Das juedische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel

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Schreiben

Päpstliche Bibelkommission
im Pontifikat von Papst
Johannes Paul II.
Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel
24. Mai 2001

(Quelle: Deutsche Fassung auf der Seite des Vatikans)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

VORWORT

In der Theologie der Kirchenväter war die Frage der inneren Einheit der aus Altem und Neuem Testament bestehenden einen Bibel der Kirche ein zentrales Thema. Dass dies bei weitem nicht nur ein theoretisches Problem war, kann man am geistigen Weg eines der größten Lehrer der Christenheit – des heiligen Augustinus von Hippo – sozusagen handgreiflich wahrnehmen. Augustin hatte als 19-jähriger im Jahr 373 ein erstes einschneidendes Bekehrungserlebnis erfahren. Die Lektüre eines Buches von Cicero – des verloren gegangenen Hortensius – hatte in ihm eine tiefe Wandlung bewirkt, die er selbst aus der Rückschau so beschreibt: »Zu dir, Herr, wandte es meine Gebete ... Ich begann mich zu erheben, um zu dir zurückzukehren ... Wie glühte ich, mein Gott, wie glühte ich, vom Irdischen mich zu erheben zu dir« (conf III 4,81). Für den jungen Afrikaner, der als Kind das Salz empfangen hatte, das ihn zum Katechumenen machte, war klar, dass die Wendung zu Gott eine Wendung zu Christus sein musste, dass er ohne Christus Gott nicht wirklich finden konnte. So ging er von Cicero zur Bibel und erlebte eine furchtbare Enttäuschung: In den schwierigen Gesetzesbestimmungen des Alten Testaments, in seinen verschlungenen und manchmal auch grausamen Geschichten konnte er die Weisheit nicht erkennen, zu der er sich aufmachen wollte. Auf seiner Suche stieß er auf Menschen, die ein neues geistiges Christentum verkündeten – ein Christentum, in dem man das Alte Testament als ungeistlich und widerwärtig verachtete; ein Christentum, dessen Christus das Zeugnis der hebräischen Propheten nicht brauchte. Diese Leute versprachen ein Christentum der einfachen und reinen Vernunft, ein Christentum, in dem Christus der große Erleuchter war, der die Menschen zu einer wahren Selbsterkenntnis führte. Es waren die Manichäer. (1)

Die große Verheißung der Manichäer erwies sich als trügerisch, aber das Problem war damit nicht gelöst. Zum Christentum der katholischen Kirche konnte Augustin sich erst bekehren, als er durch Ambrosius eine Auslegung des Alten Testaments kennen gelernt hatte, die die Bibel Israels transparent werden ließ auf Christus hin und so das Licht der gesuchten Weisheit in ihr sichtbar machte. Nun wurde nicht nur der äußere Anstoß der unbefriedigenden literarischen Form der altlateinischen Bibel, sondern vor allem der innere Anstoß eines Buches überwunden, das eher als Dokument der Glaubensgeschichte eines bestimmten Volkes mit all seinen Wirrungen und Irrungen denn als Stimme einer alle angehenden, von Gott her kommenden Weisheit erschienen war. Eine solche Lektüre der Bibel Israels, die in deren geschichtlichen Wegen die Transparenz auf Christus und damit die Transparenz auf den Logos, die ewige Weisheit selbst erkannte, war nicht nur für Augustins Glaubensentscheidung grundlegend: Sie war und ist die Grundlage des Glaubensentscheids der Kirche im Ganzen.

Aber ist sie wahr? Ist sie auch heute noch begründbar und vollziehbar? Aus der Perspektive der historisch-kritischen Exegese scheint – jedenfalls für den ersten Blick – alles dagegen zu sprechen. So hat denn 1920 der führende liberale Theologe Adolf von Harnack die These formuliert: »Das AT im zweiten Jahrhundert zu verwerfen (er spielt auf Markion an), war ein Fehler, den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat; es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal, dem sich die Reformation nicht zu entziehen vermochte; es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische, dem NT gleichwertige Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren, ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung«. (2)

Hat Harnack Recht? Zunächst scheint vieles dafür zu sprechen. Wenn die Exegese des Ambrosius für Augustin den Weg zur Kirche eröffnete und – im Einzelnen natürlich durchaus variierbar – in ihrer Grundrichtung zum Fundament des Glaubens an das zweiteilige und doch eine Gotteswort der Bibel wurde, so kann man sofort dagegen sagen: Ambrosius hatte diese Exegese in der Schule des Origenes gelernt, der sie als erster konsequent durchgeführt hat. Origenes aber – so sagt man – habe dabei nur die in der griechischen Welt den religiösen Schriften des Altertums – besonders Homer – gegenüber geübte Methode allegorischer Auslegung auf die Bibel übertragen, also nicht nur eine dem biblischen Wort von innen her fremde Hellenisierung vollzogen, sondern sich einer Methode bedient, die in sich selbst unglaubwürdig war, weil sie letztlich darauf angelegt war, als sakral zu konservieren, was in Wirklichkeit das Zeugnis einer nicht mehr vergegenwärtigungsfähigen Kultur darstellte. Aber so einfach ist es nicht. Origenes konnte mehr noch als auf der Homer-Exegese der Griechen auf der Auslegung des Alten Testaments aufbauen, die im jüdischen Milieu, besonders in Alexandrien und mit Philo als führendem Kopf, entstanden war und auf eine durchaus eigene Weise die Bibel Israels den Griechen zu erschließen versuchte, die längst über die Götter hinaus nach dem einen Gott fragten, den sie in der Bibel finden konnten. Und er hat bei den Rabbinen gelernt. Schließlich hat er durchaus eigene christliche Prinzipien erarbeitet: die innere Einheit der Bibel als Auslegungsmaßstab, Christus als Bezugspunkt aller Wege des Alten Testaments. (3)

Aber wie immer man die Exegese des Origenes und des Ambrosius im Einzelnen beurteilen mag, ihre letzte Grundlage war weder die griechische Allegorese noch Philo noch die rabbinischen Methoden. Ihre eigentliche Grundlage – jenseits der Details der Interpretation – war das Neue Testament selbst. Jesus von Nazaret hat den Anspruch erhoben, der wahre Erbe des Alten Testaments – der »Schrift« – zu sein und ihm die gültige Auslegung zu geben, Auslegung freilich nicht in der Art der Gelehrten, sondern aus der Autorität des Autors selbst: »Er lehrte wie einer, der (göttliche) Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten« (Mk 1,22). Die Emmausgeschichte fasst diesen Anspruch nochmals zusammen: »Er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht« (Lk 24,27). Die neutestamentlichen Schriftsteller haben diesen Anspruch im Einzelnen zu begründen versucht, am nachdrücklichsten Matthäus, aber nicht minder Paulus, der dabei die rabbinischen Interpretationsmethoden nutzte und zu zeigen versuchte, dass gerade diese von den Schriftgelehrten entwickelte Auslegungsform auf Christus als Schlüssel der »Schriften« hinführte. Für die Verfasser und Begründer des Neuen Testaments ist das Alte Testament ja ganz einfach die »Schrift«; erst die werdende Kirche konnte allmählich einen neutestamentlichen Kanon formen, der nun ebenfalls Heilige Schrift bildete, aber doch immer in der Weise, dass er die Bibel Israels, die Bibel der Apostel und ihrer Schüler, die nun erst den Namen Altes Testament empfängt, als solche voraussetzt und den Deutungsschlüssel für sie liefert.

Insofern haben die Kirchenväter mit ihrer christologischen Deutung des Alten Testaments nichts Neues geschaffen, sondern nur entwickelt und systematisiert, was sie im Neuen Testament selbst vorfanden. Diese für den christlichen Glauben grundlegende Synthese musste in dem Augenblick fragwürdig werden, in dem das historische Bewusstsein Auslegungsmaßstäbe entwickelte, von denen her die Exegese der Väter als unhistorisch und daher als sachlich unhaltbar erscheinen musste. Luther hat im Kontext des Humanismus und seines neuen historischen Bewusstseins, vor allem aber im Kontext seiner Rechtfertigungslehre, eine neue Formel für das Zueinander der beiden Teile der christlichen Bibel entwickelt, die nicht mehr auf der inneren Harmonie von Altem und Neuem Testament beruht, sondern auf ihrer heilsgeschichtlich und existentiell wesentlich dialektischen Antithese von Gesetz und Evangelium. Bultmann hat diesen Grundansatz modern in der Formel ausgedrückt, das Alte Testament habe sich in Christus in seinem Scheitern erfüllt. Radikaler ist der eben erwähnte Vorschlag Harnacks, der zwar – so weit ich sehen kann – kaum von jemand aufgegriffen wurde, aber durchaus logisch war von einer Exegese her, für die Texte der Vergangenheit nur jeweils den Sinn haben können, den ihre Autoren ihnen in ihrem historischen Augenblick mit auf den Weg geben wollten. Dass aber die Schriftsteller der vorchristlichen Jahrhunderte, die in den alttestamentlichen Büchern zu Worte kommen, auf Christus und auf den Glauben des Neuen Testaments voraus verweisen wollten, erscheint dem modernen historischen Bewusstsein mehr als unwahrscheinlich. Insofern schien mit dem Sieg der historisch-kritischen Exegese die vom Neuen Testament selbst initiierte christliche Auslegung des Alten Testaments gescheitert. Dies ist, wie wir sahen, nicht eine historische Einzelfrage, sondern die Grundlagen des Christentums selbst stehen dabei zur Debatte. So wird auch klar, warum niemand Harnacks Vorschlag folgen wollte, nun endlich den von Markion lediglich zu früh eingeschlagenen Abschied vom Alten Testament zu vollziehen. Was man dabei übrig ließe, unser Neues Testament, wäre in sich sinnlos, Das hier vorzustellende Dokument der Päpstlichen Bibelkommission sagt darüber: »Sans l'Ancien Testament, le Nouveau Testament serait un livre indéchiffrable, une plante privée de ses racines et destinée à se dessécher« (4) (Nr. 84).

An dieser Stelle wird die Größe der Aufgabe sichtbar, vor die sich die Päpstliche Bibelkommission gestellt sah, als sie sich entschied, das Thema des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament anzugehen. Wenn es einen Ausweg aus der von Harnack beschriebenen Sackgasse geben soll, muss der Begriff einer heute verantwortbaren Auslegung von historischen Texten, besonders aber von dem als Wort Gottes geglaubten Text der Bibel gegenüber der Sicht der liberalen Gelehrten erweitert und vertieft werden. In dieser Richtung ist in den letzten Jahrzehnten Wichtiges geschehen. Die Päpstliche Bibelkommission hat den wesentlichen Ertrag dieser Erkenntnisse in ihrem 1993 veröffentlichten Dokument »Die Interpretation der Bibel in der Kirche« dargestellt. Die Einsicht in die Mehrdimensionalität menschlicher Rede, die nicht an einem historischen Punkt fixiert ist, sondern in die Zukunft vorausgreift, war eine Hilfe, um besser zu verstehen, wie Gottes Wort sich des Menschenwortes bedienen kann, um einer fortschreitenden Geschichte einen Sinn einzustiften, der über den jeweiligen Augenblick hinausweist, und doch gerade so die Einheit des Ganzen bewirkt. Die Bibelkommission hat unter Aufnahme dieses ihres früheren Dokuments und auf der Basis sorgsamer methodischer Überlegungen die einzelnen großen inhaltlichen Komplexe der beiden Testamente auf ihre Beziehung hin untersucht und zusammenfassend sagen können, dass die christliche Hermeneutik des Alten Testaments, die zweifellos von derjenigen des Judentums unterschieden ist, »correspond cependant à une potentialité de sens effectivement présente dans les textes« (5) (Nr. 64). Dies ist ein Ergebnis, das mir für den Fortgang des Gesprächs, aber vor allem auch für die Grundlegung des christlichen Glaubens von hoher Bedeutung zu sein scheint.

Die Bibelkommission konnte aber bei ihrer Arbeit nicht von dem Kontext unserer Gegenwart absehen, in der der Schock der Schoa die ganze Frage in ein anderes Licht getaucht hat. Zwei Hauptprobleme stellten sich: Können die Christen nach allem Geschehenen noch ruhig Anspruch darauf erheben, rechtmäßige Erben der Bibel Israels zu sein? Dürfen sie mit einer christlichen Auslegung dieser Bibel fortfahren, oder sollten sie nicht lieber respektvoll und demütig auf einen Anspruch verzichten, der im Licht des Geschehenen als Anmaßung erscheinen muss? Damit hängt die zweite Frage zusammen: Hat nicht die Darstellung der Juden und des jüdischen Volkes im Neuen Testament selbst dazu beigetragen, eine Feindseligkeit dem jüdischen Volk gegenüber zu schaffen, die der Ideologie derer Vorschub leistete, die Israel auslöschen wollten? Die Kommission hat sich beiden Fragen gestellt. Es ist klar, dass ein Abschied der Christen vom Alten Testament nicht nur, wie vorhin angedeutet, das Christentums selbst aufheben müsste, sondern auch dem positiven Verhältnis zwischen Christen und Juden nicht dienen könnte, weil ihnen eben das gemeinsame Fundament entrissen würde. Was aber aus dem Geschehenen folgen muss, ist ein neuer Respekt für die jüdische Auslegung des Alten Testaments. Das Dokument sagt dazu zweierlei. Zunächst stellt es fest, dass die jüdische Lektüre der Bibel »eine mögliche Lektüre ist, die in Kontinuität mit den heiligen Schriften der Juden aus der Zeit des zweiten Tempels steht und analog ist der christlichen Lektüre, die sich parallel dazu entwickelt hat« (Nr. 22). Sie fügt hinzu, dass die Christen viel lernen können von der 2000 Jahre hindurch praktizierten jüdischen Exegese; umgekehrt können die Christen hoffen, dass die Juden aus den Forschungen christlicher Exegese Nutzen ziehen können (ebd.). Ich denke, das diese Analysen für den Fortgang des christlich-jüdischen Dialogs, aber auch für die innere Formung des christlichen Bewusstseins hilfreich sein werden.

Der Frage nach der Darstellung der Juden im Neuen Testament gilt der letzte Teil des Dokuments, in dem sorgsam die »antijüdischen« Texte ausgeleuchtet werden. Hier möchte ich nur eine mir besonders wichtig erscheinende Einsicht herausheben. Das Dokument zeigt, dass die im Neuen Testament an die Juden gerichteten Vorwürfe nicht häufiger und nicht schärfer sind als die Anklagen gegen Israel im Gesetz und bei den Propheten, also innerhalb des Alten Testaments selbst (Nr. 87). Sie gehören der prophetischen Sprache des Alten Testaments zu und sind daher wie die Prophetenworte zu interpretieren: Sie warnen vor gegenwärtigen Fehlwegen, aber sie sind ihrem Wesen nach immer temporär und setzen so auch immer neue Möglichkeiten des Heils voraus.

Den Mitgliedern der Bibelkommission möchte ich Dank und Anerkennung für ihre Mühen aussprechen. Aus ihrem mehrere Jahre hindurch geduldig geführten Disput ist dieses Dokument gewachsen, das meiner Überzeugung nach für eine zentrale Frage des christlichen Glaubens und für die so wichtige Suche nach einem neuen Verstehen zwischen Christen und Juden eine wichtige Hilfe bieten kann.

Rom, am Fest Christ Himmelfahrt 2001
Joseph Kardinal Ratzinger


EINFÜHRUNG (6)

1 In jüngster Zeit sind die Christen zu einem besseren Verständnis der geschwisterlichen Bande gelangt, die sie aufs engste mit dem jüdischen Volk verbinden. Während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) hat das jüdische Volk aufgrund von tragischen Ereignissen, genauer gesagt abscheulichen Verbrechen eine Prüfung unvorstellbaren Ausmaßes durchmachen müssen, die in weiten Teilen Europas selbst seine Existenz in Frage stellte. In diesen geschichtlichen Umständen haben Christen nicht den geistlichen Widerstand geleistet, den man mit Recht von den Jüngern Jesu hätte erwarten können, und nicht die entsprechenden Initiativen ergriffen. Andere Christen sind dagegen den in Gefahr befindlichen Juden zu Hilfe geeilt, nicht selten unter Gefahr für das eigene Leben. Im Gefolge dieser immensen Tragödie sahen sich die Christen vor die Notwendigkeit gestellt, ihre Beziehungen zum jüdischen Volk zu vertiefen. Mit großem Einsatz wurde geforscht und reflektiert. Die Päpstliche Bibelkommission hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich im Rahmen ihrer Kompetenz an dieser Anstrengung zu beteiligen. Ihre begrenzte Kompetenz erlaubt es der Kommission selbstverständlich nicht, zu allen geschichtlichen oder aktuellen Aspekten des Problems Stellung zu beziehen; sie beschränkt sich auf den biblischen Gesichtspunkt auf dem heutigen Stand der Forschung.

Die Frage, die sich stellt, ist die folgende: Welche Beziehungen begründet die christliche Bibel zwischen den Christen und dem jüdischen Volk? Die generelle Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand: Die christliche Bibel begründet zwischen den Christen und dem jüdischen Volk zahlreiche enge Bande, und zwar aus dem doppelten Grunde, dass sie zum Großteil aus den »heiligen Schriften« (Röm 1,2) des jüdischen Volkes besteht, die die Christen das »Alte Testament« nennen, und dass sie auf der anderen Seite eine Sammlung von Schriften umfasst, die den Glauben an Jesus Christus bekunden und diesen in enge Beziehung zu den Heiligen Schriften des jüdischen Volkes bringen. Diese zweite Schriftengruppe wird bekanntlich »Neues Testament« genannt, in Entsprechung zum »Alten Testament«.

Das Vorhandensein enger Beziehungen lässt sich nicht leugnen. Eine eingehendere Untersuchung der Texte ergibt gleichwohl, dass sich die Beziehungen nicht auf eine einfache Formel bringen lassen; sie weisen vielmehr eine hohe Komplexität auf, die von vollkommener Übereinstimmung in einigen Punkten hin zu einer starken Spannung in anderen reicht. So ist ein eingehenderes Studium unerlässlich. Die Päpstliche Bibelkommission hat sich ihm während der vergangenen Jahre gewidmet. Die Ergebnisse dieser Untersuchung, die selbstverständlich nicht den Anspruch auf eine erschöpfende Erfassung des Gegenstandes erheben, werden hier in drei Kapiteln vorgestellt. Das erste, grundlegende Kapitel stellt fest, dass das Neue Testament die Autorität des Alten Testamentes als göttlicher Offenbarung anerkennt und dass es ohne seine enge Verbindung zu diesem und zu der jüdischen Überlieferung, die es vermittelte, nicht zu verstehen ist. Das zweite Kapitel geht dann mehr im Einzelnen der Art und Weise nach, wie die Schriften des Neuen Testamentes den Gehalt des Alten Testamentes übernehmen, indem sie dessen grundlegende Themen im Lichte Jesu Christi aufgreifen. Das dritte Kapitel verzeichnet schließlich die sehr unterschiedlichen Einstellungen, die die Schriften des Neuen Testaments gegenüber den Juden zum Ausdruck bringen, wobei solche unterschiedlichen Einstellungen bereits im Alten Testament grundgelegt sind.

Die Päpstliche Bibelkommission hofft auf diese Weise den Dialog zwischen Christen und Juden in Klarheit und in wechselseitiger Hochachtung und Zuneigung zu fördern.

I. DIE HEILIGE SCHRIFT DES JÜDISCHEN VOLKES ALS GRUNDLEGENDER BESTANDTEIL DER CHRISTLICHEN BIBEL

2 Vor allem aufgrund ihres geschichtlichen Ursprungs sieht sich die Gemeinde der Christen mit dem jüdischen Volke verbunden. In der Tat ist derjenige, dem sie ihren Glauben geschenkt hat, Jesus von Nazaret, ein Sohn des jüdischen Volkes. Ebenso sind es die Zwölf, die er ausgewählt hat, »um sie bei sich zu haben und auszusenden, damit sie predigten« (Mk 3,14). Am Anfang galt die apostolische Verkündigung nur den Juden und den Proselyten, also Heiden, die sich der jüdischen Gemeinde angeschlossen hatten (vgl. Apg 2,11). So ist das Christentum im Schoß des Judentums des ersten Jahrhunderts entstanden. Es hat sich dann zunehmend von ihm gelöst, doch kann die Kirche niemals ihre jüdischen Wurzeln vergessen, die so klar im Neuen Testament bezeugt sind; sie erkennt den Juden sogar einen Vorrang zu, denn das Evangelium ist »eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, und ebenso den Griechen« (Röm 1,16).

Ein ständig aktuelles Zeichen dieses Bandes vom Ursprung her besteht in der Annahme der Heiligen Schriften des jüdischen Volkes durch die Christen als Wort Gottes, das auch an sie gerichtet ist. Die Kirche hat in der Tat alle in der Hebräischen wie in der Griechischen Bibel enthaltenen Bücher als von Gott inspiriert angenommen. Die Bezeichnung »Altes Testament«, die dem Gesamt dieser Schriften verliehen ist, ist ein vom Apostel Paulus geprägter Ausdruck, der die dem Mose zugeschriebenen Schriften meint (vgl. 2 Kor 3,14-15). Sein Sinn wurde seit dem Ende des 2. Jahrhunderts erweitert, um auch andere jüdische Schriften in hebräischer, aramäischer oder griechischer Sprache einzuschließen. Die Bezeichnung »Neues Testament« stammt aus einem Spruch des Jeremiabuches, der einen »Neuen Bund« ankündigt (Jer 31,31). Der Ausdruck erhielt dann im Griechischen der Septuaginta den Sinn von »Neue Verfügung«, »Neues Testament« (kain‘ diath‘k‘). Der Spruch kündigte an, dass Gott vorhabe, einen Neuen Bund zu schließen. Der christliche Glaube sieht diese Verheißung mit der Einsetzung der Eucharistie im Geheimnis Jesu Christi verwirklicht (vg. 1 Kor 11,25; Hebr 9,15). In der Folge hat man eine Gruppe von Schriften »Neues Testament« genannt, die den Glauben der Kirche in seiner Neuheit zum Ausdruck bringen. Von sich aus bringt der Name bereits das Vorhandensein von Beziehungen zum »Alten Testament« zum Ausdruck.

A. Das Neue Testament erkennt die Autorität der Heiligen Schrift des jüdischen Volkes an

3 Die Schriften des Neuen Testamentes geben sich an keiner Stelle als etwas grundlegend Neues aus. Sie erweisen sich vielmehr als tief in der langen Glaubenserfahrung Israels verwurzelt, wie sie sich in unterschiedlicher Form in den Heiligen Büchern widerspiegelt, die die Schrift des jüdischen Volkes ausmachen. Das Neue Testament erkennt diesen eine göttliche Autorität zu. Diese Anerkennung der Autorität der Heiligen Schriften Israels kommt in unterschiedlicher Weise – teils ausdrücklich, teils eher implizit – zum Ausdruck.

1. Implizite Anerkennung der Autorität

Um vom am wenigsten ausdrücklichen Element auszugehen, das dennoch starken Indiziencharakter hat, so lässt sich auf den Gebrauch einer gemeinsamen Sprache verweisen. Das Griechische des Neuen Testaments hängt stark von demjenigen der Septuaginta ab, ob es sich nun um grammatikalische Wendungen handelt, die vom Hebräischen beeinflusst sind, oder um den Wortschatz, vor allem den religiösen. Ohne eine Kenntnis des Griechischen der Septuaginta lässt sich der genauer Sinn vieler wichtiger Ausdrücke im Neuen Testament nicht erfassen. (7)

Diese sprachliche Verwandtschaft erstreckt sich natürlich auf zahlreiche Ausdrücke, die das Neue Testament aus der Schrift des jüdischen Volkes entlehnt hat, bis hin zu dem häufigen Phänomen von Reminiszenzen und impliziten Zitaten, d. h. ganzen Sätzen, die das Neue Testament übernommen hat, ohne deren Zitatcharakter deutlich zu machen. Die Reminiszenzen zählen zu Hunderten, doch bleibt ihre Eigenart nicht selten Gegenstand von Diskussion. Als schlagendstes Beispiel lässt sich die Offenbarung des Johannes anführen, die kein einziges ausdrückliches Zitat der jüdischen Bibel enthält, aber aus einem dichten Geflecht von Reminiszenzen und Anspielungen besteht. Der Text der Offenbarung des Johannes ist in einem solchen Umfang vom Alten Testament geprägt, dass es oft schwierig ist zu entscheiden, wo eine Anspielung vorliegt und wo nicht.

Was von der Offenbarung des Johannes gilt, das gilt – wenn auch in vermindertem Umfang – von den Evangelien, von der Apostelgeschichte und von den Briefen des Neues Testamentes. (8) Der Unterschied besteht nur darin, dass sich in diesen anderen Schriften außerdem zahlreiche ausdrückliche Zitate finden, d. h. Zitate, die als solche eingeführt werden. (9) Diese Schriften bekunden also offen ihre Entlehnungen und bezeugen auf diese Weise, dass sie die Autorität der jüdischen Bibel als göttlicher Offenbarung anerkennen.

2. Ausdrücklicher Rückgriff auf die Autorität der Schrift des jüdischen Volkes

4 Diese Anerkennung von Autorität nimmt von Fall zu Fall verschiedene Formen an. Manchmal findet man im Kontext von Offenbarung das einfache Verb legei, »er (oder: sie) sagt«, ohne Angabe des Subjekts (10), wie später in den rabbinischen Schriften, aber der Kontext zeigt dann, dass es sich um ein Subjekt handeln muss, das dem Text große Autorität verleiht: die Schrift oder der Herr oder Christus. (11) In anderen Fällen wird das Subjekt zum Ausdruck gebracht: es ist »die Schrift«, »das Gesetz« oder »Mose« oder »David«, von dem es heißt, dass er inspiriert war, oder »der Prophet«, oft »Jesaja«, gelegentlich »Jeremia«, aber es ist auch »der Heilige Geist« oder »der Herr«, wie es die Sprüche der Propheten sagten. (12) Bei Matthäus findet sich zweimal eine umfassende Formulierung, die zugleich den göttlichen Sprecher und dessen menschliches Sprachrohr zum Ausdruck bringt: »was der Herr durch den Propheten gesagt hat: ...« (Mt 1,22; 2,15). An anderen Stellen bleibt die Nennung des Herrn implizit und wird nur durch die Wahl der Präposition dia »durch« zur Bezeichnung des menschlichen Sprachrohrs angedeutet. In diesen Texten von Matthäus lässt das Verb »sagen« im Präsens die Zitate der jüdischen Bibel als lebendige Worte erscheinen, deren Autorität stets aktuell ist. Statt des Verbs »Sagen« führt sehr häufig das Verb »Schreiben« die Zitate ein; das verwendete griechische Tempus ist dabei das Perfekt und damit eine Zeitstufe, die die bleibende Wirkung einer vergangenen Handlung umschreibt: gegraptai »es ist geschrieben worden«, was jetzt heißt: »es steht geschrieben«. Dieses gegraptai besitzt große Kraft. Jesus hält es siegreich dem Versucher entgegen ohne weitere Verdeutlichung beim ersten mal: »Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht nur von Brot ...« (Mt 4,4; Lk 4,4), mit Zusatz eines palin »jedoch« beim zweiten mal (Mt 4,7) und eines gar »denn« beim dritten mal (Mt 4,10). Dieses »denn« verdeutlicht den argumentativen Wert des alttestamentlichen Textes, der in den beiden ersten Fällen implizit enthalten war. Es kann vorkommen, dass ein biblischer Text keine endgültige Geltung besitzt und dementsprechend einer neuen Anordnung weichen muss; in solchen Fällen benutzt das Neue Testament den griechischen Aorist, der die betreffende Äußerung der Vergangenheit zuweist. Dieser Fall liegt bei dem Gesetz des Mose bezüglich der Ehescheidung vor: »Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er (Mose) für euch dieses Gebot geschrieben (egrapsen)« (Mk 10,5; vgl. auch Lk 20,28).

5 Sehr häufig benutzt das Neue Testament Texte der jüdischen Bibel argumentativ, und zwar sowohl mit dem Verb »Sagen« als auch mit dem Verb »Schreiben«. Man findet gelegentlich: »Denn es ist gesagt...« (13) und häufiger »denn es steht geschrieben ...«. (14) Die Formeln »denn es steht geschrieben«, »weil geschrieben steht«, »wie geschrieben steht« sind im Neuen Testament sehr häufig; allein im Römerbrief begegnet man ihnen-17mal.

In seinen Lehrdebatten stützt sich Paulus ständig auf die Schriften seines Volkes. Paulus trifft eine klare Unterscheidung zwischen Schriftargumenten und Erwägungen »nach Menschenart«. Den Schriftargumenten schreibt er eine Geltung zu, die nicht in Frage gestellt werden kann. (15) Für ihn besitzt auch die jüdische Schrift einen stets aktuellen Wert für das geistliche Leben der Christen: »Alles, was einst geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben«. (16)

Einer Argumentation, die sich auf die Schrift des jüdischen Volkes stützt, erkennt das Neue Testament einen entscheidenden Wert zu. Im Vierten Evangelium erklärt Jesus diesbezüglich, dass »die Schrift nicht aufgehoben werden kann« (Joh 10,35). Ihre Geltung leitet sich daraus ab, dass sie »Wort Gottes« ist (ebd.). Diese Überzeugung kommt durchgehend zum Ausdruck. Zwei Texte sind hier besonders aufschlussreich, da sie von göttlicher Inspiration sprechen. Im Zweiten Brief an Timotheus findet sich nach einer Erwähnung der »Heiligen Schriften« (3,15) diese Feststellung: »Jede von Gott eingegebene (theopneustos) Schrift ist auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit; so wird der Mensch Gottes zu jedem guten Werk bereit und gerüstet sein« (2 Tim 3,16-17). Deutlicher mit Bezug auf die im Alten Testament enthaltenen Prophetenworte erklärt der Zweite Petrusbrief: »Bedenkt dabei vor allem dies: Keine Weissagung der Schrift darf eigenmächtig ausgelegt werden; denn niemals wurde eine Weissagung ausgesprochen, weil ein Mensch es wollte, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet« (2 Petr 1,20-21). Diese beiden Texte beschränken sich nicht darauf, die Autorität der Schrift des jüdischen Volkes herauszustellen; sie begründen sie auch mit dem Hinweis auf deren Inspiration.

B. Das Neue Testament erklärt seine Übereinstimmung mit der Schrift des jüdischen Volkes

6 Eine doppelte Überzeugung bekundet sich in anderen Texten: auf der einen Seite muss sich notwendigerweise erfüllen, was in der Schrift des jüdischen Volkes geschrieben steht, denn hier tut sich der Wille Gottes kund, den keine Macht aufhalten kann; auf der anderen Seite entsprechen Leben, Tod und Auferstehung Christi vollständig dem Wort dieser Schrift.

1. Notwendigkeit der Erfüllung der Schrift

Der klarste Ausdruck der ersten Überzeugung findet sich in den Worten, die der auferstandene Jesus im Lukasevangelium an seine Jünger richtet: »Das sind die Worte, die ich zu euch gesagt habe: Alles muss (dei) in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist« (Lk 24,44). Diese Feststellung enthüllt den Grund der Notwendigkeit des Ostergeheimnisses Jesu, einer Notwendigkeit, die auch sonst in zahlreichen Abschnitten der Evangelien zum Ausdruck kommt: »Der Menschensohn muss viel leiden [...] und nach drei Tagen auferstehen«; (17) »wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muss?« (Mt 26,54); »An mir muss sich das Schriftwort erfüllen« (Lk 22,37). Da sich unbedingt erfüllen »muss«, was im Alten Testament geschrieben steht, treten die Ereignisse auch ein, damit sich dies erfülle. Dies wird häufig von Matthäus hervorgehoben, zunächst in der Kindheitsgeschichte, dann im öffentlichen Leben Jesu (18) und für das gesamte Leiden Jesu (Mt 26,56). Markus hat eine Entsprechung zu dieser letzten Stelle in einem kraftvollen unvollständigen Satz: »Aber (das ist geschehen), damit die Schrift in Erfüllung geht« (Mk 14,49). Lukas gebraucht solche Wendungen nicht, doch Johannes greift ebenso oft wie Matthäus auf sie zurück. (19) Dieser Nachdruck der Evangelien auf dem Ziel der Ereignisse, »damit die Schrift in Erfüllung ginge«, (20) verleiht der Schrift des jüdischen Volkes eine außerordentliche Bedeutung. Er lässt deutlich erkennen, dass die Ereignisse keine Bedeutung hätten, wenn sie nicht dem Wort der Schrift entsprächen. Es würde sich dann nicht um die Verwirklichung des göttlichen Ratschlusses handeln.

2. Entsprechung zur Schrift

7 Andere Texte heben hervor, dass alles im Geheimnis Christi der Schrift des jüdischen Volkes entspricht. Die ursprüngliche christliche Verkündigung ließ sich in die von Paulus berichtete kerygmatische Formel zusammenfassen: »Ich habe euch vor allem überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsre Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien ...« (1 Kor 15,3-5). Paulus fügt hinzu: »Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt« (1 Kor 15,11). Der christliche Glaube stützt sich demnach nicht einfach auf bestimmte Ereignisse, sondern auf die Entsprechung dieser Ereignisse zur Offenbarung, wie sie in der Schrift des jüdischen Volkes enthalten ist. Auf dem Wege zu seinem Leiden sagt Jesus: »Der Menschensohn muss seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt« (Mt 26,24; Mk 14,21). Nach seiner Auferstehung gebraucht übernimmt Jesus es selbst, »darzulegen, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht«. (21) Paulus ruft in seiner Predigt an die Juden von Antiochien in Pisidien diese Ereignisse in Erinnerung mit den Worten: »Die Einwohner von Jerusalem und ihre Führer haben Jesus nicht erkannt, aber sie haben die Worte der Propheten, die an jedem Sabbat vorgelesen werden, erfüllt und haben ihn verurteilt« (Apg 13,27). Durch solche Aussagen zeigt sich das Neue Testament unauflöslich mit der Schrift des jüdischen Volkes verbunden.

Fügen wir hier einige Feststellungen hinzu, die es verdienen, beachtet zu werden. Im Matthäusevangelium beansprucht ein Wort Jesu eine vollständige Kontinuität zwischen der Thora und dem Glauben der Christen: »Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen« (Mt 5,17). Diese theologische Feststellung ist charakteristisch für Matthäus und seine Gemeinde. Sie steht in Spannung zur Relativierung der Beobachtung des Sabbats (Mt 12,8.12) und der kultischen Reinheit (Mt 15,11) in anderen Herrenworten.

Im Lukasevangelium beginnt das öffentliche Leben Jesu mit einer Episode, in der sich Jesus zur Umschreibung seiner Sendung eines Wortes aus dem Jesajabuch bedient (Lk 4,17-21; Jes 61,1-2). Der Schluss des Evangeliums erweitert die Perspektive, indem er davon spricht, das sich »alles, was geschrieben steht«, an Jesus erfüllen müsse (Lk 24,44).

Wie wichtig es nach Jesus ist, »Mose und die Propheten zu hören«, zeigen in eindrucksvoller Weise die letzten Verse der Parabel von Lazarus und dem reichen Prasser (Lk 16,29-31): ohne diese aufmerksame Hörbereitschaft nützen die größten Wunder nichts.

Das Vierte Evangelium bietet eine ähnliche Sicht: hier schreibt Jesus sogar den Schriften des Mose eine Autorität als Vorläufer seiner eigenen Worte zu, wenn er zu seinen Gegnern sagt: »Wenn ihr seinen Schriften nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben?« (Joh 5,47). In einem Evangelium, in dem Jesus in Anspruch nimmt, dass seine Worte »Geist und Leben« sind, verleiht ein solcher Satz der Thora eine herausragende Bedeutung.

In der Apostelgeschichte sehen die Missionsreden der Kirchenführer – Petrus, Philippus, Paulus und Barnabas, Jakobus – das Leiden Jesu, die Auferstehung, Pfingsten und die missionarische Öffnung der Kirche in vollkommener Kontinuität mit der Schrift des jüdischen Volkes. (22)

3. Übereinstimmung und Unterschied

8 Der Hebräerbrief spricht zwar an keiner Stelle ausdrücklich die Autorität der Schrift des jüdischen Volkes aus, doch zeigt er eindeutig, dass er diese Autorität anerkennt, da er unablässig ihre Texte anführt, um seine Lehren und seine Ermahnungen zu begründen. Der Brief enthält zahlreiche Feststellungen, die als mit den Propheten übereinstimmend dargestellt werden, aber auch andere, bei denen die Übereinstimmung auch einige Aspekte der Nicht-Übereinstimung enthält. Dies war bereits bei den Paulusbriefen der Fall gewesen. Im Römer- wie im Galaterbrief argumentiert der Apostel mit Berufung auf das Gesetz, um zu zeigen, dass der Glaube an Christus die Herrschaft des Gesetzes beendet hat. Er zeigt, dass das Gesetz als Offenbarung sein eigenes Ende als heilsnotwendiger Institution angekündigt hat. (23) Der aufschlussreichste Satz ist diesbezüglich Röm 3,21, wo der Apostel erklärt, dass die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Christus »unabhängig vom Gesetz« Ereignis geworden ist, freilich »bezeugt vom Gesetz und den Propheten«. In ähnlicher Weise zeigt der Hebräerbrief, wie das Geheimnis Christi die Prophetenworte und den vorausweisenden Aspekt der Schrift des jüdischen Volkes zur Erfüllung bringt, aber zur gleichen Zeit auch einen Aspekt der Nicht-Übereinstimmung mit den alten Institutionen mit sich bringt: nach der Ankündigung von Ps 109(110),1.4 überragt die Stellung des verherrlichten Christus als solche das levitische Priestertum (vgl. Hebr 7,11.28). Die Grundaussage bleibt die gleiche. Die Schriften des Neuen Testamentes erkennen an, dass die Schrift des jüdischen Volkes eine bleibende Bedeutung als göttliche Offenbarung besitzt. Sie sind ihr gegenüber positiv eingestellt, indem sie sie als Grundlage ansehen, auf die sie sich stützen. Demzufolge hat die Kirche stets festgehalten, dass die Schrift des jüdischen Volkes integraler Bestandteil der christlichen Bibel ist.

C. Schrift und mündliche Überlieferung im Judentum und Christentum

9 »Heilige Schrift« und mündliche Überlieferung bilden in vielen Religionen eine Spannungseinheit. Diese lässt sich sowohl in den fernöstlichen Religionen (Hinduismus, Buddhismus) als auch im Islam aufzeigen. Die schriftlichen Texte können die Überlieferung niemals voll ausschöpfen. So kommt es zu Ergänzungen oder Neuinterpretationen, die ihrerseits früher oder später Schriftform annehmen. Dabei sind freilich solchen Ergänzungen oder alternativen Deutungen Grenzen gesetzt. Dies lässt sich im Judentum wie im Christentum beobachten, wobei es Überschneidungen und Berührungen gibt. Besitzen doch beide Glaubensgemeinschaften einen wenigstens zum Teil identischen Kanon heiliger Bücher.

1. Schrift und Überlieferung im Alten Testament und im Judentum

Überlieferung führt zur Schrift. Über die Entstehung der Texte des Alten Testaments und die Geschichte der Kanonbildung ist den letzten Jahren viel gearbeitet worden. Es wurde ein gewisser Konsens darüber erreicht, dass der langsame Prozess der Bildung des Kanons der hebräischen Bibel gegen Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung praktisch zum Abschluss kam. Dieser Kanon umfasste die Thora, die Propheten und den Großteil der sog. »Schriften«. Die Schriftwerdung der einzelnen Bücher liegt oft im Dunklen. Manchmal sind wir hier nur auf Vermutungen angewiesen. Diese stützen sich vor allem auf die Ergebnisse der Form-, der Überlieferungs- und der Redaktionskritik. So liegen den Anweisungen der Thora ältere Sammlungen zugrunde, die schrittweise Eingang in die Bücher des Pentateuch fanden. Überlieferte Erzählungen nahmen ihrerseits schriftliche Gestalt an und wurden gesammelt. Sie wurden mit Verhaltensregeln verbunden. Prophetenworte wurden gesammelt und schrittweise zu Prophetenbüchern zusammengestellt. Das gleiche gilt von Weisheitssprüchen und –sammlungen, Psalmen und Lehrerzählungen der späteren Zeit.

Weitere Überlieferung führt zu einer »Zweitschrift« (Mischna). Kein schriftlicher Text ist imstande, den ganzen Reichtum einer Überlieferung zum Ausdruck zu bringen. (24) Die heiligen Texte der Bibel lassen viele Fragen zum rechten Verständnis des Glaubens Israels und zum rechten sittlichen Verhalten offen. Dies hat im pharisäischen und rabbinischen Judentum zu einem langen Prozess der Entstehung schriftlicher Texte geführt, von der »Mischna« (»Zweitschrift«), die zu Beginn des 3. Jahrhunderts durch Jehuda ha-Nasi redigiert wurde, über die »Tosefta« (»Ergänzung«) bis zum Talmud in seiner doppelten Form (von Babylon und von Jerusalem). Trotz ihrer Autorität wurde diese Interpretation ihrerseits in der Folgezeit als nicht ausreichend erachtet, so dass es zur Hinzufügung weiterer rabbinischer Erläuterungen kam. Diesen Zusätzen wurde nicht die gleiche Autorität wie dem Talmud zuerkannt, bei dessen Interpretation sie nur helfen sollten. Für die darüber hinaus offen bleibenden Fragen unterwirft man sich den Entscheidungen des Großrabbinats.

So kann der schriftliche Text zu weiteren Entwicklungen führen. Dabei bleibt es bei einem Spannungsverhältnis zwischen Schrift und Tradition.

Grenzen der Tradition. Verbindliche Tradition, die in Schriftform der Schrift hinzugefügt wurde, erlangt freilich nicht als solche die gleiche Autorität wie die Schrift. Sie gehört nicht zu den »Schriften, die die Hände verunreinigen«, d. h. den »Heiligen Schriften« und damit jenen, die als solche in der Liturgie verlesen werden. Mischna, Tosefta und Talmud haben ihren Platz in der Synagoge als Lehrhaus, aber sie werden nicht im Gottesdienst verlesen. Im Allgemeinen bemisst sich der Wert einer Überlieferung am Grad ihrer Übereinstimmung mit der Thora. Deren Verlesung hat einen privilegierten Platz innerhalb der synagogalen Liturgie. Sie wird ergänzt durch ausgewählte Lesungen aus den Propheten. Nach einer alten jüdischen Glaubensüberzeugung wurde die Thora vor der Grundlegung der Welt geschaffen. Die Samaritaner erkannten nur sie als Heilige Schrift an. Die Sadduzäer verwarfen ihrerseits jede normative Überlieferung außerhalb des Gesetzes und der Propheten. Nach dem pharisäischen und rabbinischen Judentum gibt es freilich neben dem geschriebenen Gesetz ein mündliches, das dem Mose gleichzeitig verliehen wurde und das die gleiche Autorität besitzt. Dies hält ein Traktat der Mischna fest: »Auf dem Sinai empfing Mose das mündliche Gesetz, und er überlieferte es dem Josue, Josue den Ältesten, die Ältesten den Propheten, und die Propheten überlieferten es den Mitgliedern der Großen Synagoge« (Abot 1,1). So zeigt sich im Verständnis der Überlieferung ein beachtliches Spektrum von Meinungen.

2. Schrift und Überlieferung im Urchristentum

10 Überlieferung führt zur Schrift. Im Christentum lässt sich eine analoge Entwicklung beobachten wie im Judentum, freilich mit einem grundlegenden Unterschied: die Christen besaßen von Anfang an eine Heilige Schrift, da sie als Juden die Bibel Israels als Schrift anerkannten. Diese war sogar zunächst die einzige Schrift, die sie anerkannten. Doch kam für sie eine mündliche Überlieferung hinzu, »die Lehre der Apostel« (Apg 2,42), die die Worte Jesu und den Bericht über die Ereignisse, die ihn betrafen, enthielt. Die Evangeliumskatechese nahm erst nach und nach Gestalt an. Um ihre getreue Übermittlung zu sichern, hielt man Worte Jesu und Erzählungen über ihn schriftlich fest. So wurde die Redaktion der Evangelien vorbereitet, die erst einige Jahrzehnte nach Tod und Auferstehung Jesu stattfand. Auf der anderen Seite kam es zur Abfassung von Glaubensformeln und liturgischen Hymnen, die ihren Eingang in die Briefe des Neuen Testaments fanden. Die Briefe des Paulus und anderer Apostel oder anderer führender Persönlichkeiten wurden in der Adressatengemeinde verlesen (vgl. 1 Thess 5,27), dann auch an andere Gemeinden weitergeleitet (vgl. Kol 4,16), aufbewahrt zur Wiederverlesung bei anderen Gelegenheiten und schließlich als Schrift angesehen (vgl. 2 Petr 3,15-16) und den Evangelien hinzugefügt. So bildete sich schrittweise der Kanon des Neuen Testaments innerhalb der apostolischen Überlieferung.

Die Überlieferung ergänzt die Schrift. Das Christentum teilt mit dem Judentum die Überzeugung, dass die göttliche Offenbarung nie zur Gänze in schriftlichen Texten zum Ausdruck gelangen kann. Diese Überzeugung bekundet sich am Schluss des Vierten Evangeliums, wo es heißt, dass die ganze Welt die Bücher nicht fassen könne, die geschrieben werden müssten, um alles zu erzählen, was Jesus getan hat (Joh 21,25). Auf der anderen Seite ist die lebendige Überlieferung unerlässlich zur Verlebendigung und Aktualisierung der Schrift. Hierhin gehört ein Verweis auf die Unterweisung der Abschiedsreden über die Rolle des »Geistes der Wahrheit« nach dem Scheiden Jesu. Dieser wird die Jünger an alles erinnern, was Jesus gesagt hat (Joh 14,26), Zeugnis über ihn ablegen (15,26) und die Jünger »in alle Wahrheit einführen« (16,13), indem er ihnen ein tieferes Verständnis der Person Christi, seiner Botschaft und seines Werkes schenkt. Dank der Wirkung des Geistes bleibt die Überlieferung lebendig und dynamisch.

Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt, dass die apostolische Predigt »in den inspirierten Büchern besonders deutlichen Ausdruck gefunden hat (,speciali modo exprimitur')«. Durch die Überlieferung »werden die Heiligen Schriften selbst tiefer verstanden und unaufhörlich wirksam gemacht« (Dei Verbum 8). Die Schrift wird definiert als »Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde«; die Überlieferung »gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahrheit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten« (DV 9). Das Konzil stellt abschließend fest: »Daher sollen beide [Schrift und Tradition] mit gleicher Liebe und Achtung angenommen und verehrt werden« (DV 9).

Grenzen einer hinzukommenden Überlieferung. In welchem Maße kann es in der christlichen Kirche eine Überlieferung geben, die inhaltlich über das Wort der Schrift hinausgeht? Diese Frage ist im Laufe der Theologiegeschichte lange erörtert worden. Das Zweite Vatikanische Konzil scheint sie offen gelassen zu haben, aber es hat sich zumindest geweigert, bei Schrift und Tradition von »zwei Offenbarungsquellen« zu sprechen; es hat vielmehr festgehalten, dass »die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift ... den einen der Kirche überlassenen Schatz des Wortes Gottes (bilden)« (Dei Verbum 10). So hat das Konzil den Gedanken einer von der Schrift völlig unabhängigen Überlieferung verworfen. In einem Punkte erwähnt das Konzil gleichwohl einen unabhängigen Beitrag der Überlieferung, und zwar in einem äußerst wichtigen Punkt: durch die Überlieferung »wird der Kirche der vollständige Kanon der Heiligen Bücher bekannt« (DV 8). So sieht man, wie Schrift und Überlieferung voneinander untrennbar sind.

3. Beziehung zwischen den beiden Perspektiven

11 Wie sich zeigte, weist das Verhältnis von Schrift und Überlieferung im Judentum und im Christentum formale Übereinstimmungen auf. In einem Punkte gibt es sogar mehr als nur Übereinstimmung, denn beide Religionen begegnen sich im gemeinsamen Erbe der »Heiligen Schrift Israels«. (25)

Vom hermeneutischen Gesichtspunkt aus unterscheiden sich freilich die Perspektiven. Für alle Richtungen des Judentums zur Zeit der Bildung des Kanons stand das Gesetz im Mittelpunkt. In ihm sind die wesentlichen, von Gott geoffenbarten Institutionen festgehalten, die das religiöse, sittliche, rechtliche und politische Leben des jüdischen Volkes nach dem Exil regeln sollten. Die Sammlung der Propheten enthält göttlich inspirierte Worte, die von den Propheten als authentisch überliefert werden, aber kein Gesetz, das als Grundlage für die Institutionen dienen könnte. Unter dieser Rücksicht ist sie von sekundärer Bedeutung. Die »Schriften« des hebräischen Kanons bestehen weder aus Gesetzen noch aus Prophetensprüchen und stehen dementsprechend in ihrem Rang erst an dritter Stelle.

Diese hermeneutische Perspektive wurde von den christlichen Gemeinden nicht übernommen, vielleicht mit Ausnahme judenchristlicher Kreise, die durch ihre Ehrfurcht vor dem Gesetz dem pharisäischen Judentum verbunden waren. Ganz allgemein neigt das Neue Testament dazu, den prophetischen Texten mehr Bedeutung einzuräumen, insofern sie das Geheimnis Christi ankündigen. Der Apostel Paulus und der Hebräerbrief scheuen sich nicht, gegen das Gesetz zu polemisieren. Im Ubrigen zeigt das Urchristentum Berührungen mit den Zeloten, mit der apokalyptischen Bewegung und mit den Essenern, Strömungen, mit denen es die apokalyptische Messiaserwartung teilt; vom hellenistischen Judentum hat es eine erweiterte Schriftensammlung und eine stärker weisheitliche Ausrichtung übernommen, die interkulturelle Beziehungen fördert.

Was das Urchristentum freilich von all diesen Richtungen unterscheidet, ist die Überzeugung, dass die eschatologischen Verheißungen der Propheten nicht einfach nur für die Zukunft gelten, sondern dass ihre Erfüllung in Jesus von Nazaret, dem Christus, bereits begonnen hat. Er ist es, von dem die Schrift des jüdischen Volkes letztlich spricht, welchen Umfang dieser Schrift man auch immer voraussetzt, und in seinem Licht muss diese Schrift gelesen werden, damit sie in ihrem vollen Sinn erfasst werden kann.

D. Im Neuen Testament angewandte jüdische Methoden der Exegese

1. Jüdische Methoden der Exegese

12 Das Judentum entnahm seine Vorstellung von Gott, von der Welt und vom Heilsplan Gottes der Schrift. Das beste Anschauungsmaterial für die Weise, wie die Zeitgenossen Jesu die Schrift verstanden, liefern uns die Handschriften vom Toten Meer. Sie wurden zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem Jahre 60 n. Chr. aufgeschrieben und damit in einem Zeitraum, der sich in etwa mit dem öffentlichen Leben Jesu und der Bildung der Evangelien deckt. Dabei muss freilich im Auge behalten werden, dass diese Dokumente nur einen Aspekt der jüdischen Überlieferung belegen; sie stammen aus einem Sonderbereich innerhalb des Judentums und können dieses als Ganzes nicht dokumentieren.

Der älteste Beleg für die rabbinische Exegese, der sich im Ubrigen auf Texte des Alten Testamentes stützt, ist eine Reihe von sieben »Regeln«, die der Überlieferung gemäß Rabbi Hillel (gestorben im Jahre 10 n. Chr.) zugeschrieben werden. Ob diese Zuschreibung nun zutrifft oder nicht: auf jeden Fall bilden diese sieben Middot einen Kodex zeitgenössischer Weisen, mit Schrifttexten zu argumentieren, vor allem um daraus zu verbindlichen Handlungsanweisungen zu gelangen.

Eine weitere Weise des Schriftgebrauchs finden wir bei den jüdischen Historikern des 1. Jahrhunderts, vor allem bei Josephus, freilich bereits auch im Alten Testament selbst. Sie besteht darin, bestimmte Ereignisse unter Rückgriff auf biblische Ausdrücke zu beschreiben und sie von daher auch zu deuten. So wird die Rückkehr aus dem babylonischen Exil mit Ausdrücken beschrieben, die an die Befreiung aus der ägyptischen Unterdrückung zur Zeit des Exodus erinnern (Jes 43,16-21). Die endgültige Wiederherstellung Zions wird in den Farben eines neuen Eden beschrieben. (26) In Qumran kommt eine ähnliche Technik der Auslegung wiederholt zur Anwendung.

2. Exegese in Qumran und im Neuen Testament

13 Nach Form und Methode weist das Neue Testament und weisen insbesondere die Evangelien starke Berührungen mit Qumran und dem dort üblichen Schriftgebrauch auf. Die Formeln, mit denen Zitate eingeführt werden, sind oft die gleichen wie z. B. »so steht es geschrieben«, »wie geschrieben steht«, »gemäß dem, was geschrieben steht«. Der ähnliche Gebrauch der Schrift leitet sich aus einer verwandten Grundperspektive der beiden Gemeinden, derjenigen von Qumran und derjenigen des Neuen Testaments, ab. Beide waren eschatologische Gemeinden, die die biblischen prophetischen Verheißungen zu ihrer Zeit erfüllt sahen, und zwar in einer Weise, die die Erwartung und das Verstehensvermögen der Propheten überstieg, die die Verheißungen dereinst ausgesprochen hatten. Beide Gemeinden waren überzeugt, dass das volle Verständnis der prophetischen Verheißungen ihren Gründern offenbart worden war: dem »Lehrer der Gerechtigkeit« in Qumran und Jesus für die Christen.

Genau wie in den Schriftrollen von Qumran werden bestimmte Bibeltexte im Neuen Testament in ihrem wörtlichen und historischen Sinn verwendet, während andere mehr oder weniger gezwungen an die Situation des Augenblicks angepasst werden. Die Bibel enthielt nach gläubiger Auffassung Gottes eigene Worte. Bestimmte Auslegungen greifen in bestimmten Textpassagen ein einzelnes Wort unter Vernachlässigung seines Kontextes und seiner ursprünglichen Bedeutung heraus und geben ihm eine Bedeutung, die nicht den modernen Prinzipien der Exegese entspricht. Dabei ist freilich auf einen grundlegenden Unterschied hinzuweisen. Die Qumrantexte gehen vom Wort der Schrift aus. Bestimmte Texte – wie z. B. der Pescher des Habakuk – sind fortlaufende Kommentare des biblischen Textes, die diesen Vers für Vers auf die gegenwärtige Situation hin auslegen. Andere Dokumente bestehen aus Sammlungen von Texten, die sich auf ein gleiches Thema beziehen wie z. B. 11Q Melchisedek über die messianische Zeit. Das Neue Testament geht demgegenüber vom Kommen Christi aus. Es gilt nicht, die Schrift auf die Gegenwart hin auszulegen, sondern das Kommen Christi im Lichte der Schrift zu erklären und zu deuten. Dies schließt nicht aus, dass dabei die gleichen Auslegungsmethoden verwendet werden, mit z. T. verblüffenden Ähnlichkeiten wie in Röm 10,5-13 und im Hebräerbrief. (27)

3. Rabbinische Methoden im Neuen Testament

14 Die traditionellen jüdischen Methoden biblischer Argumentation bei der Erarbeitung sittlicher Handlungsanweisungen – die später durch die Rabbinen verfeinert werden sollten – kommen im Neuen Testament häufig zur Anwendung, sei es in von den Evangelien überlieferten Jesusworten, sei es in den Briefen. Am häufigsten kehren die ersten beiden Middot (»Regeln«) Hillels wieder, das Qal wa-chomer und die Gezerah schawah. (28) Sie entsprechen in etwa dem Argument a fortiori und durch Analogie.

Ein besonders charakteristischer Zug besteht darin, dass sich das Argument oft auf den Sinn eines einzelnen Wortes stützt. Dieser Sinn wird erhellt trotz des Vorkommens jenes Wortes in einem bestimmten Kontext und dann, nicht selten reichlich künstlich, auf einen anderen Kontext übertragen. Diese Technik weist eine überraschende Ähnlichkeit mit der rabbinischen Praxis des Midrasch auf, doch gibt es auch einen bemerkenswerten Unterschied: im rabbinischen Midrasch werden unterschiedliche Meinungen unterschiedlicher Autoritäten zitiert, so dass man es mit einer argumentativen Technik zu tun hat, während im Neuen Testament der Autorität Jesu entscheidende Bedeutung zukommt.

Paulus benutzt diese Techniken besonders häufig, besonders in den Auseinandersetzungen mit gut gebildeten jüdischen Gegnern, seien sie nun Christen oder nicht. Häufig bedient er sich ihrer, um traditionelle jüdische Positionen zu widerlegen oder um wichtige Punkte seiner eigenen Lehre herauszuarbeiten. (29)

Rabbinische Argumentationen finden sich auch im Epheser- und im Hebräerbrief. (30) Der Judasbrief zeigt seinerseits durchgängig Einfluss exegetischer Erläuterungen nach Art der Pescharim (»Deutungen«), die sich in den Qumrantexten und bestimmten apokalyptischen Schriften finden. Er benutzt sprachliche Figuren und Beispiele sowie eine Art von Stichwortverbindungen, alles nach Art der traditionellen jüdischen Schriftexegese.

Eine besondere Form jüdischer Exegese, die im Neuen Testament begegnet, ist die Predigt in der Synagoge. Nach Joh 6,59 hielt Jesus die Lebensbrotrede in der Synagoge von Kafarnaum. Die Form dieser Rede entspricht den synagogalen Homilien im 1. Jahrhundert: Erklärung eines Textes aus dem Pentateuch unter Einbeziehung eines Textes aus den Propheten; jeder Ausdruck des Textes wird erklärt; einzelne Wortformen werden leicht verändert, damit die entsprechenden Worte besser auf die Situation hin ausgelegt werden können. Spuren dieses Modells finden sich möglicherweise in der einen oder anderen Missionsrede der Apostelgeschichte, vor allem in der Predigt des Paulus in der Synagoge von Antiochien in Pisidien (Apg 13,17-41).

4. Bedeutendere Anspielungen auf das Alte Testament

15 Das Neue Testament benutzt häufig Anspielungen auf biblische Ereignisse, um den Sinn von Ereignissen im Leben Jesu aufzuzeigen. Die Kindheitsgeschichte nach Matthäus erschließt sich nur auf dem Hintergrund der biblischen und nachbiblischen Erzählungen über Mose. Das Kindheitsevangelium nach Lukas ist stärker mit den biblischen Anspielungen verwandt, wie man sie im 1. Jahrhundert in den Psalmen Salomos oder den Hymnen von Qumran findet. Die Lobgesänge von Maria, Zacharias und Simeon können mit den Hymnen von Qumran verglichen werden. (31) Bestimmte Ereignisses des Lebens Jesu wie die Theophanie bei seiner Taufe, seine Verklärung, die Brotvermehrung und der Wandel über den See werden augenscheinlich bewusst unter Verwendung von Anspielungen auf Ereignisse und Berichte des Alten Testaments erzählt. Die Reaktion der Zuhörer der Gleichnisse Jesu (etwa der Parabel von den Bösen Winzern, Mt 21,33-43 und Par.) zeigt, dass sie mit einer biblischen Bildwelt vertraut waren, die ihnen eine Botschaft ausrichten oder eine Lehre erteilen wollte.

Unter den Evangelien zeigt vor allem dasjenige des Matthäus durchgängig ein hohes Maß an Vertrautheit mit den jüdischen Techniken des Schriftgebrauchs. Matthäus zitiert häufig die Schrift nach Art der Pescharim von Qumran; er greift darauf vor allem in juridischen oder symbolischen Argumentationen in einer Weise zurück, die später in den rabbinischen Schriften die vorherrschende werden sollte. Stärker als die anderen Evangelisten verwendet er in seinen Erzählungen (Kindheitsevangelium, Geschichte vom Tode des Judas, Intervention der Frau des Pilatus) die Vorgehensweisen des erzählenden Midrasch. Die große Verbreitung rabbinischer Argumentationsweise vor allem in den Paulusbriefen und im Hebräerbrief zeigt eindeutig, dass das Neue Testament dem Mutterschoß des Judentums entstammt und dass es von der Denkweise der jüdischen Schriftausleger geprägt ist.

E. Der Umfang des Kanons der Schrift

16 Das Wort »Kanon« (vom griechischen kan(o-)n, »Regel«) bezeichnet die Liste der Bücher, die als von Gott inspiriert und normativ für Glaube und Sitten gelten. Was uns hier beschäftigt, ist die Frage nach der Ausbildung des alttestamentlichen Kanons.

1. Im Judentum

Es gibt Unterschiede zwischen dem jüdischen Kanon der Heiligen Schrift (32) und dem christlichen Kanon des Alten Testaments. (33) Um diesen Unterschied zu erklären, ging man allgemein davon aus, dass es zu Beginn der christlichen Ära im Judentum zwei Formen des Kanons gegeben habe: einen palästinischen Kanon hebräischer Schriften, der später von den Juden als exklusiv angesehen wurde, und einen umfangreicheren alexandrinischen Kanon von Schriften in griechischer Sprache – Septuaginta genannt –, der von den Christen übernommen wurde.

Neuere Untersuchungen und Entdeckungen haben diese Auffassung zweifelhaft werden lassen. Es erscheint heute wahrscheinlicher, dass die vollständigen Sammlungen der Bücher des Gesetzes und der Propheten zur Zeit der Geburt des Christentums bereits im Wesentlichen in einer Textgestalt vorlagen, wie wir sie in unserem heutigen Alten Testament vorfinden. Die Sammlung der »Schriften« lag freilich weder in Palästina noch in der jüdischen Diaspora endgültig vor – weder, was die Zahl der Bücher, noch was ihre Textgestalt anlangt. Gegen Ende des 1. Jahrhunderts wurden anscheinend 2224 Bücher allgemein von den Juden als Heilige Schrift anerkannt,(34) aber erst viel später wurde diese Liste exklusiv. (35) Als man die Grenzen des hebräischen Kanons festlegte, wurden die deuterokanonischen Schriften nicht in ihn aufgenommen.

Viele Bücher, die zu der dritten, unzulänglich definierten Gruppe religiöser Texte gehörten, wurden von den jüdischen Gemeinden im Laufe der ersten Jahrhunderte n. Chr. regelmäßig gelesen. In griechischer Übersetzung waren sie bei den hellenisierten Juden im Umlauf, und zwar sowohl in Palästina als auch in der Diaspora.

2. Im Urchristentum

17 Da die ersten Christen zumeist Juden aus Palästina waren – als »Hebräer« oder »Hellenisten« (vgl. Apg 6,1) –, dürften ihre Ansichten über die Heilige Schrift diejenigen ihrer Umgebung widergespiegelt haben. Freilich wissen wir wenig über diese Frage. In der Folgezeit lassen die Schriften des Neuen Testamentes erkennen, dass eine sakrale Literatur in den christlichen Gemeinden im Umlauf war, die über den Umfang des hebräischen Schriftenkanons hinausging. Generell zeigen die Verfasser des Neuen Testaments eine Kenntnis der deuterokanonischen Bücher und einer Reihe nichtkanonischer Schriften, denn die Zahl der im Neuen Testament zitierten Bücher geht nicht nur über den hebräischen Kanon hinaus, sondern auch über das, was man insgemein für den alexandrinischen Kanon hält. (36) Als sich das Christentum in der hellenistischen Welt ausbreitete, fuhr es fort, sich der Heiligen Bücher zu bedienen, die es vom hellenisierten Judentum übernommen hatte. (37) Obwohl die Christen griechischer Muttersprache ihre Heilige Schrift von den Juden in der Form der Septuaginta übernommen hatten, kennen wir doch nicht die genaue Fassung, da uns die Septuaginta nur in christlichen Handschriften überliefert ist. Was die Kirche übernommen zu haben scheint, ist ein Kanon heiliger Schriften, die im Judentum auf dem Wege waren, kanonisch zu werden. Als das Judentum zum Abschluss seines Kanons gelangte, hatte das Christentum eine hinreichende Selbständigkeit gegenüber dem Judentum erlangt, die ihm erlaubte, sich von dieser Entscheidung nicht unmittelbar betreffen zu lassen. Erst zu einer späteln Zeit begann ein geschlossener hebräischer Kanon einen Einfluss auf die christliche Sichtweise auszuüben.

3. Die Bildung des christlichen Kanons

18 Das Alte Testament der Alten Kirche nahm in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Formen an, wie die verschiedenen Listen der patristischen Epoche zeigen. Die Mehrzahl der christlichen Schriftsteller seit dem 2. Jahrhundert und die Bibelhandschriften des 4. Jahrhunderts und der darauffolgenden Jahrhunderte verwenden oder enthalten eine große Zahl heiliger Schriften des Judentums einschließlich von Büchern, die nicht zum hebräischen Kanon zugelassen waren. Erst als die Juden ihren endgültigen Kanon festgelegt hatten, ging die Kirche daran, ihren eigenen Kanon des Alten Testaments abzuschließen. Wir besitzen keine Auskunft darüber, wie man voranging und warum man das eine oder andere Buch in den Kanon aufnahm oder nicht. Gleichwohl lässt sich in groben Zügen die Entwicklung dieses Kanons in der Kirche sowohl des Ostens als auch des Westens nachzeichnen.

Im Osten suchte man seit der Zeit des Origenes (um 185-253) den christlichen Schriftgebrauch dem hebräischen Kanon von 2224 Büchern anzugleichen und griff dabei auf unterschiedliche Argumente und Strategien zurück. Origenes selbst war sich über das Vorhandensein zahlreicher, z. T. erheblicher Unterschiede der Textgestalt zwischen der hebräischen und der griechischen Bibel im Klaren. Dieses Problem kam zu demjenigen der unterschiedlichen Liste der Bücher hinzu. Das Bemühen, sich dem hebräischen Kanon und Text anzugleichen, hinderte die christlichen Schriftsteller des Ostens nicht daran, in ihren Schriften Bücher zu verwenden, die nicht in den hebräischen Kanon aufgenommen worden waren, und bei den übrigen Büchern der Textform der Septuaginta zu folgen. Der Gedanke, der hebräische Kanon hätte bei den Christen bevorzugt werden müssen, scheint bei der Kirche des Ostens weder einen tieferen noch einen dauerhaften Eindruck hinterlassen zu haben.

Im Westen hielt sich gleichfalls ein umfassenderer Gebrauch der Heiligen Bücher; er fand u. a. in Augustinus seinen Verteidiger. Als es darum ging, die in den Kanon einzuschließenden Bücher auszuwählen, gründete Augustin (354-430) sein Urteil auf die durchgängige Praxis der Kirche. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts machten sich Konzilien seine Auffassung bei der Festlegung des alttestamentlichen Kanons zueigen. Obwohl es sich hier nur um Regionalkonzilien handelte, lässt die Übereinstimmung ihrer Listen diese als repräsentativ für den kirchlichen Gebrauch des Westens erscheinen.

In der Frage der Textunterschiede zwischen der griechischen und der hebräischen Bibel entschied sich Hieronymus für den hebräischen Text als Grundlage seiner (lateinischen) Übersetzung. Bei den deuterokanonischen Büchern begnügte er sich in der Regel damit, die Vetus Latina, die altlateinische Übersetzung zu verbessern. Seit dieser Zeit erkennt die Westkirche eine doppelte biblische Überlieferung an: diejenige des hebräischen Textes für die Bücher des hebräischen Kanons und diejenigen der griechischen Bibel für alle anderen Bücher, beide in lateinischer Übersetzung.

Gestützt auf eine jahrhundertealte Überlieferung haben das Konzil von Florenz im Jahre 1442 und dasjenige von Trient im Jahre 1564 für die Katholiken Zweifel und Unsicherheiten beseitigt. Die Liste dieser Konzilien besteht aus 73 Büchern, die aufgrund ihrer Inspiration durch den Heiligen Geist als heilig und kanonisch gelten: 46 für das Alte Testament, 27 für das Neue Testament. (38) Seit dieser Zeit besitzt die Katholische Kirche ihren endgültigen Kanon. Bei der Festlegung des Kanons beruft sich das zuletzt genannte Konzil auf den durchgängigen Brauch der Kirche. In der Entscheidung für diesen Kanon, der über den hebräischen hinausgeht, hat sich das Konzil eine authentische Erinnerung an die christlichen Ursprünge bewahrt, da der eingeschränktere hebräische Kanon zeitlich jünger ist als das Zeitalter der Bildung des Neuen Testaments.

II. GRUNDTHEMEN DER SCHRIFT DES JÜDISCHEN VOLKES UND IHRE AUFNAHME IM GLAUBEN AN CHRISTUS

19 Der Schrift des jüdischen Volkes, die sie als authentisches Wort Gottes übernommen hat, hat die christliche Kirche andere Schriften hinzugefügt, die ihren Glauben an Jesus, den Christus, zum Ausdruck bringen. Auf diese Weise umfasst die christliche Bibel nicht ein einziges »Testament«, sondern zwei »Testamente«, das Alte und das Neue, die beide untereinander komplexe und dialektische Bezüge besitzen. Für jeden, der sich ein zutreffendes Urteil über die Beziehungen zwischen der christlichem Kirche und dem jüdischen Volk bilden will, ist die Befassung mit diesen Beziehungen unerlässlich. Das Verständnis dieser Beziehungen hat sich im Laufe der Zeiten gewandelt. Das vorliegende Kapitel bietet zunächst eine Übersicht über diesen Wandel und wendet sich dann einer eingehenderen Untersuchung grundlegender Themen zu, die dem einen und dem anderen Testament gemeinsam sind.

A. Christliches Verständnis der Beziehungen zwischen Altem und Neuem Testament

1. Behauptung einer Wechselbeziehung

Wenn die christliche Kirche die Schrift des jüdischen Volkes »Altes Testament« nennt, dann hat sie damit in keiner Weise zum Ausdruck bringen wollen, dass diese Schrift veraltet sei und man sich ihrer deswegen entledigen könne. (39) Die Kirche hat vielmehr stets betont, dass Altes und Neues Testament untrennbar seien. Ihre grundlegende Beziehung ist eben diese. Als Marcion zu Beginn des 2. Jahrhunderts das Altes Testament verwerfen wollte, stieß er auf den geschlossenen Widerstand der nachapostolischen Kirche. Seine Verwerfung des Alten Testaments führte Marcion im übrigen dazu, auch einen großen Teil des Neuen verwerfen zu müssen – nur das Lukasevangelium und ein Teil der Paulusbriefe blieben übrig –, was deutlich zeigte, dass seine Position unhaltbar war. Im Lichte des Alten Testaments versteht das Neue Testament das Leben, den Tod und die Verherrlichung Jesu (vgl. 1 Kor 15,3-4).

Doch ist die Beziehung wechselseitig: Auf der einen Seite will das Neue Testament im Lichte des Alten gelesen werden, auf der anderen Seite lädt es aber auch dazu ein, das Alte Testament im Lichte Jesu Christi »neu zu lesen« (vgl. Lk 24,45). Wie geschieht dieses »Wiederlesen«? Es erstreckt sich auf »die gesamte Schrift« (Lk 24,47), auf »alles, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen ... geschrieben steht« (24,44), doch liefert uns das Neue Testament hierfür nur einige Beispiele, ohne eine theoretische Methode zu bieten.

2. Wiederlesen des Alten Testaments im Lichte Christi

Die gegebenen Beispiele zeigen, dass man verschiedene Methoden benutzte, die, wie wir früher gesehen haben, (40) der Kultur der Umwelt entstammten. Die Texte sprechen von Typologie (41) und von Lesung im Lichte des Geistes (2 Kor 3,14-17). Sie legen den Gedanken einer doppelten Lesung nahe, derjenigen eines ursprünglichen Sinnes, der sich auf den ersten Blick erschließt, und derjenigen eines vertieften Verständnisses, das im Lichte Christi erschlossen wird.

Im Judentum war man gewohnt, Texte in verschiedener Weise neu zu lesen. Das Alte Testament selbst bahnte hier den Weg. So las man etwa die Geschichte vom Manna neu; man leugnete nicht die ursprüngliche Vorgabe, doch vertiefte man den Sinn, indem man im Manna das Sinnbild des Wortes erblickte, mit dem Gott beständig sein Volk ernährt (vgl. Dtn 8,2-3). Die Bücher der Chronik sind eine Neulektüre des Buches Genesis und der Samuel- und Königsbücher. Das Kennzeichnende der christlichen Neulektüre besteht darin, dass sie – wie gesagt – im Lichte Christi erfolgt.

Die neue Deutung beseitigt nicht den ursprünglichen Sinn. Paulus sagt eindeutig von den Israeliten, dass »ihnen die Worte Gottes anvertraut« sind (Röm 3,2), und er hält es für selbstverständlich, dass diese Worte auch vor dem Kommen Christi gelesen und verstanden werden konnten. Wenn er von einer Verblendung der Juden bei der »Lesung des Alten Testamentes« (2 Kor 3,14) spricht, dann geht es nicht um eine vollständige Unfähigkeit der Lektüre, sondern um die Unfähigkeit zu einer Neulektüre im Lichte Christi.

3. Allegorisches Wiederlesen

20 Die Methode der hellenistischen Welt unterschied sich von der soeben dargestellten. Auch auf sie griff die christliche Schriftauslegung zurück. Die Griechen legten zuweilen ihre klassischen Texte aus, indem sie sie in Allegorien verwandelten. Bei der Auslegung alter Dichtungen wie der Werke Homers, in denen sich die Götter wie unberechenbare und rachsüchtige Menschen benehmen, verliehen ihnen die Gelehrten einen vom religiösen und sittlichen Standpunkt aus annehmbareren Sinn. Danach hätte sich der Dichter nur allegorisch ausgedrückt. In Wahrheit habe er unter der Fiktion von Kämpfen unter den Göttern die Konflikte der menschlichen Seele und ihre Leidenschaften beschreiben wollen. In diesem Falle ließ der neue, geistigere Sinn den ursprünglichen Sinn des Textes verschwinden.

Die Juden der Diaspora haben diese Auslegungsmethode gelegentlich verwendet, vor allem um in den Augen der hellenistischen Welt einige Vorschriften des Gesetzes zu rechtfertigen, die wörtlich genommen keinen Sinn zu geben schienen. Philo von Alexandrien, der von hellenistischer Bildung geprägt war, wagte sich mit diesem Versuch weit vor. Gelegentlich entwickelte er in genialer Weise den ursprünglichen Sinn weiter, in anderen Fällen gelangte er freilich zu einer allegorischen Lesung, die den ursprünglichen Sinn vollständig entleerte. So wurde in der Folgezeit seine Schriftauslegung vom Judentum verworfen.

Im Neuen Testament ist nur einmal von »allegorisch gesagten Dingen« die Rede (all‘goroumena: Gal 4,24). In diesem Falle handelt es tatsächlich um Typologie, d. h. die in einem alten Text genannten Personen werden als Vorboten kommender Wirklichkeiten dargestellt, ohne dass an ihrer geschichtlichen Existenz der geringste Zweifel aufkäme. Ein weiterer Paulustext benutzt die Allegorie, um eine Einzelheit des Gesetzes zu erklären (1 Kor 9,9), doch legt Paulus diese Methode niemals seiner Schriftauslegung im Ganzen zugrunde. Die Kirchenväter und die Schriftsteller des Mittelalters machen freilich von der Allegorie systematischen Gebrauch, wenn sie versuchen, die ganze Bibel bis in die letzten Einzelheiten umfassend auf das christliche Leben hin auszulegen – nicht nur das Neue, sondern auch das Alte Testament. So sieht z. B. Origenes in dem Stück Holz, das Mose gebrauchte, um bitteres Wasser süß zu machen (Ex 15,22-25), eine Anspielung auf das Holz des Kreuzes; in dem scharlachroten Faden, an dem Rahab ihr Haus erkennen ließ (Jos 2,18), sieht er eine Anspielung auf das Blut des Erlösers. Man erkundete alle Möglichkeiten, die der Text bot, um Verbindungen zwischen Episoden des Alten Testaments und den christlichen Wirklichkeiten herzustellen. So fand man auf jeder Seite des Alten Testaments eine Fülle von direkten und ausdrücklichen Anspielungen auf Christus und das christliche Leben, doch lief dabei Gefahr, jede Einzelheit von ihrem Kontext abzulösen und jederlei Beziehung zwischen dem biblischen Text und der konkreten Wirklichkeit der Heilsgeschichte preiszugeben. Die Auslegung wurde willkürlich.

Gewiss besaß die dargelegte Lehre ihren Wert, da sie vom Glauben beseelt und von einer Gesamtkenntnis der Schrift im Lichte der Überlieferung geleitet war. Doch stützte sie sich nicht auf den ausgelegten Text. Sie wurde diesem vielmehr hinzugefügt. So blieb es unvermeidlich, dass dieser Zugang zur Schriftauslegung in dem Augenblick, in dem er seine schönsten Früchte zeitigte, doch in eine unwiderrufliche Krise geriet.

4. Rückkehr zum Literalsinn

Thomas von Aquin nahm deutlich die unbewusste Voraussetzung wahr, die der allegorischen Schriftauslegung zugrunde lag: der Ausleger konnte an einem Text nur entdecken, was er schon zuvor wusste, doch zu diesem Wissen hätte er nur auf dem Wege über den wörtlichen Schriftsinn eines anderen Textes gelangen können. So lautete die Schlussfolgerung des Thomas von Aquin: Man kann nicht zutreffend vom allegorischen Sinn eines Textes her argumentieren, sondern nur vom Literalsinn her. (42)

Seit dem Mittelalter hat sich die Rehabilitierung des Literalsinns weiter zunehmend behaupten können. Die kritische Erforschung des Alten Testaments hat sich mehr und mehr in dieser Richtung entwickelt, was zur Vorherrschaft der historisch-kritischen Methode führte. So kam es zu einem umgekehrten Prozess: die Beziehung zwischen dem Alten Testament und den christlichen Wirklichkeiten wurde auf eine begrenzte Zahl von Texten eingeschränkt. Heute besteht die Gefahr, in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen, nämlich mit den Übertreibungen der allegorischen Methode alle patristische Exegese und den Gedanken einer christlichen und christologischen Lektüre der Texte des Alten Testaments zu verwerfen. Von da aus ist das Bemühen in der zeitgenössischen Theologie zu verstehen, in unterschiedlicher, noch nicht einhelliger Weise eine christliche Deutung des Alten Testaments neu zu begründen, die frei von Willkür bleibt und dem ursprünglichen Sinn der Texte gerecht wird.

5. Die Einheit des göttlichen Heilsratschlusses und der Gedanke der Erfüllung

21 Die theologische Grundvoraussetzung besteht darin, dass der göttliche Heilsratschluss, der in Christus seinen Höhepunkt findet (vgl. Eph 1,3-14), einer und derselbe ist, sich aber fortschreitend und durch die Zeiten hindurch verwirklicht hat. Der Aspekt der Einheitlichkeit und derjenige der schrittweisen Verwirklichung sind gleicherweise wichtig, und ebenso die Kontinuität in bestimmten Punkten und die Diskontinuität in anderen. Von Anfang an ist Gottes Handeln an den Menschen auf eine endgültige Fülle hin ausgerichtet, und so beginnen sich bestimmte Aspekte, die sich als bleibend erweisen werden, abzuzeichnen: Gott offenbart sich, er beruft, er vertraut Sendungen an, er verheißt, befreit, schließt einen Bund. Die ersten Formen der Verwirklichung lassen, so vorläufig und unvollkommen sie auch noch sein mögen, bereits etwas von der endgültigen Fülle erahnen. Dies zeigt sich in besonderer Weise bei einigen großen Themen, die sich innerhalb der gesamten Bibel entwickeln, von der Genesis bis zur Offenbarung des Johannes: der Weg, das Festmahl oder Gottes Wohnen unter den Menschen.

Indem es Ereignisse und Texte der Vergangenheit immer wieder neu liest, öffnet sich das Alte Testament selbst für eine Perspektive letzter und endgültiger Erfüllung. So wird der Exodus, die ursprüngliche Glaubenserfahrung Israels (vgl. Dtn 6,20-25; 26,5-9), das Urbild weiterer Heilserfahrungen. Die Befreiung aus dem babylonischen Exil und die Aussicht auf ein eschatologisches Heil werden als ein neuer Exodus beschrieben. (43) Die christliche Deutung hält sich auf dieser Linie, nur mit dem Unterschied, dass sie die Erfüllung grundlegend bereits im Geheimnis Christi gegeben sieht.

Der Gedanke der Erfüllung ist äußerst komplexer Natur. (44) Er kann leicht verfälscht werden, wenn man einseitig das Element der Kontinuität oder der Diskontinuität betont. Der christliche Glaube sieht in Christus die Erfüllung der Schrift und der Erwartungen Israels, doch betrachtet er die Erfüllung nicht einfach als das Eintreffen dessen, was geschrieben steht. Eine solche Vorstellung würde den Sachverhalt verkürzen. Vielmehr verwirklicht sich im Geheimnis des gekreuzigten und auferstandenen Christus die Erfüllung in unvorhersehbarer Weise. (45) Jesus spielt nicht einfach eine vorgegebene Rolle – die Rolle des Messias –, sondern er verleiht den Begriffen des Messias wie des Heils eine Fülle, die sich zuvor nicht erahnen ließ; er erfüllt sie mit neuer Realität; man kann bei ihm sogar von einer »neuen Schöpfung« sprechen. (46) Es wäre abwegig, die Prophetien des Alten Testaments als eine Art vorausblickender Fotografien anzusehen, die zukünftige Ereignisse abbildeten. Alle Texte, auch diejenigen, die man in der Zukunft als messianische Prophetien lesen sollte, besaßen einen unmittelbaren Wert und Sinn für die Zeitgenossen vor der volleren Bedeutung für künftige Hörer. Die Messianität Jesu hat einen neuen und unerhörten Sinn.

Die erste Aufgabe des Propheten besteht darin, seinen Zeitgenossen zu ermöglichen, die Ereignisse ihrer Tage von Gott her zu verstehen. So muss auf die Überbetonung des Eintreffens von Prophetien als Beweis, die für eine bestimmte Schule der Apologetik kennzeichnend war, verzichtet werden. Diese Betonung hat zu einem härteren Urteil der Christen über die Juden und ihre Lesung des Alten Testaments beigetragen: Je eindeutiger man den Verweis auf Christus in den alttestamentlichen Texten findet, desto unentschuldbarer und verhärteter erscheint der Unglaube der Juden.

Auf der anderen Seite darf die Feststellung einer Diskontinuität zwischen dem einen und dem anderen Testament und einer Überschreitung der alten Perspektiven nicht zu einer einseitigen Spiritualisierung der Texte führen. Was sich in Christus bereits erfüllt hat, das muss sich in uns und in der Welt noch erfüllen. Die endgültige Vollendung wird die des Endes sein, mit der Auferstehung der Toten und dem neuen Himmel und der neuen Erde. Die jüdische Messiaserwartung ist nicht gegenstandslos. Sie kann für uns Christen ein starker Ansporn sein, die eschatologische Dimension unseres Glaubens lebendig zu erhalten. Wir wie sie leben von der Erwartung. Der Unterschied ist nur, dass Derjenige, der kommen wird, die Züge Jesu tragen wird, der schon gekommen ist, unter uns gegenwärtig ist und handelt.

6. Aktuelle Perspektiven

Das Alte Testament besitzt aus sich heraus einen ungeheuren Wert als Wort Gottes. Die Lesung des Alten Testamentes durch Christen bedeutet nicht, dass man in ihm überall direkte Verweise auf Jesus oder auf die christlichen Wirklichkeiten finden will. Gewiss bewegt sich für die Christen die gesamte alttestamentliche Heilsökonomie auf Christus zu; wenn man deshalb das Alte Testament im Lichte Christi liest, kann man rückblickend etwas von dieser Bewegung erfassen. Aber da sich diese Bewegung innerhalb der Geschichte langsam und auf verschlungenen Pfaden vollzieht, hat jedes Ereignis und hat jeder Text seinen bestimmten Platz auf diesem Wege, mehr oder weniger weit von der Vollendung entfernt. Solche Texte rückblickend mit den Augen von Christen zu lesen bedeutet, zugleich die Bewegung auf Christus hin und den Abstand gegenüber Christus wahrzunehmen, die Vorankündigung und die Unähnlichkeit. Umgekehrt kann das Neue Testament nur im Lichte des Alten voll verstanden werden.

Die christliche Deutung des Alten Testamentes ist demnach eine Interpretation, die für die verschiedenen Arten von Texten verschieden ausfällt. Sie stellt nicht einfach Gesetz und Evangelium einander gegenüber, sondern unterscheidet sorgfältig die aufeinander folgenden Phasen der Offenbarungs- und Heilsgeschichte. Sie ist eine theologische, aber zugleich auch uneingeschränkt historische Deutung. Fern davon, die historisch-kritische Exegese auszuschließen, erfordert sie diese vielmehr.

Wenn der christliche Leser wahrnimmt, dass die innere Dynamik des Alten Testaments in Jesus gipfelt, handelt es sich hier um eine rückschauende Wahrnehmung, deren Ausgangspunkt nicht in den Texten als solchen liegt, sondern in den Ereignissen des Neuen Testaments, die von der apostolischen Predigt verkündigt worden sind. So darf man nicht sagen, der Jude sähe nicht, was in den Texten angekündigt worden sei. Vielmehr gilt, dass der Christ im Lichte Christi und im Geiste in den Texten einen Sinnüberschuss entdeckt, der in ihnen verborgen lag.

7. Der Beitrag der jüdischen Schriftlesung

22 Die Umwälzungen, die durch die Ausrottung der Juden (die Schoa) während des Zweiten Weltkriegs ausgelöst wurden, haben alle Kirchen dazu geführt, ihre Beziehung zum Judentum von Grund auf neu zu überdenken und dementsprechend auch ihre Interpretation der jüdischen Bibel, des Alten Testamentes. Manche haben sich die Frage gestellt, ob die Christen sich nicht vorwerfen müssen, sich die jüdische Bibel angeeignet zu haben durch eine Lesart, in der kein Jude sich wieder findet. Müssen die Christen von nun diese Bibel wie die Juden lesen, um voll ihrem jüdischen Ursprung gerecht zu werden?

Hermeneutische Gründe zwingen uns, auf diese letzte Frage eine negative Antwort zu geben. Denn eine rein jüdische Lesung der Bibel führt notwendigerweise mit sich, alle ihre Voraussetzungen zu übernehmen, d. h. die vollständige Übernahme dessen, was das Judentum ausmacht, vor allem die Geltung der rabbinischen Schriften und Überlieferungen, die den Glauben an Jesus als Messias und Gottessohn ausschließen.

Für die erste Frage – die der Aneignung der jüdischen Schrift durch die Christen – stellt sich die Lage anders dar, denn die Christen können und müssen zugeben, dass die jüdische Lesung der Bibel eine mögliche Leseweise darstellt, die sich organisch aus der jüdischen Heiligen Schrift der Zeit des Zweiten Tempels ergibt, in Analogie zur christlichen Leseweise, die sich parallel entwickelte. Jede dieser beiden Leseweisen bleibt der jeweiligen Glaubenssicht treu, deren Frucht und Ausdruck sie ist. So ist die eine nicht auf die andere rückführbar.

Auf dem konkreten Feld der Exegese können die Christen gleichwohl viel von der jüdischen Exegese lernen, die seit mehr als zweitausend Jahren ausgeübt worden ist, und sie haben in der Tat im Laufe der Geschichte auch viel von ihr gelernt. (47) Ihrerseits können sie hoffen, dass die Juden auch aus christlichen exegetischen Untersuchungen werden Gewinn ziehen können.

B. Gemeinsame Grundthemen

1. Offenbarung Gottes

23 Ein Gott, der zu den Menschen spricht. Der Gott der Bibel ist ein Gott, der in Austausch mit den Menschen tritt und zu ihnen spricht. Die Bibel beschreibt, wie Gott in unterschiedlicher Weise die Initiative ergreift, um kraft der Erwählung Israels mit den Menschen in Kommunikation zu treten. Gott lässt sein Wort entweder unmittelbar oder durch Boten vernehmen.

Im Alten Testament enthüllt sich Gott dem Volke Israel als Derjenige, der spricht. Das göttliche Wort nimmt die Gestalt einer Verheißung an, mit der Mose zugesagt wird, er werde das Volk Israel aus Ägypten herausführen (Ex 3,3-17), einer Verheißung, die auf diejenigen folgt, die den Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob für ihre Nachkommen zuteil geworden waren. (48) Eine weitere Verheißung wird David nach 2 Sam 7,1-7 zuteil, wo ihm ein Nachkomme zugesagt wird, der ihm auf dem Throne folgen werde.

Nach dem Auszug aus Ägypten sagt sich Gott seinem Volk in einem Bund zu, für den er selbst zweimal die Initiative ergreift (Ex 19–24; 32–34). Innerhalb dieses Bundesschlusses empfängt Mose von Gott das Gesetz, oft als »Worte Gottes« bezeichnet, (49) das er dem Volke übermitteln soll.

Als Bote des Gotteswortes wird Mose als Prophet gelten, (50) ja als mehr als ein Prophet (Num 12,6-8). Im Laufe der Geschichte des Volkes zeigen die Propheten das Bewusstsein, das Wort Gottes zu übermitteln. Die Berichte von den Prophetenberufungen zeigen, wie das Wort Gottes aufkommt, sich kraftvoll Raum verschafft und zu einer Antwort einlädt. Propheten wie Jesaja, Jeremia oder Ezechiel erkennen das Wort Gottes als ein Ereignis, das ihr Leben bestimmt. (51) Ihre Botschaft ist die Botschaft Gottes; ihre Botschaft annehmen heißt das Wort Gottes aufnehmen. Obwohl das Wort Gottes auf Widerstand vonseiten der menschlichen Freiheit stößt, erweist es sich doch als wirksam: (52) Es ist eine Macht, die im Herzen der Geschichte wirksam wird. Im Bericht von der Erschaffung der Welt durch Gott (Gen 1) entdeckt man, dass für Gott Sprechen dasselbe wie Handeln ist.

Das Neue Testament greift diese Sicht auf und vertieft sie. So wird Jesus zum Prediger des Gotteswortes (Lk 5,1) und greift auf die Schrift zurück; er wird als Prophet anerkannt, (53) aber er ist mehr als ein Prophet. Im Vierten Evangelium unterscheidet sich die Rolle Jesu von derjenigen Johannes des Täufers durch den Gegensatz zwischen der irdischen Herkunft des letzteren und der himmlischen des ersteren: »Er, der aus dem Himmel kommt [...], bezeugt, was er gesehen und gehört hat; [...] der, den Gott gesandt hat, verkündet die Worte Gottes« (Joh 3,31.32.34). Jesus ist nicht einfach ein Bote; in ihm wurde seine innigste Vertrautheit mit Gott offenbar. Die Sendung Jesu verstehen heißt, seine göttliche Eigenart begreifen. »Was ich gesagt habe, habe ich nicht aus mir selbst«, sagt Jesus; »Was ich sage, sage ich so, wie es mir der Vater gesagt hat« (Joh 12,49.50). Aufgrund dieses Bandes, das Jesus mit dem Vater eint, bekennt das Vierte Evangelium Jesus als den Logos, »das Wort«, das »Fleisch geworden ist« (Joh 1,14).

Der Anfang des Hebräerbriefes fasst den zurückgelegten Weg in vollkommener Weise zusammen: Gott hat »einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten«, »er hat zu uns gesprochen durch einen Sohn« (Hebr 1,1-2), durch diesen Jesus, von dem uns die Evangelien und die apostolische Predigt künden.

24 Der einzige Gott. Der stärkste Ausdruck des jüdischen Glaubensbekenntnisses findet sich in Dtn 6,4: »Höre, Israel! Der herr, unser Gott, der herr ist einzig«, eine Behauptung, die man nicht von ihrer Konsequenz für den Gläubigen trennen darf: »Darum sollst du den herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft« (Dtn 6,5). (54) Als einziger Gott Israels wird der herr am Ende der Zeit als einziger Gott der Menschheit anerkannt werden (Sach 14,9). Gott ist einer: Dies Bekenntnis stammt aus der Sprache der Liebe (vgl. Hld 6,9). Gott, der Israel liebt, wird als ein einziger bekannt, und er ruft jeden auf, diese Liebe mit einer immer ungeteilteren Liebe zu beantworten.

Israel soll anerkennen, dass der Gott, der es aus Ägypten herausgeführt hat, es als einziger auch aus der Knechtschaft befreit hat. Allein dieser Gott hat Israel gerettet, und Israel soll seinen Glauben an ihn durch die Beobachtung des Gesetzes und durch den Gottesdienst zum Ausdruck bringen.

Die Aussage »der Herr ist einer« war ursprünglich nicht Ausdruck eines radikalen Monotheismus, denn die Existenz weiterer Götter wurde zunächst nicht bestritten, wie z. B. der Dekalog zeigt (Ex 20,3). Seit dem Exil wird das Bekenntnis mehr und mehr zum Ausdruck eines radikalen Monotheismus, der sich in Formulierungen niederschlägt wie: »die Götter sind Nichtse« (Jes 45,14) oder »es gibt keinen anderen«. (55) Im späteren Judentum ist die Formel von Dtn 6,4 Ausdruck des monotheistischen Glaubens; sie bildet das Herz des jüdischen Gebetes.

Im Neuen Testament wird das Bekenntnis des jüdischen Glaubens in Mk 12,29 von Jesus selbst aufgegriffen, der Dtn 6,4-5 zitiert, und von seinem jüdischen Gesprächspartner, der Dtn 4,35 anführt. Auch der christliche Glaube bekennt die Einzigkeit Gottes, denn »es gibt keinen Gott außer dem einen«. (56) Diese Einzigkeit Gottes wird auch dort entschlossen festgehalten, wo Jesus als Sohn anerkannt wird (Röm 1,3-4), der mit dem Vater eins ist (Joh 10,30; 17,11). Jesus hat in der Tat die Herrlichkeit, die von dem einzigen Gott kommt, vom Vater als »einziger Sohn, voll Gnade und Wahrheit« (Joh 1,14). Paulus zögert nicht, bei der Umschreibung des christlichen Glaubens das Bekenntnis von Dtn 6,4 zu verdoppeln und zu sagen: »Für uns aber [gibt es] nur einen Gott, den Vater [...], und einen Herrn, Jesus Christus« (1 Kor 8,6).

25 Gott der Schöpfer und seine Vorsehung. Die Bibel setzt ein mit den Worten: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1); diese Überschrift bestimmt den Text von Gen 1,1 – 2,4a, aber darüber hinaus auch die ganze Bibel, insofern sie von Gottes mächtigen Taten handelt. In dem genannten Eingangstext kehrt die Aussage über das Gutsein der Schöpfung siebenmal wieder; sie bildet einen Refrain (Gen 1,4-31).

In unterschiedlichen Formulierungen und Zusammenhängen kehrt die Aussage, Gott sei Schöpfer, regelmäßig wieder. So hat Gott nach dem Bericht vom Auszug aus Ägypten Gewalt über den Wind und das Meer (Ex 14,21). Im Gebet Israels wird Gott als derjenige bekannt, »der Himmel und Erde gemacht hat«. (57) Gottes Schöpferhandeln begründet und sichert das erwartete Heil, sowohl im Gebet (Ps 121,2) als auch in Prophetenworten wie z. B. Jer 5,22 und 14,22. In Jes 40 – 55 begründet dieses Handeln die Hoffnung auf ein kommendes Heil. (58) Die Weisheitsbücher weisen dem Schöpferhandeln Gottes eine zentrale Rolle zu. (59) Der Gott, der die Welt durch sein Wort erschafft (Gen 1) und der dem Menschen einen Lebensodem verleiht (Gen 2,7), ist auch derjenige, der jedem Menschenwesen vom Mutterschoß an seine Sorge bekundet. (60)

Außerhalb der Hebräischen Bibel sollte der Text von 2 Makk 7,28 zur Sprache kommen, in dem die Mutter der sieben Märtyrer-Brüder den letzten von ihnen mit den Worten ermahnt: »Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh alles, was es da gibt, und erkenne: Gott hat das nicht aus Bestehendem erschaffen«. Die lateinische Übersetzung dieses Satzes spricht von der Schöpfung ex nihilo, »aus dem Nichts«. Ein bemerkenswerter Zug dieses Textes liegt darin, dass die Erinnerung an das Schöpferhandeln Gottes den Glauben an die Auferstehung der Gerechten begründet. Das gleiche ist Röm 4,17 der Fall. Der Glaube an einen Schöpfergott, Sieger über die Mächte des Kosmos und des Bösen, hat sich untrennbar verbunden mit dem Vertrauen auf ihn als Retter des Volkes Israel wie auch der einzelnen Menschen. (61)

26 Im Neuen Testament leitet sich die Überzeugung, dass alles, was existiert, Werk Gottes ist, unmittelbar aus dem Alten Testament ab. Sie scheint so fest verankert, dass sie keines Beweises bedarf und die Rede von der Schöpfung in den Evangelien wenig begegnet. Gleichwohl ist in Mt 19,4 der Verweis auf Gen 1,27 festzuhalten, der von der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau spricht. In einem umfassenderen Sinne erinnert Mk 13,19 an »den Anbeginn der Schöpfung, die Gott erschuf«. Schließlich spricht Mt 13,35b im Zusammenhang mit den Gleichnissen von dem, »was seit der Schöpfung verborgen war«. Jesus betont in seiner Verkündigung stark das Vertrauen, das der Mensch auf Gott setzen soll, von dem alles abhängt: »Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt [...] Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht [...], euer himmlischer Vater ernährt sie«. (62) Die Sorge Gottes gilt Bösen und Guten, über die er »seine Sonne aufgehen lässt« und denen er den Regen schenkt, den die Fruchtbarkeit des Bodens braucht (Mt 5,45). Die Vorsehung Gottes erstreckt sich auf alle; bei den Jüngern Jesu soll sich diese Überzeugung darin ausdrücken, dass sie »zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit« suchen (Mt 6,33). Im Matthäusevangelium spricht Jesus von dem »Reich, das seit Erschaffung der Welt für euch bereitet ist« (Mt 25,34). Die von Gott geschaffene Welt ist der Ort des menschlichen Heils; hier erwartet der Mensch eine vollkommene »Neuschöpfung« (Mt 19,28).

Auf der Grundlage der jüdischen Bibel, nach der Gott alles durch sein Wort erschaffen hat, (63) verkündet der Prolog des Vierten Evangeliums: »Im Anfang war das Wort«, »das Wort war Gott«, »alles ist durch das Wort geworden« und »ohne das Wort wurde nichts« (Joh 1,1-3). Das Wort kommt in die Welt, doch die Welt hat es nicht erkannt (Joh 1,10). Trotz der Hindernisse seitens der Menschen kommt Gottes Heilsplan in Joh 3,16 klar zum Ausdruck: »Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat«. Diese Liebe Gottes bezeugt Jesus bis zum Ende (Joh 13,1). Nach seiner Auferstehung »hauchte« er über die Jünger und erneuerte so, was Gott bei der Erschaffung des Menschen gewirkt hatte (Gen 2,7). Der Gestus verweist auf eine Neuschöpfung als Werk des Heiligen Geistes (Joh 20,22).

In einer anderen Sprache bietet die Offenbarung des Johannes eine ähnliche Perspektive. Der Schöpfergott (Offb 4,11) steht am Anfang eines Heilsprojekts, das erst durch das »Lamm, wie geschlachtet« (Offb 5,6), verwirklicht werden kann – jenes Lamm, das das Ostergeheimnis zur Vollendung bringt und das »der Anfang der Schöpfung Gottes ist« (Offb 3,14). Am Ende der Geschichte wird der Sieg über die Mächte des Bösen einhergehen mit dem Aufkommen einer neuen Schöpfung, in der Gott selbst das Licht ist (64) und die keinen Tempel benötigen wird, da der Allmächtige Gott und das Lamm der Tempel der himmlischen Stadt, des neuen Jerusalem sein werden (Offb 21,2.22).

In den Paulusbriefen nimmt die Schöpfung einen vergleichbar bedeutenden Raum ein. Bekannt ist der Gedankengang des Paulus bezüglich der Heiden in Röm 1,20-21. Der Apostel stellt fest: »Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit«, und so sind die Heiden »unentschuldbar« dafür, dass sie nicht Gott die Ehre gaben und »das Geschöpf verehrten anstelle des Schöpfers« (Röm 1,25; vgl. Weish 13,1-9). Die Schöpfung ist »der Sklaverei der Vergänglichkeit« »unterworfen worden« (Röm 8,20-21). Doch kann man sie nicht als böse verwerfen. 1 Tim 4,4 heißt es vielmehr: »Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Dank genossen wird«.

Die Rolle, die beim Schöpfungsakt im Alten Testament der Weisheit zuerkannt wird, wird im Neuen Testament der Person Jesu Christi, des Gottessohnes, zugeschrieben. Wie beim »Wort« im Prolog des Johannes (1,3) handelt es sich um eine allumfassende Vermittlung, zum Ausdruck gebracht durch die Präposition dia, die sich im Hebräerbrief (1,2) wieder findet. In Verbindung mit dem »Vater von dem alles (stammt)«, findet sich »Jesus Christus, durch den alles (ist)« (1 Kor 8,6). Der Hymnus von Kol 1,15-20 führt dieses Thema weiter. Nach ihm gilt: »In ihm wurde alles erschaffen«; »alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand« (Kol 1,16-17).

Auf der anderen Seite wird die Auferstehung Christi als der Anbruch einer neuen Schöpfung verstanden, so dass gilt: »Wenn jemand also in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung«. (65) Angesichts der Verstrickung der Menschen in Sünden bestand der Heilsplan Gottes in Christus in einer Neuschöpfung. Wir werden dieses Thema weiter unten erneut aufgreifen, nachdem wir über die Lage der Menschheit gesprochen haben.

2. Der Mensch: Größe und Elend

a) Im Alten Testament

27 Man spricht gern in einem doppelten Ausdruck von »Größe und Elend« des Menschen. Im Alten Testament findet man nicht diese beiden Ausdrücke zur Beschreibung der Lage des Menschen, aber man findet ähnliche: in den ersten drei Kapiteln der Genesis sind Mann und Frau auf der einen Seite »nach Gottes Bild geschaffen« (Gen 1,27), werden aber auf der anderen Seite auch »aus dem Garten Eden vertrieben« (Gen 3,24), da sie dem Worte Gottes nicht folgen wollten. Diese Kapitel bestimmen das Verständnis der ganzen Bibel. Jeder und jede ist hier eingeladen, die Wesenszüge seiner Existenz und den farblichen Hintergrund der gesamten Heilsgeschichte zu erkennen.

Geschaffen nach dem Bilde Gottes: dieser Wesenszug, der weit vor die Berufung Abrahams und die Erwählung des Volkes Israel zurückreicht, charakterisiert Männer und Frauen aller Zeiten und aller Orte (Gen 1,26-27) (66) und verleiht ihnen eine unvergleichliche Würde. Der Ausdruck könnte auf die Königsideologie der Nachbarvölker Israels zurückgehen, vor allem Ägyptens, wo der Pharao als das lebendige Abbild der Gottheit angesehen wurde und als solcher für den Erhalt und die Erneuerung des Kosmos zuständig war. Die Bibel macht aus dieser Metapher freilich eine Grundaussage über jede menschliche Person. Gottes Worte »Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über ...« (Gen 1,26) sehen die Menschen als Geschöpfe Gottes, deren Aufgabe es ist, über die Erde zu herrschen, die Gott geschaffen und bevölkert hat. Als Abbilder Gottes und Stellvertreter des Schöpfers werden die Menschen Empfänger seines Wortes und sind aufgerufen, seine Weisung entgegenzunehmen (Gen 2,15-17).

Man sieht gleichzeitig, dass die Menschen als Männer und Frauen existieren und die Aufgabe haben, dem Leben zu dienen. In der Aussage: »Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie« (Gen 1,27) wird die Differenzierung der Geschlechter in Beziehung gesetzt zu der Ähnlichkeit mit Gott.

Im Übrigen steht die menschliche Fortpflanzung in engem Zusammenhang mit der Aufgabe, über die Erde zu herrschen, wie der göttliche Segen für das erste Menschenpaar zeigt: »Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über ...« (1,28). So stehen die Ähnlichkeit mit Gott, die Verbindung von Mann und Frau und die Herrschaft über die Welt in engem Zusammenhang.

Die enge Verbindung zwischen der Tatsache der Erschaffung nach dem Bilde Gottes und derjenigen, Vollmacht über die Welt zu besitzen, hat eine Reihe von Folgen. Zunächst schließt die umfassende Umsetzung dieser Vorgaben jede Überlegenheit einer Menschengruppe oder eines Individuums über die anderen aus. Alle Menschen sind Abbild Gottes und alle haben den Auftrag, das Ordnung schaffende Werk des Schöpfers fortzusetzen. Zweitens gibt die Genesis Anweisungen für das harmonische Miteinander aller Lebewesen bei der Suche nach den notwendigen Mitteln ihres Überlebens: Gott weist Menschen und Tieren ihre Nahrung zu (Gen 1,29-30). (67) Drittens wird das Leben der Menschen mit einem gewissen Rhythmus versehen. Außer dem Rhythmus von Tag und Nacht, von Monden und Sonnenjahren (Gen 1,14-18) schafft Gott einen Wochenrhythmus mit einer Ruhe am siebenten Tage als Grundlage des Sabbats (Gen 2,1-3). Durch die Beobachtung des Sabbats (Ex 20,8-11) erweisen die Herren der Erde dem Schöpfer die Ehre.

28 Das menschliche Elend findet seinen exemplarischen Ausdruck in der biblischen Erzählung von der ersten Sünde im Garten Eden und von ihrer Sühnung. Der Bericht von Gen 2,4b – 3,24 ergänzt denjenigen von Gen 1,1 – 2,4a, indem er zeigt, wie in einer »guten«, (68) ja nach ihrer Vollendung durch die Erschaffung des Menschen »sehr guten« Schöpfung (Gen 1,31) das Elend in die Welt kam.

Der Bericht umschreibt zunächst genauer die Aufgabe des Menschen, den Garten Eden »zu bebauen und zu hüten« (Gen 2,15), und fügt das Verbot hinzu, »vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen« (Gen 2,16-17). Dies Gebot schließt ein, dass der Dienst Gottes und die Beobachtung seiner Gebote zur Herrschaft über die Erde dazugehören (1,26.28).

Der Mensch macht sich zunächst daran, die Absichten Gottes umzusetzen, indem er den Tieren Namen verleiht (Gen 2,18-20) und im Anschluss daran die Frau als ein Geschenk Gottes annimmt (2,23). In der Geschichte von der Versuchung hört das Menschenpaar freilich auf, nach den Anweisungen Gottes zu handeln. Indem Mann und Frau von der Frucht des Baumes genießen, geben sie der Versuchung nach, wie Gott sein und sich eine »Erkenntnis« aneignen zu wollen, die allein Gott zukommt (3,5-6). Daraufhin versuchen sie, sich einer Begegnung mit Gott zu entziehen. Doch offenbart ihr Versuch, sich zu verbergen, den Wahn der Sünde, denn er belässt sie an eben dem Ort, wo die Stimme Gottes sie erreichen kann (3,8). Die vorwurfsvolle Frage Gottes an den Menschen: »Wo bist du?« deutet an, dass dieser sich nicht dort befindet, wo er sein sollte: zur Verfügung Gottes und bei der Befolgung seines Auftrags (3,9). Mann und Frau erkennen, dass sie nackt sind (3,7-10), was bedeutet, dass sie die Unbefangenheit gegenüber einander und gegenüber der Harmonie der Schöpfung verloren haben.

In seinem Strafurteil bestimmt Gott die Lebensbedingung der Menschen neu, nicht aber die Beziehung zwischen ihm und ihnen (3,17-19). Auf der anderen Seite verliert der Mensch seine besondere Aufgabe im Garten Eden, aber nicht diejenige, zu arbeiten (3,17-19.23). Seine Aufgabe ist nun auf den »Boden« ausgerichtet (3,23; vgl. 2,5). Mit anderen Worten: Gott gibt dem Menschen auch weiterhin eine Aufgabe. Nur muss der Mensch, um »sich die Erde untertan zu machen und über sie zu herrschen« (1,28), sich der Arbeit unterziehen (2,23). So ist fortan die »Mühsal« die unzertrennliche Begleiterin der Frau (3,16) und des Mannes (3,17); der Tod ist beider Geschick (3,19). Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist gestört. Das Wort »Mühsal« verbindet sich mit Schwangerschaft und Geburt (3,16), auf der anderen Seite aber auch mit der physischen und seelischen Erschöpfung, die die Arbeit mit sich bringt (3,17). (69) Widersprüchlicherweise verbindet sich mit dem, was der Grund tiefer Freude sein sollte – Geburt und Prokreativität – nun der Schmerz. Das Strafurteil bindet diese »Mühsal« an das Leben auf dem »Ackerboden«, das den Fluch aufgrund der Sünde verschärft (3,17-18). Das gleiche gilt für den Tod: Das Ende des menschlichen Lebens wird als Rückkehr »zum Erdboden« gekennzeichnet, aus dem Mensch genommen worden war, um seine Aufgabe zu erfüllen. (70) In Gen 2-3 erscheint die Unsterblichkeit an das Leben im Garten Eden gebunden sowie an die Einhaltung des Verbots, vom Baum der »Erkenntnis« zu essen. Nachdem dieses Verbot gebrochen worden ist, ist der Zugang zum Baum des Lebens (2,9) nunmehr versperrt (3,22). Nach Weish 2,23-24 ist die Unsterblichkeit mit der Gottebenbildlichkeit verbunden; »durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt«; dadurch ist die Verbindung zwischen Gen 1 und Gen 2-3 hergestellt.

Geschaffen nach dem Bilde Gottes und beauftragt mit der Bebauung des Bodens, hat das Menschenpaar die ehrenvolle Aufgabe, das Schöpfungswerk Gottes zu vollenden, indem es die Sorge für die Geschöpfe übernimmt (Weish 9,2-3). Wenn der Mensch die Stimme Gottes nicht mehr hören will und ihr diejenige der einen oder anderen Kreatur vorzieht, liegt dies im Bereich der ihm verliehenen Freiheit; das Erleiden von Mühsal und Tod ist dann die Folge der menschlichen Freiheitsentscheidung. So wird die »Mühsal« ein durchgängiger Zug menschlicher Existenz, doch bleibt dieser Zug sekundär, und er beseitigt nicht die »Größe« des Menschen, die ihm Gott in seinem Schöpfungsplan zugedacht hat.

Die folgenden Kapitel der Genesis zeigen, bis zu welchem Punkt das Menschengeschlecht in Sünden und Elend versinken kann: »Die Erde war in Gottes Augen verdorben, sie war voller Gewalttat [...] Alle Wesen aus Fleisch lebten auf der Erde verdorben« (Gen 6,11-12), so dass Gott die Sintflut beschloss. Doch wenigstens ein Mensch, Noach und seine Familie, »ging seinen Weg mit Gott« (6,9), und Gott erwählte ihn dazu, Ausgangspunkt eines Neuaufbruchs der Menschheit zu sein. Innerhalb seiner Nachkommenschaft erwählt Gott Abraham, weist ihn an, sein Land zu verlassen und verheißt ihm, »seinen Namen groß machen« zu wollen (12,2). Der Plan Gottes ist von nun an allumfassend, denn durch Abraham «sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (12,3). Das Alte Testament zeigt in der Folge, wie sich dieser Plan im Laufe der Jahrhunderte durchsetzt, mit wechselnden Augenblicken von Elend und Größe. Niemals hat Gott die Hoffnung aufgegeben, indem er sein Volk im Elend gelassen hätte. Immer hat er es auf den Weg wahrer Größe zurückgeführt, zum Segen für die ganze Menschheit.

Diesen Grundzügen ist hinzuzufügen, dass das Alte Testament weder die enttäuschenden Züge der menschlichen Existenz verkennt (Kohelet), noch das bohrende Problem des Leidens Unschuldiger (Ijob), noch das Ärgernis der Verfolgung Gerechter (vgl. die Geschichten von Elija, von Jeremia und von den unter Antiochus verfolgten Juden). In all diesen Fällen, und vor allem in dem zuletzt genannten, nimmt die Begegnung mit dem Elend nicht nur nichts von der menschlichen Größe, sondern lässt diese erst voll zur Entfaltung kommen.

b) Im Neuen Testament

29 Die Lehre des Neuen Testaments vom Menschen baut auf derjenigen des Alten Testamentes auf. Sie bezeugt die Größe des Menschen, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist (Gen 1,26-27), aber auch sein Elend, das durch die unleugbare Wirklichkeit der Sünde ausgelöst wurde, die aus dem Menschen eine Karikatur seiner selbst macht.

Größe des Menschen. In den Evangelien ergibt sich die Größe des Menschen aus der Sorge Gottes für ihn, die diejenige für die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes übertrifft (Mt 6,30); sie ergibt sich auf der anderen Seite aus dem Ideal, das ihm gesetzt ist: barmherzig zu werden wie Gott (Lk 6,36), vollkommen, wie er vollkommen ist (Mt 5,45.48). Der Mensch ist ein Geistwesen, das »nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort lebt, das aus dem Munde Gottes kommt« (Mt 4,4; Lk 4,4). So zieht der Hunger nach dem Worte Gottes die Volksmengen erst zu Johannes dem Täufer (Mt 3,5-6 par.), dann zu Jesus. (71) Eine Ahnung des Göttlichen hat sie angezogen. Als Abbild Gottes fühlt sich der Mensch von Gott angezogen. Selbst Heiden können einen großen Glauben aufbringen. (72)

Der Apostel Paulus hat die Besinnung auf den Menschen vor Gott am stärksten vertieft. Als »Apostel der Heiden« (Röm 11,13) hat er verstanden, dass alle Menschen von Gott zu höchster Würde berufen sind (1 Thess 2,12): Kinder Gottes zu werden, (73) von ihm geliebt (Röm 5,8), als Glieder am Leibe Christi (1 Kor 12,27), erfüllt vom Heiligen Geiste (1 Kor 6,19). Eine höhere Würde ist nicht vorstellbar.

Der Gedanke der Erschaffung des Menschen nach dem Bilde Gottes wird von Paulus wiederholt aufgegriffen und abgewandelt. In 1 Kor 11,7 wendet Paulus ihn auf den Mann an, der »Abbild und Abglanz Gottes ist«. Doch dann sieht er ihn in Christus verwirklicht, »der Gottes Ebenbild ist«. (74) Die von Gott berufenen Menschen sind dazu bestimmt, »an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei« (Röm 8,29). Diese Ebenbildlichkeit wird dem Menschen durch die Betrachtung der Herrlichkeit des Herrn zuteil (2 Kor 3,18; 4,6). Die Verwandlung geschieht anfanghaft in diesem Leben und vollendet sich im anderen, wenn wir dereinst »nach dem Bild des himmlischen Menschen gestaltet werden« (1 Kor 15,49); dann wird die Größe des Menschen ihren Höhepunkt erreicht haben.

30 Elend des Menschen. Die beklagenswerte Lage der Menschheit kommt im Neuen Testament in vielfacher Weise zum Ausdruck. Klar zeigt sich, dass die Erde kein Paradies ist! Die Evangelien führen uns immer wieder eine lange Reihe von Krankheiten und Gebrechen vor Augen, die eine Vielzahl von Menschen befallen haben. (75) In den Evangelien ist die Besessenheit durch böse Geister Ausdruck der tiefen Verfallenheit an die Unfreiheit, in die der ganze Mensch geraten kann (Mt 8,28-34 und Par.). Der Tod ereilt den Menschen unverhofft und löst Trauer aus. (76)

Doch vor allem das sittliche Elend beschäftigt das Neue Testament. Die Menschheit lebt in einer Situation der Sünde, die zu den schlimmsten Gefährdungen führt. (77) Umso dringender erschallt der Ruf zur Umkehr. Die Predigt des Täufers erklingt kraftvoll in der Wüste; (78) Jesus greift sie auf; er »verkündete das Evangelium Gottes und sprach: [...] Kehrt um und glaubt an das Evangelium« (Mk 1,14-15); »er zog durch alle Städte und Dörfer« (Mt 9,35). Er nannte das Böse beim Namen, das »aus dem Menschen herauskommt« und ihn »unrein macht« (Mk 7,20). »Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein«. (79) In der Parabel vom Verlorenen Sohn beschreibt Jesus den elenden Zustand, in den sich der Mensch versetzt sieht, wenn er sich vom Hause des Vaters entfernt (Lk 15,13-16). Jesus sprach auch von den Verfolgungen, die diejenigen zu erleiden hätten, die sich für die »Gerechtigkeit« einsetzen (Mt 5,10), und kündigte an, dass seine Jünger verfolgt werden würden. (80) Er selbst wurde verfolgt (Joh 5,16); man trachtete ihm nach dem Leben. (81) Diese mörderische Absicht ließ sich schließlich umsetzen. So wurde das Leiden Jesu unüberbietbarer Ausdruck des sittlichen Elends der Menschheit. Nichts fehlte hier: Verrat, Verleugnung, Verlassensein, ungerechte Gerichtsverhandlung und Verurteilung, Ausschreitungen und Misshandlung und schließlich eine grausame Vollstreckung des Urteils, begleitet von der Verspottung des Todeskandidaten. So wurde die menschliche Bosheit entfesselt gegen den »Heiligen und Gerechten« (Apg 3,14) und setzte ihn entsetzlichem Elend aus.

Im Römerbrief gibt Paulus die schonungsloseste Beschreibung menschlichen sittlichen Elends (Röm 1,18 – 3,20) und analysiert aufs Eindringlichste, wie es um den Menschen als Sünder steht (Röm 7,14-25). Das Bild, das Paulus zeichnet von »aller Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten«, ist in der Tat vernichtend. Die Weigerung, Gott die Ehre zu geben und ihm zu danken, führt zur vollständigen Verblendung und zu den schlimmsten moralischen Verirrungen (1,21-32). Paulus bemüht sich zu zeigen, dass das sittliche Elend von allen gilt und dass der Jude trotz des Vorzugs, das Gesetz zu kennen (2,17-24), davon nicht ausgenommen ist. Paulus stützt seine These auf eine lange Reihe von alttestamentlichen Zitaten, die belegen, dass alle Menschen Sünder sind (3,10-18): »Es gibt keinen, der gerecht ist, auch nicht einen«. (82) Der ausschließliche Charakter dieser Bestreitung ist gewiss keine Frucht der Erfahrung. Er besteht vielmehr in der theologischen Einsicht in das, was der Mensch ohne die Gnade Gottes wird: das Böse schlummert im Herzen des Menschen (vgl. Ps 51,7). Diese Einsicht wird bei Paulus durch die Überzeugung erhärtet, dass Christus »für alle gestorben ist«; (83) so brauchten alle die Erlösung. Wäre die Sünde nicht allgemein, dann gäbe es Menschen, die keiner Erlösung bedürften.

Das Gesetz konnte die Sünde nicht heilen, denn der Sünder muss, auch wenn er das Gesetz für gut hält und danach leben möchte, eingestehen: »Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will« (Röm 7,19). Die Macht der Sünde bedient sich des Gesetzes selbst, um ihre Überlegenheit zu zeigen, indem sie das Gesetz übertreten lässt (7,13). Und die Sünde führt zum Tod, (84) was dem Sünder den Notschrei entringt: »Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?« (Röm 7,24) So offenbart sich die dringende Notwendigkeit der Erlösung.

In einer ganz anderen Sprache, aber noch kraftvoller bezeugt die Offenbarung des Johannes die verheerenden Auswirkungen des Bösen in der Menschenwelt. Sie beschreibt »Babylon«, »die große Hure«, die mit ihren Freveln »die Könige der Erde« und »die Einwohner der Erde« mit sich zog und »betrunken war vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu« (Offb 17,1-6). »Ihre Sünden haben sich bis zum Himmel aufgetürmt« (18,5). Das Böse löst schreckliche Plagen aus. Aber es wird nicht das letzte Wort behalten. Babylon fällt (18,2). Vom Himmel steigt »die heilige Stadt, das neue Jerusalem«, »die Wohnung Gottes unter den Menschen« (21,2-3). Der Ausbreitung des Bösen wirkt das Heil entgegen, das von Gott kommt.

3. Gott als Befreier und Retter

a) Im Alten Testament

31 Seit dem Beginn seiner Geschichte, seit dem Auszug aus Ägypten, hat Israel den herrn als Befreier und Retter erfahren: dies bezeugt die Bibel, die beschreibt, wie Israel beim Marsch durch das Meer der ägyptischen Herrschaft entrissen wurde (Ex 14,21-31). Die wunderbare Durchquerung des Meeres wurde eines der Hauptthemen des Gotteslobes. (85) In Verbindung mit dem Einzug Israels ins Gelobte Land (Ex 15,17) wurde der Auszug aus Ägypten zum Hauptartikel des Glaubensbekenntnisses. (86)

Die Ausdrücke, mit denen das Alte Testament den Eingriff des Herrn bei diesem für Israel grundlegenden Heilsereignis beschreibt, haben theologische Bedeutung: der herr hat Israel aus Ägypten, »dem Sklavenhaus« (Ex 20,2; Dtn 5,6), »herausgeführt«, er hat es »hinaufgeführt« in ein »schönes, weites Land, in dem Milch und Honig fließen« (Ex 3,8.17), er hat es seinen Unterdrückern »entrissen« (Ex 6,6; 12,27), er hat es »freigekauft«, wie man Sklaven freikauft (Dtn 7,8) oder das Recht eines Verwandten geltend macht (g~'al: Ex 6,6; 15,13). Im Lande Kanaan erfährt Israel wie schon beim Auszug aus Ägypten aufs Neue das befreiende und rettende Eingreifen Gottes. Aufgrund seiner Untreue gegenüber Gott wird Israel von den Nachbarvölkern unterdrückt; so ruft es Gott um Hilfe an. Da beruft der Herr einen »Richter« als »Retter«. (87)

In der traurigen Lage des Exils – nach dem Verlust des Landes – durfte Deuterojesaja, ein uns namentlich unbekannter Prophet, den Verbannten eine unerhörte Botschaft ankündigen: Gott würde seinen befreienden Eingriff von einst – denjenigen des Auszugs aus Ägypten – wiederholen und ihn sogar übertreffen. Der Nachkommenschaft seiner Erwählten Abraham und Jakob (Jes 41,8) würde er sich als »Erlöser« (g(o-)'‘l) erweisen, indem er sie ihren fremden Herren, den Babyloniern, entriss. (88) »Ich bin der herr, ich, und außer mir gibt es keinen Retter. Ich habe es selbst angekündigt und euch gerettet« (Jes 43,11-12). Als »Retter« und »Erlöser« Iraels wird der herr von allen Sterblichen anerkannt werden (Jes 49,26).

Nach der Heimkehr der Verbannten, die Deuterojesaja als unmittelbar bevorstehend angekündigt hatte und die kurz darauf – ohne spektakuläre Begleitumstände – stattfand, brach sich die Hoffnung auf eine endzeitliche Befreiung Bahn: die geistlichen Erben des exilischen Propheten kündigten die künftige Vollendung der Erlösung Israels als göttliches Eingreifen am Ende der Zeiten an.(89) Der messianische Fürst der Endzeit kann seinerseits als Retter Israels dargestellt werden (Mi 4,14 – 5,5).

In zahlreichen Psalmen gewinnt das Heil einen individuellen Zug. In der Auseinandersetzung mit Krankheiten oder feindlichen Umtrieben kann der Israelit den Herrn anrufen, um vor dem Tod oder der Unterdrückung bewahrt zu werden. (90) Er kann auch Gottes Hilfe für den König erbitten (Ps 20,10). Er vertraut auf Gottes rettendes Eingreifen (Ps 55,17-19). Auf der anderen Seite danken die Gläubigen und insbesondere der König (Ps 18 = 2 Sam 22) dem Herrn für die erfahrene Hilfe und für das Ende der Unterdrückung. (91)

Israel erwartet im Ubrigen, dass der Herr es »von all seinen Sünden erlösen wird« (Ps 130,8). In einigen Texten erscheint die Vorstellung von einem Heil nach dem Tode. Was für Ijob nur ein Hoffnungsschimmer war (»Mein Erlöser lebt«: Ijob 19,25), wird zur festen Hoffnung in einem Psalm: »Doch Gott wird mich loskaufen aus dem Reich des Todes, ja, er nimmt mich auf« (Ps 49,16). In Ps 73,24 sagt der Psalmist in ähnlicher Weise: »Du nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit«. Gott kann demnach nicht nur die Macht des Todes bändigen und ihn daran hindern, ihm seinen Gläubigen zu entreißen (Ps 6,5-6), sondern er kann den Gläubigen darüber hinaus auch jenseits des Todes zur Teilnahme an seiner Herrlichkeit führen.

Das Danielbuch und die deuterokanonischen Schriften greifen das Thema des Heiles auf und führen es weiter. Nach der apokalyptischen Erwartung wird auf die Auferweckung der Toten (12,2) die Verherrlichung der »Verständigen« folgen (Dan 12,3) – zweifellos jener, die dem Gesetz trotz der Verfolgung treu geblieben sind. Die feste Hoffnung auf eine Auferstehung der Märtyrer »zu einem ewigen Leben« (2 Makk 7,9) kommt kraftvoll im Zweiten Makkabäerbuch zum Ausdruck.(92) Nach dem Weisheitsbuch »lernten die Menschen [...] und wurden gerettet durch die Weisheit« (Weish 9,19). Da der Gerechte »Sohn Gottes« ist, »nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner« (2,18), indem er ihn vor dem Tode bewahrt oder jenseits des Todes rettet, denn die »Hoffnung« der Gerechten ist »voll Unsterblichkeit« (3,4).

b) Im Neuen Testament

32 Das Neue Testament befindet sich im Einklang mit dem Alten Testament in der Darstellung Gottes als Retter. Schon zu Anfang des Lukasevangeliums lobt Maria Gott, ihren Retter (Lk 1,47), und Zacharias preist »den Herrn, den Gott Israels, denn er hat [...] seinem Volk Erlösung geschaffen« (Lk 1,68); das Thema des »Heils« kehrt im »Benedictus« viermal wieder, (93) und zwar in zunehmender Verdeutlichung: Die Bewegung geht vom Wunsch, von seinen Feinden befreit zu werden (1,71.74), hin zu demjenigen, von den Sünden erlöst zu werden (1,77). Paulus verkündet, dass das Evangelium »eine Kraft Gottes ist, die jeden rettet, der glaubt« (Röm 1,16).

Im Alten Testament bedient sich Gott bei der Verwirklichung von Befreiung und Heil menschlicher Werkzeuge, die, wie wir sahen, gelegentlich den Rettertitel erhalten, der sonst Gott vorbehalten ist. Im Neuen Testament wird der Titel »Erlöser« (lytr(o-)t‘s), der nur einmal erscheint, dem Mose verliehen, der als solcher von Gott gesandt wurde (Apg 7,35). (94) Der Titel des »Retters« wird Gott und Jesus zugeschrieben. Der Name Jesu selbst erinnert an das von Gott geschenkte Heil; das Erste Evangelium erinnert unverzüglich daran und erläutert, dass es sich um ein geistliches Heil handeln wird: Das von der Jungfrau Maria empfangene Kind wird »den Namen Jesu« erhalten, »denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen« (Mt 1,21). Im Lukasevangelium verkündigen die Engel den Hirten: »Heute ist euch ein Retter geboren« (Lk 2,11). Das Vierte Evangelium eröffnet eine umfassendere Perspektive, indem es die Samaritaner bekennen lässt, Jesus sei »wirklich der Retter der Welt« (Joh 4,42).

In den Evangelien, in der Apostelgeschichte und in den unumstrittenen Paulusbriefen erscheint das Neue Testament sehr zurückhaltend mit dem Gebrauch des »Retter«-Titels. (95) Diese Zurückhaltung wird gemeinhin auf die Tatsache zurückgeführt, dass der genannte Titel in der hellenistischen Welt reiche Verwendung fand; dort wurde er Göttern wie Asklepios, einem Heilsgott, sowie vergöttlichten Herrschern verliehen, die sich als Retter ihres Volkes ausgaben. So konnte er zweideutig bleiben. Im Ubrigen hatte das Heil in der griechischen Welt einen stark individualistischen und physischen Einschlag, während der neutestamentliche Begriff, der vom Alten Testament übernommen worden war, kollektive Weite und eine Öffnung hin zum Spirituellen besaß. Nach und nach verschwand freilich die Gefahr der Zweideutigkeit. Die Pastoralbriefe und der Zweite Petrusbrief verwenden häufig den Rettertitel; sie wenden ihn dabei auf Gott oder auf Christus an. (96)

Im öffentlichen Leben Jesu offenbart sich die Macht des in ihm gegebenen Heils nicht nur auf geistlichem Gebiet, wie in Lk 19,9-10, sondern auch – und dies häufig – auf körperlichem. Jesus rettet die Kranken, indem er sie heilt; (97) er stellt fest: »Dein Glaube hat dich gerettet«. (98) Seine Jünger flehen ihn an, sie aus der Gefahr zu retten, und er tut es. (99) Er befreit sogar vom Tode. (100) Als er am Kreuz hängt, erinnern ihn seine Gegner spöttisch daran, dass er »andere gerettet« hat, und fordern ihn auf. »sich selbst zu retten und vom Kreuz herabzusteigen«. (101) Doch Jesus weist für sich selbst diese Form von Heil zurück, denn er ist gekommen, um »sein Leben hinzugeben als Lösegeld (lytron: Mittel der Befreiung) für viele«. (102) Man hatte aus ihm einen nationalen Befreier machen wollen, (103) doch er hatte es von sich gewiesen. Das Heil, das er brachte, war anderer Natur.

Die Beziehung zwischen dem Heil und dem jüdischen Volk wird Gegenstand ausdrücklicher theologischer Reflexion bei Johannes: »Das Heil kommt von den Juden« (Joh 4,22). Diese Aussage Jesu fügt sich ein in die Kontroverse um den jüdischen und den samaritanischen Kult, die überwunden werden wird durch die Ermöglichung einer Anbetung »in Geist und Wahrheit« (4,23). Am Ende der betreffenden Erzählung bekennen die Samaritaner: Jesus ist »der Retter der Welt« (Joh 4,42).

Der Rettertitel wird in besonderer Weise dem auferstandenen Jesus zugeschrieben, denn durch die Auferstehung »hat Gott ihn als Herrscher und Retter an seine rechte Seite erhoben, um Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden zu schenken« (Apg 5,31). »In keinem anderen ist das Heil zu finden« (4,12). Die Perspektive ist eschatologisch. »Lasst euch retten«, sagt Petrus, »aus dieser verdorbenen Generation« (Apg 2,40), und Paulus verkündigt den bekehrten Heiden den auferstandenen Jesus als denjenigen, »der uns dem kommenden Gericht entreißt« (1 Thess 1,10). »Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Gericht Gottes gerettet werden« (Röm 5,9).

Dieses Heil war dem Volke Israel verheißen, doch die »Völker« können nunmehr an ihm teilhaben, denn »das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen«. (104) Die Hoffnung auf das Heil, die sich so häufig und so kraftvoll im Alten Testament bekundet, findet ihre Erfüllung im Neuen Testament.

4. Die Erwählung Israels

a) Im Alten Testament

33 Gott ist Befreier und Retter vor allem eines kleinen Volkes – inmitten zahlreicher anderer zwischen zwei Großreichen –, weil er sich dieses Volk auserwählt und ausgesondert hat für eine besondere Beziehung zu ihm und für eine Sendung in der Welt. Der Gedanke der Erwählung ist für das Verständnis des Alten Testaments und der ganzen Bibel von grundlegender Bedeutung.

Die Aussage, der herr habe Israel »auserwählt« (b~char), ist eine der Grundlehren des Deuteronomium. Die Erwählung Israels durch den Herrn hat sich im göttlichen Eingriff bei der Befreiung aus Ägypten und in der Verleihung eines Landes erwiesen. Das Deuteronomium bestreitet ausdrücklich, die göttliche Wahl sei durch die Größe Israels oder durch seine sittliche Vollkommenheit bestimmt gewesen: »Du bist ein halsstarriges Volk. Daher kann dir der herr, dein Gott, dieses prächtige Land nicht etwa aufgrund eines Rechtsanspruchs geben, damit du es in Besitz nimmst« (9,6). Die einzige Grundlage der göttlichen Erwählung war seine Liebe und seine Treue: »weil er euch liebt und weil er auf den Schwur achtet, den er euren Vätern geleistet hat« (7,8).

Von Gott erwählt, ist Israel berufen, ein »heiliges Volk« zu sein (Dtn 7,6; 14,2). Das Wort »heilig« (q~d(o-)š) bringt eine Seinsweise zum Ausdruck, die negativ die Trennung vom Profanen und positiv die Weihe an den Dienst Gottes meint. Wenn das Deuteronomium vom »heiligen Volk« spricht, unterstreicht es die einzigartige Stellung Israels als eines Volkes, das, in den Bereich des Sakralen eingeführt, Gottes besonderes Eigentum und Gegenstand seines besonderen Schutzes wurde. Zugleich wird die Bedeutung der Antwort Israels auf die göttliche Initiative und dementsprechend die Notwendigkeit eines angemessenen Verhaltens hervorgehoben. So stellt die Theologie der Erwählung zugleich die Sonderstellung und die besondere Verantwortung des Volkes heraus, das unter allen anderen auserwählt wurde, das persönliche Eigentum Gottes (105) und heilig zu sein, da auch Gott heilig ist. (106)

Im Deuteronomium betrifft das Thema der Erwählung nicht das Volk allein. Eine der Grundforderungen dieses Buches besteht darin, dass die Verehrung des Herrn an dem Orte geschieht, den der Herr erwählt hat. Die Erwählung des Volkes erscheint in der paränetischen Einleitung zu den Gesetzen, doch in den Gesetzen selbst konzentriert sich die göttliche Erwählung auf das eine und einzige Heiligtum. (107) Andere Bücher geben den Ort genauer an, wo sich dieses Heiligtum befindet, und bringen diese göttliche Wahl in Verbindung mit der Erwählung eines Stammes und einer Person. Der erwählte Stamm ist der von Juda, der Ephraim vorgezogen wird, (108) die erwählte Person ist David. (109) Dieser ergreift Besitz von Jerusalem und der Feste Zion, die zur »Davidsstadt« wird (2 Sam 5,6-7); dorthin lässt er die Bundeslade bringen (2 Sam 6,12). Auf diese Weise hat Gott Jerusalem (2 Chr 6,5) und näherhin Zion (Ps 132,13) zu seiner Bleibe erwählt.

In aufgewühlten und schweren Zeiten, in denen die Israeliten keine Zukunft mehr sahen, bewahrte sie die Gewissheit, Gottes auserwähltes Volk zu sein, in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit und seine Treue zu seinen Verheißungen. Während des Exils greift Deuterojesaja das Thema der Erwählung auf, (110) um die in die Verbannung Geführten zu trösten, die sich von Gott verlassen fühlten (Jes 49,14). Der Vollzug des göttlichen Strafgerichts hatte der Erwählung Israels kein Ende gesetzt; sie blieb in Geltung, denn sie stützte sich auf die Erwählung der Patriarchen. (111) Deuterojesaja verbindet den Gedanken der Erwählung mit dem des Dienstes, indem er Israels als »Knecht des herrn« (112) darstellt, der bestimmt ist, »Licht für die Völker« zu sein (49,6). Diese Texte zeigen eindeutig, dass die Erwählung nicht nur die Hoffnung Israels begründete, sondern auch eine Verantwortung mit sich brachte: Israel sollte vor den Völkern der »Zeuge« des einzigen Gottes sein. (113) Im Vollzug dieses Zeugnisses wird der Knecht den herrn als solchen erkennen (43,10).

Die Erwählung Israels bedeutet nicht die Verwerfung der anderen Völker. Diese gehören vielmehr ebenfalls Gott, denn »dem Herrn gehört die Erde und alles, was auf ihr lebt« (Dtn 10,14), und Gott hat »die Gebiete der Völker festgelegt« (32,8). Wenn Israel von Gott sein »erstgeborener Sohn« (Ex 4,22; Jer 31,9) oder die »Erstlingsfrucht seiner Ernte« (Jer 2,3) genannt wird, schließen diese Bilder ein, dass die anderen Völker ebenfalls zur Familie und zur Ernte Gottes gehören. Dieses Verständnis der Erwählung ist charakteristisch für die Bibel als Ganze.

34 In seiner Lehre von der Erwählung betont das Deuteronomium, wie wir sahen, die göttliche Initiative, aber auch den fordernden Aspekt der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Der Glaube an die Erwählung konnte gleichwohl auch erstarren und zu einem stolzen Gefühl der Überlegenheit werden. Die Propheten zeigen sich besorgt, diese Entartung zu bekämpfen. Ein Spruch des Amos relativiert die Erwählung und schreibt anderen Völkern das Privileg eines Auszugs zu, der demjenigen gleicht, der Israel zuteil wurde (Am 9,7). Ein anderer Spruch erklärt, dass die Erwählung seitens Gottes eine größere Strenge zur Folge hat: »Nur euch habe ich erwählt aus allen Stämmen der Völker; darum ziehe ich euch zur Rechenschaft für alle eure Vergehen« (Am 3,2). Amos hält daran fest, dass Gott Israel auf eine besondere und einzigartige Weise berufen hat. In diesem Zusammenhang hat das Wort »erkennen« einen tieferen und intimeren Sinn als eine Besinnung auf die Existenz. Es drückt eher eine tiefe persönliche Beziehung als einen intellektuellen Vorgang aus. Aber diese Beziehung bringt spezifische sittliche Anforderungen mit sich. Israel ist Volk Gottes, aber es muss auch als Volk Gottes leben. Wenn es diese Verpflichtung verfehlt, wird es die »Heimsuchung« eines göttlichen Gerichtes erfahren, das strenger ausfällt als bei den anderen Völkern.

Für Amos stand fest, dass die Erwählung eher Verantwortung als Vorrang bedeutete. Natürlich geht die Erwählung der Verpflichtung voraus. Gleichwohl schließt die göttliche Erwählung Israels ein höheres Maß von Verantwortung ein. In der Erinnerung daran beseitigte der Prophet die Illusion, das erwählte Volk könne sich Gottes bemächtigen.

Die hartnäckige Unbelehrbarkeit des Volkes und seiner Könige führte zur Katastrophe des Exils, die die Propheten vorhergesagt hatten. »Darum sprach der herr: Auch Juda will ich von meinem Angesicht entfernen, wie ich Israel entfernt habe. Ich verwerfe diese Stadt Jerusalem, die ich erwählt habe, und das Haus, von dem ich gesagt habe: Hier wird mein Name sein« (2 Kön 23,27). Diese Entscheidung Gottes wurde voll wirksam (2 Kön 25,1-21). Doch in dem Augenblick, wo man sagte: »Die beiden Stammesverbände, die der herr erwählt hatte, hat er verworfen!« (Jer 33,24), widersprach der Herr formell dieser Behauptung: »Ich werde ihr Geschick wenden und mich ihrer erbarmen« (Jer 33,26). Schon der Prophet Hosea hatte angekündigt, dass Gott zu Israel in einem Augenblick, wo es für Gott »Nicht mein Volk« (Hos 1,8) geworden sein sollte, sagen würde: »Du bist mein Volk!« (Hos 2,25). Jerusalem sollte wieder aufgebaut werden; dem wieder aufgebauten Tempel sagte Haggai einen größeren Glanz als dem Tempel Salomos voraus (Hag 2,9). So wurde die Erwählung feierlich neu bestätigt.

b) Im Neuen Testament

35 Der Ausdruck »auserwähltes Volk« findet sich nicht in den Evangelien, doch bildet die Überzeugung, Israel sei das von Gott auserwählte Volk, in ihnen eine Grundüberzeugung, die sich in anderen Ausdrücken niederschlägt. Matthäus bezieht einen Spruch Michas auf Jesus, in dem Gott von Israel als seinem Volk spricht; von dem in Betlehem geborenen Kind sagt Gott: »er wird der Hirt meines Volkes Israel sein« (Mt 2,6; Mi 5,3). Gottes Wahl und seine Treue gegenüber dem erwählten Volk spiegeln sich dann in der Sendung wider, die Gott Jesus anvertraut hat: Jesus ist nur gesandt »zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel« (Mt 15,24). Jesus selbst grenzt mit entsprechenden Worten die erste Sendung seiner »zwölf Apostel« ein (Mt 10,2.5-6).

Doch führt der Widerstand, dem sich Jesus von Seiten der Führungsschicht ausgesetzt sieht, zu einem Perspektivwechsel. Zum Schluss der Parabel von den Bösen Winzern, die sich an die »Hohenpriester« und »Ältesten des Volkes« wendet (Mt 21,23), erklärt ihnen Jesus: »Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt« (Mt 21,43). Dieses Wort bedeutet gleichwohl nicht die Ersetzung des Volkes Israel durch ein Heidenvolk. Das neue »Volk« wird vielmehr in Kontinuität mit dem auserwählten Volk stehen, denn es wird zum »Eckstein« den »Stein« haben, »den die Bauleute verworfen haben« (21,42), Jesus, einen Sohn Israels, und es wird aus Israeliten bestehen, zu denen »in großer Zahl« (Mt 8,11) Menschen aus »allen Völkern« (Mt 28,19) hinzukommen werden. Die Verheißung, Gott werde bei seinem Volke sein, die eine so bedeutende Gewähr der Erwählung Israels war, erfüllt sich in der Gegenwart des auferstandenen Herrn bei seiner Gemeinde. (114)

Im Lukasevangelium bekennt der Lobgesang des Zacharias, dass »der Gott Israels sein Volk heimgesucht« hat (Lk 1,68) und dass die Sendung des Sohnes des Zacharias darin bestehen wird, »vor dem Angesicht des Herrn« zu wandeln und »sein Volk mit der Erfahrung des Heils zu beschenken in der Vergebung der Sünden« (1,76-77). Bei der Darstellung des Kindes Jesus im Tempel bezeichnet Simeon das von Gott herbeigeführte Heil als »Herrlichkeit für dein Volk Israel« (2,32). Später führt ein großes Wunder Jesu zum Ausruf der Menge: »Gott hat sich seines Volkes angenommen« (7,16).

Für Lukas bleibt es freilich bei einer Spannung aufgrund des von Jesus erfahrenen Widerstands. Dieser Widerstand geht aber von den Führern des Volkes aus und nicht vom Volke selbst, das Jesus sehr zugetan ist. (115) In der Apostelgeschichte betont Lukas, dass eine große Zahl jüdischer Zuhörer beim Pfingstfest und auch nachher den Aufruf des Petrus zur Buße aufnahm. (116) Auf der anderen Seite unterstreicht der Bericht der Apostelgeschichte, dass der erbitterte Widerstand der Juden Paulus dreimal – in Kleinasien, in Griechenland und in Rom – dazu zwingt, seine Mission auf die Heiden auszurichten. (117) In Rom ruft Paulus den vornehmen Juden den Spruch des Jesaja in Erinnerung, der die Verhärtung »dieses Volkes« voraussagte. (118) So finden sich im Neuen Testament wie im Alten zwei unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich des von Gott auserwählten Volkes.

Man sieht gleichzeitig, dass die Erwählung Israels kein ausschließliches Privileg bedeutet. Schon das Alte Testament kündigte den Anschluss »aller Völker« an den Gott Israels an. (119) Ähnlich kündigt Jesus an: »Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen«. (120) Nach seiner Auferstehung dehnt Jesus die Sendung der Apostel und das Heilsangebot auf »alle Völker« aus. (121)

Dementsprechend nennt der Erste Petrusbrief, der sich an Gläubige mit Herkunft vor allem aus dem Heidentum wendet, diese ein »auserwähltes Geschlecht« 122 und einen »heiligen Stamm«, (123) ebenso wie diejenigen, die aus dem Judentum stammten. Sie waren kein Volk, doch jetzt sind sie »Volk Gottes«. (124) Der Zweite Johannesbrief nennt die christliche Gemeinde, an die er gerichtet ist, »auserwählte Herrin« (V. 1) und die Gemeinde, von der er abgesandt ist, »auserwählte Schwester« (V. 13). Zu Heiden, die erst jüngst zum Glauben gekommen sind, zögert Paulus nicht zu sagen: »Wir wissen, von Gott geliebte Brüder, dass ihr erwählt seid ...« (1 Thess 1,4). So wurde das Bewusstsein, an der göttlichen Erwählung Anteil erhalten zu haben, an alle Christen weitergegeben.

36 In seinem Brief an die Römer macht Paulus deutlich, dass es sich bei den aus dem Heidentum gekommenen Christen um eine Teilhabe an der Erwählung Israels, des einzigen Volkes Gottes handelt. Die Heidenchristen sind der »wilde Ölbaum«, der in den »edlen Ölbaum eingepfropft wurde«, um »Anteil zu erhalten an der Kraft seiner Wurzel« (Röm 11,17.24). So haben sie keinen Grund, sich vor den Zweigen zu rühmen. »Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich« (11,18).

Auf die Frage, ob die Erwählung Israels immer noch in Geltung ist, gibt Paulus zwei verschiedene Antworten: nach der ersten sind die Zweige zwar abgeschnitten aufgrund ihrer Verweigerung des Glaubens (11,17.20), doch »gibt es auch einen Rest, der aus Gnade erwählt ist« (11,5). So kann man nicht sagen, Gott habe sein Volk verworfen (11,1-2). »Was Israel erstrebt, hat nicht [das ganze Volk], sondern nur der erwählte Rest erlangt. Die Ubrigen wurden verstockt« (11,7). Die andere Antwort besteht darin, dass diejenigen Juden, die »vom Evangelium her gesehen Feinde Gottes« sind, doch »von der Erwählung her gesehen [von Gott] geliebt« bleiben, »und das um der Väter willen« (11,28), und so sieht Paulus voraus, dass sie Barmherzigkeit erlangen werden (11,27.31). Die Juden hören nicht auf, durch den Glauben in der Gemeinschaft mit Gott zu leben, »denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt« (11,29).

Das Neue Testament behauptet nie, Israel sei verworfen worden. Von Anfang an war die Kirche der Auffassung, die Juden blieben wichtige Zeugen der göttlichen Heilsordnung. Sie versteht ihre eigene Existenz als eine Teilhabe an der Erwählung Israels und an der Berufung, die in erster Linie diejenige Israels bleibt, selbst wenn nur ein kleiner Teil Israels sie angenommen hat.

Wenn Paulus von der Vorsehung Gottes unter dem Bild des Töpfers spricht, der für die Herrlichkeit »Gefäße des Erbarmens« (Röm 9,23) schafft, will er damit nicht sagen, dass diese Gefäße ausschließlich oder hauptsächlich die Heiden meinen, sondern dass sie für Heiden und Juden stehen, mit einer gewissen Priorität für die Juden: »er hat uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden« (9,24).

Paulus erinnert daran, dass Christus, »geboren unter dem Gesetz« (Gal 4,4), »um der Wahrhaftigkeit Gottes willen Diener der Beschnittenen geworden ist, damit die Verheißungen an die Väter bestätigt werden« (Röm 15,8). Das will besagen, dass Christus nicht nur beschnitten worden ist, sondern dass er sich in den Dienst der Beschnittenen gestellt hat, und zwar, weil Gott sich gegenüber den Vätern verpflichtet hat durch Verheißungen, die sich als zuverlässig erweisen sollten. »Die Heiden aber rühmen Gott um seines Erbarmens willen« (15,9) und nicht wegen seiner Treue, denn ihr Eintritt ins Gottesvolk ergibt sich nicht aus göttlichen Verheißungen; er ist eine Art ungeschuldeter Zugabe. So werden an erster Stelle die Juden Gott inmitten der Völker loben; sie werden daraufhin die Völker einladen, an der Freude des Gottesvolkes teilzunehmen (15,9b-10).

Paulus selbst erinnert mehrfach mit Stolz an seinen jüdischen Ursprung. (125) In Röm 11,1 führt er seine Eigenart als »Israelit, Nachkomme Abrahams, aus dem Stamme Benjamin« als Beweis dafür an, dass Gott sein Volk nicht verworfen hat. In 2 Kor 11,22 stellt er diese Würde dar als Grund seines Ruhmes, den er mit seinem Titel als Diener Christi gleichstellt (11,23). Es ist wahr, dass er diese Vorzüge, die er für Gewinn hielt, nach Phil 3,7 »um Christi willen als Verlust erkannte«. Aber der Grund lag darin, dass diese Vorzüge ihn, statt ihn zu Christus zu führen, von ihm entfernt hatten.

In Röm 3,1-2 behauptet Paulus ohne Zögern »den Vorzug der Juden und den Nutzen der Beschneidung«. An erster Stelle nennt er dabei als von grundlegender Bedeutung: »Ihnen sind die Worte Gottes anvertraut«. Weitere Gründe folgen später, in Röm 9,4-5, und bilden eine eindrucksvolle Reihe von Gaben Gottes und nicht nur Verheißungen: Die Israeliten »haben die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus« (Röm 9,4-5).

Paulus bemerkt gleichwohl unverzüglich, dass es nicht ausreicht, physisch zu Israel zu gehören, um ihm wirklich anzugehören und »Kinder Gottes« zu sein. Es gilt vor allem, »Kinder der Verheißung« (Röm 9,6-8) zu sein, was nach Auffassung des Apostels den Anschluss an Christus impliziert, in dem »alle Verheißungen Gottes ,Ja‘ geworden sind« (2 Kor 1,20). Nach dem Galaterbrief kann der »Nachkomme Abrahams« nur einer sein; er findet sich in Christus und allen, die ihm angehören (Gal 3,16.29). Freilich unterstreicht der Apostel, dass »Gott sein Volk nicht verworfen hat« (Röm 11,2). Da »die Wurzel heilig« ist, bleibt Paulus bei seiner Überzeugung, dass Gott am Ende in seiner unerforschlichen Weisheit alle Israeliten erneut in den wilden Ölbaum einpfropfen wird (11,24); »ganz Israel wird gerettet werden« (11,26). Aufgrund unserer gemeinsamen Wurzeln und dieser eschatologischen Perspektive erkennt die Kirche dem jüdischen Volk eine Sonderrolle als »älterer Bruder« zu, was ihm eine einmalige Stellung unter allen anderen Religionen verleiht. (126)

5. Der Bund

a) Im Alten Testament

37 Wie zuvor dargestellt, hat die Erwählung Israels eine doppelte Seite: Sie ist Gabe der Liebe, zugleich aber auch Aufgabe und Verpflichtung. Der Schluss des Sinaibundes zeigt deutlicher diese beiden Seiten.

Wie die Theologie der Erwählung, so ist auch diejenige des Bundes z. T. Theologie des Volkes des herrn. Vom Herrn als Kind angenommen und sein Sohn geworden (vgl. Ex 3,10; 4,22-23), erhält Israel den Auftrag, ihm ausschließlich anzugehören und sich ganz auf ihn auszurichten. So widerspricht der Bundesgedanke von seiner Natur her der irrtümlichen Auffassung, die Erwählung Israels garantiere automatisch seinen Fortbestand und sein Wohlergehen. Vielmehr bedeutet die Erwählung eine Berufung, die Israel in seinem Leben als Volk verwirklichen musste. Der Abschluss eines Bundes bedeutete eine Wahl und eine Entscheidung ebenso für Israel wie für Gott. (127)

Das Wort berît, das man gemeinhin mit »Bund« übersetzt, erscheint nicht nur im Sinaibericht (128) (Ex 24,3-8), sondern auch in verschiedenen biblischen Überlieferungen, vor allem denjenigen, die von Noach, Abraham, David, Levi und dem levitischen Priestertum handeln; häufig begegnet es im Deuteronomium und im deuteronomistischen Geschichtswerk. In jedem Textzusammenhang weist das Wort unterschiedliche Bedeutungsnuancen auf. Gelegentlich ist die übliche Übersetzung von berît als »Bund« unangemessen. Das Wort kann auch den weiteren Sinn von »Verpflichtung« haben, als Gegenbegriff zu »Eid« erscheinen und ein Versprechen oder eine feierliche Zusicherung bedeuten.

Verpflichtung gegenüber Noach (Gen 9,8-17). Nach der Sintflut kündigt Gott dem Noach und seinen Söhnen an, er werde eine Verpflichtung (berît) ihnen und allen Lebewesen gegenüber eingehen. Keine Verpflichtung wird dem Noach oder seinen Nachkommen auferlegt. Gott verpflichtet sich rückhaltlos. Diese bedingungslose Verpflichtung Gottes gegenüber seiner Schöpfung ist die Grundlage allen Lebens. Ihre Einseitigkeit, d. h. ihre Geltung ohne Gegenverpflichtung der anderen Seite, geht klar aus der Tatsache hervor, dass diese Verpflichtung ausdrücklich auch die Tiere einschließt (»alle, die mit euch aus der Arche gekommen sind«: 9,10). Der Regenbogen wird als Zeichen der von Gott eingegangenen Verpflichtung eingesetzt. Wenn er in den Wolken erscheint, wird Gott sich an seine »ewige Verpflichtung« gegenüber »allen Wesen aus Fleisch auf der Erde« erinnern (9,16).

Verpflichtung gegenüber Abraham (Gen 15,1-21; 17,1-26). Nach Gen 15 übernimmt der herr eine Verpflichtung gegenüber Abraham, die lautet: »Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land« (15,18). Der Bericht spricht in keiner Weise von einer gegenseitigen Verpflichtung. Der einseitige Charakter der Verpflichtung wird bestätigt durch den feierlichen Ritus, der der göttlichen Erklärung vorausgeht. Es handelt sich um einen Ritus der Selbstverfluchung: Indem eine Person, die eine Verpflichtung auf sich nimmt, durch die beiden Hälften eines getöteten Tieres hindurchschreitet, ruft sie ein ähnliches Geschick für den Fall auf sich herab, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachkäme (vgl. Jer 34,18-20). Wenn es sich in Gen 15 um eine wechselseitige Verpflichtung gehandelt hätte, dann hätten beide Vertragspartner an dem Ritus teilnehmen müssen. Aber dies ist nicht der Fall: Allein der herr schreitet, vertreten durch eine »lodernde Fackel« (15,17), zwischen den Stücken hindurch.

Der Aspekt der Verheißung von Gen 15 findet sich erneut in Gen 17, doch hier in Verbindung mit einem Gebot. Gott gebietet Abraham ganz allgemein, vollkommen zu sein (17,1), und erteilt ihm dazu ein Einzelgebot, dasjenige der Beschneidung (17,10-14). Die Worte: »Geh deinen Weg vor mir, und sei rechtschaffen« (17,1) zielen auf eine vollständige und unbedingte Abhängigkeit gegenüber Gott. In der Folge wird eine berît verheißen (17,2) und inhaltlich gefüllt: Verheißungen außerordentlicher Fruchtbarkeit (17,4-6) und der Verleihung des Landes (17,8). Diese Verheißungen sind bedingungslos und unterscheiden sich dadurch vom Sinaibund (Ex 19,5-6). Das Wort berît erscheint in unsrem Kapitel 17-mal mit seiner Grundbedeutung feierlicher Zusicherung, aber es verweist auch auf etwas, was über eine reine Verheißung hinausreicht: Hier entsteht ein ewiges Band zwischen Gott und Abraham sowie seiner Nachkommenschaft: »Ich will ihnen Gott sein« (17,8).

Die Beschneidung ist das »Zeichen« der Selbstverpflichtung gegenüber Abraham, ebenso wie der Regenbogen das Zeichen des Bundes mit Noach ist, auch wenn die Beschneidung von einer menschlichen Entscheidung abhängt. Sie kennzeichnet diejenigen, denen die göttliche Verheißung zuteil wird. Diejenigen, die dieses Zeichen nicht tragen, würden hingegen aus dem Volke ausgemerzt werden, da sie es entweiht hätten (Gen 17,14).

38 Sinaibund. Der Text Ex 19,4-8 zeigt die grundlegende Bedeutung des Bundes Gottes mit Israel auf. Das gewählte dichterische Bild – »auf Adlersflügeln tragen« – zeigt anschaulich, wie sich der Bund organisch einfügt in den tiefgehenden Befreiungsprozess seit der Durchquerung des Roten Meeres. Der ganze Bundesgedanke geht auf diese göttliche Initiative zurück. Die vom herrn bewirkte Befreiungstat bei der Herausführung aus Ägypten begründet für immer die Notwendigkeit der Treue und Folgsamkeit ihm gegenüber.

Die einzige angemessene Antwort auf diese Befreiungstat ist eine beständige Dankbarkeit, die in einem aufrichtigen Gehorsam zum Ausdruck kommt. »Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet ...« (19,5a): diese Bestimmungen dürfen nicht als eine der Grundlagen angesehen werden, auf denen der Bund ruht, sondern sind eher eine zu erfüllende Bedingung, um dauerhaft den Segen zu erfahren, den der Herr seinem Volk verheißen hat. Die Annahme des Bundes schließt auf der einen Seite Verpflichtungen ein und sichert auf der anderen eine Sonderstellung: »Ihr werdet unter allen Völkern mein besonderes Eigentum (segullah) sein«. Anders gesagt: »Ihr sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören« (19,5a.6).

Der Text Ex 24,3-8 bringt den in 19,3-8 angekündigten Bundesschluss zum Abschluss. Die Aufteilung des Blutes in zwei gleiche Teile bereitet den Vollzug des Ritus vor. Die Hälfte des Blutes wird auf den Gott geweihten Altar gesprengt, während die andere Hälfte über die versammelten Israeliten gesprengt wird, die auf diese Weise als heiliges Volk des herrn geweiht und für seinen Dienst bestimmt werden. Der Anfang (19,8) und das Ende (24,3.7) des großen Ereignisses der Bundesbegründung sind gekennzeichnet durch die Wiederholung einer und derselben Formel der Verpflichtung durch das Volk: »Alles, was der herr gesagt hat, wollen wir tun«.

Diese Verpflichtung wird nicht eingehalten. Die Israeliten haben das Goldene Kalb angebetet (Ex 32,1-6). Der Bericht von dieser Untreue und ihren Folgen ist zugleich eine Reflexion über den Bruch des Bundes und dessen Wiederherstellung. Das Volk hat sich den Zorn Gottes zugezogen, der davon spricht, es auszurotten (32,10). Doch die wiederholte Fürsprache des Mose, (129) das Einschreiten der Leviten gegen die Götzendiener (32,26-29) und die Buße des Volkes (33,4-6) erlangen bei Gott, dass er darauf verzichtet, seine Drohungen zu verwirklichen (32,14), und dass er sich bereit erklärt, erneut mit seinem Volk zu wandeln (33,14-17). Gott ergreift die Initiative, den Bund zu erneuern (34,1-10). Diese Kapitel spiegeln die Überzeugung wider, dass Israel von Anfang an zur Untreue gegenüber dem Bund geneigt war, während Gott stets die Verbindung wiederhergestellt hat.

Der Bund ist gewiss eine menschliche Weise, sich die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk vorzustellen. Wie alle menschlichen Vorstellungen dieser Art bringt auch diese die Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen nur unvollkommen zum Ausdruck. Das Ziel des Bundes wird sehr klar angegeben: »Ich werde euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein« (Lev 26,12; vgl. Ex 6,7). So darf der Bund nicht einfach als ein zweiseitiger Vertrag angesehen werden, denn Gott kann sich nicht in der gleichen Weise Verpflichtungen unterwerfen, wie Menschen dies können. Gleichwohl erlaubte der Bund den Israeliten, sich auf die Treue Gottes zu berufen. Israel brauchte sich nicht allein in die Pflicht nehmen zu lassen. Der herr hatte sich verpflichtet, das Land ebenso zu gewähren wie seine Wohltaten spendende Gegenwart inmitten seines Volkes.

Der Bund im Deuteronomium. Das Deuteronomium und die Redaktion der davon abhängigen geschichtlichen Bücher (Jos – Kön) unterscheiden den »Eid an die Väter« bezüglich der Verleihung des Landes (Dtn 7,12; 8,18) und den Bund mit der Generation des Horeb (5,2-3). Dieser Bund ist wie ein Eid der Zugehörigkeit zum Herrn (2 Kön 23,1-3). Er ist von Gott als dauerhafter Bund gedacht (Dtn 7,9.12), aber er fordert die Treue des Volkes. Das Wort berît bezieht sich häufiger in spezifischer Weise auf den Dekalog, eher als auf die Beziehung zwischen dem Herrn und Israel, zu der der Dekalog gehört: Der Herr »offenbarte euch seine berît, er verpflichtete euch, sie zu halten: die Zehn Worte«. (130)

Die Erklärung von Dtn 5,3 verdient eine besondere Beachtung, denn sie behauptet die Geltung des Bundes für die gegenwärtige Generation (vgl. auch 29,14). Dieser Vers bietet eine Art Schlüssel für das Verständnis des ganzen Buches. Der zeitliche Abstand zwischen den Generationen ist aufgehoben. Der Sinaibund wird aktualisiert; er wurde abgeschlossen »mit uns, die wir heute hier stehen«.

Die Verpflichtung gegenüber David. Diese berît fügt sich in die Reihe derjenigen ein, die Noach und Abraham verliehen wurden: als Verheißung Gottes ohne entsprechende Verpflichtung des Königs. David und sein Haus genießen nunmehr die Gunst Gottes, der sich mit einem Eid zu einem »ewigen Bund« verpflichtet. (131) Die Art dieses Bundes kommt in den Worten Gottes zum Ausdruck: »Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein«. (132)

Als bedingungslose Verheißung kann der Bund mit David nicht gebrochen werden (Ps 89,29-38). Wenn der Nachfolger Davids Vergehen begeht, wird Gott ihn bestrafen, wie ein Vater seinen Sohn bestraft, doch er wird ihm nicht seine Gunst entziehen (2 Sam 7,14-15). Die Perspektive unterscheidet sich grundlegend von der des Sinaibundes, wo die göttliche Huld an eine Bedingung geknüpft ist: die Beobachtung des Bundes durch Israel (Ex 19,5-6).

39 Ein neuer Bund in Jer 31,31-34. Zur Zeit des Jeremia zeigte sich die Unfähigkeit Israels, den Sinaibund zu beobachten, in tragischer Weise, indem sie zur Eroberung Jerusalems und zur Zerstörung des Tempels führte. Doch zeigt sich Gottes Treue gegenüber seinem Volk in der Folge durch die Verheißung eines »neuen Bundes«, so sagt der Herr, »nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen« (Jer 31,32). Indem er nach dem Bruch des Sinaibundes kommt, wird er der neue Bund dem Gottesvolk einen neuen Aufbruch ermöglichen. Das Prophetenwort kündigt nicht eine Änderung des Gesetzes an, sondern eine neue Beziehung zum Gesetz Gottes im Sinne einer Verinnerlichung. Statt auf »Tafeln aus Stein« (133) wird das Gesetz auf die »Herzen« der Israeliten geschrieben werden (Jer 31,33), was eine vollkommene, freudige Folgsamkeit statt der ständigen Unfolgsamkeit der vergangenen Tage ermöglichen wird. (134) Das Ergebnis wird eine wirkliche wechselseitige Zugehörigkeit sein, eine persönliche Beziehung jedes Einzelnen zum Herrn, die die notwendigen Mahnungen überflüssig machen würde, von denen die Propheten die bittere Erfahrung machen mussten, dass sie nichts fruchteten. Dieser erstaunliche Neuanfang wird eine in höchstem Maße großzügige Initiative Gottes zur Grundlage haben: dass er dem Volk alle seine Vergehen vergibt.

Der Ausdruck »neuer Bund« findet sich sonst im Alten Testament nicht mehr, doch verlängert ein Prophetenwort des Ezechielbuches sichtlich dasjenige von Jer 31,31-34, indem es dem Hause Israel die Gabe eines »neuen Herzens« und eines »neuen Geistes« ankündigt, der der Geist Gottes sein und die Folgsamkeit gegenüber den Gesetzen Gottes gewährleisten wird. 135 Im Judentum des Zweiten Tempels sahen einige Israeliten den »neuen Bund« (136) in ihrer eigenen Gemeinde verwirklicht dank einer strikteren Beobachtung des mosaischen Gesetzes nach den Anweisungen eines »Lehrers der Gerechtigkeit«. Dies zeigt, dass der Prophetenspruch des Jeremiabuches zur Zeit von Jesus und Paulus weiterhin Beachtung fand. So ist es nicht verwunderlich, dass der Ausdruck »neuer Bund« mehrfach im Neuen Testament wiederkehrt.

b) Im Neuen Testament

40 Die Schriften des Neuen Testamentes sehen das Thema des Bundes Gottes mit seinem Volk unter dem Blickwinkel der Erfüllung, d. h. der grundlegenden Kontinuität und des entscheidenden Fortschritts, der notwendigerweise in einigen Punkten einen Bruch mit sich bringt.

Die Kontinuität betrifft vor allem die Bundesbeziehung, während der Bruch die Institutionen des Alten Testaments betrifft, die diese Beziehung begründen und erhalten sollten. Im Neuen Testament steht der Bund auf einer neuen Grundlage, der Person und dem Werk Jesu Christi; die Bundesbeziehung wird dabei vertieft und erweitert, offen für alle dank des christlichen Glaubens.

Die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte sprechen wenig vom Bund. In den Kindheitsevangelien verkündigt der Lobgesang des Zacharias (Lk 1,72) die Erfüllung des Verheißungs-Bundes, den Gott dem Abraham und seinen Nachkommen gewährt hatte. Die Verheißung betraf eine wechselseitige Beziehung (Lk 1,73-74) zwischen Gott und diesen Nachkommen.

Beim Letzten Abendmahl setzt Jesus ein entscheidendes Zeichen, indem er sein Blut zum »Blut des Bundes« erklärt (Mt 26,28; Mk 14,24), Grundlage eines »neuen Bundes« (Lk 22,20; 1 Kor 11,25). Der Ausdruck »Blut des Bundes« erinnert an den Abschluss des Sinaibundes durch Mose (Ex 24,8) und legt deswegen eine dauerhafte Beziehung auf der Grundlage dieses Bundes nahe, doch offenbaren die Worte Jesu zur gleichen Zeit einen radikal neuen Zug. Während nämlich der Sinaibund einen Ritus der Besprengung durch das Blut von geopferten Tieren einschloss, gründet sich der Bund Christi auf das Blut eines Menschen, der seinen Tod als Verurteilter in ein großzügiges Geschenk verwandelt und so aus einem Ereignis des Bruches ein Bundesereignis macht.

Mit der Wortwahl »neuer Bund« entfaltet der Ausdruck des Paulus und des Lukas diese Neuheit. Zugleich unterstreicht er den Zusammenhang des Ereignisses mit einem anderen Text des Alten Testaments, dem Prophetenspruch von Jer 31,31-34, der ankündigte, dass Gott einen »neuen Bund« schließen werde. Jesu Wort über den Kelch verkündet, dass sich die Prophetie des Jeremiabuches in seinem Leiden erfüllt hat. Seine Jünger haben Teil an dieser Erfüllung dank ihrer Teilnahme am »Mahl des Herrn« (1 Kor 11,20).

In der Apostelgeschichte (3,25) spielt Petrus auf den Verheißungs-Bund an. Petrus wendet sich an die Juden (3,12), doch betrifft der Text, den er anführt, zur gleichen Zeit »alle Völker der Erde« (Gen 22,18). So kommt die universale Öffnung des Bundes zum Ausdruck. Die Offenbarung des Johannes weist eine charakteristische Fortentwicklung auf: Bei der eschatologischen Schau des »neuen Jerusalem« erschallt die Bundesformel, erweitert durch die Worte: »und sie werden seine Völker sein, und er, der Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein« (21,3).

41 Die Briefe des Paulus erörtern mehrfach die Frage des Bundes. Der im Blute Christi gestiftete »neue Bund« (1 Kor 11,25) hat eine vertikale Dimension: die Verbindung mit dem Herrn durch die »Teilhabe am Blute Christi« (1 Kor 10,16), und eine horizontale: die Einheit aller Christen in »einem einzigen Leib« (1 Kor 10,17).

Das apostolische Amt steht im Dienst des »neuen Bundes« (2 Kor 3,6), der ein Bund nicht »des Buchstabens«, wie der Sinaibund, sondern »des Geistes« ist entsprechend den Verheißungen, die zusagen, dass Gott sein Gesetz »in die Herzen« einschreiben (Jer 31,33) und »einen neuen Geist« geben werde, der sein eigener Geist sein würde. (137) Paulus setzt sich mehrfach mit dem Gesetzesbund vom Sinai auseinander. (138) Der Verheißungsbund steht an erster Stelle und ist endgültig (Gal 3,16-18). Er besaß von Anfang an eine universale Öffnung. (139). Er hat in Christus seine Vollendung gefunden. (140)

Paulus widersetzt sich dem Gesetzesbund vom Sinai auf der einen Seite, soweit er an die Stelle des Glaubens an Christus treten könnte (»der Mensch wird nicht durch Werke des Gesetzes gerecht, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus«: Gal 2,16; Röm 3,28), und auf der anderen Seite als dem Gesetzessystem eines einzelnen Volkes, das den aus den »Völkern« gekommenen Gläubigen nicht auferlegt werden darf. Doch hält Paulus am Wort der »alten diath‘k‘«, d. h. der Schriften des »Alten Testamentes« fest, die im Lichte Christi zu lesen sind (2 Kor 3,14-16).

Für Paulus bedeutet die Begründung eines »neuen Bundes in (seinem) Blut« (1 Kor 11,25) nicht den Bruch des Bundes zwischen Gott und seinem Volk, sondern vielmehr dessen Erfüllung. Paulus zählt die »Bundesschlüsse« zu den Privilegien der Israeliten, auch wenn sie nicht an Christus glauben (Röm 9,4). Israel lebt weiter in einem Bundesverhältnis und ist weiterhin das Volk, dem die Erfüllung des Bundes verheißen ist, denn sein Mangel an Glauben kann die Treue Gottes nicht unwirksam machen (Röm 11,29). Selbst wenn Israeliten die Beobachtung des Gesetzes als Mittel benutzt haben, um ihre eigene Gerechtigkeit zu erwirken, kann der Verheißungsbund Gottes, der ganz Barmherzigkeit ist (Röm 11,26-27), nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Kontinuität wird durch die Aussage unterstrichen, dass Christus das Ziel und die Vollendung ist, wohin das Gesetz das Gottesvolk führte (Gal 3,24). Für viele Juden bleibt der Schleier, mit dem Mose sein Antlitz bedeckte, auf dem Alten Testament (2 Kor 3,13.15) und hindert sie daran, in ihm die Offenbarung Christi zu erkennen. Doch dies gehört zu Gottes geheimnisvollem Heilswillen, dessen letzte Vollendung das Heil »ganz Israels« ist (Röm 11,26).

Die »Bünde der Verheißung« werden ausdrücklich in Eph 2,12 erwähnt, wo verkündet wird, dass der Zugang zu ihnen nun den »Völkern« offen steht, nachdem Christus »die trennende Wand« eingerissen hat, d. h. das Gesetz, das diesen Zugang den Nicht-Juden verwehrte (vgl. Eph 2,14-15).

So belegen die Paulusbriefe eine doppelte Überzeugung: vom Ungenügen des Gesetzesbundes vom Sinai auf der einen Seite und von der vollen Gültigkeit des Verheißungsbundes auf der anderen. Dieser letztere findet seine Vollendung in der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus, die »zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen« angeboten ist (Röm 1,16). Die Weigerung, an Christus zu glauben, hat Israel in eine dramatische Situation des Ungehorsams versetzt, doch bleibt es »geliebt«, und Gottes Barmherzigkeit ist ihm verheißen (vgl. Röm 11,26-32).

42 Der Hebräerbrief zitiert ausführlich das Prophetenwort vom »neuen Bund« (141) und verkündet seine Verwirklichung durch Christus als »Mittler eines neuen Bundes«. (142) Er zeigt das Ungenügen der kultischen Einrichtungen des »ersten Bundes« auf; Priestertum und Opfer waren unfähig, die von Gott trennende Last der Sünden zu beseitigen und eine echte Vermittlung zwischen dem Volk und Gott zu bewirken. (143) Diese Einrichtungen sind deshalb abgeschafft worden, um dem Opfer und Priestertum Christi Platz zu machen (Hebr 7,18-19; 10,9). Denn Christus hat durch seinen Erlösung schaffenden Gehorsam (Hebr 5,8-9; 10,9-10) alle Hindernisse überwunden und allen Gläubigen Zugang zu Gott eröffnet (Hebr 4,14-16; 10,19-22). So ist der Bundesplan, den Gott im Alten Testament angekündigt und bildhaft vorbereitet hat, zur Vollendung gelangt. Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Wiederherstellung des Sinaibundes, sondern um die Stiftung eines wirklich neuen Bundes, der auf einer neuen Grundlage, der Selbsthingabe Christi, beruht (vgl. 9,14-15).

Der »Bund« Gottes mit David wird im Neuen Testament nicht ausdrücklich erwähnt, doch setzt eine Rede des Petrus in der Apostelgeschichte die Auferstehung Jesu in Beziehung zu dem »Eid«, den Gott dem David geschworen hat (Apg 2,30) – einem Eid, der in Ps 89,4 und 132,11 den Bund mit David meint. In Apg 13,34 stellt eine Rede des Paulus eine ähnliche Verbindung her, indem sie einen Ausdruck aus Jes 55,3 verwendet (»die Heilsgaben, die ich David fest zugesagt habe«), der im Text des Jesaja einen »ewigen Bund« umschreibt. Die Auferstehung Jesu, des »Sohnes Davids«, (144) wird so als die Vollendung des Verheißungsbundes dargestellt, den Gott dem David verliehen hat.

Die Folgerung, die sich aus diesen Texten ergibt, lautet, dass die ersten Christen das Bewusstsein besaßen, sich in einer tiefen geschichtlichen Übereinstimmung mit dem Plan eines Bundes zu befinden, den der Gott Israels im Alten Testament geoffenbart und verwirklicht hat. Israel steht weiter zu Gott in einer Bundesbeziehung, denn der Verheißungsbund ist endgültig und kann nicht außer Kraft gesetzt werden. Doch hatten die ersten Christen das Bewusstsein, in einer neuen Phase dieses Planes zu leben, die durch die Propheten angekündigt worden war und durch das Blut Christi heraufgeführt wurde, das »Bundesblut«, das seinen Namen dadurch verdiente, dass es aus Liebe vergossen war (vgl. Offb 1,5b-6).

6. Das Gesetz

43 Das hebräische Wort thora, das man gewöhnlich mit »Gesetz« wiedergibt, meint genauer »Unterweisung«, d. h. gleichzeitig Belehrung und Weisung. Die Thora ist die höchste Quelle der Weisheit. (145) Das Gesetz nimmt in den Heiligen Schriften und im religiösen Leben des jüdischen Volkes von der biblischen Zeit an bis heute eine zentrale Stelle ein. Deswegen musste die Kirche von der apostolischen Zeit an ihre Einstellung gegenüber dem Gesetz definieren nach dem Beispiel Jesu selbst, der ihm kraft seiner Autorität als Sohn Gottes eine eigene Bedeutung zugewiesen hatte. (146)

a) Das Gesetz im Alten Testament

Das Gesetz und der Kult Israels haben sich im Lauf des gesamten Alten Testaments entwickelt. Die verschiedenen Gesetzessammlungen (147) können bei der Datierung des Pentateuchs dienlich sein.

Die Gabe des Gesetzes. Das Gesetz ist zunächst und vor allem eine Gabe Gottes an sein Volk. Die Verleihung des Gesetzes ist Gegenstand eines grundlegenden Berichtes, der zusammengesetzter Natur ist, (148) und ergänzender Berichte, (149) unter denen derjenige von 2 Kön 22 – 23 aufgrund seiner Bedeutung für das Buch Deuteronomium eine Sonderstellung einnimmt. Ex 19 – 24 bezieht das »Gesetz« in den »Bund« (berît) ein, den der Herr auf dem Gottesberg mit Israel während einer Theophanie vor ganz Israel (Ex 19-20) und anschließend vor Mose allein (150) und vor den 72 Vertretern Israels geschlossen hat. Diese Theophanien und der Bund bedeuten eine besondere Gnade für das gegenwärtige und zukünftige Volk, (151) und die in diesem Augenblick geoffenbarten Gesetze stellen das bleibende Unterpfand dieser Gnade dar.

Freilich verbinden die Erzähltraditionen die Gabe des Gesetzes auch mit dem Bruch des Bundes aufgrund des Abweichens vom Monotheismus, wie er im Dekalog vorgeschrieben ist. (152)

»Der Geist der Gesetze« nach der Thora. Die Gesetze enthalten sittliche (Ethik), rechtliche (Recht) sowie rituelle und kulturelle Regeln (eine reiche Sammlung von religiösen und profanen Bräuchen). Sie bestehen aus konkreten Vorschriften, die gelegentlich in absoluter Weise zum Ausdruck gebracht werden (z. B. der Dekalog), gelegentlich als Regelung von Einzelfällen, die die allgemeinen Prinzipien konkretisieren. Sie dienen als Präzedenzfall und Analogie für ähnliche Situationen, die den Weg für eine weiterführende Gesetzgebung freimachen, die man halakha nennt und die sich im mündlichen Gesetz weiterentwickelt, das man später die Mischna nennt. Viele Gesetze besitzen eine symbolische Bedeutung in dem Sinne, dass sie konkret unsichtbare Werte wie z. B. die Gerechtigkeit, den sozialen Frieden oder die Menschlichkeit veranschaulichen. Diese Gesetze kamen nicht alle als Norm zur Anwendung; einige sind Schultexte zur Ausbildung künftiger Priester, Richter oder Beamter; andere spiegeln Ideale wider, die von der prophetischen Bewegung inspiriert waren. (153) Sie sollten zunächst in den Städten und Dörfern des Landes zur Anwendung kommen (Bundesbuch), dann im ganzen Königreich von Juda und Israel und schließlich in der jüdischen Gemeinde, die in der ganzen Welt zerstreut war.

Geschichtlich betrachtet bilden die biblischen Gesetze den Endpunkt einer langen Geschichte religiöser, sittlicher und rechtlicher Überlieferungen. Sie enthalten zahlreiche Elemente, die der Kultur des alten Nahen Ostens gemeinsam waren. Literarisch und theologisch gehen sie auf den Gott Israels zurück, der sie entweder unmittelbar (der Dekalog nach Dtn 5,22) oder durch Mose als Mittler geoffenbart hat, der mit ihrer Verkündigung beauftragt war. Der Dekalog stellt in der Tat eine Sammlung eigener Art unter den anderen Gesetzen dar. Sein Anfang (154) kennzeichnet ihn als Inbegriff der Bedingungen, die die Freiheit der israelitischen Familien gewährleisten und die sie vor jeder Art von Unterdrückung durch Götzendienst ebenso wie durch Unsittlichkeit und Ungerechtigkeit schützen. Die Ausbeutung, der Israel in Ägypten ausgesetzt war, darf sich niemals in Israel in der Ausbeutung der Schwachen durch die Starken wiederholen.

Die Anordnungen des Bundesbuches und von Ex 34,14-26 enthalten demgegenüber einen Inbegriff menschlicher und religiöser Werte und zeichnen so ein Gemeinschaftsideal von überzeitlichem Wert.

Das Gesetz ist israelitisch und jüdisch; so gilt es zunächst nicht allgemein, sondern für ein konkretes geschichtliches Volk. Doch hat es beispielhaften Wert für die gesamte Menschheit (Dtn 4,6). So ist es ein allen Völkern verheißenes endzeitliches Gut, da es als Werkzeug des Friedens dienen wird (Jes 2,1-4; Mi 4,1-3). Es verkörpert eine religiöse Anthropologie und ein System von Werten, die über das Volk und die geschichtlichen Bedingungen hinausreichen, auf die die biblischen Gesetze wenigstens zum Teil zurückgehen.

Eine Spiritualität der Thora. Als Ausdruck von Gottes weisem Willen gewannen die Gebote zunehmend an Bedeutung für das soziale und individuelle Leben der Israeliten. Das Gesetz wurde allgegenwärtig, vor allem seit dem Exil (6. Jahrhundert). So bildete sich eine Spiritualität, die von der tiefen Verehrung der Thora gekennzeichnet war. Ihre Beobachtung verstand man als geforderten Ausdruck der »Gottesfurcht« und als die vollendete Form des Gottesdienstes. Die Psalmen, das Sirachbuch und Baruch belegen diese Sicht innerhalb der Schrift selbst. Die Psalmen 1, 19 und 119, sog. »Thora-Psalmen«, haben innerhalb des Psalters strukturelle Bedeutung. Die dem Menschen geoffenbarte Thora bedeutet auch den ordnenden Grundgedanken des geschaffenen Kosmos. Im Gehorsam gegenüber diesem Gesetz finden die gläubigen Juden Freude und Segen und nehmen teil an der universalen Schöpferweisheit Gottes. Diese dem jüdischen Volk geoffenbarte Weisheit übertrifft die Weisheit der Völker (Dtn 4,6.8), insbesondere diejenige der Griechen (Bar 4,1-4).

b) Das Gesetz im Neuen Testament

44 Matthäus, Paulus, der Brief an die Hebräer und der des Jakobus reflektieren ausdrücklich über die Bedeutung des Gesetzes nach dem Kommen Jesu Christi.

Das Matthäusevangelium spiegelt die Lage der matthäischen Gemeinde nach dem Fall Jerusalems (70 n. Chr.) wider. Jesus bekräftigt die bleibende Geltung des Gesetzes (M 5,18-19), freilich in einer neuen Deutung, die in Vollmacht verkündet wird (Mt 5,21-48). Jesus »erfüllt« das Gesetz (Mt 5,17), indem er es radikalisiert: bisweilen setzt er den Buchstaben des Gesetzes außer Kraft (Scheidung, Ius Talionis), bisweilen gibt er ihm einen Sinn, der höhere Anforderungen stellt (Mord, Ehebruch, Eid) oder auch geringere (Sabbat). Jesus betont das Doppelgebot der Liebe Gottes (Dtn 6,5) und des Nächsten (Lev 19,18), woran »das ganze Gesetz und die Propheten hängen« (Mt 22,34-40). Neben dem Gesetz macht Jesus als neuer Mose den Willen Gottes für die Menschen kund, zunächst den Juden, dann auch den Heidenvölkern (Mt 28,19-20).

Die paulinische Theologie vom Gesetz ist reich, aber nicht völlig homogen. Der Grund liegt in der Natur der paulinischen Schriften und in der Entwicklung des paulinischen Denkens auf einem neuen, noch unbekannten theologischen Feld. Die Reflexion des Paulus über das Gesetz wurde ausgelöst durch seine persönliche geistliche Erfahrung und durch seinen apostolischen Dienst. Durch seine geistliche Erfahrung: Bei seiner Begegnung mit Christus (1 Kor 15,8) wurde sich Paulus bewusst, dass ihn sein Eifer für das Gesetz so sehr in die Irre geführt hatte, dass er »die Kirche Gottes verfolgte« (15,9; Phil 3,6), und dass der Anschluss an Christus die Aufgabe dieses Eifers bedeutete. Durch seinen apostolischen Dienst: Da dieser Dienst sich auf die Nicht-Juden richtete (Gal 2,7; Röm 1,5), kam es zu der Frage: Fordert der christliche Glaube, den Nicht-Juden die Unterwerfung unter das besondere Gesetz des jüdischen Volkes aufzuerlegen, vor allem jene Gesetzesbeobachtungen, die die jüdische Identität ausmachen (Beschneidung, Speiseregeln, Kalender)? Eine positive Antwort wäre selbstverständlich für den Apostolat des Paulus verhängnisvoll gewesen. Angesichts dieser Problematik begnügte sich Paulus nicht mit seelsorglichen Erwägungen; er suchte eine theologische Vertiefung.

Paulus macht sich deutlich bewusst, dass das Kommen des Christus (Messias) dazu zwingt, die Rolle des Gesetzes neu zu definieren. Denn Christus ist »das Ende des Gesetzes« (Röm 10,4), d. h. zugleich das Ziel, zu dem es hinführte, und das Ende, indem es zum Abschluss kommt, denn von nun an verleiht nicht mehr das Gesetz das Leben – es vermochte es ohnehin niemals (155) –, sondern der Glaube an Christus, der rechtfertigt und leben lässt. (156) Der von den Toten auferstandene Christus verleiht den Gläubigen sein neues Leben (Röm 6,9-11) und sichert ihnen das Heil (Röm 10,9-10).

Welches wird in Zukunft die Aufgabe des Gesetzes sein? Auf diese Frage sucht Paulus eine Antwort. Er sieht die positive Bedeutung des Gesetzes: es ist ein Vorrecht Israels (Röm 9,4), »das Gesetz Gottes« (Röm 7,22); es lässt sich zusammenfassen im Gebot der Nächstenliebe; (157) es ist »heilig« und »vom Geist bestimmt« (Röm 7,12.14). Nach Phil 3,6 führt es zu einer bestimmten »Gerechtigkeit«. Auf der anderen Seite eröffnet das Gesetz zugleich die Möglichkeit einer gegenteiligen Entscheidung: » ... Jedoch habe ich die Sünde nur durch das Gesetz erkannt. Ich hätte ja von der Begierde nichts gewusst, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: Du sollst nicht begehren!« (Rm 7,7) Paulus erinnert häufiger an diese der Gabe des Gesetzes innewohnende Funktion, z. B. wenn er sagt, dass die konkrete menschliche Existenz (»das Fleisch«) oder »die Sünde« den Menschen hindern, dem Gesetz anzuhängen (Röm 7,23-25), oder dass der Buchstabe des Gesetzes ohne den Geist, der das Gesetz erfüllen lässt, schließlich zum Tode führt (2 Kor 3,6-7).

Indem er »Buchstaben« und »Geist« einander gegenüberstellt, benutzt der Apostel eine Polarität wie bei Adam und Christus: Auf die eine Seite stellt der das, was Adam (d. h. der Mensch ohne die Gnade) zu tun vermag, auf die andere das, was Christus (d. h. die Gnade) verwirklicht. Im konkreten Leben der frommen Juden fügte sich das Gesetz ein in einen Plan Gottes, in dem die Verheißungen und der Glaube ihren Platz hatten, doch ging es Paulus um das, was das Gesetz von sich aus, als »Buchstabe« zu leisten vermag, d. h. unter Absehung von der Vorsehung, die den Menschen stets begleitet, es sei denn, er wolle sich seine eigene Gerechtigkeit verschaffen. (158)

Wenn nach 1 Kor 15,56 gilt: »Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz«, dann folgt daraus, dass das Gesetz als Buchstabe tötet, wenn auch nur indirekt. In diesem Sinne kann der Dienst des Mose Dienst des Todes (2 Kor 3,7) oder der Verurteilung (3,9) genannt werden. Dennoch war dieser Dienst von einer solchen Herrlichkeit umgeben (einem Glanz, der von Gott kam), dass die Israeliten nicht einmal das Antlitz des Mose anschauen konnten (3,7). Diese Herrlichkeit verliert erst ihre Geltung angesichts einer höheren Herrlichkeit, derjenigen des »Dienstes des Geistes« (3,8).

45 Der Galaterbrief erklärt: »Alle aber, die nach dem Gesetz leben, stehen unter dem Fluch«, denn das Gesetz verflucht »jeden, der sich nicht an alles hält, was zu tun das Buch des Gesetzes vorschreibt«. (159) Das Gesetz wird hier dem Weg des Glaubens gegenübergestellt, der im Ubrigen durch die Schrift vorgezeichnet ist; (160) es weist den Weg der Werke, der uns unseren eigenen Kräften überlässt (3,12). Der Apostel ist nicht in jeder Hinsicht gegen jedes »Werk«. Er ist nur gegen die menschliche Anmaßung, sich selbst zu rechtfertigen dank der »Werke des Gesetzes«. So ist er nicht gegen die Werke des Glaubens – die im übrigen oft mit den Werken des Gesetzes zusammenfallen –, also solchen, die aus der lebendigen Verbindung mit Christus ermöglicht werden. So erklärt er, dass »das, worauf es ankommt«, der »Glaube« ist, »der in der Liebe wirksam ist«. (161)

Paulus ist sich bewusst, dass das Kommen Christi zu einem Herrschaftswechsel geführt hat. Die Christen leben nicht mehr unter der Herrschaft des Gesetzes, sondern unter derjenigen des Glaubens an Christus (Gal 3,24-26; 4,3-7) und damit unter der Herrschaft der Gnade (Röm 6,14-15).

Was den Inhalt des Gesetzes anlangt (der Dekalog und alles, was seinem Geist entspricht), stellt Gal 5,18-23 zunächst fest: »Wenn ihr euch ... vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz« (5,18). Ohne das Gesetz zu brauchen, werdet ihr euch von euch aus den »Werken des Fleisches« entsagen (5,19-21) und die »Frucht des Geistes« hervorbringen (5,22). Paulus fügt hinzu, dass das Gesetz dem nicht entgegensteht (5,23), da die Gläubigen all das erfüllen werden, was das Gesetz verlangt, ja noch mehr, und dass sie alles meiden werden, was das Gesetz verbietet. Nach Röm 8,1-4 hat »das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus« die Ohnmacht des mosaischen Gesetzes geheilt, so dass »die Forderung des Gesetzes« in den Gläubigen »erfüllt« wird. Eines der Ziele der Erlösung bestand gerade darin, diese Erfüllung des Gesetzes zu erreichen!

Im Hebräerbrief erscheint das Gesetz als eine Institution, die zu ihrer Zeit und auf ihrer Ebene Geltung besaß. (162) Doch liegt die wahre Vermittlung zwischen dem sündigen Volk und Gott außerhalb seiner Reichweite (7,19; 10,1). Nur die Vermittlung Christi ist wirksam (9,11-14). Christus ist ein Hoherpriester einer neuen Art (7,11-15). Die Bande des Gesetzes mit dem Priestertum haben zur Folge: »Sobald das Priestertum geändert wird, ändert sich notwendig auch das Gesetz« (7,12). Mit dieser Feststellung trifft sich der Verfasser mit Paulus, nach dem die Christen nicht länger unter der Herrschaft des Gesetzes stehen, sondern unter derjenigen des Glaubens an Christus und der Gnade. Für die Beziehung zu Gott betont der Verfasser nicht die Beobachtung des Gesetzes, sondern »den Glauben«, »die Hoffnung« und »die Liebe« (10,22.23.24).

Für den Jakobusbrief wie für die erste christliche Gemeinde dienen die sittlichen Vorschriften des Gesetzes weiter als Leitlinie (2,11), freilich interpretiert durch den Herrn. Das »königliche Gesetz« (2,8), dasjenige des »Reiches« (2,5), ist das Gebot der Nächstenliebe. (163) Es ist das »vollkommene Gesetz der Freiheit« (1,25; 2,12-13), das es in einem tätigen Glauben umzusetzen gilt (2,14-26).

Dies letzte Beispiel zeigt zugleich die Vielfalt der Einstellungen, die sich im Neuen Testament gegenüber dem Gesetz finden, aber auch deren grundlegende Übereinstimmung. Jakobus verkündigt nicht, wie Paulus und der Hebräerbrief, das Ende der Herrschaft des Gesetzes, doch stimmt er mit Matthäus, Markus, Lukas und Paulus darin überein, dass er den Primat nicht des Dekalogs, wohl aber des Gebots der Nächstenliebe (Lev 19,18) unterstreicht, das dazu führt, den Dekalog zu beachten, und noch darüber hinaus führt. So stützt sich das Neue Testament auf das Alte. Es liest es im Licht Christi, der das Liebesgebot bekräftigt und ihm eine neue Dimension verliehen hat: »Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben« (Joh 13,34; 15,12), d. h. bis zur Hingabe des Lebens. Auf diese Weise wird das Gesetz mehr als erfüllt.

7. Das Gebet und der Gottesdienst, Jerusalem und der Tempel

a) Im Alten Testament

46 Im Alten Testament spielen Gebet und Gottesdienst eine bedeutende Rolle, da sie die persönliche und kollektive Verbindung der Israeliten mit Gott zum Ausdruck bringen, der sie erwählt und zum Leben in seinem Bund berufen hat.

Gebet und Gottesdienst im Pentateuch. Die Berichte zeigen typische Gebetssituationen auf, vor allem in Gen 12 – 50. Hier findet man Gebete aus der Not heraus (32,10-13), Bitten um eine Gunst (24,12-14), Danksagungen (24,48) ebenso wie Gelübde (28,20-22) und Befragungen Gottes über die Zukunft (25,22-23). Im Exodusbuch tritt Mose für das Volk ein, (164) und seine Fürbitte rettet es vor der Ausrottung (32,10.14).

Als Hauptquelle für die Kenntnis der altisraelitischen Institutionen sammelt der Pentateuch Ätiologien, die den Ursprung von heiligen Orten, Zeiten und Institutionen erklären: Orten wie Sichem, Bet-El, Mamre oder Beerscheba, (165) heiligen Zeiten wie dem Sabbat, dem Sabbatjahr oder dem Jubeljahr; Festtage werden festgelegt wie der Versöhnungstag. (166)

Der Gottesdienst ist eine Gabe des Herrn. Mehrere Texte des Alten Testaments heben diese Sicht hervor. Die Offenbarung des Namens Gottes ist reine Gnade (Ex 3,14-15). Der Herr selbst schafft die Möglichkeit, Opfer vorzunehmen, denn er hat zu diesem Zweck das Blut der Tiere gegeben (Lev 17,11). Erstlingsfrüchte und Zehnte sind eine Gabe Gottes an das Volk, bevor sie zur Opfergabe werden (Dtn 26,9-10). Gott selbst setzt Priester und Leviten ein und entwirft die Kultgeräte (Ex 25 – 30).

Die Gesetzessammlungen (s. o. II.B.6, Nr. 43) enthalten eine große Zahl liturgischer Anordnungen sowie verschiedene Bestimmungen über den Zweck der Kultordnung. Die grundlegenden Unterscheidungen zwischen rein und unrein, heilig und profan ordnen den Raum und die Zeit und damit das gesamte soziale und individuelle Leben bis in den Alltag hinein. Das Unreine versetzt Menschen oder Dinge außerhalb des sozio-kulturellen Raums, während das Reine sich ihm uneingeschränkt einfügt. Die kultische Handlung bringt zahlreiche Reinigungen mit sich, die dazu bestimmt sind, das Unreine neu in die Gemeinschaft einzufügen. (167) Innerhalb des Bereichs des Reinen trennt eine andere Grenze das Profane (das durchaus rein ist) vom Heiligen (das rein und darüber hinaus Gott vorbehalten ist). Das Heilige (oder Sakrale) ist der Bereich, der Gott gehört. Die Liturgie der »Priesterschrift« (P) wird darüber hinaus zwischen dem einfachen »Heiligen« und dem »Allerheiligsten« unterscheiden. Der Raum des Heiligen ist Priestern und Leviten zugänglich, nicht den Mitgliedern des Volkes (den »Laien«). Der Zutritt zum Raum des Sakralen ist auf jeden Fall eingeschränkt. (168) Die heilige Zeit entzieht sich profanem Gebrauch (Verbot der Arbeit am Sabbat und der Feldarbeit und der Ernte während des Sabbatjahrs). Sie fällt zusammen mit der Rückkehr der geschaffenen Welt in ihren Zustand vor ihrer Überantwortung an den Menschen. (169) Der heilige Raum, die heiligen Menschen und die heiligen Dinge müssen Gott geweiht werden. Die Weihe entfernt von allem, was mit Gott unvereinbar ist, vom Unreinen und von der Sünde, die Gott entgegengesetzt sind. Der Gottesdienst enthält zahlreiche Feiern der Vergebung (Sühnehandlungen), die die Heiligkeit wiederherstellen. (170) Die Heiligkeit besagt Nähe zu Gott. (171) Das Volk ist geheiligt und soll sich als heilig erweisen (Lev 11,44-45). Das Ziel des Kultes ist die Heiligkeit des Volkes – dank der Sühne-, Reinigungs- und Heiligungsriten – und der Dienst Gottes.

Der Gottesdienst ist Symbol und Ausdruck der Gnade, der »Kondeszendenz« (im patristischen Sinne liebevoller Zuwendung) Gottes zu den Menschen, denn Gott hat ihn gestiftet, um Vergebung, Reinigung und Heiligung zu gewähren und die unmittelbare Verbindung mit seiner Gegenwart (kabod, Herrlichkeit) zu ermöglichen.

47 Gebet und Gottesdienst bei den Propheten. Das Jeremiabuch trägt wesentlich zur Hochschätzung des Gebetes bei. Es enthält »Bekenntnisse«, Gespräche mit Gott, in denen der Prophet persönlich oder als Vertreter seines Volkes eine starke innere Krise bezüglich der Erwählung und der Verwirklichung des Heilsplans Gottes in Worte fasst. (172) Mehrere Prophetenbücher enthalten Psalmen und Lobgesänge (173) ebenso wie doxologische Wendungen. (174)

Bei den vorexilischen Propheten findet man im übrigen als auffallenden Zug die wiederholte Verurteilung der Opfer des liturgischen Zyklus (175) und selbst des Gebetes. (176) Die Verwerfung klingt radikal, doch sollte man solche Ausfälle nicht als Abschaffung des Kults oder Leugnung seines göttlichen Ursprungs verstehen. Sie prangern nur den Widerspruch zwischen dem Verhalten von Menschen, die Gottesdienst feiern, und der Heiligkeit Gottes an, den sie zu feiern vorgeben.

Gebet und Gottesdienst in den anderen Schriften. Drei dichterische Bücher sind für die Spiritualität des Gebets von ausschlaggebender Bedeutung. Zunächst das Buch Ijob: Ebenso aufrichtig wie künstlerisch vollkommen trägt Ijob ohne Umschweife alle Zustände seiner Seele vor Gott. (177) Dann die Klagelieder, wo das Gebet sich mit der Klage mischt. (178) Und dann selbstverständlich die Psalmen, die das Herzstück des Alten Testaments bilden. Man hat in der Tat den Eindruck, dass es in der Hebräischen Bibel nur deswegen so wenige ausführliche Anweisungen über das Gebet gibt, damit diese eine bestimmte Gebetssammlung in umso größerem Glanz erstrahlen kann. Der Psalter ist ein Schlüssel für das Verständnis nicht nur für das gesamte Leben des israelitischen Volkes, sondern auch das gesamte Korpus der hebräischen Bibel. Darüber hinaus enthält die Schrift nur einige wenige grundsätzliche Aussagen (179) und einige Beispiele von mehr oder weniger ausgearbeiteten Hymnen oder Gebeten. (180)

Das Gebet der Psalmen lässt sich vier Grundachsen zuordnen, die über die Zeiten und Kulturen hinweg ihre Bedeutung behalten.

Der Großteil der Psalmen ist der Achse der Befreiung verbunden. Eine dramatische Abfolge erscheint in stereotyper Form, die in einer persönlichen oder kollektiven Situation begründet ist. Die Erfahrung des Heilsbedürfnisses, das sich im biblischen Gebet widerspiegelt, deckt einen breiten Bogen von Lebenssituationen ab. Andere Gebete gehören zur Achse der Bewunderung. Sie sind geprägt vom Staunen, von der Kontemplation und vom Lob. Die Achse der Unterweisung enthält drei Gruppen meditativen Gebets: Zusammenfassungen der Heilsgeschichte, Aussagen zu den persönlichen oder kollektiven sittlichen Optionen (gelegentlich in Verbindung mit Prophetenworten und –sprüchen) und Bedingungen für den legitimen Zutritt zum Kultort. Einige Psalmen schließlich kreisen um die Achse der Volksfeste. Hierhin gehören vor allem vier Motive: die Ernte, die Ehe, Pilgerreisen und politische Ereignisse.

48 Die privilegierten Orte für das Gebet sind die sakralen Räume und die Heiligtümer, vor allem dasjenige von Jerusalem. Doch kann man stets auch in seinem eigenen Hause beten. Die heiligen Zeiten, die der Kalender vorgibt, bestimmen das Gebet ebenso, auch das persönliche, und dazu die rituellen Stunden für die Opfer, vor allem der Morgen und der Abend. Die Betenden nehmen bestimmte Haltungen ein: aufrecht stehend, mit erhobenen Händen, auf den Knien, vollständig ausgestreckt, im Sitzen oder im Liegen.

Wenn man hinreichend zwischen den bleibenden und den zeitgebundenen Elementen in Denken und Sprache unterscheidet, kann der Gebetsschatz Israels in großer Tiefe das Gebet der Menschen aller Zeiten und Orte zum Ausdruck bringen. Darin liegt der bleibende Wert dieser Texte. Freilich sind einige Psalmen von einer Einstellung geprägt, die nach und nach überwunden werden wird, vor allem solche, die Verwünschungen und Flüche gegenüber den Feinden zum Ausdruck bringen.

Das christliche Volk übernimmt die Gebete des Alten Testaments in ihrer Gänze, doch liest es sie neu im Lichte des Ostergeheimnisses und verleiht ihnen damit einen Sinnüberschuss.

Der Tempel von Jerusalem. Das von Salomo (ca. 950 v. Chr.) errichtete steinerne Gebäude, das den Zionshügel beherrschte, hat in der israelitischen Religion eine zentrale Rolle gespielt. Im Zuge der religiösen Reform des Josia (640-609) (181) fordert das deuteronomische Gesetz ein einziges Heiligtum im Lande für das ganze Volk (Dtn 12,2-7). Das Heiligtum von Jerusalem wird dabei bezeichnet als »die Stätte, die der herr, euer Gott, auserwählt, indem er dort seinen Namen wohnen lässt« (12,11.21 usw.). Mehrere ätiologische Erzählungen erklären diese Wahl. (182) Die Theologie der Priesterschrift (P) bezeichnet diese Gegenwart Gottes als »Herrlichkeit« (kabod) und spielt damit an auf die zugleich faszinierende und erschreckende Offenbarung Gottes vor allem im Allerheiligsten, oberhalb der Bundeslade, die mit der Sühneplatte bedeckt war: (183) Die unmittelbarste Verbindung mit Gott beruht auf Vergebung und Gnade. So bedeutet die Zerstörung des Tempels (587) äußerstes Unglück (184) und nimmt die Ausmaße einer nationalen Katastrophe an. Der Einsatz für den Wiederaufbau des Tempels am Ende des Exils (Hag 1-2) und die Möglichkeit, dort einen würdigen Kult zu feiern (Mal 1-3), wird zum Kriterium der Gottesfurcht. Vom Tempel geht Segen bis an die Enden der Erde aus (Ps 65). Von daher auch die Bedeutung der Pilgerfahrten als Zeichen der Einheit (Ps 122). Im Werk des Chronisten ist der Tempel eindeutig der Mittelpunkt des gesamten religiösen und nationalen Lebens.

Der Tempel ist zugleich ein funktionaler und symbolischer Raum. Er ist Ort für den Kult, vor allem die Opfer, für das Gebet, für die Unterweisung, für Heilungen und für die Inthronisation des Königs. Aber wie in allen Religionen erinnert das materielle Gebäude unten an das Geheimnis der göttlichen Wohnung oben, im Himmel (1 Kön 8,30). Durch die besondere Gegenwart des Gottes des Lebens wird das Heiligtum privilegierter Ort des Lebens (der kollektiven Geburt, der Wiedergeburt nach der Sünde) und der Erkenntnis (des Wortes Gottes, der Offenbarung und der Weisheit). Er ist Achse und Mittelpunkt der Welt. Gleichwohl lässt sich eine kritische Relativierung der Symbolfunktion der Heiligen Stätte beobachten. Sie ist niemals in der Lage, die göttliche Gegenwart zu sichern und zu »enthalten«. (185) Zugleich mit der Kritik an einem heuchlerischen und formalistischen Kult decken die Propheten die Vergeblichkeit eines unbedingten Vertrauens auf das Heiligtum auf (Jer 7,1-15). Ein symbolisches Prophetengesicht spricht von der »Herrlichkeit des Herrn«, die in feierlicher Form die Heilige Stätte verlässt. (186) Doch wird diese Herrlichkeit zum Tempel zurückkehren (Ez 43,1-9), zu einem wiederhergestellten, idealen Tempel (40 – 42), der sich als Quelle von Fruchtbarkeit, Heilung und Heil erweist (47,1-12). Vor dieser Rückkehr verspricht Gott den Verbannten, ihnen selbst »ein Heiligtum« zu sein (11,16).

Jerusalem. Theologisch gesehen beginnt die Geschichte der Stadt damit, dass Gott sie auswählt (1 Kön 8,16). David erobert die alte Kananäerstadt Jerusalem (2 Sam 5,6-12). Er bringt dort die Bundeslade hin (2 Sam 6 – 7); Salomo errichtet in ihr das Heiligtum (1 Kön 6). So wird die Stadt unter die ältesten Heiligen Stätten von Juda und Israel aufgenommen, wohin man zur Pilgerfahrt zieht. Im Kriege Sanheribs gegen Hiskija 701 v. Chr. (2 Kön 18,13) bleibt Jerusalem als fast einzige der Städte Judas verschont, während das Königreich von Israel bereits 722 endgültig von den Assyrern erobert wurde. Die Rettung Jerusalems war als göttliche Gnade von den Propheten angekündigt worden (2 Kön 19,20-34).

Wiederholt wird Jerusalem als die vom Herrn »erwählte Stadt« bezeichnet, (187) von ihm »gegründet« (Jes 14,32), »Stadt Gottes« (Ps 87,3) bzw. »Heilige Stadt« (Jes 48,2), da der Herr »in ihrer Mitte« ist (Zef 3,17). Ihr wird eine glanzvolle Zukunft verheißen: Gottes Gegenwart, die »für immer« und »von Geschlecht zu Geschlecht« zugesichert wird (Joël 4,16-21), verlässlicher Schutz (Jes 31,4-5) und so Glück und Wohlfahrt. Einige Texte idealisieren sogar die Stadt der Städte. Jenseits der geographischen Vorgaben wird sie Mittelpunkt und Achse der Welt. (188)

Dennoch wird die Größe Jerusalems das Unheil nicht verhindern können, das sich über die Stadt entladen sollte. Zahlreiche Sprüche (2 Kön 23,27), Zeichenhandlungen (Ez 4 – 5) und Gesichte von Propheten (8 – 11) kündigen die Verwerfung und Zerstörung der von Gott erwählten Stadt an.

Später wird das wiederhergestellte Jerusalem zu einem der großen Symbole des endzeitlichen Heils: als vom Herrn erleuchtete Stadt, (189), die einen »neuen Namen« erhält und wieder »Vermählte« Gottes wird (190) als wiedergefundenes Paradies dank der Ankunft eines »neuen Himmels« und einer »neuen Erde« (191) wird die Stadt schlechthin zum Kultort (Ez 40-48) und zum Mittelpunkt einer neugeschaffenen Welt (Sach 14,16-17). »Viele Nationen« werden kommen und in ihr den Schiedsspruch des Herrn und die göttliche Weisung suchen, die den Kriegen ein Ende setzen wird. (192)

b) Im Neuen Testament

49 Gebet und Gottesdienst. Im Gegensatz zum Alten Testament enthält das Neue Testament keine ins Einzelne gehende Gesetzgebung für die Begründung kultischer und ritueller Institutionen – es schreibt nur einfach vor zu taufen und die Eucharistie zu feiern (193) –, doch legt es einen starken Akzent auf das Gebet.

Die Evangelien zeigen häufig Jesus im Gebet. Seine Liebe als Sohn zu Gott, dem Vater, drängte ihn dazu, dem Gebet ausgedehnte Zeit zu widmen. Er erhob sich dazu in aller Morgenfrühe, selbst nach einer Nacht, die sehr spät begonnen hatte wegen des Zustroms der Volksscharen mit ihren Kranken (Mk 1,32.35). Gelegentlich verbrachte er die ganze Nacht im Gebet (Lk 6,12). Um besser beten zu können, zog er sich allein »an einen einsamen Ort« zurück (Lk 5,16) oder stieg »auf einen Berg« (Mt 14,23). Lukas zeigt, wie intensiveres Gebet die wichtigsten Augenblicke des öffentlichen Lebens Jesu vorbereitete oder begleitete: seine Taufe (Lk 3,21), die Auswahl der Zwölf (6,12), die Frage an die Zwölf, wer er sei (9,18), seine Verklärung (9,28) und sein Leiden (22,41-45).

Nur selten berichten die Evangelien vom Inhalt des Gebetes Jesu. Das wenige, das sie erkennen lassen, zeigt, das sein Gebet sein vertrautes Verhältnis zum Vater widerspiegelte, den er »Abba« nannte (Mk 14,36), mit einem Ausdruck, der im zeitgenössischen Judentum als Anrede Gottes nicht zur Verwendung kam. Oft war das Gebet Jesu Danksagung nach der jüdischen Art der berakah. (194) Nach dem Letzten Abendmahl sang Jesus ganz selbstverständlich »den Lobgesang«, der durch das Ritual des Großen Festes vorgeschrieben war. (195) Nach den vier Evangelien zitiert Jesus elf verschiedene Psalmen.

Der Sohn erkannte dankbar an, dass ihm alles durch die Liebe seines Vaters zukam (Joh 3,35). Am Ende der Abschiedsrede nach dem Letzten Mahl legt Johannes Jesus ein langes Gebet für sich selbst und für seine gegenwärtigen und zukünftigen Jünger auf die Lippen, das den Sinn offenbart, den er seinem Leiden gab (Joh 17). Die Synoptiker berichten uns das inständige Bittgebet Jesu im Augenblick seiner Todesangst in Getsemani (Mt 26,36-44 und Par.), ein Gebet, das zugleich Jesu uneingeschränkte Ergebung in den Willen des Vaters offenbart (26,39.42). Am Kreuz macht sich Jesus den Angstschrei von Ps 22,2 (196) zueigen bzw. – nach Lukas – das Gebet der Hingabe von Ps 31,6 (Lk 23,46).

Neben dem Gebet Jesu berichten uns die Evangelien zahlreiche Bitten und Flehrufe an Jesus, auf die er antwortete, indem er großmütig zur Hilfe kam und zugleich die Wirksamkeit des Glaubens hervorhob. (197) Jesus unterwies im Gebet (198) und ermutigte in Parabeln zu ausdauerndem Gebet. (199) Er betonte die Notwendigkeit des Gebets in Zeiten der Prüfung, »um nicht in Versuchung zu geraten« (Mt 26,41 und Par.).

Das Beispiel Jesu weckte in den Jüngern den Wunsch, ihn nachzuahmen: »Herr, lehre uns beten« (Lk 11,1). So lehrte er sie das Vaterunser. Die Anrufungen des Vaterunser (200) ähneln denjenigen des jüdischen Gebets (»Achtzehn-Bitten-Gebet«), doch zeichnen sie sich durch eine beispiellose Nüchternheit aus. In wenigen Worten bietet das Vaterunser ein vollständiges Programm des Gebets im Geist der Kindschaft: Anbetung (1. Bitte), Verlangen nach endzeitlichem Heil (2. Bitte), Ergebung in den Willen Gottes (3. Bitte), Bitte für die Lebensbedürfnisse in der vertrauensvollen Übergabe, Tag für Tag, an die göttliche Vorsehung (4. Bitte), Bitte um Vergebung, verbunden mit der großmütigen Bereitschaft, seinerseits zu verzeihen (5. Bitte) und Bitte um die Befreiung von Versuchung und den Machenschaften des Bösen (6. und 7. Bitte).

Paulus gibt seinerseits das Beispiel des Dankgebets; in der einen oder anderen Form bringt er es regelmäßig am Anfang seiner Briefe zum Ausdruck. Er lädt die Christen ein, »für alles zu danken« und »ohne Unterlass zu beten« (1 Thess 5,17).

50 Die Apostelgeschichte zeigt häufig die Christen im Gebet, sei es als Einzelne (Apg 9,40; 10,9 usw.), sei es als Gemeinde (4,24-30; 12,12 usw.), im Tempel (2,46; 3,1), in den Häusern (2,46) oder sogar im Gefängnis (16,25). Bisweilen ist das Gebet von Fasten begleitet (13,3; 14,23). Im Neuen Testament findet sich das Gebet vor allem in hymnischer Form: das Magnifikat (Lk 1,46-55), das Benedictus (1,68-79), das Nunc Dimittis (2,29-32) und zahlreiche Abschnitte der Offenbarung des Johannes. Diese Texte sind durch und durch biblisch geprägt. In der Sammlung der Paulusbriefe erhalten die Hymnen christologischen Charakter 201 entsprechend dem liturgischen Gebrauch der Gemeinden. Wie das Gebet Jesu benutzte auch dasjenige der Christen die jüdische Gebetsform der berakah (»Gepriesen sei Gott ...«). (202) Im griechischen Kulturbereich hatte es stark charismatische Züge (1 Kor 14,2.16-18). Das Gebet ist das Werk des Geistes Gottes. (203) Manches ist nur möglich im Gebet (Mk 9,29).

Das Neue Testament zeigt einige Züge des liturgischen Gebets der Urgemeinde. Das »Herrenmahl« (1 Kor 11,20) nimmt unter den Überlieferungen einen herausragenden Platz ein. (204) Seine Form ist bestimmt von der Liturgie des jüdischen Festmahls: mit einer berakah über das Brot zu Beginn und einer über den Wein am Ende. Auf der Grundlage der Überlieferung von 1 Kor 11,23-25 und der Berichte der Synoptiker wurden die beiden »Segensworte« einander angenähert und umschlossen nun nicht mehr das Mahl, sondern gingen ihm voraus oder folgten ihm. Dieser Ritus ist das Gedächtnis des Leidens Christi (1 Kor 11,24-25); er schafft Gemeinschaft (koinonia; 1 Kor 10,16) zwischen dem auferstandenen Herrn und seinen Jüngern. Die Taufe verleiht als Glaubensbekenntnis (205) die Vergebung der Sünden, vereint mit dem Ostergeheimnis Christi (Röm 6,3-5) und führt in die Gemeinschaft der Glaubenden ein (1 Kor 12,13).

Der liturgische Kalender blieb derjenige der Juden (mit Ausnahme der paulinischen Gemeinden von aus dem Heidentum gekommenen Christen: Gal 4,10; Kol 2,16), doch wurde allmählich der Sabbat durch den ersten Tag der Woche ersetzt (Apg 20,7; 1 Kor 16,2), der als »Herrentag« bezeichnet wurde (Apg 1,10), d. h. Tag des auferstandenen Herrn. Zu Beginn fuhren die Christen fort, dem Gottesdienst im Tempel beizuwohnen (Apg 3,1), was den Grund für das christliche Stundengebet legen sollte.

Dem alten Opferkult gesteht der Hebräerbrief eine gewisse rituelle Gültigkeit (Hebr 9,13) und einen Wert als Vorverweis auf die Opferhandlung Christi zu (9,18-23), doch bestreitet er gestützt auf die Kritik bei den Propheten und in den Psalmen (206) den Tieropfern jede Fähigkeit, die Gewissen zu reinigen und eine vertiefte Beziehung zu Gott zu ermöglichen. (207) Das einzige voll wirksame Opfer ist die persönliche und existentielle Selbsthingabe Christi, die ihn zum vollkommenen Hohenpriester machte, »Mittler eines neuen Bundes«. (208) Dank dieser Opfergabe können die Christen zu Gott hinzutreten (Hebr 10,19-22), mit Danksagung und in der Bereitschaft, ein Leben in großmütiger Hingabe zu führen (13,15-16). So hatte es schon der Apostel Paulus zum Ausdruck gebracht (Röm 12,1-2).

51 Der Tempel von Jerusalem. Zu Lebzeiten von Jesus und Paulus war der Tempel materielle und liturgische Realität. Wie jeder Jude pilgert Jesus dorthin; er lehrt dort. (209) Er vollzieht in ihm die prophetische Zeichenhandlung der Vertreibung der Händler (Mt 21,12-13 und Par.).

Das Gebäude bewahrt seine symbolische Stellung als bevorzugte göttliche Wohnstätte, die auf Erden die Wohnstätte Gottes im Himmel repräsentiert. In Mt 21,13 zitiert Jesus ein Prophetenwort, nach dem Gott selbst den Tempel »mein Haus« nennt (Jes 56,7); in Joh 2,16 nennt Jesus ihn »das Haus meines Vaters«. Aber zahlreiche Texte relativieren diese Symbolik und bereiten den Weg zu einer Überschreitung. (210) Wie es Jeremia getan hatte, sagt Jesus den Untergang des Tempels voraus (Mt 24,2 und Par.) und kündigt anderseits seine Ersetzung durch ein neues Heiligtum an, das in drei Tagen errichtet werden würde. (211) Nach der Auferstehung Jesu begriffen die Jünger, dass der neue Tempel sein auferweckter Leib sei (Joh 2,22). Paulus erklärt den Gläubigen, dass sie Glieder dieses Leibes (1 Kor 12,27) und »Heiligtum Gottes« (3,16-17) oder »des Geistes« (6,19) seien. Der Erste Petrusbrief sagt den Christen, dass sie in Verbindung mit Christus, dem »lebendigen Stein«, gemeinsam ein »geistliches Haus« bilden (1 Petr 2,4-5).

Die Offenbarung des Johannes spricht durchgehend vom Heiligtum. (212) Außer in Offb 11,1-2 handelt es sich stets um den »Tempel Gottes im Himmel« (11,19), von dem aus Gott auf der Erde eingreift. Doch wird in der Schlussvision gesagt, dass »die heilige Stadt, das himmlische Jerusalem, vom Himmel herabkommt« (21,10), und dass man in ihr kein Heiligtum sieht, »denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm« (21,22). Damit kommt das Thema des Tempels zum Abschluss.

Jerusalem. Das Neue Testament erkennt voll die Bedeutung Jerusalems im Heilsplan Gottes an. Jesus verbietet, bei Jerusalem zu schwören, »denn es ist die Stadt des großen Königs« (Mt 5,35). Entschlossen geht er zu der Stadt hinauf: Dort muss er seinen Auftrag erfüllen. (213) Freilich muss er feststellen, dass die Stadt »die Stunde ihrer Heimsuchung nicht erkannt« hat, und sieht unter Tränen voraus, dass diese Verblendung den Untergang der Stadt zur Folge haben wird, (214) wie dies bereits zur Zeit des Jeremia der Fall gewesen war.

In der Zwischenzeit spielt Jerusalem weiter eine wichtige Rolle. In der Theologie des Lukas hat die Stadt ihren Platz in der Mitte der Heilsgeschichte; in ihr ist Christus gestorben und auferstanden. Alles ist auf diese Mitte hin ausgerichtet: Das Evangelium nimmt hier seinen Anfang (Lk 1,5-25) und findet hier auch seinen Abschluss (24,52-53). In der Folge geht alles von hier aus: Von hier aus verbreitet sich nach dem Kommen des Heiligen Geistes die Gute Botschaft vom Heil in alle vier Richtungen der bewohnten Welt (Apg 8 – 28). Selbst für Paulus, dessen Apostolat nicht von Jerusalem ausgegangen ist (Gal 1,17), bleibt die Verbindung mit der Kirche von Jerusalem unverzichtbar (2,1-2). Im Ubrigen erklärt er, dass die Mutter der Christen »das himmlische Jerusalem« (4,26) ist. Die Stadt wird zum Sinnbild der endzeitlichen Erfüllung, sowohl in ihrer zukünftigen Dimension (Offb 21,2-3.9-11), als auch in ihrer gegenwärtigen (Hebr 12,22).

So wird die Kirche dank einer symbolischen Vertiefung, die bereits im Alten Testament angefangen hat, stets die Bande anerkennen, die sie auf innigste mit der Geschichte Jerusalems und seines Tempels ebenso wie mit dem Gebet und dem Gottesdienst Israels verbinden.

8. Göttliche Vorwürfe und Urteilssprüche

a) Im Alten Testament

52 Die Erwählung Israels und der Bund hatten, wie wir sahen, die Verpflichtung zur Treue und zur Heiligkeit zur Folge. Wie ist das auserwählte Volk diesen Verpflichtungen gerecht geworden? Die Antwort des Alten Testaments auf diese Frage lässt immer wieder eine Enttäuschung des Gottes Israels erkennen, verbunden mit Vorwürfen und selbst Verurteilungen.

Die schriftlichen Erzählungen berichten von einer langen Reihe von Akten der Untreue und des Widerstands gegenüber der Stimme Gottes, die mit dem Auszug aus Ägypten beginnt. Bei existentiellen Krisen, die dazu hätten dienen sollen, das Vertrauen auf Gott unter Beweis zu stellen, »murren« die Israeliten, (215) indem sie den Plan Gottes und den Führungsanspruch des Mose in Frage stellen bis hin zu dem Wunsch, Mose zu »steinigen« (Ex 17,4). Kaum ist der Bund vom Sinai geschlossen, erlaubt sich das Volk die größte Untreue, die des Götzendienstes (Ex 32,4-6). (216) Angesichts dieser Untreue erklärt der Herr: »Ich habe dieses Volk durchschaut: Ein störrisches Volk ist es« (Ex 32,9). Dies harte Wort wird in der Folge häufiger wiederholt werden (217) und entwickelt sich fast zu einer Art Wesensbeschreibung Israels. Eine andere Begebenheit ist nicht weniger charakteristisch: als das Volk die Grenze Kanaans erreicht und eingeladen wird, in das Land einzuziehen, das der Herr ihm verleiht, weigert es sich, da es das Unterfangen für zu gefährlich hält. (218) So wirft der Herr dem Volk seinen Mangel an Glauben vor (Num 14,11) und verurteilt es dazu, vierzig Jahre durch die Wüste zu irren, wo alle Erwachsenen sterben müssen (14,29.34) mit Ausnahme einiger weniger, die dem Herrn rückhaltlos gefolgt waren.

Mehrfach erinnert das Alte Testament daran, dass die mangelnde Folgsamkeit Israels begann »seit dem Tag, da seine Väter aus Ägypten auszogen«, und es fügt hinzu, dass sie sich fortsetzt »bis zum heutigen Tag«. (219)

Das deuteronomistische Geschichtswerk, das die Bücher Josua, Richter, 1-2 Samuel und 1-2 Könige umfasst, fällt ein negatives Gesamturteil über die Geschichte von Israel und Juda von der Zeit des Josua bis zum babylonischen Exil. Das Volk und seine Könige sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weitgehend der Versuchung des Kults fremder Götter im Bereich der Religion und der sozialen Ungerechtigkeit sowie jeder Art von Verstößen gegen den Dekalog erlegen. Deswegen erhält diese Geschichte eine negative Gesamtbeurteilung, deren sichtbare Folge der Verlust des Gelobten Landes mit der Zerstörung beider Reiche und Jerusalems mit dem Heiligtum im Jahre 587 waren.

Die Prophetenbücher enthalten besonders schwerwiegende Vorwürfe. Eine der Hauptaufgaben der Propheten war es gerade, »aus voller Kehle zu rufen« und »dem Volk Gottes seine Vergehen vorzuhalten«. (220) Unter den Propheten des 8. Jahrhunderts klagt Amos die Vergehen Israels an, in erster Linie den Mangel an sozialer Gerechtigkeit. (221) Bei Hosea steht die Anklage wegen Götzendienstes im Vordergrund, doch betreffen die Vorwürfe auch zahlreiche andere Sünden: »Fluch und Betrug, Mord, Diebstahl und Ehebruch, Bluttat an Bluttat« (Hos 4,2). Für Jesaja hat Gott alles für seinen Weinberg getan, doch dieser hat keine Frucht gebracht (Jes 5,1-7). Wie schon Amos (4,4) verwirft Jesaja den Gottesdienst derjenigen, die sich nicht um die Gerechtigkeit kümmern (Jes 1,11-17). Micha erklärt: »Ich aber, ich bin voller Kraft ..., Jakob seine Vergehen vorzuhalten« (Mi 3,8).

Alle diese Anklagen werden zu der schlimmsten Drohung führen, die die Propheten an Israel und Juda richten konnten: dass der Herr sein Volk verwerfen werde (222) und dass er Jerusalem und sein Heiligtum, den Ort seiner wohltuenden und schützenden Gegenwart, der Zerstörung anheim geben werde. (223)

Die letzten Jahrzehnte Judas und die Anfänge des Exils werden von der Predigt mehrerer Propheten begleitet. Wie Hosea zählt Jeremia verschiedene Vergehen des Volkes auf (224) und zeigt, wie im Verlassen des herrn die Wurzel allen Übels liegt (2,13); er prangert den Götzendienst an und nennt ihn Ehebruch und Unzucht. (225) Ezechiel tut es ihm gleich in langen Kapiteln (Ez 16; 23) und nennt die Israeliten ein »widerspenstiges Volk« (Ez 2,5.6.7.8), »Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen« (2,4; 3,7). Die Härte der Anklage durch die Propheten lässt erschrecken. Man wundert sich, dass Israel ihr in seinen Schriften so viel Raum gewährt; hier zeigen sich beispielhafte Aufrichtigkeit und Demut.

Während des Exils und in seiner Folge erkennt die judäische und jüdische Gemeinde ihre Vergehen in Liturgien und Gebeten nationalen Schuldbekenntnisses an. (226)

Im Rückblick auf seine Vergangenheit konnte das Bundesvolk vom Sinai diese nur hart beurteilen: seine Geschichte war eine lange Folge von Akten der Untreue. Die verhängten Züchtigungen waren verdient gewesen. Der Bund war gebrochen worden. Doch hatte der Herr sich nie mit dem Bruch des Bundes zufrieden gegeben. (227) Er hatte stets die Gnade der Bekehrung und die Wiederaufnahme der Beziehungen in noch innigerer und dauerhafterer Form angeboten. (228)

b) Im Neuen Testament

53 Johannes der Täufer steht in der Linie der alten Propheten, wenn er die »Schlangenbrut« (Mt 3,7; Lk 3,7), die sich durch seine Predigt anzogen fühlt, zur Umkehr aufruft. Diese Predigt gründete sich auf die Überzeugung von der Nähe eines göttlichen Eingreifens. Das Gericht stand unmittelbar bevor: »Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt« (Mt 3,10; Lk 3,9). So litt die Umkehr keinen Aufschub.

Wie die Verkündigung des Johannes, so ist auch die Verkündigung Jesu ein Aufruf zur Umkehr, der durch die Nähe der Herrschaft Gottes seine besondere Dringlichkeit erhält (Mt 4,17); sie ist zugleich Ankündigung der »guten Botschaft« von einem heilbringenden Eingreifen Gottes (Mk 1,14-15). Wenn Jesus auf Unglauben stößt, greift er wie die alten Propheten auf heftige Worte der Anklage zurück. Er richtet sie gegen »diese böse und treulose Generation« (Mt 12,39), die «ungläubige und unbelehrbare Generation« (17,17), und kündigt ihr ein Gericht an, das härter sein werde als dasjenige über Sodom (11,24; vgl. Jes 1,10).

Die Verwerfung Jesu durch die Anführer seines Volkes, die die Bevölkerung Jerusalems mit sich ziehen, krönt deren Schuld. Die göttliche Strafe wird die gleiche sein wie zur Zeit des Jeremia: die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels. (229) Doch gibt sich Gott – wie zur Zeit des Jeremia – nicht damit zufrieden, zu strafen: Er bietet auch Vergebung an. Den Juden von Jerusalem, die »den Urheber des Lebens getötet haben« (Apg 3,15), predigt Petrus die Umkehr und verheißt ihnen die Vergebung der Sünden (3,19). Weniger streng als die alten Propheten macht er aus ihrem Vergehen eine Sünde, die »aus Unwissenheit« begangen wurde. (230) Mehrere tausend Menschen kommen seinem Aufruf nach. (231)

In den apostolischen Briefen finden sich zwar sehr häufig Ermahnungen und Warnungen, gelegentlich begleitet von Drohungen der Verurteilung im Fall des Vergehens, (232) doch bleiben die Vorwürfe und tatsächlichen Verurteilungen eher selten, wenn sie auch kraftvoll vorgetragen werden können. (233)

In seinem Brief an die Römer richtet Paulus eine heftige Anklage an »die Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten« (Röm 1,18). Das Grundvergehen der Heiden besteht darin, dass sie Gott nicht anerkennen (1,21); ihre Strafe besteht darin, dass Gott sie der Macht ihrer Bosheit ausliefert. (234) Dem Juden wird sein Mangel an Konsequenz vorgeworfen: Sein Verhalten steht im Gegensatz zu seiner Kenntnis des Gesetzes (Röm 2,17-24).

Die Christen selbst bleiben nicht ohne Vorwürfe. Der Brief an die Galater enthält sehr schwerwiegende Vorhaltungen. Den Galatern wird hier vorgeworfen, sich von Gott abzukehren, um sich einem »anderen Evangelium« zuzuwenden, das diesen Namen nicht verdient (Gal 1,6); sie haben »mit Christus nichts mehr zu tun«, sie sind »aus der Gnade herausgefallen« (5,4). Doch hofft Paulus, dass sie sich besinnen werden (5,10). Die Korinther sehen sich ihrerseits dem Vorwurf von Parteiungen in ihren Gemeinden aufgrund des Kultes bestimmter Persönlichkeiten ausgesetzt, (235) und ebenso der Anklage von schwerwiegenden Mängeln an Liebe bei Gelegenheit der Feier des »Herrenmahls« (1 Kor 11,17-22). So kann Paulus folgern: »Deswegen sind unter euch viele schwach und krank, und nicht wenige sind schon entschlafen« (11,30). Im Ubrigen wird die Gemeinde hart ins Gericht genommen, da sie einen Fall von skandalösen Fehlverhalten geduldet hat. Der Schuldige muss aus der Gemeinde ausgeschlossen, »dem Satan übergeben« werden. (236) Paulus zitiert hierzu die Vorschrift von Dtn 17,7: »Schafft den Übeltäter weg aus eurer Mitte« (1 Kor 5,13). Die Pastoralbriefe nehmen diejenigen aufs Korn, »die Gesetzeslehrer sein wollen«, aber von der rechten Liebe und einem aufrichtigen Glauben abgewichen sind (1 Tim 1,5-7); dabei werden auch Namen genannt und Sanktionen verhängt. (237)

Die Briefe des Verfassers der Offenbarung des Johannes »an die sieben Gemeinden« (Offb 1,11) zeigen die Verschiedenheit der Lebenssituationen der damaligen christlichen Gemeinden auf. Fast alle diese Briefe – fünf von sieben – beginnen mit einem Lob; zwei bestehen sogar nur aus einem Lob der Gemeinde, doch enthalten die fünf verbleibenden jeweils z. T. schwerwiegende Vorwürfe in Verbindung mit der Androhung von Strafen. Die Vorwürfe sind in der Regel allgemein gehalten (»Du hast deine erste Liebe verlassen«: 2,4; »dem Namen nach lebst du, aber du bist tot«: 3,1); gelegentlich fallen die Vorwürfe auch deutlicher aus, etwa wenn die Duldsamkeit gegenüber der »Lehre der Nikolaiten« (2,15) oder die Beteiligung am Götzendienst (2,14.21) kritisiert wird. Alle Briefe bezeugen, »was der Geist den Gemeinden sagt«. (238) Sie zeigen, dass die christlichen Gemeinden zumeist Vorwürfe verdienen und dass der Geist sie zur Umkehr ruft. (239)

9. Die Verheißungen

54 Zahlreiche Verheißungen Gottes im Alten Testament werden im Neuen Testament im Licht Jesu Christi neu gelesen. Diese Tatsache führt zu einer Reihe von delikaten und aktuellen Fragen, die den Dialog zwischen Juden und Christen berühren; sie betreffen die Legitimität einer Auslegung der Verheißungen jenseits ihres unmittelbaren ursprünglichen Sinnes. Wer gehört rechtmäßig zur Nachkommenschaft Abrahams? Ist das Gelobte Land zunächst und vor allem eine geographische Größe? Welchen Horizont der Zukunft behält der Gott der Offenbarung Israel, dem von Anfang an auserwählten Volke vor? Was wird aus der Erwartung der Herrschaft Gottes? Was aus derjenigen des Messias?

a) Die Nachkommenschaft Abrahams

Im Alten Testament

Gott verheißt Abraham eine Nachkommenschaft, die man nicht zählen kann (240) und die ihm durch den einzigen Sohn, den ihm Sara schenkte, den bevorzugten Erben, (241) zukommen sollte. Diese Nachkommenschaft würde, wie Abraham selbst, Quelle des Segens für alle Völker sein (12,3; 22,18). Die Verheißung wird erneuert für Isaak (26,4.24) und für Jakob (28,14; 32,13).

Die Prüfung der Unterdrückung in Ägypten macht die Verheißung nicht zunichte. Vielmehr bezeugt der Beginn des Exodusbuches mehrmals das zahlenmäßige Wachsen der Hebräer (Ex 1,7.12.20). Noch während das Volk der Unterdrückung ausgeliefert ist, hat sich die Verheißung schon erfüllt: die Israeliten sind »zahlreich wie die Sterne am Himmel«, doch Gott wird sie noch weiter mehren, wie er es verheißen hat (Dtn 1,10-11). Das Volk verfällt dem Götzendienst und ist von Ausrottung bedroht; da tritt Mose bei Gott für es ein; er beruft sich auf den Eid, den Gott Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat, ihre Nachkommenschaft zu vermehren (Ex 32,13). Ein Akt schweren Ungehorsams des Volkes in der Wüste (Num 14,2-4), der an Schwere demjenigen am Fuß des Sinai nicht nachsteht (Ex 32), führt wie in Ex 32 zu einer Fürbitte des Mose, die erhört wird und das Volk vor den Folgen seines Vergehens bewahrt. Die gegenwärtige Generation wird freilich vom Gelobten Land ausgeschlossen bleiben mit Ausnahme der Familie des Kaleb, die treu geblieben war (Num 14,20-24). Alle folgenden Generationen Israels werden in den Genuss der Verheißungen gelangen, die ihren Vorfahren zuteil geworden waren, vorausgesetzt, sie entscheiden sich für »das Leben« und »den Segen«, und nicht »den Tod« und »den Fluch« (Dtn 30,19), wie es unglücklicherweise später die Israeliten des Nordreichs taten, die »der Herr verwarf« (2 Kön 17,20), und später diejenigen des Südreichs, die er der reinigenden Prüfung des babylonischen Exils unterwarf (Jer 25,11).

Die alte Verheißung sollte rasch zugunsten der aus dem Exil Heimgekehrten wiederaufleben. (242) Nach dem Exil »sonderten sich die, die ihrer Abstammung Israeliten waren, von allen Fremden ab«, (243) um die Reinheit der Abstammung sowie der Glaubensüberzeugungen und der vorgeschriebenen Lebensregeln zu bewahren. Später freilich wird das Jonabüchlein – vielleicht auch, nach einigen, das Buch Rut – die Enge dieses Partikularismus angreifen. Er lässt sich in der Tat schwer mit einem Prophetenwort des Jesajabuches in Einklang bringen, in dem Gott »allen Völkern« die Gastfreundschaft seines Hauses anbietet (Jes 56,3-7).

Im Neuen Testament

55 Niemals stellt das Neue Testament die Gültigkeit der dem Abraham zuteil gewordenen Verheißung in Frage. Das Magnifikat und das Benedictus nehmen ausdrücklich auf sie Bezug. (244) Jesus wird als »Sohn Abrahams« eingeführt (Mt 1,1). Tochter oder Sohn Abrahams zu sein (Lk 13,16; 19,9) ist eine große Würde. Das Verständnis der Verheißung unterscheidet sich freilich von demjenigen im Judentum. Schon die Predigt Johannes des Täufers relativiert das Familienband mit Abraham. Es reicht nicht aus, dem Fleische nach von ihm abzustammen, ja es ist nicht einmal notwendig (Mt 3,9; Lk 3,8). Jesus erklärt, dass Heiden »mit Abraham ... zu Tische sitzen werden«, während »die Söhne des Reiches hinausgeworfen werden« (Mt 8,11-12; Lk 13,28-29).

Vor allem der Apostel Paulus vertieft dieses Thema. Den Galatern, die dank der Beschneidung in die Familie des Patriarchen eintreten möchten, um Anteil am verheißenen Erbe zu erlangen, weist Paulus auf, dass die Beschneidung keineswegs notwendig ist, da es entscheidend auf den Glauben an Christus ankommt. Durch den Glauben wird man Sohn Abrahams (Gal 3,7), denn Christus ist sein privilegierter Nachkomme (3,16), und durch den Glauben wird man Christus eingegliedert und demnach »Abrahams Nachkomme, Erbe kraft der Verheißung« (3,29). Auf eben diese Weise – und nicht aufgrund der Beschneidung – wird den Heiden die Verheißung an Abraham zuteil (3,8.14). In Gal 4,22-31 führt eine kühne typologische Interpretation zu dem gleichen Ergebnis.

In seinem Brief an die Römer (4,1-25) kommt Paulus in weniger polemischer Form auf den gleichen Gegenstand zurück. Er stellt den Glauben Abrahams heraus, der für ihn Quelle der Rechtfertigung und Grundlage seiner Vaterschaft wurde, die sich auf alle erstreckt, die glauben, seien sie nun jüdischer oder heidnischer Herkunft. Gott hatte in der Tat dem Abraham eine Verheißung zuteil werden lassen: »Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern« (Gen 17,4); Paulus sieht die Verwirklichung dieser Verheißung im Anschluss zahlreicher Glaubender aus dem Heidentum an Christus gegeben (Röm 4,11.17-18). Paulus unterscheidet »die Kinder des Fleisches« und »die Kinder der Verheißung« (Röm 9,8). Die Juden, die Christus angehören, sind zugleich beides. Die Gläubigen aus dem Heidentum sind »Kinder der Verheißung«, worauf es vor allem ankommt.

Auf diese Weise bestätigt und unterstreicht Paulus die universale Bedeutung des Abrahamssegens und siedelt die wahre Nachkommenschaft des Patriarchen im geistlichen Bereich an.

b) Das verheißene Land

56 Jede Gruppe von Menschen möchte gern dauerhaft ein Stück Land bewohnen. Sonst bleibt sie im Status des Fremden oder Flüchtlings allenfalls geduldet oder im schlimmeren Fall ausgebeutet oder ausgegrenzt. Israel ist aus der Knechtschaft Ägyptens befreit worden und hat von Gott die Verheißung eines Landes erhalten. Die Einlösung dieses Versprechens wird Zeit brauchen und wird im Laufe der Geschichte zu einer Reihe von Problemen führen. Für das Volk der Bibel bleibt das Land selbst nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft Gegenstand der Hoffnung: »Wen der Herr segnet, der wird das Land besitzen« (Ps 37,22).

Im Alten Testament

Die hebräische Bibel kennt den Ausdruck »verheißenes Land« oder »Gelobtes Land« nicht, das sie kein Wort für »Verheißen« besitzt. Sie gibt den Gedanken durch das Futur des Zeitworts »Geben« wieder oder durch das Zeitwort »Schwören«: »das Land, von dem er eidlich zugesichert hat, es dir zu geben« (Ex 13,5; 33,1 usw.).

In den Abraham betreffenden Überlieferungen ergänzt die Verheißung eines Landes diejenige künftiger Nachkommenschaft. (245) Es handelt sich um das »Land Kanaan« (Gen 17,8). Gott erweckt in Mose einen Anführer, der Israel befreien und ins Gelobte Land geleiten soll. (246) Doch das Volk in seiner Gesamtheit bringt nicht den notwendigen Glauben auf: von den Gläubigen der Anfangszeit werden nur sehr wenige die lange Wanderung durch die Wüste überleben; erst die junge Generation wird ins Land einziehen (Num 14,26-38). Mose selbst stirbt, ohne es betreten zu haben (Dtn 34,1-5). Unter der Führung Josuas werden die Stämme Israels im verheißenen Lande sesshaft.

Für die priesterliche Überlieferung muss das Land von nun an unbefleckt bleiben, denn Gott selbst wohnt in ihm (Num 35,34). So ist die Verleihung des Landes an sittliche Reinheit gebunden (247) und an die alleinige Verehrung des herrn unter Ausschluss fremder Götter (Jos 24,14-24). Auf der anderen Seite gehört das Land Gott allein. Wenn die Israeliten es bewohnen, dann als »Fremde und Halbbürger«, (248) wie einst die Patriarchen (Gen 23,4; Ex 6,4). Nach der Herrschaft Salomos zerfällt das ererbte Land in zwei rivalisierende Königreiche. Die Propheten prangern den Götzendienst und die Verstöße gegen die soziale Gerechtigkeit an; sie kündigen die Strafe an: den Verlust des Landes, das von Fremden erobert werden wird, und Fortführung der Bevölkerung in die Gefangenschaft. Freilich halten sie stets eine Tür für die Rückkehr und eine neue Besetzung des verheißenen Landes offen, (249) nicht ohne die zentrale Rolle Jerusalems und seines Tempels hervorzuheben. (250) Später öffnet sich die Perspektive für eine endzeitliche Zukunft. Das verheißene Land bleibt dabei ein fest umrissener geographischer Raum und wird zugleich Anziehungspunkt für die Völkerwelt. (251)

Beim Thema des Landes darf nicht übersehen werden, in welcher Weise das Buch Josua die Landnahme beschreibt. Mehrere Texte (252) sprechen von der Weihe der Früchte des Sieges an Gott im sog. Bann (chäräm). Diese Handlung schließt zum Zweck der Vermeidung der Befleckung durch fremde Religion die Verpflichtung ein, die Orte und die Gegenstände des heidnischen Kultes (Dtn 7,5), aber auch jedes Lebewesen zu vernichten (20,16-18). In ähnlicher Weise schreibt Dtn 13,16-18 für eine israelitische Stadt vor, die sich dem Götzendienst ergeben hatte, alle Bewohner umzubringen und die Stadt durch Feuer völlig zu zerstören.

Zur Abfassungszeit des Deuteronomium – wie auch des Josuabuches – war der Bann ein theoretisches Postulat, da es in Juda keine nicht-israelitische Bevölkerung mehr gab. So klingt die Vorschrift des Banns wie eine Rückprojektion späterer Besorgnisse in die Vergangenheit. In der Tat bemüht sich das Deuteronomium, die religiöse Identität eines Volkes zu stärken, das der Gefahr fremder Kulte und gemischter Ehen ausgesetzt war. (253)

Im Ubrigen wird man sich zum Verständnis des Banns drei Gesichtspunkte vor Augen halten müssen, die für die Interpretation wichtig sind – einen theologischen, einen sittlichen und schließlich einen eher soziologischen: die Anerkennung des verheißenen Landes als unveräußerliches Eigentum des herrn; die Notwendigkeit, dem Volk jede Versuchung zu ersparen, die seine Treue gegenüber Gott hätte gefährden können; und schließlich die sehr menschliche Versuchung, die Religion mit den abwegigsten Formen des Rückgriffs auf Gewalt zu vermischen.

Im Neuen Testament

57 Das Neue Testament entwickelt das Thema des verheißenen Landes nur wenig. Die Flucht Jesu und seiner Eltern nach Ägypten und ihre Heimkehr ins »Land Israel« (Mt 2,20-21) zeichnen offensichtlich den Wanderweg der Vorfahren nach; eine theologische Typologie durchzieht diesen Bericht. In der Rede des Stephanus, die die Geschichte in Erinnerung bringt, stehen die Wörter »verheißen« und »Verheißung« neben »Land« und »Erbe« (Apg 7,2-7). Der Ausdruck »Land der Verheißung«, der im Alten Testament fehlt, findet sich im Neuen (Hebr 11,9) an einer Stelle, die die geschichtliche Erfahrung Abrahams wiedergibt, aber nur, um ihren vorläufigen, unabgeschlossenen Charakter und ihre Ausrichtung auf die absolute Zukunft der Welt und der Geschichte zu unterstreichen: Für den Verfasser ist das »Land« Israel nur dazu da, um symbolisch auf ein ganz anderes Land zu verweisen, die »himmlische Heimat«. (254) Eine Seligpreisung lässt den gleichen Übergang von einem geschichtlichen geographischen Sinn (255) zu einem offeneren erkennen: »die keine Gewalt anwenden, werden das Land erben« (Mt 5,5); »das Land« kommt hier dem »Himmelreich« gleich (5,3.10), und zwar im Sinne einer zugleich gegenwärtigen und zukünftigen Eschatologie.

Die Verfasser des Neuen Testaments führen nur einen Prozess symbolischer Vertiefung weiter, der bereits im Alten Testament und im zwischentestamentarischen Judentum eingesetzt hatte. Dabei darf freilich nicht in Vergessenheit geraten, dass Israel von Gott ein konkretes Land verheißen worden ist und dass es dieses Land auch tatsächlich zum Erbe erhalten hat; dieses Geschenk des Landes war nur gebunden an die Treue zum Bund (Lev 26; Dtn 28).

c) Der dauerhafte Fortbestand und das endgültige Heil Israels

Im Alten Testament

58 Welche Zukunft erwartet das Bundesvolk? Im Laufe der Geschichte hat dies Volk sich diese Frage wieder und wieder gestellt, und zwar im unmittelbaren Zusammenhang mit den Themen von göttlichem Gericht und Heil.

Seit vorexilischer Zeit haben die Propheten die naive Hoffnung auf einen »Tag des herrn« in Frage gestellt, der von sich aus das Heil und den Sieg über den Feind bringen würde. Sie greifen demgegenüber auf das Bild vom Tag des herrn im Sinne von »Finsternis, nicht Licht« (256) zurück, um das unheilvolle Geschick eines Volkes anzukündigen, das es an sozialem Gewissen und an Glauben ernsthaft fehlen ließ, freilich nicht ohne einen Hoffnungsschimmer zu lassen. (257)

Das Drama des Exils, das durch den Bruch des Bundes ausgelöst worden war, führt in schärfster Form zu der gleichen Frage: Kann Israel fern von seinem Land noch das Heil Gottes erwarten? Hat es noch eine Zukunft? Zunächst Ezechiel und dann Deuterojesaja kündigen im Namen Gottes einen neuen Exodus an, d. h. eine Heimkehr Israels in sein Land, (258) eine Erfahrung von Heil, die zahlreiche Elemente enthält: die Sammlung des zerstreuten Volkes (Ez 36,24) und die Übernahme der Sorge für dies Volk durch den Herrn selbst, (259) einen Lebenshauch, der zur tiefen inneren Umwandlung führt, (260) die Wiedergeburt von Nation (261) und Kult (262) sowie eine neue Geltung der göttlichen Erwählungen in der Vergangenheit, vor allem der Erwählung der Stammväter Abraham und Jakob (263) und der Erwählung Davids (Ez 34,23-24).

Die Aussagen der Propheten späterer Zeit halten sich auf der gleichen Linie. Feierliche Prophetensprüche erklären, dass der Stamm Israels auf ewig bestehen werde, (264) dass er niemals aufhören werde, eine Nation vor Gott zu sein und dass dieser ihn niemals verwerfen werde, trotz all seiner Vergehen (Jer 31,35-37). Der Herr verheißt, sein Volk wiederherzustellen. (265) Die nachexilischen Propheten entfalten die Bedeutung dieser Zusage in einem universalistischen Rahmen. (266)

Bei den Zukunftsperspektiven muss als Gegengewicht die Bedeutung eines besonderen Themas hervorgehoben werden: der Idee des »Restes«. In diesem theologischen Rahmen wird der dauerhafte Fortbestand Israels zwar verheißen, aber nur im Rahmen einer eingeschränkten Gruppe, die anstelle des ganzen Volkes und stellvertretend für dies Volk Träger der nationalen Hoffnung und Empfänger des Heils wird. (267) Die nachexilische Gemeinde sieht sich als eine »Schar von Geretteten« in Erwartung des göttlichen Heils. (268)

Im Neuen Testament

59 Was wird aus Israel, dem auserwählten Volk, im Lichte der Auferstehung Jesu? Ihm wird alsbald Gottes Vergebung (Apg 2,38) und das Heil durch den Glauben an den auferstandenen Christus angeboten (13,38-39); viele Juden haben dies Angebot angenommen, (269) darunter auch »eine große Anzahl von den Priestern« (6,7), doch haben sich die Anführer des Volkes der entstehenden Kirche entgegengestellt, und schließlich hat sich das Volk als Ganzes Christus nicht angeschlossen. Dieser Sachverhalt hat stets zu einer ernsthaften Anfrage an die Verwirklichung des göttlichen Heilsplans geführt. Das Neue Testament sucht die Antwort auf diese Frage in den Prophetenworten der Vorzeit und stellt fest, dass dieser Sachverhalt hier bereits vorgezeichnet ist, vor allem in Jes 6,9-10, einem Text, der sehr oft in diesem Zusammenhang angeführt wird. (270) Vor allem Paulus leidet zutiefst unter dieser Tatsache (Röm 9,1-3) und vertieft das Problem (Röm 9 – 11). Seine Brüder »der Abstammung nach« (Röm 9,3) »stießen sich am ,Stein des Anstoßes‘«, den Gott errichtet hatte; statt auf den Glauben zu setzen, haben sie auf die Werke gezählt (9,32). Sie sind gestrauchelt, aber nicht »zu Fall gekommen« (11,11). Denn »Gott hat sein Volk nicht verstoßen« (11,2); das bezeugt das Vorhandensein eines »Restes«, der an Christus glaubt; Paulus selbst gehört zu diesem Rest (11,1.4-6). Für Paulus garantiert das Vorhandensein dieses Restes die Hoffnung auf eine volle Wiederherstellung Israels (11,12.15). Das Versagen des auserwählten Volkes gehört zu einem paradoxen Plan Gottes: Es dient dem »Heil der Heiden«. »Verstockung liegt auf einem Teil Israels, bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben; dann wird ganz Israel gerettet werden« dank der Barmherzigkeit Gottes, die ihm verheißen ist (11,25-26). In der Zwischenzeit warnt Paulus die aus dem Heidentum gekommenen Christen vor der Gefahr des Stolzes und des eitlen Selbstvertrauens, die ihnen droht, wenn sie vergessen, dass sie nur die wilden Zweige sind, die dem guten Ölbaum Israel aufgepfropft worden sind (11,17-24). Die Israeliten bleiben von Gott »geliebt«, und ihnen ist eine glanzvolle Zukunft verheißen, »denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt« (11,29). Dies ist die durch und durch positive Lehre, auf die die Christen immer wieder zurückkommen müssen.

d) Die Herrschaft Gottes

60 Zahlreiche Abschnitte der Bibel bringen die Hoffnung auf eine von Grund auf erneuerte Welt zum Ausdruck, die durch die Errichtung einer idealen Königsherrschaft zustande kommt, für die Gott die alleinige Initiative ergreift und behält. Freilich unterscheiden sich die beiden Testamente zutiefst nicht nur in der Bedeutung, die sie diesem Thema zuerteilen, sondern auch durch die unterschiedliche inhaltliche Akzentuierung.

Im Alten Testament

Die Vorstellung von einer göttlichen Königsherrschaft besitzt ihre Wurzeln in den Kulturen des alten Orients. Die Königsherrschaft Gottes über sein Volk Israel erscheint im Pentateuch (271) sowie vor allem im Richterbuch (Ri 8,22-23) und im Ersten Buch Samuel (1 Sam 8,7; 12,12). Gott wird zugleich auch als König des gesamten Weltalls gepriesen, vor allem in den Psalmen von der Königsherrschaft (Ps 93 – 99). Der herr erscheint wie ein König dem Propheten Jesaja um 740 v. Chr. (Jes 6,3-5). Ein Prophet offenbart ihn als König des Als, umgeben von einem himmlischen Hofstaat (1 Kön 22,19-22).

Während des Exils sehen die Propheten die Königsherrschaft Gottes sich inmitten der bewegten Geschichte des auserwählten Volkes verwirklichen. (272) Die gleiche Sicht findet sich in späteren Prophetentexten. (273) Doch erhält das Thema hier schrittweise bereits eine ausgeprägtere endzeitliche Färbung, (274) die sich in souveränen Schiedsspruch zeigt, den der Herr über die Völker der Welt von seinem Wohnsitz auf dem Zionshügel aus fällen wird (Jes 2,1-4 = Mi 4,1-4). Der Höhepunkt der endzeitlichen Sicht wird in der Apokalyptik erreicht werden mit dem Aufkommen einer geheimnisvollen Gestalt, die »wie ein Menschensohn« dargestellt wird, der »mit den Wolken des Himmels kommt«; »ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben« über »alle Völker« (Dan 7,13-14). Hier sind wir unterwegs zur Vorstellung von einer jenseitigen, himmlischen und ewigen Herrschaft, die das Volk der Heiligen des Allerhöchsten zu übernehmen berufen ist (7,18.22.27).

Das Thema der Königsherrschaft Gottes erreicht seinen Höhepunkt im Psalter. Sechs Psalmen ragen hier heraus. (275) Fünf haben einen Schlüsselsatz gemeinsam: »Der herr ist König«, der entweder am Anfang oder in der Mitte steht. (276) Hervorgehoben werden vor allem die kosmische, die sittliche und die kultische Dimension der Königsherrschaft. In Ps 47 und 96 wird die Universalität der Herrschaft hervorgehoben: »Gott wurde König über alle Völker«. (277) Ps 99 hat Raum für menschliche Vermittlung durch Könige, Priester oder Propheten (99,6-8). Ps 96 und 98 öffnen den Blick für eine endzeitliche und allumfassende Auffassung vom Königtum Gottes. Auf der anderen Seite feiert Ps 114, ein Pascha-Psalm, den herrn zugleich als König Israels und König des Als. Die Königsherrschaft Gottes klingt noch in einer Reihe weiterer Psalmen an.

Im Neuen Testament

61 Als im Alten Testament, vor allem im Psalter, gut bezeugtes Thema wird die Königsherrschaft Gottes in den Synoptischen Evangelien zu einem beherrschenden Thema, liegt es doch der prophetischen Verkündigung Jesu, seiner messianischen Sendung, seinem Tod und seiner Auferstehung zugrunde. Die alte Verheißung verwirklicht sich jetzt in einer fruchtbaren Spannung zwischen dem Schon und dem Noch nicht. Zur Zeit Jesu war die Vorstellung von einer unmittelbar bevorstehenden »Königsherrschaft Gottes«, die irdisch, politisch und um »Israel« und »Jerusalem« zentriert sein würde, stark verkrustet (Lk 19,11), selbst bei den Jüngern (Mt 20,21; Apg 1,6). Doch bewirkt das Neue Testament in seiner Gesamtheit eine radikale Wende, die bereits im zwischentestamentarischen Judentum begonnen hatte, wo der Gedanke einer himmlischen und ewigen Herrschaft aufkam (Jubiläen XV,32; XVI,18).

Matthäus spricht zumeist vom »Reich der Himmel« (33-mal) mit einem Semitismus, der es vermeidet, den Namen Gottes auszusprechen. Jesus fällt die Aufgabe zu, das »Evangelium vom Reich zu verkünden« durch seine Lehre und durch die Heilung der Kranken (278) sowie durch die Austreibung der Dämonen (12,28). Jesu Lehre über die »Gerechtigkeit«, die zum Eintritt in das Reich notwendig ist (5,20), zeichnet ein sehr hohes religiöses und sittliches Ideal (5,21 – 7,27). Jesus kündigt an, dass die Herrschaft Gottes nahe gekommen ist (3,2; 4,17), wodurch die Gegenwart eine endzeitliche Spannung erhält. Das Himmelreich gehört von nun an den »Armen im Geiste« (5,3) und denen, die »um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden« (5,10). Mehrere Gleichnisse zeigen das Reich in der Welt gegenwärtig und am Werk wie ein Samenkorn, das aufgeht (13,31-32), oder ein Sauerteig, der den Teig durchsäuert (13,33). Für seine Aufgabe in der Kirche wird Petrus »die Schlüssel des Himmelreiches« erhalten (16,19). Andere Gleichnisse bringen den Gesichtspunkt des endzeitlichen Gerichts zum Ausdruck. (279) Die Herrschaft Gottes verwirklicht sich dann in der Herrschaft des Menschensohnes. (280) Ein Vergleich von Mt 18,9 mit Mk 9,47 zeigt, dass die Herrschaft Gottes den Zugang zum wahren »Leben« gewährt, mit anderen Worten den Zugang zu der Gemeinschaft, die Gott in der Gerechtigkeit und Heiligkeit in Jesus Christus mit seinem Volke stiftet.

Markus und Lukas bieten die gleiche Lehre wie Matthäus, wenn auch mit eigenen Nuancen. Im übrigen Neuen Testament ist das Thema weniger gegenwärtig; freilich klingt es häufig an. (281) Ohne den Ausdruck »die Herrschaft Gottes« (282) beschreibt die Offenbarung des Johannes den großen Kampf gegen die Mächte des Bösen, der zur Aufrichtung dieser Herrschaft führt: »Die Herrschaft über die Welt« gehört nunmehr »unserem Herrn und seinem Gesalbten«, »und sie werden herrschen in alle Ewigkeit« (Offb 11,15).

e) Der Sohn und Nachfolger Davids

Im Alten Testament

62 In einer Reihe von biblischen Texten wird die Hoffnung auf eine bessere Welt verbunden mit derjenigen auf einen menschlichen Mittler. Man erwartet den idealen König, der von der Unterdrückung befreien und eine Herrschaft vollkommener Gerechtigkeit aufrichten wird (Ps 72). Diese Erwartung nimmt seit dem Prophetenspruch Natans an David konkretere Züge an, der dem König David verhieß, einer seiner Söhne werde ihm nachfolgen und sein Königsthron werde ewigen Bestand haben (2 Sam 7,11-16). Der unmittelbare Sinn dieses Prophetenwortes war nicht messianisch; es verhieß David nicht einen privilegierten Nachfolger, der die endgültige Herrschaft Gottes in einer erneuerten Welt aufrichten werde, sondern nur einfach einen unmittelbaren Nachfolger, der seinerseits Nachfolger haben werde. Jeder der Könige, die von David abstammten, war ein »Gesalbter« des Herrn, auf Hebräisch maschiach, denn die Weihe der Könige geschah durch eine Salbung mit Öl, doch war keiner von ihnen der Messias. Andere Prophetenworte, die dasjenige des Natan bei den Krisen der folgenden Jahrhunderte ausgelöst hatte, verhießen vor allem den Erhalt der Dynastie als Erweis der Treue Gottes gegenüber seinem Volk (Jes 7,14), doch zeichneten sie in zunehmendem Maße die Züge eines idealen Königs, der die Herrschaft Gottes aufrichten werde. (283) Gerade die Enttäuschung der politischen Erwartungen ließ eine tiefere Hoffnung reifen. Man verstand neu den Sinn der alten Prophetensprüche und der Königspsalmen (Ps 2; 45; 110).

Das Ende dieser Entwicklung erscheint in den Schriften der Zeit des Zweiten Tempels und in den Schriften von Qumran. Diese bringen eine messianische Erwartung in unterschiedlicher Form zum Ausdruck: als königlichen, priesterlichen oder himmlischen Messianismus. (284) Im übrigen verbinden einige jüdische Schriften die Erwartung eines irdischen Heils für Jerusalem mit derjenigen eines ewigen Heils im Jenseits durch die Ankündigung eines irdischen messianischen Reiches als Zwischenstufe und Vorspiel für das Kommen der endgültigen Herrschaft Gottes in der neuen Schöpfung. (285) In der Folgezeit gehört die messianische Hoffnung wohl zu den Überlieferungen des Judentums, doch erscheint sie nicht in allen Strömungen als zentrales und einigendes Thema oder gar als einziger Schlüssel.

Im Neuen Testament

63 Für die christlichen Gemeinden des 1. Jahrhunderts wird hingegen die Verheißung eines messianischen Davidssohnes grundlegender und wesentlicher Verständnisschlüssel. Wenn es im Alten Testament und in der zwischentestamentarischen Literatur noch möglich ist, von der Endzeit zu reden ohne Messias, einfach im Rahmen einer breiten Bewegung endzeitlicher Erwartungen, so erkennt das Neue Testament eindeutig in Jesus von Nazaret den verheißenen, von Israel (und der gesamten Menschheit) erwarteten Messias, also denjenigen, der in seiner Person die Verheißung erfüllt. Von hier aus erklärt sich das Bemühen, seine Abstammung von David zu unterstreichen (286) und darüber hinaus seine Überlegenheit gegenüber seinem königlichen Vorfahren, da dieser ihn seinen »Herrn« nennt (Mk 12,35-37 und Par.).

Man findet im Neuen Testament nur zweimal den hebräischen Ausdruck maschiach mit der griechischen Umschreibung Messias und der griechischen Übersetzung Christos, was so viel wie »Gesalbter« heißt. (287) In Joh 1,41 legt der Kontext einen königlichen Messianismus nahe (vgl. 1,49: »König von Israel«), in 4,25 einen prophetischen entsprechend der samaritanischen Glaubensüberzeugung: »Er wird uns alles verkünden«. Hier erkennt sich Jesus ausdrücklich diesen Titel zu (4,26). Sonst bringt das Neue Testament die Messiasidee durch das Wort Christos zum Ausdruck, doch gelegentlich auch durch die Wendung »der Kommende«. (288) Der Titel Christos ist Jesus vorbehalten mit Ausnahme einiger weniger Texte, die vor falschen Messiassen warnen. (289) Zusammen mit dem Titel des Kyrios, des »Herrn«, ist er der häufigste Titel, der sagen soll, wer Jesus ist. Er fasst sein Geheimnis zusammen. So ist er auch Gegenstand einer großen Zahl von Glaubensbekenntnissen im Neuen Testament. (290) Bei den Synoptikern spielt die Anerkennung Jesu als Messias eine herausragende Rolle, besonders im Petrusbekenntnis (Mk 8,27-29 und Par.). Das ausdrückliche Verbot, diesen Titel preiszugeben, bedeutet nicht nur keineswegs seine Bestreitung, sondern stellt gerade das radikal Neue seines Verständnisses sicher, im Gegensatz zu der allzu diesseitig-irdischen Erwartung der Jünger und der Volksmenge (8,30). Der Gedanke eines notwendigen Durchgangs durch Leiden und Tod gehört dazu. (291) Gegenüber dem Hohenpriester erklärt sich Jesus nach Mk 14,61-62 eindeutig als Messias: Das Drama der Passion enthüllt endgültig die Eigenart und die Einzigartigkeit seiner Messianität im Sinne des Leidenden Gerechten, den Jesaja beschreibt. Das Osterereignis eröffnet den Weg zur Parusie bzw. zum Kommen des »Menschensohnes auf den Wolken des Himmels« (Mk 13,26 und Par.), von dem bereits die Apokalypse des Daniel eine noch undeutliche Hoffnung enthielt (Dan 7,13-14).

Im Vierten Evangelium ist die Messiaswürde Jesu Gegenstand großartiger Glaubensbekenntnisse, (292) aber auch häufiger Kontroversen mit den Juden. (293) Zahlreiche »Zeichen« dienen dazu, sie zu bestätigen. Es handelt sich eindeutig um eine transzendente Königswürde (18,36-37) jenseits der nationalistischen und politischen Bestrebungen, die zu der damaligen Zeit im Umlauf waren (6,15).

Nach dem Prophetenwort des Natan würde der Sohn und Nachfolger Davids als Sohn Gottes anerkannt werden. (294) Das Neue Testament verkündet, dass Jesus in der Tat »der Christus, der Sohn Gottes« ist (295) und gibt seiner Gottessohnschaft einen transzendenten Sinn: Jesus ist eins mit dem Vater. (296)

Als Hauptzeugnis des nachösterlichen Glaubens der Kirche lässt das zweite Werk des Lukas die Königs- (bzw Messias-) Weihe Jesu mit dem Augenblick seiner Auferstehung zusammenfallen (Apg 2,36). Der Aufweis der Glaubwürdigkeit des Messiastitels wird ein wesentliches Element der apostolischen Verkündigung. (297) In der Sammlung der Paulusbriefe findet sich das Wort »Christus« überreichlich, oft als Eigenname gebraucht und tief verwurzelt in der Theologie des Kreuzes (1 Kor 1,13; 2,2) und der Verherrlichung (2 Kor 4,4-5). Auf der Grundlage von Ps 109 (110), Verse 1 und 4, zeigt der Hebräerbrief auf, dass Christus zur gleichen Zeit priesterlicher (5,5-6.10) und königlicher Messias (1,8; 8,1) ist. Er bringt die priesterliche Dimension des Leidens Christi und seiner Verherrlichung zum Ausdruck. Nach der Offenbarung des Johannes versteht sich die Messianität Jesu von David her: Jesus besitzt »den Schlüssel Davids« (Offb 3,7) und verwirklicht den davidischen Messianismus von Ps 2; (298) er erklärt: »Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids« (Offb 22,16).

In der Sicht des Neuen Testaments verwirklicht Jesus so in seiner Person, vor allem durch sein Ostergeheimnis, alle Heilsverheißungen, die mit dem Kommen des Messias verbunden sind. Er ist Davidssohn, aber auch Leidender Gottesknecht, Menschensohn und selbst ewiger Sohn Gottes. In ihm erhält das Heil eine neue Dimension. Der Schwerpunkt verschiebt sich von einem vor allem irdischen Heil zu einem transzendenten, das die Bedingungen irdischer Existenz sprengt. Es richtet sich an jeden Menschen und an die gesamte Menschheit. (299)

C. Ergebnis

64 Die christlichen Leser sind überzeugt, dass ihre Deutung des Alten Testamentes, so sehr sie sich auch von derjenigen des Judentums unterscheiden mag, doch einer Sinnmöglichkeit der Texte entspricht. Wie bei der Entwicklung eines Films haben Jesus und die ihn betreffenden Ereignisse in der Schrift eine Sinnfülle freigelegt, die vorher nicht wahrzunehmen war. Diese Sinnfülle schafft zwischen dem Neuen und dem Alten Testament eine dreifache Beziehung: die der Kontinuität, die der Diskontinuität und die der Progression.

1. Kontinuität

Das Neue Testament erkennt nicht nur die Autorität der jüdischen Schrift an und versucht durchgängig zu zeigen, dass die »neuen« Ereignisse dem entsprechen, was angekündigt worden ist (s. Kap. 1); es nimmt auch voll die großen Themen der Theologie Israels auf mit ihrem dreifachen Verweis auf Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

Zunächst zeigt sich eine durchgängige und stets gegenwärtige Perspektive: Gott ist einer; er ist es, der durch sein Wort und seinen Lebensodem das All geschaffen hat und erhält und dabei auch den Menschen in seiner Größe und Würde, trotz seiner Schwächen.

Die übrigen Themen haben sich im Rahmen einer besonderen Geschichte entfaltet: Gott hat gesprochen; er hat sich ein Volk erwählt, es stets neu befreit und gerettet und mit ihm einen Bund geschlossen, indem er sich ihm mitteilte (Gnade) und ihm einen Weg der Treue anbot (Gesetz). Die Person und das Werk Christi ebenso wie die Existenz der Kirche fügen sich in die Verlängerung dieser Geschichte ein.

Diese eröffnet dem auserwählten Volk wunderbare Zukunftsperspektiven: Nachkommenschaft (Verheißung an Abraham), ein Zuhause (ein Land), dauerhaften Fortbestand trotz aller Krisen und Prüfungen (dank der Treue Gottes) und das Kommen einer idealen politischen Ordnung (die Herrschaft Gottes, der Messianismus). Von Anfang an kündigt sich eine universale Ausstrahlung des Abrahamssegens an. Das von Gott verliehene Heil soll die äußersten Ende der Erde erreichen. In der Tat bietet Jesus Christus das Heil der ganzen Welt an.

2. Diskontinuität

Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass der Übergang vom einen zum andern Testament auch Brüche mit sich bringt. Diese stellen die Kontinuität nicht in Frage. Sie setzen sie vielmehr in den wesentlichen Punkten voraus. Immerhin betreffen sie ganze Bereiche des Gesetzes: Institutionen wie das levitische Priestertum und den Tempel von Jerusalem; Gottesdienstformen wie die Tieropfer; religiöse und rituelle Bräuche wie die Beschneidung, die Regeln über Rein und Unrein oder die Speisegesetze; unvollkommene Gesetze wie dasjenige über die Scheidung oder enge Gesetzesinterpretationen wie bei den Sabbatvorschriften. Es liegt auf der Hand, dass es sich hier von einem bestimmten Gesichtspunkt aus – dem des Judentums – um bedeutende Elemente handelt, die verschwinden. Aber es ist ebenso offensichtlich, dass die im Neuen Testament vorgenommene grundlegende Akzentverschiebung bereits im Alten Testament vorbereitet war und demnach eine berechtigte potentielle Lesart des Alten Testaments darstellt.

3. Progression

65 Die Diskontinuität in einigen Punkten ist nur die negative Seite einer Wirklichkeit, deren positive Seite Progression heißt. Das Neue Testament bezeugt, dass Jesus, weit davon entfernt, sich der israelitischen Schrift zu widersetzen, ihr ein Ende zu bereiten oder sie außer Kraft zu setzen, sie in seiner Person, in seiner Sendung und ganz besonders in seinem Ostergeheimnis zur Vollendung bringt. In der Tat entzieht sich keines der großen Themen der Theologie des Alten Testaments der neuen Sicht im Lichte Christi.

a) Gott. Das Neue Testament hält unerschütterlich am monotheistischen Glauben Israels fest: Gott bleibt der einzige; (300) dennoch nimmt der Sohn an seinem Geheimnis teil, das man von jetzt an nur noch in einem dreifachen Symbolismus zum Ausdruck bringen kann, der – wenn auch nur von fern – im Alten Testament vorbereitet war. (301) Gott schafft gewiss durch sein Wort (Gen 1); doch dieses Wort ist von Ewigkeit her »bei Gott« und »ist Gott« (Joh 1,1-5). Nachdem es sich im Laufe der Geschichte durch eine Reihe von authentischen Wortführern (Mose und die Propheten) zur Sprache gebracht hat, nimmt es schließlich Fleisch an in Jesus von Nazaret. (302) Gott schafft zugleich »durch den Hauch seines Mundes« (Ps 33,6). Dieser Hauch ist »der Heilige Geist«, den der auferstandene Jesus vom Vater her sendet (Apg 2,33).

b) Der Mensch. Der Mensch ist in Größe geschaffen, »nach dem Bilde Gottes« (Gen 1,26). Doch das vollkommenste »Ebenbild des unsichtbaren Gottes« ist Christus (Kol 1,15). Und wir selbst sind gerufen, Ebenbilder Christi zu werden, (303) d. h. eine »neue Schöpfung«. (304) Aus unserer Armseligkeit und unserem Elend rettet und befreit uns Gott, freilich durch die ausschließliche Vermittlung Jesu Christi, der für unsere Sünden gestorben und für unser neues Leben auferstanden ist. (305)

c) Das Volk. Das Neue Testament übernimmt als unwiderrufliche Wirklichkeit die Erwählung Israels als Bundesvolk: Es bewahrt uneingeschränkt seine Vorzüge (Röm 9,4) und seine Vorrangstellung in der Geschichte bezüglich des Angebots von Gottes Heil (Apg 13,23) und Wort (13,46). Doch hat Gott Israel einen »neuen Bund« angeboten (Jer 31,31); dieser gründet sich auf das Blut Jesu. (306) Die Kirche setzt sich zusammen aus Israeliten, die diesen neuen Bund angenommen haben, und anderen Gläubigen, die sich ihnen angeschlossen haben. Als Volk des neuen Bundes ist sich die Kirche bewusst, nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Jesus Christus, dem Messias Israels, und dank ihrer Bande mit den Aposteln, die alle Israeliten waren, zu existieren. Fern davon, sich an die Stelle Israels zu setzen, (307) bleibt sie mit ihm solidarisch. Den Christen, die aus dem Heidentum gekommen sind, erklärt Paulus, dass sie auf den guten Ölbaum Israel aufgepfropft sind (Röm 11,16.17). Damit zeigt die Kirche das Bewusstsein, dass Christus ihr eine universale Öffnung verliehen hat im Sinne der Berufung Abrahams, dessen Nachkommenschaft sich jetzt erweitert zugunsten einer Sohnschaft, die auf den Glauben an Christus gründet (Röm 4,11-12). Die Herrschaft Gottes ist nicht mehr an Israel gebunden, sondern offen für alle, auch die Heiden, mit einem besonderen Platz für die Armen und die Ausgeschlossenen. (308) Die Hoffnung, die sich mit dem Königshaus Davids verbindet, das doch seit sechs Jahrhunderten untergegangen ist, wird erneut zum Schlüssel des Geschichtsverständnisses: Sie richtet sich nunmehr auf Jesus Christus, einen schlichten und fernen Nachfahren. Was das Land Israel anlangt (zusammen mit seinem Tempel und seiner Heiligen Stadt), so führt das Neue Testament einen Prozess der symbolischen Auffassung weiter, der bereits im Alten Testament und im zwischentestamentarischen Judentum begonnen hatte.

So spricht für die Christen der Gott der Offenbarung mit dem Kommen Christi und der Kirche sein letztes Wort. »Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn« (Hebr 1,1-2).

III. DIE JUDEN IM NEUEN TESTAMENT

66 Bis hierher haben wir die Beziehungen untersucht, die die Schriften des Neuen Testaments mit der Schrift des jüdischen Volkes unterhalten. Jetzt gilt es, den unterschiedlichen Einschätzungen der Juden im Neuen Testament nachzugehen. Auszugehen ist dabei von der Verschiedenheit innerhalb des damaligen Judentums selbst.

A. Unterschiedliche Ausprägungen des nachexilischen Judentums

1. Die letzten Jahrhunderte vor Christus

Der Ausdruck »Judentum« ist geeignet, den Abschnitt der israelitischen Geschichte zu bezeichnen, der 538 v. Chr. mit der Entscheidung des Perserreiches beginnt, den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem zu genehmigen. Die Religion des Judentums verdankte sich in vielfacher Weise der Religion im Königreich Juda vor dem Exil. Der Tempel wurde wiederaufgebaut; Opfer wurden dargebracht; Hymnen und Psalmen wurden gesungen und die Pilgerfeste neu gefeiert. Das Judentum erhielt eine besondere religiöse Färbung durch die Verkündigung des Gesetzes durch Esra (Neh 8,1-12) zur Perserzeit. Nach und nach wurden die Synagogen ein bedeutsamer Faktor des jüdischen Lebens. Unterschiedliche Einstellungen gegenüber dem Tempel führten rasch zu Spaltungen innerhalb des Judentums vor 70 n. Chr., wie man aus der samaritanischen Abspaltung und aus den Schriftrollen von Qumran ersehen kann. Spaltungen aufgrund unterschiedlicher Auslegungen des Gesetzes gab es nach 70 n. Chr. wie auch schon vorher.

Die samaritanische Gemeinschaft bildete eine Gruppe für sich, die von den anderen abgelehnt wurde (Sir 50,25-26). Sie stützte sich auf eine besondere Form des Pentateuch und verwarf das Heiligtum und das Priestertum von Jerusalem. Das Heiligtum der Samaritaner war auf dem Berg Garizim errichtet (Joh 4,9.20). Sie besaßen auch ein eigenes Priestertum. Die Beschreibung, die Flavius Josephus (Ant. 13.5.9; § 171) von drei »Parteien« oder Philosophenschulen, nämlich Pharisäern, Sadduzäern und Essenern gibt, ist eine Vereinfachung, die man nur mit Vorsicht übernehmen kann. Es gilt als sicher, dass zahlreiche Juden keiner dieser drei Gruppen angehörten. Im Ubrigen betrafen die Unterschiede zwischen ihnen nicht nur rein religiöse Fragen.

Der Ursprung der Sadduzäer liegt vermutlich im zadokitischen Priestertum des Tempels. Als eigene Gruppe scheinen sie zur Zeit der Makkabäer aufgetreten zu sein, und zwar aufgrund des hartnäckigen Widerstandes eines anderen Zweigs des Priestertums gegen die Hasmonäerherrschaft. Es bleibt nach wie vor schwierig, genau anzugeben, wer sie waren, wenn man den Zeitabschnitt vom Ausbruch der Makkabäerkämpfe gegen die Seleukiden ab 167 v. Chr. bis zur römischen Intervention 63 v. Chr. untersucht. Die Sadduzäer identifizierten sich zunehmend mit der hellenisierten Oberschicht, die an der Macht war; man vermutet, dass sie mit dem einfachen Volk wenig gemeinsam hatten.

Der Ursprung der Essener liegt nach Auffassung einiger Autoren um 200 v. Chr. in der Atmosphäre jüdischer apokalyptischer Erwartungen, doch sieht die Mehrzahl der Autoren ihn im Widerstand gegen eine neue Situation des Tempels vom Jahre 152 ab. Damals wurde Jonatan, Bruder des Makkabäers Judas, zum Hohenpriester ernannt. Es handelte sich nach dieser Auffassung um Chasidäer oder »Fromme«, die sich dem makkabäischen Aufstand angeschlossen hatten (1 Makk 2,42) und sich in der Folgezeit von Jonatan und Simon, Brüdern des Makkabäers Judas, verraten sahen, da diese eine Ernennung zum Hohenpriester durch die Seleukidenkönige angenommen hatten. Unser Wissen von den Essenern ist seit 1947 durch die Entdeckung von etwa 800 Schriftrollen und Fragmenten in Qumran am Toten Meer erheblich erweitert worden. Die Mehrheit der Wissenschaftler ist in der Tat der Meinung, dass diese Texte von einer Gruppe von Essenern stammt, die sich an dieser Stelle niedergelassen hatte. Der Historiker Josephus bietet im Jüdischen Krieg (309) eine lange, bewundernde Beschreibung der Frömmigkeit und des Lebens der Essener, die unter gewisser Rücksicht einer Mönchsgemeinde glichen. Voller Verachtung gegenüber dem Tempel, der von Priestern beherrscht war, die sie für unwürdig hielten, bildeten die Qumranleute die Gemeinde des Neuen Bundes. Sie strebten nach Vollkommenheit durch strikteste Beobachtung des Gesetzes, wie es der Lehrer der Gerechtigkeit für sie ausgelegt hatte. Sie erwarteten ein unmittelbar bevorstehendes messianisches Ereignis, in dem Gott eingreifen würde, um alle Bosheit auszurotten und die Feinde der Gemeinde zu bestrafen.

Die Pharisäer waren keine priesterliche Bewegung. Anscheinend störte sie die Übernahme der Hohenpriesterwürde durch die Makkabäer wenig. Freilich rührt ihr Name, der Trennung bedeutet, wohl von der Tatsache her, dass sie ihrerseits zunehmend kritisch gegen die Hasmonäer eingestellt waren, die von den Makkabäern abstammten. Sie hatten sich von ihnen gelöst, da deren Regierungsweise immer stärker weltliche Züge zeigte. Über das schriftliche Gesetz stellten die Pharisäer ein zweites, mündliches Gesetz des Mose. Ihre Auslegungen waren weniger streng als die der Essener und offener für neue Lösungen als die der Sadduzäer, die sich mit einer konservativen Grundeinstellung an das geschriebene Gesetz hielten. So bekannten die Pharisäer im Gegensatz zu den Sadduzäern eine Glaubensüberzeugung von der Auferstehung der Toten und von der Existenz der Engel (Apg 23,8), beides Glaubensauffassungen, die im Laufe der nachexilischen Zeit aufkamen.

Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen waren gelegentlich äußerst gespannt bis hin zu offener Feindseligkeit. Es ist gut, sich diese Feindseligkeit im Gedächtnis zu halten, wenn man die religiös bedingte Hostilität im Neue Testament verstehen will. Einige Hohepriester waren für eine Reihe von Gewalttaten verantwortlich. So trachtete ein Hoherpriester, dessen Namen wir nicht kennen, vermutlich gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr., dem Lehrer der Gerechtigkeit von Qumran während der Feier des Jom Kippur nach dem Leben. Die Schriften von Qumran überschütten die sadduzäische Hierarchie von Jerusalem mit Anklagen als schlechte Priester, die das Gesetz missachten, und sie malen auch die Pharisäer in schwarzen Farben. Während sie den Lehrer der Gerechtigkeit preisen, denunzieren sie eine andere Gestalt (einen Essener?) als Unruhestifter und Lügner, der mit dem Schwert alle verfolgte, »die in Vollkommenheit wandeln« (Damaskusschrift Ms. A, I.20). Diese Zwischenfälle trugen sich vor der Zeit Herodes' des Großen und vor den römischen Prokuratoren in Judäa, also vor der Zeit Jesu zu.

2. Das erste Drittel des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Palästina

67 In diesen Zeitabschnitt fällt das Leben Jesu. Nur hat es ein wenig früher begonnen, da Jesus vor dem Tode Herodes' des Großen geboren wurde, der im Jahre 4 vor unserer Zeitrechnung starb. Vor dessen Tod teilte Augustus das Königreich unter die drei Söhne des Herodes: Archelaus (Mt 2,22), Herodes Antipas (14,1 usw.) und Philippus (16,13; Lk 3,1) auf. Nachdem die Regierung des Archelaus zu Unruhe unter seinen Untertanen geführt hatte, unterstellte Augustus dessen Land, Judäa, unverzüglich der römischen Verwaltung.

Wie ließe sich die Haltung Jesu gegenüber den drei religiösen »Parteien« umschreiben, die wir erwähnt haben? Drei Hauptfragen sind hier zu behandeln.

Welches war die einflussreichste religiöse Gruppe zur Zeit des öffentlichen Lebens Jesu? Nach Josephus waren die Pharisäer die wichtigste religiöse Partei; sie besaßen vor allem in den Städten großen Einfluss. (310) Vermutlich wird Jesus aus diesem Grunde häufiger mit ihnen im Konflikt gezeigt als mit jeder anderen Gruppierung, was noch einmal die Bedeutung dieser Gruppe unterstreicht. Hinzu kommt, dass diese Richtung des Judentums besser als die anderen überlebt hat und sich das entstehende Christentum infolgedessen vor allem mit ihr auseinandersetzen musste.

Welches waren die Auffassungen der Pharisäer? Die Evangelien stellen die Pharisäer oft als legalistische und herzlose Heuchler dar. Man hat versucht, diese Sicht zurückzuweisen aufgrund bestimmter, in der Mischna bezeugter rabbinischer Positionen, die weder heuchlerisch noch eng legalistisch sind. Diese Argumentation verfängt wenig, da sich auch in der Mischna eine legalistische Tendenz zeigt und da auf der anderen Seite unklar ist, wieweit sich die Auffassungen der Mischna, die um 200 n. Chr. redigiert wurde, mit denjenigen der Pharisäer zur Zeit Jesu decken. Immerhin bleibt es bei der Vermutung, dass das Bild der Pharisäer in den Evangelien z. T. durch spätere Polemik zwischen Christen und Juden beeinflusst ist. Zur Lebenszeit Jesu gab es sicherlich Pharisäer, deren Ethik volle Zustimmung verdient. Doch zeigt das Zeugnis des Paulus, eines Pharisäers, der sich »mit größtem Eifer für die Überlieferungen seiner Väter einsetzte«, wohin sich der Eifer der Pharisäer versteigen konnte: »Ich habe maßlos die Kirche Gottes verfolgt«. (311)

Gehörte Jesus zu einer der drei Gruppen? Es gibt keinen Grund, aus Jesus einen Sadduzäer zu machen. Der Glaube an die Engel und an die Auferstehung der Toten ebenso wie die Endzeiterwartungen, die ihm in den Evangelien zugeschrieben werden, nähern ihn viel stärker der Theologie der Essener und Pharisäer an. Aber das Neue Testament erwähnt die Essener niemals und zeigt keinerlei Erinnerung an eine Zugehörigkeit Jesu zu einer derart spezifischen Gruppe. Was die Pharisäer anlangt, die in den Evangelien so häufig erwähnt werden, so erscheinen sie stets in einer Haltung des Gegensatzes zu Jesus aufgrund seiner Haltung, die mit ihren Formen der Gesetzesbeobachtung nicht übereinstimmte. (312)

So gehört Jesus wahrscheinlich keiner der Gruppierungen an, die es im damaligen Judentum gab. Er war schlicht mit dem einfachen Volk solidarisch. Neuere Studien haben versucht, ihn in verschiedene soziale Kontexte seiner Zeit einzuordnen: charismatische Rabbis aus Galiläa, kynische Wanderprediger oder selbst revolutionäre Zeloten. Doch lässt er sich in keine dieser Gruppen einzwängen.

Was die Beziehung Jesu zu den Heiden und ihrer Denkwelt anlangt, so gibt es erneut zahlreiche Spekulationen, aber wenig verlässliche Information. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Palästina selbst in den Gegenden, in denen der Großteil der Bevölkerung jüdisch war, einen starken Einfluss des Hellenismus, freilich nicht überall in der gleichen Weise. Ein Einfluss der hellenistischen Städte wie Tiberias am Ufer des Sees Gennesaret oder Sepphoris (6-7 Kilometer von Nazaret entfernt) auf Jesus bleibt sehr problematisch, da die Evangelien keine Berührung Jesu mit diesen Städten erkennen lassen. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Jesus und seine engsten Jünger in nennenswerter Weise Griechisch sprachen. In den Synoptischen Evangelien hat Jesus wenig Kontakt mit den Heiden. Er trägt seinen Jüngern auf, nicht vor ihnen zu predigen (Mt 10,5), und verbietet, nach ihrer Weise zu leben (6,7.32). Einige seiner Worte spiegeln das jüdische Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Heiden wider, (313) doch weiß er sich von diesem Gefühl abzusetzen und stattdessen die Überlegenheit vieler Heiden zu behaupten (Mt 8,10-12).

Welche Beziehung hatten die ersten Jünger Jesu zu ihrem jüdischen religiösen Umfeld? Die Zwölf und andere werden die galiläische Mentalität Jesu besessen haben, wobei freilich die Gegend am Galiläischen Meer, wo sie wohnten, kosmopolitischer war als Nazaret. Das Vierte Evangelium berichtet, dass Jesus Jünger von Johannes dem Täufer gewann (Joh 1,35-41), dass er Jünger aus Judäa hatte (19,38) und dass er ein ganzes Dorf der Samaritaner zum Glauben führen konnte (4,39-42). So konnte der Kreis seiner Jünger die ganze Vielfalt des damaligen Palästina widerspiegeln.

3. Das zweite Drittel des 1. Jahrhunderts n. Chr.

68 Der erste Zeitabschnitt der direkten römischen Herrschaft in Judäa endete in den Jahren 39-40. Herodes Agrippa I., ein Freund des Kaisers Caligula (37-41) und des neuen Kaisers Claudius (41-54), wurde König von ganz Palästina (41-44). Er sicherte sich die Gunst der jüdischen religiösen Führungsschicht und versuchte den Eindruck eines frommen Mannes zu vermitteln. In Apg 12 schreibt ihm Lukas eine Verfolgung und die Hinrichtung von Jakobus, dem Bruder des Johannes und Sohn des Zebedäus zu. Nach dem Tode des Agrippa, der in Apg 12,20-23 in dramatisierter Form beschrieben wird, begann eine neue Zeit römischer Herrschaft.

In diesem zweiten Drittel des 1. Jahrhunderts wurden die Jünger des auferstandenen Christus sehr zahlreich und organisierten sich in »Kirchen« (»Gemeinden«). Wahrscheinlich haben die Strukturen bestimmter jüdischer Gruppen die Strukturen der Urkirche beeinflusst. Man kann sich fragen, ob die christlichen »Presbyter« oder »Ältesten« nicht nach dem Vorbild der »Ältesten« der Synagogen eingesetzt worden sind und ob die christlichen »Episkopen« (»Aufseher«) möglicherweise auf die »Aufseher« zurückgehen, die in Qumran beschrieben werden. Auch fragt sich, ob die Selbstbezeichnung der christlichen Bewegung als »der Weg« (hodos) die Spiritualität der Qumranleute widerspiegelt, die in die Wüste aufgebrochen waren, um dem Herrn den Weg zu bereiten. Theologisch gesehen hat man gemeint, Spuren eines Einflusses von Qumran im Dualismus des Vierten Evangeliums zu finden, wie er sich in der Terminologie von Licht und Finsternis oder Wahrheit und Lüge, im Kampf zwischen Jesus, dem Licht der Welt, und der Macht der Finsternis (Lk 22,53) und im Kampf zwischen dem Geist der Wahrheit und dem Herrscher dieser Welt (Joh 16,11) dokumentiert. Doch beweist das gemeinsame Vorkommen solcher Ausdrücke nicht zwingend eine Beziehung der Abhängigkeit. Die römischen Statthalter der Jahre 44-66 waren skrupellos, korrupt und unredlich. Ihre schlechte Regierungsweise führte zum Aufkommen der »Sikarier« (mit Dolchen bewaffneter Terroristen) und der »Zeloten« (gnadenloser Eiferer für das Gesetz) und schließlich zu einem großen jüdischen Aufstand gegen die Römer. Umfangreiche römische Truppenkontingente und die besten Generäle bemühten sich, diesen Aufstand niederzuschlagen. Für die Christen war ein herausragendes Ereignis die Hinrichtung des »Herrenbruders« Jakobus im Jahre 62 n. Chr. im Gefolge einer Entscheidung des Hohen Rates, der durch den Hohenpriester Ananus (Hannas) II. zusammengerufen worden war. Dieser Hohepriester wurde durch den Statthalter Albinus wegen Amtsmissbrauchs abgesetzt. Nur zwei Jahre später, nach dem großen Brand, der Rom im Juli des Jahres 64 n. Chr. verwüstet hatte, verfolgte der Kaiser Nero (54-68) die Christen in der Hauptstadt. Nach einer sehr alten Überlieferung starben die Apostel Petrus und Paulus zu diesem Zeitpunkt als Märtyrer. So kann man mit aller Vorsicht das letzte Drittel des 1. Jahrhunderts bereits das postapostolische Zeitalter nennen.

4. Das letzte Drittel des 1. Jahrhunderts

69 Der jüdische Aufstand 66-70 und die Zerstörung des Tempels von Jerusalem führten zu drastischen Veränderungen in der Konstellation der religiösen Gruppen des Heiligen Landes. Die Revolutionäre (Sikarier, Zeloten und andere) wurden eliminiert. Die Niederlassung von Qumran wurde im Jahre 68 zerstört. Das Ende der Opfer im Tempel schwächte die Machtgrundlage der sadduzäischen Oberschicht, die sich aus Priesterfamilien rekrutierte. Wir wissen nicht, in welchem Umfang das rabbinische Judentum auf die Pharisäer zurückgeht. Sicher ist, dass nach 70 n. Chr. rabbinische Lehrmeister, »die Weisen Israels«, in zunehmendem Maße als die Wegweiser des Volkes anerkannt wurden. Jene von ihnen, die in Jamnia (Javne) an der palästinischen Küste versammelt waren, wurden von den römischen Autoritäten als Wortführer der Juden angesehen. Von etwa 90 bis 110 n. Chr. führte Gamaliel II., Sohn und Enkel berühmter Ausleger des Gesetzes, den Vorsitz der »Versammlung« von Jamnia. Wenn die christlichen Schriften aus dieser Zeit vom Judentum sprechen, dann tun sie es zunehmend unter dem Einfluss der Beziehungen zu diesem in Entstehung befindlichen rabbinischen Judentum. Auf manchen Gebieten war der Konflikt zwischen den Leitern der Synagogen und den Jüngern Jesu scharf. Man kann das einerseits der Verhängung des Synagogenbannes gegen diejenigen entnehmen, »die Jesus als Messias bekennen würden« (Joh 9,22), anderseits der starken antipharisäischen Polemik von Mt 23 sowie dem von außen erfolgenden Verweis auf »ihre Synagogen«, in denen die Jünger Jesu gegeißelt werden würden (Mt 10,17). Oft nennt man in diesem Zusammenhang die Birkat ha-minim, den synagogalen »Segen« (in Wirklichkeit eher Fluch) gegen die Abweichler. Seine Datierung um 85 n. Chr. ist ungewiss, und die Meinung, er sei ein allgemeines jüdisches Dekret gegen die Christen, sicher unrichtig. Doch kann man nicht sinnvoll bezweifeln, dass die örtlichen Synagogen von einem von Ort zu Ort verschiedenen Zeitpunkt an die Gegenwart der Christen nicht mehr ertrugen und dass sie die Christen Züchtigungen unterwarfen, die bis zur Hinrichtung gehen konnten (Joh 16,2). (314)

Schrittweise wurde, wohl vom Beginn des 2. Jahrhunderts an, eine Formel des »Segens«, die Ketzer oder andere Abweichler unterschiedlicher Färbung anprangerte, so verstanden, dass sie auch die Christen einschloss; später dachte man wohl vor allem an diese letzteren. So waren gegen Ende des 2. Jahrhunderts die Abgrenzungs- und Trennungslinien zwischen den Juden, die nicht an Jesus glaubten, und den Christen deutlich gezogen. Dabei zeigen Texte wie 1 Thess 2,14 oder Röm 9 – 11, dass die Trennung schon sehr lange vor dieser Zeit wahrgenommen wurde.

B. Die Juden in den Evangelien und in der Apostelgeschichte

70 Von den Juden haben die Evangelien und die Apostelgeschichte eine sehr positive Grundauffassung, denn sie erkennen das jüdische Volk als das Volk an, das Gott zur Verwirklichung seines Heilsplans auserwählt hat. Diese göttliche Auswahl findet ihren höchsten Ausdruck in der Person Jesu, des Sohnes einer jüdischen Mutter. Er wird geboren, um sein Volk zu retten, und er wird seinem Auftrag gerecht, indem er seinem Volk das Evangelium verkündet und ein Werk der Heilung und Befreiung vollbringt, das in seinem Leiden und seiner Auferstehung seinen Höhepunkt findet. Der Anschluss einer großen Anzahl von Juden an Jesus während seines öffentlichen Lebens und nach seiner Auferstehung bestätigt diese Sicht, und ebenso die Auswahl von zwölf Juden durch Jesus, die an seiner Sendung teilhaben und sein Werk weiterführen sollten.

Das Evangelium wurde zunächst von vielen Juden freudig aufgenommen, doch stieß es auf den Widerstand der jüdischen Führer, denen sich schließlich die Mehrheit des Volkes anschloss. So kam es zwischen den jüdischen und den christlichen Gemeinden zu einer Konfliktsituation, die selbstverständlich die Abfassung der Evangelien und der Apostelgeschichte beeinflusst hat.

1. Das Matthäusevangelium

Die Beziehungen zwischen dem Ersten Evangelium und der jüdischen Welt sind besonders eng. Zahlreiche Einzelzüge dieses Evangeliums zeigen eine große Vertrautheit mit der Schrift, den Überlieferungen und der Mentalität des jüdischen Milieus. Stärker als Markus und Lukas hebt Matthäus die jüdische Herkunft Jesu hervor; sein Stammbaum stellt ihn vor als »Sohn Davids, Sohn Abrahams« (Mt 1,1) und geht darüber hinaus zeitlich nicht zurück. Die Bedeutung des Namens Jesus wird unterstrichen: Der Sohn Mariens wird so genannt werden, »denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen« (1,21). Die Sendung Jesu richtet sich während seiner Lebzeiten allein auf »die verlorenen Schafe des Hauses Israel« (15,24), und die gleiche Begrenzung schreibt er auch der ersten Sendung der Zwölf vor (10,5-6). Häufiger als die anderen Evangelisten hebt Matthäus hervor, dass die Ereignisse des Lebens Jesu »geschahen, damit sich erfüllte, was von den Propheten gesagt worden ist« (2,23). Jesus selbst legt Wert darauf klarzustellen, dass er nicht gekommen ist, um das Gesetz abzuschaffen, sondern um es zu erfüllen (5,17).

Es versteht sich freilich von selbst, dass die christlichen Gemeinden sich von den jüdischen Gemeinden absetzen, die nicht an Jesus Christus glaubten. So sagt Matthäus bezeichnenderweise nicht: »er predigte in den Synagogen«, sondern: »er predigte in ihren Synagogen« (4,23; 9,35; 13,54), womit er eine Trennung zu erkennen gibt. Matthäus gibt eine Schilderung von zwei der drei von Flavius Josephus beschriebenen Gruppen, nämlich den Pharisäern und den Sadduzäern, doch geschieht es stets im Zusammenhang des Widerstands gegen Jesus. Das gleiche gilt von den Schriftgelehrten, (315) die häufig im Zusammenhang mit den Pharisäern gesehen werden. Auch folgendes fällt auf: die drei Gruppen, aus denen sich der Hohe Rat zusammensetzte, nämlich »Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte«, tauchen erstmalig zusammen in der ersten Leidensankündigung auf (16,21). So erscheinen auch sie im Zusammenhang des Widerstands, ja sogar des äußersten Widerstands gegen Jesus.

Jesus stellt sich immer wieder dem Widerstand der Schriftgelehrten und Pharisäer und geht am Schluss zu einem geharnischten Gegenangriff über (23,2-7.13-36), in dem der Vorwurf »ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler« sechsmal vorkommt. Diese Darstellung spiegelt sicher z. T. die Lage der Gemeinde des Matthäus wider. Das Evangeliums wird in einem Umfeld abgefasst, in dem zwei Gruppen in enger Verbindung miteinander standen: die Gruppe der christlichen Juden, die überzeugt waren, zum authentischen Judentum zu gehören, und diejenige der Juden, die nicht an Jesus Christus glaubten und die von den Christen als ihrer jüdischen Berufung unwürdig angesehen wurden, da sie ihren blinden und heuchlerischen Führern gefolgt waren.

Es ist vor allem hervorzuheben, dass die Polemik des Matthäus sich nicht gegen die Juden im Allgemeinen richtet. Diese kommen nur vor in der Wendung »der König der Juden« mit Bezug auf Jesus (2,2; 27,11.29.37) und in einem Satz des letzten Kapitels, der nur untergeordnete Bedeutung hat (28,15). So ist die Auseinandersetzung eher ein interner Streit zwischen zwei verschiedenen Gruppen des Judentums. Im übrigen spielt sie sich nur zwischen den Führern dieser Gruppen ab. Während im Prophetenspruch des Jesaja der ganze Weinberg verurteilt wird (Jes 5,1-7), werden in der Parabel des Matthäus nur die Winzer angeklagt (Mt 21,33-41). Die harten Worte und Anklagen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer gleichen denjenigen, die man bei den Propheten findet, und entsprechen einer im damaligen Judentum (z. B. in Qumran) und Hellenismus üblichen literarischen Gattung. Im Ubrigen dienen sie nicht zuletzt, wie bei den Propheten, dem Ruf zur Umkehr. Wenn sie in der christlichen Gemeinde verlesen werden, dann warnen sie die Christen ihrerseits vor Haltungen, die mit dem Evangelium unvereinbar sind (23,8-12).

Im Ubrigen muss die Schärfe der antipharisäischen Polemik von Mt 23 im Zusammenhang mit der apokalyptischen Rede von Mt 24 – 25 gesehen werden. Die Sprache der Apokalyptik kommt in Verfolgungszeiten zur Anwendung und soll der verfolgten Minderheit Kraft zum Widerstand und verstärkte Hoffnung auf ein befreiendes göttliches Eingreifen vermitteln. Aus dieser Sicht weckt die Schärfe der Polemik weniger Erstaunen.

Freilich muss man anerkennen, dass Matthäus seine Polemik nicht immer nur auf die Führungsklasse beschränkt. Auf die Gerichtsrede von Mt 23 gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer folgt ein Wort, das sich an Jerusalem richtet. Hier wird die ganze Stadt angeklagt, sie »töte die Propheten« und »steinige die Boten, die zu ihr gesandt sind« (23,37), und so wird der Stadt dann auch die Strafe angekündigt (23,38). Von ihrem großartigen Tempel »wird kein Stein auf dem anderen bleiben« (24,2). Man findet hier eine Situation, die derjenigen zur Zeit des Jeremia gleicht (Jer 7; 26). Der Prophet hatte die Zerstörung des Tempels und den Untergang der Stadt angekündigt (26,6.11). Jerusalem werde »zu einem Fluch bei allen Völkern der Erde« werden (26,6) in genauer Umkehrung des Segens, der Abraham und seiner Nachkommenschaft verheißen worden war (Gen 12,3; 22,18).

71 Zur Abfassungszeit des Matthäusevangeliums war die Mehrheit des jüdischen Volkes ihren Führern in der Ablehnung des Glaubens an Jesus Christus gefolgt. Die christlichen Juden waren nur eine Minderheit. So sah der Evangelist voraus, dass sich die Drohungen Jesu erfüllen würden. Diese betrafen nicht die Juden als Juden, sondern nur, insofern sie sich mit ihren Führern solidarisierten, die sich Gott gegenüber als unfolgsam erwiesen. Matthäus bringt diese Solidarität in seinem Leidensbericht zum Ausdruck, wo er berichtet, dass die »Volksmenge«, angestachelt von den Hohenpriestern und den Ältesten, von Pilatus die Kreuzigung Jesu verlangte (Mt 27,20-23). Nachdem der römische Statthalter jede Verantwortung ablehnt, nimmt »das ganze Volk«, das gegenwärtig ist, die Verantwortung für die Verurteilung Jesu auf sich (27,24-25). Vonseiten des Volkes zeigte diese Stellungnahme auf jeden Fall, dass es Jesus für todeswürdig hielt, doch vonseiten des Evangelisten war eine solche Überzeugung nicht zu rechtfertigen: Das Blut Jesu war »unschuldiges Blut« (27,4); selbst Judas hatte das anerkannt. Jesus hätte sich die Worte des Jeremia zueigen machen können: »Das sollt ihr wissen: Wenn ihr mich tötet, bringt ihr unschuldiges Blut über euch, über diese Stadt und ihre Einwohner« (Jer 26,15). In der Sicht des Alten Testamentes ist es unvermeidlich, dass die Sünden der Anführer verheerende Folgen für das ganze Kollektiv nach sich ziehen. Wenn die Abfassung des Evangeliums in die Zeit nach dem Jahre 70 unserer Zeitrechnung fällt, wusste der Evangelist, wie sich die Voraussage Jesu ebenso wie derzeit diejenige des Jeremia erfüllt hatte. Doch konnte er in diesem Eintreffen keinen Endpunkt erkennen, denn die ganze Schrift bezeugt, dass Gott nach der Verhängung der Strafe stets neue, positive Perspektiven eröffnet. (316) So schließt auch die Rede von Mt 23 mit einem positiven Ausblick. Der Tag wird kommen, an dem man sagen wird: »Gesegnet sei er, der kommen wird im Namen des Herrn« (23,39). Das Leiden Jesu selbst eröffnet die positivste Perspektive, die man sich denken kann, denn aus seinem verbrecherisch vergossenen »unschuldigen Blut« hat Jesus ein »Blut des Bundes«, »vergossen zur Vergebung der Sünden« gemacht (26,28).

Wie der Ruf des Volkes im Passionsbericht (27,25), so zeigt auch der Schluss der Parabel von den Winzern, wie es scheint, dass der Großteil des jüdischen Volkes zur Zeit der Abfassung des Evangeliums mit den Anführern in der Verweigerung des Glaubens an Jesus solidarisch war. In der Tat fährt Jesus nach der Ankündigung: »Das Reich Gottes wird euch weggenommen« nicht mit der Ankündigung fort, es werde »anderen Anführern« gegeben werden, sondern er sagt, es werde »einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt« (21,43). Der Ausdruck »einem Volk« schließt einen Gegensatz zum »Volk Israel« ein; er legt zumindest nahe, dass ein großer Teil der Mitglieder dieses Volkes nicht jüdischer Abstammung sein würden. Dennoch wird nicht ausgeschlossen, dass ihm auch Juden angehören würden, denn das Evangelium als Ganzes gibt zu erkennen, dass dieses »Volk« auf die Autorität der Zwölf, namentlich des Petrus (16,18) aufgebaut sein wird, und diese Zwölf sind Juden. Zusammen mit ihnen und anderen Juden wird sich die Voraussage erfüllen: »Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen« (8,11-12). Diese universalistische Öffnung findet ihre Bestätigung am Schluss des Evangeliums, denn dort trägt der auferstandene Jesus den »elf Jüngern« auf, hinzugehen und »alle Völker« zu Jüngern zu machen (28,19). Dabei bekräftigt dieser Schluss freilich noch einmal die Berufung Israels, denn Jesus ist ein Sohn Israels und ihm erfüllt sich das Prophetenwort Daniels über die Rolle Israels in der Geschichte. Die Worte des Auferstandenen: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde« (317) verdeutlichen, in welchem Sinne fortan die universalistische Sicht Daniels und anderer Propheten zu verstehen ist.

Ergebnis. Mehr als die anderen synoptischen Evangelien ist das Matthäusevangelium ein Evangelium der Erfüllung – Jesus ist nicht gekommen, um abzuschaffen, sondern um zu erfüllen – und unterstreicht deswegen den Aspekt der Kontinuität mit dem Alten Testament, der für den Gedanken der Erfüllung grundlegend ist. Dieser Aspekt erlaubt es dann auch, geschwisterliche Bande zwischen den Christen und den Juden zu knüpfen. Auf der anderen Seite spiegelt das Matthäusevangelium freilich auch eine Situation der Spannung und des Konflikts zwischen den beiden Gemeinschaften wider. Jesus sieht hier voraus, dass seine Jünger in den Synagogen gegeißelt und von Stadt zu Stadt vertrieben werden würden (23,34). So bemüht sich Matthäus, die Leser auf die Verteidigung vorzubereiten. Nachdem sich die Lage grundsätzlich gewandelt hat, darf die Polemik des Matthäus auf die Beziehung zwischen Christen und Juden nicht mehr durchschlagen, und der Aspekt der Kontinuität darf und muss überwiegen. Das gleiche gilt von der Voraussage des Untergangs Jerusalems und des Tempels. Dieser Untergang gehört einer Vergangenheit an, die heute nur noch tiefes Mitlied wecken sollte. Die Christen müssen sich streng davor hüten, die Verantwortung für diese Katastrophe den späteren Generationen des jüdischen Volkes anzulasten, und sollen sich vor Augen halten, dass Gott nach der Verhängung einer Strafe stets neue positive Perspektiven eröffnet.

2. Das Markusevangelium

72 Das Markusevangelium ist eine Heilsbotschaft, deren Adressaten nicht genauer angegeben werden. Der Schluss, der ihm hinzugefügt worden ist, richtet es kühn an »alle Geschöpfe« »in der ganzen Welt« (16,15), was seiner universalistischen Öffnung entspricht. Über das jüdische Volk gibt Markus, selbst ein Jude, selbst kein Gesamturteil ab. Das negative Urteil des Propheten Jesaja (Jes 29,13) wird von Markus nur auf die Pharisäer und auf die Schriftgelehrten bezogen (Mk 7,5-7). Abgesehen von dem Titel »König der Juden«, der im Leidensbericht fünfmal auf Jesus bezogen wird, (318) kommt das Wort »Juden« nur noch einmal in diesem Evangelium vor, und zwar im Rahmen der Erklärung jüdischer Bräuche (7,3), die sich natürlich an nicht-jüdische Leser richtet. Diese Erklärung steht im Kontext einer Begebenheit, in der Jesus das übertriebene Festhalten der Pharisäer an den »Überlieferungen der Alten« anprangert, das sie »Gottes Gebot« vernachlässigen lässt (7,8). Markus nennt »Israel« nur zweimal, (319) und ebenso »das Volk«. (320) Dafür spricht er sehr häufig von der »Volksmenge«, die sich natürlich vor allem aus Juden zusammensetzt, und diese Menge ist Jesus sehr zugetan (321) außer bei einer Szene der Passion, wo die Hohenpriester sie drängen, ihm Barabbas vorzuziehen (15,11).

Diese Haltung der religiösen und politischen Autoritäten wird von Markus kritisch gesehen. Das Urteil betrifft vor allem ihren Mangel an Offenheit für die Heilssendung Jesu: Die Schriftgelehrten werfen Jesus Gotteslästerung vor, als er von seiner Vollmacht Gebraucht macht, Sünden zu vergeben (2,7-10); sie können nicht hinnehmen, dass Jesus »mit Zöllnern und Sündern isst« (2,15-16); sie behaupten, er sei von einem bösen Geist besessen (3,22). So muss Jesus ständig mit ihrem Widerstand und demjenigen der Pharisäer rechnen. 322 Die politischen Autoritäten kommen seltener ins Spiel: Herodes wegen des Mordes an Johannes dem Täufer (6,17-28) und wegen seines »Sauerteigs«, der mit demjenigen der Pharisäer in Verbindung gebracht wird (8,15), der jüdische Hohe Rat als politisch-religiöse Autorität (14,55; 15,1) und Pilatus (15,15) wegen seines Anteils am Leiden Jesu.

Im Leidensbericht versucht das Zweite Evangelium auf zwei Fragen zu antworten: Durch wen ist Jesus verurteilt worden, und warum ist er hingerichtet worden? Es beginnt mit einer allgemeinen Antwort, die die Ereignisse von Gott her darstellt: Alles ist geschehen, »damit die Schrift in Erfüllung geht« (14,49). Dann zeigt es die Rolle der jüdischen Autoritäten und des römischen Statthalters auf.

Die Verhaftung Jesu erfolgte auf Anweisung der drei Gruppen im Hohen Rat, der »Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten« (14,43). Sie steht am Ende einer langen Entwicklung, der mit Mk 3,6 beginnt, wo freilich andere Akteure erscheinen: Dort sind es die Pharisäer und mit ihnen dann auch die Herodianer, die sich gegen Jesus verschwören. Interessanterweise tauchen »die Ältesten, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten« zum ersten mal zusammen in der ersten Leidensankündigung auf (8,31). In 11,18 suchen die »Hohenpriester und Schriftgelehrten« nach einer Möglichkeit, Jesus umzubringen. Die drei Gruppen kommen in 11,27 erneut zusammen, um Jesus einem Verhör zu unterwerfen. Jesus erzählt ihnen die Geschichte von den Bösen Winzern; daraufhin »suchten sie ihn zu verhaften« (12,12). In 14,1 ist ihre Absicht, ihn in ihre Gewalt zu bringen, »um ihn umzubringen«. Der Verrat des Judas gibt ihnen dazu die Möglichkeit an die Hand (14,10-11). So gehen die Verhaftung und dann das Todesurteil auf die Führungsklasse des jüdischen Volkes der damaligen Zeit zurück. Der Haltung der Anführer stellt Markus regelmäßig diejenige der »Menge« oder des »Volkes« gegenüber, die Jesus gegenüber freundlich eingestellt sind. Dreimal (323) vermerkt der Evangelist, dass die Autoritäten an ihrer mörderischen Absicht durch die Furcht vor der Reaktion des Volkes gehindert wurden. Dennoch gelingt es den Hohenpriestern am Ende des Prozesses vor Pilatus, die Menge in Erregung zu versetzen und sie für Barabbas (15,11) und damit gegen Jesus Partei ergreifen zu lassen (15,13). Die endgültige Entscheidung des Pilatus, der die Menge nicht zu beruhigen vermag, besteht darin, sie »zufrieden zu stellen«, was für Jesus die Kreuzigung bedeutet (15,15). Diese zufällige Volksmenge darf selbstverständlich nicht mit dem jüdischen Volk der damaligen Zeit und erst recht nicht mit dem jüdischen Volk aller Zeiten verwechselt werden. Sie steht eher für die sündige Welt (Mk 14,41), zu der wir alle gehören.

Den Hohen Rat macht Markus dafür verantwortlich, Jesus »verurteilt« zu haben (10,33; 14,64). Von Pilatus sagt er nicht, dass er einen Schuldspruch gegen Jesus gefällt habe, sondern nur, dass er ihn zur Hinrichtung freigegeben habe (15,15), ohne einen Grund der Anklage gegen ihn zu besitzen (15,14). Das erhöht freilich noch die Schuld des Pilatus. Der Grund für Jesu Verurteilung durch den Hohen Rat liegt darin, dass er mit seiner zustimmenden und detaillierten Antwort auf die Frage des Hohenpriesters, ob er »der Messias, der Sohn des Hochgelobten« sei, eine »Gotteslästerung« ausgesprochen habe (14,61-64). Damit gibt Markus den dramatischsten Konfliktpunkt zwischen den jüdischen Autoritäten und der Person Jesu und seitdem zwischen Judentum und Christentum an. Für die Christen bedeutet die Antwort Jesu keine Gotteslästerung, sondern die pure Wahrheit, die durch die Auferstehung Jesu an den Tag gekommen ist. In den Augen der Gesamtheit der Juden behaupten die Christen zu Unrecht eine Gottessohnschaft Christi in einem Sinne, der in hohem Maße Gott beleidigt. So schmerzlich diese grundlegende Uneinigkeit auch sei, so darf sie doch nicht in wechselseitige Feindseligkeit umschlagen noch den Besitz eines reichen gemeinsamen Erbes vergessen lassen, zu dem auch der Glaube an den einzigen Gott gehört.

Ergebnis. Man versteht das Markusevangelium nicht recht, wenn man behauptet, es gebe dem jüdischen Volk die Verantwortung für den Tod Jesu. Eine solche Auslegung, die im Laufe der Geschichte verheerende Auswirkungen gehabt hat, entspricht in keiner Weise der Sicht des Evangelisten, der, wie wir sagten, mehrfach die Haltung des Volkes oder der Volksmenge derjenigen der Jesus gegenüber feindlich eingestellten Autoritäten gegenüberstellt. Auf der anderen Seite vergisst man auch leicht, dass auch die Jünger Jesu zum jüdischen Volk gehörten. So handelt es sich um eine missbräuchliche Übertragung der Verantwortung, wie man dies im Laufe der Menschheitsgeschichte nicht selten antrifft. (324)

Demgegenüber ist festzuhalten, dass das Leiden Jesu Teil eines geheimnisvollen Planes Gottes, eines Heilsplans ist, denn Jesus ist gekommen, »um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (10,45), und er hat aus seinem vergossenen Blut ein »Blut des Bundes« (14,24) gemacht.

3. Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte

73 Mit ihrer Widmung an den »hochverehrten Theophilus« und dem Ziel, seiner christlichen Unterweisung zu dienen (Lk 1,3-4; Apg 1,1), erweisen sich das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte als Schriften, die zur gleichen Zeit sehr offen für den Universalismus und sehr freundlich gegenüber Israel eingestellt sind.

Die Bezeichnungen »Israel«, »die Juden« und »das Volk«

Ein positives Bild von »Israel« zeichnet zunächst die Kindheitsgeschichte, in der dieses Wort siebenmal vorkommt. Im weiteren Verlauf des Evangeliums begegnet der Ausdruck noch fünfmal, und zwar in eher kritischen Zusammenhängen. Von den Juden ist nur fünfmal die Rede, davon dreimal in dem Titel »König der Juden«, der Jesus in der Passionsgeschichte verliehen wird. Aufschlussreicher ist der Gebrauch des Wortes »Volk«, das im Evangelium 36-mal vorkommt (gegenüber zweimal im Markusevangelium) und dort durchgehend in einem freundlichen Licht erscheint, selbst am Ende des Leidensberichtes. (325)

In der Apostelgeschichte bleibt die Sicht am Anfang positiv, denn die Apostel verkündigen die Auferstehung Christi und die Vergebung der Sünden »dem ganzen Hause Israel« (2,36) und erreichen den Anschluss zahlreicher Hörer an die Gemeinde (2,41; 4,4). Das Wort »Israel« kommt in der ersten Hälfte der Apostelgeschichte vierzehnmal vor (Apg 1,6 – 13,24) und ein fünfzehntes Mal am Schluss (28,20). Mit 48 Vorkommen ist das Wort »Volk« erheblich stärker belegt. »Das Volk« erscheint zunächst der christlichen Gemeinde gegenüber freundlich eingestellt (2,47; 5,26), folgt aber schließlich dem Beispiel seiner Führer und zeigt eine feindliche Haltung (12,4.11), bis hin zu dem Wunsch, Paulus solle sterben (21,30-31). Dieser hält demgegenüber fest, er habe »sich nicht gegen das Volk vergangen« (28,17). Dieselbe Entwicklung zeigt sich beim Gebrauch des Wortes »Juden«, das sehr häufig (79-mal) vorkommt. Die Juden des Pfingsttages (2,5), an die sich Petrus wendet und die er dabei respektvoll mit diesem Namen anredet (2,14), werden zum Glauben an den auferstandenen Christus aufgerufen und folgen in großer Zahl diesem Ruf. Am Anfang sind sie die einzigen, an die das Wort gerichtet wird (11,19). Freilich werden sie bald, vor allem seit dem Martyrium des Stephanus, zu Verfolgern. Die Hinrichtung des Jakobus durch Herodes Antipas gefällt ihnen (12,2-3) und weckt die »Erwartung«, dass dem Petrus das gleiche Los zuteil würde (12,11). Paulus war vor seiner Bekehrung ein leidenschaftlicher Verfolger (8,3; vgl. Gal 1,13); dann wird aus dem Verfolger der Verfolgte: schon in Damaskus »beschlossen die Juden, ihn zu töten« (9,23); die gleiche Absicht wird sich auch in Jerusalem zeigen (9,29). Dennoch fährt Paulus fort, »in den Synagogen der Juden« Christus zu verkündigen (13,5; 14,1), und führt »eine große Zahl von Juden und Griechen« (14,1) zum Glauben. Dieser Erfolg ruft freilich feindliche Reaktionen der »Juden, die sich widersetzten«, hervor (14,2). Die gleiche Abfolge wiederholt sich mehrfach mit verschiedenen Abwandlungen bis zur Verhaftung des Paulus in Jerusalem, die durch »die Juden aus der Provinz Asien« (21,27) ausgelöst worden war. Auch diese Entwicklung hindert Paulus nicht daran, voll Stolz zu erklären: »Ich bin ein Jude« (22,3). Er erfährt Feindseligkeit vonseiten der Juden, ohne ihnen gegenüber selbst feindlich zu werden.

Das Evangelium

74 Das Kindheitsevangelium schafft eine dem jüdischen Volk gegenüber äußerst gewogene Atmosphäre. Die Ankündigungen außergewöhnlicher Geburten nennen »Israel« (1,68) oder auch »Jerusalem« (2,38) als Empfänger des Heils in der Erfüllung einer Heilsordnung, die in der Geschichte des Volkes verwurzelt ist. So kommt es zu »großer Freude für das ganze Volk« (2,10), »Erlösung« (1,68-69), »Heil« (2,30-31) und »Herrlichkeit für dein Volk Israel« (2,32). Diese guten Botschaften werden freudig aufgenommen. Freilich zeichnet sich für die Zukunft eine negative Haltung gegenüber der Gabe Gottes ab, denn Simeon sagt Maria voraus, dass ihr Kind ein »Zeichen«, werden würde, »dem widersprochen wird«, und dass es zum »Fall« und zur »Aufrichtung« (oder: Auferstehung) »vieler in Israel« (2,34) bestimmt sein würde. So eröffnet Simeon eine vertiefte Sicht, in der der Retter sich feindlichen Mächten gegenübergestellt sieht. Ein Anflug von Universalismus, wie er sich bei Deuterojesaja (42,6; 49,6) findet, verbindet das »Licht zur Erleuchtung der Heiden« mit der »Herrlichkeit für dein Volk Israel« (2,32), was eindeutig zeigt, dass Universalismus nicht Antijudaismus bedeutet.

Im weiteren Verlauf des Evangeliums fügt Lukas weitere universalistische Züge hinzu: zunächst bei der Predigt Johannes des Täufers (3,6; vgl. Jes 40,5), dann bei der Verlängerung des Stammbaums Jesu bis zurück zu Adam (3,38). Beim Beginn der öffentlichen Tätigkeit Jesu mit seiner Predigt in Nazaret (4,16-30) offenbart sich freilich, dass der Universalismus auf Widerstand stoßen wird. Jesus ruft hier seine Mitbürger dazu auf, seine Heilkraft nicht für sich behalten zu wollen, sondern anzunehmen, dass seine Gaben auch Fremden zuteil würden (4,23-27). Daraufhin geraten sie in Wut; sie treiben ihn aus der Stadt heraus und versuchen, ihn umzubringen (4,28-29). So kündigt Lukas schon früh an, wie die Juden häufig auf die Erfolge des Paulus bei den Heiden reagieren würden. Die Juden widersetzen sich heftig einer Verkündigung, die ihre Vorrechte als auserwähltes Volk einebnen würde. (326) Statt sich für den Universalismus des Deuterojesaja zu öffnen, folgen sie Baruch, der ihnen rät, ihre Vorrechte nicht Fremden zu überlassen (Bar 4,3). Freilich widerstehen andere Juden dieser Versuchung und stellen sich großmütig in den Dienst der Evangelisierung (Apg 18,24-26).

Lukas gibt die Evangeliumsüberlieferungen wieder, die Jesus dem Widerstand der Schriftgelehrten und der Pharisäer ausgesetzt sehen (Lk 5,17 – 6,11). In 6,11 schwächt er freilich die Feindseligkeit dieser Gegner ab, indem er ihnen nicht, wie Mk 3,6, von Anfang an die Absicht zuschreibt, Jesus umzubringen. Die lukanische Anklagerede gegen die Pharisäer (11,42-44), die dann auf die »Gesetzeslehrer« ausgedehnt wird (11,46-52), ist deutlich kürzer als ihr matthäisches Gegenstück (Mt 23,2-39). Die Parabel vom Barmherzigen Samariter beantwortet die Frage eines Gesetzeslehrers und lehrt ihn die Universalität der Liebe (Lk 10,29.36-37). Sie stellt einen jüdischen Priester und einen Leviten in schlechtes Licht und stellt ihnen als positives Gegenbeispiel einen Samariter gegenüber (vgl. auch 17,12-19). Die Gleichnisse von der Barmherzigkeit (15,4-32), die sich an die Pharisäer und die Schriftgelehrten richten, fordern diese gleichfalls zur Öffnung des Herzens auf. Die Parabel vom Barmherzigen Vater (15,11-32), die den älteren Sohn zur Öffnung gegenüber dem Verlorenen Sohn aufruft, lädt nicht unmittelbar, wie gelegentlich behauptet, zur Anwendung auf die Beziehungen zwischen Juden und Heiden ein (der ältere Sohn würde danach für die gesetzestreuen Juden stehen, die wenig Bereitschaft zeigten, die Heiden aufzunehmen, die als Sünder galten). Immerhin kann man die Möglichkeit offen lassen, dass der größere Kontext des lukanischen Werkes mit seinem Nachdruck auf dem Universalismus eine solche Anwendung ermöglicht.

Die Parabel von den Minen (19,11-27) enthält eine Reihe bezeichnender Einzelzüge. Sie handelt von einem Thronbewerber, der sich an der Feindseligkeit seiner Mitbürger stößt. Er muss in ein fernes Land gehen, um die Königswürde zu erlangen. Bei seiner Rückkehr lässt er seine Gegner hinrichten. Diese Parabel bedeutet wie diejenige von den Bösen Winzern (20,9-19) eine ernste Warnung Jesu vor den voraussehbaren Folgen der Ablehnung seiner Person. Andere Abschnitte des Lukasevangeliums ergänzen diese Sicht, indem sie von dem Schmerz Jesu angesichts solch tragischer Folgen sprechen: Er weint über das Geschick Jerusalems (19,41-44) und stellt sein eigenes beklagenswertes Los unter das Unglück der Frauen und ihrer Kinder in dieser Stadt (23,28-31).

Der lukanische Leidensbericht ist gegenüber den jüdischen Autoritäten nicht besonders streng. Beim Erscheinen Jesu vor dem »Hohen Rat«, den »Hohenpriestern und Schriftgelehrten« (22,66-71) verzichtet Lukas auf die Konfrontation mit dem Hohenpriester, die Anklage wegen Gotteslästerung und die Verurteilung, womit die Schuld der Feinde Jesu erheblich gemindert wird. Diese tragen in der Folge vor Pilatus Anklagen politischer Art vor (23,2). Pilatus erklärt Jesus dreimal für unschuldig (23,4.14.22); er will ihn nur »züchtigen« (23,16.22), d. h. auspeitschen lassen, gibt aber dann dem wachsenden Druck der Menge nach (23,23-25), die aus »den Hohenpriestern, den anderen führenden Männern und dem Volk« (23,13) bestand. In der Folge bleibt die Haltung der »führenden Männer des Volkes« feindselig (23,35), während diejenige des Volkes erneut Jesus gegenüber freundlich wird (23,27.35.48) – wie wir bereits sagten –, wie sie es zur Zeit des öffentlichen Lebens Jesu gewesen war. Jesus selbst betet für seine Henker, die er großzügig entschuldigt, »denn sie wissen nicht, was sie tun« (23,34). Im Namen Jesu, des Auferstandenen, soll »die Bekehrung zur Vergebung der Sünden ... allen Völkern« verkündet werden (24,47). Dieser Universalismus besitzt keinen polemischen Zug, denn der Auftrag gilt »angefangen in Jerusalem«. Diese Sicht entspricht derjenigen des Simeon vom messianischen Heil, das von Gott bereitet ist als »Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit [seines] Volkes Israel« (2,30-32).

So vermacht das Dritte Evangelium der Apostelgeschichte eine Einstellung, die für das jüdische Volk grundsätzlich aufgeschlossen ist. Die Mächte des Bösen hatten ihre »Stunde«. »Hohepriester, Hauptleute der Tempelwache und Älteste« waren ihr Werkzeug gewesen (22,52-53). Aber sie sollten sich nicht durchsetzen. Gottes Plan hat sich nach der Schrift verwirklicht (24,25-27.44-47), und er sieht in Barmherzigkeit das Heil für alle vor.

Die Apostelgeschichte

75 Der Anfang der Apostelgeschichte führt die Apostel Christi von einer engen Sicht, die nur nach der Wiederherstellung des Reiches für Israel (1,6) fragt, zu einer universalistischen Perspektive (Apg 1,6), in der es darum geht, Zeugnis »bis an die Grenzen der Erde« abzulegen (1,8). Das Pfingstereignis sieht überraschenderweise die Juden in dieser universalistischen Perspektive, und zwar auf sehr sympathische Weise: »In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel« (2,5). Diese Juden sind die ersten Empfänger der apostolischen Predigt; zugleich symbolisieren sie die universale Ausrichtung des Evangeliums. So legt Lukas erneut nahe, dass sich Judentum und Universalismus nicht nur nicht ausschließen, sondern zueinander gehören.

Die sog. Missionsreden verkünden das Geheimnis Christi, indem sie den starken Gegensatz zwischen menschlicher Grausamkeit, die zum Tode Jesu führte, und befreiendem Eingreifen Gottes hervorheben, das die Auferstehung Jesu bewirkte. Die Schuld der »Israeliten« bestand darin, den »Urheber des Lebens zu töten« (3,15). Diese Schuld, die vor allem diejenige der »Führer des Volkes« (4,8) oder des »Hohen Rates« (5,27.30) war, wird nur in Erinnerung gebracht, um einen Aufruf zur Umkehr und zum Glauben zu begründen. Petrus mindert im übrigen die Schuldhaftigkeit nicht nur der »Israeliten«, sondern auch der »Führer«, indem er erklärt, sie hätten »aus Unwissenheit« gefehlt (3,17). Eine solche Entschuldigung beeindruckt. Sie entspricht aber der Lehre und dem Verhalten Jesu (Lk 6,36-37; 23,34).

Gleichwohl ruft die christliche Predigt bald den Widerspruch der jüdischen Autoritäten hervor. Die Sadduzäer wollen es nicht dulden, dass die Apostel »in Jesus die Auferstehung von den Toten verkünden« (4,2), an die sie nicht glauben. Ein einflussreicher Pharisäer, Gamaliel, ergreift freilich für die Apostel Partei und hält es für möglich, dass »dieses Vorhaben von Gott kommt« (Apg 5,39). Daraufhin lässt der Widerstand für eine gewisse Zeit nach. Er flammt dann vonseiten der hellenistischen Synagogen wieder auf, als Stephanus, selber ein Hellenist, »Wunder und große Zeichen unter dem Volk« wirkt (6,8-15). Am Ende seiner Rede vor den Mitgliedern des Hohen Rates greift Stephanus auf die Gerichtsreden der Propheten zurück (7,51). So wird er gesteinigt. Wie Jesus bittet er sterbend den Herrn, ihnen »diese Sünde nicht anzurechnen« (7,60; vgl. Lk 23,34). »An jenem Tag brach eine schwere Verfolgung über die Kirche in Jerusalem herein« (Apg 8,1). »Saulus« nimmt daran leidenschaftlich Anteil (8,3; 9,13).

Nach seiner Bekehrung und während seiner Missionsreisen ist er es, der – wie wir bereits sagten – vor allem den Widerstand seiner Volksgenossen erfährt, und zwar aufgrund des Erfolges seiner universalistischen Predigt. Dieser Sachverhalt kommt vor allem nach seiner Verhaftung in Jerusalem an den Tag. Als er »in hebräischer Sprache« das Wort ergreift, hört ihn »das Volk« (21,36) zunächst ruhig an (22,2), doch nachdem er auf seine Sendung »zu den Heiden« zu sprechen kommt, wird es zutiefst gegen ihn aufgebracht und verlangt seinen Tod (22,21-22).

Der Schluss der Apostelgeschichte ist überraschend, aber gerade darum bedeutungsvoll. Kurz nach seiner Ankunft in Rom »rief er (Paulus) die führenden Männer der Juden zusammen« (28,17), was ohne Gegenbeispiel ist. »Er versuchte sie vom Gesetz des Mose und von den Propheten aus für Jesus zu gewinnen« (28,23). Was Paulus anstrebt, ist weniger der individuelle Anschluss Einzelner, als vielmehr eine kollektive Entscheidung, die die ganze jüdische Gemeinde betrifft. Nachdem er diese nicht erreicht, hält er ihnen die harten Worte des Jesaja gegenüber »diesem Volk« wegen dessen Verstockung entgegen (28,25-27; Jes 6,9-10) und kündigt die bereitwillige Aufnahme an, die die Heidenvölker im Gegensatz dazu dem von Gott angebotenen Heil entgegenbringen werden (28,28). Mit diesem bis heute umstrittenen Schluss möchte Lukas offensichtlich der unleugbaren Tatsache Rechnung tragen, dass es schließlich keine kollektive Annahme des Evangeliums Christi durch das jüdische Volk gab. Zugleich möchte Lukas dem möglichen Einwand gegen den christlichen Glauben begegnen, den man aus diesem Sachverhalt ableiten konnte, indem er aufzeigt, dass diese Ablehnung in der Schrift vorhergesehen war.

Ergebnis

Im Werk des Lukas kommt ohne Zweifel eine tiefe Hochachtung gegenüber dem Judentum zum Ausdruck, insofern es eine herausragende Rolle im göttlichen Heilsplan spielt. Freilich zeigen sich im Laufe des lukanischen Berichts tiefe Spannungen. Dabei mildert Lukas den polemischen Ton, den man in den anderen synoptischen Evangelien findet. Dennoch kann Lukas die Tatsache nicht übergehen – und will es auch nicht –, dass Jesus auf grundlegende Ablehnung vonseiten der Autoritäten seines Volkes stieß und dass die apostolische Verkündigung später das gleiche Schicksal erlitt. Wenn die Tatsache, dass man nüchtern von den Äußerungen dieses jüdischen Widerstands berichtet, bereits Antijudaismus ist, dann könnte man Lukas Antijudaismus vorwerfen. Doch ist diese Sicht klar zurückzuweisen. Der Antijudaismus besteht vielmehr in der Verwünschung der Verfolger und im Hass gegen sie und ihr ganzes Volk. Die Botschaft des Evangeliums lädt demgegenüber die Christen ein, denen Gutes zu tun, die sie hassen, und für die zu beten, die sie misshandeln (Lk 6,27-28), entsprechend dem Beispiel Jesu (23,34) und des ersten christlichen Märtyrers Stephanus (Apg 7,60). Das ist eine der grundlegenden Lehren des lukanischen Werks. Es ist zu bedauern, dass sie im Laufe der späteren Jahrhunderte nicht treuer befolgt wurde.

4. Das Johannesevangelium

76 Über die Juden enthält das Vierte Evangelium die positivste Aussage, die man sich wünschen kann, und zwar aus dem Munde Jesu in seinem Gespräch mit der Samariterin: »Das Heil kommt von den Juden« (Joh 4,22). 327 Auf der anderen Seite erkennt der Evangelist in dem Wort des Hohenpriesters Kajafas, nach dem es »besser« sei, »wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt«, eine Eingebung Gottes und betont, dass Jesus »für das Volk sterben musste«, mit der Verdeutlichung, »nicht nur für das Volk, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln« (Joh 11,49-52). Der Evangelist zeigt eine gute Kenntnis des Judentums, seiner Feste und seiner Schrift. Der Wert des jüdischen Erbes wird eindeutig anerkannt: Abraham sah den Tag Jesu und freute sich (8,56); das Gesetz ist von Gott durch die Vermittlung des Mose gegeben (1,17); »die Schrift kann nicht aufgehoben werden« (10,35); Jesus ist »der, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben« (1,45); er ist »Jude« (4,9) und »König von Israel« (1,49) oder »König der Juden« (19,19-22). Es lässt sich nicht sinnvoll bezweifeln, dass der Evangelist ein Jude war und dass die Beziehung zum Judentum die Abfassung seines Evangeliums bestimmte.

Der Ausdruck »Juden« findet sich 71-mal im Vierten Evangelium, zumeist im Plural, dreimal im Singular (3,25; 4,9; 18,35). Er wird nicht zuletzt auf »Jesus« angewendet (4,9). Die Bezeichnung »Israelit« erscheint nur einmal; es handelt sich um einen Ehrentitel (1,47). Eine Anzahl von Juden zeigt sich Jesus gegenüber aufgeschlossen. So etwa Nikodemus, »ein führender Mann unter den Juden« (3,1), der in Jesus einen Lehrer erkennt, der von Gott gekommen ist (3,2), ihn vor den übrigen Pharisäern verteidigt (7,50-51) und nach Jesu Tod am Kreuz für dessen Begräbnis sorgt (19,39). Am Ende glaubten »viele von den führenden Männern« an Jesus, nur fehlte ihnen der Mut, sich als seine Jünger zu bekennen (12,42). Der Evangelist berichtet immer wieder, dass »viele« zum Glauben an Jesus kamen. (328) Der Textzusammenhang zeigt, das es sich um Juden handelte mit Ausnahme von 4,39.41; gelegentlich hält der Evangelist es ausdrücklich fest, wenn auch selten (8,31; 11,45; 12,11). Meistens sind die «Juden« freilich Jesus gegenüber feindlich eingestellt. Ihr Widerstand flammt auf bei der Heilung des Gelähmten, die am Sabbat erfolgte (5,16). Er nimmt an Heftigkeit zu, als Jesus »sich Gott gleichstellte«; seitdem versuchen die »Juden«, ihn zu töten (5,18). Später werfen sie ihm wie der Hohepriester von Mt 26,65 und Mk 14,64 beim Prozess Jesu »Gotteslästerung« vor und versuchen an ihm die dafür vorgesehene Strafe zu vollziehen; die Steinigung (10,31-33). Man hat mit Recht vermerkt, dass ein großer Teil des Vierten Evangeliums dem Prozess Jesu vorgreift, in dem Jesus die Möglichkeit erhält, sich selbst zu verteidigen und seine Ankläger anzugreifen. Diese Ankläger werden oft »die Juden« genannt, ohne weiteren Zusatz, was leicht dazu führt, mit diesem Namen ein negatives Urteil zu verbinden. Doch handelt es sich hier nicht um einen grundsätzlichen Antijudaismus, denn das Evangelium erkennt an – wie wir sahen –, dass »das Heil von den Juden kommt« (4,22). Die genannte Ausdrucksweise spiegelt nur eine Situation fortgeschrittener Trennung zwischen den christlichen und den jüdischen Gemeinden wider.

Der schlimmste Vorwurf, den Jesus den »Juden« entgegenhält, ist derjenige, sie hätten den Teufel zum Vater (8,44); dabei gilt es festzuhalten, dass sich dieser Vorwurf nicht an Juden als Juden richtet, sondern vielmehr als solche, die keine wahren Juden mehr sind, da sie mörderische Absichten hegen (8,37), die vom Teufel, dem »Mörder von Anfang an«, eingegeben sind (8,44). So handelte es sich nur um eine sehr begrenzte Anzahl von mit Jesus zeitgenössischen Juden; nach dem zitierten Text waren es sogar »Juden, die an ihn glaubten« (8,31). Mit seiner heftigen Anklage warnte das Vierte Evangelium die anderen Juden vor ähnlichen mörderischen Absichten.

77 Ein Versuch, die Spannung zu beseitigen, die die Texte des Vierten Evangeliums zwischen Christen und Juden in der heutigen Welt hervorrufen können, besteht in dem Vorschlag, statt »Juden« eher »Judäer« zu sagen. Der Gegensatz bestünde dann nicht zwischen den »Juden« und den Jüngern Jesu, sondern zwischen den Einwohnern Judäas, die Jesus gegenüber feindlich geschildert werden, und denen von Galiläa, die gegenüber ihrem Propheten aufgeschlossen erscheinen. Die Verachtung der Judäer gegenüber den Galiläern kommt zweifellos im Evangelium zum Ausdruck (7,52), doch bestimmt der Evangelist die Trennungslinie zwischen Glauben und Verweigerung des Glaubens nicht nach geographischen Gesichtspunkten und nennt hoi Ioudaioi auch die Juden aus Galiläa, die die Lehre Jesu verwerfen (6,41-52).

Eine andere Deutung des Ausdrucks »die Juden« besteht darin, »die Juden« mit »der Welt« gleichzusetzen auf der Grundlage von Aussagen, die zwischen beiden Größen ein Beziehung (8,23) oder eine Entsprechung behaupten. (329) Doch geht die sündige Welt ganz offensichtlich über die Gesamtheit der Jesus gegenüber feindlich eingestellten Juden hinaus.

Man hat gleichfalls darauf hingewiesen, dass es sich an zahlreichen Stellen in Vierten Evangelium, wo von »den Juden« die Rede ist, genauer genommen um jüdische Autoritäten (Hohepriester, Mitglieder des Hohen Rates) oder gelegentlich Pharisäer handelt. Ein Vergleich von 18,3 mit 18,12 führt in diese Richtung. Im Leidensbericht nennt Johannes mehrfach »die Juden«, wo die synoptischen Evangelien von den jüdischen Autoritäten sprechen. Freilich gilt diese Beobachtung nur für eine begrenzte Zahl von Textabschnitten, und man kann diese Verdeutlichung (»jüdische Autoritäten«) nicht in eine Übersetzung des Evangeliums einführen, ohne den Texten untreu zu werden. Diese sind das Ergebnis einer Situation, in der die christlichen Gemeinden Widerstand nicht nur vonseiten der jüdischen Autoritäten, sondern auch der großen Mehrheit der Juden, die mit ihren Autoritäten solidarisch waren (vgl. Apg 28,22), erfuhren. Geschichtlich betrachtet kann man sich denken, dass nur eine Minderheit der mit Jesus zeitgenössischen Juden ihm gegenüber feindlich eingestellt war und dass nur eine kleine Anzahl die Verantwortung für seine Auslieferung an die römischen Behörden trug; eine noch kleinere Zahl wird seinen Tod gewollt haben, und zwar aus religiösen Gründen, die ihnen unabweisbar schienen. (330) Aber diesen wenigen gelang es, eine allgemeine Willensbekundung zugunsten von Barabbas und gegen Jesus zu inszenieren, (331) was dem Evangelisten den Gebrauch eines verallgemeinernden Ausdruck erlaubt, der auf eine spätere Entwicklung verweist.

Die Trennung zwischen den Jüngern Jesu und »den Juden« zeigt sich im Evangelium gelegentlich im Synagogenausschluss von Juden, die ihren Glauben an Jesus bekannten. (332) Vermutlich wurde diese Maßnahme gegen diejenigen Juden der johanneischen Gemeinden ergriffen, die von den anderen Juden als Apostaten angesehen wurden aufgrund ihrer Untreue gegenüber dem jüdischen monotheistischen Glauben (was nicht der Wirklichkeit entsprach, da Jesus sagt: »Ich und der Vater sind eins«: 10,30). So wurde es gebräuchlich, »die Juden« für diejenigen zu sagen, die sich diesen Namen vorbehielten im Gegensatz zum christlichen Glauben.

78 Ergebnis. Das öffentliche Leben Jesu hatte zu einem wachsenden Widerstand vonseiten der jüdischen Autoritäten geführt. Diese fassten am Ende den Entschluss, Jesus der römischen Autorität zu übergeben, die ihn zu Tode bringen sollte. Doch er erwies sich als lebend, um all denen das Leben zu schenken, die an ihn glauben sollten. Das Vierte Evangelium bringt diese Ereignisse in Erinnerung, indem es sie im Lichte der Erfahrung des johanneischen Gemeinden neu versteht, die auf den Widerstand der jüdischen Gemeinden gestoßen waren.

Werk und Wort Jesu zeigten, dass er mit Gott eine einzigartige, enge Sohnesbeziehung besaß. Die apostolische Glaubensunterweisung vertiefte fortschreitend das Verständnis dieser Beziehung. In den johanneischen Gemeinden betonte man ganz besonders die Bande zwischen dem Sohn und dem Vater, und man behauptete die Gottheit Jesu als »Christus, der Sohn Gottes« (20,31) in einem transzendenten Sinne. Diese Lehre stieß auf den Widerstand der Leiter der Synagogen, denen sich die Gesamtheit der jüdischen Gemeinden anschloss. So wurden die Christen aus den Synagogen ausgeschlossen (16,2) und fanden sich zum gleichen Zeitpunkt Repressalien der römischen Behörden ausgesetzt, da sie nicht mehr die Freiheiten der jüdischen Religionsgemeinschaft genossen.

Die Polemik nahm von beiden Seiten an Schärfe zu. Von den Juden wurde Jesus vorgeworfen, er sei ein Sünder (9,24) bzw. ein Gotteslästerer (10,33) und besitze einen bösen Geist. (333) Diejenigen, die an ihn glaubten, wurden als Ignoranten und Verfluchte angesehen (7,49). Von den Christen wurde den Juden vorgeworfen, sie verschlössen sich gegenüber dem Wort Gottes (5,38), widerstünden der Liebe Gottes (5,42) und suchten eitlen Ruhm (5,44).

Nachdem die Christen nicht mehr am gottesdienstlichen Leben der Juden teilnehmen konnten, wurden sie sich stärker der Fülle bewusst, die ihnen vom fleischgewordenen Wort her zugekommen war (1,16). Der auferstandene Jesus ist Quell lebendigen Wassers (7,37-38), Licht der Welt (8,12), Brot des Lebens (6,35) und neuer Tempel (2,19-22). Nachdem er die Seinen bis zum Ende geliebt hatte (13,1), gab er ihnen sein neues Gebot der Liebe (13,34). Es gilt alles zu tun, damit sich der Glaube an ihn ausbreitet und durch ihn das Leben gefunden werden kann (20,31). Im Evangelium ist die Polemik von untergeordneter Bedeutung. Worauf es vor allem ankommt, ist die Offenbarung der »Gabe Gottes« (4,10; 3,16), die allen in Christus angeboten wird, vor allem denjenigen, »die ihn durchbohrt haben« (19,37).

5. Ergebnis

Die Evangelien zeigen, dass die Verwirklichung des göttlichen Heilsplans notwendigerweise einen Konflikt mit dem Bösen mit sich brachte, das es aus dem menschlichen Herzen auszurotten galt. Diese Konfrontation brachte Jesus in Konflikt mit der Führungsklasse seines Volkes, wie dies schon bei den alten Propheten der Fall gewesen war. Schon im Alten Testament zeigte sich das jüdische Volk von zwei gegensätzlichen Seiten: einerseits als ein Volk, das berufen war, vollkommen mit Gott verbunden zu sein; anderseits als ein sündiges Volk. Diese beiden Seiten mussten sich auch im Laufe des öffentlichen Lebens Jesu offenbaren. Im Augenblicke des Leidens Jesu schien die negative Seite die Oberhand zu gewinnen, selbst in der Haltung der Zwölf. Doch hat die Auferstehung gezeigt, dass in Wirklichkeit die göttliche Liebe den Sieg davontrug und allen die Vergebung der Verfehlungen und ein neues Leben gewährte.

C. Die Juden in den Paulusbriefen und in anderen Schriften des Neuen Testaments

79 Das Zeugnis der Paulusbriefe soll hier in der gewöhnlich akzeptierten Reihenfolge dargestellt werden: zunächst die sieben Briefe, deren Echtheit allgemein anerkannt ist (Röm, 1-2 Kor, Gal, Phil, 1 Thess, Phlm), dann der Epheser- und der Kolosserbrief und schließlich die Pastoralbriefe (1-2 Tim, Tit). Anschließend werden der Hebräerbrief, die Petrusbriefe, die Briefe des Jakobus und Judas und die Offenbarung des Johannes untersucht.

1. Die Juden in den unbestritten echten Paulusbriefen

Persönlich bleibt Paulus stolz auf seine jüdische Herkunft (Röm 11,1). Von der Zeit, die seiner Bekehrung vorausging, erklärt er: »In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk, und mit größtem Eifer setzte ich mich für die Überlieferungen meiner Väter ein« (Gal 1,14). Selbst nachdem er Apostel Christi geworden ist, sagt er noch von seinen Rivalen: »Sie sind Hebräer – ich auch. Sie sind Israeliten – ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich auch« (2 Kor 11,22). Dennoch kann er alle diese Vorzüge in Frage stellen und sagen: »Was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Verlust erkannt« (Phil 3,7).

Doch dessen ungeachtet denkt und argumentiert Paulus weiter wie ein Jude. Sein Denken bleibt sichtlich von jüdischen Vorstellungen geprägt. Man findet in seinen Schriften nicht nur, wie bereits erwähnt, ständige Verweise auf das Alte Testament, sondern auch zahlreiche Spuren jüdischer Überlieferungen. Im Ubrigen greift Paulus häufig auf rabbinische Auslegungstechniken und Argumentationsmuster zurück (vgl. I.D.3, Nr. 14).

Die Verbindung des Paulus mit dem Judentum zeigt sich auch in seiner sittlichen Unterweisung. Trotz des Widerstandes gegen die Anmaßungen der Verfechter des Gesetzes bedient er sich selbst einer Vorschrift des Gesetzes, Lev 19,18 (»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«), um die gesamte Sittlichkeit zusammenzufassen. (334) Diese Weise, das Gesetz in einer einzigen Vorschrift zusammenzufassen, ist im Ubrigen typisch jüdisch, wie eine bekannte Anekdote von Rabbi Hillel und Rabbi Schammai, Zeitgenossen Jesu, zeigt. (335)

Welche Haltung nahm der Apostel gegenüber den Juden ein? Im Prinzip eine positive. Er nennt sie »meine Brüder, die der Abstammung nach mit mir verbunden sind« (Röm 9,3). Überzeugt, dass das Evangelium Christi »eine Kraft Gottes« ist, »die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden« (Röm 1,16), wünschte er ihnen den Glauben zu vermitteln und versäumte nichts, was diesem Zweck gedient hätte; er konnte erklären: »Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen,« (1 Kor 9,20) oder sogar: »Denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem Gesetz stehen« (1 Kor 9,20). Selbst in seinem Apostolat unter Heiden versuchte Paulus, seinen Stammesbrüdern indirekt nützlich zu sein »in der Hoffnung, wenigstens einige von ihnen zu retten« (Röm 11,14). Er hoffte dabei auf einen Eifersuchtseffekt (11,11.14): Der Anblick wunderbarer geistlicher Fruchtbarkeit, die der Glaube an Jesus Christus den bekehrten Heiden schenkte, würde bei den Juden das Verlangen wecken, sich nicht länger übertreffen zu lassen, und würde sie dazu führen, sich gleichfalls diesem Glauben zu öffnen.

Der Widerstand der meisten Juden gegen die christliche Verkündigung erfüllte Paulus mit »Trauer« und »unablässigem Schmerz« (Röm 9,2), was die Tiefe seiner Gefühle für sie zeigt. Er erklärt sich bereit, für sie das größte und widersinnigste Opfer zu bringen, nämlich selbst zum »Fluch« zu werden, getrennt von Christus (9,3). Seine Zuneigung und sein Leiden treiben ihn, eine Lösung zu entdecken: In drei langen Kapiteln (Röm 9 – 11) vertieft er das Problem oder eher das Geheimnis der Stellung Israels im Heilsplan Gottes im Licht Christi und der Schrift, und er gibt nicht nach, bis er zu dem Schluss kommt: »dann wird ganz Israel gerettet werden« (Röm 11,26). Diese drei Kapitel des Römerbriefes bieten die tiefste Reflexion innerhalb des Neuen Testamentes über die Lage der Juden, die nicht an Jesus glauben. Paulus bringt hier sein Denken in der größten Reife zum Ausdruck.

Die von ihm vorgeschlagene Lösung stützt sich auf die Schrift, die an bestimmten Stellen das Heil nur für einen »Rest« aus Israel vorsieht. (336) So gibt es in der gegenwärtigen Stunde nur einen »Rest« von Israeliten, die an Jesus Christus glauben, doch ist dieser Zustand nicht endgültig. Paulus bemerkt, dass schon jetzt das Vorhandensein des »Restes« zeigt, dass Gott »sein Volk nicht verstoßen hat« (11,1). Dieses ist weiter »heilig«, d. h. in enger Verbindung mit Gott. Es ist heilig, weil es aus einer heiligen Wurzel stammt, seinen Vorfahren, und weil seine »Erstlingsgabe« geheiligt wurde (11,16). Paulus gibt nicht näher an, ob er unter dieser »Erstlingsgabe« die Vorfahren Israels oder den »Rest« versteht, der durch Glaube und Taufe geheiligt wurde. Im Folgenden benutzt er das aus der Landwirtschaft genommene Bild von der Pflanze, an der einige Zweige abgeschnitten oder aufgepfropft werden (11,17-24). Es liegt auf der Hand, dass die abgeschnittenen Zweige die Israeliten sind, die nicht an Jesus Christus glauben wollten, und dass die aufgepfropften die Heiden sind, die Christen wurden. Diese letzteren mahnt – wie wir sahen – Paulus zur Bescheidenheit: »Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich« (11,18). Den abgeschnittenen Zweigen eröffnet Paulus einen positiven Ausblick: »Gott hat die Macht, sie wieder aufzupfropfen« (11,23); dies wird sogar leichter sein als bei den Heiden, denn es handelt sich um »ihren eigenen Ölbaum« (11,24). Am Ende ist Gottes Plan für Israel ganz positiv: Wenn schon »durch ihr Versagen die Heiden reich« wurden, »dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt« (11,12). Gott sichert ihnen einen Bund der Barmherzigkeit zu (11, 27.31).

80 In den Jahren, die der Abfassung des Römerbriefs vorausgingen, hatte Paulus heftige Töne der Selbstverteidigung gegenüber einem erbitterten Widerstand vieler seiner »Verwandten dem Fleische nach« angeschlagen. Über den Widerstand der Juden schreibt Paulus: »Fünfmal erhielt ich von den Juden die neununddreißig Hiebe« (vgl. Dtn 25,3); kurz darauf vermerkt er, dass er Gefahren von seinen Stammesbrüdern und von Heiden auf sich nehmen musste (2 Kor 11,24-26). Paulus gibt diese traurigen Erfahrungen ohne Kommentar wieder. Er war bereit, »an den Leiden Christi teilzunehmen« (Phil 3,10). Was ihn zu einer sehr heftigen Reaktion führte, waren die Hindernisse, die Juden seinem Apostolat bei den Heiden in den Weg legten. Das zeigt sich in einem Abschnitt des Ersten Briefes an die Thessalonicher (2,14-16). Diese Verse widersprechen so sehr der sonstigen Einstellung des Paulus gegenüber den Juden, dass man versucht hat, sie ihm abzusprechen oder ihre Aussagekraft abzumildern. Doch die eindeutige Handschriftenüberlieferung schließt die Streichung dieser Verse aus, und der Gedankengang verbietet auch, die Anklagen allein auf die Bewohner Judäas zu beschränken, wie man vorgeschlagen hat. Der Schlussvers ist einschneidend: »Der ganze Zorn ist schon über sie gekommen« (1 Thess 2,16). Dieser Vers lässt an die Voraussagen des Jeremia (337) und an einen Satz in 2 Chr 36,16 denken: »Der Zorn des Herrn gegen sein Volk wurde so groß, dass es keine Heilung mehr gab.« Diese Voraussagen und dieser Satz kündigten die nationale Katastrophe des Jahre 587 v. Chr. an: Belagerung und Einnahme von Jerusalem, Brand des Tempels und Verschleppung. Paulus sah offensichtlich eine nationale Katastrophe ähnlichen Ausmaßes voraus. Dabei bleibt festzuhalten, dass die Ereignisse von 587 keinen Endpunkt bedeuteten. Der Herr hatte in der Folgezeit Erbarmen mit seinem Volk. So ergibt sich, dass die schreckliche Voraussicht des Paulus – die sich leider erfüllen sollte – eine spätere Versöhnung nicht ausschloss.

In 1 Thess 2,14-16 erinnert Paulus im Zusammenhang mit den Leiden, die den Christen von Thessalonich von ihren Landsleuten zugefügt worden waren, daran, dass die Kirchen in Judäa das gleiche Geschick vonseiten der Juden erfahren hätten, und wirft diesen letzteren eine Reihe von Verfehlungen vor: »Diese haben sogar Jesus den Herrn und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt«; dann geht der Satz von der Vergangenheit in die Gegenwart über: »Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen so das Heil zu bringen.« Es liegt auf der Hand, dass diese letzte Klage in der Sicht des Paulus die schwerwiegendste ist und dass sie den beiden vorangehenden negativen Urteilen zugrunde liegt. Da die Juden die christliche Verkündigung bei den Heiden zu verhindern suchen, sind sie »Feinde aller Menschen« (338) und »gefallen Gott nicht«. Da sie sich mit allen Mitteln der christlichen Verkündigung widersetzen, zeigen sich Juden der Zeit des Paulus solidarisch mit denjenigen ihrer Väter, die die Propheten getötet haben, und mit denjenigen unter ihren Brüdern, die Jesu Verurteilung zum Tod gefordert hatten. Die Formulierungen des Paulus machen den Eindruck, zu verallgemeinern und die Schuld am Tode Jesu allen Juden ohne Unterschied zuzuschreiben; der Antijudaismus versteht sie so. Stellt man sie jedoch in ihren Kontext, dann betreffen sie nur die Juden, die sich der Verkündigung an die Heiden und so deren Heil widersetzen. Hört der Widerstand auf, dann entfällt auch der Vorwurf.

Ein anderer polemischer Abschnitt findet sich in Phil 3,2-3: »Gebt Acht auf diese Hunde, gebt Acht auf die falschen Lehrer, gebt Acht auf die Verschnittenen (katatom‘)! Denn die Beschnittenen (peritom‘) sind wir«. Mit wem setzt sich hier der Apostel auseinander? Da die Anklagen eher vage bleiben, lassen sie sich nicht mit Sicherheit interpretieren, aber man kann doch zumindest ausschließen, dass sie sich gegen die Juden richten. Nach einer gängigen Meinung dächte Paulus an judaisierende Christen, die den von den »Heidenvölkern« hinzugekommen Christen die Verpflichtungen der Beschneidung hätten auferlegen wollen. Paulus hätte ihnen in aggressiver Weise einen Schimpftitel gegeben, den der »Hunde«, ein Vergleich, der die rituelle Unreinheit aufgreift, die die Juden gelegentlich den Heiden zuschrieben (Mt 15,26), und er hätte die Beschneidung des Fleisches verachtet, die er ironisch »Entmannung« (vgl. Gal 5,12) genannt und der er eine geistliche Beschneidung gegenübergestellt hätte, wie es bereits das Deuteronomium tat, das von der Beschneidung des Herzens sprach. (339) Der Kontext wäre dann derjenige der Kontroverse über die Beachtung jüdischer Bräuche innerhalb der christlichen Gemeinden wie im Galaterbrief. Doch dürfte es besser sein, wie in Offb 22,15 an den heidnischen Kontext zu denken, in dem die Philipper lebten, und Paulus in Auseinandersetzung mit heidnischen Sitten zu sehen: sexuellen Verirrungen, unsittlichen Handlungen und kultischen Verstümmelungen bei orgiastischen Kulten. (340)

81 Bezüglich der Nachkommenschaft Abrahams trifft Paulus – wie wir bereits sahen – eine Unterscheidung zwischen den »Kindern der Verheißung wie Isaak«, die auch Kinder »kraft des Geistes« sind, und den »Kindern des Fleisches«. (341) Es reicht nicht aus, »Kind des Fleisches« zu sein, um »Kind Gottes« (Röm 9,8) zu sein, denn es kommt entscheidend darauf an, sich demjenigen anzuschließen, den »Gott gesandt hat [...], damit wir die Sohnschaft erlangen« (Gal 4,4-5).

In einem anderen Textzusammenhang trifft Paulus nicht diese Unterscheidung, sondern spricht von den Juden ganz allgemein. Hier erklärt er, dass sie den Vorzug besitzen, die göttliche Offenbarung empfangen zu haben (Röm 3,1-2). Dieser Vorzug hat sie freilich nicht vor der Herrschaft der Sünde bewahrt (3,9-12) und damit von der Notwendigkeit, die Rechtfertigung durch den Glauben an Christus und nicht durch die Beobachtung des Gesetzes zu erlangen (3,20-22).

Bei der Betrachtung der Lage der Juden, die sich Christus nicht angeschlossen haben, versucht Paulus seine tiefe Achtung zum Ausdruck zu bringen, die er für sie empfindet, indem er die wunderbaren Gaben aufzählt, die sie von Gott empfangen haben: »Sie sind Israeliten; damit haben sie die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus, der über allem als Gott steht, er ist gepriesen in Ewigkeit. Amen« (Röm 9,4-5). (342) Obwohl die Verben fehlen, will Paulus zweifellos von einem gegenwärtigen Besitz sprechen (vgl. 11,29), selbst wenn dieser nach ihm nicht ausreicht, da die Juden die kostbarste Gabe Gottes, seinen Sohn, ablehnen, der doch dem Fleisch nach von ihnen abstammt. Paulus bescheinigt ihnen, dass sie »Eifer haben für Gott«, doch fügt er hinzu: »aber es ist ein Eifer ohne Erkenntnis. Da sie die Gerechtigkeit Gottes verkannten und ihre eigene aufrichten wollten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen« (10,2-3). Gleichwohl hat Gott sie nicht aufgegeben. Sein Plan ist, ihnen Barmherzigkeit zu erweisen. »Die Verstockung«, die auf einem »Teil Israels« liegt, ist nur eine vorübergehende Phase, die ihren zeitlich begrenzten Nutzen hat (11,25); ihr wird das Heil folgen (11,26). Paulus fasst die Situation in einem antithetischen Satz zusammen, dem eine positive Aussage folgt: »Vom Evangelium her gesehen sind sie Feinde, und das um euretwillen, von ihrer Erwählung her gesehen sind sie geliebt, und das um der Väter willen.

Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt« (11,28-29).

Paulus sieht die Lage realistisch. Zwischen den Jüngern Christi und den Juden, die nicht an ihn glauben, herrscht ein Gegensatz. Diese Juden verweigern den christlichen Glauben; sie wollen nicht annehmen, dass Jesus ihr Messias (Christus) und der Sohn Gottes ist. Die Christen können nicht umhin, die Haltung dieser Juden zu bestreiten. Doch auf einer tieferen Ebene als derjenigen dieses Gegensatzes gibt es die Beziehung der Liebe, und allein diese bleibt, während die andere zeitlich begrenzt ist.

2. Die Juden in den anderen Briefen

82 Im Brief an die Kolosser findet sich das Wort »Jude« nur einmal, und zwar in einem Satz, der besagt, dass es im neuen Menschen »keinen Griechen und keinen Juden« mehr gibt, und der alsbald einen parallelen Ausdruck hinzufügt: »Beschnittene oder Unbeschnittene«; vielmehr ist Christus allein »alles und in allen« (Kol 3,11). Dieser Satz, der die Lehre von Gal 3,28 und Röm 10,12 aufnimmt, bestreitet dem jüdischen Sonderweg jede Bedeutung auf der grundlegenden Ebene der Beziehung zu Christus. Er enthält kein Urteil über die Juden ebenso wenig wie über die Griechen.

Der Wert der Beschneidung vor dem Kommen Christi wird indirekt bestätigt, denn der Verfasser erinnert die Kolosser daran, dass sie »einst tot infolge [ihrer] Sünden« waren, »[ihr] Leib unbeschnitten« war (2,13). Doch dieser Wert der jüdischen Beschneidung ist verblasst durch »die Beschneidung, die Christus gegeben hat«, »eine Beschneidung, die man nicht mit Händen vornimmt ... Wer sie empfängt, sagt sich los von seinem vergänglichen Körper« (2,11). Man erkennt hier eine Anspielung auf die Anteilnahme der Christen am Tode Christi kraft der Taufe (vgl. Röm 6,3-6). Hieraus folgt, dass die Juden, die nicht an Christus glauben, sich in einer unzureichenden religiösen Lage befinden, doch wird die Folgerung nicht ausdrücklich gezogen.

Der Brief an die Epheser enthält das Wort »Jude« kein einziges Mal. Er spricht nur einmal von »Unbeschnittensein« und »Beschneidung«, und zwar in einem Satz, der auf die Verachtung der Juden gegenüber den Heiden anspielt. Diese wurden »von denen, die äußerlich beschnitten sind, Unbeschnittene genannt« (2,11). Auf der anderen Seite beschreibt der Verfasser entsprechend den Briefen an die Galater und an die Römer die Situation der Judenchristen, als sie noch Juden waren, d. h. vor ihrer Bekehrung, in negativen Wendungen: Sie waren »Kinder des Ungehorsams«, zusammen mit den Heiden (2,2-3), und ihr Verhalten wurde »von den Begierden [ihres] Fleisches beherrscht«; so waren sie »von Natur aus Kinder des Zornes, wie die anderen« (2,3). Dennoch bietet ein anderer Abschnitt des Briefes ein anderes, positives Bild von der Lage der Juden, indem er die traurige Lage der Nicht-Juden beschreibt, die »von Christus getrennt« waren, »der Gemeinde Israels fremd und von dem Bund der Verheißung ausgeschlossen; ... ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt« (2,12). Hier werden die Vorrechte der Juden genannt und stark herausgestellt.

Das Hauptanliegen des Briefes liegt gerade darin, in großer Freude zu zeigen, dass diese Vorrechte, die durch das Kommen Christi ihre Erfüllung gefunden haben, jetzt den Heiden zugänglich sind, d. h. »dass die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben« (3,6). Die Kreuzigung Jesu wird als ein Ereignis verstanden, das die Trennungsmauer zum Einsturz gebracht hat, die das Gesetz zwischen Juden und Heiden aufgerichtet hatte, und so den Hass beseitigt hat (2,14). Die Perspektive ist die von uneingeschränkt harmonischen Beziehungen. Christus ist der Friede zwischen beiden, schafft aus ihnen den neuen Menschen und versöhnt beide mit Gott in einem einzigen Leib (2,15-16). Der Widerstand des Großteils der Juden gegenüber dem christlichen Glauben kommt nicht zur Sprache. Der Brief verbleibt in einer irenischen Sicht.

Die Pastoralbriefe widmen sich dem inneren Aufbau der christlichen Gemeinden und sprechen niemals von den Juden. Nur einmal wird auf die angespielt, »die aus der Beschneidung kommen« (Tit 1,10), doch handelt es sich hier um Judenchristen, die zur christlichen Gemeinde gehören. Sie werden getadelt, da sie »Ungehorsame, Schwätzer und Schwindler« seien. Auf der anderen Seite wird vermutet, dass die Warnung vor den »endlosen Geschlechterreihen« in 1 Tim 1,4 und Tit 3,9 jüdische Spekulationen über Persönlichkeiten des Alten Testaments, »jüdische Fabeleien«, betreffen (Tit 1,14).

Auch der Brief an die Hebräer spricht nicht von den Juden, ebenso wie er nicht von den »Hebräern« spricht! Er nennt einmal »die Israeliten«, aber nur im Zusammenhang des Exodus (Hebr 11,22), und zweimal das »Volk Gottes«. (343) Er spricht von den jüdischen Priestern, nennt sie diejenigen, »die dem Zelt dienen« (13,10), und verweist auf den Abstand, der sie vom christlichen Gottesdienst trennt. Positiv hebt der Hebräerbrief die Verbindung Jesu mit den »Nachkommen Abrahams« (2,16) und dem Stamme Juda (7,14) hervor. Der Verfasser zeigt das Ungenügen der Institutionen des Alten Testamentes auf, vor allem des Opferkultes, doch stets gestützt auf das Alte Testament selbst, das er voll als göttliche Offenbarung anerkennt. Über die Israeliten der vorangegangenen Jahrhunderte fällt er kein einseitiges Urteil, sondern hält sich getreu an das Alte Testament selbst: So erinnert er im Rückgriff auf Ps 95,7-11, den er anführt und auslegt, an den Mangel an Glauben der Exodusgeneration, (344) zeichnet aber auf der anderen Seite ein großartiges Bild der Beispiele des Glaubens, die Abraham und seine Nachkommen gaben (11,8-38). Wo er auf das Leiden Christi zu sprechen kommt, erwähnt der Hebräerbrief in keiner Weise die Verantwortung der jüdischen Autoritäten, sondern sagt nur, dass Jesus einen heftigen Widerstand »von den Sündern« (345) erfuhr.

Die gleiche Beobachtung gilt für den Ersten Petrusbrief, der vom Leiden Christi spricht und dabei sagt, »der Herr« sei »von den Menschen verworfen« worden (1 Petr, 2,4), ohne dass dies weiter präzisiert würde. Der Brief verleiht den Christen die Ehrentitel des israelitischen Volkes, (346) doch ohne polemischen Unterton. Er spricht nirgends von den Juden. Das gleiche gilt vom Jakobusbrief, dem Zweiten Petrusbrief und dem Judasbrief. Diese Briefe sind von jüdischen Überlieferungen geprägt, aber sie behandeln nicht die Frage der Beziehungen zwischen christlicher Kirche und zeitgenössischen Juden.

3. Die Juden in der Offenbarung des Johannes

83. Die Hochschätzung der Johannesoffenbarung gegenüber den Juden zeigt sich in dem ganzen Buch, aber ganz besonders in der Erwähnung der 144.000 »Knechte unseres Gottes«, die »auf ihrer Stirn« mit dem »Siegel des lebendigen Gottes« bezeichnet worden sind (7,2-4). Sie stammen aus allen Stämmen Israels, die einzeln aufgezählt werden (dieser Fall steht im Neuen Testament einzigartig dar: Off 7,5-8). Die Offenbarung des Johannes findet ihren Höhepunkt in der Beschreibung des »neuen Jerusalem« (Off 21,2) mit »zwölf Toren«, auf denen »die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels geschrieben« stehen (21,12), in Entsprechung zu den »Namen der zwölf Apostel des Lammes«, die die Grundsteine der Stadt bezeichnen (21,14).

Solche, »die sich als Juden ausgeben, aber keine sind«, werden in zwei parallelen Sätzen genannt (2,9 und 3,9); der Verfasser verwirft ihre Anmaßung und nennt sie »Synagoge des Satans«. In 2,9 wird denjenigen, »die sich als Juden ausgeben, aber keine sind«, vorgeworfen, sie verleumdeten die christliche Gemeinde von Smyrna. In 3,9 kündigt Christus an, dass sie den Christen in Philadelphia Ehre erweisen würden. Diese Sätze legen nahe, dass in diesem Kontext die Christen denjenigen Israeliten den Titel Juden verweigern, die sie verleumden und sich so auf die Seite Satans, des »Anklägers unserer Brüder« (Offb 12,10) stellen. Für sich genommen erweist sich so der Titel »Juden« als positiv besetzt, wie ein Adelstitel, der einer Synagoge abgesprochen wird, die sich den Christen gegenüber aktiv feindlich verhält.

IV. SCHLUSSFOLGERUNGEN

A. Allgemeine Schlussfolgerung

84 Am Ende dieser nur summarischen Darstellung ergibt sich als eine erste Schlussfolgerung, dass das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel einen höchst bedeutsamen Platz einnehmen. In der Tat ist die Heilige Schrift des jüdischen Volkes ein wesentlicher Teil der christlichen Bibel, und sie ist auch im zweiten Teil dieser Bibel in vielfacher Weise gegenwärtig. Ohne das Alte Testament wäre das Neue Testament ein Buch, das nicht entschlüsselt werden kann, wie eine Pflanze ohne Wurzeln, die zum Austrocknen verurteilt ist. Das Neue Testament erkennt die göttliche Autorität der Heiligen Schrift des jüdischen Volkes an und stützt sich auf diese Autorität. Wenn es von der »Schrift« spricht und sich auf das bezieht, »was geschrieben steht«, dann meint das Neue Testament die Heilige Schrift des jüdischen Volkes, auf die es verweist. Es betont, dass sich diese Schrift notwendigerweise erfüllen müsse, da sie den Heilsplan Gottes umschreibt, der sich notwendigerweise erfüllen muss, welche Widerstände ihm auch entgegenstehen mögen und wie sehr sich Menschen ihm auch widersetzen mögen. Das Neue Testament fügt hinzu, dass diese Schrift sich tatsächlich im Leben, im Leiden und in der Auferstehung Jesu erfüllt hat, ebenso wie in der Gründung einer für alle Völker offenen Kirche. All dies verbindet die Christen aufs Engste mit dem jüdischen Volk, denn der erste Aspekt der Erfüllung der Schrift ist derjenige der Übereinstimmung und der Kontinuität. Dieser Aspekt ist grundlegend. Unvermeidlicherweise enthält die Erfüllung natürlich auch einen Aspekt der Diskontinuität in bestimmten Punkten, denn sonst gäbe es keinen Fortschritt. Dieser Mangel an Entsprechung liegt den Kontroversen und Spannungen zwischen Christen und Juden zugrunde, die sich nicht leugnen lassen. In der Vergangenheit hat man freilich den Fehler begangen, einseitig nur dies Trennende hervorzuheben, ohne das zutiefst Verbindende zu beachten.

Diese Kontinuität hat tiefe Wurzeln und zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. So erscheinen im Christentum wie im Judentum Schrift und Überlieferung in vergleichbarer Weise miteinander verbunden. Jüdische Methoden der Schriftauslegung finden häufig im Neuen Testament Verwendung. Der christliche Kanon des Alten Testamentes verdankt seine Bildung dem Zustand der Schrift des jüdischen Volkes am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. Für die genaue Auslegung der Texte des Neuen Testaments ist oft die Kenntnis des Judentums dieser Epoche vonnöten.

85 Vor allem beim Studium der großen Themen des Alten Testamentes und ihrer Weiterführung im Neuen wird einem die eindrucksvolle Symbiose bewusst, die die beiden Teile der christlichen Bibel verbindet, und zugleich die überraschende Kraft der geistlichen Bande, die die Kirche Christi mit dem jüdischen Volk verknüpfen. Im einen wie im anderen Testament ist es derselbe Gott, der mit den Menschen in Beziehung tritt und der sie einlädt, in Gemeinschaft mit ihm zu leben; es ist ein einziger Gott, der auch die Quelle von Einheit ist; ein Schöpfergott, der verlässlich für seine Geschöpfe sorgt, vor allem jene, die vernunftbegabt und frei sowie berufen sind, die Wahrheit zu erkennen und zu lieben; vor allem ein Gott, der befreit und rettet, nachdem die Menschen, die er nach seinem Bild geschaffen hat, aufgrund ihrer Schuld elender Sklaverei verfallen sind.

Als ein Angebot interpersonaler Beziehungen verwirklicht sich der Heilsplan Gottes in der Geschichte. Man kann ihn nicht philosophisch aus dem Wesen des Menschen im Allgemeinen ableiten. Er offenbart sich in unvorhersehbaren göttlichen Initiativen und vor allem in der Berufung eines einzelnen Menschen, den Gott sich aus der Menge der Menschen auserwählt hat, Abrahams (Gen 12,1-3), und in der Sorge, die Gott für ihn und seine Nachkommenschaft übernimmt. Diese Nachkommenschaft sollte ein Volk werden, das Volk Israel (Ex 3,10). Die Erwählung Israels ist nicht nur ein zentrales Thema im Alten Testament (Dtn 7,6-8), sie bleibt auch im Neuen Testament von grundlegender Bedeutung. Die Geburt Jesu stellt sie nicht in Frage, sondern bestätigt sie erst recht. Jesus ist »Sohn Davids, Sohn Abrahams« (Mt 1,1). Er kommt, »um sein Volk von seinen Sünden zu erlösen« (1,21). Er ist der Israel verheißene Messias (Joh 1,41.45); er ist »das Wort« (der Logos), das »zu den Seinen« gekommen ist (Joh 1,11-14). Das Heil, das er durch sein Ostergeheimnis gebracht hat, ist an erster Stelle den Israeliten zugedacht. (347) Wie es schon das Alte Testament voraussah, hat dieses Heil auch universelle Auswirkungen. (348) Es wird auch den Heiden angeboten. Tatsächlich ist es von vielen von ihnen angenommen worden, so dass sie die große Mehrheit der Jünger Christi wurden. Doch die von den Heidenvölkern gekommenen Christen erlangen das Heil nur dadurch, dass sie durch ihren Glauben an den Messias Israels der Nachkommenschaft Abrahams eingegliedert werden (Gal 3,7.29). Viele von den »Völkern« gekommene Christen sind sich nicht genügend bewusst, dass sie von sich aus »wilde Schösslinge« waren und dass sie ihr Glaube an Christus dem von Gott erwählten Ölbaum eingepfropft hat (Röm 11,17-18).

Die Erwählung Israels hat ihre konkrete Gestalt im Sinaibund und in den Institutionen gefunden, die damit verbunden sind, vor allem im Gesetz und im Heiligtum. Das Neue Testament steht in Kontinuität zu diesem Bund und zu diesen Institutionen. Der neue Bund, den Jeremia angekündigt hat und der im Blut Jesu gestiftet worden ist, sollte den Bund zwischen Gott und Israel zur Vollendung führen. Er sollte dabei über den Sinaibund hinausführen durch eine neue Gabe Gottes, die seine erste Gabe einschließt und weiterführt. So heilt auch »das Gesetz des Geistes des Lebens in Jesus Christus« (Röm 8,2) kraft seiner inneren Dynamik die Schwäche (8,3) des Sinaigesetzes und setzt die Glaubenden instand, in großzügiger Liebe zu leben, die die »Erfüllung des Gesetzes« (Röm 13,10) ist. Was das irdische Heiligtum anlangt, so drückt sich das Neue Testament in Wendungen aus, die vom Alten Testament her bereit lagen. Es relativiert den Wert eines materiellen Gebäudes als Wohnung Gottes (Apg 7,48) und ruft zu einem Verständnis der Beziehung mit Gott auf, in der es vor allem auf die Innerlichkeit ankommt. In diesem Punkt wie in vielen anderen sieht man, wie sich die Kontinuität auf die prophetische Bewegung im Alten Testament stützt.

In der Vergangenheit mochte zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten der Bruch zwischen dem jüdischen Volk und der Kirche Jesu Christi fast vollständig erscheinen. Im Lichte der Schrift sieht man, dass es dazu niemals hätte kommen dürfen. Denn ein vollständiger Bruch zwischen Kirche und Synagoge widerspricht der Heiligen Schrift.

B. Pastorale Anregungen

86 Das Zweite Vatikanische Konzil ruft auf zu »gegenseitiger Kenntnis und Achtung« von Christen und Juden. Diese Kenntnis und diese Achtung sind nach Auffassung des Konzils »vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches«. (349) Das vorliegende Dokument ist in diesem Geiste verfasst worden; es hofft einen positiven Beitrag im genannten Sinne zu leisten und darüber hinaus in der Kirche Christi die Liebe zu den Juden zu fördern, wie es Papst Paul VI. am Tag der Promulgation des Konzilsdokuments »Nostra Aetate« gewünscht hat. (350)

Mit diesem Text hat das Zweite Vatikanische Konzil den Grund für ein neues Verständnis unserer Beziehungen zu den Juden gelegt, indem es sagt: »Nach dem Apostel (Paulus) bleiben die Juden von Gott geliebt, und das um der Väter willen. Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29)«. (351)

Johannes Paul II. hat während seine Lehrtätigkeit mehrfach die Initiative ergriffen, die Konzilserklärung zu vertiefen. Bei seiner Begegnung mit Vertretern der Juden in Mainz (1980) sagte er: »Die Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott niemals gekündigten (vgl. Röm 11,29) Alten Bundes und dem des Neuen Bundes ist zugleich ein Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem ersten und dem zweiten Teil ihrer Bibel«. (352) Später erklärte der Papst anlässlich seines Besuchs der Synagoge von Rom (1986) gegenüber den jüdischen Gemeinden in Italien: »Die Kirche Christi entdeckt ihre ,Bindung‘ zum Judentum, indem sie sich auf ihr eigenes Geheimnis besinnt (vgl. Nostra Aetate, Nr. 4, Absatz 1). Die jüdische Religion ist uns nicht etwas ,Äußerliches', sondern gehört in gewisser Weise zum ,Inneren' unserer Religion. Ihr seid unsere bevorzugten und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder«. (353) Schließlich erklärte der Papst bei einem Kolloquium über die Wurzeln des Antijudaismus im Christentum (1997): »Dieses Volk ist zusammengerufen und geleitet von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. So ist seine Existenz weder ein Naturereignis noch ein Ereignis der Kultur ... Es ist ein übernatürliches Ereignis. Dieses Volk überlebt allen Ereignissen zum Trotz kraft der Tatsache, dass es das Bundesvolk ist und Gott trotz menschlichen Versagens seinem Bunde treu bleibt«. (354) In gewisser Weise die Krönung dieser Lehre des Papstes war sein Besuch in Israel, bei dem er sich mit folgenden Worten an die Großrabbiner wandte: »Wir (Juden und Christen) müssen zusammenarbeiten, um eine Zukunft aufzubauen, in der es keinen Antijudaismus unter den Christen und kein anti-christliches Empfinden unter den Juden mehr geben wird. Wir haben viel gemeinsam. Wir können zusammen so viel für Frieden, für Gerechtigkeit und für eine menschlichere und brüderlichere Welt tun«. (355)

Vonseiten der Christen besteht die Hauptbedingung für einen Fortschritt in dieser Richtung darin, jedes einseitige Verständnis der biblischen Texte sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments zu vermeiden und sich stattdessen zu bemühen, der Gesamtdynamik zu entsprechen, die sie beseelt und die letztlich eine Dynamik der Liebe ist. Im Alten Testament ist der Plan Gottes ein Plan der liebevollen Verbindung mit seinem Volk, einer väterlichen und ehelichen Liebe, und bei aller Untreue Israels kündigt Gott dieses Band nie auf, sondern behauptet seine unbegrenzte Dauer (Jes 54,8; Jer 31,3). Im Neuen Testament überwindet die Liebe Gottes die schlimmsten Hindernisse; die Israeliten bleiben »geliebt«, selbst als sie nicht an seinen Sohn glauben, den er ihnen als rettenden Messias gesandt hat (Röm 11,29). Wer mit Gott verbunden sein will, muss in gleicher Weise auch sie lieben.

87 Eine einseitige Lektüre der Texte belastet oft die Beziehungen zu den Juden. Das Alte Testament erspart den Israeliten, wie wir sahen, weder Vorwürfe noch Verurteilungen. Es stellt an sie sehr hohe Anforderungen. Statt sie zu verurteilen, sollte man eher davon ausgehen, dass sie das Wort Jesu veranschaulichen: »Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden« (Lk 12,48), und dass das gleiche auch für uns Christen gilt. Einige biblische Erzählungen haben Züge von Hinterlist oder Grausamkeit, die heute nicht mehr annehmbar erscheinen und die man aus ihrem geschichtlichen und literarischen Kontext heraus verstehen muss. Es muss anerkannt werden, dass die Offenbarung innerhalb der Geschichte einen langsamen Fortschritt zeigt: Die göttliche Pädagogik hat eine Gruppe von Menschen dort ergriffen, wo sie sich befand, und sie geduldig hin zum Ideal einer Vereinung mit Gott und sittlicher Lauterkeit geführt, von dem unsere moderne Gesellschaft im Ubrigen noch weit entfernt ist. Diese Erziehung wird dazu führen, zwei entgegen gesetzte Gefahren zu vermeiden: auf der einen Seite die Christen noch auf veraltete Vorschriften zu verpflichten (z. B. mit Berufung auf die Bibel jede Bluttransfusion zu verweigern) und auf der andern Seite die ganze Bibel unter dem Vorwand, sie enthalte zu viele Grausamkeiten, zu verwerfen. Was die rituellen Vorschriften wie die Normen über Rein und Unrein anlangt, so kommt es darauf an, ihre symbolische und anthropologische Tragweite zu erkennen und ihre zugleich soziologische und religiöse Bedeutung herauszustellen.

Im Neuen Testament sind die an die Juden gerichteten Vorwürfe weder häufiger noch heftiger als die Anklagen, die im Gesetz und in den Propheten gegen die Juden gerichtet werden. So dürfen sie nicht mehr für Antijudaismus in Anspruch genommen werden. Sie in dieser Weise zu benutzen, liefe der Gesamtausrichtung des Neuen Testaments zuwider. Einen echten Antijudaismus, d. h. eine Haltung von Verachtung, von Feindschaft und von Verfolgungswut gegenüber den Juden als Juden findet sich in keinem Texte des Neuen Testaments und ist mit der Lehre des Neuen Testaments unvereinbar. Was es gibt, sind Vorwürfe gegenüber bestimmten Arten von Juden aus religiösen Gründen und auf der anderen Seite polemische Texte, die die christliche apostolische Verkündigung gegenüber Juden in Schutz nehmen sollen, die ihr Widerstand entgegenbringen.

Man muss freilich zugeben, dass mehrere dieser Textabschnitte als Vorwand für Antijudaismus dienen können und dass sie in der Tat auch dazu benützt worden sind. Um ein solches Abgleiten zu verhindern, muss man sich vor Augen halten, dass die polemischen Texte des Neuen Testaments, und zwar selbst solche, die sich in verallgemeinernden Wendungen ausdrücken, stets an einen konkreten geschichtlichen Kontext gebunden bleiben und es niemals auf alle Juden aller Zeiten und an allen Orten abgesehen haben, nur weil sie Juden sind. Die Neigung, in verallgemeinernden Wendungen zu reden, die negativen Seiten des Gegners hervorzuheben, die positiven mit Schweigen zu übergehen und nicht auf die Motive und den möglichen guten Glauben dieses Gegners einzugehen ist für die polemische Sprache der gesamten Antike kennzeichnend und lässt sich auch innerhalb des Judentums und des Urchristentums gegenüber Andersdenkenden aller Art feststellen.

Dadurch dass das Neue Testament von seinem Wesen her Verkündigung der Erfüllung des Heilsplans Gottes in Jesus Christus ist, steht es in grundlegendem Widerspruch zur großen Mehrheit des jüdischen Volkes, das nicht an diese Erfüllung glaubt. So bringt das Neue Testament zugleich seine Zustimmung zur Offenbarung des Alten Testaments und seine mangelnde Übereinstimmung mit der Synagoge zum Ausdruck. Diesen Mangel an Übereinstimmung kann man nicht »Antijudaismus« nennen, denn es handelt sich um Uneinigkeit auf der Ebene der Glaubensüberzeugung. Sie wurde Quelle religiöser Kontroversen zwischen zwei Menschengruppen, die von der gleichen Glaubensgrundlage im Alten Testament ausgehen, aber dann uneins werden über die Weise, wie die weitere Entwicklung dieses Glaubens zu verstehen ist. So tief die Uneinigkeit auch reichen mag, so rechtfertigt sie doch in keiner Weise wechselseitige Feinseligkeit. Das Beispiel von Paulus in Röm 9 – 11 zeigt vielmehr ein Haltung des Respekts, der Hochschätzung und der Liebe gegenüber dem jüdischen Volk. Diese ist die einzige wirklich christliche Haltung in einer heilsgeschichtlichen Situation, die in geheimnisvoller Weise Teil des ganz positiven Heilsplans Gottes ist. Der Dialog bleibt möglich, da Juden und Christen ein reiches gemeinsames Erbe besitzen, das sie verbindet. Er ist auch in höchstem Maße wünschenswert, damit es gelingt, fortschreitend auf beiden Seiten Vorurteile und Missverständnisse zu überwinden zugunsten einer besseren Kenntnis des gemeinsamen Erbes und zur Stärkung der wechselseitigen Bande.

Anmerkungen

1 Vgl. die Darstellung dieser Phase von Augustins geistigem Weg bei P. Brown, Augustinus von Hippo (Leipzig 1972) 34-38 (aus dem Englischen: Augustine of Hippo. A Biography, London 1967, 40-45).

2 A. von Harnack, Marcion. 1920. Neudruck Darmstadt 1985, S. XII und 217.

3 Den entscheidenden Durchbruch in der Wertung der Exegese des Origenes hat H. de Lubac gebracht mit seinem Buch: Histoire e Esprit. L'intelligence de l'Écriture d'après Origène (Paris 1950). Inzwischen sind vor allem die Arbeiten von H. Crouzel (z. B. Origène 1985) zu beachten. Eine gute Zusammenfassung des Forschungsstandes bietet H.-J. Sieben in seiner Einleitung zu Origenes. In Lucam homiliae (Freiburg 1991) 7-53. Eine Synthese der einzelnen Arbeiten von H. de Lubac zur Frage der Schriftauslegung bietet das von J. Voderholzer herausgegebene Werk: H. de Lubac, Typologie Allegorese Geistiger Sinn. Studien zur Geschichte der christlichen Schriftauslegung (Johannes Verlag Freiburg 1999).

4 »Ohne das Alte Testament wäre das Neue Testament ein Buch, das nicht entschlüsselt werden kann, wie eine Pflanze ohne Wurzeln, die zum Austrocknen verurteilt ist«.

5 » ... doch einer Sinnmöglichkeit der Texte entspricht«.

6 5 Deutsche Ubersetzung von P. Johannes Beutler, SJ.

7 Genannt seien z. B. angelos, »Bote« oder »Engel«, gin(o-)skein, »erkennen« oder »verkehren mit«, diath‘k‘, »Testament« oder »Vertrag«, »Bund«, nomos, »Gesetzgebung« oder »Offenbarung«, ethn‘, »Völker« oder »Heiden«.

8 Im Matthäusevangelium zählt man z. B. 160 implizite Zitate und Anspielungen; 60 im Markusevangelium; 192 im Lukasevangelium; 137 im Johannesevangelium; 140 in der Apostelgeschichte; 72 im Römerbrief usw.

9 38 Zitate im Matthäusevangelium; 15 im Markusevangelium; 15 im Lukasevangelium; 14 im Johannesevangelium; 22 in der Apostelgeschichte; 47 im Römerbrief usw.

10 Röm 10,8; Gal 3,16; Hebr 8,8; 10,5.

11 Gemeinte Subjekte: die Schrift (Röm 10,8; vgl. 10,11), der Herr (Gal 3,16: vgl. Gen 13,14-15; Hebr 8,8: vgl. 8,8.9), Christus (Hebr 10,5).

12 Ausdrücklich genannte Subjekte: »die Schrift« (Röm 9,17; Gal 4,30), »das Gesetz« (Röm 3,19; 7,7), »Mose« (Mk 7,10; Apg 3,22; Röm 10,19), »David« (Mt 22,43; Apg 2,25; 4,25; Röm 4,6), »der Prophet« (Mt 1,22; 2,15), »Jesaja« (Mt 3,3; 4,14 usw.; Joh 1,23; 12,39.41; Röm 10,16.20), »Jeremia« (Mt 2,17), »der Heilige Geist« (Apg 1,16; Hebr 3,7; 10,15); »der Herr« (Hebr 8,8.9.10 = Jer 31,31.32.33).

13 4 Röm 9,15.17; 1 Tim 5,18.

14 2 Mt 2,5; 4,10; 26,31 usw.

15 1 Kor 9,8; Röm 6,19; Gal 3,15.

16 Röm 15,4; vgl. 1 Kor 10,11.

17 Mk 8,31; vgl. Mt 16,21; Lk 9,22; 17,25.

18 Mt 1,22; 2,15; 2,23; Mt 4,14; 8,17; 12,17; 13,35; 21,4.

19 Joh 12,38; 13,18; 15,25; 17,12; 19,24.28.36.

20 Mk 14,49; vgl. Mt 26,56; Joh 19,28.

21 Lk 24,27; vgl. 24,25.32.45-46.

22 Leiden Jesu: Apg 4,25-26; 8,32-35; 13,27-29; Auferstehung: 2,25-35; 4,11; 13,32-35; Pfingsten: 2,16-21; missionarische Öffnung: 13,47; 15,18.

23 Gal 3,6-14.24-25; Röm 3,9-26; 6,14; 7,5-6.

24 Nach rabbinischer Auffassung gab es neben dem schriftlichen Gesetz ein ergänzendes mündliches.

25 Ursprung und Umfang des Kanons der jüdischen Bibel werden weiter unten behandelt: I.E, Nr. 16.

26 Ez 47,1-12 und im Anschluss daran Joël 2,18.27 und Sach 14,8-11.

27 Hebr 1,5-13; 2,6-9; 3,7 – 4,11; 7,1-28; 10,5-9; 12,5-11.26-29.

28 Man findet das Qal wa-chomer Mt 6,30; 7;11; Joh 7,23; 10,34-36; Röm 5,15.17; 2 Kor 3,7-11; und die Gezerah schawah Mt 12,1-4; Apg 2,25-28; Röm 4,1-2; Gal 3,10-14.

29 Vgl. Gal 3,19 (Paulus schließt aus der Mittlerrolle der Engel bei der Verleihung des Gesetzes auf die Unterlegenheit des Gesetzes); 4,21-31 (die Erwähnung von Sara und Hagar dient dem Nachweis, dass die Heiden, die an Christus glauben, »Kinder der Verheißung« sind); Röm 4,1-10 (der Glaube Abrahams, und nicht seine Beschneidung führt zu seiner Rechtfertigung); 10,6-8 (ein Vers, der vom Aufstieg in den Himmel spricht, wird auf Christus angewendet); 1 Kor 10,4 (Christus wird mit dem Felsen gleichgesetzt, der das Volk in der Wüste begleitete); 15,45-47 (die beiden Adam, von denen der zweite der vollkommenere ist); 2 Kor 3,13-16 (das Tuch, das das Antlitz des Mose bedeckte, erhält eine symbolische Bedeutung).

30 Vgl. Eph 4,8-9 (wo ein Text, der vom Aufstieg zum Himmel spricht und sonst auf Mose bezogen wird, auf Christus angewendet erscheint); Hebr 7,1-28 (über die Erhabenheit des Priestertums nach der Ordnung des Melchisedek über dasjenige der levitischen Priester).

31 1 QH 2,31-36; 5,12-16; 18,14-16.

32 Die Juden zählen 24 Bücher in ihrer Bibel, die sie Tanakh nennen – nach den Anfangsbuchstaben von Thora, »Gesetz«, Nebi'im, »Propheten, und Ketubim, andere »Schriften«. Die Zahl 24 wird häufig auf 22 reduziert, die Anzahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets. Im christlichen Kanon entsprechen diesen 24 oder 22 Büchern 39 sog. »protokanonische« Bücher. Der Unterschied erklärt sich aus der Tatsache, dass die Juden verschiedene Bücher, die im christlichen Kanon einzeln vorkommen, als ein Buch betrachten wie z. B. die Schriften der zwölf Propheten.

33 Die Katholische Kirche zählt in ihrem Kanon des Alten Testaments 46 Bücher: 39 protokanonische und 7 deuterokanonische, so genannt, da die ersteren ohne große Debatte oder ohne jederlei Debatte aufgenommen wurden, während die letzteren (Jesus Sirach, Baruch, Tobit, Judit, Weisheit, 1 und 2 Makkabäer und Teile von Ester und Daniel) erst nach mehreren Jahrhunderten des Zweifels (bei einem Teil der orientalischen Kirchenväter und bei Hieronymus) allgemein anerkannt wurden; die Kirchen der Reformation nennen sie »Apokryphen«.

34 In seiner Schrift Contra Apionem (1,8), die zwischen 93 und 95 n. Chr. verfasst wurde, kommt Josephus der Idee eines Kanons sehr nahe, doch lässt sein vager Verweis auf Bücher, denen man noch keinen Namen verliehen hat (später als »Schriften« bezeichnet) erkennen, dass das Judentum noch nicht zu einer klar definierten Sammlung von Schriften gelangt war.

35 Was man gern die Synode von Jamnia nennt, hatte eher den Charakter einer Schule oder Akademie, die zwischen den Jahren 75 n. Chr. und 117 n. Chr. in Jamnia ihren Sitz hatte. Es gibt keinen Beleg für eine Entscheidung, dort ein Verzeichnis der Bücher zu erstellen. Vieles spricht für die Annahme, dass der jüdische Schriftenkanon in fester Form nicht vor dem Ende des 2. Jahrhunderts vorlag. Die Schuldiskussionen über die Zugehörigkeit einzelner Bücher zog sich bis zum 3. Jahrhundert hin.

36 Wenn die Urkirche aus Alexandrien einen geschlossenen Kanon oder eine abgeschlossene Liste empfangen hätte, würde man erwarten, dass die erhaltenen Handschriften der Septuaginta und die christlichen Listen der Bücher des Alten Testaments mit diesem Kanon virtuell deckungsgleich wären. Aber dies ist nicht der Fall. Die Listen der Bücher des Alten Testaments bei den Kirchenvätern und in den ersten Konzilien lassen keine solche Übereinstimmung erkennen. Nicht die Juden in Alexandrien haben einen ausschließlichen Kanon der Heiligen Schriften aufgestellt, sondern es war die Kirche auf der Grundlage der Septuaginta.

37 Diese Bücher umfassten sowohl Schriften, die ursprünglich auf Hebräisch verfasst und dann ins Griechische übersetzt worden waren, als auch solche, die unmittelbar auf Griechisch verfasst worden waren.

38 Vgl. Denzinger-Hünermann, Enchiridion Symbolorum, Freiburg i. B. – Basel – Rom – Wien , Nr. 1334-1336, 1501-1504.

39 Zum Ausdruck dieser Bezeichung s. o., Nr. 2. In der Gegenwart neigt man in einigen Kreisen dazu, statt dessen die Bezeichnung »Erstes Testament« zu verbreiten, um eine dem Ausdruck »Altes Testament« möglicherweise anhaftende negative Konnotation zu vermeiden. Doch ist »Altes Testament« ein biblischer und überlieferter Ausdruck, der als solcher keinen negativen Unterton besitzt: die Kirche erkennt den Wert des Alten Testamentes voll an.

40 Siehe oben I.D.: »Im Neuen Testament angewandte jüdische Methoden der Exegese«, Nr. 12-15.

41 Vgl. Röm 5,14; 1 Kor 10,6; Hebr 9,24; 1 Petr 3,21.

42 Thomas von Aquin, Summa Theologica Ia, q. 1, a.10 ad 1um; vgl. auch Quodl. VII, 616m.

43 Jes 35,1-10; 40,1-5; 43,1-22; 48,12-21; 62.

44 Vgl. unten II B.9 und C, Nr. 54-65.

45 »Non solum impletur, verum etiam transcenditur«, Ambrosius Autpert., zit. von H. de Lubac, Exégèse médiévale, II.246.

46 2 Kor 5,17; Gal 6,15.

47 Vgl. das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission »Die Interpretation der Bibel in der Kirche« (1993, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls = VApS 115), I.C.2: »Zugänge über die jüdische Interpretations-Tradition«.

48 Gen 12,1-3; 26,23-24; 46,2-4.

49 Ex 20,1; 24,3-8; 34,27-28; vgl. Num 15,31.

50 Hos 12,14; Dtn 18,15.18.

51 Jes 6,5-8; Jer 1,4-10; Ez 2,1–3,3.

52 Jes 55,11; Jer 20,9.

53 Mt 21,11.46; Lk 7,16; 24,19; Joh 4,19; 6,14; 7,40; 9,17.

54 Wir setzen regelmäßig das Wort herr in Großbuchstaben, da der hebräische Text das nicht ausgesprochene Tetragramm JHWH enthält, den Eigennamen des Gottes Israels. Bei der Lesung ersetzen es die Juden durch andere Worte, vor allem 'adonai, »Herr«.

55 Dtn 4,35.39; Jes 45,6.14.

56 1 Kor 8,4; vgl. Gal 3,20; Jak 2,19.

57 Ps 115,15; 121,2; 124,8; 134,3; 146,6.

58 Jes 42,5; 44,24; 45,11; 48,13.

59 Spr 8,22-31; 14,31; 17,5; Ijob 38; Weish 9,1-2.

60 Ps 139,13-15; Ijob 10,9-12.

61 Ijob 26,12-13; Ps 74,12-23; 89,10-15; Jes 45,7-8; 51,9-11.

62 Mt 6,25-26, vgl. Lk 12,22-32.

63 Weish 9,1; vgl. Ps 33,6-9; Sir 42,15.

64 Offb 22,5; vgl. Jes 60,19.

65 2 Kor 5,17; vgl. Gal 6,15.

66 Gen 5,1; Weish 2,23; Sir 17,3. In Ps 8,5-7 findet man den gleichen Gedanken, nur anders ausgedrückt.

67 Diese Anordnung wird nach der Sintflut ergänzt, vgl. Gen 9,3-4.

68 Gen 1,4.10.12.18.21.25.

69 Gen 5,29; Jes 14,3; Ps 127,2; Spr 5,10; 10,22; 14,23.

70 Gen 3,19; vgl. 2,7; 3,23.

71 Mt 4,25 und Par.; 15,31-32.

72 Mt 8,10; 15,28.

73 Gal 3,26; 4,6; Röm 9,26.

74 2 Kor 4,4; vgl. Kol 1,15.

75 Mt 4,24 und Par.; 8,16 und Par.; 14,35 und Par.; Joh 5,3.

76 Mk 5,38; Lk 7,12-13; Joh 11,33-35.

77 Mt 3,10 und Par.; Lk 13,1-5; 17,26-30; 19,41-44; 23,29-31.

78 Mt 3,2-12; Mk 1,2-6; Lk 3,2-9.

79 Mk 7,21-23; vgl. Mt 15,19-20.

80 Mt 10,17-23; Lk 21,12-17.

81 Mt 12,14 und Par.; Joh 5,18; Mk 11,18; Lk 19,47.

82 Röm 3,10; vgl. Ps 14,3; Koh 7,20.

83 2 Kor 5,14; vgl. Röm 5,18.

84 Röm 5,12; 1 Kor 15,56.

85 Ex 15,1-10.20-21; Ps 106,9-11; 114,1-5; 136,13-15.

86 Dtn 26,6-9; vgl. 6,21-23.

87 Ri 2,11-22; 3,9.15; 2 Kön 13,5; Neh 9,27. Der Rettertitel wird von Gott gebraucht in 2 Sam 22,3; Jes 43,3; 45,15; 60,16 und in anderen Texten.


88 Jes 41,14; 43,14; 44,6.24; 47,4; 48,17; 49,7.26; 54,5.8.

89 Jes 60,10-12; 35,9-10.

90 Ps 7,2; 22,21-22; 26,11; 31,16; 44,27; 118,25; 119,34.

91 Ps 34,5; 66,19; 56,14; 71,23.

92 2 Makk 7,9.11.14.23.29.

93 Lk 1,69.71.74.77.

94 In der Septuaginta findet sich der Titel lytr(o-)t‘s nur zweimal; er wird in beiden Fällen Gott zugeschrieben: Ps 18(19),14; 77(78),35.

95 Bezogen auf Gott erscheint dieser Titel in den Evangelien nur einmal (Lk 1,47) und niemals in der Apostelgeschichte und in den unumstrittenen Paulusbriefen; bezogen auf Jesus zweimal in den Evangelien (Lk 2,11; Joh 4,42), zweimal in der Apostelgeschichte (Apg 5,31; 13,23) und einmal in den unumstrittenen Paulusbriefen (Phil 3,20).

96 Der Erste Timotheusbrief bezieht diesen Titel dreimal, und zwar ausschließlich, auf Gott (1 Tim 1,1; 2,3; 4,10); der Zweite Timotheusbrief verwendet ihn nur einmal, und zwar auf Christus bezogen (2 Tim 1,10); der Titusbrief bezieht den Titel dreimal auf Gott (Tit 1,3; 2,10; 3,4) und dreimal auf Christus (Tit 1,4; 2,13; 3,6). Der Zweite Petrusbrief bezieht den Titel auf Christus, und zwar an allen Stellen außer der ersten in Verbindung mit dem Titel des Herrn (2 Petr 1,1.11; 2,20; 3,2.18).

97 Mk 5,23.28.34; 6,56.

98 Mt 9,22 und Par.; Mk 10,52; Lk 17,19; 18,42.

99 Mt 8,25-26 und Par.; 14,30-31.

100 Mt 9,18-26 und Par.; Lk 7,11-17; Joh 11,38-44.

101 Mt 27,39-44 und Par.; Lk 23,39.

102 Mt 20,28; Mk 10,45.

103 Joh 6,15; Lk 24,21; Apg 1,6.

104 Röm 1,16; vgl. 10,9-13; 15,8-12.

105 Hebräisch segullah: Ex 19,5; Dtn 7,6; 14,2; 26,18; Ps 135,4; Mal 3,17.

106 Lev 11,44-45; 19,2.

107 Dtn 12,5.11.14.18.21.26; 14,23-25 usw.

108 Ps 78,67-68; 1 Chr 28,4.

109 2 Sam 6,21; 1 Kön 8,16; 1 Chr 28,4; 2 Chr 6,6; Ps 78,70.

110 Jes 41,8-9; 44,1-2.

111 Jes 41,8-9; 44,1-2.

112 Jes 41,8-9; 43,10; 44,1-2; 45,4; 49,3.

113 Jes 43,10.12; 44,8; 55,5.

114 Mt 28,20; vgl. 1,23.

115 Lk 19,48; 21,38.

116 Apg 2,41.47; 4,4; 5,14.

117 Apg 13,46; 18,6; 28,28. Im Lukasevangelium zeigt der Bericht von der Predigt Jesu in Nazaret bereits eine ähnliche Struktur wie Apg 13,42-45 und 22,21-22: die Öffnung Jesu hin zur Völkerwelt führt zur Feindseligkeit seiner Mitbürger (Lk 4,23-30).

118 Apg 28,26-27; Jes 6,9-10.

119 Ps 47,10; 86,9; Sach 14,16.

120 Mt 8,11; Lk 13,29.

121 Mk 16,15-16; vgl. Mt 28,18-20; Lk 24,47.

122 1 Petr 2,9; Jes 43,21.

123 1 Petr, 2,9; Ex 19,6.

124 1 Petr 2,10; Hos 2,25.

125 Röm 11,1; 2 Kor 11,22; Gal 1,14; Phil 3,5.

126 Ansprache von Johannes Pauls II. in der Synagoge von Rom am 13.4.1986: AAS 78 (1986) 1120; für den deutschen Text s. unten, Anm. 347.

127 Dtn 30,15-16.19; Jos 24,21-25.

128 Ex 19-24.32-34; bes. 19,5; 24,7-8; 34,10.27-28.

129 Ex 32,11-13.31-32; 33,12-16; 34,9.

130 Dtn 4,13; vgl. 4,23; 9,9.11.15.

131 Ps 89,4; 132,11; 2 Sam 23,5; Ps 89,29-30.35.

132 2 Sam 7,14 und Par.; Ps 2,7; 89,28.

133 Ex 24,12; 31,18 usw.

134 Jes 1,1-31; Jer 7,25-26; 11,7-8.

135 Ez 36,26-27; vgl. 11,19-20; 16,60; 37,26.

136 Damaskusschrift 6,19; 19,33-34.

137 Ez 36,26-28; Joël 3,1-2.

138 Gal 3,15 – 4,7; 4,21-28; Röm 6,14; 7,4-6.

139 Gen 12,3; Gal 3,8.

140 Gal 3,29; 2 Kor 1,20.

141 Hebr 8,7-13; Jer 38,31-34 LXX.

142 Hebr 9,15; vgl. 7,22; 12,24.

143 Hebr 7,18; 9,9; 10,1.4.11.

144 Mt 1,1; 9,27 usw.; vgl. Lk 1,32; Röm 1,3.

145 Dtn 4,6-8; Sir 24,22-27; Bar 3,38 – 4,4.

146 Mt 5,21-48; Mk 2,23-27.

147 Mt 5,21-48; Mk 2,23-27.

148 Ex 19-24; 32-34 ; vgl. Dtn 5; 9-10.

149 Gen 17; Ex 12-13; 15,23-26 usw.

150 Ex 20,19-21; Dtn 5,23-31.

151 Ex 19,5-6; 24,10-11.

152 Ex 32-34; Ex 20,2-6 und Par.

153 Z. B. die Gesetzgebung bezüglich der Freigabe von Sklaven Ex 21,2; Lev 25,10; Dtn 15,12; vgl. Jes 58,6; 61,1; Jer 34,8-17.

154 Ex 20,2; Dtn 5,6.

155 Röm 7,10; Gal 3,21-22.

156 Röm 1,17; Gal 2,19-20.

157 Lev 19,18; Gal 5,14; Röm 13,8-10.

158 Röm 10,3; Phil 3,9.

159 Gal 3,10 mit Zitat von Dtn 27,26.

160 Gal 3,11; Hab 2,4.

161 Gal 5,6; vgl. 5,13; 6,9-10.

162 Hebr 2,2; 7,5.28; 8,4; 9,19.22; 10,8.28.

163 Lev 19,18; Jak 2,8; 4,11.

164 Ex 32,11-13.30-32 usw.

165 Sichem: Gen 12,6-7; Bet-El: 12,8; Mamre: 18,1-15; Beerscheba: 26,23-25.

166 Der Sabbat: Gen 2,1-3; Ex 20,8-11; das Sabbatjahr: Lev 25,2-7.20-22; das Jubeljahr: 25,8-19; die Feste: Ex 23,14-17; Lev 23; Dtn 16,1-7; der Versöhnungstag: Lev 16; 23,27-32.

167 Das Alte Testament kennt offenbar keine unreinen Zeiten.

168 Gen 28,16-18 Ex 3,5; Jos 5,15.

169 Ex 23,11-12; Lev 25,6-7.

170 Lev 4-5; 16; 17,10-12; Jes 6,5-7 usw.

171 Ex 25,8-9; Dtn 4,7.32-34.

172 Jer 11,19-20; 12,1-4; 15,15-18 usw. Später wird 2 Makk 15,14 Jeremia im Jenseits darstellen als den »Freund seiner Brüder, der viel für das Volk betet«.

173 Jes 12,1-6; 25,1-5; 26,7-19; 37,16-20; 38,9-20; 42,10-12; 63,7 – 64,11; Jon 2,3-10; Nah 1,2-8: Hab 3,1-19.

174 Am 4,13; 5,8-9; 9,5-6.

175 Jes 1,10-17; Hos 6,6; Am 5,21-25; Jer 7,21-22.

176 Jes 1,15; 59,3.

177 Ijob 7,1-21; 9,25-31; 10,1-22; 13,12 – 14,22 usw.

178 Klgl 1,9-11.20-22; 2,20; 3,41-45.55-66; 5,19-22.

179 Spr 15,8.29; 28,9.

180 Spr 30,7-9; Dtn 2,20-23; 4,31-32.34; 9,4-19 (vgl. Vv. 20.23). Häufigere Beispiele finden sich in den deuterokanonischen Schriften.

181 2 Kön 22 – 23.

182 Gen 14,18-20; 2 Sam 7; 24; Ps 132.

183 Ex 25,10-22; Lev 16,12-15; (s. auch Röm 3,25; Hebr 9,5).

184 Mi 3,12; Jer 26,18 usw.

185 1 Kön 8,27; vgl. Jes 66,1.

186 Ez 10,3-22; 11,22-24.

187 1 Kön 8,44.48; Sach 1,17.

188 Ps 48; 87; 122.

189 Jes 60,19-20.

190 Jes 54,1-8; 62,2-5.

191 Jes 65,17-25; 66,20-23.

192 Jes 2,2-4; Mi 4,1-4.

193 Mt 28,19; Mk 16,16; Lk 22,19; Joh 6,53-56; 1 Kor 11,24-25.

194 Mt 11,25; Lk 10,21; Mt 14,19 und Par.; 15,36 und Par.; Joh 11,41; Mt 26,26-27 und Par.

195 Mt 26,30; Mk 15,34.

196 Mt 27,46; Mk 15,34.

197 Vgl. Mt 9,22 und Par.; 9,29; 15,28; Mk 10,52; Lk 18,42.

198 Mt 6,5-15; Lk 18,9-14.

199 Lk 11,5-8; 18,1-8.

200 Mt 6,9-13; Lk 11,2-4.

201 Phil 2,6-11; Kol 1,15-20; 1 Tim 3,16. Der Hymnus von Eph 1,3-14 verherrlicht den Vater für die Vollbringung seines Werkes »in Christus«.

202 2 Kor 1,3-4; Eph 1,3.

203 Joh 4,23; Röm 8,15.26.

204 Mt 26,26-28 und Par.; Joh 6,51-58; 1 Kor 10,16-17; 11,17-34.

205 Mk 16,16; Mt 28,19-20.

206 Vgl. oben Anm. 169 und Ps 40,7-9, der in Hebr 10,5-10 zitiert und kommentiert wird; Ps 50,13-14; 51,18-19.

207 Hebr 9,8-10; 10,1.11.

208 Hebr 5,7-10; 9,11-15; 10,10.14.

209 Joh 7,14.28; Mk 12,35; Lk 19,47; 20,1; 21,37; Mt 26,55 und Par.

210 Joh 4,20-24; Apg 7,48-49 (im Zusammenhang mit dem Tempel Salomos, mit Zitat von Jes 66,1-2); Apg 17,24 (im Zusammenhang mit den heidnischen Tempeln).

211 Joh 2,19; vgl. Mt 26,61 und Par.

212 Offb 3,12; 7,15; 11,1-2.19; 14,15.17; 15,5.8; 16,1.17; 21,22.

213 Mt 20,17-19 und Par.; 21,1-10 und Par.; Lk 9,31.51; 13,33.

214 Lk 19,41-44. Vgl. Mt 23,37-39; Lk 13,34-35; 21,20-24.

215 Ex 15,24; 16,2; 17,3 usw.

216 Die Geschichte vom Goldenen Kalb ist die erste Erzählung nach dem Bundesschluss. Die dazwischen liegenden Kapitel (Ex 25 – 31) enthalten Gesetzessammlungen.

217 Ex 33,3.5; 34,9; Dtn 9,6.13; 31,27; Bar 2,30.

218 Num 13,31 – 14,4; Dtn 1,20-21.26-28.

219 2 Kön 21,15; Jer 7,25-26.

220 Jes 58,1; vgl. Hos 8,1; Mi 3,8.

221 Am 2,6-7; 4,1; 8,4-6.

222 Verwerfung Israels in Hos 1,4-6.8-9; Am 8,1-2; Verwerfung Judas Jes 6,10-13; Jer 6,30; 7,29.

223 Mi 3,11-12; Jer 7,14-15.

224 Jer 7,9; 9,1-8.

225 Jer 3,1-13; 5,7-9.

226 Esra 9,6-7.10.13.15; Neh 1,6-7; 9,16-37; Bar 1,15-22; Dan 3,26-45 LXX; 9,5-11.

227 Hos 11,8-9; Jer 31,20.

228 Hos 2,21-22; Jer 31,31-34; Ez 36,24-26.

229 Lk 19,43-44; Mt 24,2.15-18 und Par.

230 Apg 3,17; vgl. Lk 23,34.

231 Apg 2,41; 4,4.

232 Gal 5,21; Eph 5,5; Hebr 10,26-31.

233 1 Kor 4,8; 5,1-5; 6,1-8; 11,17-22; 2 Kor 12,20-21; Gal 1,6; 4,9; 5,4.7.

234 1,24.26.28; vgl. Ps 81,13.

235 1 Kor 1,10-13; 3,1-4.

236 1 Kor 5,1-5; vgl. auch 1 Tim 1,19-20.

237 1 Tim 1,19-20; 2 Tim 2,17-18.

238 Offb 2,7.11.17.29 usw.

239 Offb 2,5.16.22; 3,3.19.

240 Gen 13,16; 15,5; 17,5-6.

241 Gen 15,4; 17,19; 21,12.

242 Jes 61,9; 65,23; 66,22.

243 Neh 9,2; vgl.10,31; 13,3; Esra 9-10.

244 Lk 1,55.73; vgl. auch Hebr 11,11-12.

245 Gen 12,7; 13,15; 15,4-7.18-21; 17,6-8; 28,13-14; 35,11-12.

246 Ex 3,7-8; 6,2-8; Dtn 12,9-10.

247 Lev 18,24-28; Dtn 28,15-68.

248 Lev 25,23; Ps 39,13; 1 Chr 29,15.

249 Am 9,11-15; Mi 5,6-7; Jer 12,15; Ez 36,24-28.

250 S. oben II.B.7, Nr. 48 und 51.

251 Jes 2,1-4; Mi 4,1-4; Sach 14; Tob 13.

252 Jos 6,21; 7,1.11; 8,26; 11,1-12.

253 Dtn 7,3-6; 20,18; vgl. Esra 9,1-4; Neh 13,23-29.

254 Hebr 11,9-16; vgl. auch 3,1.11 – 4,11.

255 Ex 23,30; Ps 37,11.

256 Am 5,18-20; 8,9; Zef 1,15.

257 Hos 11,8-11; Am 5,15; Zef 2,3.

258 Ez 20,33-38; Jes 43,1-21; 51,9-11; 52,4-12.

259 Ez 34,1-31; Jes 40,11; 59,20.

260 Jes 44,3; Ez 36,24-28.

261 Ez 37,1-14.

262 Ez 43,1-12; 47,1-12.

263 Jes 41,8-10; 44,1-2.

264 Jes 66,22; Jer 33,25-26.

265 Jes 27,12-13; Jer 30,18-22 usw.

266 Jes 66,18-21; Sach 14,16.

267 Jes 11,11-16; Jer 31,7; Mi 2,12-13; 4,6-7; 5,6-7; Zef 3,12-13; Sach 8,6-8 usw.

268 Esra 9,13-15; Neh 1,2-3.

269 Apg 2,41; 4,4; 5,14.

270 Mt 13,14-15 und Par.; Joh 12,40; Apg 28,26-27; Röm 11,8.

271 Ex 15,18; Num 23,21: Dtn 33,5.

272 Jes 41,21; 43,15; 52,7; Ez 20,33.

273 Jes 33,22; Mi 2,13; Zef 3,15; Mal 1,14.

274 Jes 24,23; Mi 4,7-8; Sach 14,6-9.16-17.

275 Ps 47; 93; 96-99.

276 Am Anfang in Ps 93; 97; 99; in der Mitte in Ps 47 und 96.

277 Ps 47,9; vgl. 96,10.

278 Mt 4,17.23; 9,35.

279 13,47-50; 22,1-13; vgl. 24,1-13.

280 Mt 16,28; 25,31.34.

281 Joh 3,3.5; Apg 1,3; 8,12 usw.; Röm 14,17; 1 Kor 4,20 usw.

282 Offb 12,10 hat »die Herrschaft unseres Gottes«.

283 Jes 9,1-6; 11,1-9; Jer 23,5-6; Ez 34,23-24; Mi 5,1-5; Sach 3,8; 9,9-10.

284 1 QS 9,9-11; 1 QSa 2,11-12; CD 12,23; 19,10; 20,1.

285 1 Hen 93,3-10; 2 Bar 29-30.39-40.72-74; 4 Esra 7,26-36; 12,31-34; ApkAbr 31,1-2.

286 Mt 1,1-17; 2,1-6; Lk 1,32-33; 2,11.

287 Joh 1,41; 4,25.

288 Mt 11,3; Lk 7,19; Joh 11,27.

289 Mt 24,5.23-24; Mk 13,21-22.

290 Mt 16,16 und Par.; Joh 11,27; 20,31; Apg 2,36; 9,22; 17,3; 18,5.28; 1 Joh 5,1.

291 Mk 8,31-33; Lk 24,26.

292 Joh 3,28; 11,27; 20,31.

293 Joh 7,25-31.40-44; 9,22; 10,24; 12,34-35.

294 2 Sam 7,14; vgl. Ps 2,7.

295 Mt 16,16; Mk 14,61-62 und Par.; Joh 10,36; 11,27; 20,31; Röm 1,3-4.

296 Joh 10,30 (vgl. 10,24); vgl. 1,18.

297 Apg 9,22; 18,5.28.

298 Offb 2,26-27; 11,18; 12,5; 19,15.19.

299 Mk 16,15-16; Joh 4,42.

300 Mk 12,29; 1 Kor 8,4; Eph 4,6; 1 Tim 2,5.

301 Ps 33,6; Spr 8,22-31; Sir 24,1-23 usw.

302 Joh 1,14-18; Hebr 1,1-4.

303 Röm 8,29; 2 Kor 3,18.

304 2 Kor 5,17; Gal 6,15.

305 Röm 4,25; Phil 3,20-21; 1 Tim 2,5-6; Hebr 9,15.

306 Lk 22,20; 1 Kor 11,25.

307 Niemals nennt das Neue Testament die Kirche »das neue Israel«. In Gal 6,14 bezeichnet »das Israel Gottes« vermutlich die Juden, die an Jesus Christus glauben.

308 Lk 13,12-24; 1 Kor 1,26-29; Jak 2,5.

309 BJ 2.8.2-13; § 119-161.

310 BJ 2.8.14; § 162; AJ 18.13; § 14.

311 Gal 1,13-14; Phil 3,5-6; vgl. Apg 8,3; 9,1-2; 22,3-5; 26,10-11.

312 Mt 9,11.14 und Par.; 12,2.14 und Par.; 12,24; 15,1-2 und Par.; 15,12; 16,6 und Par.; 22,15 und Par.

313 Mt 5,47; 15,26 und Par.

314 Im 2. Jahrhundert bezeugt der Bericht vom Martyrium des Polykarp den »habituellen« Eifer der Juden von Smyrna, bei der Hinrichtung der Christen mitzuwirken: Martyrium S. Polycarpi, XIII.1.

315 Diese Beobachtung gilt für den Plural, nicht für den Singular von 8,19 und 13,52.

316 Jes 8,23 – 9,6; Jer 31 – 32; Ez 36,16-38.

317 Mt 28,18; vgl. Dan 7,14.18.27.

318 Mk 15,2.9.12.18.26.

319 Mk 12,29; 15,32.

320 Mk 7,6; 14,2.

321 Mk 11,18; 12,12; 14,2.

322 Vgl. auch Mk 8,11-12.15; 10,2-12; 11,27-33.

323 Mk 11,18; 12,12; 14,2.

324 Diese Tendenz hält an: die Verantwortung der Nazis wurde auf ganz Deutschland ausgedehnt, diejenige bestimmter einflussreicher europäischer Lobbyes auf alle Europäer und diejenige bestimmter »Illegaler« auf alle Afrikaner.

325 Lukas stellt fest, dass »eine große Volksmenge« Jesus folgte (23,27); zu ihr gehörten auch viele Frauen, »die um ihn klagten und weinten« (ebd.). Nach der Kreuzigung »stand das Volk da und schaute zu« (23,35); diese Schau bereitete es vor auf die Bekehrung: Am Ende heißt es: »Und alle, die zu diesem Schauspiel herbeigeströmt waren und sahen, was sich ereignet hatte, schlugen sich an die Brust und gingen betroffen weg« (23,48).

326 Apg 13,44-45.50; 17,4-7.13; 18,5-6.

327 Vgl. oben II.B.3.b, Nr. 32.

328 Joh 2,23; 4,39.41; 7,31; 8,30-31; 10,42; 11,45; 12,11.42.

329 Joh 1,10.11; 15,18.25.

330 Joh 5,18; 10,33; 19,7.

331 Joh 18,38-40; 19,14-15.

332 Joh 9,22; 12,42; 16,2.

333 Joh 7,20; 8,48.51; 10,20.

334 Gal 5,14; Röm 13,9.

335 Vgl. Babylonischen Talmud, Traktat Shabbat 31a.

336 Röm 9,27-29 zitiert Jes 10,22-23; Hos 2,1 LXX; Röm 11,4-5 zitiert 1 Kön 19,18.

337 Jer 7,16.20; 11,11.14; 15,1.

338 Ihre Verwerfung des Götzendienstes und ihre Verachtung für alles Heidentum führten zu einer starken Animosität gegenüber den Juden, denen man vorwarf, sich als Volk abzusondern (Est 3,8), »sich gegen alle Menschen ohne Ausnahme feindselig« zu verhalten (Est 3,13e LXX) und einen »feindlichen Hass gegen alle anderen (Menschen)« zu hegen (Tacitus, Historia 5,5). Die Sicht des Paulus ist deutlich anders.

339 Dtn 10,16; vgl. Jer 4,4; Röm 2,29.

340 Vgl. 1 Kor 6,9-11; Eph 4,17-19. In Dtn 23,19 bedeutet »Hund« einen Prostituierten; in Griechenland war die Hündin Symbol der Unschamhaftigkeit. Zu den kultischen Verstümmelungen vgl. Lev 21,5; 1 Kön 18,28; Jes 15,2; Hos 7,14.

341 Gal 4,28-29; Röm 9,8.

342 Im Griechischen hat der Ausdruck »sie [haben]« zweimal den Genitiv, der den Besitzer anzeigt (wörtlich: »ihrer [sind]«; für »ihnen [entstammt]«) steht ein Genitiv, der mit der Präposition ex verbunden ist, die Herkunft ausdrückt.

343 Hebr 4,9; 11,25; vgl. 10,30 »sein Volk«.

344 Num 14,1-35; Hebr 3,7 – 4,11.

345 Hebr 12,3; vgl. Lk 24,7.

346 1 Petr 2,9; Ex 19,6; Jes 43,21.

347 Apg 3,26; Röm 1,16.

348 Ps 98,2-4; Jes 49,6.

349 Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen »Nostra Aetate«, Nr. 4.

350 Paul VI., Homilie vom 28. Oktober 1965: »ut erga eos reverentia et amor adhibeatur spesque in iis collocetur« (»dass man ihnen Ehrfurcht und Liebe schenke und Hoffnung auf sie setze«).

351 AAS 58 (1966) 740.

352 Papst Johannes Paul II. in Deutschland. 15.-19. November 1980: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls (VApS) 25A (1980) 104.

353 Herder-Korrespondenz 40 (1986) 245.

354 Nach Documentation Catholique 94 (1997) 1003.

355 Johannes Paul II., Jubiläums-Pilgerreise zu den Heiligen Stätten: VApS 145 (2000) 49f.

Weblinks