Edith Stein: Kreuzeswissenschaft

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Kreuzeswissenschaften. Studien über Johannes a Cruce“ ist das theologische Hauptwerk Edith Steins, entstanden in den Jahren 1941 bis 1942.

Entstehung

Als Edith Stein in Echt von ihrem Orden den Auftrag bekommt, zum 400. Geburtstag von Johannes vom Kreuz eine Werk zu verfassen, vertieft sie sich zunächst in das Werk des Dionysius Areopagita, einem vermutlich syrischem Autor des 5. Jhs., in dem sie einen Vorläufer des Johannes von Kreuz sieht. Sie übersetzt zunächst drei seiner Werke sowie zehn Briefe aus dem Griechischen und verfasst dann die kleine, aber dichte Studie „Wege der Gotteserkenntnis - Dionysius der Areopagit“ (1940).

An „Kreuzeswissenschaften. Studien über Johannes a Cruce“ arbeitet Edith Stein von 1941 bis zu ihrer Verhaftung am 2. August 1942. Das das Manuskript bleibt nicht ganz vollendet auf ihrem Schreibtisch zurück. (Vom letzten Teil des Buches fehlen vor allem die Endredaktion und die Kapitelüberschriften, ansonsten ist „Kreuzeswissenschaften“ durchaus als vollendet zu betrachten.).

Eine Veröffentlichung war vorläufig nicht möglich. Erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs, im Jahr 1950 konnte das Werk erstmals veröffentlicht werden.

Inhalt

Vorstudie: Wege der Gotteserkenntnis

In „Wege der Gotteserkenntnis - Dionysius der Areopagit“ unterscheidet Edith Stein mit Dionysius drei Arten der Theologie: die positive, die negative und die mystische Theologie. Hier wird Theologie nicht als Wissenschaft von Gott betrachtet, sondern letztlich als Sprechen Gottes durch den Theologen.

Die positive Theologie ist die unterste Stufe. Hier wird noch sehr wortreich, von der Vielfalt des Geschaffenen ausgehend, von Gott gesprochen, das unanschauliche Wesen Gottes über Symbole und Analogien in die Anschauung gehoben. Aber je höher der menschliche Geist aufsteigt, je mehr er sich Gott zu nähern meint, desto wortarmer wird er. Von Stufe zu Stufe muss er erkennen, dass er Gott nicht erreicht hat, immer deutlicher wird der Abstand zwischen Schöpfung und Schöpfer. Die Einheit und Einfachheit Gottes entzieht sich den Worten, der Weg führt ins Dunkel und Schweigen. Das ist negative Theologie. Diesen Weg hat Edith Stein auch bei Thomas von Aquin gefunden und auch bereits in „Endliches und ewiges Sein“ nachgezeichnet.

An dieser Stelle, in der Dunkelheit des Verstandes, in der Wortlosigkeit und Verständnislosigkeit bricht etwas Neues herein: die Entschleierung der Geheimnisse Gottes selbst, die dennoch undurchdringlich bleiben. Hier findet eine persönliche Begegnung statt. Der Mensch kann Gott mit seinem Verstand nicht ergreifen, aber er wird von ihm ergriffen. Die mystische Schau Gottes, die mystische Theologie kann also nicht vom Menschen erzwungen werden, da sie ein Werk Gottes ist. Sie wird auch nicht allen Menschen zuteil. Dennoch ist es notwendig, dass zumindest einige Menschen zu dieser Schau vordringen, damit sie als Boten den Glauben, die positive und die negative Theologie, mit Leben erfüllen, denn alles Sprechen über die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit des Ewigen ist vorläufig.

Auch wenn positive und negative Theologie Vorstufen sind, ist die ganze Mühsal des Verstandes, die aufgewendet wird um Gott zu erfassen und letztendlich zu begreifen, dass man Gott nicht erfassen kann, nicht umsonst: Gott will gesucht werden, um sich dann finden zu lassen.

Kreuzeswissenschaften

Ihr Buch über Johannes von Kreuz nennt Edith Stein „Kreuzeswissenschaften. Studien über Johannes a Cruce“. Dieser Titel ist, laut Edith Stein, „nicht im üblichen Sinn von Wissenschaft zu verstehen: sie ist keine bloße Theorie. [...] Sie ist wohlerkannte Wahrheit - eine Theologie des Kreuzes -, aber lebendige, wirkliche und wirksame Wahrheit“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 3</ref>

Johannes vom Kreuz (1542-1591) war als Mitstreiter von Theresa von Ávila der große Erneuerer des Karmelitenordens. Er hatte dabei gegen großen Widerstand anzukämpfen. Seine eigenen Ordensbrüder steckten ihn monatelang alleine in ein finsteres Kellerloch und quälten ihn unter anderem mit täglichem Auspeitschen. In dieser Zeit des Kerkers in Toledo schrieb Johannes nicht nur Gedichte und Gesänge, die zu den Höhepunkten spanischer Literatur gezählt werden, sondern auch sein theologisches Hauptwerk, in dem er die von ihm erlebte „dunkle Nacht des Glaubens“ als sichersten Weg zum scheinbar schweigenden Gott beschreibt.

Wenn Edith Stein nun diesen Weg nachzeichnet, dann ist das für sie „kein bloßes Annehmen der gehörten Glaubensbotschaft, kein bloßes Sichzuwenden zu Gott, den man nur vom Hörensagen kennt, sondern ein inneres Berührtwerden und ein Erfahren Gottes, das die Kraft hat, von allen geschaffenen Dingen loszulösen und emporzuheben und zugleich in eine Liebe zu versenken, die ihren Gegenstand nicht kennt.“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 107</ref> Es ist also selbst durchlebtes Erfahrungswissen, das Edith Stein hier beschreibt, und das sie mit Johannes von Kreuz und vielen anderen Heiligen teilt: <ref>In jüngerer Zeit hat z.B. Mutter Theresa von Kalkutta von ähnlichen Erfahrungen berichtet.</ref>

Der Mensch, der sich Gott anvertraut, wird von Gott in einem dynamischen Prozess einen bestimmbaren Weg entlanggeführt. Die Stationen dieses Weges scheinen aber paradoxerweise von Gott wegzuführen. Zunächst werden die Menschen „von Gott behandelt wie kleine Kinder von einer zärtlichen Mutter, die sie auf den Armen trägt und mit süßer Milch nährt: es wird ihnen bei allen geistlichen Übungen - Gebet, Betrachtung, Abtötungen - reichlich Freude und Trost zuteil.“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 43</ref> Diese anfängliche Sicherheit wird der Seele aber Schritt für Schritt weggenommen. Mit dem scheinbaren Erlöschen des inneren Feuers erfolgt zuerst die „Nacht der Sinne“: „Alle frommen Übungen erscheinen ihnen nun geschmacklos, ja widerwärtig.“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 44</ref> Auch an der geschöpflichen Welt findet die Seele keinen Geschmack mehr. Zurück bleiben nur Leere und Ruhe.

Dieses Ergebnis wird aber noch weiter beschnitten. Es folgt die „Nacht des Geistes“. Die Fähigkeit des Verstandes zum schrittweisen, gliedernden Denken endet. Es bleibt nur „die Unfähigkeit, durch diskursives Denken sich einen Begriff von Gott zu machen oder durch nachforschendes Denken mit Hilfe der Einbildungskraft voranzukommen.“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 47</ref> Das Ergebnis ist nun Leere und Hilflosigkeit.

Die dritte „Nacht“, die „Nacht des Glaubens“ zieht nun der Seele das letzte Brett religiöser Sicherheit unter den Füßen weg. War in „Endliches und ewiges Sein“ überall noch die bei allem Abstand dennoch gegebene Ähnlichkeit mit Gott zu spüren, so muss Edith Stein hier immer mehr den unendlichen Abstand und die Unähnlichkeit erkennen. Der Abstand ist so gewaltig, dass „die von Gott selbst geoffenbarten Wahrheiten [...] über jedes natürliche Licht erhaben sind und allen menschlichen Verstand ohne jedes Verhältnis überragen. Daher kommt es, daß dieses überhelle Licht, das der Seele im Glauben zuteil wird, für sie dunkle Finsternis ist“. <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 49 (Zitat von Johannes von Kreuz)</ref>

Für die gläubige Seele ist diese Nacht wie eine Vernichtung, die Zerschlagung der Gottesbeziehung durch Gott selbst. Das ist keine mutwillige, grausame Zerschlagung durch Gott, sondern vielmehr die Offenlegung und Kenntlichmachung des tatsächlich schon längst durch den Menschen zerbrochenen Verhältnisses zu Gott in all seiner bösen Wahrheit. Hier wird der Weg zu einem echten Kreuzweg, zu einer Teilhabe am Leiden Christi. Die Seele erkennt, dass gerade in der äußersten Verlassenheit und Erniedrigung am Kreuz, in seinem Ausruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“, Christus den Menschen am nächsten ist.

So beginnt hinter dem Leiden ein Sinn aufzuleuchten, „weil man im Leiden Kraft von Gott empfängt“. <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 123 (Zitat von Johannes von Kreuz)</ref> Der Sturz ins Nichts erweist sich als Sturz auf Gott zu. Die „tiefe, schreckliche und überaus schmerzliche Zerstörung der natürlichen Erkenntniskraft“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 114</ref> macht die Seele bereit für „die erhabene, fremdartige Berührung der göttlichen Liebe“. <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 115 (Zitat von Johannes von Kreuz)</ref> Gerade hier überwindet Gott von sich aus den für den Menschen unüberwindlichen Abstand und blendet die innere Wahrnehmung mit einem „Strahl der Finsternis“. <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 56 (Zitat von Dionysius Areopagita)</ref> Der Mensch muss begreifen, dass der schmerzvolle Weg notwendig war, um von allen Hindernissen geleert schließlich nicht Gott zu begreifen, sondern von Ihm ergriffen zu werden. Die Seele hat nichts mehr selbst zu tun, sondern nur noch in Empfang zu nehmen. Doch die Freiheit wird nicht aufgehoben, im Gegenteil: „Gott wirkt nur darum hier alles, weil sich die Seele Ihm völlig übergibt. Und diese Übergabe ist die höchste Tat ihrer Freiheit.“ <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 145</ref>

Die „Kreuzeswissenschaften“ münden also in einer Wissenschaft vom Licht, in der Hoffnung auf die Herrlichkeit der Auferstehung, in einem wundervollen Brautgesang der Seele in der endlich „heiteren Nacht“. <ref>Stein: „Kreuzeswissenschaften“; S. 239 (Zitat von Johannes von Kreuz)</ref> Während der Arbeit an diesem letzten, hoffnungsvollen Kapitel wird Edith Stein am 2. August 1942 verhaftet und Richtung Auschwitz deportiert.

Werkausgaben

Edith Steins Werke (ESW):
Erster Versuch einer Gesamtausgabe der Werke Edith Steins (Herder, ab 1950)
Herausgeber: Lucy Gelber und Romaeus Leuven OCD / Michael Linssen OCD.

  • ESW I Kreuzeswissenschaft. Studie über Johannes a cruce (1950)

Edith Stein Gesamtausgabe (ESGA):
Neue, kritische Gesamtausgabe (Herder, ab 2000)
Herausgeber: Internationales Edith Stein Instititut Würzburg unter der Leitung von Michael Linssen OCD / Klaus Maas OCD, unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Dresden) und zahlreichen Fachgelehrten.

  • ESGA 18 Kreuzeswissenschaft - Studie über Johannes vom Kreuz (2003)

Sekundärliteratur

Eine profunde Einführung zu Edith Steins Denken und zu „Kreuzeswissenschaften“ findet sich hier:

Fußnoten

<references />