Graves de communi (Wortlaut)

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Enzyklika
Graves de communi re

unseres Heiligen Vaters
Leo XIII.
an alle Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe der katholischen Welt,
welche in Gnade und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle stehen
über die Katholische Aktion und die christliche Demokratie
18. Januar 1901

(Offizieller lateinischer Text: ASS XXXIII [1900-1901] 385-396)

(Quelle : Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung, Eine Sammlung päpstlicher (sozialer) Dokumente vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Originaltext mit Übersetzung, herausgegeben von Professor Dr. Arthur Utz OP und Dr. Birgitta Gräfin von Galen, Scientia humana Institut Aachen 1976, VI 32-53, S. 1050-1073, lateinischer und deutscher Text; Imprimatur Friburgi Helv., die 2 decembris 1975 Th. Perroud, V.G.; Die Nummerierung folgt der englischen Fassung].)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Ehrwürdige Brüder,
Gruß und Apostolischen Segen !

Einleitung: Die soziale Frage, die bisherigen Bemühungen des Papstes um ihre Lösung

1 Die ernsten Auseinandersetzungen über die soziale Frage, die in vielen Völkern seit langem die Geister entzweien, greifen täglich mehr um sich und werden so heftig, dass unvermeidlicherweise auch die erfahrenen Geister ratlos und mit Sorge erfüllt werden. Trügerische Ansichten, die sowohl im philosophischen Denken wie im praktischen Leben Anklang fanden, haben diese Auseinandersetzungen provoziert. Die neuen Hilfsmittel technischer Art, welche unser Zeitalter erfand, die Erleichterungen eines raschen Verkehrs, die Ersparnis an Arbeit und die Vermehrung des Gewinns durch Maschinen aller Art haben dann den Streit verschärft. Schließlich wussten aufwühlende Geister in schlechter Absicht, den Kampf zwischen den Begüterten und den Besitzlosen zu entfachen. Auf diese Weise haben sich die Verhältnisse so zugespitzt, dass die Staaten mehrfach unter Aufständen litten und sich von unheimlichen Verheerungen bedroht sehen.

2 Schon zu Beginn Unseres Pontifikates erkannten Wir die Gefahren, die der bürgerlichen Gesellschaft drohten, und Wir hielten es für Unsere Pflicht, die Katholiken öffentlich vor dem in den Lehrsätzen des Sozialismus versteckten schweren Irrtum und dem großen Unheil zu warnen, das dieser nicht nur den äußern Gütern des Lebens, sondern auch der Sittlichkeit und Religion bringt. Diesem Zwecke diente die Enzyklika Quod Apostolici muneris, die Wir am 28. Dezember 1878 veröffentlichten. - Als sich aber die Gefahren zum täglich wachsenden Schaden der Einzelnen und der Allgemeinheit mehrten, haben Wir wiederum und um so nachdrücklicher Uns bemüht, Vorsorge zu treffen. In dem Sendschreiben Rerum novarum vom 15. Mai 1891 haben Wir ausführlich über die Rechte und Pflichten gesprochen, auf Grund derer die beiden gesellschaftlichen Klassen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sich untereinander verständigen sollten. Zugleich haben Wir in den Geboten des Evangeliums die Heilmittel aufgezeigt, die Wir in erster Linie für dienlich erachten, die Sache der Gerechtigkeit und der Religion zu retten und jeglichen Streit zwischen den Klassen der Bevölkerung im Staate zu schlichten.

Die Früchte der päpstlichen Ermahnungen bei den Katholiken

3 In der Tat erwies sich Unser Vertrauen mit Gottes Hilfe als berechtigt. Haben doch selbst Nichtkatholiken der Wahrheit die Ehre gegeben und es als ein Verdienst der Kirche anerkannt, dass sie ihre Fürsorge allen Schichten und ganz besonders jenen zuwende, die sich in beklagenswerter Lage befinden. Und die Katholiken haben von Unseren Belehrungen reichliche Früchte geerntet. Denn sie wurden durch dieselben nicht nur zur Schaffung vortrefflicher Institutionen ermuntert und gestärkt, sondern empfingen auch jene willkommene Erleuchtung, der sie die zielsichere und erfolgreiche wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Fragenkomplex verdanken. Dies führte unter ihnen teilweise bereits zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten, teilweise zur Milderung der Auseinandersetzungen. Der praktische Erfolg aber zeigte sich in der planmäßigen Gründung neuer und im nützlichen Ausbau zahlreicher bestehender Wohlfahrtseinrichtungen zum Vorteile der Besitzlosen zumal an Orten, wo deren Lebensbedingungen besonders schlecht waren. Zu diesen Einrichtungen gehören z. B. die so genannten Volkssekretariate zum Zweck der Beratung und Rechtshilfe, die ländlichen Darlehenskassen, Genossenschaften zur gegenseitigen Unterstützung und zur Hilfe in Notlagen, die Arbeitervereine und andere derartige Genossenschaften und Einrichtungen zur Förderung der Arbeiterschichten.

Die Bewegung der "Christlichen Demokratie"

4 So begannen also die Katholiken unter der Leitung der Kirche, sich zu gemeinsamem Vorgehen zu verbinden und Institutionen zu gründen zum Schutz der sowohl von Ausbeutung und Risiken wie auch von Not und Mühsalen bedrängten Volksschicht. Diese Maßnahmen für die Wohlfahrt des Volkes pflegten anfangs keine eigene und unterscheidende Bezeichnung zu tragen. Der Name "Christlicher Sozialismus", den manche einführten, wie auch die von ihm abgeleiteten Benennungen sind zurecht wieder aufgegeben worden. Darauf fand die verschiedentlich gebrauchte Bezeichnung "Christliche Bewegung für Volkswohlfahrt" mit Recht Anklang. In manchen Gegenden heißen die Vertreter dieser Bestrebung "Christlich-Soziale"; andern Orts nennt man die Bewegung sogar "Christliche Demokratie" und ihre Anhänger "Christliche Demokraten" im Gegensatz zur Sozialdemokratie, für die die Sozialisten eintreten. - Von diesen beiden letztgenannten Bezeichnungen hat nun aber, wenn auch nicht so sehr die erstere, "christlich-sozial", so jedenfalls die letztere, "Christliche Demokratie" bei gutgesinnten Leuten mehrfach Anstoß erregt, da sie ihnen einen zweideutigen und gefährlichen Beigeschmack zu haben scheint. Aus mehr als einem Grunde befürchten sie, dass unter dieser Benennung das Bestreben nach der Volksherrschaft im Staat heimlich gefördert oder der Volksherrschaft der Vorzug vor den andern politischen Formen gegeben würde; dass ferner die Wirksamkeit der christlichen Religion auf die Förderung des niederen Volkes unter Hintansetzung der anderen Volksschichten eingeschränkt scheinen möchte, ja dass schließlich unter der Maske dieser Bezeichnung sich etwa der Plan verbergen könnte, jegliche rechtmäßige Autorität, die bürgerliche wie die kirchliche, zu schwächen. - Da die öffentlich geführte Diskussion dieser Angelegenheit schon zu weite Verbreitung gefunden hat und zuweilen leidenschaftlich geführt wird, drängt Uns das Bewusstsein Unserer Pflicht, mäßigend auf die Erörterung der strittigen Frage einzuwirken, indem Wir bestimmen, was die Katholiken davon zu halten haben; außerdem beabsichtigen Wir, einige Anweisungen zu geben, welche ihre Bewegung zu größerer Ausbreitung führen und zu viel größerem Heile für den Staat wenden soll.

I. Der Begriff "Christliche Demokratie"

Der Unterschied zwischen "Sozialdemokratie" und "Christliche Demokratie"

5 Was die Sozialdemokratie will, und was die christliche Demokratie wollen muss, darüber kann keinerlei Zweifel bestehen. Die erste von beiden wird, mag man das mehr oder weniger überbetont zum Ausdruck bringen, von vielen in Umkehrung der Werte so weit getrieben, dass über dem Menschlichen nichts Höheres anerkannt wird, die materiellen Güter des Lebens in der Weise als Ziel gelten, dass ihr Erwerb und Genuß als das Glück des Menschen betrachtet wird. Daher möchte man die Regierungsgewalt im Staate bei der großen Masse wissen, so dass unter Aufhebung aller sozialen Unterschiede und bei Gleichheit aller Bürger auch die Gleichheit des Besitzes durchgeführt werde. Deshalb soll das Eigentumsrecht abgeschafft werden, und was ein jeder an Gütern besitzt mit Einschluss der Produktionsgüter, soll in Gemeingut übergehen.

6 Die Christliche Demokratie hingegen muss sich, schon weil sie christlich heißt, auf die vom göttlichen Glauben gegebenen Grundsätze als auf ihr Fundament stützen. Auf dieser Grundlage muss sie für das Wohl der untersten Schichten so besorgt sein, dass sie die Vervollkommnung des auf das Ewige hin geschaffenen Geistes im Auge behält. Darum darf ihr nichts heiliger sein als die Gerechtigkeit; das Erwerbsund Besitzrecht muss sie für unantastbar erklären; sie muss die Vielfalt sozialer Stufen aufrecht erhalten, die für ein geordnetes Staatswesen natürlich ist; für das gesellschaftliche Leben der Menschen endlich soll sie jene Form und Beschaffenheit anstreben, die der göttlichen Sinngebung entspricht. So ist es klar, dass die Sozialdemokratie und die Christliche Demokratie nichts miteinander gemein haben; denn sie sind voneinander ebenso sehr verschieden wie die sozialistische Lehre und das Bekenntnis zum christlichen Gesetz.

Der rein soziale Charakter der "Christlichen Demokratie"

7 Vollends soll vermieden werden, dem Namen "Christliche Demokratie" einen politischen Sinn beizumischen. Das Wort "Demokratie" bedeutet allerdings etymologisch und im philosophischen Sprachgebrauch Volksherrschaft. Im vorliegenden Fall ist es jedoch so zu verstehen, dass jede politische Vorstellung ausgeschlossen ist und es nichts anderes bezeichnet als eben die helfende christliche Bewegung für die Volkswohlfahrt. Denn die Gebote des Naturgesetzes und des Evangeliums müssen von jeder Form staatlicher Verfassung unabhängig sein, weil ihr Rechtscharakter über die Wechselfälle des menschlichen Lebens erhaben ist; aber sie müssen auch mit jeder Staatsform vereinbar sein, soweit diese nicht der Sittlichkeit und Gerechtigkeit widerstreitet. Sie sind und bleiben jenseits des Treibens der Parteien und der wechselnden Ereignisse, so dass die Bürger unter jeder Staatsverfassung sich an diese Gebote halten können und müssen, die ihnen Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben befehlen. Das war von jeher der Grundsatz der Kirche. Nach ihm haben die römischen Päpste stets mit allen Staaten ohne Unterschied der Regierungsform verhandelt. Demgemäß kann auch der Katholik bei seinen Bemühungen für das Wohl der Besitzlosen seine Absicht und sein Handeln nicht darauf ausrichten, eine bestimmte Staatsform einer andern vorzuziehen und ihr zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Christliche Demokratie und die klassenlose Gesellschaft

8 In der gleichen Weise muss sich die Christliche Demokratie gegenüber einer anderen Kritik abdecken, nämlich gegenüber dem Vorwurf, sie verwende für das Wohl der niederen Schichten eine solche Sorgfalt, dass die höhern Stände vernachlässigt erscheinen; sind doch die Leistungen dieser letzteren für die Erhaltung und Vervollkommnung des Staatswesens von nicht geringerer Bedeutung. Diesem Fehler beugt, wie schon gesagt, das christliche Gesetz der Liebe vor. Es umfasst alle Menschen aller Schichten als die Glieder einer und derselben Familie, als Söhne desselben gütigen Vaters, von demselben Erlöser erkauft und zu derselben ewigen Erbschaft berufen. Man gedenke nur der Lehre und Mahnung des Apostels: "Ein Leib und ein Geist, sowie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung, die dem Rufe entspricht. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über alle und durch alles und in uns allen" (Eph 4, 4-6) Wegen der natürlichen Einheit der niederen Schichten mit den übrigen, die durch die christliche Brüderlichkeit noch verstärkt wird, übt alle Sorgfalt, die auf die Hebung der niederen Schicht verwandt wird, notwendigerweise auch einen Einfluss auf die andern aus, dies um so mehr, als diese zur Erreichung eines guten Erfolges zur Mitarbeit an dem Werke heranzuziehen sind, wovon Wir unten sprechen werden.

Die Christliche Demokratie und die Pflicht der Unterordnung

9 Ebenso möge niemand dem Namen "Christliche Demokratie" die Absicht unterschieben, das joch jeden Gehorsams abzuwerfen und die gesetzmäßige Obrigkeit beiseite zu schieben. Wie das Naturgesetz, so verlangt das christliche Gesetz jenen Respekt vor den Autoritätsträgern des Staates, der ihrem Rang entspricht, und ebenso Gehorsam gegenüber ihren gerechten Befehlen. Und soll die Erfüllung dieser Pflicht eines Menschen und Christen würdig sein, so muss sie aus innerem Pflichtgefühl kommen, das heißt aus dem Gewissen, gemäß der Mahnung des Apostels: ,Jeder unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt." (Röm 13, 1.5) Es würde aber dem Bekenntnis zum christlichen Leben völlig widersprechen, wenn jemand den unterwürfigen Gehorsam gegen jene verweigern wollte, die in der Kirche als Träger der Gewalt einen höheren Rang einnehmen, vor allem gegen die Bischöfe, die der Heilige Geist, unbeschadet der Machtvollkommenheit des römischen Papstes über die Gesamtkirche, "dazu eingesetzt hat, die Kirche Gottes zu regieren, die er mit seinem Blute erkauft hat" (Apg 20, 28). Wer anders denkt oder handelt, liefert den klaren Beweis, dass er das strenge Gebot desselben Apostels vergessen hat: "Gehorchet euren Vorstehern und seid ihnen untertan; denn sie wachen über eure Seelen als solche, die Rechenschaft ablegen werden" (Hebr 13, 17). Diese bedeutsamen Worte sollten alle Gläubigen tief in die Seele einprägen und sie zur Richtschnur im gesamten praktischen Leben machen. Die Diener des Heiligtums sollten sie gleichfalls auf das sorgfältigste erwägen und nicht nur mit Ermahnungen, sondern vor allem durch ihr Beispiel die andern davon zu überzeugen suchen.

Zusammenfassende Würdigung des echten Verständnisses der "Christlichen Demokratie"

10 Damit haben Wir in großen Zügen das besprochen, was Wir früher schon gelegentlich im einzelnen behandelt haben. Wir hoffen, es sei nun jegliche Meinungsverschiedenheit bezüglich des Namens "Christliche Demokratie" ausgeräumt und auch jede Gefahr ausgeschlossen, die sich in dem so benannten Sachverhalt verbergen könnte. Und Wir hoffen dies gewiss mit Recht. Denn nachdem nun die verschiedentlich vertretenen Übertreibungen und Irrtümer bezüglich Einfluss und Bedeutung der Christlichen Demokratie zurückgewiesen sind, wird nun sicherlich niemand mehr eine Bewegung tadeln wollen, deren einziges Ziel im Anschluss an das natürliche und göttliche Gesetz darin besteht, jenen, welche mit ihrer Hände Arbeit den Lebensunterhalt verdienen, erträglichere Lebensbedingungen zu verschaffen und sie allmählich in den Stand zu setzen, für sich selbst zu sorgen; ihnen die Möglichkeit zu bieten, im häuslichen und öffentlichen Leben den sittlichen und religiösen Pflichten ungehindert nachzukommen; in ihnen das Bewusstsein zu hegen, dass sie nicht Tiere, sondern Menschen, nicht Heiden, sondern Christen sind, und so ihnen das Streben nach jenem einen und notwendigen, dem höchsten Gut, für das wir geboren sind, zu erleichtern und sie in diesem Eifer zu unterstützen. Das ist also das Ziel, das ist das Werk jener, welche das Volk im christlichen Geiste zeitgemäß gehoben und von dem Verderben des Sozialismus bewahrt wissen wollen.

II. Würdigung der Sozialarbeit

Die soziale Frage als sittlich-religiöses Problem

11 Mit Absicht haben Wir soeben auf die sittlichen und religiösen Pflichten hingewiesen. Denn es herrscht da und dort die Meinung, und sie ist auch ins Volk hinaus gedrungen, dass die soziale Frage nur eine wirtschaftliche Frage sei, während es doch unzweifelhaft wahr ist, dass in ihr in erster Linie eine sittliche und religiöse Frage vorliegt, die demgemäß hauptsächlich nach dem Sittengesetz und von der Religion aus entschieden werden muss. Denn mag der Lohn der Arbeitnehmer sich verdoppeln, mag man die Arbeitszeit verkürzen, mögen auch die Lebensmittel billig sein, so werden dennoch Arbeitseifer und Verdienst des Arbeiters zerrinnen, wenn er, wie es zu geschehen pflegt, den Lehren und Beispielen folgt, die dazu verführen, die Gottesfurcht aus der Seele zu bannen und ein unsittliches Leben zu führen.

12 Versuche und Beobachtungen haben dargetan, dass auch bei kürzerer Arbeitszeit und reichlicherem Lohne die Mehrzahl der Arbeiter doch in elenden und beschränkten Verhältnissen lebt, weil sie sich sittlichen Verirrungen hingeben und ohne religiöse Betätigung dahinleben. Nimm den Seelen die Gesinnung, welche die christliche Weisheit einpflanzt und nährt, nimm den Sinn für Vorsorge, Bescheidenheit, Sparsamkeit, Ausdauer und die übrigen guten, unserer Natur entsprechenden Angewohnheiten, und du wirst trotz größter Anstrengungen umsonst versuchen, sie zum Glücke zu führen. Das ist der wahre Grund, weshalb Wir niemals katholische Männer zur Gründung von Wohltätigkeitsvereinen und ähnlichen Institutionen ermahnt haben, ohne zugleich zu fordern, dass dies unter Leitung der Religion, unter ihrer Mitwirkung und in Verbindung mit ihr geschehe.

Lob der christlichen Liebe

13 Dieser entschlossenen Initiative der Katholiken zum Wohl der Besitzlosen muss um so höheres Lob gespendet werden, als sie sich auf dem gleichen Felde entfaltet, auf dem die christliche Nächstenliebe vom gütigen Geist der Kirche entfacht, den jeweiligen Zeitverhältnissen entsprechend sich mit Eifer betätigte und auch erfolgreich bewährte. Das Gesetz der gegenseitigen Liebe, welches gemeinsam die Vollendung des Gesetzes der Gerechtigkeit ist, befiehlt uns, nicht nur jedem das Seine zu geben und niemand an der Ausübung seiner Rechte zu hindern, sondern auch "nicht nur mit Wort und Zunge, sondern in Tat und Wahrheit" (1 Joh 3,18) einander zu helfen, eingedenk der Worte, die Christus so liebevoll an die Seinen gerichtet hat: "Ein neues Gebot gebe ich euch: ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe habt gegeneinander" (Joh 13, 34-35). Wenn dieser Eifer in der Nächstenliebe sich in erster Linie auf das unvergängliche Gut der Seele richten soll, so darf er doch keineswegs außer acht lassen, was für dieses Leben nötig und förderlich ist.

14 In diesem Zusammenhang verdient Beachtung die Antwort Christi auf die Frage der Jünger des Täufers: "Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?" Den Grund seiner Sendung, die ihm unter den Menschen zugedacht war, nahm Christus aus dem Bereich der Liebe, indem er sich auf die Worte Isaias berief: "Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt." (Mt 11, 5). Ferner hat Christus, als er vom Jüngsten Gericht und den Belohnungen und Strafen sprach, diedort bestimmt werden, erklärt, dass er dabei ganz besonders in Betracht ziehen werde, wie die Menschen einander Liebe erwiesen haben. Und man ist überrascht davon, dass Christus in dieser Rede die geistlichen Werke der Barmherzigkeit stillschweigend übergeht und nur die leiblichen Werke derselben erwähnt, die er als ihm selbst erwiesen betrachtet: "Ich war hungrig, und ihr habt mich gespeist; ich war durstig, und ihr habt mich getränkt; ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen" (Mt 25, 35-36).

15 Diese Forderungen der Liebe, die in den doppelten Werken der leiblichen und seelischen Wohltätigkeit sich bewähren soll, hat Christus, wie alle wissen, mit seinem persönlichen Beispiel in eindringlicher Weise bekräftigt. Mit innerer Rührung erinnert man sich hier seiner aus väterlichem Herzen kommenden Worte: "Mich erbarmt des Volkes" (Mk 8, 2) und jener diesen Worten entsprechenden Offenbarung seines Willens, zu helfen selbst durch Wundermacht. Sein Erbarmen wird in den Worten gepriesen: "Er ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle geheilt, die vom Teufel überwältigt waren" (Apg 10, 38). - Das Gebot der Liebe haben zuerst die Apostel von ihm empfangen und es gewissenhaft und unverdrossen erfüllt. In der Folgezeit haben jene, die den christlichen Glauben annahmen, viele und mannigfaltige Einrichtungen ins Leben gerufen, um den Menschen Linderung in den Bedrängnissen und Leiden des Lebens zu schaffen. Diese Einrichtungen, die stetig ausgedehnt und vervollkommnet wurden, bilden den eigenen, hervorragenden Ruhm des Christentums und der von ihm ausgegangenen Gesinnung echter Menschlichkeit. Urteilsfähige Menschen können sie nicht genug bewundern, mit Recht, da es doch sonst eine so gewöhnliche Erscheinung ist, dass jeder auf seinen eigenen Vorteil achtet und den anderer hintansetzt.

[Fortsetzung folgt]