Redemptionis donum (Wortlaut)

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Apostolisches Schreiben
Redemptionis donum
unseres Heiligen Vaters

Johannes Paul II.
über das gottgeweihte Leben im Licht des Geheimnisses der Erlösung

25. März 1984

(Offizieller lateinischer Text AAS 76 [1984] 513-546)

(Quelle: Papst Johannes Paul II., über das gottgeweihte Leben, Johannes Verlag Leutesdorf 1984. Der Text entspricht den Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 55)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Geliebte Brüder und Schwestern in Jesus Christus!

1. Gruß

1 Das Geschenk der Erlösung, das im Mittelpunkt dieses außerordentlichen Jubiläumsjahres steht, enthält einen besonderen Ruf zur Umkehr und zur Versöhnung mit Gott in Jesus Christus. Während dieses Jubiläum in seinem äußeren Motiv geschichtlichen Charakter hat - wir begehen damit ja die 1950. Jahrfeier der Ereignisse von Kreuz und Auferstehung -, wird es zugleich von einem inneren Motiv bestimmt, das mit dem Kern des Geheimnisses unserer Erlösung verbunden ist. Die Kirche ist aus diesem Geheimnis hervorgegangen, und aus ihm lebt sie in ihrer ganzen Geschichte. Die Zeit eines außerordentlichen Heiligen Jahres hat ihren ganz besonderen Charakter. Der Ruf zur Umkehr und zur Versöhnung mit Gott bedeutet, dass wir tiefer über unser Leben, über unsere christliche,Berufung im Licht des Geheimnisses der Erlösung nachdenken sollen, um jenes Leben immer mehr in diesem Geheimnis zu verankern.

Wenn sich auch dieser Ruf an alle Gläubigen in der Kirche richtet, so betrifft er doch in besonderer Weise euch Ordensmänner und Ordensfrauen, die ihr mit eurer Weihe an Gott durch das Gelöbnis der evangelischen Räte nach einer besonderen Fülle des christlichen Lebens strebt. Eure besondere Berufung und euer gesamtes Leben in der Kirche und in der Welt erhalten ihre geistliche Ausprägung und Kraft aus der Tiefe des Geheimnisses unserer Erlösung. Indem ihr Christus auf dem "schmalen Weg"(1) nachfolgt, erfahrt ihr in außerordentlicher Weise, dass "bei ihm Erlösung in Fülle ist": copiosa apud eum redemptio.(2)

2 Während dieses Heilige Jahr allmählich seinem Ende zugeht, möchte ich mich deshalb in besonderer Weise an euch richten, an alle Männer und Frauen im Ordens leben , ob ganz der Kontemplation geweiht oder im Dienst an den verschiedenen Werken des Apostolates. An zahlreichen Orten und bei verschiedenen Gelegenheiten habe ich dies auch früher schon getan, indem ich die Lehre des Evangeliums, wie sie in der gesamten Tradition der Kirche und vor allem in der Unterweisung des jüngsten ökumenischen Konzils, von der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium bis zum Dekret Perfectae caritatis, enthalten ist, im Sinne der Hinweise des Apostolischen Schreibens meines Vorgängers Paul VI. Evangelica testificatio bekräftigt und weiter ausgeführt habe. Der kürzlich in Kraft getretene Kodex des Kirchenrechtes, den man gewissermaßen als das letzte Dokument jenes Konzils ansehen kann, wird euch allen eine wertvolle Hilfe und ein sicherer Führer sein, um die konkreten Mittel genau zu bestimmen, damit ihr eure großartige kirchliche Berufung treu und hochherzig leben könnt.

Ich grüße euch mit der Liebe des Bischofs von Rom und Nachfolgers des heiligen Petrus, mit dem eure Gemeinschaften in eigener Weise verbunden bleiben. Vom Heiligen Stuhl her richten sich an euch wie ein stetiges Echo die Worte des heiligen Paulus: "Ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen".(3) Die Kirche, die nach den Aposteln den kostbaren Schatz dieses Ehebundes mit dem göttlichen Bräutigam übernommen hat, schaut mit inniger Liebe auf alle ihre Söhne und Töchter, die durch die Profess der evangelischen Räte mit ihrer Hilfe einen besonderen Bund mit dem Erlöser der Welt geschlossen haben.

Nehmt diese Botschaft im Jubiläumsjahr der Erlösung als ein Wort der Liebe an, das die Kirche an euch richtet. Nehmt sie an, wo immer ihr lebt: in der Klausur der kontemplativen Gemeinschaften oder in der Hingabe an vielfältige apostolische Dienste in der Mission und in der Seelsorge, in Krankenhäusern oder an anderen Orten, wo dem leidenden Menschen geholfen wird, in Erziehungseinrichtungen, in Schulen und Universitäten und schließlich in jedem einzelnen eurer Häuser, wo ihr, im Namen Christi vereint, aus dem Bewusstsein lebt, dass der Herr in eurer Mitte ist.(4)

Möge dieses liebende Wort der Kirche, das ich in diesem Jubiläumsjahr der Erlösung an euch richte, an jenes liebende Wort erinnern, das Christus selbst an jeden von euch gerichtet hat, als er eines Tages das geheimnisvolle "Folge mir nach"(5) zu euch sprach, von dem aus eure Berufung in der Kirche ihren Anfang genommen hat.

II. Berufung

"Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb" (6)

3 "Da sah ihn Jesus an und gewann ihn lieb"; er sagte zu ihm: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach".(7) Auch wenn wir wissen, dass diese Worte bei dem reichen jungen Mann kein Gehör fanden, verdient jedoch ihr Inhalt, aufmerksam bedacht zu werden; stellen sie doch die innere Struktur der Berufung dar.

"Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb". Das ist die Liebe des Erlösers: eine Liebe, die der innersten gottmenschlichen Tiefe der Erlösung entspringt. In ihr spiegelt sich die ewige Liebe des Vaters wider, der "die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat".(8) Der Sohn, mit dieser Liebe beschenkt, nahm die Sendung vom Vater im Heiligen Geist an und wurde zum Erlöser der Welt. Die Liebe des Vaters hat sich im Sohn als erlösende Liebe offenbart. Gerade diese Liebe bildet den wahren Preis für die Erlösung von Mensch und Welt. Die Apostel Christi sprechen vom Preis der Erlösung mit tiefer Bewegung: "Nicht um einen vergänglichen Preis wurdet ihr losgekauft, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel", so schreibt der heilige Petrus.(9) "Um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden", sagt der heilige Paulus.(10)

Der Ruf auf den Weg der evangelischen Räte erwächst aus der inneren Begegnung mit der Liebe Christi, die eine erlösende Liebe ist. Christus ruft gerade durch diese seine Liebe. In der Struktur der Berufung wird die Begegnung mit dieser Liebe ein ganz personaler Akt. Als Christus "euch ansah und liebgewann" und dann jeden von euch berief, liebe Ordensmänner und Ordensfrauen, richtete sich seine erlösende Liebe an eine bestimmte Person; zugleich wurde sie dabei zu einer bräutlichen Liebe: sie wurde erwählende Liebe. Diese Liebe umfasst die ganze Person, Seele und Leib, ob Mann oder Frau, in ihrem einen und unwiederholbaren personalen "Ich". Derjenige, der, von Ewigkeit her dem Vater geschenkt, sich selbst im Geheimnis der Erlösung "schenkt", hat den Menschen dazu berufen, dass auch er sich seinerseits ganz und gar einem besonderen Dienst im Werk der Erlösung "schenkt", indem er sich einer von der Kirche anerkannten und gebilligten brüderlichen Gemeinschaft anschließt. Beziehen sich nicht auf diesen Ruf die Worte des heiligen Paulus: "Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist ... ? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden"? (11)

Ja, die Liebe Christi ist für jeden einzelnen von euch, liebe Brüder und Schwestern, zu diesem "Preis" der Erlösung geworden. Deshalb seid ihr euch bewusst geworden, dass ihr nicht mehr euch selbst gehört, sondern ihm. Dieses neue Bewusstsein ist die Frucht aus dem "liebenden Blick" Christi, den er in das Innere eures Herzens gerichtet hat. Ihr habt auf diesen Blick geantwortet, indem ihr ihn erwählt habt, der als erster jeden einzelnen von euch mit seiner unermesslichen Erlöserliebe rief. Wenn er "beim Namen ruft", spricht er immer die Freiheit des Menschen an. Christus sagt: "Wenn du ... willst". Die Antwort auf diesen Ruf ist also eine freie Entscheidung. Ihr habt euch für Jesus von Nazarethh entschieden, den Erlöser der Welt, als ihr den Weg wähltet, den er euch gewiesen hat.

"Wenn du vollkommen sein willst …"

4 Dieser Weg heißt auch Weg der Vollkommenheit. Im Gespräch mit dem jungen Mann sagt Christus: "Wenn du vollkommen sein willst ... ". Somit findet der Begriff des "Weges der Vollkommenheit" seine Begründung im Evangelium selbst. Hören wir nicht auch in der Bergpredigt: "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist" ?(12) Die Berufung des Menschen zur Vollkommenheit ist bis zu einem gewissen Grad schon von den Denkern und Sittenlehrern des Altertums und auch danach in den verschiedenen Epochen der Geschichte wahrgenommen worden. In der Bibel besitzt dieser Ruf jedoch sein ganz eigenes Profil: Er ist besonders anspruchsvoll, weil er dem Menschen eine Vollkommenheit zuspricht, die Gott selbst gleicht.(13) Gerade in dieser Form entspricht der Ruf ganz der inneren Logik der Offenbarung, nach der der Mensch nach dem Abbild Gottes selbst geschaffen worden ist. Er muss darum die ihm eigene Vollkommenheit in der Richtung dieser Abbildlichkeit suchen. Der heilige Paulus schreibt im Epheserbrief: "Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und als Opfer, das Gott gefällt".(14)

So gehört also der Ruf zur Vollkommenheit zum Wesen der christlichen Berufung. Von diesem Ruf her muss man auch die Worte Christi an den jungen Mann im Evangelium verstehen. Sie sind in besonderer Weise mit dem Geheimnis der Erlösung des Menschen in dieser Welt verbunden. Die Erlösung gibt ja das von der Sünde verunstaltete Werk der Schöpfung wieder an Gott zurück, indem es die Vollkommenheit aufzeigt, welche die gesamte Schöpfung und insbesondere der Mensch im Denken und Wollen Gottes selbst besitzen. Vor allem der Mensch muss sich an Gott verschenken und zurückgeben, wenn er sich selbst voll und ganz zurückerhalten soll. Daher der forwährende Ruf: "Kehre zurück zu mir; denn ich befreie dich" .(15) Die Worte Christi: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen ... " führen uns ohne Zweifel in den Bereich des evangelischen Rates der Armut, der zum Wesen von Ordensberufung und -profess gehört.

Zugleich kann man diese Worte auch umfassender und grundsätzlich verstehen. Der Meister von Nazarethh lädt seinen Gesprächspartner ein, auf ein Lebensprogramm zu verzichten, bei dem das "Besitzen", das "Haben", an erster Stelle steht, und stattdessen ein Lebensprogramm zu übernehmen, in dessen Mitte der Wert der menschlichen Person steht: das personale "Sein" mit all seiner ihm eigenen Transzendenz.

Ein solches Verständnis der Worte Christi stellt gleichsam einen breiteren Rahmen für das Ideal der evangelischen Armut dar, vor allem für jene Armut, die als evangelischer Rat zum wesentlichen Inhalt eurer mystischen Hochzeit mit dem göttlichen Bräutigam in der Kirche gehört. Wenn wir die Worte Christi im Licht des Prinzips vom Vorrang des "Seins" vor dem "Haben" lesen - vor allem, wenn dieses letztere im materialistischen und utilitaristischen Sinn verstanden wird -, dann berühren wir gleichsam die anthropologischen Grundlagen der Berufung im Evangelium. Vor dem Hintergrund der Entwicklung heutiger Zivilisation ist dies eine sehr aktuelle Entdeckung. Dadurch wird auch die Berufung "zum Weg der Vollkommenheit", wie Christus sie vorgezeichnet hat, ganz aktuell. Wenn der Mensch im Bereich der heutigen Zivilisation, vor allem in der Welt des Wohlstandes und des Konsums, das tiefreichende Defizit an personalem "Sein" schmerzlich empfindet, das für sein Menschsein aus dem Überfluss an vielfältigem "Haben" entsteht, dann wird er eher bereit, die Wahrheit jenes Rufes anzunehmen, der ein für allemal im Evangelium verkündet worden ist. Ja, der Ruf, den ihr, liebe Brüder und Schwestern, annehmt, wenn ihr den Weg der Ordensprofess betretet, berührt die Wurzeln des Menschseins, die Wurzeln der Bestimmung des Menschen in dieser zeitlichen Welt. Der evangelische "Stand der Vollkommenheit" reißt euch nicht von diesen Wurzeln los. Im Gegenteil, er gibt euch die Möglichkeit, euer Leben noch stärker in dem zu verankern, was den Menschen zum Menschen macht, indem ihr dieses Menschsein, das in verschiedenster Weise von der Sünde niedergedrückt ist, mit der gottmenschlichen Heilkraft des Erlösungsgeheimnisses durchdringt.

"Du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben"

5 Die Berufung enthält in sich die Antwort auf die Frage: Wozu Mensch sein - und auf welche Weise? Die Antwort darauf gibt dem ganzen Leben eine neue Dimension und legt seinen endgültigen Sinn fest. Dieser Sinn ergibt sich aus dem Paradox des Evangeliums vom Leben, das man verliert, wenn man es retten will, und das man im Gegenteil gewinnt, wenn man es um Christi und des Evangeliums willen verliert, wie wir bei Markus lesen.(16)

Im Licht dieser Worte wird der Ruf Christi ganz klar: "Geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach".(17) Zwischen diesem "Geh" und dem sich anschließenden "Komm und folge mir nach" besteht eine enge Beziehung. Man kann sagen, dass diese letzten Worte das Wesen der Berufung bestimmen; es geht ja darum, den Spuren Christi zu folgen ("folgen"; hiervon abgeleitet: "Nachfolge Christi"). Die Worte "Geh ... verkaufe ... gib" scheinen die Bedingung zu umschreiben, die der Berufung vorausgeht. Andererseits liegt diese Bedingung nicht "außerhalb" der Berufung, sondern macht schon einen inneren Teil von ihr aus. Der Mensch entdeckt ja den neuen Sinn seines eigenen Menschseins nicht nur bei der "Nachfolge Christi", sondern gerade auch in dem Maße, wie er ihm folgt. Wenn er "seinen Besitz verkauft" und "das Geld den Armen gibt", dann gerade entdeckt er, dass jene Güter und Reichtümer, die er besaß, kein bleibender Schatz für ihn waren: Der Schatz liegt vielmehr in seinem Herzen, das von Christus die Kraft bekommen hat, den anderen zu "geben", indem es sich selbst gibt. Reich ist nicht, wer besitzt, sondern wer "gibt", wer geben kann.

An diesem Punkt wird das Pradox des Evangeliums besonders deutlich. Es wird zu einem Programm des Seins: Arm sein in dem Sinne, den der Meister von Nazareth einer solchen Seinsweise gegeben hat, bedeutet, mit dem eigenen Menschsein ein Ausspender des Guten zu werden. Das heißt zugleich, den "Schatz" zu entdecken. Dieser Schatz ist unzerstörbar. Zusammen mit dem Menschen geht er ein in die Dimension der Ewigkeit; er gehört zu dem von Gott geschenkten letzten Ziel des Menschen. Durch diesen Schatz hat der Mensch seine endgültige Zukunft in Gott. Christus sagt: "Du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben". Dieser Schatz ist nicht so sehr eine "Belohnung" nach dem Tode für die Werke, die jemand nach dem Beispiel des göttlichen Meisters vollbracht hat, als vielmehr die eschatologische Erfüllung von dem, was sich hinter diesen Werken bereits hier auf Erden im inneren "Schatz" des Herzens verbarg. Als Christus in der Bergpredigt(18) dazu aufforderte, sich Schätze im Himmel zu sammeln, hat er hinzugefügt: "Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz".(19) Diese Worte deuten auf den eschatologischen Charakter jeder christlichen Berufung hin und ganz besonders auf den eschatologischen Charakter jener Berufung, die sich in der geistigen Vermählung mit Christus durch ein Leben nach den evangelischen Räten verwirklicht.

6 Die Struktur dieser Berufung, wie man sie den Worten an den jungen Mann in den synoptischen Evangelien entnehmen kann,(20) wird in dem Maße deutlich, wie jemand den grundlegenden Schatz seines eigenen Menschseins im Hinblick auf jenen "Schatz" entdeckt, den der Mensch "im Himmel" hat. In dieser Blickrichtung verbindet sich der grundlegende Schatz des eigenen Menschseins mit der Wirklichkeit eines Menschen, der "sich selbst verschenkt". Der direkte Bezugspunkt einer solchen Berufung ist die lebendige Person Jesu Christi. Der Ruf zum Weg der Vollkommenheit formt sich von ihm her und durch ihn im Heiligen Geist, der immer wieder neue Personen, Männer und Frauen, in verschiedenen Momenten ihres Lebens und vor allem in ihrer Jugend an alles "erinnert", was Jesus gesagt hat,(21) und besonders an das, was er dem jungen Mann sagte, als dieser ihn fragte: "Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?"(22) Durch die Antwort Christi, der seinen Gesprächspartner "mit Liebe anschaut", dringt die intensive Kraft des Erlösungsgeheimnisses in das Gewissen, das Herz und den Willen des Menschen ein, der in Wahrheit und Aufrichtigkeit auf der Suche ist.

So beginnt der Ruf zum Weg der evangelischen Räte immer in Gott: "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt".(23) Die Berufung, in der der Mensch das Gesetz des Evangeliums vom Sichverschenken, das seinem eigenen Menschsein eingeprägt ist, in seiner ganzen Tiefe entdeckt, ist auch selbst ein Geschenk. Ein Geschenk, gefüllt mit dem tiefsten Inhalt des Evangeliums, ein Geschenk, in dem das gottmenschliche Wesen des Geheimnisses der Erlösung der Welt aufleuchtet. "Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat".(24)

III. Weihe

Die Ordensprofess ist ein "vollerer Ausdruck" der Taufweihe

7 Die Berufung hat euch, liebe Brüder und Schwestern, zur Ordensprofess geführt, in der ihr durch den kirchlichen Dienst Gott geweiht und zugleich eurer Ordensgemeinschaft eingegliedert worden seid. Darum sieht die Kirche in euch vor allem "geweihte" Personen: in Jesus Christus Gott geweiht und ihm allein zu eigen. Diese Weihe bestimmt euren Platz in der weltweiten Gemeinschaft der Kirche, des Volkes Gottes. Und zugleich stellt sie der umfassenden Sendung dieses Gottesvolkes eine besondere Quelle an geistlicher und übernatürlicher Energie zur Verfügung: eine besondere Form des Lebens, des Zeugnisses und des Apostolates in der Treue zur Sendung eurer Ordensgemeinschaft, zu ihrer Identität und ihrem geistlichen Erbe. Die universale Sendung des Volkes Gottes wurzelt in der messianischen Sendung Christi selbst - als Prophet, Priester und König -, an der alle auf verschiedene Weise teilhaben. Die den "geweihten" Personen eigene Form dieser Teilhabe entspricht der Form eurer Verwurzelung in Christus. Über die Tiefe und Kraft dieser Verwurzelung entscheidet gerade die Ordensprofess.

Sie schafft eine neue Verbindung des Menschen mit Gott, dem Einen und Dreifaltigen, in Jesus Christus. Diese Verbindung wächst auf der Grundlage jenes ursprünglichen Bandes, das mit dem Sakrament der Taufe gegeben ist. Die Ordensprofess "wurzelt zutiefst in der Taufweihe und bringt diese voller zum Ausdruck" .(25) Auf diese Weise wird sie in ihrem wesentlichen Inhalt zu einer neuen Weihe: zur Weihe und Hingabe der menschlichen Person an Gott als den über alles Geliebten. Die in den Gelübden übernommene Verpflichtung, die evangelischen Räte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams nach den euren Ordensgemeinschaften eigenen Anweisungen zu leben, wie sie in den Konstitutionen festgelegt sind, ist der Ausdruck einer vorbehaltlosen Weihe an Gott und zugleich das Mittel zu ihrer Verwirklichung. Von hierher finden dann auch das Zeugnis und das Apostolat, das den geweihten Personen zukommt, ihre entsprechende Form. Die Wurzel jener bewussten und freien Weihe und der daraus folgenden Selbsthingabe und Zueignung an Gott muss man aber immer in der Taufe suchen, dem Sakrament, das uns zum Ostergeheimnis führt als dem Gipfel und der Mitte der von Christus erwirkten Erlösung.

Um also das Wesen der Ordensprofess voll herauszustellen, muss man die eindringlichen Worte des heiligen Paulus im Römerbrief zu Hilfe nehmen: "Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus ... sollen auch wir als neue Menschen leben" ;(26) "unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit ... wir nicht Sklaven der Sünde bleiben" ;(27) "so sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus".(28)

Die Ordensprofess ist - auf der sakramentalen Grundlage der Taufe, in der sie wurzelt - ein neues "Begrabenwerden im Tode Christi": neu, weil aus Liebe und Berufung; neu, weil gelebt in ständiger Bereitschaft zur "Umkehr". Ein solches "Begrabenwerden" bedeutet, dass der Mensch, der "zusammen mit Christus begraben" ist, "mit Christus als neuer Mensch leben" soll. In Christus, dem Gekreuzigten, finden sowohl die Taufweihe als auch die Profess der evangelischen Räte, die nach dem Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils "eine besondere Weihe" darstellt, ihr letztes Fundament. Diese Weihe ist zugleich Tod und Befreiung. Der heilige Paulus schreibt: Begreift euch als "Menschen, die für die Sünde tot sind"; zugleich aber nennt er diesen Tod eine "Befreiung von der Sklaverei der Sünde". Vor allem jedoch stellt die Ordensweihe, auf der sakramentalen Grundlage der heiligen Taufe, ein neues Leben "für Gott in Christus Jesus dar".

So wird also bei der Profess der evangelischen Räte in einer viel reiferen und bewussteren Weise "der alte Mensch abgelegt" und zugleich "der neue Mensch angezogen", "der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit", um noch einmal die Worte aus dem Epheserbrief zu benutzen.(29)

Ein Bund bräutlicher Liebe

8 Liebe Brüder und Schwestern, die ihr in der ganzen Kirche den Bund der Profess der evangelischen Räte lebt, erneuert in diesem Heiligen Jahr der Erlösung das Bewusstsein von eurer besonderen Teilnahme am Kreuzestod des Erlösers: jener Teilnahme, durch die ihr mit ihm wiederauferweckt seid und ständig zu einem neuen Leben aufersteht. Der Herr spricht zu einem jeden von euch, wie er einmal durch den Propheten Jesaja gesprochen hat:

"Fürchte dich nicht,
denn ich habe dich ausgelöst,
ich habe dich beim Namen gerufen: du gehörst mir!".(30)

Der Ruf des Evangeliums: "Wenn du vollkommen sein willst, ... folge mir nach" ,(31) führt uns mit jenem Licht, das Worte des göttlichen Meisters stets ausstrahlen. Aus der Tiefe der Erlösung kommt der Ruf Christi, und aus dieser Tiefe erreicht er das Herz des Menschen; aus der Kraft der Gnade der Erlösung nimmt dieser Heilsruf im Herzen des Gerufenen die konkrete Gestalt der Profess der evangelischen Räte an. In dieser Gestalt ist eure Antwort auf den Ruf der erlösenden Liebe enthalten, und auch diese Antwort kommt aus der Liebe: aus der Liebe der Hingabe, die die Seele der Weihe ist, das heißt, der Weihe der ganzen Person. Die Worte bei Jesaja: "Ich habe dich ausgelöst ... : du gehört mir", scheinen genau diese Liebe zu besiegeln, die Liebe einer vollen und ausschließlichen Hingabe an Gott.

Auf solche Weise bildet sich der besondere Bund bräutlicher Liebe, in welchem mit unaufhörlichem Echo die Worte über Israel gleichsam widerhallen, dass der Herr "es erwählt hat ... als sein Eigentum" .(32) In jeder geweihten Person wird nämlich das "Israel" des neuen und ewigen Bundes erwählt. Das ganze messianische Volk, die ganze Kirche, wird in jeder Person auserwählt, die der Herr mitten aus diesem Volk ruft: in jeder Person, die sich für alle als ausschließliches Eigentum an Gott weiht. Wenn auch kein Mensch, auch nicht der heiligste, die Worte Christi "Ich heilige mich für sie"(33) entsprechend der in ihnen enthaltenen erlösenden Kraft auf sich selbst beziehen kann, so darf doch jeder dank der liebenden Hingabe, durch die er sich als ausschließliches Eigentum Gott anbietet, durch den Glauben im Kraftfeld dieser Worte stehen.

Rufen uns dazu nicht auch die Worte des Apostels im Brief an die Römer auf, die wir so oft wiederholen und meditieren: "Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt: das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst" .(34) Diese Worte sind gleichsam ein fernes Echo auf denjenigen, der bei seinem Eintritt in die Welt durch die Menschwerdung zum Vater sagt: "Einen Leib hast du mir geschaffen ... Ja, ich komme ... , um deinen Willen, Gott, zu tun" .(35)

Vertiefen wir uns also - in diesem besonderen Zusammenhang des Jubiläumsjahres der Erlösung - in das Geheimnis des Leibes und der Seele Christi als der gemeinsamen Quelle von erlösender und bräutlicher Liebe: bräutlich, weil erlösend. Aus Liebe bot er sich selbst als Opfer an, aus Liebe gab er seinen Leib "für die Sünde der Welt" dahin. Indem ihr durch die Weihe der Ordensgelübde in das österliche Geheimnis des Erlösers mit der Liebe einer Ganzhingabe eintaucht, wollt ihr Seele und Leib mit Opfergeist füllen, wozu euch auch der heilige Paulus mit den Worten des Römerbriefes einlädt: "Bringt euch selbst als Opfer dar" .(36) Auf diese Weise prägt sich der Ordensprofess die Ähnlichkeit mit jener Liebe ein, die im Herzen Christi erlösend und zugleich bräutlich ist. Eine solche Liebe muss bei einem jeden von euch, liebe Brüder und Schwestern, aus derselben Quelle jener besonderen Weihe hervorströmen, die - auf dem sakramentalen Grund der heiligen Taufe - den Beginn eures neuen Lebens in Christus und in der Kirche, den Beginn der neuen Schöpfung also darstellt.

Möge sich, zusammen mit dieser Liebe, in jedem einzelnen von euch die Freude darüber vertiefen, ausschließlich Gott anzugehören, ein besonderes Erbe der Allerheiligsten Dreifaltigkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu sein. Wiederholt öfters zusammen mit dem Psalmisten die vom Geist geschenkten Worte:

"Was habe ich im Himmel außer dir?
Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde.
Auch wenn mein Leib
und mein Herz verschmachten,
Gott ist der Fels meines Herzens
und mein Anteil auf ewig" .(37)

Oder auch:

"Ich sage zum Herrn: ,Du bist mein Herr;
mein ganzes Glück bist du allein.
Du, Herr, gibst mir das Erbe
und reichst mir den Becher;
du hältst mein Los in deinen Händen" .(38)

Das Bewusstsein, Gott selbst in Jesus Christus, dem Erlöser der Welt und Bräutigam der Kirche, anzugehören, besiegle eure Herzen,(39) all eure Gedanken, Worte und Werke mit dem Zeichen der biblischen Braut.

Wie ihr wisst, verwirklicht sich diese vertraute und tiefe Kenntnis Christi täglich mehr durch euer vom persönlichen, gemeinschaftlichen und liturgischen Gebet geprägtes Leben, wie es jeder eurer Ordensfamilien eigen ist. Gerade dadurch sind auch die Ordensleute, die sich ganz dem kontemplativen Leben geweiht haben, für ihre Brüder und Schwestern, die im Apostolat tätig sind, eine starke Hilfe und anregende Stütze. Dieses Bewusstsein, Christus anzugehören, öffne eure Herzen, Gedanken und Werke mit dem Schlüssel des Geheimnisses der Erlösung für alle Leiden, Nöte und Hoffnungen der Menschen und der Welt, in deren Mitte ihr eure Weihe nach dem Evangelium lebt als ein besonderes Zeichen der Gegenwart Gottes, "für den alle lebendig sind" ,(40) weil umfangen von der unsichtbaren Dimension seines Reiches. Das Wort "Folge mir", das Christus gesprochen hat, als er jeden einzelnen von euch, liebe Brüder und Schwestern, "mit Liebe ansah", hat auch diese Bedeutung: Nimm auf möglichst vollständige und radikale Weise an der Gestaltung jener "neuen Schöpfung"(41) teil, die sich aus der Erlösung der Welt durch die Kraft des Geistes der Wahrheit ergeben soll, der aus der Fülle des österlichen Geheimnisses Christi wirkt.

IV. Evangelische Räte

Ökonomie der Erlösung

9 In der Profess eröffnet sich einem jeden von euch der Weg der evangelischen Räte. Im Evangelium gibt es viele Empfehlungen, die das Maß eines Gebotes überschreiten, indem sie nicht nur angeben, was "notwendig" ist, sondern was "besser" ist. So zum Beispiel die Aufforderung, nicht zu schwören,(42) zu leihen, "ohne Dank zu erwarten" ,(43) alle Bitten und Wünsche des Nächsten zu erfüllen,(44) die Armen zum Mahl einzuladen,(45) immer zu vergeben(46) und viele ähnliche.

Wenn die Profess der evangelischen Räte nach der Tradition auf die drei Punkte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams konzentriert ist, scheint eine solche Gewohnheit hinreichend deutlich deren Bedeutung und Schlüsselstellung hervorzuheben, weil sie in einem gewissen Sinne die ganze Heilsökonomie "zusammenfassen" .

Alles, was im Evangelium ein Rat ist, gehört indirekt zum Programm jenes Weges, auf den Christus ruft, wenn er sagt: "Folge mir". Keuschheit, Armut und Gehorsam aber geben diesem Weg einen besonderen christozentrischen Charakter und prägen ihm das besondere Kennzeichen der Ökonomie der Erlösung ein.

Für diese "Ökonomie" ist die Umgestaltung des ganzen Kosmos durch das Herz des Menschen von innen her also, wesentlich: "Die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes ... ; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes" .(47) Diese Umgestaltung geht gleichen Schrittes mit jener Liebe, die der Ruf Christi dem Menschen ins Herz gibt, mit jener Liebe, die das Wesen der Weihe bildet: jenes Aktes, durch den sich Mann oder Frau in der Ordensprofess auf der Grundlage der sakramentalen Weihe der Taufe an Gott binden. Wir können das Fundament der Ökonomie der Erlösung entdecken, wenn wir die Worte aus dem ersten Johannesbrief lesen: "Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und die Hoffart des Lebens, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit" .(48)

Die Ordensprofess legt in das Herz eines jeden von euch, liebe Brüder und Schwestern, die Liebe des Vaters; jene Liebe, die im Herzen Jesu Christi ist, des Erlösers der Welt. Es ist die Liebe, die die Welt umfängt und alles, was in ihr vom Vater kommt; zugleich sucht sie alles in der Welt zu überwinden, was "nicht vom Vater kommt". Sie sucht also die dreifache Begierde zu besiegen. "Die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und die Hoffart des Lebens" sind im Innern des Menschen als Erbschaft der Ursünde verborgen; als deren Folge ist die Beziehung zur Welt, die von Gott geschaffen und der Herrschaft des Menschen anvertraut wurde,(49) auf verschiedene Weise im menschlichen Herzen entstellt worden. Die evangelischen Räte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams bilden in der Ökonomie der Erlösung die radikalsten Mittel, um im Herzen des Menschen diese Beziehung zur "Welt" umzugestalten: zur äußeren Welt und zum eigenen "Ich", das gewissermaßen den zentralen Teil dieser "Welt" im biblischen Sinne darstellt, da in ihm das, was "nicht vom Vater kommt", seinen Ausgang nimmt.

Auf dem Hintergrund der aus dem ersten Johannesbrief angeführten Sätze ist es nicht schwierig, die grundlegende Bedeutung der drei evangelischen Räte in der ganzen Ökonomie der Erlösung wahrzunehmen. Die evangelische Keuschheit hilft uns, in unserem inneren Leben alles umzuformen, was seinen Ursprung in der Begierde des Fleisches hat; die evangelische Armut das, was seinen Ursprung in der Begierde der Augen hat; der evangelische Gehorsam erlaubt uns schließlich, in radikaler Weise das umzugestalten, was im menschlichen Herzen der "Hoffart des Lebens" entspringt. Wir sprechen hier bewusst von der Überwindung als einer Umgestaltung, weil die ganze Ökonomie der Erlösung von jenen Worten umschrieben wird, die Christus im Hohenpriesterlichen Gebet an den Vater gerichtet hat: "Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst" .(50) Die evangelischen Räte dienen in ihrer wesentlichen Sinnrichtung "der Erneuerung der Schöpfung": Die "Welt" soll durch sie dem Menschen unterworfen und ihm in der Weise anheimgegeben werden, dass der Mensch sich selbst vollkommen an Gott übergeben kann.

Teilnahme an der Entäußerung Christi

10 Der innere Sinn der evangelischen Räte führt zur Entdeckung noch weiterer Aspekte, die ihre enge Beziehung zur Ökonomie der Erlösung hervorheben. Wir wissen ja, dass diese im österlichen Geheimnis Jesu Christi gipfelt, in welchem sie die Entäußerung im Tod und die Geburt zu einem neuen Leben durch die Auferstehung verbinden. Der Vollzug der evangelischen Räte ist zutiefst gekennzeichnet von diesem doppelten Ostergeschehen.(51) Er enthält die notwendige Trennung von dem, was in einem jeden von uns die Sünde und ihre Folge ist, und die Möglichkeit, jeden Tag neugeboren zu werden zu einem höheren Gut, das in der menschlichen Seele verborgen ist. Dieses Gut offenbart sich unter der Einwirkung der Gnade, für die ein Leben in Keuschheit, Armut und Gehorsam die Seele des Menschen besonders empfänglich macht. Die ganze Ökonomie der Erlösung verwirklicht sich durch eben diese Empfänglichkeit für das Wirken des Heiligen Geistes, der der unmittelbare Urheber jeder Heiligkeit ist. Auf diesem Wege öffnet die Profess der evangelischen Räte in einem jeden von euch, liebe Brüder und Schwestern, einen weiten Raum für die "neue Schöpfung" ,(52) die aus der Ökonomie der Erlösung in eurem menschlichen "Ich" und durch dieses menschliche "Ich" auch in den zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen entsteht. Sie entsteht damit zugleich in der Menschheit als einem Teil der von Gott geschaffenen Welt: jener Welt, die der Vater "von neuem" geliebt hat im ewigen Sohn, dem Erlöser der Welt.

Von diesem Sohn sagt der heilige Paulus: "Er war Gott gleich ... , er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich" .(53) Das besondere Merkmal der Entäußerung, das im Vollzug der evangelischen Räte enthalten ist, ist also ganz und gar christozentrisch. Deshalb verweist auch der Meister von Nazareth ausdrücklich auf das Kreuz als Bedingung, um in seine Nachfolge einzutreten. Jener, der einmal zu jedem einzelnen von euch gesagt hat: "Folge mir", hat auch gesagt: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (= wandle auf meinen Spuren).(54) Und er sagte dies allen seinen Zuhörern, nicht nur seinen Jüngern. Das Gesetz des Verzichtes gehört also zum Wesen der christlichen Berufung. In besonderer Weise gehört es jedoch zum Wesen der Berufung, die mit der Profess der evangelischen Räte verbunden ist. Zu denen, die sich auf dem Weg dieser Berufung befinden, sprechen in einer durchaus verständlichen Sprache auch jene schwierigen Aussagen, die wir im Brief an die Philipper lesen: "Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein" .(55)

Verzicht also - als Widerschein des Geheimnisses von Kalvaria -, um sich vollkommener in Christus "wiederzufinden", der gekreuzigt wurde und auferstanden ist; Verzicht, um in ihm bis zum Grund das Geheimnis des eigenen Menschseins zu erkennen und es auf dem Wege jener wunderbaren Verwandlung zu bestätigen, von der derselbe Apostel an einer anderen Stelle schreibt: "Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert" .(56) Auf diese Weise überträgt die Ökonomie der Erlösung die Macht des österlichen Geheimnisses auf den Bereich des Menschseins, das empfänglich ist für den Ruf Christi zum Leben in Keuschheit, Armut und Gehorsam, zum Leben nach den evangelischen Räten.

V. Keuschheit - Armut - Gehorsam

Keuschheit

11 Der österliche Charakter dieses Rufes lässt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten erkennen, in bezug auf jeden einzelnen Rat.

So muss man nach dem Maßstab der Ökonomie der Erlösung jene Keuschheit beurteilen und leben, die ein jeder und eine jede von euch durch ein Gelübde zusammen mit Armut und Gehorsam versprochen hat. Darin enthalten ist die Antwort auf die Worte Christi, die zugleich Einladung sind: "Manche haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es" .(57) Zuvor hatte Christus betont: "Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist" .(58) Diese letzteren Worte weisen deutlich darauf hin, dass diese Einladung ein Rat ist. Dem hat auch der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther eine eigene Betrachtung gewidmet.(59) Dieser Rat richtet sich in einer besonderen Weise an das liebende Herz des Menschen. Er verdeutlicht mehr den bräutlichen Charakter dieser Liebe, während die Armut und mehr noch der Gehorsam vor allem den Aspekt der erlösenden Liebe herausstellen, wie sie in der Ordensweihe enthalten ist. Es handelt sich hier bekanntlich um Keuschheit im Sinne eines Verzichts auf die Ehe "um des Himmelreiches willen"; es geht also um die Jungfräulichkeit als Ausdruck der bräutlichen Liebe für den Erlöser selbst. In diesem Sinn lehrt der Apostel, dass derjenige "richtig handelt", der sich für die Ehe entscheidet, und jener "besser handelt"! der die Ehelosigkeit wählt.(60) "Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen" ;(61) "die unverheiratete Frau aber und die Jungfrau sorgen sich um die Sache des Herrn, um heilig zu sein an Leib und Geist" .(62)

Weder in den Worten Christi noch in denen des Paulus ist eine Missachtung der Ehe enthalten. Der evangelische Rat der Keuschheit ist nur ein Hinweis auf jene besondere Möglichkeit, die für das menschliche Herz, sei es des Mannes oder der Braut, die bräutliche Liebe für Christus selbst, für Jesus, "den Herrn", darstellt. "Sich zur Ehe unfähig machen um des Himmelreiches willen" ist nämlich nicht nur ein freier Verzicht auf die Ehe und auf das Familienleben, sondern eine charismatische Entscheidung für Christus als ausschließlichen Bräutigam. Diese Entscheidung erlaubt nicht nur, sich in ganz besonderer Weise "um die Sache des Herrn zu sorgen", sondern bringt - wenn gefällt "um des Himmelreiches willen" - dieses eschatologische Reich Gottes dem Leben aller Menschen unter den Bedingungen der Zeitlichkeit nahe; sie macht es gewissermaßen inmitten der Welt gegenwärtig.

Dadurch verwirklichen die geweihten Personen den inneren Sinn der ganzen Ökonomie der Erlösung. Dieser äußert sich nämlich im Herannahen des Reiches Gottes in seiner endgültigen, eschatologischen Dimension. Durch das Gelübde der Keuschheit nehmen die geweihten Personen teil an der Ökonomie der Offenbarung, indem sie freiwillig auf die zeitlichen Freuden des Ehe- und Familienlebens verzichten. Andererseits tragen sie gerade durch ihren Verzicht auf die Ehe "um des Himmelreiches willen" mitten in die vergängliche Welt die Verkündigung der künftigen Auferstehung(63) und des ewigen Lebens: des Lebens in Gemeinschaft mit Gott selbst durch die selige Schau und die Liebe, die alle anderen möglichen Weisen der Liebe des menschlichen Herzens in sich schließt und vollkommen durchdringt.

Armut

12 Wie ausdrucksstark sind hinsichtlich der Armut die Worte des zweiten Korintherbriefes, die eine knappe Zusammenfassung all dessen bilden, was wir im Evangelium zu diesem Thema hören! "Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen".(64) Nach diesen Worten gehört die Armut zur inneren Struktur der erlösenden Gnade Jesu Christi. Ohne die Armut ist es nicht möglich, das Geheimnis der Hingabe der Gottesnatur an den Menschen zu verstehen, eine Hingabe, die sich in Jesus Christus erfüllt hat. Deshalb steht sie auch im Zentrum des Evangeliums, am Anfang der Botschaft der acht Seligpreisungen: "Selig, die arm sind vor Gott" .(65) Die evangelische Armut öffnet der menschlichen Seele den Blick auf das ganze Geheimnis, "das von Ewigkeit her in Gott verborgen war".(66)

Allein diejenigen, die auf diese Weise "arm" sind, sind auch innerlich fähig, die Armut dessen zu verstehen, der selber unendlich reich ist. Die Armut Christi birgt in sich den unendlichen Reichtum Gottes; sie ist sogar dafür ein unfehlbarer Ausdruck. Ein Reichtum, wie ihn die Gottesnatur selbst darstellt, konnte tatsächlich in keinem geschaffenen Gut in angemessener Weise ausgedrückt werden. Er kann sich nur in der Armut so ausdrücken. Deshalb kann er auch nur von den Armen richtig verstanden werden, von denen, die vor Gott arm sind. Christus, Mensch und Gott, ist der erste von ihnen: Er, der "reich war und arm wurde", ist nicht nur der Meister, sondern auch der Künder und Garant jener erlösenden Armut, die dem unendlichen Reichtum Gottes und der unerschöpflichen Macht seiner Gnade entspricht.

Deshalb ist es auch wahr - wie der Apostel schreibt -, dass "er uns durch seine Armut reich gemacht hat". Er ist der Meister und Künder der Armut, die reich macht. Eben deshalb sagt er zu dem jungen Mann in den synoptischen Evangelien: "Verkauf deinen Besitz ... , gib ihn weg ... , und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben" .(67) In diesen Worten ist ein Ruf enthalten, die anderen durch die eigene Armut reich zu machen; aber in der Tiefe dieses Rufes ist das Zeugnis des unendlichen Reichtums Gottes verborgen, eines Reichtums, der, im Geheimnis der Gnade auf die menschliche Seele übertragen, im Menschen selbst gerade durch die Armut eine Quelle schafft, die die anderen reich macht. Diese ist nicht zu vergleichen mit irgendeiner anderen Quelle materieller Güter; es ist eine Quelle, um die anderen nach dem Vorbild Gottes selbst zu beschenken. Dieses Schenken verwirklicht sich im Bereich des Geheimnisses Christi, der "uns durch seine Armut reich gemacht hat". Wir sehen, wie sich dieser Vorgang des Reicherwerdens auf den Seiten des Evangeliums entwickelt und seinen Gipfel im Osterereignis findet: Christus, der Ärmste im Kreuzestod, ist zugleich derjenige, der uns mit der Fülle des neuen Lebens durch die Auferstehung unendlich reich macht.

Liebe Brüder und Schwestern, arm vor Gott durch die Profess der evangelischen Räte: Nehmt diesen Heilscharakter der Armut Christi in euer ganzes Leben hinein! Bemüht euch Tag für Tag um ihre immer größere Reife! Sucht vor allem "das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit", und alles andere "wird euch dazugegeben" .(68) Möge sich in euch und durch euch die Seligpreisung des Evangeliums erfüllen, die den Armen verheißen ist,(69) denen, die vor Gott arm sind!(70)

[Fortsetzung folgt]