, die in geradezu provokatorischer Weise vor allem den charakterlich noch nicht genügend gefestigten Menschen eine Freiheit predigt, die doch nur Zügellosigkeit, Triebhaftigkeit, Selbstsucht, Sittenverfall und Wankelmut, d. h. im Grunde ungehemmten Egoismus gleichkommt (Gen. Aud. v. 16. März 1977; ORD v. 25. März 1977, S. 1).

Es geht darum, auf dem schmalen Grat zu wandeln zwischen jenen beiden abgrundtiefen Gegensätzen: auf der einen Seite ist es die Sünde, vor der die moderne Weltanschauung uns die Augen verschließt, so dass wir die schwindelerregende, furchtbare, todbringende Tiefe des Abgrundes nicht mehr sehen; auf der anderen Seite ist es die Liebe, die Güte, die Wiederauferstehung, die Gott in seinem Werk der Erlösung durch das sakramentale Handeln der Kirche uns in Freiheit anbietet. Das ist das erste.

Nun das zweite. Diese unsere Freiheit, die sich mit aller Macht zur Fülle des Heils hinwenden sollte, es meist aber nur in kleinen Schritten tut, nennt sich in diesem Augenblick - wie wir nochmals betonen - Umkehr. Sie ist also das Treffen einer Wahl, neue Ausrichtung und Abkehr unserer geistigen Einstellung, weg von der Haltung des Sich-Gehenlassens und den instinktiven und niedrigen Leidenschaften, zu denen sie so leicht neigt, hin zum Guten, zum wahren Leben, zu Gott, der wie der gute Hirte im Evangelium kommt, um uns zu suchen. Das ist für den einzelnen der entscheidende Augenblick der Umkehr, der metanoia, der Buße; das ist der Augenblick der Reue, der Zerknirschung, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die eigenen Verfehlungen ganz bewusst beklagt, und zwar aus den wahrhaftigsten und höchsten Gründen: denen der Beleidigung Gottes und der Verletzung der kirchlichen Gemeinschaft, nicht zu sprechen von der Entwürdigung der eigenen Person, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist (3. April 1974, S. 41/42).

Wir weisen auf zwei wesentliche Punkte des Kapitels über die katholische Bußdisziplin hin. Der erste ist schwierig und schmerzhaft: er heißt „Reue". Halten wir uns an das Konzil von Trient, das sich gerade mit diesem Teil unserer Lehre besondere Mühe gegeben hat... „Die Reue", sagt das Tridentinum, „die im Bußgeschehen die erste und wichtigste Stelle einnimmt, ist ein Schmerz der Seele; eine Verwerfung der begangenen Sünde mit dem festen Vorsatz, nicht mehr zu sündigen" (Denz.-Schön. 1676). Schmerz der Seele. Das ist keine leichte und keine angenehme Sache. Er kommt aus einem Bewusstsein, dem sich der Mensch gewöhnlich zu entziehen sucht, dem Bewusstsein von Sünde, das der Glaube in der Beziehung unseres Lebens zu dem unverletzlichen, schützenden Gesetz Gottes voraussetzt. Heute ist eine säkularisierende, manchmal eher heidnische Neigung eingerissen, die nach Auslöschung des religiösen auch das sittliche Bewusstsein in Gefahr bringt; die Sünde, dieser ebenso ungeheuerliche wie geheimnisvolle Widerspruch gegen Gott, hat keine Bedeutung, hat kein Gewicht mehr.

Die vollkommene Reue, also das Verabscheuen der Gott zugefügten Beleidigung, kann sich im tiefsten Innern, im „Herzen" des Menschen, nicht mehr ausprägen, weil dieses von den Barrieren einer radikalen Wirklichkeit geradezu hermetisch verschlossen ist.

Wir möchten auf die wiederbelebende Wirkung der Reue in sich selber hinweisen, wenn diese Reue Antwort ist auf die Beleidigung der Güte Gottes einerseits und die hässliche Bosheit der Sünde andererseits, wenn also, wie unsere Kirchenväter sagen, der Schmerz über die begangene Sünde „vollkommen" ist. Wird die Reue so aufgefasst, bewirkt sie schon von sich aus die Vergebung durch Gott, wenn sie von dem Vorsatz begleitet ist, sobald als möglich das Bußsakrament zu empfangen (vgl. S. Th. Suppl 5, I). Ein Ordensmann hat uns in seinem Brief geraten, die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf diese willkommene Möglichkeit zu lenken, durch die vor allem Menschen, denen in der Todesstunde der Empfang des Sakramentes nicht mehr möglich ist, das Erbarmen des Herrn erlangen können (vgl. Denz.-Sch. 1677). Es ist wichtig, dies zu wissen (5. März 1975, S. 29-31).

Über das rituelle Geschehen, wie es praktisch gemacht werden soll, hat die Liturgiereform beachtliche Entwicklungen gebracht. Danach kennen wir drei Formen der Wiederversöhnung. Die erste ist die persönliche Beichte, die immer schon üblich gewesen ist. Es ist jedoch zu betonen, dass es dafür der besonderen persönlichen Disposition und der Hinwendung auf das Wort Gottes bedarf, das uns die frohe Botschaft von der Güte Gottes verkündet, der wir uns zunächst in innerer Umkehr zuwenden und dann gerechtfertigt werden. Es ist die gewohnte Form, aber über das Bekenntnis hinaus kostbar durch ernste Gewissenhaftigkeit und das Angehörtwerden. Sie schenkt sozusagen ein tiefes Erfahren der göttlichen Liebe und die unaussprechliche Freude, wissen zu dürfen, dass wir zum göttlichen Leben wiedererweckt sind. Wir werden nie genug tun können, um das Sakrament der Wiederversöhnung zu verteidigen, bedeutet es doch für uns Sünder eine Tauferneuerung zu übernatürlicher Wiedergeburt.

Die zweite Form ist die einer gemeinsamen Vorbereitung, der die Einzelbeichte und die persönliche Absolution folgt. Sie hat den besonderen Vorzug, dass sie die gemeinschaftliche Vorbereitung und die persönliche Beichte miteinander verbindet. Wo sie ermöglicht werden kann, ist diese Form für unser Volk wohl die beste. Sie setzt allerdings für gewöhnlich die gleichzeitige Anwesenheit mehrerer Priester voraus, was nicht immer leicht ist. Aber unser Wunsch wäre es, dass besonders für gleichartige Gruppen - Kinder, Jugendliche, Arbeiter, Kranke, Pilger usw. diese Form zur gebräuchlichsten würde, weil sie eine bessere Vorbereitung und geordnetere Durchführung ermöglicht.

Als dritte Form gibt es dann noch die gemeinsame Wiederversöhnung mit einer einzigen, allgemeinen Lossprechung (Generalabsolution). Diese Form hat jedoch Ausnahmecharakter für Dringlichkeitsfälle, wozu vom Bischof die Zustimmung eigens gegeben werden muss, und die Verpflichtung zum persönlichen Bekenntnis aller schweren Sünden bei der nächsten Beichte bestehen bleibt.

Gewisse unrichtige Meldungen, die im Zusammenhang mit der Neuordnung des Bußsakramentes verbreitet wurden, müssen klar und richtiggestellt werden, wie z. B. jenes Gerede über die Abschaffung der Beichtstühle. Der Beichtstuhl als schützende Trennwand zwischen dem Priester und dem Beichtenden muss ganz klar bestehen bleiben, um die unbedingte Abgeschlossenheit des nur zwischen ihnen erforderlichen und nur für sie bestimmten Gespräches zu gewährleisten (3. April 1974, S. 42. u. 43).

Der andere Kernpunkt ist die Beichte, also die Selbstanklage des Menschen, der sich nach der Vergebung Gottes sehnt, und vor einem Priester, der bevollmächtigt ist, den Bußwilligen anzuhören und ihn von Sünden loszusprechen, seine Schuld ausführlich, zugleich mit ihrer sittlichen Bewertung bekennt... Schrecklich, diese Buße, so könnte man meinen. Und sie ist es tatsächlich für denjenigen, der nicht die Demut erfahren hat, die im eigenen Inneren Wahrheit und Gerechtigkeit wieder sprechen hört, sowie das Befreiende und Tröstliche der sakramentalen Lossprechung erlebt. Vielleicht gehört eine ehrliche Beichte zu den schönsten, trostreichsten und entscheidendsten Augenblicken des Lebens. Wir befinden uns hier an einem entscheidenden Punkt beim Vollzug unseres Heils, was wir mit einem berühmten Wort des heiligen Augustinus veranschaulichen können: „Qui fecit te sine te, non justificat te sine Te“, „Gott, der dich ohne dein Zutun geschaffen hat, rechtfertigt dich nicht ohne dein Zutun“ (Serm 169, XI; PL 38, 923); (5. März 1975, S. 31).

Wir wollen nun die Aufmerksamkeit auf den Amts- und Dienstcharakter dieses Sakramentes lenken. Es besteht heute die falsche Tendenz, vom rituellen und kirchlichen Vollzug abzusehen, der notwendigerweise zu diesem Sakrament gehört. Wichtig ist hier die wohlbekannte, bestmögliche, wenn auch stets unvollständige Verteidigung des innersten und ganz persönlichen Gewissensbereiches, den eine echte Buße voraussetzt und in der Seele dessen entwickelt, der Notwendigkeit und Wesen der Buße als Hinwendung des Herzens zu Gott begriffen hat und als Wiedervereinigung, des in Sünde und Tod gefallenen menschlichen Lebens mit dem göttlichen Leben. Man muss feststellen, dass dieser innerste, persönlichste Aspekt der Versöhnung einer sündigen Seele mit Gott nicht nur vorhanden ist, sondern auch heute noch, ja sogar mehr denn je, gefordert wird (denn das Gewissen des modernen Menschen ist reifer, und die von der Kirche geforderte Askese der Gemeinschaft und des einzelnen ist einfacher geworden). Diese persönliche Versöhnung des Sünders mit Gott ist immer möglich, und im Notfall wie der Katechismus lehrt, reicht auch ein Akt vollkommener Reue aus, um Vergebung und Gnade zu erlangen. Dennoch müssen wir daran erinnern, dass dieser Akt der Reue wenigstens unausgesprochen den Vorsatz enthalten muss, sobald als möglich, den besonderen Dienst des Priesters in Anspruch zu nehmen, der mit der wunderbaren Vollmacht ausgestattet ist, Sünden nachzulassen und den ungetreuen Bruder mit Gott und mit der lebendigen Gemeinde der Kirche wieder zu versöhnen.

Hier scheint die Bemerkung angebracht, dass die Sünde, die vor allem als schwere Sünde die lebendige Verbindung des Sünders mit Gott zerreißt, noch eine andere negative Wirkung hat. Sie ist nicht nur eine Beleidigung Gottes und das Verderben dessen, der sie begeht, sie verletzt ebenso die Kirchengemeinschaft (vgl. Ordo Paenitentiae Nr. 5). Daraus erklärt sich, dass das kirchliche Gesetzbuch für bestimmte schwere Sünden den Kirchenbann verhängt. Die Sünde fügt auch der Kirche Schaden zu. Und dieser Schaden für die Gemeinschaft der Kirche wirkt auf ihren schuldigen Urheber zurück: der Sünder, so könnte man sagen, unterbricht von sich aus den Lebensstrom, der ihn mit dem lebendigen Organismus der Kirche verbindet... Wir erinnern an diese traurige Tatsache, um die Notwendigkeit des priesterlichen Amtes hervorzuheben. Wohl ist es menschlich in seinen Formen und seiner Begrenztheit, doch übermenschlich in seiner Vollmacht, das göttliche Wort wirksam werden zu lassen, dessen amtlicher Diener der Priester ist: „Allen, denen ihr die Sünden erlasst, sind sie erlassen; allen, denen ihr sie nicht erlasst, sind sie nicht erlassen“ (Joh 20, 23). Welch erhabene Frohbotschaft. Wie klar, trostvoll und verpflichtend ist diese Frohbotschaft. Die Lebensordnung der heiligen Kirche Gottes ist von ihr geprägt, so dass die Frohbotschaft wirken kann (12.. März 1975, S. 32-34).

Auf zwei Dinge, die wir in diesem Zusammenhang für sehr wichtig halten, wollen wir noch kurz eure Aufmerksamkeit lenken. Das erste gilt für alle. Geben wir dem Sakrament der Buße die entscheidende Funktion wieder zurück, die es im Leben des Menschen einnimmt! Es gibt praktisch keine Erlösung aus der menschlichen Armseligkeit, keine echte Berufung zur Nachfolge Christi und keine geistige Vollkommenheit ohne den streng und weise geübten regelmäßigen Empfang dieses Sakramentes der Buße und der Freude. Das andere gilt für die Priester: ihnen legen wir die Hochschätzung, die Ausübung, die Geduld und die Kunst der Seelenführung gerade bei diesem Amt ans Herz. Dem Priesteramt soll damit nicht ein persönlicher Sonderanspruch abseits von den großen Anliegen der Gemeinschaft und der Gesellschaft gegeben werden; es geht einzig darum, dass sie ihrer Berufung als Diener der Gnade und Fachleute der Seelenführung treu sind, weil sie weit mehr als die modernen Psychologen und Psychiater zu bieten haben. Diese beiden Bitten seien euch sehr ans Herz gelegt (vgl. R. Guardini, La coszienza...); (3. April 1974, S. 44).

Brüder im Priesteramt, macht euch ernsthaft bereit und bildet euch weiter mit allem Eifer für diesen Heilsdienst! Er ist gewiss schwierig und mühsam, jedoch auch erhaben und unmittelbares Werkzeug der Gnade, echte Heilung der Seelen, Quelle des Lichtes und der Weisheit, unerschöpfliche Weitergabe von Güte und für den Amtsträger selbst Schule der Erfahrung und Demut. Weicht diesem Dienst nicht aus! Verfälscht ihn nicht! Niemals! Geht nicht leichtfertig darüber hinweg! Vor allem aber, entheiligt ihn nicht! Nein, niemals! Betätigt darin vielmehr geduldig und weise zugleich eure ganze priesterliche Liebe!

Die zweite Empfehlung gilt allen Gläubigen: Habt Vertrauen zum Bußsakrament, das uns in so typischer Weise die göttliche Barmherzigkeit erleben lässt. Zuerst scheint es schwer, dann aber schenkt es reichsten Trost. So wie ihr für euer leibliches und geistiges Wohl ... einen tüchtigen Arzt auswählt, so wählt euch möglichst auch den verschwiegenen, weisen und gütigen Seelenarzt, der euch wirklich Trost spenden, Rat geben, Ermunterung und Gnade schenken kann: die Gnade der Auferstehung, die österliche Gnade (12. März 1975, S. 34).

„Ich reinige sie von all ihrer Schuld, die sie gegen mich begangen haben, und vergebe ihnen alle ihre Missetaten, wodurch sie gegen mich gesündigt haben und mir untreu geworden sind ..." (Jes 33,8 f). Diese Verheißung der Vergebung und alle anderen Verheißungen erhalten ihren Sinn im Erlösungsopfer Jesu Christi, des leidenden Gottesknechtes. Er ist es und nur er allein, der uns zu sagen vermag: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium". Der Herr möchte uns vor allem innewerden lassen, dass die geforderte Bekehrung keineswegs eine Rückkehr zu Vergangenem bedeutet, so wie es bei der Sünde der Fall ist. Sie ist im Gegenteil, wenn sie in die Wege geleitet wird, ein Fortschritt in der wahren Freiheit und in der Freude. Sie ist die Antwort auf eine Einladung zum Glauben, die vom Herrn in Liebe, in Achtung, aber doch mit aller Dringlichkeit ergeht: „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen" (Mt 11,28-29). In der Tat, welche Last drückt mehr zu Boden als die der Sünde? Welches Elend vereinsamt mehr als das des verlorenen Sohnes, wie der heilige Lukas es so eindrucksvoll beschreibt? Welche Begegnung hinterlässt dagegen einen tieferen Eindruck als die zwischen dem geduldigen und erbarmungsvollen Vater und dem Sohn, der zum Leben zuruckgefunden hat? „Es wird mehr Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen“ (Lk 15,7). Wer ist aber ohne Sünde, außer Christus und seine unbefleckte Mutter? Deshalb ist das heilige Jahr – mit der Einladung, durch die Buße zum Vater zurückzukehren - auch ein Aufruf, den Sinn und die Übung des Sakramentes der Wiederversöhnung neu zu entdecken. Als Erbe der besten religiösen Überlieferung möchten wir den Gläubigen und ihren Hirten in Erinnerung rufen, dass die Anklage der schweren Sünden notwendig ist, und dass die häufige Beichte eine Quelle der Heiligkeit, des Friedens und der Freude darstellt (9. Mai 1975, S. 527/528).

Das eigentliche Kennzeichen des Heroismus und der Kraft des seligen Leopold bestand in seinem Dienst im Beichtstuhl. Der verstorbene Kardinal Larraona, damals Präfekt der Ritenkongregation, schrieb 1962 in dem Dekret für den Seligsprechungsprozess von Pater Leopold: „Der Alltag seines Lebens sah wie folgt aus: Nachdem er in aller Frühe das heilige Messopfer gefeiert hatte, saß er im Beichtstuhl, wo er den ganzen Tag den Beichtwilligen zur Verfügung stand. Das hielt er ungefähr 40 Jahre durch, ohne die mindeste Klage...".

Und in erster Linie damit, so glauben wir, hat sich dieser bescheidene Kapuziner die Seligsprechung, die wir heute hier feiern, verdient. Er hat sich geheiligt vor allem durch die Spendung des Bußsakramentes. Gerade über diese Seite der Heiligkeit des neuen Seligen sind schon reiche und hervorragende Zeugnisse niedergeschrieben und publiziert worden. Uns bleibt nur, voll Bewunderung dem Herrn zu danken, dass er in unseren Tagen der Kirche eine so einzigartige Gestalt schenkt, die sich ganz dem Dienst des so gnadenreichen Sakraments der Buße hingibt; eine Gestalt, die einerseits die Priester zu einem Dienst ermahnt, der von solcher Wichtigkeit, von so aktueller pädagogischer Bedeutung und von so unvergleichlicher Spiritualität ist, und andererseits die Gläubigen - mögen sie nun eifrig, abgestumpft oder gleichgültig sein - erinnert, welch hilfreicher bedeutungsvoller Dienst auch heute noch, ja heute mehr denn je, die Ohrenbeichte für sie sein kann: nämlich eine Quelle der Gnade und des Friedens, eine Schule christlichen Lebens, ein unvergleichlicher Trost auf dem irdischen Pilgerweg hin zur ewigen Seligkeit.

Möge der selige Leopold die Seelen, die sich hingezogen fühlen zum geistlichen Leben, durch öfters Aufsuchen des Beichtstuhles trösten, auch wenn gewisse kritische Stimmen, die wahrlich nicht von christlicher Weisheit inspiriert scheinen, die Beichte heute gern als überholte Form der lebendigen, persönlichen, am Evangelium orientierten Spiritualität abtun möchten. Möge es unserem Seligen gelingen, viele, viele Seelen, die das trügerische, moderne Leben in der Welt abgestumpft hat, vor das sicher strenge Gericht der Buße zu rufen, das aber nicht weniger eine liebevolle, tröstliche Zuflucht der inneren Wahrhaftigkeit, der Wiedererweckung der Gnade und der Stärkung in echter christlicher Lebensweise ist, damit sie auf diese Weise die geheimnisvollen, wiedererwachenden Tröstungen der Frohbotschaft, des Gesprächs mit dem himmlischen Vater, der Begegnung mit Christus, der Erleuchtung mit dem Heiligen Geist erfahren und in ihnen die Sorge für das Wohl der anderen, für die Gerechtigkeit und Würde des Lebens neu erwache (2. Mai 1976, S. 248-249).

5. Zum Gewissen

Vorbemerkung

Zur charakteristischen Denkweise unserer Zeit gehört auch die Qualifizierung des persönlichen Gewissens für die eigene Lebensführung, und zwar in dem Sinn, dass die eigene subjektive Entscheidung über allen und unabhängig von allen objektiven Grundsätzen Vorrang genießt. Hier wird ein gewisses Freiheitsverständnis wirksam. Bei aller begrüßenswerten Betonung der Funktionen des Gewissens, welche heute immer mehr gesehen und betont wird, kann die Frage nicht umgangen werden: Schafft das Gewissen sich selbst seine moralischen Normen, oder muss es unabhängig von ihm vorgegebene Normen annehmen und anwenden? Im konkreten Fall der Geburtenregelung ist diese Themenstellung im Einzelfall sehr aktuell geworden. - Nochmals: ist das Gewissen die letzte Führung oder braucht es auch eine von außen kommende Führung? Was kommt dem Naturgesetz und der Vernunft hier an objektiver Bedeutung zu, welche Rolle eignet dem kirchlichen Lehramt in diesem Prozess?

Wenn es nicht um das psychologische, sondern um das moralische Gewissen geht, muss auch von der Tugend des Gehorsams geredet werden.

Gibt man sich mit der Psychoanalyse allein zufrieden, wird Gut und Böse auf die Maßstäbe der Ästhetik und Eudämonie reduziert. Wo ist der letzte Fixpunkt des Gewissens?

Welche Rolle spielt das Gewissen im Hinblick auf den inneren Auftrag zur Vollkommenheit, des Programms Gottes mit uns?

Wozu ist die uns Gott ähnlichmachende Gabe der Freiheit letztlich da? Schließlich muss nach der Überlegenheit und Einmaligkeit des Friedens gefragt werden, der allein vom Gewissen hervorströmt, das von Gott erleuchtet das Gute vollbringt.

Worte Papst Paul VI.

Wir suchen in unseren grundlegenden Überlegungen jene Punkte, in denen sich das Denken der Kirche mit der charakteristischen Denkweise unserer Zeit trifft. Einer dieser Berührungspunkte betrifft die Bedeutung des persönlichen Gewissens für die Ausrichtung der eigenen Lebensführung. Das heißt, die eigene sittliche Entscheidung soll Vorrang vor anderen, von außen kommenden Grundsätzen des HandeIns haben. Der Mensch ist frei und muss folglich in Freiheit das wählen können, was für ihn zu tun gut ist... Gründe, die von außen her mitentscheiden wollen, schränken nicht nur die Freiheit der Person ein, sondern können auch ihre innere Redlichkeit zerstören. Man sagt sehr richtig: Das Gewissen gibt verpflichtend die unmittelbaren Richtlinien für ein redliches Handeln des Menschen. Darum gibt es nichts Besseres, als dass die moderne Pädagogik versucht, das Gewissen des Menschen zum Tätigwerden anzuregen und es daran zu gewöhnen, sich in eigenständiger Weise zu äußern. Sie tut gut daran, dieser Äußerung große Bedeutung zuzumessen, indem sie diese als eine ausgesprochen persönliche und verantwortliche Entscheidung darstellt.

Dies ist aber genau der Punkt, an dem unsere Lehre die Auffassung vom Gewissen ergänzt und so zu einer vollständigen Darstellung des sittlichen HandeIns nach dem Gewissen kommt. Denn sie stellt fest, dass das Gewissen sich nach einer Norm zu richten hat, die von der objektiven Vernunft dargeboten wird, einerseits durch die intuitiv erfassten Grundbegriffe von Gut und Böse (Synteresis), andererseits durch die mehr ins einzelne gehenden Ableitungen der Vernunft (Naturgesetz). Daraus ergibt sich, dass sich das Gewissen seine moralischen Normen nicht selbst schafft, sondern sie anzunehmen und anzuwenden hat (Vgl. Röm 2, 14-15; 2 Kor 1, 12; Summa Theologiae I, 79, 13). Das Gewissen ist ein inneres Auge, das sieht. Es ist nicht von sich aus jenes Licht, das sehen lässt, oder besser, es ist nicht das, was wir tun müssen. Deswegen kann das Gewissen nur insofern Befehle erteilen, als es selbst gehorcht (vgl. Platon: Apologie des Sokrates: Das Wissen als moralische Verpflichtung). Dies kann sehr wichtig sein, wenn es richtig verstanden wird. Denn es macht uns darauf aufmerksam, dass das Gewissen eine Führung braucht, die ihm übergeordnet ist. Das ist eine Forderung, die sich aus der Vernunft ergibt; diese muss sich ihrerseits nicht nur durch die natürlichen Gegebenheiten belehren lassen, wenn dies überhaupt genügt, sondern auch durch den Glauben und das Lehramt, die dort Normen setzen, wo die Vernunft allein nicht ausreicht. Daran wollen wir zwei Bemerkungen anknüpfen. Erstens, wir müssen das rein psychologische Gewissen und die Erfahrung unseres persönlichen Lebens unterscheiden vom moralischen Gewissen, das allein uns im Urteil über Gut und Böse, Erlaubtes und Unerlaubtes leitet, und das allein uns in unseren freien, autonomen und verantwortlichen Entscheidungen trägt. Die andere Bemerkung macht uns die Existenzberechtigung einer Tugend deutlich, von der man heute nichts mehr hören will, nämlich des Gehorsams. Er löscht die Freiheit der Person nicht aus, sondern bringt sie erst zu sich selbst, und zwar dann, wenn die Ordnung der Dinge es rechtfertigt, dass der Wille eines anderen, nämlich der Autorität, unserem eigenen Willen ein vernunftgemäßes Handeln vorschlägt (24. Juli 1974, S. 98-100).

Der religiös ungebundene moderne Mensch versucht leider oft das sittliche Bewusstsein aus dem Spiel zu lassen, wenn er sich auf das Gewissen beruft, um sich den von außen kommenden Forderungen des Gewissens zu entziehen. Er beschränkt sich bei der Befragung seines Gewissens auf das erste große Kapitel mit der Überschrift: „Psychologisches Bewusstsein". Dieses ist aber, losgelöst vom sittlichen Bewusstsein, das in enger Beziehung zur religiösen Verantwortlichkeit steht, kein guter Ratgeber mehr. Es vermerkt nur innere und äußere Erfahrungen, die sich aus dem menschlichen Handeln ergeben, und gibt sich mit der heute so modernen Psychoanalyse zufrieden, die aber sittlich zu nichts verpflichtet und das sittliche Bewusstsein ganz außer acht lässt. Unterscheidendes Merkmal zwischen Gut und Böse ist dann nur noch das, was lustvoll, schön und gepflegt ist. Das Gewissen wird dann ersetzt durch gefährlichen Optimismus, der in seinen praktischen Auswirkungen dem Optimismus jener Menschen gleicht, die nicht mehr oder grundsätzlich niemals ihr eigenes menschliches Gewissen befragen, sondern unbedenklich dahinleben, glücklich darüber, sich alles erlauben zu können, was begehrenswert und möglich ist.

Man spricht heute viel vom Gewissen als der obersten und einzigen Norm für das eigene Verhalten. Wenn das Gewissen jedoch seine sittliche Orientierung verloren hat, das heißt sein Empfinden für das wahrhaft Gute und Böse, das nämlich nicht vom Fixpunkt des Absoluten, seinem religiösen Bezugspunkt, abgetrennt werden kann, wohin vermag es uns dann zu treiben? Zu welchem Missbrauch kann es uns dann ermächtigen? Wird dann das Strafgesetzbuch ausreichen, die Menschen anständig, ehrlich und gut zu machen? Und wird die korrekte Beachtung der Gesetze genügen? („... ich bin ein anständiger Mensch: ich tue niemandem etwas Böses; ich habe eine saubere Weste"). Ist das wirklich genug um dem Menschen sein wahres und ewiges Glück zuzusichern? Und was sollen wir dazu sagen, dass viele ihr sittliches Bewusstsein erstickt haben und einer irrationalen persönlichen Freiheit huldigen; einer Freiheit, der Leidenschaften, der Käuflichkeit oder Grausamkeit, oder sonst wie sich die Freiheit nehmen, gegen das göttliche Gesetz aufzubegehren? Kann Freiheit denn sündhafte Zügellosigkeit sein? Gott bewahre uns vor einem solchen Missbrauch des Gewissens! Würden wir dann nicht eines Tages, und zwar an jenem entscheidenden Tag unserer unmittelbaren und existenziellen Begegnung mit Gott, auf unser äußerstes Flehen die Antwort hören müssen: „Ich kenne euch nicht" (vgl. Mt 25, 12); (12. Febr. 1975; S. 24 u. 25).

Wir fühlen uns angezogen von der Vorstellung, unser Dasein neu zu ordnen, die Verfehlungen unseres Denkens und Handeins wieder gut zu machen, unserer inneren Haltung Vollkommenheit und Schönheit zu geben. Und da wir wissen, dass diese Neuordnung oder Erneuerung, wie wir lieber sagen möchten, nichts anderes ist, als unserer Persönlichkeit ein wahrhaft christliches Gepräge zu geben bzw. wiederzugeben, fragen wir uns wie der Jüngling im Evangelium, was wir hier und jetzt tun sollen. Es erhebt sich also in uns die innere und dringende Frage nach der Pflicht, das heißt nach jenen Erfordernissen des Handeins, des Tuns, des Wandeins, wie wir unserem Leben eine Form geben, die echten und höchsten Ansprüchen genügt – ja nach unserer Daseinsverpflichtung. Wir erkennen, dass in diesem Wort „Verpflichtung" das Geheimnis unseres Lebens liegt. Es genügt weder zu leben, noch zu sein, zu haben oder zu vermögen. Worauf es wirklich ankommt, ist unsere Antwort auf die Verpflichtung, auf den inneren Anruf zur Vollkommenheit. Nicht zu irgend einer Vollkommenheit im Bereich des Wissens, des Könnens, des Scheinens, des Erfolges, des Wohlstandes und des Genusses; vielmehr zu einer Vollkommenheit, die unserer Verpflichtung entspricht. Also eine Vollkommenheit, die allein uns wirklich als Menschen, als Christen ausweist. Das Grundproblem besteht darin, zu enträtseln, herauszufinden, was wir in sittlicher Hinsicht sein sollen. Das heißt: zu versuchen, so zu werden, wie es der Vorstellung entspricht, die Gott von uns hat - eine subtile, aber verständliche Frage. Wir müssen unsere vollkommene Unabhängigkeit erreichen oder zu erreichen trachten, in Übereinstimmung mit der Heteronomie (d. h. dem uns auferlegten Gesetz), in der sich der transzendente Wille Gottes äußert und sich unser wahres Sein verwirklicht. Das Programm unseres Seins in der Zeit ist, den Willen Gottes zu tun. Erinnert euch an das „fiat voluntas tua" - dein Wille geschehe - im Vaterunser. Jesus, der Herr und Meister unseres Lebens, antwortete im Evangelium dem Jüngling auf die Frage, was er tun müsse: „Halte die Gebote" (Mt 19, 17). Dies ist der eigentliche Sinn unseres Lebens. Dies muss die Parole unseres Gewissens sein, die wichtigste und unmittelbare Forderung an unser Tun...

Welchen Sinn hat für jeden von uns die innere Verpflichtung, die Gott für uns bereit hält? Was war die erste Reaktion des heiligen Paulus (damals noch Saulus) als ihm auf dem Weg nach Damaskus der Blitz Christi vom Himmel traf: „Herr, was willst Du, dass ich tue?" (Apg 9,6). So wollen auch wir versuchen, den Herrn, der vielleicht auf diese Begegnung ... gewartet hat, um uns mit dem Blitzstrahl seines Lichtes zu erleuchten, zu fragen: Was sollen, was müssen wir tun? Oder besser: Was muss ich tun? Hier nur kurz einige wichtige Hinweise: zunächst auf die Notwendigkeit, wenigstens in großen Zügen die Leitlinie zu bestimmen, d. h. was diese Verpflichtung unserem Leben abverlangt. Wir sagen das nicht, um damit eine Forderung zu leugnen oder gar beiseitezuschiebend, die im modernen Denken die größte Rolle spielt, nämlich die Forderung nach Freiheit, von der wir wissen, dass sie ein Vorrecht ist, das den Menschen Gott ähnlich macht (vgl. Gen 2,26). Aber wir wollen daran erinnern, dass das Geschenk der Freiheit der Suche und der Entscheidung für das Gute dienen muss, also der Verpflichtung, ja der Gottesliebe, die das höchste und wichtigste Gebot des Evangeliums ist (vgl. Mt 22, 37-40). Die Freiheit muss soviel wiegen wie die sittliche Verpflichtung, die spontan, aber großherzig und vollständig sein muss. Sonst wird sie zu einem Recht, aber zu einem egoistischen, einseitigen Recht mit allen unsozialen Folgen, die solche Ausschließlichkeit mit sich bringt. Oder sie entartet zu blinder Zügellosigkeit, zur Sklavin des Instinktes, und sicherlich nicht eines ausgeglichenen, auf die wahre Gestalt des Menschen gerichteten Instinkts. In der Sprache unserer Zeit begegnen wir zwei ausgezeichneten Ausdrücken, die gleichsam als Ersatz für das strenge Wort „Verpflichtung“ dienen. Gewissen und Verantwortlichkeit. Ausgezeichnete Ausdrücke, wenn sie die Wirklichkeit meinen, die diese Begriffe einschließen: die transzendente Wirklichkeit göttlichen Gesetzes und das natürliche und soziale Gefüge, in dem sich unser Leben abspielt. Gewissen, gut, wenn es sich nicht auf das psychologische oder egoistische Bewusstsein beschränkt, sondern auf das sittliche Niveau erhebt, das vom Licht Gottes erleuchtet wird. Verantwortlichkeit, gut, wenn sie die volle Sicht der Bindungen wahrt, denen wir Achtung schuldig sind, seien es nun solche persönlicher, sozialer oder religiöser Art (29. Okt. 1975, S. 137-139).

... Wir wollen jetzt eure Aufmerksamkeit auf den Frieden des Herrn in seiner ursprünglichen, personalen, innerlichen, sittlichen und psychologischen Bedeutung lenken, auf den Frieden der eins ist mit der Glückseligkeit, die Paulus unter den Früchten des Geistes, nach Liebe und Freude als gleichsam mit ihnen verschmolzen, aufzählt (Vgl. Gal 5, 22). Diese glückliche Verbindung ist unserer allgemeinen geistlichen Erfahrung nicht fremd, sie ist vielmehr die beste Antwort auf unsere Frage nach dem Stand unseres Gewissens, nämlich dann, wenn man antworten kann: mein Gewissen ist mit sich im Frieden. Was könnte es Besseres für einen gewissenhaften und ehrlichen Menschen geben? Ist der Friede des Gewissens nicht der schönste Trost, den wir in uns selber finden können? Übertrifft ein solcher Trost nicht jede andere Tröstung, jedes andere scheinbare Beruhigungsmittel, das uns von außen angeboten werden kann? Wer mit der inneren Überzeugung von eigener Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit leben will, müsste der nicht versuchen, sie im Grunde seines eigenen Gewissens, seines eigenen Herzens zu finden? Ist der Mensch nicht dann am unglücklichsten, wenn das eigene Gewissen ihn anklagt? Und ist es nicht eine Herabwürdigung des Menschen selbst, wenn leider allzu oft, auch mit Hilfe von Täuschungsmanövern, versucht wird, die elende Friedlosigkeit des eigenen Gewissens zu vertuschen, um sich selbst äußeres Ansehen und Würde zu verschaffen oder das eigene sittliche Empfindungsvermögen durch hemmungslose und forsche Permissivität um seine Kraft zu bringen? In erster Linie ist der Friede des Gewissens ein wahres Glück. Er verleiht uns Kraft in Widerwärtigkeiten. Er bewahrt den Adel und die Freiheit der menschlichen Person unversehrt auch in den schlimmsten Situationen, in die der Mensch geraten kann. Darüber hinaus bleibt der Friede des Gewissens der Rettungsanker, das heißt die Hoffnung auf die Wiedergewinnung unseres Selbst, auf die Wiedererlangung unserer Selbstachtung und auf unsere sittliche Wiedergeburt, wenn nämlich bei der Selbstbeurteilung die Verzweiflung sich unser bemächtigen möchte. Können wir aber allein mit unseren eigenen moralischen Kräften in den Besitz eines echten und nicht etwa nur eingebildeten Friedens des Gewissens gelangen oder ihn zurückgewinnen? Wer würde bestenfalls die Schuld, das schlechte Gewissen wegen des Geschehenen, hinwegnehmen? Wer kann eine wirkliche Sicherheit für die Zukunft garantieren? Es ist sehr schön gerade in dem Evangeliumsabschnitt, den wir hier betrachten (Lk 2, 14; vgl. Joh 14, 27), festzustellen, dass das erste Geschenk der auferstandene Christus seinen Jüngern macht, das einzigartige Geschenk des inneren Friedens ist. Es ist uns eine Freude, festzustellen, wie Jesus unverzüglich jenes Heilmittel, jenes Sakrament eingesetzt hat, das dem Gewissen den Frieden zu bringen vermag: das Sakrament der Vergebung, einer Vergebung, die uns zu neuem Leben erstehen lässt. Dieses Sakrament der Buße hat die Macht, unsere Sünden im Buch Gottes auszulöschen (Vgl. Joh 20, 23) und damit der Seele, das heißt ihrem wahren Wesen, das viel realer und notwendiger einer wunderbaren Therapie bedarf, als sie unser eigenes Gewissen - ein keineswegs immer vollkommener Spiegel für unser Inneres vor dem alles durchdringenden, unfehlbaren Blick Gottes - sein könnte, wieder Reinheit und neues Leben zu schenken (9. April 1975, S. 43 u. 44).

6. Zum heiligen Sakrament der Eucharistie

Vorbemerkung

Hier geht es um das „Geheimnis des Glaubens“ im ganz besonderen Sinne. Auf viele Fragen, die gerade in der so harten Diskussion um die heilige Eucharistie immer wieder und mit stets neuer Intensität geführt werden, gibt hier der Heilige Vater verbindliche Auskunft.

Während der Erörterungen der letzten Jahre konnte man den Eindruck gewinnen, dass das Wissen um Quellort und Wesen der heiligsten Eucharistie immer mehr aus dem klaren Bewusstsein vieler Christen schwindet. Was also ist das Wesen dieses größten aller Sakramente der Kirche? Was ist zu der akuten Frage „Mahl oder Opfer" zu sagen? Ist die Heilige Messe Abendmahl oder Kreuzopfer Christi? Stand im Abendmahlsaal, steht in unseren Kirchen ein Mahltisch oder ein Opferaltar?

Und dann ist da natürlich die nie verschwindende Frage nach der realen Gegenwart des Herrn unter den eucharistischen Gestalten. Welche Bedeutung hat diese Frage für das ganze Christentum? Was ist der eigentliche theologische Anlass für das Fronleichnamsfest?

Ist die Rede Jesu über das eucharistische Geheimnis im 6. Kapitel des Johannesevangeliums wirklich auch wörtlich zu nehmen?

Geht es in diesem Sakrament am Ende nicht doch nur um einen einfachen Hinweis, ein symbolisches Zeichen, eine äußere Darstellung, oder geht es um unendlich mehr? Warum hat Jesus zwei Gestalten gewählt? Warum wollte er Speise sein?

Viele Menschen unserer Zeit sind in ihrem Denken nicht darauf vorbereitet, etwas von dem Wunder, der ewigen Wahrheit und Lebendigkeit dieser Unendlichkeit religiöser Realitäten zu erfassen; sollte darum die Rede von der heiligsten Eucharistie hintantreten? Braucht die Menschheit ein Opfer, ein einmaliges ewig gültiges Opfer, obwohl viele Menschen das heute für unrealistisch halten, und darin überkommene, ja, im unchristlichen Opferbegriff begründete Verirrungen erblicken?

Kann uns das eucharistische Geheimnis auf das menschliche Leid, die persönliche Krankheit und Not eine Antwort geben?

Kann an die Stelle der Sinnlosigkeit des Leidens wirklich eine Verklärung des Leidens durch dieses Sakrament gesetzt werden? Ist Sühneleiden allein Sache Christi oder gibt es eine echte Einbeziehung unseres Leidens in das Sühnewerk Christi? Kann man wirklich von der erlösenden Wirkung unserer Schmerzen in Verbindung mit der heiligsten Eucharistie reden?

Warum muss dieses Sakrament als ein personales Geheimnis verstanden werden?

Gibt es wirklich eine Speise, die den uralten Menschheitstraum nach seliger Unsterblichkeit wahr macht? Was ist jenen zu sagen, die versucht sind zu meinen, Christus entspreche nicht den Bedürfnissen, Sehnsüchten und Geschicken des modernen Menschen und die Religion sei eine falsche Nahrung, praktisch hohl und leer?

Lässt der Blick auf das himmlische Brot den Hunger so vieler nach irdischer Nahrung vergessen, übersieht er all die legitimen Bedürfnisse des natürlichen Lebens?

Was ist von der heiligsten Eucharistie her zum sozialen Engagement, was zur Nächstenliebe zu sagen?

Welches ist das Fenster, durch das allein der Blick auf die Eucharistie möglich ist?

Und welchen Blick lehrt dieses Sakrament uns im Bezug auf das letzte Gericht?

Das alles ist etwa der Gedankenkreis, in welchem sich die päpstlichen Ausführungen bewegen.

Worte Papst Paul VI.

Wir wollen die geheimnisvolle Inhaltsfülle der eucharistischen Liturgie verehrend betrachten: ihren Quellort, der kein anderer ist als das letzte Abendmahl des Herrn; ihr Wesen, das im eucharistischen Opfer besteht; ihren Hinweischarakter auf das jüdische Pascha... jenes Unterpfand messianischer Verheißungen für das künftige Geschick dieses Volkes, ihre erneuernde Kraft, die ein Neues Testament, einen neuen Bund eröffnet. In diesem neuen Bund aber wird eigentlich eine neue religiöse Ebene erreicht auf der Gott und Menschheit einander begegnen können; zu solch erhabener Höhe, zu solcher Vollkommenheit sind wir gelangt durch die einzigartige, neue Opferhingabe Jesu Christi selber. Hier endet das Alte Testament, hier beginnt das Neue, hier wird die Begegnung mit Christus... zum Sakrament und allen zugänglich. Hier wird die bestimmende Absicht seines Erscheinens in dieser Welt in der Begehung der wichtigsten Heilsgeheimnisse seines Lebens... anschaulich in Handlungen und vernehmbar in unvergesslichen Worten: „Da nun Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater zu gehen, und da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zum Ende" (Joh 13, 11, das heißt, er liebte sie bis zum Äußersten, bis zur Hingabe seiner selbst... Unsere schwachen aber gläubigen Augen dürfen nicht müde werden in der Betrachtung dessen, was der geheimnisvolle Glanz des letzten Abendmahles vor uns aufleuchten lässt: eine Liebe, die sich im Opfer aussagt. Reine, volle, selbstlose, erlösende Liebe - das war die Liebe Christi zu uns Menschen. Und dieser letzte Abend seines irdischen Lebens gibt uns dafür die rührendsten, die tiefsten Beweise.

Dieser Jesus, der jetzt zur Rechten des Vaters thront, will unter uns sein im bleibenden Akt seines Opfers. Denn das ist es, worauf sein gemarterter Leib, sein vergossenes Blut am Kreuz hinweisen, wenn sie uns in den unblutigen Zeichen von Brot und Wein vor Augen treten. Da steht der Gekreuzigte vor uns, Schmerz und Liebe umfangen uns. Der Tisch wird zum Opferaltar: „Nehmt und esst, das ist mein Leib; nehmt und trinkt, das ist mein Blut." Das Wunder dauert an und setzt sich fort: „Tut das zu meinem Gedächtnis". Diese wundersame Vollmacht identifiziert und befähigt uns, in gewisser Weise mit Christus selbst seine sakramentale Gegenwart zu erneuern und die Seelen aus Sündentod in der Kraft seines wirksamen Erbarmens neu zu beleben... Zugleich und sogleich aber möge jenes andere Wunder der sakramentalen Vermehrung der Eucharistie aufstrahlen, die so durch unseren demütig-erhabenen Priesterdienst in unmittelbarer Fülle der Gemeinschaft mit Christus allen Gläubigen, die zu dieser unaussprechlichen Begegnung bereit sind, zugänglich wird (11. April 1974, S. 259-262).

Jetzt wollen wir sprechen über die wirkliche, geheimnisvolle, aber wahrhaftige Gegenwart Jesu, denn diese göttliche Gegenwart des Herrn verdient unsere ganze Aufmerksamkeit; sie bildet auch den hauptsächlichen Anlass zur Feier des Fronleichnamsfestes.

Wir fordern euch auf, eure ganze Aufmerksamkeit auf Jesus zu lenken, auf den Jesus des Evangeliums, auf den Jesus des letzten Abendmahles, auf Jesus am Kreuz, den auferstandenen Jesus, der nun in der himmlischen Herrlichkeit zur Rechten des Vaters sitzt, wie wir im Credo singen. Richtet nun also eure Gedanken gerade heute auf jene geheimnisvolle Wirklichkeit, die für unseren ganzen Glauben wesentlich ist, nämlich auf die Gegenwart des menschgewordenen Sohnes Gottes unter uns. Dieser Gedanke sollte euch zur Gewohnheit werden und euch immer neue Kraft geben. Schaut auf das Geheimnis der Menschwerdung, das uns erlaubt, den wahren Namen Jesu in den Mund zu nehmen, den Namen „Gott mit uns" (Vgl. Jes 7, 14; Mt I, 23) Nobiscum Deus. Und nun erkennen wir, wie in diesem Namen, der Jesus eigen ist, der ganze Heilsplan sichtbar wird, der Sinn seines Kommens in diese unsere Welt. Diese Absicht nimmt Gestalt an in einem Ausdruck, einem gewöhnlichen, oft entweihten Wort, das uns hier aber bis zum Gipfel der Gottheit hinaufweist. Es ist das Wort „Liebe". "Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab" für ihre Rettung (Joh 3, 16; vgl. Eph 2, 4; 5, 2; usw.). Unsere ganze Religion ist eine Offenbarung der Güte, der Barmherzigkeit, der Liebe Gottes zu uns. „Gott ist Liebe" (1 Joh 4,16), und zwar Liebe, die sich, verströmt und verschwendet. Alles ist in dieser erhabenen Wahrheit zusammengefasst, die alles erklärt und alles lichtvoll macht. Wir müssen die Geschichte Jesu in diesem Licht sehen: „Er hat mich geliebt", schreibt der heilige Paulus - und jeder von uns kann und muss das für sich persönlich wiederholen: „Er hat mich geliebt -" und hat sich für mich hingegeben" (Gal 2, 20). Nun begreifen wir auch etwas vom Geheimnis der heiligen Eucharistie. Die heilige Eucharistie ist das Geheimnis seiner Gegenwart, die wir der Liebe verdanken. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich werde zu euch kommen" sagte Jesus als er andeuten wollte, dass sein irdisches Leben zu Ende ging. Ein herrliches Versprechen, das nach der Auferstehung feierlich bekräftigt wird. Es offenbart uns Sinn und Wirklichkeit der Geschichte unserer Religion und der Menschheit. „Und ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt" (Mt 28,20). Gott ist mit uns; Christus ist bei uns! Das ganze Christentum kreist um diese Tatsache, es ist das Geheimnis dieser Gegenwart.

Wenn wir heute Abend hier sind, dann haben wir eben diese Absicht, in uns, in euch, in allen, die unsere Stimme hören, aufs neue die Glaubensüberzeugung von dieser echten, wenn auch übernatürlichen Wirklichkeit zu festigen: hier ist Jesus. Wo immer man die Eucharistie feiert, wird dieses „Geheimnis des Glaubens" geoffenbart und verkündet: hier ist Jesus der Christus, unser Erlöser. Er lebt in Wahrheit unter uns. Er ist gegenwärtig! Wenn wir diese herrliche und erschütternde Wahrheit in unser Bewusstsein dringen lassen, können wir nicht mehr gleichgültig, unbeeindruckt und ruhig bleiben. Diese Wahrheit lautet: Er ist hier! Als erstes fühlen wir uns zu Anbetung und jubelnder Freude gedrängt. Aber dann auch verwirrt. Was sollen wir tun? Was sollen wir sagen!? Sollen wir singen? Weinen? Beten? Oder besser schweigend das Geheimnis bedenken, wie Maria, die Schwester jener Martha, die so eifrig bemüht war, dem Herrn ihre Dienste anzubieten, während Maria sich dem Herrn zu Füßen setzte und seinen Worten zuhörte (Lk 10, 39). Von hierher entfaltet sich die Verehrung der heiligen Eucharistie.

Aber wir spüren auch ein anderes Verlangen in uns, nämlich eine berechtigte Wissbegierde. Die katholische Lehre, die Ausdruck unseres Glaubens ist, versichert uns: Christus, der lebendige, wahre, wirkliche Christus ist hier gegenwärtig. Und da stellen sich unserem Geist nun einige Fragen: Er ist gegenwärtig? Aber wie? Wo? Und warum? Kann man ihn etwa sehen? Sich ihm äußerlich nähern, ihn berühren, wie das Volk im Evangelium es tat (vgl. 1 Joh 1, 1)? Er ist verborgen, aber warum ist er verborgen? Und wie kann er gleichzeitig an vielen Orten gegenwärtig sein? Handelt es sich vielleicht um ein immer neues Wunder wie das der Brotvermehrung? Wie kann er Speise sein, von der man sich nährt? Brot und Wein werden verwandelt in Christi Fleisch und Blut: „Seine Rede ist hart", heißt es im Evangelium (Joh 6, 60). Hier nimmt die Theologie der Eucharistie ihren Anfang.

Ja, das Ganze ist schwer zu verstehen. Aber ihr wisst, dass Jesus unbeugsam an seiner Forderung festhielt, seine große Rede über das eucharistische (Wunder) Geheimnis wörtlich ernst zu nehmen (vgl. 6, 61 ff). Wir müssen glauben, glauben an das Wort Christi und auf Grund des Wortes Christi. Wir sagten eben schon, es ist ein Geheimnis unseres Glaubens. Aber es ist nicht gänzlich begreiflich, nicht für unseren begrenzten Verstand. Die gleiche Stimme kann von allen Ohren, die sie aufnehmen, gehört werden. Ebenso kann der eine Jesus in den vielen, ja unzähligen Hostien des eucharistischen Sakramentes, die ihn darstellen, gegenwärtig sein. Allerdings geht das nicht ohne ein göttliches Wunder. Es besteht darin, dass es sich hier, weil die Macht Gottes eingreift, nicht nur um einen einfachen Hinweis, ein symbolisches Zeichen, eine äußere Darstellung des Sakramentes handelt, sondern darum, dass sich eben in dieser Gestalt, nämlich von Brot und Wein, eine Wirklichkeit verbirgt, die an die Stelle der Substanz von Brot und Wein tritt, nämlich die Wirklichkeit Jesu selbst, sein Leib und sein Blut, mit einem Wort, er selbst freilich verhüllt von den sichtbaren Gestalten (vgl. heiliger Thomas III. 73, 6). Gerade hier, wo vieles unsere Erfahrung und Verstandeskraft übersteigt, beginnen wir zahlreiche, wunderbare Dinge zu begreifen, die uns verstehen lassen, wenn schon nicht wie, so doch warum Jesus zum eucharistischen Sakrament werden wollte. Warum? Um allen gehören zu können. Auf diese außergewöhnliche Weise hat er sich vervielfältigt, um jedem von uns nahe sein zu können. Dann aber will er aus uns allen auch ein einziges Ganzes, seinen mystischen Leib, die eine Kirche machen (1 Kor 10, 17). Doch unser Fragen bohrt weiter. Warum bietet sich Jesus uns gerade als Speise an? Ist es nicht seltsam, ja undenkbar, dass Christus für uns zur Speise werden wollte? Hier stehen wir erneut vor einer wunderbaren Wirklichkeit. Christus ist zur geistlichen Speise geworden, um uns zu zeigen, dass wir ihn notwendig brauchen - ohne Speise kann man nicht leben. Er ist wahrhaft Nahrung für unser Inneres, unsere Person, Nahrung, die ewiges Leben bedeutet; wir alle brauchen diese Nahrung, und wenn wir wollen, können wir uns zum Glück alle damit nähren, mit ihm in Gemeinschaft treten und eins werden. Unser jetziges Leben wird durch diese Nahrung innerlich gekräftigt, sie verheißt uns aber auch die unsterbliche Fülle der Ewigkeit.

Noch eine weitere Frage erhebt sich. Warum wollte Jesus bei diesem Sakrament zwei verschiedene Gestalten, nämlich Brot und Wein, obwohl es doch sichtbare Hüllen für einen ganz anderen, wesentlichen Inhalt sind? Nur um unter diesen Gestalten Hunger und Durst unserer Seelen mit Speise und Trank zu stillen? (vgl. heiliger Thomas, III, 73, 2). Ja. Aber die Antwort müsste eigentlich noch mehr und Schwieriges sagen. Ihr als gläubige Christen kennt sie freilich schon, etwa so: Jesus wollte diesem Sakrament die Bedeutung eines doppelten Opfers geben. Einmal sollte es stellvertretend für das hebräische Paschaopfer dastehen. Deswegen machte sich Jesus selbst zum Lamm, das uns Befreiung wirkt. Dann sollte dies Sakrament im Zeichen sein Kreuzesopfer darstellen, das aus dem gemarterten Leib das Blut unserer Erlösung fließen ließ. Jesus ist in der heiligen Eucharistie das Opferlamm, welches in sich das einzige gültige Erlösungsopfer wiederspiegelt, nämlich das Opfer am Kreuz, und wenn wir kommunizieren, werden wir an diesem Opfer beteiligt und so der Früchte des Erlösungsopfers Christi teilhaftig.

Welch großartige Zusammenhänge! Wie viel Geheimnisse strömen in diesem Mysterium zusammen, das im Mittelpunkt unseres Glaubens an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie steht!

In der heiligen Eucharistie geht es um eine Gegenwart, die einlädt. Jesus lädt uns ein wie ein Freund, indem er sich uns schweigend nähert, er wartet unermüdlich, bereit alle zu empfangen. Er lädt uns zu einem Mahl, das zugleich eine einzigartige Feier der Einheit, des Leidens, und der Liebe ist. Die Einladung gilt vor allem jenen, die am meisten zu leiden und zu tragen haben; den Armen, denen die weinen, den Einsamen und Verlassenen, den Kleinen und Unschuldigen. Jesus ruft sie und lädt sie ein. Seine Stimme erreicht auch die Fernstehenden, die Enttäuschten, die Flüchtenden, die vom rechten Weg abgekommen sind. Kommt, der Zugang ist frei für alle, die ihre Sünden bereuen und glauben. „Kommt", sagt er, „im bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6). Dieses ist seine Stimme, die heute noch aus diesem von Schweigen umgebenen Sakrament sich vernehmen lässt, weil er hier mitten unter uns gegenwärtig ist. An seinem heutigen Fest ruft er, vor dem ganzen Volk erhoben, mit all seiner göttlichen und menschlichen Eindringlichkeit uns zu, wie er schon im Evangelium, auf dem Wasser wandelnd, im nächtlichen Sturm den Jüngern zugerufen hat: „Habt Vertrauen; ich bin es, habt keine Angst!" (Mt 14, 27) Kommt! (13. Juni 1974, S. 288-292).

Die sühnende, befreiende und erlösende Bedeutung des geschlachteten Lammes... wird ausgedeutet und zusammengefasst in einem neuen Opfer, einerneuen Opferspeise. Jesus erklärt, dass er selbst mit seinem Leib und seinem Blut der Geopferte und der Opfernde ist... in Fortführung des vollbrachten und erlittenen Opfers. Er wird zur Speise all derer, die die Anlage und den Hunger für das ewige Leben haben... Aus jenem schmerzvollen und liebevollen Abendmahl entspringt das eucharistische Opfer. . Er offenbarte sich als das wahre, das einzige Osterlamm durch sein Wort: „Das tut zum Gedenken an mich" (1 Kor 11,24).

Bei jeder Heiligen Messe, bei jeder Erneuerung des eucharistischen Opfers wiederholen wir jenes Wort, das neben die Einsetzung des Sakramentes der geopferten Gegenwart Christi, die Einsetzung eines weiteren Sakramentes stellt, nämlich des Dienstamtes des Priesters. In eben diesem Priestertum ist das Gedenken an das letzte Abendmahl und an das Opfer am Kreuz nicht einfach nur ein Akt religiöser Erinnerung, sondern ein geheimnisvoller, wirksamer und wirklicher Nachvollzug dessen, was Jesus beim letzten Abendmahl und auf dem Kalvarienberg vollzogen hat. Es ist ein getreues Abbild seines einmaligen Opfers, das in geheimnisvoller Weise die Entfernungen von Raum und Zeit überwindet und seine Erneuerung findet in unserer Heiligen Messe. In ihr ist das eucharistische Opferlamm gegenwärtig und handelt; obschon es jetzt zur Rechten des Vaters in der Glorie herrscht, ist es doch für uns in seiner Opfer- und Erlösungstat... zugegen. Es ist ein Geheimnis des Glaubens... und wir werden es immer anbeten und mit unerschöpflichem Eifer betrachten (27. März 1975, S. 232 u. 233).

Jesus eröffnete sein Ostermahl am Gründonnerstag mit Worten voll tiefer Bewegung, liebevoller Zärtlichkeit und ergreifender Sorge um sein Vermächtnis für die Zukunft: „Wie sehr habe ich sehnsüchtig verlangt, dieses Ostermahl mit euch zu essen, bevor ich leide" (Lk 22, 15). Er redet in einer ebenso innig vertrauten, wie eindringlichen Weise und teilt Wein und Brot aus... wobei er aber in einer radikal neuen und anderen Weise das Wesen von Brot und Wein bestimmt, die nun wahrhaft sein Leib und sein Blut sind. Das Mahl wird zum Opfer, in dem das eben verzehrte Paschalamm seine jahrhundertealte geschichtliche Bedeutung ... abgibt an das gegenwärtige, wahre, von den Propheten verkündete und selber in die Zukunft weisende Opferlamm, das allein für alle und für immer Erlösung schenkt (29. Mai 1975, S. 307).

Ein Anruf an alle Verantwortlichen und geistlichen Leiter der christlichen Gemeinschaften: Sie sollen sich nicht scheuen, gelegen oder ungelegen, auf die treue und frohe Teilnahme der Gläubigen an der sonntäglichen Eucharistiefeier nachdrücklich hinzuweisen. Wie können Sie diese Begegnung, dieses Festmahl vernachlässigen, das uns Jesus in seiner Liebe bereitet? Es ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, der Sie mit sich in die Erneuerung seiner Auferstehung führen will. Es ist hienieden der Höhepunkt des Liebesbundes zwischen Gott und seinem Volk: Zeichen und Quelle der christlichen Freude und Vorbereitung auf das ewige Fest (9. Mai 1975, S. 538).

Wir feiern heute das Fest „Corpus Domini", das Fronleichnamsfest. Die Kirche hat dieses Fest eingesetzt, als Rückerinnerung an den Gründonnerstag, denn sie ist überzeugt, dass es ihr niemals gelingen wird, den ganzen Reichtum dieses eucharistischen Geheimnisses auszuschöpfen und begreiflich zu machen. Wir wollen dazu durchaus nichts neues sagen. Doch was wir als Thema für unsere Meditation über die Eucharistie auswählten, wird nicht nur unser Denken und unsere Andacht neu beseelen, es geht auch derart über das Maß unseres theologischen Fassungsvermögens und unserer Kraft zur Anbetung hinaus, dass es unser Herz mit frohem Erstaunen erfüllt und in ihm den Wunsch verstärkt, mehr davon zu begreifen. Denn Eucharistie ist Opfer. Damit ist schon alles gesagt - und doch: Was für eine übernatürliche, alle Grenzen sprengende Wahrheit haben wir damit verkündet! Die Eucharistie ist das Kreuzesopfer Christi, das in der Heiligen Messe in unblutiger Weise, aber in seiner ganzen Wirklichkeit in Erinnerung gerufen, erneuert und verewigt wird (Vgl. Denz-Schön 802, 1740-1741).

Viele Menschen unserer Zeit sind in ihrem Denken nicht darauf vorbereitet, etwas von dem Wunder, der ewigen Wahrheit und Lebendigkeit dieser Unendlichkeit religiöser Realitäten zu erfassen. Man muss schon in die Geheimnisse der Liebe Gottes eingeführt sein, um wie die Heiligen, also die gläubigen Christen, die Fülle und Weite, die Höhe und Tiefe, - wir würden am liebsten sagen, die unermesslichen Dimensionen - der Liebe Christi begreifen zu können, die, wie der heilige Paulus schreibt, alles Erkennen übersteigt (Eph 3/ 17-19). Was ist die Liebe? Die Liebe ist Gott selber, dessen Existenz der Mensch in seiner Erkenntnisschwäche nicht selten in Zweifel zieht. Und doch ist Er der Ursprung aller Dinge, und zwar in der Weise Ursprung, dass er sich Vater nennt. Dieser Vater hat die Welt, die Menschheit, jeden von uns so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab (Joh 3, 16) ... um uns zu erlösen. Aber wer denkt heutzutage noch ernstlich daran, dass der Mensch Erlösung braucht? Und doch ist es so. Der Sohn des lebendigen Gottes „hat für uns und unsere Erlösung" unser Fleisch angenommen, wie es in unserem Glaubensbekenntnis heißt.

Er hat sich geopfert? Gibt es denn noch eine Religion, die in Opfern ihren Ausdruck findet? Nein. Die Opfer des Alten Bundes und der heidnischen Religionen haben keine Daseinsberechtigung mehr. Doch ein Opfer, ein angemessenes, einmaliges und ewig gültiges Opfer braucht die Welt immer für die Erlösung des Menschen von der Sünde, (dies ist eine weitere Wahrheit, über die der moderne Unglaube beklagenswerterweise hinweggehen möchte). Dieses Opfer ist das Kreuzesopfer Jesu Christi, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Die Eucharistie macht dieses Opfer zu allen Zeiten gegenwärtig und ermöglicht es den Menschen auf Erden, daran teilzuhaben. „Seht das Lamm Gottes, seht ihn, der die Sünde der Welt hinwegnimmt“, ruft der Prophet und Vorläufer in der Wüste, als er Jesus von Nazareth kommen sieht (Joh 1, 29). Wir sagen es noch einmal, diese Unendlichkeit religiöser Wahrheit ist nur durch das Fenster des Glaubens zu erschauen von Menschen, die sie betrachtend durchdringen oder sich ihr öffnen wie unmündige Kinder (vgl. Mt 11,25). Ein Geheimnis des Glaubens. Christus ist unter den Gestalten von Brot und Wein mit Leib und Blut als das Opfer gegenwärtig; er ist nicht nur von uns Sündern, sondern auch für uns gekreuzigt worden und hat uns zu Tischgenossen seines Opfermahles gemacht, welches zum Sakrament des Lebens geworden ist. Ein Geheimnis des Glaubens ist das! Es blendet unser Auge, erleuchtet aber auch die tiefe, die wesentliche Bestimmung unseres Lebens. Und dabei eröffnet sich uns eine neue Offenbarung. Sie eröffnet sich besonders denen, die unter dem Eindruck eines körperlichen Leidens auch noch von dem seelischen Leiden eines düsteren Pessimismus gequält werden. Auf diese Weise verdoppelt sich der Schmerz des Kranken oder Verwundeten, der vor sich hingrübelt: wozu das Leid? Was für einen Sinn hat das Leiden? Diese Menschen sind versucht, hinauszuschreien: Der Schmerz ist absurd! Der Schmerz ist nutzlos! Der Schmerz ist unerträglich! Hier tut sich eine neue Offenbarung auf und lässt uns in Christus die Verklärung des Leidens erkennen, wenn wir diesem Leiden die Bedeutung des Opfers geben. Solchen Opfergeist hat Christus seinem Leiden verliehen und hat es damit zu einer Quelle des Heiles und der Verherrlichung der Liebe emporgehoben. Kann ähnliches nicht auch mit unserem Leiden geschehen? Ja, geschieht dies nicht in der Tat, wenn Glaube und Liebe unsere Leiden tragen und verklären? Können nicht auch wir dem Schmerz einen Sinn, einen Zweck, einen Nutzen, ja letztlich eine Liebe verleihen, die seine Härte mildert und ihm eine ungeahnte Bedeutung schenkt - denselben Wert der Sühne und der Erlösung, wie ihn das Kreuz Christi besitzt. Wohlbekannt ist die Antwort des heiligen Paulus aus seinem Brief an die Kolosser: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch trage. Für den Leib Christi, die Kirche, erfülle ich in meinem irdischen Leben das Maß seiner Leiden“ (Kol 1, 24). Und bewirkt nicht das Wissen, dass die Heilige Eucharistie das Sakrament des Leidens Christi ist, dass ,sie für uns subjektiv zum besten Trost und objektiv zum höchsten Wert in unserem Leiden wird? Schafft sie nicht vielleicht eine Gemeinschaft zwischen unserem menschlichen Leiden und dem menschlich-göttlichen Leiden Christi? Verleiht sie nicht unserem Schmerz einen höheren, göttlichen Sinn, einen Nutzen, der sich auf die Gemeinschaft zwischen Menschen und Heiligen übertragen lässt? Die Heilige Eucharistie erhält auf diese Weise eine Bedeutung und einen Verdienst, das für uns, die wir mit dem eucharistischen Christus verbunden sind, den Urteilsspruch des heiligen Augustinus gegen die Heiden auslöscht: „Ihr habt den Nutzen des Leidens verkannt und seid elend und unglücklich geworden“ (De Civ. Dei, 1,33).

Hier schließt unsere Ansprache und lässt euch allen diese eucharistische Botschaft: Unser Schmerz kann erlösende Wirkung haben in der geistigen und sakramentalen Gemeinschaft mit dem Leiden Christi, das der verherrlichte Christus auch heute noch für uns in dem geopferten Christus der Eucharistie gegenwärtig werden lässt - für uns zur Lehre, für uns ein Vorbild und Trost, für uns eine Nahrung und ein Unterpfand für das ewige Leben: „Ich bin das Brot des Lebens... Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist... Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag“ (Joh 6, 48; 51, 54); (17. Juni 1976, S. 281-283).

Das Geheimnis der Eucharistie ist vor allem ein personales Geheimnis: personal wegen seiner göttlichen Gegenwart - der Gegenwart Christi: das Wort Gottes ist Mensch geworden; personal aber auch, weil die Eucharistie für uns alle bestimmt ist, für jeden von uns. Deshalb ist Christus lebendiges Brot geworden, hat sich im Sakrament vervielfältigt, um jedem Menschen, der ihn empfängt, der ihn würdig empfängt, verfügbar zu werden und ihm die Türe des Glaubens und der Liebe zu öffnen. Geheimnis des Lebens! Christus sagt: „Wer von diesem Brot isst, wird leben" (Joh 6, 51).

Geheimnis des Schmerzes, ja und Geheimnis des Todes! Geheimnis, des Opfers, das Christus zu unserem Heil dargebracht hat! Geheimnis des Kreuzes, das im Sakrament verehrt und erinnert wird, das uns teilhaben lässt am Opfer des Herrn, damit wir an seiner Auferstehung teilhaben: Heute in der Zeit als Nahrung auf unserer irdischen Pilgerfahrt, und morgen, im kommenden Leben, als unsere ewige Glückseligkeit.

Geheimnis der Liebe: „Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot" (1 Kor 10,17) und leben deshalb aus dem gleichen Geist, eine Familie von Brüdern und Schwestern, die in Solidarität miteinander verbunden sind (Vgl. Eph 4, 16), die man daran erkennt, dass sie Christi Jünger sind, wenn sie Liebe zueinander haben (vgl. Joh 13, 35); (8. August 1976, S. 301/302.).

Das einzigartige Brot, von dem wir hier sprechen, ist Christus, - Christus selbst, der nicht nur dargestellt und im Zeichen, sondern wirklich und persönlich im Sakrament der Eucharistie gegenwärtig ist, dem unblutigen aber wirklichen Gedächtnis an sein einmaliges Erlösungsopfer.

Der Rahmen der realen Existenz, der für alle Menschen gilt, lässt sich in einem sinnbildlichen Ausdruck wiedergeben: der Mensch ist ein Lebewesen, das Brot braucht, das ihn nährt und erhält, das seine immer bedürftige und hinfällige Existenz erweitert und verlängert, eine Existenz, die nach Kraft zur Erhaltung und Erweiterung sucht, aber verurteilt ist, die eigene Unfähigkeit und Hinfälligkeit zu erfahren, bis hin zum unausweichlichen Tod. Es gibt auf dieser Erde kein Brot, das uns genügt, es gibt kein Brot dieser Erde, das unsterblich macht.

Und hier das göttliche Wort des Herrn Jesus: „Ich bin das Brot des Lebens. Wenn einer von diesem Brote isst, wird er in Ewigkeit leben“ (Joh 6, 48-51). Das menschliche Leben hat für den, der an das Wort Christi glaubt, in Christus seine Erfüllung, sein Pfand für das ewige Leben. Wie das gewöhnliche Brot seine Beziehung zum außergewöhnlichen, so hat Christus, das außergewöhnliche Brot, seine Beziehung zum außergewöhnlichen, unermesslichen Hunger des Menschen, der fähig, ja ungeduldig ist, sich dem Anhauch der Unendlichkeit öffnen zu können (vgl. Aug. Bekennt. 1, 1).

Wir sind oft in der Versuchung, zu meinen, Christus entspreche in Wirklichkeit nicht den Bedürfnissen, den Sehnsüchten, den Geschicken des Menschen, speziell des modernen Menschen, der sich häufig der Illusion hingibt, für eine andere höhere Nahrung geboren zu sein als für diese göttliche und dem es gelungen sei, sich an anderen Errungenschaften zu sättigen, die nicht die des Glaubens sind, das heißt der vermutet, die Religion sei eine falsche Nahrung, praktisch hohl und leer.

Nein, Christus verhüllt sich nicht in Speise und Trank, um unseren höheren Hunger zu enttäuschen, sondern bekleidet sich mit dem Schein irdischer Speise, nicht nur damit wir die legitimen Bedürfnisse des natürlichen Lebens erkennen und ihnen gerecht werden. Er war es, der vor der Verkündigung, dass er selber das Brot des Himmels sei, das irdische Brot vermehrte bis zur Sättigung all derer, die ihm, um ihn zu hören, in eine unbewohnte Gegend gefolgt waren und nichts zu essen hatten (vgl. Joh 6, 11 ff). Und er war es, der an die Menschheit die unvergleichliche Einladung richtete: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ (Mt 11, 28).

Und er ist es, der, nicht mehr unter der Gestalt von Brot und Wein, sondern unter der jedes menschlichen Wesen, das leidet und in Not ist, am Jüngsten Tag, dem des Endgerichtes, enthüllen wird, dass immer, wenn wir einem geholfen haben, wir ihm, Christus, geholfen haben. „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben..." (Mt 2 5, 35).

So wird die Eucharistie für uns nicht nur die Speise für unsere Seelen, sie wird ein Ansporn der Liebe zu allen Brüdern (erinnern wir uns an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter - Lk 10,33 ff), die Hilfe brauchen, Verständnis, Solidarität, und verleiht dem sozialen Engagement Energie, Idealismus und Hoffnung, die solange Christus in der Eucharistie unter uns ist, niemals nachlassen werden. Christus ist das Brot des Lebens. Wir brauchen Christus, jeder Mensch, jede Gemeinschaft, jede wahrhaft soziale, das heißt auf Liebe und Selbstverzicht gründende Tat zum Heil der Welt. Wir brauchen Christus so notwendig wie Brot (8. August 1976, S. 303-306).

Die eucharistische Wirklichkeit ist etwas Erhabenes und Alltägliches, etwas Ungewöhnliches und Gewöhnliches zugleich. Sie zwingt uns in einer wahrhaft übernatürlichen Atmosphäre zu leben, auch wenn unser Dasein jetzt noch irdisch-zeitlichen, gewöhnlichen Charakter hat und dem Tode geweiht ist. Wieder einmal fasst ein Wort des heiligen Augustinus diesen menschlichen Dualismus des von der Eucharistie genährten christlichen Lebens zusammen: „Sie vive ut quotidie possis sumere" – „lebe so, dass du täglich diese Speise empfangen kannst" (Cath. ad Par. De Euch. Sacr. 60). Diese von der Nähe und leichten Zugänglichkeit der eucharistischen Begegnung geprägte und angeregte Spiritualität kann zur Quelle eines so echten Christseins werden, dass ein wahrhaft gläubiger Mensch es zu seinem Programm machen sollte -. Wenn wir die heilige Eucharistie in unser tägliches Leben einbeziehen, ergibt sich eine zweite Folgerung, die unsere Beziehungen der Eintracht und Güte zu den Menschen betrifft, mit denen wir zusammenleben. Jesus lehrt uns, dass wir keinen Akt der Frömmigkeit würdig vollziehen können, wenn wir nicht mit unserem Bruder versöhnt sind (vgl. Mt 5, 23). Wie sehr hätte sich die Welt schon verändert, wenn diese für den Empfang der heiligen Eucharistie geltende Regel tatsächlich zur Anwendung käme! (Gen. Aud. vom 15. Juni 1977, ORD vom 24. Juni 1977, S. 12).

7. Zum heiligen Sakrament der Priesterweihe

Vorbemerkung

Wenn auch keine umfangreichen, so sind doch einige wichtige Aussagen des Papstes zum Priestertum im Folgenden zusammengestellt; dabei geht es um Antworten zu den Schwerpunktfragen der heißen Diskussion um das priesterliche Amt in der Kirche. Zunächst sieht der Heilige Vater das Priestertum unter dem Aspekt des Missverständnisses seitens der Welt. In den Augen der Welt ist die Nachfolge des Gekreuzigten eine Torheit, vor Gott freilich wahre Weisheit.

Die Identität des Priesters ist in der apostolischen Lebensweise zu finden.

Dem Papst ist auch die qualvolle Suche vieler Priester nach der eigenen Dimension in der Gesellschaft nicht fremd. Er kennt auch die Gefahr, im Sozialen, Politischen oder Pragmatischen aufzugehen, ebenso wie die der Auslieferung an den säkularen Geist.

Was nun ist die einzige wahre Identität des Priesters, was seine Bestimmung?

Der Heilige Vater kommt dann auf die Pflicht zur ständigen Fortbildung zu sprechen. Hier steht an erster Stelle die geistliche Fortbildung des inneren Lebens, das Streben nach Vollkommenheit, der vertraute Umgang mit Gott. Dazu muss die pastorale Fortbildung kommen, um in der Seelsorge ankommen zu können. Die theologische Fortbildung muss die Wurzel im Glauben und den Hinblick auf die konkrete Gegenwart einbeziehen.

Welche Aufgabe haben hier phänomenologische Studien, welche Bedeutung Tradition und Offenbarung? Auch auf die Notsituation des Priesternachwuchses wird eingegangen. Wo sind die letzten Ursachen dieser Krise? Welche Bedeutung haben dabei die Verzettelung des Geistes, das betrachtende Gebet, die Verweltlichung, die Theologie der Verunsicherung und Problematik und die Sicherheit im Glauben? Was muss geschehen, um die Berufungen zu fördern, und zwar bezüglich des Priesterbildes, der inneren Pflege und der Frömmigkeit und des Gebetes? Die wesentliche Wahrheit und das Geheimnis des Priestertums stellt der Papst unter drei Punkten dar: Berufung, Priesterweihe, Sendung.

Die Berufung von Gott durch Christus in der Kirche ist der Ausgangspunkt. Es ist auch gut, über das Glück zu reden, das hierin liegt.

Was ist zu dem Gedanken eines Priesters zu sagen, der glaubt, sich in seiner Berufswahl geirrt zu haben? Was bedeutet, was bringt die Priesterweihe mit sich?

Was ist die Wirkung der sakramentalen Handlung, die das Wesen, die Wahrheit, das übernatürliche Neue des Weiheritus ausmacht? Was ist zu den Vollmachten des Priesters zu sagen, hat er wirklich göttliche Vollmachten, die über unsere Fassungskraft hinausgehen?

Welche Sendung kommt dem Priester zu in der Kirche, in der Gesellschaft?

Wo sind die Quellen für die Förderung der sozialen Gerechtigkeit durch den Priester?

Braucht die Welt heute noch Priester?

Welche Bedeutung kommt dem persönlichen Verhältnis, dem Bilde zu, das der Priester von der Mutter Kirche hat?

Hat das 2. Vatikanische Konzil, obwohl es das Gegenteil wollte, den Ausbruch von Zweifeln und Unsicherheit begünstigt, welche aus dem protestantischen Erbe der Reformation stammen?

Die meisten Priester sind auch heute noch in einer Pfarrei tätig. Ist nun die Pfarrei nach allen Umwälzungen unseres öffentlichen Lebens noch eine moderne Form?

Gibt es angesichts der vielen Gremien heute noch eine personenbezogene Stellung des Priesters?

Diese und andere Fragen beantworten die folgenden Auszüge aus Papstansprachen.

Die Worte Papst Paul VI.

Unsere besondere Sorge gilt auch unserem geliebten Klerus. Alle sind aufgerufen, sich erneut mit den Forderungen ihrer Berufung zu konfrontieren. Alle sind eingeladen, dem gekreuzigten Christus noch enger nachzufolgen, der heute ebenso wie zur Zeit des heiligen Paulus Ärgernis und Torheit ist, aber dennoch für alle von Gott zur Weisheit, Gerechtigkeit, zur Heiligung und Erlösung bestellt worden ist (vgl. 1 Kor 1,18-31). Wir fordern sie auf, in ihm allein und in der apostolischen Lebensweise ihre Identität zu finden.

Wir wissen darum, dass eine zuweilen qualvolle Suche nach der eigenen Dimension in der Gemeinschaft verschiedene Priester dazu geführt hat, den eigenen Auftrag mit einer verschwommenen sozialen, politischen und pragmatischen Sendung zu vermischen, was sie dann dazu verführt hat, sich mit der Welt zu tarnen und sich an ihren säkularen Geist auszuliefern. Wir möchten aber allen Priestern, zur Ermutigung der Eifrigen und zur Ermahnung der von Unruhe getriebenen, sagen, dass für uns die einzige Identität diejenige ist, die wir mit Christus haben. Er ist unser Vorbild. Er, der arm und demütig gewesen ist, der geopfert wurde und nur auf ;die Ehre des Vaters und das Heil der Seelen bedacht war. Dies sind die Tugenden, die das Herz Christi entfacht haben: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes als dass es brenne" (Lk 12,49).

Wie Jesus und die Apostel stehen die Priester im vorbehaltlosen Dienst Gottes und der Menschen. Das ist ihre Bestimmung. Von daher ergibt sich für sie auch die Pflicht zur ständigen Fortbildung, die ihnen als ein fortwährendes „Wachsen" auferlegt ist. Geistliche Fortbildung um ihr inneres Leben zu bereichern, um sich in der Frömmigkeit zu vervollkommnen und in den vertrauten Umgang mit Gott einzuüben im ständigen Bemühen um Buße und innere Erneuerung, pastorale Fortbildung, indem sie im Lichte der Dokumente des zweiten Vatikanischen Konzils suchen und sich fragen, wie sie wirksamer der Welt dienen können, in der sie zu leben und im Namen Christi zu wirken berufen sind. Theologische Fortbildung, die im Glauben begründet und den Zeiten angepasst ist und die ihnen helfen soll, die Welt besser zu verstehen. Dies geschehe nicht nur durch phänomenologische Studien. Sie sollen sich vielmehr durch die Lebenskraft der Offenbarung und der Überlieferung stärken, um eine gesunde Geistesbildung zu erhalten und so wirklich Sauerteig zu werden und der Welt das Licht Christi zu bringen.

Während wir über die Lage des Klerus sprechen, können wir ein Problem nicht schweigend übergehen, das allen Priestern in der ganzen katholischen Gemeinschaft am Herzen liegen muss, weil davon zum großen Teil die Zukunft der Kirche abhängt, gemeint ist das der Berufungen. Die Krise unter der diese leiden, erfüllt mit uns zusammen auch die Mitbrüder im Bischofsamt und die Verantwortlichen der männlichen und weiblichen Ordensgemeinschaften mit großer Sorge. Der eindringliche Aufruf durch das Heilige Jahr zur Heiligkeit des Lebens – zu einer Rückkehr nämlich zur Fülle eines verantwortungsbewusst bekannten Glaubens und zu einer lauteren menschlichen und christlichen Lebensweise, zur inneren Besinnung und zum Gebet, das die Grundlage des christlichen Handelns ist - trägt uns unausweichlich die Verantwortung auf, über die Ursachen einer so schmerzlich empfundenen Situation nachzudenken. Mehr allgemeine Ursachen: an erster Stelle vor allem jene „Verzettelung des Geistes", von der schon der heilige Bernhard sprach und die im modernen Menschen sich dahin auswirkt, dass sowohl die Zeit, wie auch der Sinn für eine ganz gesammelte Betrachtung fehlt, für jenes innerliche Schweigen, mit dem allein es möglich ist, sich selbst wahrhaft zu erkennen und die Stimme zu vernehmen, die für manche die überzeugende Einladung bedeutet: „Komm, folge mir!" Ferner die weitverbreitete Verweltlichung, die so sehr leicht vom Heiligtum entfernt oder fernhält. Aber ebenso entmutigt ein Gefühl der Unsicherheit und gewissermaßen des Provisorischen, das von einer bestimmten theologischen Problematik begünstigt wird, ein Leben auf sich zu nehmen, das sicher reich ist an geistlichen Tröstungen, aber auch an Opfern und Verzichten, die nur von dem gemeistert werden können, der sich mit ausgewogener und mutiger Begeisterung der Sendung hingeben kann, den Mitmenschen die Sicherheit des Glaubens zu vermitteln.

Es ist deshalb notwendig, all das, was in der Kirche die Berufung zum Priester- und Ordensstand groß und schön und unentbehrlich macht, in sachlicher Darstellung entgegenzuhalten. Auch heute, vielleicht mehr wie in anderen Zeiten, muss das christliche Volk den Herrn der Ernte eindringlich bitten, dass er Arbeiter in genügender Zahl berufe (vgl. Mt 9,38).

Aufgabe der Kirche ist es dann, Vorsorge zu treffen, dass die Keime der Berufung, die vom Herrn ausgestreut wurden, nicht durch Mangel an innerer Pflege der Frömmigkeit und angemessener menschlicher und übernatürlicher Erziehung verdorren müssen.

Unser Gedanke, unser Gruß richtet sich hier an alle, die sich hochherzig dafür einsetzen, dass die Einrichtungen für die Heranbildung von Priestern und Ordensleuten in angemessener Weise den neuen Anforderungen der Zeit entsprechen, getreu den weisen und noch gültigen Überlieferungen, die sich bei vielen Generationen heiliger und seeleneifriger Priester, Ordensmännern und Ordensfrauen bewährt haben (22. Juni 1974, S. 301-303).

Ja, es ist wahr: jede echte Berufung erwächst aus dem Glauben, lebt aus dem Glauben, bleibt kräftig durch den Glauben; durch einen Glauben, der von Tag zu Tag konkret erfahren und gelebt wird, in Aufrichtigkeit und Hochherzigkeit, in freundschaftlicher Vertrautheit mit dem Herrn. Bestimmt folgt niemand einem Fremden, niemand verschenkt sein Leben an einen Unbekannten. Wenn es eine Krise der Berufungen gibt, steckt dann vielleicht nicht vor allem eine Glaubenskrise dahinter? Welch heilige Verpflichtung ruht auf den Seelsorgern, auf den Eltern, auf den christlichen Erziehern, die Jugend von heute zu einer tiefen Kenntnis Christi, zum Glauben an ihn, zur Freundschaft mit ihm hinzuführen!

Dann fordert der Herr von Petrus ein wiederholtes Bekenntnis seiner Liebe: „Liebst du mich? ... Liebst du mich mehr, als diese mich lieben?" (Joh. 21 15 ff). Ihr kennt die Antwort: „Ja, Herr, Du weißt, dass ich dich liebe." Jede Berufung ist ein Akt der Liebe, von seiten des Herrn, der ruft, und von seiten dessen, der auf den Ruf antwortet. Erzieht euch also zur Liebe! Lernt, den Herrn mehr zu heben, auch seine Kirche mehr zu lieben; sie zu lieben, „wie Christus sie geliebt hat und so sein Leben für sie dahingab" (Eph 5,251; sie zu lieben in ihrem über alle Worte erhabenen Geheimnis, in ihrer sichtbaren Struktur, in ihrer gegenwärtigen und geschichtlichen Wirklichkeit. Es gibt wohl eher eine Krise der Liebe als eine Krise der Berufungen. Euch, den Seelsorgern, Eltern und Erziehern, legen wir es ans Herz: helft den wertvollen und hochherzigen unter den Jugendlichen, die Liebe zu Christus und seiner Kirche zu entfalten. Das Evangelium hält noch eine Überraschung für uns bereit. Der auferstandene Herr fürchtet nicht die frohe und freundschaftliche Atmosphäre dieser österlichen Begegnung zu stören, wenn er dem Petrus eine von Opfer und Martyrium bestimmte Zukunft ankündigt.

Auch wir zögern nicht, euch zu sagen, die Berufung bedeutet Opfer. Opfer schon beim ersten ernsthaften Suchen, das bereits einen gewissen Verzicht erfordert; Opfer im Augenblick der Entscheidung; Opfer auf dem langen Weg der notwendigen Vorbereitung; Opfer schließlich im weiteren Verlauf des Lebens, weil doch unsere ganze Existenz nur darin besteht, jene Berufung konsequent zu verwirklichen, die Gott uns geschenkt hat, die wir aber aus freiem Herzen als unseren Lebensauftrag übernommen haben. Versteckt sich vielleicht hinter der Krise der Berufungen die Furcht vor diesem Opfer? Seelsorger, Eltern, Erzieher, versteht es, die Jugendlichen und andere hochgesinnte Menschen zur freien und gelassenen Annahme des Opfers zu führen ! (Am 30. Dez. 1976, ORD vom 22. Mai 1977, S. 2).

Wir möchten drei Worte sagen, die in sich die wesentliche Wahrheit des Geheimnisses der Priesterweihe enthalten.

Das erste Wort heißt „Berufung“. Ihr seid berufen worden, berufen von Gott, berufen von Christus, berufen von der Kirche. Wie immer ihr auch in der innersten Tiefe eurer Seele und in der äußeren Wirklichkeit des Lebens den Ruf vernommen habt, jeder von euch muss sich immer an diese Tatsache erinnern, die euer Leben auszeichnet. Die göttliche Auserwählung, die sich euch zuwandte, das Wort Jesu, das vom Evangelium her bis in eure menschliche Existenz gedrungen ist. „Ich habe euch erwählt“ (Joh 15, 16). Zu einem jeden von euch hat Christus gesprochen: „Komm, folge mir“ (Mt 19,21); und für euch alle erklang die gleiche Stimme, sanft, befreiend und befehlend: „Kommt und folget mir, ich will euch zu Menschenfischern machen“ (Mt 4, 19).

Glücklich seid ihr, geliebte Söhne, glücklich ihr, die ihr die Gnade, die Weisheit und den Mut hattet, diese entscheidende Einladung zu hören und anzunehmen. Sie hat die gewöhnlichen und verlockenden Pläne eures Lebens durchkreuzt; sie hat euch herausgerissen aus dem Zusammensein mit euren Lieben (Mt 19, 27-29); sie hat von euch sogar den Verzicht auf die eheliche Liebe gefordert, um keusch eine außergewöhnliche Fülle der Liebe für das Himmelreich erstehen zu lassen; für den Glauben nämlich und für die Liebe zu den Mitmenschen (Mt 19, 12); sie hat auf euch besondere Wesen gemacht, kraft des priesterlichen Charakters, mehr gleich den Engeln als den Menschen dieser Welt (vgl. Mt 22, 30; 1 Kor 7, 8); sie hat euch eine besondere Spiritualität eingegossen und sogar zur Pflicht gemacht (Vgl. Gal 3, 16), die jedoch alles zu verstehen und einzuschätzen weiß (vgl. 1 Kor 2, 14 f; Joh 14, 17), und durch die Annahme eurer Hingabe hat sie euch in den Dienst genommen für dramatische Abenteuer der Nachfolge Christi (vgl. Mt 8, 19; Lk 22, 35). Glücklich ihr! Den immer nach über das erhabene Glück eurer Berufung und lasst nie den Gedanken aufkommen, euch in eurer Wahl geirrt zu haben, die inspiriert war durch ein außergewöhnliches Charisma von Weisheit und Liebe (vgl. Mt 19, 1 Kor 12, 4) und schaut niemals zurück! Christus selbst lehrt es euch: „Keiner, der seine Hand an den Pflug legt und wieder zurückschaut, ist tauglich für das Reich Gottes“ (Lk 9, 62!. Das ist das Gesetz eurer Berufung: ein volles und endgültiges Ja!

Dann ein zweites Wort, das ganz göttlich ist.. Priesterweihe! Was bedeutet, was bringt die Priesterweihe mit sich? Was ist die Wirkung der sakramentalen Handlung, die das Wesen, die Wahrheit, das übernatürlich Neue ausmacht? ... Hier ist der Brennpunkt nicht nur dieser liturgischen Feier, sondern das Geheimnis der Kirche. Es handelt sich um nichts Geringeres, als um die Weitergabe geistlicher Vollmachten, die der Heilige Geist selber in den auserwählten Jünger eingießt, so dass dieser erhoben wird zum Rang eines amtlichen Dieners Gottes durch Christus in der Kirche. Erinnert euch, was Christus nach seiner Auferstehung zu den Jüngern sprach, indem er sie anhauchte: „Empfanget den Heiligen Geist!" (Joh 20,22). Eine Berührung, ein Eindruck, ein Merkmal formte damals und formt heute noch jeden, der das Sakrament der Priesterweihe empfängt. Er wird fähig, die „Geheimnisse Gottes zu verwalten" (1 Kor 4, 1; 1 Petr 4,10). Vergessen wir niemals, liebe Brüder und Söhne, diese ganz besondere Beziehung, die die Priesterweihe zwischen uns und Gott begründet: Wir werden zum Werkzeug der göttlichen Tätigkeit. „Die Priesterweihe", sagt der heilige Thomas, „bringt hauptsächlich die Verleihung einer göttlichen Vollmacht mit sich" (Supp134,2 ad 2), die in sich die menschliche Fassungskraft übersteigen würde und die sich nur von Gott ableiten lässt, um dem Dienst des Menschen anvertraut zu werden. Denkt an die Vollmacht zu konsekrieren, das Opfer darzubringen, den Leib und das Blut des Herrn zu verwalten und die Sünden nachzulassen oder sie zu behalten (Denz-Sch.1764).

Wenn dem so ist, und so ist es, darf das Staunen in unserem Geist nie mehr verschwinden; wir müssen ganz erfüllt sein von der Betrachtung des Geheimnisses unserer Priesterweihe, wenn wir uns auch niemals hinreichend bewusst werden dessen, was der Herr in uns gewirkt hat. Unser ganzes Leben wird nicht ausreichend sein, um den unerschöpflichen Reichtum der Großtaten erschöpfend zu betrachten, die die Macht und Güte Gottes vollbracht haben. Mit der Gottesmutter wollen wir immer sprechen: „Fecit mihi magna, qui potens est" –„großes hat an mir getan, der da mächtig ist" (Lk 1, 49).

Berufung, Priesterweihe! und nun das dritte Wort, in das sich die Feier, die wir begehen, zusammenfassen lässt. Dieses Wort heißt: Sendung! Wir wissen es wohl, aber jetzt lassen wir uns ganz durchdringen von der Bedeutung, von der Forderung des katholischen Priestertums. Das Priestertum ist nicht für den, der damit ausgezeichnet ist.

Es ist nicht lediglich eine persönliche Würde, es ist nicht Selbstzweck. Das Priestertum ist Amt, ist Dienst, ist Mittleramt zwischen Gott und dem Volk. Das Priestertum ist für die Kirche bestellt, für die Gemeinschaft, für die Mitmenschen; es ist für die Welt bestimmt. Auch in dieser Beziehung ist das Wort Christi eine Stiftung: am Abend seiner Auferstehung spricht er zu den Aposteln „Der Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20, 21). Priestertum ist missionarisch, Priestertum ist Mittlerdienst; Priestertum ist wesentlich; und nun erreicht uns, fast um uns aus der Benommenheit aufzurütteln, die das sakramentale Geheimnis in uns jetzt verursacht hat, dieser programmatische und überwältigende Befehl: „Gehet hin und bringt das Evangelium allen Völkern" (Vgl. Mt 28, 19).

Das ständig fortschreitende Bewusstsein auch hiervon muss einen Teil des priesterlichen Geistes bilden. Ein jeder von euch muss sich selbst wiederholen: Ich bin bestimmt für den Dienst der Kirche, für den Dienst des Volkes. Priestertum ist Liebe. Wehe, wenn einer die Meinung hegen würde, er könnte hierin seinen eigenen Vorteil suchen. Die Ganzhingabe des eigenen Lebens öffnet vor dem hochherzigen Priester ein neues, wunderbares Bild: das Panorama der Menschheit. Vielleicht überkam ihn ein Zweifel, als er in einem bestimmten Augenblick feststellte, aufgrund seiner Berufung von seinem eigenen Lebenskreis losgelöst (Vg. Apg 13, 2) und für eine sehr spezielle Tätigkeit bestimmt zu sein, wie es die des geistlichen Amtes ist, dass er jemals wieder direkte und tätige Kontakte mit der Gesellschaft von heute oder mit ihren einzelnen Gruppen haben werde. Jetzt aber muss er seinen Irrtum einsehen. Wenn es einen Dienst gibt, der den vollen Einsatz von jenen fordert, die ihn in der vielgestaltigen und aufgewühlten Gesellschaft von heute ausüben, mehr noch als der Beruf des Lehrer des Arztes oder des Politikers, dann ist es der Dienst des priesterlichen Amtes. „Ihr seid das Salz der Erde", spricht zu euch der Herr, „ihr seid das Licht der Welt" (vgl. Mt 5, 13-15). Eine innere Verbundenheit, eine Sympathie, ein innerer Drang, dem Bewusstsein des eigenen priesterlichen Seins angeboren, verpflichten den Diener des Wortes, der Gnade, der Liebe, sich nicht nur jedem Dialog zur Verfügung zu stellen, jeder Einladung, die ehrlich an ihn gerichtet wird, zu folgen, sondern auch von sich aus die pastorale Initiative zu ergreifen in der Suche nach dem, der ihn braucht, ob dieser es will oder nicht. Diese aktive apostolische Haltung (vgl. Mt 18, 121 muss heute mehr denn je in der Gestalt des Priesters hervortreten. Eine einfühlende, offensichtlich übernatürlich und drängende Liebe muss sein Amt charakterisieren, besonders durch die wirksame Förderung der sozialen Gerechtigkeit entsprechend dem Geist und den Normen der christlichen Soziallehre, die vom Evangelium und aus der Schule des Lehramtes der Kirche, nicht aber von anderen Quellen, die den christlichen Prinzipien fremd gegenüberstehen, ihre Inspiration und ihre Energie schöpfen muss. „Die Liebe Christi drängt uns" (2 Kor 5,14), und keine andere treibende Kraft kann sie ersetzen und sie übertreffen. „Erhebet eure Augen", sagen wir euch also mit den Worten Christi selber, „und betrachtet die Felder, sie sind schon weiß für die Ernte" (Joh 4, 35). Wir wagen es gleichsam prophetisch, das apostolische Wirkungsfeld aufzuzeigen, das sich einem jeden von euch bietet. Die Welt braucht euch! Die Welt erwartet euch! Auch in den feindseligen Rufen, die sie mitunter gegen euch richtet, meldet die Welt ihren Hunger nach Wahrheit an, nach Gerechtigkeit, nach Erneuerung, den nur euer Dienst zufriedenstellen kann. Versteht es, selbst den Tadel, den die Welt vielleicht oft ungerecht gegen den Boten des Evangeliums richtet, wie eine Einladung anzunehmen. Versteht es, das Stöhnen des Armen zu hören, die helle Stimme des Kindes, den nachdenklichen Ruf der Jugend, das Klagen des müden Arbeiters, das Seufzen des Leidenden und die Kritik des Denkers! Habt niemals Furcht - nolite timere - wiederholte der Herr (vgl. Mt 19,23; Lk 12, 32). Der Herr ist mit euch (vgl. Mt 18,201. Und die Kirche, Mutter und Lehrerin, steht euch bei; sie liebt euch und erwartet von eurer Treue und eurer Tätigkeit, dass Christus sein aufbauendes Heilswerk fortsetze.

Wir möchten den Apostel Petrus ehren und uns seine priesterliche Mahnung zu eigen machen: „Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, wie auch der Mitgenosse jener Herrlichkeit, die offenbar werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch unterstellt ist, nicht aus Zwang, sondern mit Freuden, wie Gott es will, nicht aus schnöder Gewinnsucht, sondern mit Hingabe. Tretet nicht auf als Herren der Gemeinden, sondern seid Vorbilder für die Herde von Herzen. Wenn dann der Oberhirte erscheint, werdet ihr den unverwelklichen Kranz der Herrlichkeit empfangen« (1 Petr 5,1-4); (29. Juni 1975, S. 335-339).

Heute möchten wir ihre Gedanken auf ein für das kirchliche, also das priesterliche und seelsorgliche Bewusstsein völlig geläufiges und bekanntes Thema lenken, nämlich auf das Thema „Die Kirche als Mutter“. Ein geläufiges und bekanntes Thema, wer wüsste das nicht? Es ist ein Thema, das sich wegen seiner außerordentlichen Aktualität geradezu aufdrängt. Wir möchten Ihnen allen sagen, dass wir zuerst die Kirche in uns selbst aufbauen oder besser wieder aufbauen müssen, ehe wir sie draußen errichten können. Wir müssen wieder über die Kirche nachdenken, wir müssen uns wieder ein ideales Bild von ihr machen, entsprechend der wahren Lehre über die Kirche, die Evangelium, Tradition, und kirchliches Lehramt unserem Verstand, vor allem aber unserem Herzen und unserer Liebe vorlegen. Wir müssen zurückkehren zu dieser Liebe, indem wir jene Liebe im Sinn haben, die Christus zur Kirche, seiner Braut, hatte: „Christus liebt die Kirche und hat sich für sie hingegeben“ (Eph 5,25 u. 29). Ja, liebe Mitbrüder, wir glauben, dass dieses dem Leben der Kirche selbst zugehörige Thema in bestimmten Augenblicken der Geschichte ein Bemühen um Verständnis, eine Stunde Betrachtung erfordert, damit jeder, der in der Kirche einen Dienst versieht, wieder zur Sicherheit seiner eigenen Berufung und seiner glücklichen und unwiderruflichen Entscheidung zurückfindet.

Das Konzil hat einerseits die Lehre über die Kirche vervollkommnet, um keinen Zweifel an der Identität ihres theologischen Mysteriums zu lassen und ihr von dort her eine neue und unerschöpfliche Schönheit zu geben; andererseits scheint gerade dieses Neue den Ausbruch von Zweifeln und Unsicherheit begünstigt zu haben, die das protestantische Erbe der Reformation im Unterbewusstsein mancher Gelehrten und nicht weniger Gläubiger zurückgelassen hat.

Wir müssen wieder begreifen, welch überragende, durchaus moderne, bedeutungsvolle, psycho-soziologische, ebenso einfache wie heroische Form des Gesellschaftslebens noch immer die Pfarrei darstellt, der Sie ihren priesterlichen Dienst widmen. Dieses hohe Wort „Pfarrei", das in der Lehre der Apostel die Synthese des Auftrages Christi in der Welt ausdrückt - er liebte die Kirche -, findet den ihm entsprechenden Widerhall in dem vorausgehenden Gebot, das Jesus Christus als Vermächtnis den Aposteln und uns allen, die wir ja unsere Sendung von den Aposteln herleiten, hinterlassen hat: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe habt zueinander" (Joh 13, 34-35).

Wir müssen in uns einen lebendigen, sicheren, von Liebe erfüllten „sensus Ecclesiae", den Sinn für die Kirche stärken. Dieser Gedanke muss uns beherrschen, denn er wächst aus unserer theologischen, geistlichen und kirchlichen Ausbildung. Wir sind ja nicht irgendein Verein, wir sind keine irdische Gesellschaft, wir sind vielmehr der „Leib Christi" (vgl. Leo XIII. Enzyklika Salis cognitum, 1896). Tun Sie etwas für ihre theologische Weiterbildung; lesen Sie wieder die großen Enzykliken über diese Lehre, z. B. Mystici Corporis von Pius XII. 1943 und Mater et Magistra von Johannes XXIII. und studieren Sie die beiden großen Konstitutionen des letzten Konzils Lumen gentium, also die „Dogmatische Konstitution über die Kirche" und Gaudium et spes, „die Kirche in der Welt von heute".

In eine Gemeinschaft eingefügt zu sein, die auf dem Feld der Seelsorge zusammenarbeitet, verringert in keiner Weise die Diakonia, den Dienst, den jeder einzelne am Ort seiner eigenen Seelsorgearbeit zu erfüllen hat. Die Arbeit, der Einsatz ist auf die Person bezogen, und Antriebe unserer Berufung sind die Forderungen, die man an einen Diener des Evangeliums stellen darf. Denken sie über das Wort Jesu nach: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen" (Mt 4, 19). Ein Vergleich der Arbeit des Fischers mit der Arbeit des Priesters in der Seelsorge müsste genügen, um vielen unpassenden Überlegungen über die eigene priesterliche Berufung ein Ende zu machen (Vgl. Lk 9, 62). Die erste Tugend ist deshalb die Treue, die zweite die Ausdauer.

Dazu gibt es eine reiche Literatur, sie erzieht unseren Geist zur pastoralen Initiative... Es gibt eine passive Ausdauer, die auch sehr verdienstvoll sein kann, z. B. sich zur Verfügung halten für die Begegnung mit jemandem, der Hilfe sucht, geistlich speziell in der Beichte, aber auch wirtschaftlich und praktisch. Ansprechbarkeit ist eine der besonderen Tugenden des Seelsorgers, auch wenn er standhaft sein muss und nicht auf Bitten hören darf, die ihm zu nahe treten.

Dann gibt es eine aktive Ausdauer, sie ergreift die Initiative, um die verstreute Herde und die fernen Schafe zu suchen ... Ein Kriterium dürfen wir in diesem Augenblick allerdings nicht verschweigen: wir müssen handeln, wir müssen mehr tun, wir müssen ein Volk wiedergewinnen, das zur Freundschaft mit uns zurückzurufen ist: die Jugend und die Arbeiter vor allem. Die Seelsorge wird wieder missionarisch. Die Soziologie verleiht ihr Faszination. Die Liturgie gewinnt wieder an Wirksamkeit im persönlichen und im gemeinschaftlichen Gebet (15. März 1976, S. 211-216).