Johannes Bonaventura: Breviloquium

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Breviloquium - "Kurzes Wort"
Johannes Bonaventura

Quelle: Breviloquium des Hl. Bonaventura. Ein Abriss der Theologie, aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt von Dr. F. Imle unter Mitwirkung von P. Dr. Julian Kaup OFM, Franziskus-Druckerei Werl in Westfalen (290 Seiten, Imprimatur Paderborn, die 16. Septembers 1930 Vicarius generalis Gierse). Digitalisiert und leicht bearbeitet von Benutzer:Oswald.

Das Breviloquium (lat.; dt.: "Kurzes Wort") ist eine kleine lateinisch verfasste Summa des Kirchenlehrers Bonaventura, ähnlich der Summa theologica des Thomas von Aquin als Lehrbuch für Anfänger der Theologie, d.h. für Studierende. Bonaventura will in systematischer Ordnung das theologische Grundwissen vorlegen, das sie zur Auslegung der Heiligen Schrift brauchen. Um das Gedächtnis der Studenten nicht zu überlasten, verzichtet Bonaventura in seiner Summa darauf, gegensätzliche Argumente zu referieren.<ref>Marianne Schlosser im Vorwort des Breviloquium (siehe Literatur), München, am Fest des hl. Bonaventura 15. Juli 2002, S. 10-17.</ref> Das Breviloquium stammt aus Bonaventuras Magisterzeit (1254-1257) und dürfte gegen Ende des Jahres 1256 verfasst worden sein. Es erschien erstmals 1472 in Nürnberg.

Jedes Kapitel weist die gleiche Struktur auf: In einem kurzen ersten Absatz wird gleichsam im Katechismus-Stil dargelegt, was Glaubenslehre oder gemeinhin anerkannte theologische Lehre ist: «tenendum est». Im zweiten, sehr viel umfangreicheren Teil werden die einzelnen Punkte theologisch begründet und erläutert: «ratio ad praedictorum intelligentiam». Ziel ist der Aufweis der inneren Stimmigkeit des Geglaubten, seiner "ratio", also des inneren Grundes, warum etwas so ist. Wird dieser innere Grund erfasst, so leuchtet er im «Verstehen» wider: Das zu Glaubende (credibile) wird als etwas auch "Einsichtiges" (intelligibile) erfasst. Genau dies ist nach Bonaventura das Feld der theologischen Wissenschaft: "das zu Glaubende unter der Hinsicht, dass es verstehbar ist".<ref>Marianne Schlosser im Vorwort des Breviloquium (siehe Literatur), S. 13.</ref>

Der Verfasser: Kirchenlehrer Bonaventura

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Breite, Länge, Höhe und Tiefe der Heiligen Schrift nach Bonaventura

Ich beuge meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, von dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen hat, damit er euch aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit Kraft verleihe, gestählt zu werden in eurem Innern durch seinen Geist, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe Wurzel fasst und begründet werdet, auf dass ihr mit allen Heiligen ermessen mögt, welches die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe sei, und die alles Erkennen übersteigende Liebe Christi erfasst und so aller Fülle Gottes voll werdet (Eph 3, 14-19).

Mit diesen Worten erschließt der große Völkerlehrer und Wahrheitsprediger, vom göttlichen Geist als dessen auserwählten und geheiligten Gefäß erfüllt, den Ursprung, die Entfaltung und Vollendung jener Schrift, die Gotteswissenschaft ist. Er will damit sagen, dass die Heiligen Schrift dem Einfluss der allerheiligsten Dreifaltigkeit entspringt, ihre Entfaltung sich aber dem Bedürfnisse der menschlichen Fassungskraft anpasst und ihr Vollendungsstand oder ihre Frucht in der überquellenden Fülle der vollkommensten Glückseligkeit besteht.

Sie entstammt also nicht menschlicher Forschung, sondern göttlicher Offenbarung. Diese flutet vom "Vater der Lichter" (Jak 1, 17) hernieder, "vor dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen hat". Von ihm also wird durch seinen Sohn Jesus Christus der HI. Geist in uns ausgegossen. Durch diesen HI. Geist aber, der die Gaben den einzelnen schenkt und austeilt, wem er will (Vgl. 1 Kor 12, 11), wird uns der Glaube verliehen, durch den Christus in unseren Herzen wohnt. Aus der Weisheit Jesu Christi aber fließt quellhaft das Verständnis der gesamten Heiligen Schrift und dessen Festigung. Es ist daher unmöglich, dass jemand in ihre Erkenntnis eindringe, dem nicht zuerst der Glaube Christi als die Leuchte der ganzen Schrift, ihr Tor und ihre Grundlage eingegossen wird. Solange "wir hienieden fern von Gott pilgern" (2 Kor 5, 6), ist nämlich dieser Glaube aller übernatürlichen Erleuchtungen Halt verleihende Grundlage, wegweisende Leuchte und einführende Pforte. Nach dem Maßstab desselben muss also die Einsicht bemessen werden, die Gott uns zuteilt. Es soll ja keiner mehr wissen, als ihm nützlich ist vielmehr soll einem jeden nach richtigem Maße so zugeteilt werden, wie ihm Gott die Erkenntnis zubemessen und zugedacht hat entsprechend seinen Glauben (Vgl. Röm 12, 3). Durch Vermittlung dieses Glaubens nun wird uns die Kenntnis der Heiligen Schrift dank der Einwirkung der allerheiligsten Dreifaltigkeit verliehen, wie es der Apostel ja auch ausdrücklich im ersten Teil der angeführten Stelle sagt. Die inhaltliche Entfaltung der Heiligen Schrift ist nicht in die Gesetze der Vernunftdarlegungen, Erklärungen und Einteilungen eingeengt, wie es bei den übrigen Wissenschaften zu sein pflegt. Sie ist auch nicht auf einen Teil des Alls beschränkt.

Weil sie aus übernatürlichen Lichtquellen fließt, um dem Menschen im Pilgerstand eine ausreichende Kenntnis jener Gegenstände zu verschaffen, die sein Heil angehen, beschreibt sie, teils mit offenen Worten, teils in geheimnisvollen Darlegungen, die Verhältnisse des Universums gewissermaßen in einem Gesamtüberblick. Und das will die "Breite" andeuten. Sie schildert ferner den Verlauf der Dinge, was unter der "Länge" verstanden ist. Sodann zeigt sie die Würde derer, die endlich gerettet werden, was mit der "Erhabenheit" gemeint ist, und das Elend jener, die verdammt werden sollen, worin die "Tiefe" nicht nur dieser Welt, sondern auch des göttlichen Gerichtes besteht. - Und so beschreibt sie das ganze Weltall, soweit es heilsförderlich ist, darüber Kenntnis zu haben, und zwar nach seiner Breite, Länge, Höhe und Tiefe. In ihren Darlegungen erreicht sie also diese vier (Dimensionen), wie wir weiter unten ausführen werden. Die Eigentümlichkeit der menschlichen Fassungskraft bedingt aber, dass sich die Lehren der Heiligen Schrift ihren Bedürfnissen anpassen. Unser Geist ist nämlich dazu angetan, großes und vieles herrlich und vielfältig zu begreifen und ähnelt einem sehr feinen Spiegel, in dem die Gesamtheit der Gegenstände des Universums nicht nur naturhaft, sondern auch gnadenhaft erscheinen soll. Darum muss man den Inhalt der Heiligen Schrift im Hinblick auf die Bedürfnisse der menschlichen Geistesfähigkeit verstehen.

Der Vollendungsstand oder die Frucht der Heiligen Schrift ist aber nicht etwas Besonderes, sondern die Fülle der ewigen Seligkeit. Denn sie ist das Buch, das Worte des ewigen Lebens enthält (Vgl. Joh 6, 69). Sie ist so gehalten, dass wir aus ihr nicht nur den Glauben schöpfen, sondern auch die ewige Seligkeit erwerben sollen. In diesem werden wir schauen und lieben und all unsere Wünsche erfüllt sehen. Ist aber all unser Sehnen gestillt, dann werden wir die alles überragende Liebe der Gotteserkenntnis verstehen und so bis zum Vollmaß der Gotterfülltheit gelangen. Die Heiligen Schrift unternimmt es also, uns zu dieser Fülle hinzuleiten, wie es die Autorität der angeführten Sätze des Apostels bestätigt. Zu diesem Zwecke demnach und in dieser Meinung muss man sie durchforschen, lehren und auch hören.

Um nun zu dieser Frucht und diesem Ziel durch richtiges Fortschreiten auf dem Weg der rechten Reiseführung hinzugelangen, müssen wir bei der Einleitung beginnen. Sie besteht darin, dass wir mit lauterem Glauben zum Vater der Lichter hintreten und die Knie unseres Herzens beugend ihn bitten, er wolle uns durch seinen Sohn im Hl. Geiste die wahre Erkenntnis Jesu Christi verleihen und mit dieser auch die Liebe zu ihm. Wenn wir ihn so kennen und lieben und gewissermaßen im Glauben festbegründet, in der Liebe tief verwurzelt sind, können wir die Breite, Länge, Höhe und Tiefe seiner Heiligen Schrift verstehen. Durch diese Wissenschaft aber mögen wir zur Vollerkenntnis und allerstärksten Liebe der allerheiligsten Dreifaltigkeit durchdringen. Dorthin strebt ja auch die Sehnsucht der Heiligen, in ihr ist der Besitz und das Vollmaß alles Wahren und Guten beschlossen.

Haben wir diesen Zweck der Heiligen Schrift erkannt und ins Auge gefasst, dabei zuerst geglaubt, zugleich aber auch gebetet, dann wollen wir die (inhaltliche) Entwicklung der Schrift nach ihrer Breite, Länge, Höhe und Tiefe betrachten an Hand und in Verfolg der obigen apostolischen Schriftstelle.

Die Breite aber besteht in der Vielheit ihrer Teile, ihre Länge in der Beschreibung der Zeiten und Zeitalter, ihre Höhe in der wohlgegliederten Rangordnung, ihre Tiefe in der Menge der geheimnisvollen Deutungen und Auslegungen.

§ 1. Die Breite der Heiligen Schrift

Um die Breite der Heiligen Schrift zu umfassen, müssen wir in erster Linie die Bibel in die beiden Testamente, das Alte und Neue, einteilen. - Das Alte zerfällt in viele Schriften; es hat nämlich gesetzgebende, geschichtliche, belehrende und prophetische Bücher. Der ersteren sind fünf, der zweiten 16, der dritten sieben, der vierten 18, also im ganzen 46 Bücher. <ref>Die Anzahl der Bücher folgen der Festlegung des Konzils von Trient (vgl. Sacrosancta oecumenica (1) (Wortlaut) vom 8. April 1546.</ref>- Die Bücher des Neuen Testamentes weisen dieselbe Vierteilung auf wie die des Alten. Den Gesetzbüchern entsprechen nämlich die Evangelien, den Geschichtsbüchern die Apostelgeschichte, den Lehrbüchern die Briefe der Apostel, besonders des heiligen Paulus, den Propheten die Geheime Offenbarung. Und so ist die Übereinstimmung der Testamente nicht nur bezüglich des Inhaltes wunderbar, sondern auch in Hinsicht auf die Einteilung. - Als Vorbild und Andeutung dessen sah Ezechiel (1, 15) vier Gestalten auf Rädern und jeweils ein Rad im Rad, weil das Alte im Neuen Testament eingeschlossen ist und umgekehrt. Der Löwe bedeutet die Gesetzbücher und Evangelien wegen ihrer hervorragenden Autorität, der Stier die Geschichtsbücher auf Grund ihrer zugkräftigen Beispiele, der Mensch die Lehrbücher mit ihrer durchdringenden Klugheit und der Adler die prophetischen Bücher mit ihrer sehr scharfsichtigen Weisheit.

Die Heilige Schrift muss von Rechts wegen in das Alte und Neue Testament eingeteilt werden, nicht aber in einen theoretischen und einen praktischen Teil wie die Philosophie. Weil sie nämlich in Wirklichkeit auf der gläubigen Erkenntnis fußt, die eine Tugend und die Grundlage aller Sittlichkeit, der Gerechtigkeit und des ganzen rechten Lebens ist, kann man in der Bibel die Erkenntnis der Dinge und Glaubensgegenstände nicht von der sittlichen Belehrung trennen. Anders ist es bei der Philosophie, die nicht so sehr von der Wahrheit der Sitten, als vielmehr von dem rein spekulativ betrachteten Wahren handelt. Die Theologie ist also eine zum Guten hinbewegende und vom Bösen abtreibende Wissenschaft und erreicht ihren Zweck durch Furcht und Liebe. Deshalb wird sie in die zwei Testamente eingeteilt, deren "kurz gefasster Unterschied in der Furcht und Liebe"<ref> Augustin, Contra Adimantum c. 6 n. 2 M 42, 129.</ref> besteht.

Nun kann man aber auf viererlei Art zum Guten hin- und vom Bösen abgelenkt werden: durch Gebote der allmächtigsten Majestät, durch Urkunden der allerweisesten Wahrheit, durch Beispiele der Wohltaten der allerreinsten Güte oder aber aus dem Zusammenwirken all dessen. Darum sind in jedem der Testamente die Bücher, welche die heilige Lehre in Rücksicht auf diese vier Voraussetzungen enthalten, in dieser Viergliederung auf uns gekommen. Die Gesetzbücher wirken nämlich durch die Gebote der allmächtigsten Majestät, die Geschichtsbücher durch die Vorbilder der allerreinsten Güte, die Lehrbücher durch die Kundgebungen der allerfürsorglichsten Wahrheit und die Propheten durch die Vereinigung alles dessen, wie wir es deutlich in ihnen beobachten. Die letzteren sind ja gleichsam die Wiedereinschärfung aller gesetzgebenden, historischen und belehrenden Schriften.

Die Bibel ähnelt so einem breiten Fluss, der aus dem Zusammenströmen vieler Gewässer mehr und mehr anwächst, je länger sein Lauf ist. So waren zunächst Gesetzbücher vorhanden, zu denen dann die Wasser der Weisheit der Geschichtsbücher und drittens die Lehre des allerweisesten Salomon hinzukamen. Darauf folgte die Unterweisung durch die heiligen Propheten, bis endlich die evangelische Wahrheit auf sie herabtaute, verkündet durch den leiblichen Mund Christi, niedergeschrieben durch die Evangelisten und verbreitet durch die heiligen Apostel. Dazu kamen dann noch jene Offenbarungen, die der auf sie herabsteigende Heilige Geist lehrte. Und so sollte die volle Wahrheit gemäß der göttlichen Verheißung durch den Heiligen Geist gründlich gelehrt, die ganze Heilswahrheit der Kirche Christi verliehen und durch Vollendung der Heiligen Schrift die Erkenntnis dieser Wahrheit eingehend auseinandergesetzt werden.

§ 2. Die Länge der Heiligen Schrift

Die Heilige Schrift hat auch ihre Längenausdehnung, die in der Beschreibung sowohl der Zeitabschnitte als auch der Zeitalter besteht vom Anbeginn der Welt bis zum Tage des jüngsten Gerichtes. - Sie verfolgt nämlich ihre Entwicklung durch die drei Epochen des Natur-, Schrift- und Gnadengesetzes. Und in diesen drei Zeitabschnitten unterscheidet sie sieben Zeitalter. Das erste läuft von Adam bis Noe, das zweite von Noe bis Abraham, das dritte von Abraham bis David, das vierte von David bis zur babylonischen Gefangenschaft, das fünfte von dieser bis auf Christus, das sechste von der Geburt des Herrn bis zum Weitende und das siebente mit dem sechsten zusammen, beginnend im Grabe des Herrn und fortdauernd bis zur allgemeinen Auferstehung. Mit dieser hebt die (Welt-) Auferstehungsoktav an.<ref> Augustin, De gen. ad lit. IV c. 11 n. 21 M 34, 243.</ref> - Demnach ist die Schrift sehr ausgedehnt; beginnt sie doch mit ihren Abhandlungen im Uranfang der Welt und der Zeiten mit dem ersten Kapitel der Genesis und gelangt mit dem Abschluss der Geheimen Offenbarung bis zum Ende der Welt und der Zeiten.

Die ganze Zeitspanne, die sich unter dem dreifachen Gesetze dehnt, nämlich dem innerlich eingegebenen, äußerlich erlassenen und von oben eingegossenen, misst mit Recht sieben Zeitalter und erfährt ihre Vollendung am Abschluss des sechsten. Auch entspricht die Entwicklung der Großwelt schön derjenigen des Lebens der Kleinwelt, d. h. des Menschen, für den sie gemacht ist.

Das erste Weltzeitalter mit der Schöpfung, dem Sturz der Teufel und der Befestigung der Engel (in der Glorie) entspricht gut dem ersten Schöpfungstage, an dem das Licht erschaffen und von der Finsternis getrennt worden ist. Das zweite, in dem in der Arche die Guten aus der Süntflut errettet, die Bösen aber vernichtet worden sind, dem zweiten Schöpfungstage mit der durch das Firmament bewirkten Scheidung der Wasser voneinander. - Das dritte, in dem Abraham berufen und die Synagoge begründet worden ist, die fruchtbarer werden und zur Verherrlichung Gottes Kinder erzeugen musste, entspricht dem dritten Tage mit Hervorbringung der Erde und dem Aufsprossen von Gras und Kräutern. - Das vierte, in dem das Priester- und Königtum blühte, in dem König David den Dienst Gottes ausgestaltete, entspricht dem vierten Tage mit Schöpfung der Himmelslichter und Sterne. - Das fünfte, in dem die ausgewanderten Juden unter die Heiden verstreut und gepeinigt wurden, entspricht dem fünften Tage mit Erschaffung der Fische im Wasser. - Das sechste, in dem Christus in Menschengestalt geboren wurde, er, der das wahre Bild Gottes ist, entspricht dem sechsten Tage mit der Erschaffung der ersten Menschen. Das siebente, das den nie endenden Seelenfrieden bringt, entspricht endlich dem siebenten Tage, an dem "Gott von allen seinen Werken, die er vollbracht hatte, ruhte" (Gen 2, 2).

Und derart werden die sieben Zeitalter nach den bedeutsamen Ereignissen unterschieden, die jeweils an ihrem Ausgangspunkt liegen und auf Grund derer sie den betreffenden Schöpfungstagen gleichen. Das erste Zeitalter nennt man das Säuglingsalter. Wie dieses nämlich in vollständige Vergessenheit versinkt, so ist die erste Epoche durch die Süntflut verschlungen worden (Vgl. Gen 7, 21 ff). - Das zweite heißt die Kindheit. Wie wir nämlich in ihr zu sprechen anfangen, so fällt in dieses die Unterscheidung der Sprache. - Das dritte heißt das Jünglingsalter. Wie hier nämlich die Zeugungskraft anfängt in Tätigkeit zu treten, so ist dort Abraham berufen, ihm die Beschneidung auferlegt und zugleich die Verheißung der Nachkommenschaft gegeben worden. - Das vierte wird das Mannesalter genannt. Wie in dieses das Vollalter des Menschen, seine Blütezeit fällt, so blühte in jenem die Synagoge unter den Königen. - Das fünfte nennt man das beginnende Alter. Wie in ihm die Kräfte zu schwinden anfangen und die Schönheit abnimmt, so erging es in der Gefangenschaft dem Priestertum der Juden. Das sechste Zeitalter endlich heißt das Greisenalter, in dem wir uns mit dem Tod anfreunden, aber auch große Erleuchtung der Weisheit genießen; so endet jenes sechste Zeitalter mit dem Tage des Weltgerichtes und in ihm herrscht dank der Lehre Christi die Weisheit.

Auf diese Art wird also in der Heiligen Schrift diese ganze Welt in ihrem wohlgeordneten Entwicklungsgang geschildert, vom Uranfang ausgehend bis zum Ende, und zwar nach Art eines sehr schön geordneten Liedes. Jeder vermag hier an Hand der Entwicklung der Zeiten die Verschiedenheit, Vielfältigkeit, Ebenmäßigkeit, Ordnung, Richtigkeit und Schönheit der vielgestaltigen Gerichte zu beobachten, die von der weltregierenden Weisheit Gottes ausgehen. Wie aber niemand die Schönheit eines Liedes erfassen kann, wenn er es nicht in seiner Ganzheit betrachtet, so erkennt auch keiner die Schönheit und Ordnung der Weltregierung, wenn er sie nicht in ihrem Zusammenhang überblickt. Da nun aber kein Mensch so langlebig ist, dass er all dieses mit seinen leiblichen Augen sehen könnte, und da auch niemand aus sich selber die Zukunft vorauswissen kann, hat der Heilige Geist das Buch der Heiligen Schrift für uns bestimmt, deren Länge uns den gesamten Verlauf der göttlichen Weltregierung ausmisst.

§ 3. Die Erhabenheit der Heiligen Schrift

Die Heiligen Schrift weist in ihrer Ausführung auch Erhabenheit auf. Diese besteht in der Schilderung der stufenweise gegliederten Hierarchien, nämlich der kirchlichen, himmlischen und überhimmlischen. Die erste beschreibt sie offen, die zweite schon etwas geheimnisvoller und die dritte am allergeheimnisvollsten. In der Schilderung der kirchlichen Hierarchie ist sie erhaben, in derjenigen der englischen erhabener und in der Beschreibung der göttlichen am erhabensten, so dass wir mit dem Propheten sprechen können: "Wunderbar dünkt mich dein Wissen, sehr hoch ist es, und ich kann es nicht erreichen" (Ps 138, 6).

So muss es auch sein. Die Dinge existieren nämlich im Stoffe, aber auch im menschlichen Geiste, und zwar durch von ihm selbst erworbene, darüber hinaus aber auch durch die in der Gnade und endlich noch durch die in der Glorienschau gewährte Erkenntnis; außerdem aber haben sie noch in der "ewigen Kunst"<ref> Mit diesem Ausdruck bezeichnet die Scholastik in Anlehnung an Augustinus von Hippo das aller Verwirklichung ursächlich vorausgehende gestaltungsmächtige Planen Gottes, das in ihm lebt wie die Idee des Werkes im Künstler und darum die "ewige Kunst, ars aeterna" genannt wird. Ähnlich wie die Weisheit wird sie der zweiten trinitarischen Person zugesprochen, die ja der hypostatische Gedanke des ursprungslosen Vaters, aber nicht nur seiner selbst, sondern auch alles möglichen und wirklichen außergöttlichen Seins ist. Vgl. Augustin, De trinit. VI c. 10 n. 11 M 42, 819.</ref> ihr Sein. Die Philosophie nun handelt von den Naturdingen bzw. von den naturhaft besessenen oder natürlich gewonnenen Erkenntnissen. Die Theologie aber, als eine auf den Glauben begründete und durch den Heiligen Geist geoffenbarte Wissenschaft, behandelt das, was die Gnade und Glorie sowie die ewige Weisheit selber betrifft. Darum macht sie sich die philosophische Erkenntnis zu eigen und orientiert sich an den natürlichen Dingen, soweit es ihre Aufgabe ist, (aus ihnen) einen Spiegel herzustellen, in dem sie göttliche Wahrheiten zeigt. Es ist, als ob sie so eine Leiter aufstelle, die mit ihrem unteren Ende die Erde, mit ihrer Spitze aber den Himmel berührt (Vgl. Gen 28, 12). Und all dieses vermag die Schrift durch jenen einen Hierarchen Christus. Dieser ist durch Annahme der menschlichen Natur ein Herrscher nicht nur in der irdischen, sondern auch in der englischen Hierarchie, und in der überhimmlischen der Dreifaltigkeit ist er die mittlere Person. Durch ihn fließt vom höchsten Haupte, Gott, die Gnade der Salbung nicht allein auf den Bart, nein, auch auf den Saum des Gewandes (Ps 132, 2), d. h. nicht nur auf das himmlische Jerusalem, sondern auch auf die streitende Kirche herab.

Groß ist die Schönheit im Aufbau der Welt, viel größer aber noch in der mit der Herrlichkeit der heiligen Charismata ausgeschmückten Kirche, am größten aber im himmlischen Jerusalem und über alle Maßen groß in der allerhöchsten und heiligsten Dreifaltigkeit. Darum hat die Heilige Schrift nicht nur einen erhabenen Gegenstand, durch den sie den Geist des Menschen erfreut und hoch emporhebt; sie ist vielmehr auch in sich selber überaus fein gefügt und entzückt unseren Verstand auf wunderbare Weise. Und ihn derart mehr und Mehr erfreuend, bereitet sie ihn zur Aufnahme göttlicher Anschauungen und Geheimnisse.

§ 4. Die Tiefe der Heiligen Schrift

Endlich zeichnet sich die Heiligen Schrift durch Tiefe aus. Diese besteht in der Vielfältigkeit ihres mystischen Sinnes. Neben der buchstäblichen hat sie nämlich an verschiedenen Stellen eine dreifache Bedeutung: die tropologische, moralische und anagogische. Wenn durch eine Tatsache eine andere Glaubenstatsache ausgedrückt wird, so ist dieses Allegorie. Wird durch ein Ereignis etwas zu verstehen gegeben, was getan werden soll, so haben wir Tropologie oder moralische Bedeutung. Wird aber dasjenige dem Verständnisse nähergerückt, was zu ersehnen ist, nämlich der ewige Glückszustand der Seligen, so ist dieses Anagogie, d. h. eine Art von Emporführung.

Dieser dreifältige Sinn muss nun mit Recht in der Schrift neben dem buchstäblichen herlaufen. So passt es für ihren Gegenstand, ihren Hörer bzw. Schüler, ihren Ursprung und ihren Zweck.

So ziemt es sich für ihren Gegenstand, sage ich; enthält sie doch die Lehre über Gott, Christus, das Erlösungswerk und den sonstigen Glaubensinhalt. Ihr Gegenstand ist nach der Wesenheit Gott, nach der Kraft Christus, nach der Wirksamkeit das Erlösungswerk, zusammenfassend also das, was wir zu glauben haben. Gott aber ist einer und dreieinig, einer in der Wesenheit, dreieinig in den Personen. Darum hat die Schrift, die von ihm handelt, in der Einheit des Wortlautes die Dreifaltigkeit des Sinnes. - Wiewohl Christus nur ein einziges Wort ist, von dem geschrieben steht, dass "alles durch dasselbe gemacht wurde" (Joh 1, 3) und in ihm widerstrahlt, ist seine Weisheit doch vielgestaltig und gleichwohl nur eine einzige. - Die Werke unserer Wiederherstellung, obschon ihrer viele sind, beziehen sich doch alle hauptsächlich auf das Opfer des Herrn. - Der Glaubensinhalt spiegelt sich verschiedenartig, entsprechend dem jeweiligen Stande des Glaubens. Somit muss im Interesse der Übereinstimmung mit all diesem eben Angeführten die Bibel in einem Wortlaute einen vielfältigen Sinn ergeben.

Auch um des Hörenden willen muss es so sein. Nur derjenige ist ja ein geeigneter Schüler der Heiligen Schrift, der demütig, rein, gläubig und fleißig ist. Darum verbirgt die äußere Schale des Buchstabens den geheimnisvollen und tiefen Sinn, und zwar zur Unterdrückung des Stolzes. Durch diesen unter der Unscheinbarkeit des Buchstabens verhüllten Tiefsinn sollen sowohl die Stolzen nieder-, als auch die Unreinen ferngehalten, die Betrügerischen aber zurückgestoßen und die Nachlässigen zum Verstehen der Geheimnisse aufgeweckt werden. Da nun nicht alle Hörer dieser Lehre gleicher, vielmehr sehr verschiedener Beschaffenheit sind, aber doch auch alle, die gerettet werden sollen, etwas von ihr wissen müssen, hat diese einen mehrfachen Sinn, damit sie jeden Geist erfasse, jedem sich angleiche, jeden aber auch übersteige und jeden, der fleißig auf sie achtet, durch die Vielheit ihrer Bestrahlungen gleicherweise erleuchte und entzünde.

So ziemt es sich auch für den Urheber, von dem sie ausgeht. Die Schrift kommt ja von Gott durch Christus, den Heiligen Geist und den Mund der Propheten und anderer, die diese Lehre aufgeschrieben haben. Weil nun aber Gott nicht nur durch Worte, sondern auch durch Werke redet, denn bei ihm ist sprechen handeln und handeln sprechen, deutet alles Erschaffene als Gotteswerk ihn als seine Ursache an. Somit müssen in der gottgegebenen Schrift nicht allein die Worte, sondern auch die Taten Zeugnis ablegen. Christus, ihr Lehrer, war, wiewohl er demütig im Fleische wandelte, doch der Gottheit nach hoch erhaben. Es war für ihn und seine Lehre demnach angemessen, Bescheidenheit in der Rede mit Tiefe des Inhaltes zu verbinden. Wie er nämlich selber in Windeln gewickelt war, (Vgl. Lk 2, 7) so soll die Weisheit Gottes in der Schrift unter ganz demütigen Gestalten verborgen werden. - Der Heilige Geist endlich hat auf verschiedene Art erleuchtet und seine Offenbarungen in die Seelen der Propheten gesenkt. Kein Geist kann ihm verborgen bleiben, er ist gesandt worden, die ganze Wahrheit zu lehren. Darum passte es für seine Lehre, dass sie in einem Wortlaute vielerlei Sinn verhülle.

Zuletzt ziemt es sich noch in Rücksicht auf den Zweck. Die Schrift ist ja gegeben, damit der Mensch durch sie zum Erkennen und zum Handeln hingeleitet werde, um so endlich zum gewünschten Ziele zu gelangen. Nun sind aber die Geschöpfe dazu erschaffen, dem zum ewigen Vaterland hinstrebenden Menschen behilflich zu sein. Deshalb bedient sich die Schrift der verschiedentlichen Gestalt dieser Geschöpfe, um uns durch sie die zur Ewigkeit hinführende Weisheit zu lehren. Der Mensch wird aber nur dorthin gelenkt, wenn sein Erkenntnisvermögen die zu glaubende Wahrheit erfasst und seine Tatkraft das zu vollbringende Gute wirkt und sein Gemüt nach der Schau und der Liebe und dem Genuss Gottes seufzt. Darum handhabt die vom Heiligen Geiste gegebene Schrift das Buch der Natur, indem sie es durch ihren dreifachen Sinn auf das letzte Ziel bezieht. So sollen wir also durch die Tropologie (den moralischen Schriftsinn) erfahren, wie wir zu handeln, durch die Allegorie, was wir wahrhaftig zu glauben und durch die Anagogie, was wir liebend zu erstreben haben. Dann mögen wir, gereinigt durch kraftvolle Werke, erleuchtet durch strahlenden Glauben und vervollkommnet durch glühende Liebe, endlich zum Lohne der ewigen Seligkeit gelangen.

§ 5. Darstellungsweise der Heiligen Schrift

In jener Vielfältigkeit der Weisheit, die in der Breite, Länge, Höhe und Tiefe der Heiligen Schrift enthalten ist, findet sich eine gemeinsame, ihr eigene und ihrer würdige Darstellungsweise. Sie umfasst die erzählende, gebietende, verbietende, beschwörende und verheißende Redeweise. Und sie alle in ihrer Vereinigung stellen in angemessener Weise die der Bibel ureigene Form dar.

Ihre Lehre bezweckt, dass wir gut werden und unser Heil erlangen. Dieses aber kann nicht nur durch die rein geistige Betrachtung erzielt werden, sondern weit mehr noch durch eine Willensbewegung. Deshalb muss die Schrift in einer Form abgefasst sein, durch welche wir mehr (zu diesem Ziele) hingeneigt werden. Da nun das Gemüt sich mehr zu den Beispielen als zu den Beweisgründen, mehr zu den Verheißungen als zu den Vernunftargumenten, mehr zur Frömmigkeit als zur Wesensbestimmung hingezogen fühlt, darf die Schrift, um eine gewisse Liebe für ihren Gegenstand zu wecken, nicht mit Definitionen, Einteilungen und Begriffsverbindungen kommen, wie es die übrigen Wissenschaften tun. Für sie passt vielmehr eine ganz besondere Form in Rücksicht auf die abweichenden Neigungen der mannigfaltig empfindenden Gemüter. Wird demnach jemand durch Gebote und Verbote nicht ergriffen, dann vielleicht durch angeführte Beispiele, wenn nicht durch diese, dann vielleicht durch Schilderung von Wohltaten, und wenn auch durch diese noch nicht, dann vielleicht durch weise Ermahnungen, wahrhaftige Verheißungen und schreckliche Androhungen. Dadurch möchte er doch noch zur Frömmigkeit und zum Lobe Gottes hingerissen werden und jene Gnade erhalten, durch die er zu tugendhaften Werken geleitet wird.

Diese erzählende Darstellung nun aber darf nicht auf dem Wege der Vergewisserung der Vernunft vorgehen, können doch einzelne Ereignisse nicht überzeugen. Darum sicherte Gott der Schrift die Gewissheit der Autorität, die so groß ist, dass sie alle Scharfsichtigkeit des menschlichen Denkens weit überragt, damit dies Buch nicht durch Zweifel angefochten werde und so weniger auf die Gemüter wirke. Eine Autorität aber, die täuschen oder getäuscht werden kann, ist nicht zuverlässig. Nun ist aber außer Gott und dem Heiligen Geiste niemand vor Täuschungen gesichert und unfähig, andere zu täuschen. Damit die Heiligen Schrift also durch eine derartige Autorität gestützt sei, ist sie nicht durch menschliche Erforschung vermittelt, vielmehr durch göttliche Offenbarung. - Man darf demnach in ihr nichts als unnütz ablehnen, nichts als falsch verwerfen, nichts als ungenau verurteilen, kann doch der Heilige Geist, ihr ganz vollkommener Urheber, nichts Falsches, nichts Überflüssiges und auch nicht zu wenig sagen. Darum werden "Himmel und Erde vergehen",(Mt 24, 25) nicht aber die Worte der Heiligen Schrift, ohne dass sie erfüllt würden. Denn "bis Himmel und Erde aufhören, wird nicht ein Jota oder ein Buchstabe des Gesetzes vergehen, bis alles erfüllt wird", so sagt uns der Erlöser selber. Wer also den Sinn der Schrift nicht achtet und "so die Menschen lehrt, wird im Himmelreich der Geringste genannt werden. Wer aber danach handelt und lehrt, der wird dort groß heißen" (Mt 5, 18 ff).

§ 6. Die Auslegung der Heiligen Schrift

Ebenso wie die Schrift ihre besondere Art der Darstellung hat, muss sie auch auf besondere Art verstanden und erklärt werden. Da sie unter einem Wortlaut einen vielfältigen Sinn birgt, muss ihr Ausleger Verborgenes ans Licht fördern (Vgl. Job 28, 11) und das derart Enthüllte durch andere Schriftstellen einleuchtender machen. Ich werde z. B. diese PsalmstelIe (Ps 34, 2): "Ergreife Waffen und Schild und stehe auf, mir zu helfen!" so erklären: Wenn ich erläutern will, welches die Waffen Gottes sind, würde ich ausführen, es sei "seine Wahrheit und sein guter Wille" und dieses sei aus der offen vor uns liegenden Schrift zu beweisen, steht doch anderweitig geschrieben: "Mit dem Schilde deines guten Willens hast du uns gekrönt," (Ps 5, 13) und weiterhin: "Wie ein Schild umgibt dich seine Wahrheit" (Ps 90, 5). - Dazu kann aber nur dann jemand mit Leichtigkeit gelangen, wenn die Gewohnheit der Schriftlesung den Text und die biblischen Bücher seinem Gedächtniss einprägt. Ohne das vermag niemand die Bibel auszulegen. Wie derjenige, der es ablehnt, die Elementarbestandteile zu erlernen, niemals weder die Bedeutung noch auch die richtige Regel des Satzbaues wissen kann, so wird der nie zum geistigen Gehalte der Schrift vordringen, der ihren Wortlaut verachtet.

Der Ausleger muss auch beachten, dass man nicht allenthalben eine Allegorie vermuten darf noch alles mystisch erklären kann. In dieser Hinsicht muss man wissen, dass die Heilige Schrift einen vierfachen Inhalt hat. Der eine handelt dem Wortlaute nach von der Beschaffenheit dieser Welt und versteht darunter unsere Erlösung, wie wir es deutlich in der Schilderung der Schöpfung sehen. - Der andere berichtet von den Taten und Fortschritten des Volkes Israel und bezeichnet damit die Wiederherstellung der Menschheit. - Der dritte bedeutet und sagt mit klaren Worten, was zu unserem Heile, also dem Glauben und der Sittlichkeit, gehört. - Der vierte endlich verkündet das Geheimnis unseres Heiles vorher, und zwar teils in offenen Wendungen, teils verschleiert und verdunkelt. - Und in diesen verschiedenen Steilen ist die Schrift nicht in gleicher Weise auszulegen.

Der Erklärer muss sich dabei vielmehr von drei Regeln leiten lassen, die wir den Worten des heiligen Augustinus entnehmen können, und zwar in der Schrift "De doctrina christiana". <ref> III C. 10 n. 14 ff.</ref> Die erste ist diese. Wo immer in der Bibel die erste Bedeutung der Worte sich auf die Schöpfung oder Einzelheiten des menschlichen Lebens bezieht, werden zunächst die durch den Wortlaut ausgesagten Dinge gemeint und danach erst das Geheimnis unserer Wiederherstellung. Wo schon die nächstliegende Wortbedeutung den Glauben oder die Liebe ausdrückt, ist nicht weiter nach Allegorien zu suchen.

Die zweite Regel ist folgende. Wo die biblischen Worte die erschaffenen Dinge oder den Wandel des Judenvolkes schildern, soll man aus einer anderen Schriftstelle ersehen, was es dort bedeutet. Man suche also ihren Sinn an Hand von Worten, welche die Glaubenswahrheit oder die Ehrbarkeit der Sitten unverblümt aussprechen. Wenn z. B. geschrieben steht: "Die Schafe tragen doppelte Frucht" (Hld 4, 2), dann bedeuten die Schafe dort die Menschen und die doppelte Frucht die verdoppelte Liebe.

Die dritte Regel lautet: Wenn eine Stelle sowohl buchstäblich als auch geistig genommen werden kann, dann muss sich der Erklärer schlüssig werden, ob er ihr historischen oder geistigen Sinn zusprechen soll, wenn nicht gar beides angemessen ist. Ist dieses der Fall, dann muss sie sowohl buchstäblich als auch geistig verstanden werden. Sonst darf sie eben nur geistig verstanden werden. Hierher gehört, dass die Sabbatgesetze fortdauern, das Priestertum ewig, der Besitz des Erdreiches ein ewiger und der Vertrag der Beschneidung für ewige Zeiten sei, welches alles nur im geistigen Sinne zu fassen ist.

Um nun durch den dichten Wald der Schrift eindringend und erklärend durchbrechen zu können, muss man zuerst ihre Wahrheit aus klar eindeutigen Worten erkennen, d. h. beachten, wie die Bibel den Anfang, die Entwicklung und den Endzustand jener beiden (Menschengattungen) beschreibt, die sich gleichsam gegensätzlich aufeinander beziehen, der Guten nämlich, die sich hienieden demütigen, um ewig erhöht, und der Bösen, die sich hier erheben, um ewig unterdrückt zu werden (Vgl. Mt 23, 12). Diesbezüglich behandelt die Schrift das ganze Universum in Rücksicht auf sein Höchstes und sein Niedrigstes, sein Erstes und sein Letztes in Bezug auf die dazwischeniiegende Entwicklung, also gleichsam unter einer Art von geistigern Kreuz, unter dem der gesamte Weltaufbau beschrieben und so im Lichte des Geistes betrachtet werden muss. Um dieses einigermaßen zu verstehen, muss man den Urgrund aller Dinge, Gott, die Erschaffung dieser Dinge, den Sündenfall, die Erlösung durch das Blut Jesu Christi, die Wiederherstellung durch die Gnade, die Heilung durch die Sakramente und die endliche Vergeltung durch ewige Strafe oder ewige Verherrlichung kennen.

Nun ist diese Lehre sowohl in den Schriften der Heiligen als auch der Gelehrten derart verstreut vermittelt, dass sie von den Anfängern im Schriftstudium lange Zeit hindurch weder gesehen noch gehört werden kann. - Deshalb verabscheuen auch häufig die "Neulinge" die Bibel als unzuverlässig und ungeordnet und vergleichen sie einem dunklen Walde. - Aus diesem Grunde wurde ich von meinen Mitbrüdern gebeten, kurz einiges über unser armseliges bisschen Wissenschaft von der Gotteswahrheit zusammenfassend zu sagen. Und von ihren Bitten besiegt, habe ich eingewilligt, den vorliegende kurz gefasste Lehrbuch zu verfassen. Ich habe nicht alles behandelt, aber doch dasjenige, was sich praktisch dazu eignet, lehrbuchartig dargestellt zu werden. Zugleich habe ich damit den Versuch gemacht, das zum Verständnis zu bringen, was für das zeitliche Leben zu wissen nützlich ist.

Die Theologie handelt von Gott und dem Urprinzip. Als die allerhöchste Wissenschaft und Gelehrsamkeit führt sie alles auf Gott als den ersten und erhabensten Grund zurück. Ich habe also versucht, alles vom Urprinzip abzuleiten, um so zu zeigen, dass die Wahrheit der Heiligen Schrift von, über, nach und für Gott ist.

Deshalb habe ich bei der Vorbringung der Begründungen in allem, was in diesem ganzen Werkchen oder Abriss enthalten ist, alles vom Urprinzip abzuleiten versucht, um so zeigen zu können, dass die Wahrheit der Heiligen Schrift aus über, nach und für Gott ist, damit diese Wissenschaft, wie es ihr gebührt, als eine einheitliche und geordnete erscheine, und dass sie nicht mit Unrecht den Namen Theologie trage. Ist also etwas Unvollkommenes oder Unklares oder Oberflächliches oder weniger Richtiges darin, so bitte ich um Nachsicht wegen meiner Inanspruchnahme, der Kürze der Zeit und meiner großen Armut an Wissenschaft. Wenn aber wirklich Richtiges darin sich findet, so lasse ich "Gott allein die Ehre und den Ruhm" (1 Tim 1, 12).

Damit nun das Folgende klarer in Erscheinung trete, habe ich mich befleissigt, die Titel der einzelnen Kapitel voranzustellen zur Erleichterung des Festhaltens und klareren Erkennens dessen, was ich, in sieben Teilen und 72 Kapiteln gegliedert, zu sagen habe.

Erster Teil: Die Dreifaltigkeit Gottes

1. Kapitel: Der siebenfältige Gesamtinhalt der Theologie

Darlegung: Zunächst ist zu beachten, dass die heilige Lehre oder Theologie hauptsächlich von der Erstursache, nämlich Gott, dem Dreieinigen und Einen, handelt und sich insgesamt über folgende sieben Gegenstände erstreckt: 1. die Dreieinigkeit Gottes, 2. die Schöpfung, 3. die Sündenverderbnis, 4. die Menschwerdung des Wortes, 5. die Gnade des Heiligen Geistes, 6. das Heilmittel der Sakramente und 7. das letzte Gericht und den Endzustand.

Begründung: Die Heilige Schrift bzw. Theologie ist eine Wissenschaft, die für den Pilgerstand hinreichende Kenntnis über das Erstprinzip bezüglich dessen vermittelt, was heilsnotwendig ist. Gott wirkt als Ursache und Urbild nicht nur hervorbringend in der Schöpfung, sondern auch wiederherstellend in der Erlösung und vollendend in der Vergeltung. Darum handelt die Theologie nicht allein von ihm als Schöpfer, sondern auch von der Schöpfung und dem Geschöpfe, von der Sündenverderbnis, dem Arzt, dem Genesungsprozesse und dem Heilmittel, weil das vernünftige Geschöpf, gewissermaßen der ganzen Schöpfung Ziel, nicht stehen blieb, sondern fiel und von seinem Sturz wieder aufgerichtet werden muss. Zuletzt erörtert sie die vollkommene Gesundheit, die im Gegensatz zur Verwerfung der Bösen zur ewigen Strafe in der Himmelsseligkeit besteht. So ist die Theologie allein die vollständige Wissenschaft, die mit dem Ersten beginnt, d. h. der Urursache, und zum Letzten gelangt, d. h. zum ewigen Lohne. Sie nimmt ihren Anfang beim Ersten, nämlich beim erhabenen Gotte, dem Schöpfer aller Dinge, und endet beim Untersten, d. i. bei der Höllenstrafe.

Sie allein ist auch jene vollkommene Weisheit, welche von der erhabensten Ursächlichkeit ausgeht als vom Urheber alles Verursachten, also von dort, wo alle philosophische Kenntnis aufhört. Sodann wendet sie sich von ihm als dem Heiland der Sünder zu ihm als dem Letzten zurück, welcher der Lohn der Verdienste und das Endziel aller Sehnsucht ist. In dieser Erkenntnis liegt vollkommene Weisheit, Leben und Heil der Seelen. Zu ihm emporzudringen, muss das brennende Verlangen aller Christen sein.

Aus Gesagtem ergibt sich, dass die Theologie, wiewohl sie über so viele und vielerlei Gegenstände handelt, doch nur eine einzige Wissenschaft ist. Ihr Inhalt ist Gott, derjenige, von dem alles seinen Ursprung nimmt; Christus, durch den alles ist; das Erlösungswerk, für das alles geschieht; das eine himmlische und irdische Wesen verknüpfende Liebesband, das sich um alles schlingt; der in den kanonischen Büchern dem Glauben vorgelegte und in den Schriften ihrer Ausleger der Vernunft nahegebrachte Glaubensinhalt, von dem alles handelt, wie auch St. Augustin in der Schrift "De utilitate credendi"<ref> c. 11 n. 25. </ref> sagt: "Was wir glauben danken wir der Autorität, was wir verstehen der Vernunft."

2. Kapitel: Die Dreieinigkeit der Personen und die Einheit des Wesens

Über die Dreieinigkeit ist ein Dreifaches zu betrachten, nämlich auf welche Weise die Einheit der Substanz oder Natur zusammen besteht : 1. mit der Mehrheit der Personen, 2. der Erscheinungen und 3. der Zueignungen.

Darlegung: Über die Mehrheit der Personen in der Einheit der Natur gebietet der rechte Glaube, dieses festzuhalten. In der einen Wesenheit sind drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die erste geht aus keiner, die zweite durch Zeugung aus der ersten, die dritte aber durch Hauchung bzw. Ausgang aus der ersten und zweiten hervor. So schließt demnach die Dreiheit der Personen die höchste Einheit, Einfachheit, Unermesslichkeit, Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Notwendigkeit und Erstheit von der göttlichen Wesenheit nicht aus, vielmehr allerhöchste Fruchtbarkeit, Liebe, Freigebigkeit, Gleichheit, Nächstverwandtschaft, Gleichförmigkeit, Unzertrennlichkeit ein. All dieses erkennt der gesunde Glaube in der allerheiligsten Dreifaltigkeit.

Begründung: Dieser Glaube ist die Grundlage der Gottesverehrung und die Grundfeste der "Lehre, die zur Gottseligkeit führt" (1 Tim 6, 3). Und er gebietet, über Gott erhaben und fromm zu denken. Wir würden aber nicht erhaben denken, wenn wir nicht für wahr hielten, dass Gott sich selber mitteilen kann, und zwar auf allerhöchste Weise. Wir würden nicht fromm denken, wenn wir meinten, dass er dieses wohl könne, aber nicht wolle. Weil der Glaube also erhaben und fromm denkt, lehrt er, dass Gott sich selbst auf die allerhöchste Art mitteilt und von Ewigkeit her seinen Geliebten und Mitgeliebten hat, wodurch er eben der Eine und Dreieinige ist.

Der Glaube fordert, wie gesagt, sehr fromm über Gott zu denken, und die ganze Heiligen Schrift, die man die Lehre der Frömmigkeit nennt, bestätigt: Gott besitzt einen Sohn, den er aufs höchste liebt, sein ihm wesensgleiches Wort, das er "von Ewigkeit her gezeugt und in dem er alles geplant,<ref> Glossa ordinaria zu Ps 61, 12.</ref> durch welches er alles hervorgebracht hat und regiert, durch dessen Menschwerdung er auch in allererhabenster Großmut uns mit seinem kostbarsten Blut erlöst und als Erlöste gespeist hat, durch das er uns auch am Weitende in Zuwendung seines höchsten Erbarmens aus allem Elend befreien wird, damit alle Auserwählten, durch Christen Kinder des erhabensten Vaters, im Vollgenuss aller Wechselliebe zwischen Gott und uns seien.

Ferner fordert der Glaube, von Gott ganz erhaben zu denken. Dies bestätigt nämlich nicht nur die Heilige Schrift, sondern auch die ganze Schöpfung. So sagt Augustin im vierten Kapitel des fünften Buches "De trinitate"<ref> n. 6. </ref>: "Nicht allein die Autorität der göttlichen Bücher predigt das Dasein Gottes; die Gesamtheit der natürlichen Dinge, die uns umgeben, und zu denen auch wir selber zählen, verkündet, dass sie einen hervorragenden Urheber hat. Sie bezeugt, dass dieser uns den Geist und die natürliche Vernunft gab, wodurch die lebendigen Wesen den leblosen überlegen sind, die sinnbegabten den empfindungslosen, die verständigen den vernunftlosen, die unsterblichen den sterblichen, die wohlgestalteten den missförmigen, die guten den schlechten, die unvergänglichen den vergänglichen, die unveränderlichen den veränderlichen, die unsichtbaren den sichtbaren, die unkörperlichen den körperlichen, die glückseligen den elenden. Weil wir nun aber zweifellos den Schöpfer über die Geschöpfe stellen müssen, geziemt es sich zu bekennen, dass dieser auf allererhabenste Weise lebt, alles wahrnimmt und versteht, und dass er nicht sterben, nichts ihn verändern kann, dass er kein körperliches Wesen, vielmehr ein Geist ist, und zwar der allmächtigste, allergerechteste, allerschönste, allerbeste und allerseligste. - Wir sehen also in diesen zwölf Vollkommenheiten die erhabensten Vorzüge dieses göttlichen Seins. Dann zeigt Augustin<ref> De trinit. XV c. 5 n. 7-10 M 42, 819 ff. </ref> aber weiter, wie diese auf drei zurückgeführt werden, nämlich auf die Ewigkeit, Weisheit und Seligkeit, und diese wieder auf nur eine: die Weisheit. In ihr ist einbegriffen der zeugende Geist, das erzeugte Wort und die beide verbindende Liebe. Darin besteht nach der Glaubenslehre die allerheiligste Dreifaltigkeit. Gleichzeitig mit der allerheiligsten Trinität muss aber höchste Reinheit, Einfachheit usw. sich finden, weil eben die höchste Weisheit in sich die Dreieinigkeit einschließt, dazu aber auch die eben aufgezählten allervornehmsten Eigenschaften.

3. Kapitel: Die rechte Erkenntnis die des Glaubens

Darlegung: Zum richtigen Verständnis dieser Glaubenssätze lehrt die Theologie, dass in Gott zwei Hervorgänge, drei Personen, vier Relationen, fünf Notionen und darum nur drei personenbildende Besonderheiten sind.

Begründung: Das erste und höchste Prinzip ist, eben weil es das erste und höchste ist, als das erste ganz einfach und als das höchste ganz vollkommen. Und weil es ganz vollkommen ist, teilt es sich auch auf vollkommenste Weise mit, weil es absolut einfach ist, wahrt es nach jeder Richtung seine Unteilbarkeit. Demgemäß sind in ihm bei unbeeinträchtigter Einheit der Natur verschiedene Arten vollkommener Hervorgänge. Es gibt nun zwei Möglichkeiten des vollkommenen Hervorgehens, nämlich der Natur oder dem Willen nach. Die erste ist Zeugung, die zweite Hauchung oder Ausgang. Diese beiden also finden sich hier.

Weil die beiden Hervorgänge selbstandbildend sind, müssen sie zwei Personen ausströmen. Ferner muss man aber annehmen, dass die erste, zeugende Person von keiner anderen ausgeht, um sich nicht ins Unendliche zu verlieren. So gibt es also in Gott nur drei Personen.

Da nun aber einem jeden Hervorgang ein doppeltes Beziehungsverhältnis entspricht, sind in Gott vier Relationen, nämlich Vaterschaft, Sohnschaft, Hauchen und Hervorgehen.

Also werden uns in diesen Beziehungen die Personen der Gottheit kund. Und außerdem erkennen wir, dass diejenige Person, welche den ersten Ausgang begründet, selbst von keiner anderen hervorgebracht wird. Darin eben besteht ihre besondere Auszeichnung. Somit haben wir fünf Notionen (Erkenntnismerkmale) in Gott: die erwähnten vier Relationen und dazu noch die InnascibiIität.

Weil jede dieser Personen ihre besondere Eigentümlichkeit hat, durch die sie hauptsächlich kenntlich wird, gibt es nur drei personenbildende Besonderheiten, welche eigentlich und hauptsächlich mit dem Namen Vater, Sohn und Heiliger Geist bezeichnet werden.

Dem Vater eignet es, unerzeugbar und unerzeugt, das Prinzip ohne Prinzip und Vater zu sein. Die Unmöglichkeit hervorzugehen bezeichnet ihn verneinend, wenn auch daraus eine Bejahung gefolgert werden muss; bedeutet sie doch im Vater quellhafte Fülle. Prinzip ohne Prinzip bezeichnet ihn bejahend bei gleichzeitiger Verneinung. Vater aber kennzeichnet ihn nur positiv nach seiner Dauerbeziehung und zwar eigentlich, vollständig und bestimmt.

Ähnlicherweise ist der Sohn Bild, Wort und Sohn. Bild macht ihn kenntlich als die ausgedrückte, Wort als die ausdrückende, Sohn als die persönliche Ähnlichkeit; ferner charakterisiert ihn das Bild als die gleichgestaltige, Wort als die geistige und Sohn als die natürliche Ähnlichkeit.

Endlich ist dem Heiligen Geiste eigen Gabe, Band oder Wechselliebe und Heiliger Geist zu sein. Gabe bezeichnet ihn als freies, Liebe oder Band als freies und hervorragendes, Heiliger Geist als freies, hervorragendes und persönliches Geschenk. - So werden durch diese drei Namen Vater, Sohn und Heiliger Geist die drei personenbildenden Besonderheiten ausgedrückt. - Das also ist die gesunde Lehre über die Dreieinigkeit.

4. Kapitel: Katholische Ausdrucksformen dieser Lehre

Darlegung: Gestützt auf die Schriften der heiligen Lehrer halten wir bezüglich der katholischen Ausdrucksformen für diesen Glaubenssatz folgendes fest: Es gibt zwei Gesichtspunkte über Gott zu sprechen, nämlich bezüglich seiner Wesenheit und der innerlichen Beziehungen, dazu drei Aussagen, die eine andere Bedeutung mit einschließen, nämlich Wesenheit, Person und ihr Erkenntnismerkmal (Notion). Außerdem haben wir vier Möglichkeiten, das göttliche Wesen zu bezeichnen: Wesenheit, Substanz, Person und Hypostase und fünf Arten, nach ihm zu fragen, nämlich mit wer, welcher, welche, welches und was; endlich noch drei Unterscheidungsarten nach Verschiedenheit der Daseinsweise, des Sichverhaltens und des Erkanntwerdens.

Begründung: Das Erstprinzip ist zugleich vollkommen und einfach. Alles, was eine Vollkommenheit ausdrückt, wird darum von ihm im eigentlichen, wahren Sinne ausgesagt, was aber Unvollkommenheit bezeichnet, entweder gar nicht oder wenn doch, dann von der angenommenen menschlichen Natur oder im übertragenen Sinne. Nun haben wir folgende zehn Kategorien: Substanz, Quantität, Beziehung, Qualität, Tun, Erleiden, Ort, Zeit, Lage und Haben. Die fünf letztgenannten beziehen sich im eigentlichen Sinne nur auf körperliche oder veränderliche Dinge. Daher werden sie von Gott nur in übertragener oder bildlicher Bedeutung gebraucht. Die fünf ersteren hingegen werden auf ihn angewandt, sofern sie eine Vollkommenheit bezeichnen, jedoch so, dass sie die göttliche Einfachheit nicht aufheben. Alles, was man so von Gott aussagt, deckt sich mit seinem Wesen, darum drückt es in Anwendung auf ihn seine Substanz selber aus, ausgenommen natürlich die Wechselbeziehung. Diese kann zweifach genommen werden, entweder im Hinblick auf ihren Ausgangs- oder aber auf ihren Zielpunkt. Auf die erste Weise fällt sie mit der Substanz zusammen, bildet also keine Zusammensetzung, im zweiten Falle bleibt sie bestehen und begründet den Unterschied. Darum macht die "Substanz die Einheit, die Beziehung die Dreieinigkeit aus"<ref> Boethius, De trinit. c. 6 M 64, 1254 ff. </ref>. Also bleiben hier nur diese bei den verschiedenen Arten der Aussage übrig. - Hierfür nun gilt diese Regel: Was bezüglich der Substanz ausgesagt wird, das gilt auch von allen (Personen), von jeder einzelnen, von allen zugleich und in allen Einzelheiten. Was aber die Beziehung angeht, wird nicht von allen ausgesagt. Betrifft es jedoch mehrere, dann steht es in der Mehrzahl, wie wechselbezogen, unterschieden, ähnlich, gleich, und zwar auf Grund der inneren Beziehung. Mit dem Namen der Dreifaltigkeit aber wird beides gemeint.

Da nun mehrere Relationen in einer Person sein können, wie auch mehrere Personen in einer Natur, so macht der Unterschied in der Notion noch nicht die Verschiedenheit der Person aus, noch der Unterschied der Person eine Vervielfältigung der Natur. Was der Wesenheit angehört, kommt deshalb nicht der Notion oder der Person zu, noch umgekehrt. Es gibt also drei Arten des Mitbedeutens, und man pflegt darüber folgende Regel aufzustellen: Mit dem Ausdruck Wesenheit ist der Begriff der Notion oder Person noch nicht bezeichnet, und mit Notion noch nicht die Wesenheit oder Person, und mit Person noch nicht die Wesenheit oder Notion, was durch Beispiele klar wird.

Da unter Aufrechterhaltung der Einheit der Substanz ein wirklicher Unterschied in den Personen besteht, muss man die Substanz entweder als mitteilbar oder als nicht mitteilbar bezeichnen. Denkt man sie als mitteilbar, so spricht man von Wesenheit, wenn man sie abstrakt fasst, und von Substanz, wenn man sie konkret nimmt. Versteht man sie aber als unmitteilbar, so sagt man Hypostase, wenn man die Unterscheidbarkeit, und Person, wenn man die Unterschiedenheit im Auge hat. - Oder so: Man sagt Hypostase, wenn man an eine beliebige Unterschiedenheit und Person, wenn man eine vollkommene (individuelle) und augenfällige Unterschiedenheit meint. - Beispiele aus der Geschöpfeswelt sind diese vier Bezeichnungen: Menschheit, Mensch, irgendein Mensch, Petrus. Das erste bedeutet die Wesenheit, das zweite die Substanz, das dritte die Hypostase und das vierte die Person.

In der Person, die man unterscheidet, muss man nicht nur betrachten, wer unterschieden wird, sondern auch wodurch, und das ist eben das Erkenntnismerkmal oder die Notion. Deshalb gibt es fünf Möglichkeiten, von Gott auszusagen oder nach ihm zu fragen, nämlich "wer" bezüglich der Person, "welcher" bezüglich der Hypostase, denn damit ist der Selbstand in noch unbestimmter Weise gemeint, "welche" bezüglich der Notion, "welches" bezüglich der Substanz und "was" oder "auf Grund wessen" bezüglich der Wesenheit.

All diese Ausdrucksmöglichkeiten wurzeln in der Einheit der Wesenheit, denn alles, was in Gott ist, ist der eine und alleinige Gott selber. Somit tragen sie weder in die Wesenheit noch in das Dasein eine Verschiedenheit. Es gibt darum nur drei Arten des Unterscheidens, nämlich nach der Art des Sein oder des Hervorgehens, wie sich die Person von der anderen unterscheidet; nach der Art des Sichverhaltens, wie sich die Person von der Wesenheit unterscheidet, denn eine Person bezieht sich auf die andere und ist eben dadurch von ihr verschieden, die Wesenheit aber bezieht sich nicht auf eine andere und wird darum auch nicht unterschieden; nach der Art unseres Verstehens, wie eine wesenhafte Eigentümlichkeit von der anderen auseinandergehalten wird, z. B. Güte und Weisheit. - Die erste Unterscheidung ist die größte, die wir in Gott finden. Sie besteht nämlich in den Personen, bei denen man das eine nicht von der anderen aussagen kann, die zweite ist geringer, da sie nur im Zusprechen liegt. Man kann nämlich das eine auch vom anderen aussagen, so die Person von der Wesenheit. aber einiges wird auch von einem ausgesagt, was vom anderen nicht ausgesagt werden kann, z. B. die Person wird unterschieden und bezieht sich, die Wesenheit aber nicht. Die dritte Unterscheidung endlich ist die geringste. Sie besteht nur in dem, was man mit einbegreift. Man kann nämlich das eine vom anderen wechselseitig aussagen und dasselbe kann auch jedem der beiden zugesprochen werden; aber in beiden Fällen wird dann nicht dasselbe mitbezeichnet, noch wird durch dasselbe beides zum Verständnisse gebracht. - Aus der ersten Art der Unterscheidung entspringt die Mehrheit der Personen; aus der zweiten die Mehrheit der Aussagen über Substanz und Relationen; aus der dritten die Mehrheit der wesenhaften Eigentümlichkeiten und Notionen, sei es der ewigen oder der zeitlichen, sei es im eigentlichen oder im übertragenen Sinne, sei es allgemein oder zugeeignet. Beispiele für das Gesagte liegen auf der Hand. - Hat man es begriffen, so ist hinreichend klar, was zu denken und wie zu sprechen ist von der allerhöchsten Dreifaltigkeit der göttlichen Personen.

5. Kapitel: Die Einheit der göttlichen Natur und die Vielfältigkeit des göttIichen Erscheinens

Darlegung: Wiewohl Gott unumschreibbar, unsichtbar und unveränderlich ist, wohnt er doch in besonderer Weise den heiligen Männern ein, erschien den Patriarchen und Propheten, stieg vom Himmel herab, sandte zum Heil des Menschengeschlechtes seinen Sohn und den Heiligen Geist. - Und obgleich in Gott die Natur, Kraft und Wirksamkeit der Dreifaltigkeit unteilbar ist, so ist doch die Sendung und Erscheinung der einen Person nicht die der anderen. Wiewohl ferner dort höchste Gleichheit herrscht, so steht es dennoch allein dem Vater zu zu senden und nicht gesandt zu werden, dem Heiligen Geiste als göttliche Person nur gesandt zu werden, wenn man nicht etwa sagt, er sende Christus in der angenommenen Natur. Dem Sohne aber ist es eigen zu senden und gesandt zu werden, wie man aus der Schrift entnehmen kann.

Begründung: Das erste Prinzip ist zwar unermesslich und unumgrenzbar, unkörperlich und unsichtbar, ewig und unveränderlich; es ist aber auch der Urheber der geistigen und körperlichen Wesen, der natürlichen Dinge und der Gnadengaben und eben dadurch der veränderlichen, sichtbaren und begrenzten Geschöpfe. Obgleich es also selber unveränderlich, unwahrnehmbar und unumschreibbar ist, macht es sich doch kund und erkennbar, und zwar im allgemeinen durch die Gesamtheit seiner Werke, die von ihm ausgehen. In diesen ist es, wie man sagt, durch seine Wesenheit, Macht und Gegenwart, und zwar gilt das von allen Geschöpfen. - Gott macht sich aber auch im besondern erkennbar durch einige Wirkungen, die in ganz vorzüglicher Weise zu ihm hinführen, und das nennt man sein Einwohnen, Erscheinen, Herabsteigen, Gesandtwerden und Senden. - Einwohnen ist eine geistige Wirkung und Annahme (von Seiten Gottes), wie sie durch die Heiligmachende Gnade erzielt wird. Diese ist nämlich gottförmig und führt zu Gott. Sie macht, dass er uns besitzt und wir ihn, und er dadurch in uns wohnt. Und da die Wirkung der Gnade allen Personen gemeinsam ist, wohnt nicht eine ohne die andere inne, vielmehr die ganze Dreifaltigkeit zugleich.

Erscheinen hingegen nennt man eine sinnlich wahrnehmbare Wirkung mit sinnenfälliger Bezeichnung, wie der Heilige Geist in Gestalt einer Taube herabstieg. Wie nun die göttlichen Personen voneinander unterschieden sind, so können sie auch verschieden angedeutet werden, sowohl mit Zeichen als auch mit Namen. Das Erscheinen steht somit allen zu, und zwar allen zugleich oder jeder einzelnen für sich. Wenn man nun sagt, dass der Heilige Geist in Feuerzungen und in Gestalt einer Taube herabkam, so darf man dabei nicht an ein neues Band denken (wie bei der hypostatischen Union) oder an eine besondere Wirkung, sondern an die Verbindung zwischen Zeichen und Bezeichnetem, wie sie Art und Ursprung in besonderer Weise ergeben.

Herabsteigen aber will jede der beiden vorgenannten Wirkungen in Rücksicht auf den Ausgangspunkt bezeichnen. Gott ist den seligen Engeln im Himmel immer gegenwärtig, weil er ihnen immer einwohnt und erscheint. Den Sündern auf Erden hingegen ist er gleichsam ferne, sowohl seiner Gnade als auch ihrer Erkenntnis nach. Wenn er also anfängt, uns zu erscheinen und einzuwohnen, so wird er, der bisher gleichsam nur im Himmel und fern von uns war, auf Erden gegenwärtig. Und so sagt man dann, dass er zu uns herniedersteige, obgleich er sich in sich selbst nicht verändert.

Gesandtwerden endlich bedeutet all die besprochenen Wirkungen und dazu noch den ewigen Hervorgang. Wenn nämlich der Vater den Sohn sendet, indem er ihn uns der Erkenntnis oder der Gnade nach gegenwärtig macht, dann bedeutet das auch, dass er von ihm ausgeht. Da der Vater von keinem hervorgebracht wird, ist auch nirgends gesagt, dass er gesandt werde. Weil aber der Sohn hervorbringt und erzeugt wird, sendet er und wird gesandt. Der Heikige Geist endlich wird von Ewigkeit hervorgebracht, bringt aber nicht selber hervor, es sei denn zeitlich. Darum ist es ihm eigen gesandt zu werden; zu senden hingegen kommt ihm nur in Bezug auf die Geschöpfe zu. Daraus geht hervor, dass es unsachgemäß und erklärungsbedürftig ist, wenn gesagt wird: Der Heilige Geist sendet sich; der Heilige Geist sendet den Sohn; der Sohn sendet sich selbst; es sei denn, dass man es auf seine Geburt aus der Jungfrau beziehe. Es leuchtet auch ein, warum Senden und Gesandtwerden nicht auf alle Personen passt, bezeichnet es doch sowohl die Wirkung in der Geschöpfeswelt, als auch die innergöttliche Beziehung, und zwar so, dass Senden die Ururheberschaft (auctoritas), Gesandtwerden die Miturheberschaft (subauctoritas) besagt auf Grund der inneren, ewigen Hervorbringung.

6. Kapitel: Die Einheit der göttlichen Natur und die Vielheit der Zueignungen

Darlegung: Allen göttlichen Personen eignet alles Wesenhafte in gleicher Weise und unterschiedslos. Nichtsdestoweniger wird dem Vater die Einheit, dem Sohne die Wahrheit, dem Heiligen Geiste die Güte zugesprochen. - Eine zweite Appropriation aus Hilarius<ref> De trinit. Il n. 1. </ref> sagt vom Vater die Ewigkeit, vom Bilde die Schönheit, von der Gabe die Brauchbarkeit aus; - dazu die dritte: vom Vater die Wirk-, vom Sohne die Vorbild-, vom Heiligen Geist die Zweckursächlichkeit; - sowie noch diese vierte: vom Vater die Allmacht, vorn Sohne die Allwissenheit, vom Heiligen Geiste der Wille oder das Wohlwollen. - All dies nennt man nicht darum ZueIgnungen, weil sie wirkliche Besonderheiten sind, sie sind ja allen gemeinsam, sondern weil sie zum Verständnisse und zur Erkenntnis der wirklichen Besonderheiten, d. h. der drei Personen dienen.

Begründung: Weil das Erstprinzip ganz vollkommen ist, müssen sich in ihm die höchsten und allgemeinsten Seinsverhältnisse in höchstem Maße finden. Diese sind das Eine, Wahre und Gute. Sie beziehen sich nicht auf das Sein der Person, sondern auf das Sein an sich. Das Eine nennt man das Sein in Bezug auf die Zahl und meint damit seine Ungeteiltheit in sich. Das Wahre heißt es in Hinblick auf sein Verhältnis zur Erkennbarkeit, weil in ihm Sein und Erkennen eins sind. Als das Gute wird es bezeichnet in Hinsicht auf seine Beziehung zur Mitteilsamkeit, weil in ihm Wesen und Wirksamkeit übereinstimmen. Diese dreifache Unteilbarkeit stellt sich unserer Ordnung des Erkennens so dar, dass das Wahre das Eine voraussetzt, das Gute aber das Eine und das Wahre. Darum spricht man sie dem Erstprinzip in höchstem Maße, aufs vollkommenste und allgemeinste zu und appropriiert sie wegen ihrer Zusammenordnung den drei Personen. Und so eignet man dem Vater, der Ursprung der Personen ist, die höchste Einheit, dem Sohne, als dem Worte des Vaters, die höchste Wahrheit, dem Heiligen Geist, der als Liebe und Gabe aus beiden hervorgeht, die höchste Güte zu.

Das Höchsteine ist das Höchsterste, da es jedes Anfanges entbehrt. Und das Höchstwahre ist das Höchstgleichmäßige und Höchstschöne. Das Höchstgute aber ist das Höchstnützliche und Vorteilhafte. Hieraus ergibt sich die zweite Zueignung des Hilarius: Ewigkeit dem Vater, weil er keinen Anfang hat, vielmehr der absolut erste ist; Schönheit dem Bilde, d. i. dem Worte, weil aufs höchste schön ist; Nützlichkeit der Gabe, d. h. dem Heiligen Geiste, weil er aufs höchste nutzbringend und mitteilsam ist. Dasselbe sagt dann mit anderen Worten Augustin<ref> De doctrina christiana I c. 5 n. 5 M 34, 15. </ref> so: "Im Vater die Einheit, im Sohne die Gleichförmigkeit, im Heiligen Geiste die Übereinstimmung der Einheit und der Gleichförmigkeit."

Ferner bringt das Höchsteine und Erste die Uranfänglichkeit und Ursprünglichkeit mit sich, das höchst Wohlgestaltete und Schöne die Ausdruckskraft und Vorbildlichkeit, das höchst Glückbringende und Gute die Zielhaftigkeit, weil das Gute und das Ziel dasselbe ist. Hieraus entstehen die dritten Zueignungen: die Wirksamkeit dem Vater, die Vorbildlichkeit dem Sohne, die Zielhaftigkeit dem Heiligen Geiste.

Vom ersten und höchsten Prinzip geht auch alles Können, vom ersten und höchsten Vorbild alles Wissen aus; zum höchsten Ziele aber strebt alles Wollen. Also muss das Erste das Allmächtigste, Allweiseste und Allgütigste sein. Die erste und höchste Einheit nämlich, indem sie über sich selbst in vollständiger und vollkommener Selbstbetrachtung reflektiert, ist absolut allmächtig, als Wahrheit aufs höchste allweise, als Güte durchaus wohlwollend. Diese Zueignungen nun werden so gebraucht, weil sie die Ordnung der Hervorgänge andeuten. Der Wille nämlich setzt Erkenntnis, der Wille und die Erkenntnis zusammen aber setzen die Macht und Kraft voraus, denn "Wissenkönnen" ist etwas können.<ref> Vgl. Richard von St. Victor, De trinitate VI c. 15 M 196, 979. </ref>

Hieraus wird klar, was, wem und mit welcher Begründung zugesprochen wird. Die letztgenannten (Zueignungen) aber, nämlich Macht, Weisheit und Wille, sind hauptsächlich diejenigen, um derentwillen in der Heiligen Schrift die allerhöchste Dreifaltigkeit gepriesen wird. Folglich ist über sie noch kurz und zusammenfassend einiges zu sagen.

7. Kapitel: Allmacht Gottes

Darlegung: Gott ist allmächtig, aber so, dass man ihm nicht zuschreiben darf: schuldbare Handlungen, wie Lügen und Übelwollen, noch Straffolgen, wie Fürchten und Leiden, noch leibliche oder stoffliche Handlungen, wie Schlafen, Gehen - es sei denn im übertragenen Sinne noch gar Unpassendes, wie einen ihm überlegenen oder gleichen Gott hervorbringen oder etwas wirklich Unendliches ins Dasein setzen und ähnliches. Sagt doch Anselm<ref> Cur Deus homo I c. 20 M 158, 392 und De fide trinit. c. 5 M 158, 276 f. </ref>: "Alles, was immer unangemessen ist, auch das Geringfügigste, ist Gott unmöglich." Trotzdem er all dieses nicht vermag, ist er doch wahrhaftig, eigentlich und vollkommen allmächtig.

Begründung: Das erste Prinzip verfügt über die Macht schlechthin. Darum erstreckt sich die ihm verliehene Wirksamkeit auf alles, was der absoluten Macht zukommt. Dieses entspringt aus einer vollkommenen und geordneten Macht. Eine Macht aber nenne ich dann vollkommen, wenn sie nicht fehlen, noch unterliegen, noch bedürftig sein kann. In der Sünde aber versagt sie, dem Leiden unterliegt sie und in körperlichen Handlungen wird sie der Bedürftigkeit unterworfen. Die göttliche Macht nun, eben weil sie die höchste und vollkommenste ist, stammt weder aus dem Nichts, noch untersteht sie einem, noch bedarf sie eines anderen. Und deshalb vermag sie weder Schuldbares zu tun, noch Schmerzhaftes zu erleiden oder Stoffliches zu besitzen. Weil sie allmächtig ist, ist sie eben die vollkommene Macht.

Die geordnete Macht aber kann man dreifach auffassen, entweder auf Grund des Verwirklichten oder des den Geschöpfen Angemessenen oder dessen, was nur der unerschaffenen Kraft möglich ist. Was die Macht im ersten Sinne vermag, ist nicht nur möglich, sondern auch wirklich, was im zweiten nicht jedoch im ersten Sinne angängig ist, ist schlechthin möglich, wenn es auch nicht verwirklicht wird. Was im dritten, nicht im ersten und zweiten Sinne möglich ist, kann nur Gott, dem Geschöpfe aber ist es unmöglich. Was sich endlich nach keiner der besprochenen Arten durchführen lässt, das ist überhaupt unmöglich, so alles, was unmittelbar und direkt nach ursprünglichen und ewigen Ursachen und Gründen der Ordnung widerstreitet. Beispiele: dass Gott eine unendliche Wirklichkeit erschafft; dass er etwas macht, was zugleich ist und auch wiederum nicht existiert; dass er Geschehenes ungeschehen macht und dergleichen mehr. Solches zu vermögen, verstieße nämlich gegen die Ordnung und die Vollkommenheit der göttlichen Macht. - Daraus aber ersieht man, worauf diese sich erstreckt. Es wird auch klar, was man schlechthin unmöglich nennen muss, und dass die Unmöglichkeit mancher Dinge mit wahrer Allmacht vereinbar ist.

8. Kapitel: Weisheit, Vorherbestimmen und Vorauswissen Gottes

Darlegung: Die göttliche Weisheit erkennt aufs klarste alles Gute und Schlechte, Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Wirkliches und Mögliches und darum auch die für uns unbegreiflichen, unendlichen Dinge. Sie erkennt aber all dies so, dass sie dabei in sich selbst einheitlich bleibt, wiewohl sie mit verschiedenen Namen benannt wird. - Handelt es sich um das Erkennen alles Möglichen, so nennen wir es nämlich Wissen oder Erkennen; um das, was wirklich im Weltall geschieht, so heißt es Schau; um das Gute, das vollbracht wird, Billigung; um das Zukünftige, Vorherwissen oder Vorausschauen; um das, was Gott selber zu tun gedenkt, Planen; um das, was zu belohnen ist, Vorherbestimmung zur Seligkeit; um das, was verdammt werden muss, Verwerfung.

Die göttliche Weisheit erkennt jedoch nicht nur, sie ist auch Erkenntnisgrund. Licht nennt man sie als Erkenntnisgrund aller gewussten Dinge; Spiegel als solcher der geschauten und gebilligten; Vorbild bezüglich der vorhergesehenen und geplanten; Lebensbuch als Erkenntnisgrund der Auserwählung und Verwerfung. - Sie heißt somit Lebensbuch in Bezug auf die zu Gott zurückführenden Wesen, Vorbild hinsichtlich der von ihm ausgehenden, Spiegel bezüglich der sich entwickelnden; Licht aber in Rücksicht auf alle Geschöpfe. - Zum Vorbilde nun gehören Idee, Wort, Kunst und Vernunftbestimmen. Idee sagen wir in Bezug auf das Vorausschauen; Wort in Hinblick auf das Aussprechen; Kunst in Rücksicht auf das Ausführen und Vernunftverfügung bezüglich des Vollendens, denn dieses letztere schließt das Ins-Auge-Fassen des Zieles in sich. - Da nun aber in Gott all dieses eins und dasselbe ist, wird auch oft die eine Bezeichnung für die andere gebraucht.

Das göttliche Wissen erhält so zwar wegen der Verschiedenheit des Gewussten und seiner Begleiterscheinungen verschiedene Namen, in sich aber bleibt es ununterschieden. Gottes Wissen der kontingenten Dinge ist nämlich in sich unfehlbar, das der veränderlichen unveränderlich, das der künftigen gegenwärtig, das der zeitlichen ewig, das der abhängigen unabhängig, das der geschaffenen ungeschaffen; er erkennt das Nichtgöttliche in sich und durch sich. Und weil er das Kontingente untrüglich erkennt, kann die Freibeweglichkeit des Willens mit der göttlichen Vorherbestimmung und seinem Vorherwissen zusammen bestehen.

Begründung: Das Urprinzip hat, weil es eben das Erste und Höchste ist, die einfachste und vollkommenste Erkenntnis. Weil es das Allervollkommenste ist, weiß es alles aufs genaueste mit allen Nebenumständen, welche die Dinge haben oder haben können. Das Künftige erkennt es demnach als zukünftiges, das Gegenwärtige als gegenwärtiges, das Gute als zu Billigendes, das Böse als verwerfliches. Deshalb erhält, wie oben erwähnt, das göttliche Wissen verschiedene Namen.

Die Vollkommenheit dieses Wissens geht Hand in Hand mit seiner höchsten Einfachheit. Darum erkennt Gott zunächst alles Außergöttliche in und durch sich selbst. Daraus geht zweitens hervor, dass seine Erkenntnis des Erschaffenen eine unerschaffene, drittens die des Abhängigen eine unabhängige, viertens die des Zeitlichen eine ewige, fünftens die des Zukünftigen eine gegenwärtige, sechstens die des Veränderlichen eine unveränderliche und siebtens die des Kontingenten eine unfehlbare ist.

So ist dieses, obwohl es bedingt bleibt, für das Wissen Gottes durchaus untrüglich. Das gilt für das Nichtnotwendige sowohl im Naturgeschehen als auch im freien menschlichen Handeln. - Wer also die Wahrheit erfassen will, wie die erschaffene Wahlfreiheit mit der Unfehlbarkeit der ewigen Vorherbestimmung vereinbar ist, der muss auf diesen sieben Stufen vom letzten ausgehend bis zum ersten fortschreiten. Denn das Urprinzip erkennt alles aufs vollkommenste durch sich selbst.

Das ist eine unfehlbar gewisse Wahrheit, aus der die übrigen, oben erwähnten mit Sicherheit gefolgert werden können.

Die Gewissheit der göttlichen Erkenntnis geht mit der Kontingenz der erkannten Dinge Hand in Hand, da das göttliche Wissen zugleich ganz einfach und ganz vollkommen ist. Ebenso besteht die Einheit neben der Vielförmigkeit der Seinsgründe und Ideen, und zwar aus demselben Grunde, nämlich weil es höchst vollkommen ist und das allgemeine wie das einzelne mit feinster Unterscheidung erkennt und auf die schärfst unterschiedene und vollkommenste Weise vergegenwärtigt. Und so wird gesagt, dass es auch die Seinsgründe und Ideen des Einzelnen als die höchst ausdruckskräftigen Ähnlichkeiten der Dinge besitzt. - Weil es aber auch ganz einfach ist, sind alle diese in ihm nur eines und dasselbe. Wie Gott aus seiner einfachen Kraft alle Geschöpfe in ihrer allseitigen Unversehrtheit in der Zeit hervorbringt, so drückt er auch ewig in einer einzigen Wahrheit alles aus. Es ist in Wirklichkeit nur eine einzige Tätigkeit im Höchsten und Allmächtigen, doch spricht man im Hinblick auf die Mehrheit der erschaffenen Dinge von vielerlei Hervorbringungen. So gibt es nur eine einzige Wahrheit eines einzigen Erkenntnisaktes in Gott, und doch redet man von vielen Ähnlichkeiten, Ideen und Seinsgründen im Hinblick auf die Mehrheit der gedachten Dinge, sei es der wirklichen oder der künftigen oder auch der möglichen. Wiewohl diese Seinsgründe und Ideen nur eine einzige Wahrheit, ein Licht und eine Wesenheit ausmachen, sagt man doch nicht, es gäbe nur einen einzigen Seinsgrund oder eine einzige Idee. Unser Erkennen denkt sie sich nämlich mehr in Bezug auf das "Geschaffene. In Wirklichkeit bezeichnen sie das Urbild des Erkannten, das sich in Gott befindet; unser Denken fasst sie aber mehr als die einzelnen Vorbilder des Verwirklichten.

Ein Beispiel aus der Geschöpfeswelt hierfür sucht man vergebens, das Gesagte kommt allein dem Urbilde zu. Dieses ist eben, wie gesagt, zugleich einfach und unendlich und absolut vollkommen. Hat man das im Geiste klar, so versteht sich alles übrige von selbst. Weil nämlich das Urbild absolut einfach und vollkommen ist, ist es reine Tätigkeit. Weil es unendlich und unermesslich ist, steht es über jeder Gattung. Und darum kann es auch, wiewohl es in Wirklichkeit nur eines ist, die ausdruckskräftige Ähnlichkeit vieler Dinge sein.

9. Kapitel: Wille und Vorsehung Gottes

Darlegung: Der göttliche Wille ist so rechtlich, dass er auf keine Weise fehlen, so wirkkräftig, dass er nicht gehemmt werden, dazu auch einheitlich, aber so, dass er sich trotzdem auf vielgestaltige Art äußern kann.

Der Wille des Wohlgefallens betätigt sich durch den sich kundgebenden Willen in fünffach verschiedener Art: durch Gebot, Verbot, Rat, Mitwirkung und Zulassung. So wird durch den Willen des Wohlgefallens alles angeordnet, was im Weltall geschieht. "Der Wille Gottes ist nämlich die Erst- und Höchstursache aller Dinge und Ereignisse. Denn es erfolgt nichts sichtbar und vernehmbar im umfassenden und unermesslichen Bereiche der gesamten Schöpfung, was nicht im inneren, unsichtbaren und geistigen Geheimgemache dieses höchsten Herrschers entweder befohlen oder zugelassen wird gemäß der unaussprechlichen Gerechtigkeit der Belohnungen und Bestrafungen, der Gnaden und Zuwendungen".<ref> Augustin. De trinit. III c. 4 n. 9 M 42, 819. </ref>

Der vernunftbestimmte Wille heißt Vorsehung. Von ihr wird alles, was im All geschieht, gewirkt und geleitet. Sie ist in allem untadelhaft, da sie alles auf rechte Weise gebietet, verbietet und rät, nur Gutes wirkt und nichts Unrechtes erlaubt.

Begründung: Das Erstprinzip ist höchst erhaben. Es verfügt darum über einen Willen, und zwar auf vornehmste Art. Der Wille hat bei den mit Überlegung handelnden Wesen die Richtschnur der Rechtheit und die Wirksamkeit der Handlung im Auge. In Gott muss er deshalb ganz rechtlich und ganz wirkkräftig sein: ganz recht, denn in ihm ist Wille und Wahrheit dasseibe; ganz wirksam, denn in ihm ist Wille und Kraft oder Macht ganz gleich. - Da nun der göttliche Wille der Wahrheit nicht entraten kann, ist er nicht bloß recht, vielmehr sogar die Richtschnur der Rechtheit. Weil er nicht kraftlos sein kann, ist er nicht nur wirksam, sondern auch der Urquell und die Ursache aller Wirksamkeit. Und so kann nichts ohne ihn getan werden, nichts gegen ihn geschehen, und es gibt auch nichts, was ihn hindern könnte.

Da nun der göttliche Wille ganz recht ist, kann nur derjenige recht sein, der ihm gleichförmig ist. Keiner aber kann ihm angeglichen werden, wenn dieser Wille sich ihm nicht offenbart. Er musste uns also als die Richtschnur der Rechtheit kundgetan werden. Diese ist entweder eine notwendige Rechtheit und besteht im Vollbringen des erforderlichen Guten und im Meiden des Bösen; es gibt aber auch eine vollkommene Rechtheit, die darin besteht, dass man über das Geschuldete hinausgeht. Dementsprechend wird uns der göttliche Wille durch dreifache Selbstäußerung bekannt, nämlich durch Gebot, Verbot und Rat. Darin liegt die Anerkennung des göttlichen Willens als des Rechten, dass man das Gebotene erfüllt, das Verbotene unterlässt und nach seinem Rat handelt. Diese Äußerungsformen sind unfehlbare Kundgebungen des göttlichen Willens als der Richtschnur der Rechtheit.

Weil dieser ferner ganz urkräftig ist, kann niemand ohne sein Bewirken und Mitwirken etwas tun. Keiner kann fehlen oder sündigen, wenn Gott ihn nicht verdienterweise im Stiche lässt. Dementsprechend äußert Gottes Wille sich doppelt: als Kungebung des wirkenden oder als Zulassung des sich gerechterweise zurückziehenden Willens. Gerechtfertigt ist dieses, weil es recht von Gott ist, die Dinge, die er erschaffen hat, so zu verwalten, dass die Gesetze, die er ihnen anerschuf, dabei nicht verletzt werden. Also wirkt er "mit seinen Geschöpfen derart, dass er ihnen ihre eigene Wirkungsweise beläßt".<ref> Augustin, De civitate Dei VII c.30, M41,219f. </ref> Lässt Gott darum den freien Willen, der sich dank seiner Natur nach zwei Seiten wenden kann, in Sünden fallen, so ist dies Zulassen nur gerecht.

Wenn Gott ferner durch Gnade zuvorkommt und stützt, dann tut er niemandem unrecht. Er handelt damit nicht gegen, aber auch nicht nur nach der Gerechtigkeit, d. h. nach dem, was die Verdienste fordern, denn sie genügen dazu nicht. Er verfährt also gnadenvoll und barmherzig, in gewisser Weise aber auch gerecht, wie es seiner Güte zusteht. Wenn Gott verdammt und verwirft, handelt er nach Gerechtigkeit; wenn er aber auserwählt, verfährt er eben nach seiner Gnade und Barmherzigkeit, was aber die Gerechtigkeit nicht ausschließt. Es müssten ja alle, da sie zu der verworfenen Masse gehören, verdammt werden. Darum werden auch zahlreichere Menschen verworfen als auserwählt, um so zu zeigen, dass die Erlösung eine ganz besondere Gnade ist, die Verdammnis hingegen der allgemeinen Gerechtigkeit entspricht.<ref> Während die Theologie heute im allgemeinen über die Zahl der Auserwählten milder urteilt, neigt Bonaventura unter dem Einfluss der augustinischen Lehre von der "massa damnata" einer strengeren Auffassung zu.</ref> Niemand kann sich also über den göttlichen Willen beklagen, denn er wirkt alles aufs gerechteste. Wir müssen vielmehr in allem Dank sagen und die Fügungen der göttlichen Vorsehung ehren. Wenn nun jemand fragt, warum das Geschenk der Gnade dem einen Sünder mehr zuteil wird als dem anderen, so muss man hier der menschlichen Geschwätzigkeit Stillschweigen gebieten und mit dem Apostel (Röm 11, 33-36) ausrufen: "O Höhe der göttlichen Weisheit und Wissenschaft, wie unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege; denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, und wer ist sein Ratgeber gewesen, oder wer hat ihm zuerst gegeben, dass ihm wiedergegeben würde? Denn aus ihm und durch ihn und in ihm ist alles. Ihm sei Ruhm in alle Ewigkeit. Amen."

Zweiter Teil: Die Erschaffung der Welt

1. Kapitel: Erschaffung der gesamten Welt

Nach dieser gedrängten Behandlung der Dreifaltigkeit Gottes ist über die Erschaffung der Welt zusammenfassend folgendes zu sagen.

Darlegung: Das ganze All ist vom einen, alleinigen und höchsten Urprinzip in der Zeit aus nichts ins Dasein gerufen, dessen Macht, wiewohl sie selbst unermesslich ist, doch alles "nach bestimmtem Gewicht, Zahl und Maß"(Weis 11, 21) ordnete. - Dies gilt allgemein von der Schöpfung der Dinge, und daraus lässt sich die Wahrheit entnehmen und der Irrtum abweisen. Durch die Bestimmung "zeitlich" werden die widerlegt, die eine ewige Welt annehmen. Wenn wir sagen, "aus nichts", wird der Irrtum eines ewigen Weltstoffes ausgeschlossen. Durch die Hervorhebung einer einzigen Urheberschaft wird die manichäische Irrlehre einer Mehrheit von Weltursachen zurückgewiesen. Wenn wir sagen, "vom alleinigen und höchsten", wird die Meinung vermieden, als ob Gott die niederen Geschöpfe durch geistige Mittelwesen hervorgerufen habe. "Nach Gewicht, Zahl und Maß" bedeutet, dass die Geschöpfe das Werk der nach einer dreifachen Ursächlichkeit schaffenden Dreifaltigkeit sind. Weil sie die Wirkursache der Schöpfung ist, herrscht in ihr Einheit, Besonderheit und Maß. Weil sie vorbildIiche Ursache ist, offenbart sich in ihr Wahrheit, Schönheit und Zahl; weil sie Zielursache ist, Güte Ordnung und Gewicht. Und dieses findet sich in allen Geschöpfen als Spur des Schöpfers, in den körperlichen, den geistigen und den aus beiden zusammengesetzten Wesen.

Begründung: Damit in den Dingen vollkommene und bestimmte Ordnung herrsche, muss alles auf ein einziges Urprinzip zurückgeführt werden. Es muss das erste sein, um den übrigen ihr Sein zu geben, und das vollkommenste, um sie zur Vollendung zu führen. Weil es aber das erste Prinzip ist, welches das Sein besitzt, kann es nur ein einziges sein. Wenn er also die Welt hervorbringt, muss es aus nichts erschaffen, da es sie nicht aus sich selbst hervorholen kann. Schöpfung aus nichts bedeutet auf Seiten des Erschaffenen das Sein nach dem Nichtsein und setzt bei dem Urheber eine unermessliche Schöpferkraft voraus. Diese aber kommt nur Gott zu. Und so muss die Weltschöpfung durch jene unerrnessliche Kraft in der Zeit hervorgebracht werden, die durch sich selbst und unmittelbar wirkt.

Ferner muss das vollkommenste Prinzip, von dem die Vervollkommnung aller ausgeht, aus sich, nach sich und für sich wirken, weil es bei seinem Schaffen keines anderen bedarf. Darum muss es im Hinblick auf jedes Geschöpf eine dreifältige Ursächlichkeit haben, nämlich die bewirkende, vorbildliche und zwecksetzende. Auch muss jedes Geschöpf in diesem dreifachen Sinne auf die Erstursache bezogen werden. Jedes nämlich wird von der Wirkursache hervorgebracht, nach der Vorbildursache gestaltet und zur Zielursache hingeordnet. Und deshalb ist das Geschöpf einheitlich, wahr, gut, bestimmt, schön, geordnet, wohlbemessen, unterschieden und wohl abgewogen, denn das Gewicht ist eine hinordnende Neigung. Dieses gilt aber allgemein von allen Geschöpfen, körperlichen, geistigen oder aus beiden gemischten, wie es die Natur des Menschen ist.

2. Kapitel: Entstehung der Körperwelt

Darlegung:' Wir haben die Körperwelt zu betrachten nach ihrem Entstehen, Sein und Wirken.

Sie wurde in sechs Tagen hervorgebracht, so nämlich, dass "im Anfang", vor aller Zeit, "Gott Himmel und Erde erschuf" (Gen 1, 1). - Am ersten Tage ist das Licht erschaffen worden, am zweiten die Feste inmitten der Wasser, am dritten sind die Wasser vom Festland geschieden und an einem Ort gesammelt worden, am vierten wurde der Himmel mit seinen Leuchtkörpern geschmückt, am fünften Luft und Wasser mit Vögeln und Fischen, am sechsten die Erde mit Tieren und den Menschen bevölkert. Am siebenten Tage aber ruhte Gott, nicht von seiner Arbeit und von seinem Wirken, denn er wirkt bis heute fort, wohl aber von der Hervorbringung neuer Arten. Er schuf nämlich alles entweder als fertige Ähnlichkeit, wie dasjenige, was sich durch Fortpflanzung vermehrt, oder der Keimanlage nach, wie das, was auf andere Art ins Dasein tritt.

Begründung: Die Dinge werden vom ersten und vollkommensten Prinzip hervorgebracht. Dieses aber ist allmächtig, allweise und allgütig. Darum stand es ihm an, alles so ins Dasein zu rufen, dass in ihm die dreifältige Würde und Erhabenheit widerstrahlte. Und so war das Wirken Gottes bei der Bildung der Welt ein dreifaches, nämlich Erschaffung, die besonders der Allmacht, Unterscheidung, die der Weisheit und Ausschmückung, die der großzügigen Güte entspricht.

Da die Schöpfung aus nichts ist, erfolgte sie im Anfang, vor aller Zeit, und sie war die Begründung aller Dinge und Zeiten. Die Unterscheidung der Weltkörper aber vollzog sich nach dreifacher Art. Darum geschah sie auch in drei Tagen. Die lichte Natur wurde nämlich unterschieden von der durchsichtigen und der dunkeln, und das erfolgte am ersten Tage bei der Scheidung des Lichtes von der Finsternis. Danach wurde die eine von der anderen durchsichtigen Natur unterschieden, was am zweiten Tage bei der Trennung der Wasser voneinander geschah. Endlich wurde noch die durchsichtige von der dunkeln Natur getrennt, und zwar am dritten Tage bei der Scheidung der Gewässer vom Festlande. Hierin ist auch die Auseinanderhaltung der himmlischen von den irdischen Elementen mit einbegriffen, wie sogleich erklärt wird. So wurde also passenderweise die Unterscheidung an drei Tagen bewirkt.

Die Ausschmückung entspricht aber der Unterscheidung und musste also auch an drei Tagen vollzogen werden. Zuerst wurde die lichte Natur ausgestaltet, und zwar am vierten Tage bei Bildung der Sterne, der Sonne und des Mondes, dann die durchsichtige am fünften Tage, an dem Fische und Vögel zur Erfüllung von Wasser und Luft erschaffen wurden. Zuletzt war aber noch die dunkle Natur, die Erde nämlich, auszuschmücken. Dieses ist das Werk des sechsten Tages, da die wilden Tiere, die Kriechtiere und als Vollendung des Ganzen die menschliche Natur hervorgebracht wurde.

Wiewohl Gott all dieses in einem einzigen Augenblicke hätte erschaffen können, zog er doch vor, es in der zeitlichen Reihenfolge zu tun, einmal um so seine Macht, Weisheit und Güte deutlich und klar zur Darstellung zu bringen, dann aber auch im Interesse der angemessenen Übereinstimmung der Tage oder Zeiten mit den jeweiligen Werken und endlich, damit so auch die Vorbilder der künftigen Zeitabschnitte hervorgebracht würden wie die Keime der ferner zu verwirklichenden Werke bei der Erstbegründung der Welt. - So sind in diesen sieben Tagen keimhaft die Unterscheidungen aller Zeitabschnitte enthalten, die sich im Verlaufe der sieben Weltalter abwickeln. Und deshalb wurde auch den sechs Arbeitstagen der siebente als Ruhetag hinzugefügt. Von diesem steht geschrieben, dass er keinen Abend hat; nicht als ob ihm keine Nacht gefolgt wäre, wohl aber wegen seiner Vorbildlichkeit jener Ruhe der Seelen, die niemals ein Ende nehmen wird. - Wenn man aber in anderer Weise annähme, dass alles auf einmal erschaffen sei (Vgl. Sir 18, 1)<ref> "Qui vivit in aeternum, creavit omnia simul", worauf sich diese Ansicht irrtümlicherweise berief.</ref>, dann bezögen sich all diese sieben Tage auf die Betrachtungsweise der Engel. Immerhin entspricht die erste Auffassung mehr der Heiligen Schrift und der Lehre der Väter, sowohl derer, die dem heiligen Augustin vorausgingen, als auch jener, die ihm folgten.

3. Kapitel: Wesen der körperlichen Dinge

Darlegung: Die ganze Körperwelt besteht aus der himmlischen und irdischen Natur. Dabei ist die erste in drei Haupthimmel unterschieden, nämlich Feuerhimmel, Kristallhimmel und Firmament. - Unter diesem letzteren, dem Sternenhimmel nämlich, werden die sieben Planetenkreise Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond einbegriffen. - Die irdische Natur aber zerfällt in vier Sphären: Feuer, Luft, Wasser und Erde. Und so liegen zwischen dem höchsten Punkte des Himmels und der Erdmitte zehn Himmelskreise und vier irdische Sphären. Aus diesen besteht die ganze Welt vollständig, auf fein unterschiedene und wohlausgestaltete Art.

Begründung: Die körperliche Natur bedarf zu ihrer eigenen Vervollkommnung und zur Offenbarung der vielfältigen Weisheit des Urprinzips der Mehrheit der Formen, wie sie auch in Erscheinung tritt in den Gesteinsarten, Pflanzen und Tieren. Darum war es nötig, einige ganz einfache Körper herzustellen, die mannigfaltig miteinander vermischt werden können, um so die vielgestaltigen Formen aufzunehmen. Diese (einfachen Körper) bilden die den Gegensätzlichkeiten unterworfene Natur, d. i. die irdischen Elemente. Es war ferner notwendig, eine Natur zu bilden, durch welche diese Gegensätzlichkeiten in ihren jeweiligen Mischungen ausgeglichen werden. Diesem entspricht die den Gegensätzlichkeiten enthobene Natur, das Licht nämlich und die überhimmlische Körperwelt.

Nun kann diese Mischung nur auf Grund von tätigen und leidenden Anlagen der entgegengesetzten Körper erfolgen. Es muss sich also ein doppelter Gegensatz in den Elementen finden, ein aktiver, wie Wärme und Kälte, und ein passiver, nämlich Nasses und Trockenes. Jedes der Elemente ist aber sowohl tätig als auch leidend zugleich und hat darum die beiden Eigentümlichkeiten, die aktive und die passive, so aber, dass entweder die eine oder die andere überwiegt. Es darf also, entsprechend diesen vier erwähnten vielfach miteinander vermischten Eigenarten, nur vier Elemente geben.

Die himmlische Natur ist entweder einförmig und unbeweglich, wie die des Feuerhimmels, welcher reines Licht ist, oder aber beweglich und vielförmig, wie das Firmament, oder endlich beweglich und einförmig, wie der zwischen dem Empyreum und dem Sternenhimmel liegende kristallinische Himmel. Eine vierte Art, nämlich ein vielförmiger, aber unbeweglicher Himmel, wäre unmöglich. Die Vielförmigkeit führt ja doch zur Veränderlichkeit der Bewegung, nicht zur Einförmigkeit der Ruhe.

Es gibt demnach drei Himmel; der erste ist ganz lichterfüllt und heißt Feuerhimmel. Der zweite ist durchsichtig und heißt Kristallhimmel. Der dritte ist aus beiden gemischt und wird Firmament genannt. Somit haben wir drei unwandelbare Himmel und vier veränderliche Elemente. Um nun die angemessene Verbindung, Übereinstimmung und Wechselbeziehung herzustellen, ordnete Gott die sieben Planetenkreise an. Diese sollten in ihrer Veränderlichkeit durch Bewegung und unveränderliche Gestalt gewissermaßen das verknüpfende Band zwischen den unteren Elementen der Erde und den oberen himmlischen Kreisen sein zur Vollendung und zum Schmuck des Alls. Dieses ist in seinen Zahlenverhältnissen geordnet und verbindet die zehn himmlischen und vier irdischen Kreise, die es ihrerseits wiederum so schön, vollkommen und geordnet machen, dass es dadurch seinen Urheber offenbart.

4. Kapitel: Wirksamkeit und Einfluss der Himmelskörper

Darlegung: Die himmlischen Körper wirken auf die irdischen und auf die Elemente durch Einteilung der Zeit nach Tagen, Monaten und Jahren. So sagt die Schrift (Gen 1, 14): "Sie dienen zum Zeichen der Zeiten, Tage und Jahre." Sie beeinflussen außerdem auch die wirksame Hervorbringung der erzeugbaren und vergänglichen Wesen, nämlich der Gesteine, Pflanzen, Tiere und Menschenkörper. Bei dieser Zeitbezeichnung und Einflussnahme sind sie aber kraft ihrer Zusammenstellungen nicht etwa sichere Zeichen des bedingt Zukünftigen µnd üben keinen Einfluss auf den freien Willen aus, wie es einige Philosophen als Fatum im Auge haben.

Begründung: Sie sind dem Urprinzip am nächsten. Darum ist in ihnen Licht, Bewegung, Wärme und Kraft. Licht ist in ihnen auf Grund ihrer Form und Schönheit, Bewegung wegen ihrer Beeinflussung von oben her, Wärme in Rücksicht auf die aufnehmende Natur, die unter ihnen liegt, Kraft endlich auf Grund all des Gesagten. So dienen sie durch Licht und Bewegung zur Unterscheidung der Zeiten: der Tage nämlich durch das Sonnenlicht und durch die Bewegung des Fixsternhimmels, der Monate durch die Bewegung des Mondes im Tierkreise, der Jahre durch die Sonnenbewegung im selben Tierkreise, der Zeitalter durch die Verschiedenheit der Bewegung, des Abstandes, der Annäherung, des Ab- und Aufstieges, Rückganges und Stillstandes. Hieraus entspringt dann die Verschiedenheit der Zeiten.

Durch Kraft und Wärme wirken die Himmelskörper auf die Hervorbringung der aus den Elementen entstehenden Wesen, und zwar weckend, fördernd und verbindend. Auf die Gesteine wirken sie durch die Vereinigung, nicht Gleichmachung des Entgegengesetzten, auf die Pflanzen durch eine von der Gleichheit schon weniger entfernte, auf die Tiere durch eine ihr schon sehr nahe kommende Verbindung. Auf die menschlichen Körper aber durch eine Vereinigung zur Gleichheit. Diese letzteren sind dadurch auf die edelste Form angelegt, nämlich die geistige Seele. Zu ihr ist hingeordnet und zielt das Verlangen der ganzen Sinnes- und Körperwelt, um durch sie, die Form, Sein, Leben, Empfindung und Verstand besitzt, gewissermaßen nach Art eines geistigen Kreislaufes zu ihrem Urgrunde zurückgeführt und in ihm vollendet und beseligt zu werden (Vgl. Röm 8, 19 ff).

Die Seele aber strebt durch ihren freien Willen zu diesem Endziel. So überragt sie eben dadurch die ganze Körperwelt: Und alles ist dazu da, ihr zu dienen; sie aber hat keinen Herrscher über sich als Gott allein, kein Schicksal und kein Sternbild.

Es ist also unzweifelhaft wahr, dass wir das Ziel der ganzen Schöpfung sind, und dass die gesamte Körperwelt zum Dienste des Menschen erschaffen ist. Durch all dieses soll er begeistert werden zur Liebe und zum Preis des Schöpfers des Alls, dessen Vorsehung alles so gefügt hat. Der ganze Aufbau der Körperwelt ähnelt ja einem Haus, vom höchsten Baumeister für den Menschen errichtet, bis dieser zu der nicht von Menschenhand erbauten himmlischen Wohnung gelangt (Vgl. 2 Kor 5, 1). Wie also jetzt die Seele im Leibe auf Erden weilt im Stande des Verdienstsammelns, so soll einst der Körper durch die Seele im Stande der Belohnung im Himmel wohnen.

5. Kapitel: Darstellung des Besprochenen in der Heiligen Schrift

Darlegung: Aus dem Gesagten geht nun das Folgende hervor. Wie Gott die Dinge der Zeit nach geordnet hat und ihnen ihre Lage ordnungsmäßig bestimmte, so regiert er sie auch dementsprechend in ihrem Wirken. Und auch die Heiligen Schrift berichtet so, wie es zur christlichen Belehrung genügt. Sie beschreibt allerdings nicht ausdrücklich die Unterscheidung der Kreise, weder der himmlischen noch der irdischen, sagt wenig oder nichts über die Bewegungen und Kräfte der Himmelskörper und von der Mischung der Elemente, sowie der aus ihnen zusammengesetzten Dinge. Ja, was mehr bedeutet, sie erzählt auch nicht ausführlich über die Beschaffenheit der Himmelsgeister. In erster Linie sagt sie eben, dass diese Welt erschaffen ist.

Begründung: Das Urprinzip gibt sich uns sowohl durch die Schrift als auch durch die Schöpfung zu erkennen. Durch das Buch der Schöpfung offenbart es sich als Wirkursache, durch das der Schrift als Urheber unserer Erlösung. Da nun die Schrift hauptsächlich über das Erlösungswerk handelt - die erlösende aber nicht ohne die Wirkursache erkannt werden kann - so muss sie auch von der Schöpfung sprechen, weil diese ja zur Erkenntnis des ersten Prinzips der Schöpfung und Erlösung führt. Und darum ist sie eine erhabene und heilbringende Erkenntnisquelle : erhaben, weil sie von der Wirkursache, dem Schöpfergott, handelt; heilsam, weil sie von der Ursache der Wiederherstellung Kenntnis gibt, dem Erlöser und Mittler Jesus Christus.

Da sie nun so erhaben ist, weil sie nämlich vom Urprinzip und höchsten Sein Kenntnis gibt, lässt sie sich nicht zur Schilderung der einzelnen Naturen, Bewegungen, Kräfte und Unterschiedenheiten der Dinge herab, sondern bleibt bei einer gewissen Allgemeinbeschreibung stehen, in der die Besonderheiten eingeschlossen sind. Sie schildert also auf ganz allgemeine Art die Beschaffenheit der Welt nach ihrer Anordnung und ihren Wirkungen als lichte, dunkle und durchsichtige Natur.

Das Urprinzip, von dem die Heilige Schrift handelt, trägt in seinem Sein die Ordnung der Natur, in seinen Anordnungen die der Weisheit, in seinen Einwirkungen die der Güte derart, dass in der Gleichzeitigkeit und Gleichförmigkeit die Ordnung der Natur, in dem zeitlichen Nacheinander die der Weisheit und in der Rangordnung die der Einwirkungen bezeichnet wird. Wenn die Schrift daher die Naturordnung im Auge hat, so schildert sie so, wie es sich für das göttliche Schaffen geziemt, nämlich dass am Anfang, vor jeder Zeit, die dreifache Natur aus dem Nichtsein ins Dasein gesetzt wurde und sagt: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (Gen 1, 1). "Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern" (Gen 1, 2). Mit dem Namen Himmel bezeichnet sie in dieser Stelle die lichtförmige Natur, mit Erde die dunkle und mit Wasser die durchsichtige, und zwar sowohl die der Gegensätzlichkeit unterworfene als auch die über sie erhabene. - Hiermit wird auch die allerheiligste Dreifaltigkeit angedeutet, der Vater nämlich mit Erwähnung des schaffenden Gottes, der Sohn mit dem Worte "Anfang" und der Heilige Geist mit dem "der Geist Gottes". - So also ist zu verstehen, was geschrieben steht: "Der in Ewigkeit lebt, hat alles ohne Ausnahme erschaffen" (Sir 18, 1). Nicht als ob Gott alles in einem vollständig verworrenen Chaos hervorgebracht hätte, wie die Dichter es glauben machen; nein, er hat eine dreiteilige Natur ins Dasein gerufen, nämlich die höchste oben, die mittlere in der Mitte und die niederste unten. Sie war aber auch nicht von Anfang an schon vollständig unterschieden; war doch der Himmel vollendet, die Erde aber noch nicht zusammengefügt und die gleichsam dazwischenliegende mittlere Natur noch nicht zur vollendeten Unterscheidung gediehen.

Um die Ordnung der göttlichen Weisheit anzudeuten, berichtet die Schrift, dass diese dreifältige Natur nicht auf einmal unterschieden und ausgestattet wurde. Entsprechend dem Bedürfnisse der dreifältig erschaffenen Natur wurde sie vielmehr an drei auseinanderliegenden Tagen getrennt und an drei weiteren ausgeschmückt. Wie also Gott am Uranfang die dreigliedrige Natur auf einmal erschuf, so hat er in der Zeit die dreiförmig hervorgebrachte Natur in drei Tagen geordnet und die so dreifach unterschiedene in drei weiteren Tagen dreifach ausgeschmückt.

Um endlich die Ordnung seiner Güte in den Einwirkungen darzustellen, teilt die Schrift mit, dass die dreiteilige Natur höher oder tiefer gelagert wurde, je nach Würde und Einfluss. Weil die Lichtnatur die höchste Schönheit trägt, gebührt ihr der Umkreis. Weil das Dunkel die geringste Schönheit besitzt, kommt ihm der Mittelpunkt zu, und weil das Durchsichtige sich dazwischen hält, gehört ihm auch der mittlere Ort. Nun ist aber die durchsichtige Natur der himmlischen und der irdischen Sphäre gemeinsam und auch das Licht kommt beiden zu. Darum wird mit Recht gesagt, das Firmament sei "in die Mitte der Gewässer" (Gen 1, 6) gesetzt. Das ist aber nicht so, als ob die Wasser über dem Himmel flüssig, kalt, schwer und vergänglich wären. Sie sind vielmehr fein und unzersetzlich, durchsichtig und über alle Gegensätzlichkeiten erhaben und darum eben himmlischer Wesenheit und auf Grund der Vornehmheit ihrer Gestaltung gehören sie zu den himmlischen Körpern.

Auch erhält alles seinen Ort nach Kraft und Wirksamkeit. Jede körperliche Tätigkeit in der unten gelagerten Welt nimmt Richtung, Anstoß und Kraft von der himmlischen Natur. Nun gibt es zwei tätige Eigenschaften, Wärme und Kälte nämlich, darum auch einen Himmel, der hauptsächlich auf jene wirkt und dank seiner Lichtnatur warm ist, das ist der siderische. Ein anderer Himmel aber muss auf das Kalte wirken, der kristallinische. - Wiewohl aber der siderische Himmel Wärme bewirkt, ist er nicht eigentlich warm. So ist auch jener andere Himmel, welcher der wässerige oder eisige genannt wird, nicht wesenhaft kalt. - Wenn also die Heiligen sagen, die Wasser seien dorthin versetzt, um die Wärme der Körper zu mäßigen usw., so darf man dieses nicht wörtlich verstehen, sondern nur der Wirkung und dem Einfluss nach. - Die Einrichtung des Alls entspricht also nach dem Dargestellten der Heiligen Schrift, die eine Wissenschaft vom Erhabenen ist.

Weil sie aber auch eine Heilswissenschaft ist, spricht die Bibel nur im Hinblick auf das Erlösungswerk von der Schöpfung. Da die Engel aber so beschaffen sind, dass sie sich nach ihrem Fall nicht mehr erheben konnten, wie wir im folgenden sehen werden, schweigt sie in ihrem äußeren Wortlaut über ihre Sünde und ihre Natur; ließen sie doch keine Erlösung zu.

Der Erhabenheit der Heiligen Schrift stand es immerhin auch nicht an, vollkommen über die Beschaffenheit der höchsten Geschöpfe zu schweigen. Darum erwähnt sie die Schöpfung der Dinge so, wie es eine erhabene und heilbringende Wissenschaft erheischt. So wird im geistigen Sinne die im Wortlaut beschriebene Weltschöpfung geistig bezogen auf die Schilderung der Hierarchie der Engel und der Kirche. Im geistigen Sinne wird daher bei jener zuerst erschaffenen, dreifachen Natur die Engelwelt unter dem Namen "Himmel" verstanden, die kirchliche Hierarchie unter der Erde und die Gnade, durch die beide überströmt werden, mit dem "Wasser" angedeutet.

Mit den sieben Tagen werden ferner die sieben Entwicklungsstadien der Kirche im Verlaufe der sieben Zeitalter bezeichnet. Unter derselben Siebenzahl wird aber auch die siebenfache Geisteshinwendung der Engel von der Schöpfung zu Gott verstanden. -- Und so geht aus dem Gesagten die hinreichende Wahrheit der Schrift trotz der verschiedenen Meinungen der Heiligen, Augustins nämlich und der anderen, hervor. Diese widersprechen sich nicht, sind vielmehr wahr, wenn man sie richtig versteht.

6. Kapitel: Erschaffung der himmlischen Geister

Wir fassen jetzt die Schöpfung der reinen Geister, den Fall der Teufel und die Befestigung der guten Engel ins Auge.

Darlegung: Man muss nämlich wissen, dass den Engeln von Anfang ihrer Erschaffung an vier Besonderheiten eigneten: Einfachheit des Wesens, persönliche Verschiedenheit, Vernunftbegabung mit Gedächtnis, Einsicht und Wille und die Entscheidungsfreiheit, das Gute zu wählen und das Böse zu verwerfen. - Diesen vier Haupteigenschaften folgen vier weitere, nämlich: hervorragende Kraft im Handeln, Willigkeit im Dienen, Scharfsichtigkeit im Erkennen und Unveränderlichkeit im Guten oder Bösen nach einmal getroffener Wahl.

Begründung: Das Urprinzip erschuf, eben weil es das Erste ist, alles aus nichts. Es brachte solche Wesen hervor, die nicht nur dem Nichts, sondern auch ihm selbst nahestehen. Es musste ja nicht nur Wesen, die ihm ferne stehen, wie die körperlichen Naturen, sondern auch ihm nähergerückte erschaffen. Diese nun aber sind die geistigen und unkörperlichen Naturen. Weil sie Gott sehr ähnlich sind, besitzen sie Einfachheit des Wesens und persönliche Unterschiedenheit, damit sie ihm gleichen, sowohl der allgemeinen Natur, als auch der individuellen Persönlichkeit nach. - Der Engel trägt in seinem Geiste das Bild der Dreifaltigkeit in Gedächtnis, Verstand und Willen. Auch verfügt er über Entscheidungsfreiheit, damit er dadurch Gott gleiche sowohl in seinen naturhaften als auch in seinen sittlichen Anlagen. Erstere sind nach dem Bilde Gottes gestaltet, letztere zur freien Entscheidung verliehen. Ohne den Besitz der Willensfreiheit kann nämlich niemand auf dem Wege der Verdienste zum himmlischen Lohne gelangen, in dem die Seligkeit aller besteht. Aber diese kann nur in der vernünftigen Natur zusammen mit Gedächtnis, Einsicht und Wille vorhanden sein. Wo nun Vernunft ist, da muss auch "eine individuelle Verwirklichung der vernünftigen Natur sein". Auch muss es eine geistige und unkörperliche, darum aber eben einfache Substanz geben, der jede räumliche Ausdehnung abgeht.

Eine solche Wesenheit nun ist eben, weil sie einfach ist, auch kraftvoll in ihrem Tun. Weil sie einfach und dazu individuell persönlich ist, kommt ihr außerdem in ihrer dienenden Wirksamkeit Besonderheit zu. Zu einer einfachen und kraftvollen Natur gehört ferner Scharfsichtigkeit im Erkennen. Und weil sie endlich einfach und scharfsichtig ist und einen gottförmigen Geist besitzt, verharrt sie auch unveränderlich nach einmal getroffener Entscheidung im Guten oder Bösen. All diese Eigenschaften gehören nach allgemeiner Meinung zur besprochenen Naturbeschaffenheit der höheren Geister.

7. Kapitel: Abfall der Dämonen

Darlegung: Gott hat alle Engel gut erschaffen und sie in die Mitte zwischen sich, dem höchsten und dem veränderlichen Gute, d. h. des Erdengeschöpfes, gestellt. So konnten sie, wenn sie sich zur Liebe des Höheren entschlossen, zur Gnade und Glorie aufsteigen, wenn sie sich hingegen zum veränderlichen Gute, das unter ihnen lag, hinkehrten, dann sollten sie in das Übel der Schuld und der Strafe stürzen, denn "die Verunstaltung der Sünde darf nicht ohne den Schmuck der Gerechtigkeit bestehen"<ref>Augustin, De libero arbitrio III c. 14 n. 44. M 32, 1221.</ref>. - Luzifer nun, der Anführer der Engel, begehrte in vermessener Eigenliebe nach Selbstverherrlichung, indem er alle übrigen übertreffen wollte und kam dadurch mit seinen Gesinnungsgenossen zu Fall. Durch seinen Sturz ist er aber in Unbußfertigkeit verstockt, verblendet und von der Anschauung Gottes ausgeschlossen worden, dazu auch in seiner Tätigkeit derart herabgewürdigt, dass ihm nur noch belassen blieb, den Menschen durch vielfältige Versuchungen zu Fall zu bringen.

Begründung: Weil das Urprinzip höchst gut ist, kann es nur Gutes schaffen. Denn vom Guten kann nur Gutes hervorgehen; aber immerhin ist das, was von ihm bewirkt wird, geringer als es selber ist und kann daher nicht in sich das höchste Gut sein. Die Engel waren also von Gott zwar bis zu einem gewissen Grade, nicht aber absolut gut erschaffen und sollten vervollkommnet werden, wenn sie ihre Neigung dem Höchsten zukehrten.

Sie konnten dank ihrer Entscheidungsfreiheit entweder nach dem Höchsten streben oder aber sich zum eigenen Gute hinwenden. Luzifer also ließ sich durch die Betrachtung seiner Schönheit und seines hohen Ranges dazu hinreißen, sich selbst und seine Vorzüge zu lieben. Er schwelgte in seiner Würde und Erhabenheit und war stolz auf seine eigene, ursprünglich vorhandene Hoheit, die er aber verlor. Durch diese Selbstüberhebung machte er sich zu seinem eigenen Prinzip und rühmte sich in sich selbst. In seinem Ehrgeiz betrachtete er sich als das höchste Gut und ruhte in sich. Da er aber weder das höchste Prinzip, noch das höchste Gut war, musste er durch seine ungeordnete Selbstüberhebung zu Fall gebracht werden und aus demselben Grunde auch alle, die zu ihm hielten. - Weil nun "die Verunstaltung der Sünde nicht ohne den Schmuck der Gerechtigkeit besteht", darum musste er, sobald er sündigte, mit seinen Anhängern den höchsten Platz, den er einnahm, nämlich den empyrischen Himmel, einbüßen und zum untersten hinabsteigen, in die neblige Luft oder in die Hölle. Da sein Fall in die Sünde mit eigenem Willen geschah, erfolgte sein Absturz in die Strafe durch göttlichen Urteilsspruch. - Und da er bei seiner einmal getroffenen Wahl verharren musste, ist er sofort ganz in Bosheit verstockt, darum auch für die Wahrheit blind, in seinem Wirken zur Anstiftung von Unordnung herabgesunken, in seiner Kraft geschwächt. Sein Wille ist boshaft und sein Handeln hat sich von Gott ab- und dem Hass und Neid gegen die Menschen zugekehrt. Seine vom wahren Licht geblendete Scharfsichtigkeit des Geistes richtete sich nun auf Täuschung durch Voraussagung der Zukunft und falsche Vorspiegelungen. Seines eigentlichen Amtes enthoben, wandte sich seine Dienstbereitschaft zum Versuchungswerke, seine verminderte und eingeschränkte Kraft aber zur Vorspiegelung blauer Wunder durch überraschende Verwandlungen innerhalb der Körperwelt, soweit ihm diese erlaubt wird. - Da nun all diese Ungeordnetheiten von dem durch Stolz entwürdigten Willen herrühren, benützt er sie als Zündstoff seiner Eitelkeit; denn er strebt danach, von den Menschen verehrt und angebetet zu werden wie Gott. So kommt es, dass er alles Böse wirkt, soweit es der Herr gerechterweise zur Bestrafung der Übeltäter, aber auch zum Ruhme der Guten zulässt, wie es einst im Weltgericht offenbar werden wird.

8. Kapitel: Befestigung der guten Engel

Darlegung: Wie die von Gott ab gewandten Engel sogleich durch ihre Unbußfertigkeit verstockt worden sind, so sind jene, die sich zu Gott kehrten, durch die Gnade und die Glorie alsbald in ihrem Willen gefestigt worden. Sie sind in ihrer Vernunft sowohl nach ihrem Morgen- wie auch nach ihrem Abendwissen<ref> Die Scholastiker sprechen in Anlehnung an Augustin (De gen. ad lit. 4, 22) von einer cognitio matutina und vespertina, einem Morgen- und Abendwissen der Engel, je nachdem sie die Dinge in Gott oder in ihrer Verwirklichung erkennen.</ref> vollkommen erleuchtet, dazu in ihrer befehlenden wie auch der ausführenden, der beschaulichen wie der dienenden Kraft ganz gestärkt und vollständig geordnet worden. All dieses erfolgte in der dreiteiligen Hierarchie: der oberen, mittleren und unteren.

Die Thronen, Cherubim und Seraphim sind zum höchsten berufen, die Herrschaften, Kräfte virtutes und Mächte potestates zum mittleren, die Prinzipaten, Erzengel und Engel zum untersten. Von den letzteren sind die meisten zum Dienste entboten (Vgl. Hebr 1, 14) und zum Schutze der Menschen beauftragt, denen sie reinigend, erleuchtend und vervollkommnend behilflich sind gemäß der Anordnung des göttlichen Willens.

Begründung: Die Engel sind dank ihrer ausgesprochenen Gottähnlichkeit und großen Annäherung an das erste und höchste Prinzip gottförmigen Geistes und verharren für immer in dem einmal frei gewählten Guten. Hatten sie sich, geleitet von seiner Gnade, zum höchsten Gute hingewandt und all ihr Streben auf Gott gerichtet, so wurden sie gleicherweise in der Glorie befestigt und vervollkommnet. Und wie sie derart beharrlich und selig in ihrem Willen waren, so auch scharfblickend in ihrer Vernunft. Sie erkannten die Dinge nicht nur, wie sie verwirklicht, vielmehr auch wie sie in der göttlichen Idee sind und hatten demnach nicht allein das Abend-, sondern auch das Morgenwissen. Eigentlich ist es das Tageswissen auf Grund der Fülle und allseitigen Klarheit jenes Lichtes, im Vergleich zu welchem die Erkenntnis jedes Geschöpfes als eine verfinsterte bezeichnet werden kann. Ebenso sind die Engel auch vollkommen in ihrer befehlenden wie ausführenden Wirkkraft gestärkt, sowohl in einer angenommenen Leiblichkeit als auch ohne diese. - In ihrem Handeln sind sie so vollkommen geordnet, dass sie nicht in Verwirrung gebracht werden können, weder im Aufstieg zur göttlichen Beschauung noch in der Herabneigung zum Dienste des Menschen. Da sie Gott von Angesicht zu Angesicht schauen (Vgl. 1 Kor 13, 12), bewegen sie sich in ihm, wohin immer sie entsandt werden.

Die Engel werden in Bewegung gesetzt und betätigen sich nach ihrer hierarchischen Ordnung zu dem, wozu die Natur in ihnen den Grund gelegt, und was die Glorie vollendet hat. Die Freibeweglichkeit ihres Willens für immer befestigend, hat die Seligkeit ihre Schau noch mehr erhellt, ihren Diensteifer geregelt und ihre Kraft gestählt, gestützt auf die oben genannten vier Eigenschaften. - Diese Scharfsichtigkeit der beschauenden Vernunft nun richtet sich entweder vorwiegend auf die Verehrung der Majestät oder auf das Verstehen der Wahrheit oder aber auf die Liebe der Güte Gottes. Und demgemäß hat die erste Hierarchie drei Ordnungen: Thronen, welchen die Verehrung, Cherubim, welchen die Weisheit und Seraphim, denen das Wohlwollen besonders eignet. - Zur vollkommenen Wirkkraft gehört nun die Macht im Befehlen, Ausführen und Abwehren. Das erste ist den Herrschaften, das zweite den Kräften, das dritte aber den Mächten zugeteilt, welch letztere die feindlichen Scharen zu bekämpfen haben, - Zur vollkommenen Amtswaltung endlich gehört das Regieren, das Kundgeben und das Wiedererheben. Das erste kommt den Prinzipaten, das zweite den Erzengeln, das dritte den Engeln zu, denn sie achten darauf, dass die Stehenden nicht fallen und stehen den Gefallenen bei, damit sie sich wieder erheben. - So ist offensichtlich, wie sich die Engel in allem mehr oder weniger betätigen, stufenweise, vom allerhöchsten bis zum untersten hinabsteigend. Die einzelne Ordnung muss aber jeweils nach ihrer Hauptaufgabe benannt werden.

9. Kapitel: Erschaffung des menschlichen Geistes

Nach Behandlung der unkörperlichen und reingeistigen Natur ist einiges über die aus bei den zusammengesetzte zu sagen, und zwar zuerst über die Seele, sodann über den Leib und zuletzt über den ganzen Menschen.

Darlegung: Die vernünftige Seele ist nach der Theologie eine Form, die Sein, Leben, Geist und Freiheit besitzt. Als Form ist sie ein Sein, das nicht aus sich selber, aber auch nicht aus der göttlichen Natur stammt, sondern von Gott durch einen Schöpfungsakt aus dem Nichts ins Dasein gesetzt wurde. Ihr Leben empfängt sie nicht aus der äußeren Natur, sondern aus sich selber, und zwar kein sterbliches, sondern ein fortdauerndes. - Als erkennendes Wesen erfasst sie nicht nur das erschaffene; nein, auch das schöpferische Sein, zu dessen Abbildung sie mit Gedächtnis, Verstand und Willen ausgestattet ist. - Auch über Freiheit verfügt sie, denn sie ist stets frei von Zwang. Im Unschuldstand war sie auch dem Elend und der Sünde enthoben, nicht aber im Stand der gefallenen Natur. Dies Freisein von Zwang ist nichts anderes als eine Fähigkeit des Willens und der Vernunft, jener beiden Hauptkräfte der Seele.

Begründung: Weil das Urprinzip ganz glückselig und ganz gütig ist, teilt es in seinem allerhöchsten Wohlwollen seine Seligkeit auch den Geschöpfen mit, und zwar nicht nur den ihm nächststehenden, rein geistigen, sondern auch den körperlichen, mehr von ihm entfernten. Den letzteren lässt Gott diese mittelbar zuteil werden, denn "es ist göttliches Gesetz, dass das unterste durch das mittlere zum höchsten geführt werde"<ref>Ps. Dionysius, De caelesti hierarchia c. 4 § 3; c. 8 § 2 u. De eccl. hierarchia c. 5 §4.</ref>. Gott befähigte also nicht nur den reinen, englischen Geist zur Beseligung, vielmehr auch den einem Leibe vereinten, menschlichen. Die geistige Seele ist demnach eine zur Beseligung bestimmte Form. Da aber das Empordringen zum Lohn der Glorie nur durch eigene Verdienst ruhmreich ist, aber auch nur da Verdienst werden kann, was gerne und in Freiheit geschieht, musste ihr durch Wegräumung alles Zwanges die Entscheidungsfreiheit verliehen werden. Es gehört also zur Natur des Willens, dass er durch nichts genötigt werden kann, wohl aber durch die Sünde elend und zum Schuldknecht wird (Vgl. Joh 8, 34).

Als der Beseligung fähiges Wesen ist die Seele ferner auf Gott angelegt durch Gedächtnis, Verstand und Willen. So ist es wegen der Einheit des Wesens und der Dreiheit der Vermögen ein Abbild der Trinität. Sie musste also notwendigerweise Gott und alles andere erkennen können und so ihn ganz besonders abbilden. - Wer nun wirklich selig ist, kann seine Seligkeit nicht einbüßen. Darum konnte nur das zur Beseligung befähigt sein, was unvergänglich und unsterblich ist. Die geistige Seele musste daher von Nah mit unsterblichem Leben begabt sein.

Zuletzt ist jedes Wesen, das von einem anderen beseligt werden kann und unsterblich ist, veränderlich in seinem Gutsein und unveränderlich in seinem Dasein. Weil diese Seele also veränderlich ist, stammt sie weder aus sich selbst, noch aus der göttlichen Wesenheit. Weil sie aber auf der anderen Seite unsterblich und unvergänglich ist, wird sie weder aus irgendetwas hervorgebracht, noch auf natürliche Weise erzeugt. Dies Form kann also nicht durch Zeugung ins Dasein gesetzt werden, ist doch alles, was natürlich erzeugt wird, auch naturhaft vergänglich. - Das Ziel der Beseligung ergibt somit die Notwendigkeit der besprochenen Eigenschaften für die zu ihr hingeordnete Seele.

Durch ihre Bestimmung zur Seligkeit ist sie unsterblich; da sie nun aber einem sterblichen Körper vereinigt ist, kann sie von diesem getrennt werden. Sie ist deshalb nicht nur eine Form, sondern auch eine Substanz. Sie wird dem Leib darum nicht nur als vervollkommnendes, sondern auch als bewegendes Prinzip vereint. So vervollkommnet sie durch ihre Wesenheit, was sie gleicherweise durch ihre Macht bewegt. Sie gibt ihm aber nicht allein das Sein, sondern auch Leben, Empfinden und Denken. Aus diesem Grunde hat sie das leibliche, erhaltende, empfindende und geistige Vermögen. Durch das erhaltende erzeugt, ernährt und bewirkt sie das Wachstum. Sie erzeugt den Leib in seiner Natur, ernährt ihn in seiner Beschaffenheit und vermehrt ihn in seiner Ausdehnung. - Mit dem empfindsamen Vermögen nimmt sie innerlich wahr, hält das Wahrgenommene fest, setzt das Festgehaltene zusammen und trennt es. Durch die Sinne erkennt sie die fünfteilige Außenwelt dank ihrer Hinordnung auf die fünf hauptsächlichen Körper der Welt; mit dem Gedächtniss hält sie fest; mit der Phantasie verbindet und teilt sie; denn diese ist die erste verknüpfende Kraft.- Mit dem geistigen Vermögen aber erkennt sie das Wahre, flieht das Schlechte und begehrt das Gute. Das Wahre unterscheidet sie mit der Vernunft, das Schlechte verwirft sie mit dem erregbaren und das Gute erstrebt sie mit dem begehrenden Vermögen.

Weil nun das Unterscheiden des Wahren eine Erkenntnistätigkeit, das Fliehen und Erstreben aber eine Willensneigung ist, unterscheidet man in der Seele ein Erkenntnis- und ein Strebevermögen.

Die Erkenntnis der Wahrheit ist aber doppelt und erfasst ihren Gegenstand entweder um seiner Wahrheit oder aber um seiner Güte willen. Weil es ferner ein Erkennen des Ewigen gibt, das über der Seele und des Zeitlichen, das unter ihr liegt, zerfällt das geistige Vermögen, besser gesagt der Verstand und die Vernunft, weiterhin, und zwar der Verstand in einen spekulativen und praktischen, die Vernunft aber in eine höhere und in eine niedere. Man spräche aber hier besser von verschiedenen Betätigungen als von verschiedenen Vermögen.

Auch das Begehren kann endlich noch zweifach gerichtet sein, nämlich nach dem Naturtrieb oder aber nach der Überlegung und Entscheidung. Demnach wird auch das begehrende Vermögen in einen naturhaften und einen wählenden Willen eingeteilt, welch letzterer der eigentliche ist. Da diese Wahl sich nach zwei Seiten wenden kann, ist sie der freien Entscheidung anheim gegeben. - Weil diese Freibeweglichkeit nach beiden Seiten aus einer vorhergehenden Überlegung und einem sie begleitenden Wollen hervorgeht, ist die Entscheidungsfreiheit eine Fähigkeit der Vernunft und des Willens. So schließt sie, wie Augustin sagt, alle vorhin besprochenen Fähigkeiten der geistigen Seele in sich. Er schreibt nämlich<ref>Hypognosticon (auch Hypomnesticon genannt), III c. 15 n. 7 M 45, 1611) unecht. </ref>: "Wenn wir von Wahlfreiheit reden, sprechen wir nicht von einem bestimmten Teile, sondern ohne Frage von der ganzen Seele." Das Zusammenwirken dieser Kräfte, nämlich der über sich selbst reflektierenden Vernunft und des sie begleitenden Willens gehört zur Vollständigkeit der Freiheit. Diese selbst aber ist, je nach Bevorzugung des Guten oder des Schlechten, die Ursache des Verdienstes oder Missverdienstes.

10. Kapitel: Bildung des menschlichen Leibes

Darlegung: Der Leib der ersten Menschen war aus Erde gebildet (Gen 2, 2) und so erschaffen, dass er zwar der Seele untergeordnet, aber auch gewissermaßen ihr angepasst war. Angepasst, meine ich, war er auf Grund seiner ebenmäßigen Zusammenfügung, seines sehr schönen und vielgestaltigen Aufbaues und seiner aufrechten Gestalt. Er war aber unterwürfig, indem er ohne Auflehnung gehorchte, ohne böse Lust zeugte und erzeugt wurde, auch war er lebensfähig ohne Mangelhaftigkeiten und nicht der Veränderung durch irgendwelche Verwüstung, nicht einmal dem Tod unterworfen. Und darum war ihm auch das Paradies als friedvolle Wohnstätte angewiesen. Die Frau ist aus der Seite des Mannes gebildet worden als seine Genossin und zur Mitwirkung an der unbefleckten Fortpflanzung. Außerdem wurde dem Menschen der Lebensbaum gegeben (Gen 2, 9) zur Forterhaltung des Lebens und zum vollkommenen unveränderten Beharren in der dauernden Unsterblichkeit.

Begründung: Das Urprinzip ist allmächtig, allweise und allgütig im Hervorbringen und offenbart dieses in all seinen Werken auf irgendeine Art. Am deutlichsten aber musste Gott es in seinem letzten und vornehmsten Werke bekunden. Das ist der Mensch, den Gott unter allen Übrigen Geschöpfen zuletzt erschuf, damit so die Vollendung der göttlichen Schöpfung am deutlichsten zutage trete und in ihm widerstrahle.

Zur Offenbarung seiner Macht bildete Gott den Menschen aus Naturen, die am weitesten auseinanderliegen, als eine einzige Person und Natur. Solche Naturen sind Leib und Seele, deren eine die körperliche Wesenheit, die andere aber, die Seele nämlich, eine geistige und unkörperliche Substanz ist. Diese beiden weichen ihrem Wesen nach am weitesten voneinander ab.

Damit im Menschen aber auch die Weisheit Gottes erscheine, passte er den Körper der Seele an. Jener wird nämlich mit dieser verbunden, um vervollkommnet und bewegt und zur Seligkeit hingeleitet zu werden. Um nun also der belebenden Seele zu entsprechen, war er gleichmäßig zusammengesetzt, nicht dem Gewichte bzw. der Masse nach, wohl aber hinsichtlich des Ebenmaßes der natürlichen Rechtheit, die zur alleredelsten Lebensführung befähigt. - Um ferner der ihn durch die Vielförmigkeit ihrer Kräfte bewegenden Seele zu gleichen, hatte er Vielgestaltigkeit der Glieder in höchster Anmut, Kunst und Geschmeidigkeit. Wir können dieses deutlich an der Hand, dem Organ der Organe beobachten. - Um zuletzt noch zu der himmelanstrebenden Seele zu passen, war sein Gang aufrecht und sein Haupt erhoben, damit so die aufrechte Haltung des Leibes die Höhenrichtung des Geistes ausdrücke.

Endlich sollte auch noch die Güte und das Wohlwollen Gottes sichtbar werden. Deshalb erschuf ihn Gott frei von jeder Makel und Schuld, frei von Strafe und Elend. Weil nämlich das Urprinzip zugleich das beste und gerechteste ist, durfte es als bestes den Menschen nur gut und darum unschuldig und rechtschaffen hervorbringen, als gerechtestes aber durfte es ihm keine Strafe auferlegen, da er ja noch gar nicht gesündigt hatte. Aus diesem Grunde richtete Gott den Körper so ein, dass er eben dieser geistigen Seele Untertan und keinerlei aufrührerischer Widerstand in ihm war, keine Neigung zur bösen Lust, keine Abnahme der Kraft, keine Verwüstung des Todes. Damit er nun auch darin der Seele gleiche, dass diese schuldlos war und doch in Sünde fallen konnte, war er frei von Leiden, konnte aber wohl der Strafe verfallen. Darum "konnte er sterben, musste es aber nicht"<ref> Augustin, De gen ad lit. VI c. 25 n. 36 M 34, 245. </ref>. Er konnte Überfluss, aber auch Mangel haben, er konnte der Seele botmäßig sein, sich aber auch gegen sie erheben und ihr widerstreiten.

In diesem Urstande war der Leib so eingerichtet, dass sich der Same zur Erzeugung der Nachkommen unter Mitwirkung des gleicherweise mitzeugenden weiblichen Geschlechtes ablöste. Die Aufnahme der Leben nährenden Feuchtigkeit geschah durch Wirkung der Wärme; zur Erfrischung bot sich die Nahrung von den Bäumen des Paradieses, wobei die grundlegende Feuchtigkeit erneuert und bewahrt wurde durch den Lebensbaum. Dieser Baum hatte die Kraft, dass er, wie Augustin<ref> Augustin, De gen ad lit. VIII c. 4 n. 8. </ref> sagt, nicht nur als Speise, sondern auch als Sakrament diente. - Die Unverwüstlichkeit und Unsterblichkeit des Körpers dankte Adam hauptsächlich der Seele als dem zusammenhaltenden und wirkenden, seiner eigenen guten und gleichmäßigen Zusammensetzung als dem vorbereitenden und aufnehmenden, dem Lebensbaum aber als dem belebenden und fördernden, der Leitung der göttlichen Vorsehung als dem ihn er· haltenden und äußerlich unterstützenden Prinzip.

11. Kapitel: Hervorbringung des ganzen Menschen

Darlegung: Dem Paradiesesmenschen war eine doppelte Fähigkeit der Sinne verliehen: eine innere und eine äußere, eine geistige und fleischliche. - Auch verfügte er über eine zweifache Bewegung: eine befehlende im Willen und eine ausführende im Körper. - Dazu war ihm ein doppeltes Gut gegeben: ein sichtbares und ein unsichtbares. - Auch wurde ihm ein zweifaches Gebot auferlegt: das natürliche und das göttliche. Das erste lautet: "Wachset und vermehret euch" (Gen 1, 28); das zweite: "Vom Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollt ihr nicht essen" (Gen 2, 17). - Zu alledem wurde ihm eine vierfache Unterstützung, die der Wissenschaft nämlich, des Gewissens, der Synderesis und der Gnade. Und so war ausreichend dafür gesorgt, dass er im Guten bestehen und fortschreiten, vor dem Bösen aber sich bewahren und es meiden konnte.

Begründung: Das Urprinzip erschuf diese sinnliche Welt, um sich selber kundzugeben, d. h, damit durch sie, wie durch einen Spiegel und eine Spur, der Mensch zur Liebe und zum Lobe ihres hervorbringenden Künstlers, Gottes, hingeleitet werde. Demgemäß gibt es ein zweifaches Buch. Das eine liegt im Geiste und heißt die ewige Kunst und Weisheit Gottes. Das andere ist in die Außenwelt geschrieben, nämlich die sinnliche Schöpfung. Da bereits ein mit innerem Sinn begabtes Geschöpf vorhanden war zur Kenntnisnahme des inneren Buches, nämlich der Engel, dazu aber auch ein anderes mit nur äußeren Sinnen ausgestattetes, nämlich das Tier, so musste zur Vervollständigung der Gesamtschöpfung ein weiteres Geschöpf erschaffen werden, die mit beidem ausgerüstet beide Bücher verstehen konnte, das innere und das äußere, d. i. das der Weisheit und der Werke Gottes. Da nun in Christus die ewige Weisheit zugleich mit ihrem eigenen Werke in einer Person zusammenwirkte, wird er auch das zur Erlösung der Welt innen und außen beschriebene Buch genannt.

Jedwedem Sinne entspricht auch eine Betätigung. Darum ist dem Menschen eine zweifache Beweglichkeit verliehen, eine vernünftige im Geist und eine andere im Fleische nach dem Triebe der Sinnlichkeit. Der ersten kommt die Befehlskraft zu, der zweiten steht nach richtiger Ordnung das Gehorchen an. Sobald es umgekehrt ist, wird die Rechtheit und Oberhoheit der Seele gestürzt.

Zu jedem Triebe und jedem Sinne gehört nun aber auch irgendein Gut. Darum ist für den Menschen ein doppeltes hinterlegt: ein "sichtbares und ein unsichtbares Gut; jenes ist zeitlich, dieses ewig, das erste fleischlich, das zweite geistig, Eines dieser Güter verlieh Gott, das andere versprach er, damit das eine umsonst besessen, das andere aber durch Verdienste erworben werde"<ref> Hugo von St. Victor, De sacramentis christ. fid. I p. VI c. 6. M 176, 267 f. </ref>.

Eine Gabe wird aber zwecklos gegeben, wenn sie nicht bewahrt, und vergebens versprochen, wenn sie nicht erreicht wird. Deshalb wurde dem Menschen ein zweifaches Gesetz auferlegt: ein natürliches zur Erhaltung des schon verliehenen und ein göttliches zum Verdienen des verheißenen Gutes, welch letzteres auf keine bessere Art als durch lauteren Gehorsam erworben werden konnte. Dieser ist aber dann echt, wenn das Gesetz um seiner selbst willen und nicht aus irgendeinem anderen beliebigen Grunde verpflichtet. Daher der Ausdruck: göttliches Gesetz. Man erfährt nämlich durch dieses, wie stark die Kraft des Gehorsams in uns ist, die uns durch ihre Verdienstlichkeit zum Himmel hinaufführt, durch das Zuwiderhandeln aber in die Hölle stürzt. Dieses Gesetz nun ist dem Menschen nicht etwa auf Grund irgendeiner Bedürftigkeit Gottes nach der menschlichen Gefolgschaft erteilt, vielmehr ist es erlassen, um uns auf Grund unserer eigenen Verdienste die Krone des lauteren und freiwilligen Gehorsams verleihen zu können,

In seiner mangelhaften, aus nichts gebildeten und durch die Glorie noch nicht gefestigten Natur konnte der Mensch zu Fall kommen. Darum ließ ihm der allgütige Gott eine vierfältige Unterstützung zuteil werden, eine doppelte natürliche und eine doppelte gnadenvolle. Er legte nämlich in seine Natur eine zweifache Rechtschaffenheit: die eine zum richtigen Urteilen, das ist die Richtschnur des Gewissens, die andere zum rechten Wollen, und das ist die Synderesis, die gegen das Böse murrt und zum Guten anspornt. - Darüber hinaus schenkte Gott ihm noch eine zweifache Vervollkommnung der Gnade. Die eine ist die umsonst verliehene, die den Geist mit der Erkenntnis seiner selbst, Gottes und der für ihn erschaffenen Welt erleuchtet. Die andere ist die Gott genehm machende Gnade, welche in der Liebe besteht, die das Gemüt dazu bewegt, Gott über alles, den Nächsten aber, wie sich selbst, zu lieben (Vgl. Mt 22, 37). - So war des Menschen Natur vor dem Fall vollkommen ausgestattet und außerdem noch mit Gnade überkleidet. Daraus geht klar hervor, dass es ausschließlich seine eigene Schuld war, wenn er fiel, indem er verschmähte, zu gehorchen.

12. Kapitel: Die Vollständigkeit und Wohlgeordnetheit der ganzen fertigen Welt

Darlegung: Aus dem bisher Gesagten kann entnommen werden, dass die Schöpfung gleichsam einem Buch ähnelt, in dem die schöpferische Dreieinigkeit wiederstrahlt, dargestellt ist und herausgelesen werden kann, und zwar in drei Stufen. Diese sind die Spur, das Ebenbild und die Gnadenähnlichkeit. Die Spur findet sich in allen Geschöpfen, das Ebenbild nur in den vernünftigen bzw. den reinen Geistern, die Gnadenähnlichkeit nur in den gottförmigen. Auf diesen Graden soll nun der menschliche Geist gleichsam wie auf einer Stufenleiter schrittweise zum höchsten Prinzipe aufsteigen, das Gott ist.

Begründung: Alle Geschöpfe sind auf ihren Schöpfer hingeordnet und hängen von ihm ab. Darum können sie in dreifacher Weise auf ihn bezogen werden: als auf ihr hervorbringendes Prinzip oder als auf ihr bestimmendes Ziel oder als auf die ihnen innewohnende Gabe. Auf die erste Art wird jedes seiner Werke mit Gott in Beziehung gesetzt, auf die zweite jeder Geist, auf die dritte jede gerechte und von Gott angenommene Seele. Jedwedes Werk, so innig es auch immer Anteil am Sein haben mag, hat Gott zum Urheber. Jeder Geist, so gering das Licht auch sein mag, das er in sich trägt, ist dazu da, ihn durch Erkenntnis und Liebe zu erfassen. Jede gerechte und geheiligte Seele aber hat die ihr eingegossene Gabe des Heiligen Geistes.

Nun kann das Geschöpf Gott aber nicht zu seinem Urheber haben, ohne ihm durch Einheit, Wahrheit und Güte zu ähneln, noch kann es Gott zum Gegenstand haben, ohne ihn durch Gedächtnis, Verstand und Willen zu erfassen, noch kann es ihn endlich als eingegossene Gabe besitzen, ohne ihm durch Glaube, Hoffnung und Liebe, sein dreifältiges Gnadengeschenk, angeglichen zu sein. Die erste Ähnlichkeit ist eine entfernte, die zweite eine nähere, die dritte die nächste. Darum heißt die erste die Spur, die zweite das Ebenbild und die dritte die Gnadenähnlichkeit der Dreifaltigkeit.

Die vernünftige Seele hält die Mitte zwischen der ersten und der letzten derart, dass sie die erste unter, die zweite in und die dritte über sich hat. Im Unschuldstand nun, als das Ebenbild noch nicht verunstaltet, vielmehr dank der Gnade ganz gottförmig war, genügte das Buch der Natur für den Menschen, sich in der Betrachtung des Lichtes der göttlichen Weisheit zu üben. Er war ja auch selbst soweit weise, dass er alle Dinge in ihnen selbst, in ihrer eigenen Gattung und auch in der "Kunst" sah. Sie haben nämlich ein dreifaches Sein: in der Wirklichkeit bzw. in ihrer eigenen Natur, in der geschaffenen Erkenntnis und in der ewigen Kunst. Das meint die Heiligen Schrift mit dem Worte: "Gott sprach, es werde; er machte; und es ist gemacht worden" (Gen 1, 3). In Rücksicht auf dies dreifache Erkennen ist dem Menschen ein dreifältiges Auge verliehen, wie Hugo von St. Victor sagt<ref> De sacramentis christ. fid. I p. X c. 2. M 176, 367 f.</ref>: das des Fleisches, des Geistes und der Beschauung. Mit dem Auge des Fleisches sah er die Welt und was in ihr ist, mit dem des Geistes die Seele und was in ihr ist, mit dem der Beschauung Gott und was in ihm ist. So sollte er sinnlich erkennen, was außer, geistig, was in und beschaulich, was über ihm liegt. Das Auge der Beschauung kann sich aber erst in der Glorie vollkommen betätigen, die durch die Sünde verloren, durch die Gnade, den Glauben und das Verständnis der Heiligen Schrift aber wiedergewonnen wird. Durch diese wird der menschliche Geist gereinigt, erleuchtet und vervollkommnet bis zur Schau der himmlischen Dinge. Der gefallene Mensch kann nicht dazu gelangen, es sei denn, dass er bei Zeiten seinen Mangel und seine eigene Verfinsterung erkenne. Dieses aber vermag er nur dann, wenn er die Zerrüttung der menschlichen Natur betrachtet und im Auge behält.

Dritter Teil: Die Verderbnis der Sünde

1. Kapitel: Der Ursprung des Bösen im allgemeinen

Nach dieser kurzen Darstellung der Trinität und Erschaffung der Welt wollen wir jetzt das Wesentliche über die Sündenverderbnis behandeln.

Darlegung: Das Böse ist nicht irgendein Sein, vielmehr ein Mangel und eine Entartung, wodurch die Beschaffenheit, Schönheit und Ordnung des geschöpflichen Willens zerstört wird. Es ist darum dem Guten selber entgegengesetzt, obwohl es das Sein im Guten hat und seinen Ursprung von einem Guten herleitet, nämlich der Entscheidungsfreiheit des Willens. Diese selber ist weder ganz schlecht, da sie ja auch Gutes wollen, noch aber ganz gut, da sie sich ja auch zum Bösen kehren kann.

Begründung: Weil das Urprinzip das Sein aus sich selber und nicht aus einem anderen hat, muss es auch um seiner selbst willen und darum aufs höchste gut sein, ja es darf überhaupt keinen Mangel haben. Es gibt deshalb kein Erstes, das zugleich das Böse wäre, ja dies kann es nicht einmal geben. Denn das Urprinzip ist die höchste Vollkommenheit, das ganz Böse aber die aufs äußerste getriebene Mangelhaftigkeit. Da also das Erstprinzip als absolut seiendes und vollkommenes weder in seinem Wesen noch in seinem Wirken fehlen kann, ist es nicht ganz noch teilweise böse, noch kann es auf irgendeine Art etwas Böses verursachen. - Weil es nun aber auch allmächtig ist, kann es ein Ding vom Nichtsein ins Sein erheben, ohne dazu irgendeines Stoffes zu bedürfen. So verfuhr es ja auch, als es die Geschöpfe hervorbrachte, denen es Sein, Leben, Denken und Wollen verlieh. Diese müssen, da sie vom höchsten Gute dank seiner dreifältigen Ursächlichkeit hervorgebracht sind, in ihrer Natur und in ihrem Willen Maß, Schönheit und Ordnung haben. Sie sind dazu erschaffen, aus, nach und für Gott ihre Werke zu vollbringen, und zwar nach Maß, Schönheit und Ordnung, die ihnen ein geschaffen sind.

Aber das Geschöpf ist aus nichts und mit Mängeln erschaffen, darum konnte es auch von diesem Handeln nach Gottes Vorschrift abweichen und etwas für sich selber an statt für ihn unternehmen, etwas, das weder aus, noch nach, noch wegen Gott geschah. Ein Solches Tun ist aber die Sünde, welche die Entartung von Maß, Schönheit und Ordnung darstellt. Sie ist ein Mangel und hat daher keine Wirkursache, vielmehr nur eine Fehlursache, nämlich die Fehlerhaftigkeit des geschaffenen Willens.

Die Sünde ist also eine Verderbnis des Guten. Jede Zerrüttung muss aber an einem verderbbaren Wesen auftreten; darum kann auch das Böse nur einem an sich Guten anhaften. So zerstört der freie Wille in sich selber Maß, Schönheit und Ordnung, indem er vom wahren Gute abweicht. Somit ist also jede Sünde als solche aus dem Willen als ihrem Erstursprung und im Willen als in ihrem eigentlichen Träger. Dieser vollbringt das Böse, indem er in seiner Fehlbarkeit, Veränderlichkeit und Unbeständigkeit das makellose, unveränderliche Gut verschmäht und dem veränderlichen Gute anhängt.

Aus dem Gesagten muss geschlossen werden, dass "die Sünde nicht ein Begehren schlechter Dinge, vielmehr das Verschmähen der besseren ist". Sie ist im begehrenden Willen also die Verwüstung von Maß, Schönheit und Ordnung und darum "ist sie freiwillig, so dass, wenn etwas nicht mit freiem Willen geschieht, es auch keine Sünde ist". - Dieses vorausgesetzt leuchtet die Verkehrtheit der Manichäer ein, die als Urprinzip alles Bösen ein Urböses setzen. Es wird auch klar, wo der Ursprung der Sünde liegt und wer ihr Träger ist.

2. Kapitel: Die Versuchung der Stammeltern

Darlegung: Um zu verstehen, auf welche Art die Sünde in die Welt gekommen ist, muss man den Fall der Stammeltern ins Auge fassen, sowie die Fortpflanzung der Erbschuld und das Entstehen oder die Wurzel der persönlichen Sünde. - Über den Fall der ersten Menschen haben wir dreierlei zu betrachten, nämlich die Versuchung durch den Teufel, den Sündenfall und dessen Strafe.

Über erstere also ist folgendes zu glauben: Gott erschuf die beiden Geschlechter, Mann und Frau im Paradiesesglück. Der Teufel aber beneidete den Menschen und machte sich in Schlangengestalt an die Frau heran, indem er sie zuerst fragte: warum verbot euch Gott zu essen (Gen 3, 1) ? Sodann behauptete er: ihr werdet keineswegs sterben. Endlich versprach er: ihr werdet sein wie Götter und das Gute und Böse erkennen. Durch diese Versuchung wollte er die schwächere Frau zu Fall bringen und durch sie alsdann auch das männliche Geschlecht zugrunde richten. Dies geschah aber mit Zulassung Gottes.

Begründung: Wie das Urprinzip im Erschaffen das allmächtigste, so ist es auch in seiner Regierung das gerechteste. Demnach "verwaltet es die Dinge, die es hervorgebracht hat, so, dass es ihnen gestattet, nach ihrem eigenen Antriebe zu handeln"<ref> Augustin, De civitate Dei VII c. 30 M 41, 219 f.</ref>. Somit hätte der Mensch durch sieghaften Kampf zum Lohn der ewigen Ruhe gelangen können. Wiewohl Gott wusste, dass er trotzdem der Versuchung unterliegen würde, konnte er doch zulassen, dass er von dem versucht wurde, der dazu Verstand, Macht und Willen besaß. Der Teufel war ja ursprünglich mit hohem Wissen ausgerüstet und rechtschaffen; durch den Stolz zu Fall gebracht, ist er aber verschlagen und neidisch geworden. Aus Neid nun wollte er sie in Versuchung führen und dank seiner Schlauheit verstand er es auch. Er verfuhr so mit unseren Stammeltern, weil er es vermochte, und Gott es ihm erlaubte. Dass er dabei die Gestalt einer Schlange annahm, geschah mit göttlicher Zulassung, damit so nicht nur seine Verschlagenheit erkannt, sondern auch unter dieser Erscheinung die teuflische List im Versuchen allen Adamssöhnen offenbar würde.

Ferner verführte er zum Handeln gegen das Gebot Gottes, und zwar ebenfalls mit Erlaubnis des Herrn, damit, gleichviel ob er besiegt würde oder siegte, immer vor aller Welt entweder das Verdienst des Gehorsams oder das Missverdienst des Ungehorsams sichtbar würde. - List von ihm war es auch, dass er bei der Frau anfing; ist es doch leichter, das Schwächere zu überwinden. So greift ja auch der kluge Feind die Stadt an ihrer schwächsten Seite an.

Von großer Verschlagenheit des Teufels zeugt weiterhin der Verlauf der Versuchung im Ausforschen, Betören und Verlocken. Denn er sondierte zunächst durch Fragen, dann lullte er sie in Sicherheit und durch Versprechen köderte er sie. Zuerst also forschte er nach dem Grund des Verbotes, um sie in Zweifel zu stürzen, nachdem er sie aber zweifelhaft gemacht hatte, ob sie überhaupt sterben würden (Vgl. Gen 3, 3), beruhigte er sie und stachelte ihren Stolz zur Missachtung des Gebotes auf. Schließlich machte er Versprechungen, um so ihre Begehrlichkeit aufzureizen. Und auf diese dreifache Art führte er ihre freie Zustimmung herbei, bei der Vernunft und Wille zusammenwirken; sie umfasst aber nichtsdestoweniger alle drei erwähnten Kräfte: die vernünftige, erregbare und begehrende Fähigkeit. Eben darum verlockte der Teufel auch die Frau durch drei Gegenstände der Begierde, nämlich durch Wissen, das die Vernunft, durch gottgleiche Herrlichkeit, welche den Hochmut, und durch Wohlgeschmack der Frucht, welche die Begehrlichkeit erstrebenswert erachtet. Und so versuchte er alles, was in er Frau in Versuchung gebracht werden konnte und bediente sich dazu all dessen, womit man nur immer in Versuchung geführt werden kann; dies ist die dreifältige Begehrlichkeit der Welt: "Fleischeslust, Augenlust und Hoffart des Lebens" (1 Joh 2, 16). Mit diesen dreien hängt der Ursprung einer jeden Verführung zusammen, gehe sie von der Welt, vom Fleisch oder vom Teufel aus.

3. Kapitel: Die Übertretung der Stammeltern

Darlegung: Die Frau gab der teuflischen Verführung nach, verlangte nach Wissenschaft und Herrlichkeit, wie Gott sie hat, begehrte aber auch, die Süßigkeit der verbotenen Frucht zu kosten. Und so wurde sie zur Überschreitung des Gebotes gebracht. - Aber nicht damit zufrieden, gab sie die Frucht des verbotenen Baumes auch ihrem Mann. Dieser wollte sie in ihrem Genuss nicht stören und seine Genossin nicht tadeln; darum gab er der Überredung zum Bösen nach. Und durch den Genuss des dargebotenen Apfels ist auch er ein Übertreter des göttlichen Gebotes geworden.

Begründung: Wie oben gesagt, ist dem Menschen vom Urprinzip eine doppelte Sinnlichkeit und Begehrlichkeit in Hinblick auf die beiden Bücher und die beiden Güter verliehen, damit er sich in seiner Entscheidungsfreiheit zu diesem oder jenem kehren konnte. Als nun die Frau den äußeren Einflüsterungen der Schlange Gehör gegeben hatte, nahm es nicht seine Zuflucht zum inneren Buch, das sich dem rechten Vernunfturteil gut leserlich darbot. Es kehrte vielmehr seinen Sinn dem äußeren Buch zu und begann sich um das äußere Gut zu kümmern. Da sich so seine Sinnlichkeit nicht an die unfehlbare Wahrheit hielt, fing die Begierde an, sich zum veränderlichen Gute zu wenden. Es ersehnte also, was der Teufel versprach und willigte in das ein, was er ihr vorspiegelte. Da es hervorragendes Wissen ersehnte, erhob es sich in Stolz, und im Ehrgeiz aufgeblasen, ist es eben dadurch zur Gaumenlust erregt worden und so durch Ungehorsam gefallen. Das erste vollzog sich im Geist, das zweite in der Sinnlichkeit und das dritte geschah durch die Tat. - Während also die Versuchung beim untersten anfing und bis zum obersten aufstieg - ging sie doch vom Gehörten durch die Begierde zur Willenszustimmung - nahm die Sünde den umgekehrten Weg, indem sie beim höchsten anfing und zum niedersten vordrang. So kam es zu einer vollendeten Sünde, die in der menschlichen Natur der Anfang alles Bösen und der Ursprung alles Übels ist.

Die verführte Frau aber verleitete auch ihren Mann. Dieser hatte sich gleicherweise zum äußeren Buch und zum veränderlichen Gute hingewandt, auch schätzte er die Übereinstimmung mit seiner Frau und den Trost ihrer Gesellschaft überaus hoch und wollte sie weder schelten, noch in ihren eigenen Genüssen stören. Er hätte es ihr verweisen sollen, tat es aber nicht. Darum ging die Sünde der Frau auch auf ihn über. Er wollte ihr die Sündenlust nicht trüben, indem er sie von sich wies, ja, er fing sogar an, sich selbst ungebührlich zu lieben und fiel dadurch aus der Gottesfreundschaft in Gaumenlust und Ungehorsam.

Die Übertretung des Gebotes war also bei den gemeinsam, wiewohl sie bei jedem andere Gründe hatte. Denn nicht der Mann, wohl aber die Frau ist verführt worden (Vgl. 1 Tim 2, 14). In beiden aber, Mann wie Frau, herrschte Unordnung vom höchsten bis zum niedersten, zuerst nämlich im Geiste bzw. der Vernunft, dann in der Sinnlichkeit und zuletzt in der Handlung. Darum sind beide durch Ungehorsam gefallen und von Gaumenlust verlockt worden, wie sich auch beide in Stolz erhoben hatten, die Frau in ihrer Begehrlichkeit und ihrem Schwelgen in dem, was sie doch nicht erhielt, der Mann aber durch sein Überstarkes Lieben und Werten dessen, was er bereits besaß. Eva glaubte durch das Essen zu steigen, Adam aber bildete sich ein, etwas Großes und Gott teuer zu sein und meinte eben darum weniger bestraft zu werden. Er hatte bis jetzt nicht die Schärfe der göttlichen Strenge erfahren. - Weil sie sich also beide ungeordnet über sich selber erhoben, mussten sie auch beide elendiglich unter ihre eigene Würde herabsinken, aus dem Stand der Unschuld und Gnade in den der Sünde und des Elendes.

4. Kapitel: Die Bestrafung der Stammeltern

Darlegung: Sofort nach der Sünde fühlten Mann und Frau die Strafe der Auflehnung und Beschämung der fleischlichen Natur, Und darum verfertigten sie sich Hüllen zur Bedeckung der Scham (Vgl. Gen 3, 7). - Alsdann aber ereilte den Mann durch göttlichen Urteilsspruch die Strafe der Arbeit und Not, des Hungers und der Bedürftigkeit, des Todes und der Verwesung. Denn so sagt die Schrift (Gen 3, 17): "Verflucht sei die Erde, wenn du sie bearbeitest" usw. - Der Frau aber ist die Strafe verdoppelt worden. Denn ihr wurden zahlreiche Beschwerden während der Schwangerschaft, die Strafe der Schmerzen bei der Geburt, sowie die Unterwerfung unter den Mann im ehelichen Zusammenleben auferlegt. Offenbar ist damit die leicht begangene Sünde, nämlich das Essen vom verbotenen Baum, hinreichend schwer bestraft.

Begründung: Weil das Urprinzip fürsorglich in der Leitung und überaus gerecht in der Führung ist, darum duldet es im All keine Unoordnung; und weil auf die Schuld von rechtswegen die Strafe folgen muss, deshalb trat bei den Stammeltern sogleich nach der Schmach der Sünde die Herrlichkeit des Gerichtes in Erscheinung. So verfällt alsbald der Ordnung der Gerechtigkeit, was durch den Abfall von derjenigen der Natur ordnungswidrig geworden ist. Diese beiden Ordnungen sind nämlich derart miteinander verflochten, dass, wer aus der einen herausfällt, der anderen unterworfen wird.

Da also jeder der beiden Stammeltern, stolz im Geiste und begehrlich im Fleisch, gegen seinen Herrn ungehorsam wurde, verfügte Gottes gerechtes Gericht, dass sich ihre niedere Natur auflehnte vor allem in geschlechtlicher Hinsicht, in jenen Gliedern, die der Zeugungskraft dienen. Das lag nicht an ihrer Natur, sondern war eine Folge ihrer eigenen Schuld, darum erröteten sie auch und bedeckten sich.

Der Mann hatte sein höchstes Gut verschmäht und sich im Fleisch zu ergötzen gesucht. Darum wurde nach Gottes gerechtem Urteil Arbeit, Mangel, Hunger und Durst über ihn verhängt.

Weil der Mensch es vorzog, sich wegen eines fleischlichen Gutes von dem geistigen zu trennen, so wird nun nach Gottes gerechtem Gerichte die Seele gegen ihren Willen durch den Tod und die Verwesung vom Fleisch geschieden. Im Urzustand hatte Gott dem Menschen einen der Seele untertänigen Leib gegeben, der fortflanzungsfähig war ohne böse Begehrlichkeit, lebensfähig ohne Mangel, unveränderlich ohne Dazwischentreten des Todes. Da er nun aber sündigte, geschah ihm nach der Ordnung der Gerechtigkeit. Alle vorhin genannten Vorzüge wurden ihm genommen und die gegenteiligen Mängel sind ihm auferlegt worden. So blieb die Schuld nicht ungestraft und die Unordnung, welche die göttliche Vorsehung durchaus nicht dulden kann, wurde aufgehoben.

Weil die Sünde von der Frau ausging, wurde ihr die Strafe verdoppelt. Für ihren Geistesstolz traf sie nämlich Unterwerfung. Für ihr begehrliches Hinschauen nach der verbotenen Frucht des Baumes Schmerz. Für ihren Ungehorsam musste sie Fesseln und Last vielfältiger Beschwerden erdulden.

So ist es offenkundig, wie von der göttlichen Vorsehung wohl geordnet die Strafen den Mann und in zweifacher Weise die Frau betroffen haben. Derart sollte die Schmach der Sünde mit der Herrlichkeit der Gerechtigkeit zusammen bestehen.

5. Kapitel: Die verderblichen Folgen der Erbsünde

Zuerst ist über die verderblichen Folgen der Erbsünde, sodann über die Art ihrer Übertragung und endlich über die Weise ihrer Heilung zu handeln.

Darlegung: Das Menschengeschlecht ist durch die Erbsünde auf folgende Weise verderbt worden. Jeder aus geschlechtlicher Paarung hervorgehende Mensch ist seiner Natur nach ein Kind des Zornes (Vgl. Eph 2, 3), ist er doch der ursprünglichen Gerechtigkeit beraubt. Infolge dieses Mangels trifft unsere Seele eine vierfache Strafe, nämlich Schwäche, Unwissenheit, Bosheit und Begehrlichkeit. Sie sind uns wegen der Erbsünde auferlegt. Diesen geistigen Strafen entspricht eine vielgestaltige leibliche Strafbelastung: viele Mängel, viele Mühe, vielerlei Krankheit und zahlreiche Schmerzen. Auf sie folgt die Strafe des Todes und der Verwesung, die Strafe des Verlustes der Anschauung Gottes und der himmlischen Glorie nicht nur bei den Erwachsenen, sondern auch bei den ungetauften Kindern. Indes werden diese unter allen am mindesten bestraft, sind sie doch nur von der Gottesanschauung ausgeschlossen und haben keine Sinnenpein zu erdulden.

Begründung: Das erste Prinzip schafft alles aus sich, nach sich und für sich. Darum ist es das Beste und Rechteste und eben deshalb auch das Rücksichtsvollste und Gerechteste, sind doch "alle seine Wege Barmherzigkeit und Wahrheit" (Ps 24, 10) oder gerechte Gerichte. Er wäre aber weder rücksichtsvoll noch gerecht, wenn Gott die Menschen von Anfang an in solchem Elend erschaffen hätte, denn dann hätte er ja ohne vorhergegangene Schuld seinem Geschöpfe derartige Leiden auferlegt. Ebenso führte uns die göttliche Vorsehung ohne Rücksichtnahme und Gerechtigkeit, wenn sie uns mit solchem Elend überhäufte oder gestattete, dass wir damit belastet würden. Wenn daher das erste Prinzip ganz gewiss, sowohl in der Erschaffung als auch in der Regierung der Welt, durchaus rechtlich und gütig ist, dann musste es das Menschengeschlecht so erschaffen, dass es ursprünglich von Schuld und Leiden frei war. Es musste ferner so regieren, dass es uns nicht leiden ließ ohne vorhergehende Schuld. Darum ist es ganz sicher, dass sich die Menschheit schon an ihrem Ursprung mannigfaltige Strafe zugezogen hat. Es ist gewiss dass wir alle der Natur nach als Kinder des Zornes geboren werden. Wir sind deshalb der ursprünglichen Gerechtigkeit beraubt und diesen Mangel nennen wir Erbsünde.

Jede Sünde ist aber eine Abkehr vom unveränderlichen Gut und ein Hinneigen zum veränderlichen. Sich abwenden von dem höchsten Gut heißt aber, sich abkehren von der höchsten Kraft, Wahrheit und Güte. Sich hinwenden zum veränderlichen Gut bedeutet, über Gebühr in Liebe nach ihm streben. Darum bringt der Verlust der ursprünglichen Gerechtigkeit mit sich Schwäche, Unwissenheit, Bosheit und ungeordnete Begehrlichkeit.

Indem der Mensch das unveränderliche Gut wegen des veränderlichen aufgibt, wird er beider unwürdig. Darum geht die der ursprünglichen Gerechtigkeit beraubte Seele der zeitlichen Ruhe in ihrem Leibe verlustig durch allerlei Gebrechlichkeiten und den Tod, Überdies wird sie endlich von der Schau des ewigen Lichtes getrennt. So verliert der Mensch das Glück der Glorie an Leib und Seele.

Bei den Neugeborenen rührt der Mangel dieser Gerechtigkeit nicht aus der Regung des eigenen Willens, noch aus der tatsächlichen Lust her. Darum trifft sie nach diesem Leben für die Erbsünde nicht die Strafe der Sinne in der Hölle, denn die göttliche Gerechtigkeit straft nicht zuviel, vielmehr eher zu wenig, da sie ja stets von überfließender Barmherzigkeit begleitet ist. Dieses ist als Sinn der Worte des hl. Augustin<ref> De fide ad Petrum c. 3 n. 36; u. 27 n. 70. M 65. Verfasser der Schrift ist nicht Augustin, sondern Fulgentius von Ruspe. </ref> festzuhalten, mögen sie auch äußerlich anders zu klingen scheinen, und zwar wegen der Verwerfung des Irrtums der Pelagianer, die diesen Kindern eine gewisse Glückseligkeit zugestehen. Um nun diese auf den Mittelweg zu führen, treibt er in das andere Extrem.

6. Kapitel: Die FortpfIanzung der Erbsünde

Darlegung: Obwohl die Seele sich nicht aus einem Keim entwickelt, geht die Erbschuld doch von Adams Seele auf diejenigen seiner Nachkommen durch Vermittlung des in der Begierde erzeugten Fleisches über. Durch seine sündige Seele wurde das Fleisch Adams angesteckt und mit der Neigung zur bösen Lust belastet. So hat das in der Begehrlichkeit fortgesäte Fleisch, das die böse Befleckung in sich trug, auch die Seele angesteckt. Und dieses ist nicht nur eine Strafe, sondern auch eine Schuld. Auf diese Art verdirbt die Person die Natur, und die verdorbene Natur verwüstet die Person. Die göttliche Gerechtigkeit bleibt dabei unangetastet, da ihr auf keine Weise diese Ansteckung zur Last gelegt werden kann, mag sie auch immer die Seele, die sie erschafft und eingießt, mit dem verderbten Fleisch vereinigen.

Begründung: Das erste Prinzip erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild, um sich selbst nach außen darzustellen. Darum bildete es ihn dem Leib nach so, dass alle von dem ersten Menschen als aus einem einzigen, wurzelhaften Prinzip abstammen. Der Seele nach aber ließ Gott alle vernünftigen Geister unmittelbar aus sich selbst als aus der ersten und unmittelbaren Urheberschaft hervorgehen, um so seine Ähnlichkeit auszudrücken sowohl in ihrem Wesen und ihrer Dauerhaftigkeit als auch in ihrer Erkenntnis und in ihrer Liebe. Der Geist als das höhere oder vorzüglichere kommt aber dem Erstursprung am nächsten. Darum schuf Gott den Menschen so, dass dieser den Körper beherrsche und der Leib sich der geschaffenen Seele unterordne, solange dieser dem ungeschaffenen Geist gehorche. Wenn dagegen der Geist Gott nicht gehorcht, dann sollte nach Gottes gerechtem Gericht sein eigener Leib sich gegen ihn erheben. So ist es auch geschehen, als Adam gesündigt hatte.

Hätte Adam nicht gesündigt, so wäre sein Körper dem Geist untertan geblieben, und dieses Verhältnis wäre auch auf die Nachkommen übergegangen. Dann wäre die Seele bei ihrer Eingießung einem unsterblichen Leib vereint worden, der ihr untertänig war und sie hätte die Urgerechtigkeit und die Freiheit von jeder Strafe behalten. Nachdem aber unser Stammvater gefallen und sein Fleisch gegen den Geist aufrührerisch geworden ist, muss es sich so, wie es ist, auf die Nachkommen fortpflanzen. Und Gott muss die Seele nach der einmal festgesetzten Ordnung eingießen. Indem aber die Seele mit dem aufrührerischen Leib vereinigt wird, zieht sie sich einen Mangel an der ursprünglichen Gerechtigkeit zu, welche ihr die Herrschaft über das Untergeordnete gesichert hätte. Da sie nun mit dem Leib verbunden ist, muss sie entweder ziehen oder aber von ihm gezogen werden. Und da sie ihn nicht ziehen kann wegen seiner Unbotmäßigkeit, so muss sie von ihm gezogen werden und verfällt der Krankheit der bösen Begehrlichkeit. So bürdet sie sich zugleich den Mangel der geschuldeten Gerechtigkeit und der Krankheit der ungeordneten Begehrlichkeit auf. Von diesen beiden sagt man, dass sie nach Augustinus und Anselm durch die Ab- und Hinkehr, die sie in sich schließen, das Wesen der Erbsünde ausmachen.

Es war durchaus ordnungsgemäß, dass die menschliche Natur so geschaffen wurde und derart eingerichtet sich so fortpflanzte, und dass der Sünder so bestraft wurde, wie oben gesagt. So wurde ja in der Schöpfung die Ordnung der Weisheit, in der Fortpflanzung die Ordnung der Natur, in der Strafe die Ordnung der Gerechtigkeit gewahrt. Also widerspricht es offenbar nicht der göttlichen Gerechtigkeit, wenn sich die Schuld auf die Nachkommen fortpflanzt.

Die Erbschuld hätte die Seele nicht treffen können, wenn nicht im Fleisch die Strafe des Aufruhrs vorausgegangen wäre. Diese wäre nicht ohne die vorhergehende Schuld erfolgt. Das Böse ging nicht aus dem geordneten, sondern aus dem ungeordneten und eben darum nicht vom göttlichen, sondern vom menschlichen Willen hervor. Offenbar stammt also seine Forterbung von der Sünde des ersten Menschen und nicht von Gott, auch nicht von der geschaffenen Natur, sondern von dem begangenen Unrecht. Und so ist das Wort Augustins<ref> De fide ad Petrum c. 2 n. 16. </ref> wahr, dass nicht die Fortpflanzung, vielmehr die ungeordnete Begierde die Erbschuld überträgt.

7. Kapitel: Die Heilung der Erbsünde

Darlegung: Die Schuld wird so getilgt, dass die zeitliche Strafe zurückbleibt, wie sich an den in der Kindheit Getauften zeigt. Sie wird wohl aufgehoben in Bezug auf die ewige StraffäIIigkeit, nicht aber hinsichtlich des Anreizes und der Neigung zur bösen Begierlichkeit. Bei den Eltern wird sie so getilgt, dass sie nichtsdestoweniger von ihnen, die durch die Taufe geheiligt sind, auf die Nachkommen übergeht. Die Makel der Erbsünde ist so ausgelöscht, dass ihre Folgeerscheinungen bestehen bleiben, mit denen wir kämpfen müssen, solange wir auf Erden leben, denn in keinem wird die böse Lust vollkommen getilgt durch die allgemein den Menschen verliehene Gnade. Das letzte betone ich mit Rücksicht auf die allerseligste Jungfrau, bei der sie in der Empfängnis des Sohnes Gottes durch besondere Begnadung ausgemerzt wurde.

Begründung: Weil die Ansteckung, die auf alle Menschen übertragen wird, von jenem geschaffenen Prinzip ausgeht, durch welches auch die leibliche Fortpflanzung erfolgt, also vom niedrigen, fleischlichen Teile, darum muss die Heilung am höheren, geistigen Teile erfolgen und ein ungeschaffenes Prinzip haben, dasselbe, das auch die Seele eingießt. Nun liegt aber der Unterschied zwischen den Menschen im Geistigen, da die Seele nicht vom Menschen abstammt, sondern unmittelbar von Gott. Die ihr von Gott eingegossene heilende Gnade berücksichtigt einen jeden insoweit, als er individuelle Einzelperson ist, nicht aber in seiner natürlichen Zeugungskraft. Die Erbsünde ist nun eine Krankheit, welche die Person zugleich mit der Natur, jene im Willen, diese im Fleisch angreift. Darum wird sie in der Seele geheilt, aber die Ansteckung und Folgen bleiben im Körper zurück.

Der Mensch zeugt nun nicht mit der geheilten Seele, sondern mit dem verderbten Fleisch, nicht soweit er geistig, sondern soweit er fleischlich ist. Darum übermittelt er doch die Erbsünde seinen Nachkommen, wiewohl er getauft und so für sich von ihr befreit ist.

Weil die ewige Straffälligkeit die Entstellung des Geistes und der Person mit sich bringt, der Anreiz aber die Neigung des Fleisches und der Natur, darum wird die Erbsünde durch die Taufe bezüglich ihrer Schuldbarkeit aufgehoben, ihre Wirkung aber bleibt.

Endlich beruht das zeitliche Übel auf dem Zustande der körperlichen Natur. Da das Fleisch immer einer gewissen Ansteckung unterworfen ist, muss es auch immer den Straffolgen verfallen bleiben. Wie die Straffälligkeit und die Verderbnis durch die Gnade vom Fleisch nicht hinweggenommen wird, so kann auch jene Folge, nämlich die böse Begierlichkeit und eine Schwächung der Glieder, zugleich mit der heilenden Gnade zusammen bestehen. Obgleich sie allmählich vermindert wird, wird sie doch in ihrer Wurzel nicht ausgerottet. Kein Mensch im Pilgerstand wird gänzlich von ihr befreit, ausgenommen die seligste Jungfrau infolge einer ganz einzigartigen Gnade. Weil diese nämlich den empfing, der die Sühne aller Schuld war, ist ihr die besondere Begnadung verliehen worden, durch die alle Begehrlichkeit in der Wurzel ausgerottet wurde, damit sie ohne jede Makel und Sündenverderbnis den Sohn Gottes empfange. "Denn es ziemte sich, dass jene Jungfrau in einer Reinheit erstrahlte, wie sie höher außer in Gott nicht gedacht werden kann. Ihr beschloss der Vater, seinen einzigen Sohn zu geben, den er aus seinem Herzen als seinesgleichen erzeugte und wie sich selber liebte, und zwar so, dass er natürlicherweise der eine, selbe, gemeinsame Sohn Gottes, des Vaters, und dieser Jungfrau wäre. Sie erwählte der Sohn Gottes zu seiner wirklichen Mutter, und von ihr sollte nach dem Willen und unter Mitwirkung des Heiligen Geistes jener empfangen und geboren werden, vom dem er selbst seinen Ausgang nimmt"<ref> Anselm, De conceptu virgin. et origin. pecc. c. 18 M 158, 541. </ref>.

8. Kapitel: Der Ursprung der persönlichen Sünde

Darlegung: Die persönliche Sünde geht vom freien Willen eines jeden einzelnen durch Einflüsterung, böse Lust, Zustimmung und Tat hervor, entsprechend dem Worte des Apostels Jakobus im ersten Kapitel (Vers 14): "Jeder wird versucht, indem er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Wenn dann die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollbracht ist, erzeugt den Tod." Wenn aber die Einflüsterung und Lust ohne Zustimmung bleibt, ist die Sünde nur eine lässliche. Folgt ihr aber die Einwilligung und die Ausführung zu dem, was durch das göttliche Gesetz verboten ist, so ist sie eine vollständige Todsünde. - Wenn nun das mittlere geschieht, nämlich die Zustimmung nicht zur Ausführung gelangt, weil sie am Handeln gehindert ist, wird der Wille für die Tat angerechnet und er ist nicht weniger schuldbar, als wenn er bei der Tat selbst ertappt wäre. Wenn er aber nicht zur Tat schreiten, vielmehr nur innerlich in der bösen Lust schwelgen will, dann isst nur die Frau, nicht aber der Mann<ref> Bonaventura nimmt hier die Frau als Symbol der niederen und den Mann als Symbol der höheren Vernunft. </ref>. Obwohl dann die Sünde nicht ganz vollbracht ist, ist sie doch als Todsünde zu betrachten. Denn wenn auch nur die Frau isst, verdient doch der ganze Mensch verdammt zu werden. Und dies gilt ganz besonders von den Fleischessünden.

Begründung: Die Sünde ist eine Abkehr des Willens vom ersten Prinzip, von dem, nach dem und um dessentwiIlen er zu handeln bestimmt ist. Darum ist jede Sünde eine Unordnung des Geistes oder Willens, aus denen Tugenden oder Laster hervorgehen. Die Sünde ist eine wirkliche Unordnung des Willens. Diese ist aber entweder so groß, dass sie die Ordnung der Gerechtigkeit zerstört, und dann spricht man von einer Todsünde, weil sie das Leben raubt, indem sie von Gott, dem Lebendigmacher der gerechten Seele, trennt, oder aber die Sünde ist so gering, dass sie jene Ordnung nicht vernichtet, sondern nur bis zu einem gewissen Grade verwirrt. In diesem Falle nennt man sie eine lässliche, weil wir schnell Verzeihung von ihr erlangen können, da sie ja die Gnade nicht aufhebt noch uns die Feindschaft Gottes zuzieht. Darin besteht die Ordnung der Gerechtigkeit, dass das unveränderliche Gut dem veränderlichen, das Sittliche dem Nützlichen, der Wille Gottes dem Eigenwillen vorgezogen werde, und das Urteil der rechten Vernunft über die Sinnlichkeit herrsche. Das Gesetz Gottes ist es, das diese Ordnung vorschreibt und das Gegenteil verbietet. Darum wird dann eine Todsünde begangen, wenn das veränderliche Gut dem Ewigen, das Nützliche dem Sittlichen, der eigene Wille dem göttlichen, das sinnliche Begehren der rechten Vernunft vorgezogen wird. Sagt doch Ambrosius<ref> Lib. de paradiso c. S n. 39. </ref>, dass die Todsünde "die Umkehrung des göttlichen Gesetzes und ein Ungehorsam gegen seine Gebote sei".

Eine solche wird begangen, indem man entweder unterlässt, was das Gesetz Gottes vorschreibt, oder tut, was es verbietet. Daraus ergeben sich zwei Arten, nämlich Unterlassungs- und Begehungssünden.

Wenn nun aber das veränderliche Gut ungebührlich geliebt, aber doch dem unveränderlichen nicht vorgezogen, das Nützliche dem Sittlichen nicht vorangestellt und unser eigener Wille zwar zu hoch geschätzt, aber immerhin dem göttlichen nicht übergeordnet, und das Fleisch wohl begehrt, nicht aber über das Urteil der rechten Vernunft Herr wird, dann liegt keine Todsünde vor, sondern eine lässliche. All dies widerspricht nicht direkt dem Gesetze, sondern entzieht sich ihm. Das sinnliche Verlangen wird aber nur dann der rechten Vernunft vorgezogen, wenn diese selber ihre Zustimmung dazu gibt. So kann also eine Todsünde nicht ohne Einwilligung bestehen.

Wenn aber die Sinnlichkeit in unordentlicher Weise erregt wird, so dass jene Unordnung zum Bösen hineigt, ohne dass die Vernunft zustimmt, dann liegt eine gewisse Sünde vor, denn es wird die Ordnung der Gerechtigkeit verletzt. - Weil im Unschuldstand die Sinnlichkeit sich nur unter Leitung der Vernunft betätigte, darum konnte der Mensch vor dem Falle keine lässliche Sünde begehen. - Heute aber, wo die Sinnlichkeit der Vernunft widerstreitet, müssen wir durch die ersten Regungen (unserer Sinnlichkeit) lässlich sündigen, mögen wir wollen oder nicht. Obwohl wir lässliche Sünden im besonderen und im einzelnen meiden können, so sind wir doch außerstande, sie ganz zu verhüten<ref> Die sogenannten ersten, d. h. ungewollten Regungen sind natürlich auch für Bonaventura nur insofern Sünde als sie die freie Zustimmung des Willens finden. Die auf solche Weise entstehenden lässlichen Sünden kann ohne besondere göttliche Gnadenhilfe kein Mensch ganz vermeiden.</ref>. Sie sind nämlich auf die Art doch Sünden, dass sie zugleich auch Strafen von Sünden sind. Darum werden sie mit Recht lässliche Sünden genannt, weil sie ebendeshalb Verzeihung verdienen.

Eine volle Zustimmung, und eben darum eine vollendete Sünde, liegt dann vor, wenn nach dem Schwelgen in sinnlichen Gefühlen die Vernunft, welche zur Zustimmung nicht gezwungen wird, zu der Tat ja sagt. Dann nämlich gelangt sie bis zum Mann, d. h. zum höchsten Teile der Vernunft, von dem die volle Zustimmung abhängt.

Eine Todsünde, wenn gleich eine weniger schwere, wird auch dann begangen, wenn die Zustimmung nicht zum Werke, wohl aber zur inneren Belustigung erfolgt, indem die niedere Vernunft der Sinnlichkeit nachgibt. Dann gehorcht die Frau der Schlange, und dadurch erfolgt eine Umkehrung der richtigen Ordnung und eben damit eine Verletzung der Gerechtigkeit, indem die Vernunft der Sinnlichkeit in dem inneren sinnlichen Genießen unterliegt. Und diese Sünde wird nicht nur der Frau angerechnet, sondern auch dem Mann, der die Frau hätte beschwichtigen können und davon abhalten sollen, der Schlange zu gehorchen. So leuchtet ein, dass in jeder Todsünde eine gewisse Nachahmung der Ursünde liegt, wie auch ein so hervorragender Lehrer wie Augustin im zwölften Kapitel seines Buches über die Trinität erklärt.

9. Kapitel: Ursprung und Unterschied der Hauptsünden

Wir wenden uns jetzt zur Entstehung der Sünden im besonderen. Einige von ihnen sind Hauptsünden, andere Strafsünden, noch andere bleibende, d. h. unvergebbare. Es gibt also gewissermaßen erste, mittlere und letzte.

Darlegung: Von der Entstehung der Hauptsünden gilt folgendes: Die persönlichen Sünden haben einen einheitlichen Ursprung, eine doppelte Grundrichtung, einen dreifachen Anreiz und gipfeln in sieben Hauptsünden.

Der einheitliche Anfang ist der Stolz, von dem geschrieben steht: "Der Anfang jeder Sünde ist der Stolz" (Sir 10, 15). Die doppelte Grundrichtung liegt in der Furcht, die den Menschen in ungebührlicher Weise niederdrückt und der Liebe, die ihn zum Bösen anfeuert. Der dreifache Anreiz geht aus von der Fleischeslust, Augenlust und Hoffart des Lebens, welche die Welt beherrschen. Das siebenteilige Haupt aber ist Stolz, Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Schlemmerei und Unkeuschheit. Die fünf ersten sind geistige, die zwei letzten fleischliche Sünden.

Begründung: Die Todsünde ist eine tatsächliche Abkehr von dem ersten Prinzip; diese aber kann nur bestehen in der Missachtung Gottes oder seines Gebotes. Die Verachtung des ersten Prinzips aber ist der Stolz. Darum muss jede Todsünde oder schwere Beleidigung vom Stolze ausgehen.

Niemand verachtet aber das höchste Prinzip oder sein Gebot, es sei denn, dass er entweder etwas anderes erlangen wolle oder aber zu verlieren fürchte. Darum muss jede persönliche Sünde ihren Ursprung aus einer doppelten Wurzel nehmen, nämlich aus der Furcht oder der Liebe. Diese beiden sind allerdings nicht gleicherweise grundlegend.

Denn jede Furcht entsteht aus der Liebe. Man fürchtet nämlich nur das zu verlieren, dessen Besitz man liebt. Darum werden Furcht und Liebe durch dasselbe genährt. Die ungeordnete Liebe nun bezieht sich auf das veränderliche Gut. Dieses ist ein dreifaches, zunächst ein inneres: die Selbstverherrlichung, dann ein äußerliches: das Geld und endlich ein unteres: die Ausschweifung des Fleisches. Darum muss es drei grundlegende Anreize der persönlichen Sünde geben, von denen oben die Rede war. Von der ungeordneten Neigung zu ihnen rührt jede persönliche Sünde her.

Und weil dieses auf eine siebenfache Art geschieht, gibt es sieben Hauptsünden. Aus ihnen leitet sich die Gesamtheit der Laster her. Unser Wille nämlich wird dann ungeordnet, wenn er entweder anstrebt, was nicht erstrebt werden darf, oder wenn er das flieht, was er nicht fliehen soll. Wenn jemand ein Gut begehrt, das nicht erstrebenswert ist, sei es ein veränderliches, sei es ein nur scheinbares, so ist dieses jene Selbstverherrlichung, die der Stolz liebt, wenn es sich um ein inneres Gut handelt, oder jene Befriedigung am Eigenen, die der Geiz sucht, wenn ein äußeres in Frage steht. Es kann aber auch das Angenehme sein, das entweder zur Erhaltung des Einzelwesens dient, nämlich die Nahrung, welche dem Geschmack schmeichelt und von der Gaumenlust begehrt wird, oder aber zur Erhaltung der Art, und das ist der Geschlechtsakt, der den Tastsinn ergötzt und von der Ausschweifung erstrebt wird. - Der Wille kann im Fliehen dessen, was er nicht fliehen soll, auf dreifache Art ungeordnet sein entsprechend den drei Möglichkeiten, etwas zu meiden. Kehrt er sich infolge eines verkehrten Vernunfttriebes ab, so ist dies Neid; tut er es mit der erregbaren Kraft, so ist dieses Zorn, wird er getrieben von der Begehrlichkeit, so ist das Trägheit. Da es nun hauptsächlich viererlei Begehrenswertes gibt und drei Kräfte, mit denen man sich abwendet, so gibt es nicht mehr als sieben Hauptsünden.

Das Erstrebenswerte ist mit Lustgefühl, das Verabscheuenswerte aber mit dem Gefühle des Schmerzes verknüpft. Darum sind vier Sünden mit Genuss verbunden, die drei anderen mit Trauer und Strafe. Sie alle aber werden Hauptsünden genannt, weil sie tiefgreifende Unordnungen sind und Ursächlichkeiten, die auf ihre Weise in vielen anderen Unordnungen fortwirken. Wiewohl einige von ihnen in erster Linie eine Abkehr bedeuten, so ist doch auch das Gefühl der Lust mit ihnen verbunden. So will der Neid das Eigentum allein und darum ungeschmälert, der Zorn ohne Widersacher und somit ungestört, die Trägheit ohne irgendwelche Anstrengung, also ohne Ermüdung besitzen. Und weil all dieses nicht leicht zu erlangen ist, führen diese Hauptsünden ein ganzes Heer von Lastern mit sich im Begehren dessen, was sie erstreben, bzw. in der Abkehr von dem, was sie verschmähen. Mit Rücksicht darauf nennt man sie Hauptsünden, gleichsam Häupter, aus denen viele andere hervorgehen.

10. Kapitel: Ursprung und Beschaffenheit der Strafsünden

Darlegung: Schuld und Strafe sind voneinander verschiedene Übel. Einige allerdings sind Sünden und zugleich Strafe von Sünden. In besonderer Weise werden Sünden und Sündenstrafen jene genannt, die mit Trauer und Schmerz verbunden sind, wie Neid, Trägheit, und ähnliches. - Mehr verallgemeinernd heißen jene so, die mit einer wahren Verderbnis der Natur oder mit Schande verknüpft sind, so jene, von denen gesagt wird, dass der Sünder dem Verderben der Sinnlichkeit überlassen werde. - Ganz allgemein aber können alle Sünden, die zwischen dem ersten Abfall und der letzten Verhängung der Höllenstrafe verübt werden, Sünden und Strafen von Sünden genannt werden, wie denn auch Gregor<ref> Diese Worte finden sich bei Augustin, Contra adversarium legis et prophet. I c. 24 n. 51. </ref> schreibt, dass die Vergehen durch Vergehen gestraft werden. - Wenn nun aber auch Sünde und Sündenstrafe in eins zusammenfallen, so ist doch zu beachten, dass jede Strafe als solche gerecht ist und von Gott kommt. Keine Schuld dagegen ist gerecht, noch stammt sie von Gott, sondern allein vom freien Willen. - Eine Strafe aber, die nur Strafe ist, ist von Gott verhängt; ist sie aber Schuld oder Hinneigung zur Schuld, entstammt sie entweder der Erb- oder der persönlichen Sünde.

Begründung: Das Böse ist eine Abkehr vom ersten Prinzip, weil es das Gute schädigt. Es schadet ihm aber dadurch, dass es etwas von ihm hinwegnimmt. Nun besteht aber das Gute in Maß, Schönheit und Ordnung, gibt es doch nichts Böses, das nicht in ihrer Störung bestände. Es gibt aber eine doppelte Ordnung, nämlich die der Natur und die der Gerechtigkeit. Die Naturordnung besteht in dem natürlichen, die Ordnung der Gerechtigkeit in dem moralischen Guten. Weil sich das natürlich Gute in jeder Natur vorfindet, das moralisch Gute hingegen im Willen, so erstreckt sich die natürliche Ordnung über die ganze Natur, die Ordnung der Gerechtigkeit aber auf den wählenden Willen. Da aber der Wille ein sich selbst bewegendes Werkzeug ist, die Natur jedoch nicht, so ist die Ordnung der Gerechtigkeit nicht nur eine geschaffene, sondern auch eine schaffende; die Naturordnung dagegen ist die geschaffene. Das Böse kann aber die Ordnung der Gerechtigkeit und diejenige der Natur benachteiligen; darum gibt es ein doppeltes Übel: das der Schuld und das der Strafe.

Weil ferner die Ordnung der Gerechtigkeit eine freigewoIIte ist, zieht man sich die Schuld freiwillig, die Strafe aber unfreiwillig zu.

Da schließlich die Ordnung der Gerechtigkeit, die im Willen besteht, eine schaffende ist, so ist die Schuld, die sie stört, etwas Böses, das wir begehren, und die Strafe ist ein solches, das wir erleiden. Weil nun einem jeglichen Erleiden natürlicherweise ein Tun vorausgeht, es auf der anderen Seite aber kein Tun geben kann, auf das nicht ein Erleiden folgt, so gibt es verdientermaßen keine Strafe ohne Schuld, wie es aber auch keine Schuld gibt, die nicht irgendeine Strafe nach sich zieht.

Was wir also tun, ist von uns, was wir erleiden, kann von uns und von anderen, d. h. von einer höheren oder einer niederen Ursache sein. Obgleich also jede Schuld von uns stammt, so ist doch nicht jede Strafe auch von uns verschuldet; vielmehr haben wir uns einige zugezogen, einige sind über uns verhängt und einige sind Vätererbe.

Wer tut, was er nicht soll, der muss von Rechts wegen leiden, was sich gehört. Darum ist jede Strafe als solche gerecht und von der göttlichen Vorsehung; denn sie ist verhängt wegen der Schuld und ein Ausgleich derselben.

Das besprochene Erleiden kann in einer Schmälerung am natürlichen Gute oder am moralischen, verbunden mit dem natürlichen Gute, bestehen. So kommt es, dass ein Teil der Strafen reinen Strafcharakter trägt, ein anderer aber Strafe und Schuld zugleich ist, denn das moralische Gut oder die Gerechtigkeit wird nur durch Ungerechtigkeit beeinträchtigt und diese ist Schuld. - Die erste Art der Strafe ist von Gott. Sowohl nach ihrem Strafcharakter als auch nach ihrem Wesen ist sie, sage ich, von Gott nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Vergeltung eingesetzt. Die zweite nun aber, die zugleich Schuld ist, ist ihrem Wesen nach nicht von Gott, sondern dient ihm nur zur Erhaltung der Ordnung. Sie ist persönlich, wenn sie aus der eigenen Sünde stammt, oder sie ist ererbt, wenn sie aus der Erbschuld hervorgeht.

Wenn also das Übel im eigentlichen Sinne genommen wird als eine Schmälerung des natürlichen Gutes und ein ungewolltes (Übel), das wir erleiden, so ist dieses nicht dasselbe wie die Schuld, obwohl es mit ihr in eins verbunden ist. Wird es aber im weiteren Sinne genommen als ein Übel, das wir erleiden, möge es nun von uns oder von anderen herstammen, in der Natur oder im Willen wurzeln, dann fallen Schuld und Strafe zusammen, aber nicht zum selben Zweck und nicht in derselben Form, denn die Schuld als solche ist Strafe einer früheren Sünde und die Sünde als Tat kann auch Strafe genannt werden, unter der wir leiden. - So wird verständlich, in wieweit und warum etwas zugleich Sünde und Strafe der Sünde genannt wird.

11. Kapitel: Entstehung des bleibenden Sündenzustandes, d. h. der Sünden gegen den Heiligen Geist

Darlegung: Obgleich jede Sünde ganz allgemein gegen Gott, den Dreieinigen und Einen sich kehrt, sagt man doch im zueignenden Sinne, dass einige Sünden gegen den Vater, einige gegen den Sohn und einige gegen den Heiligen Geist gerichtet seien. - Von diesen letzteren heißt es, sie seien unvergebbar in diesem und im zukünftigen Leben (Vgl. Mt 12, 32). Nicht als ob sie in diesem Leben überhaupt nicht vergeben werden könnten, wohl aber, weil sie der Schuld nach hienieden selten oder kaum vergeben werden, der Strafe nach aber im künftigen Leben kaum oder fast gar nicht. Es gibt nun sechs solcher Sünden, nämlich Neid auf die Gnade des Nächsten, Widerstand gegen die erkannte Wahrheit, Verzweiflung, Vermessenheit, geistige Widersetzlichkeit und Unbußfertigkeit bis zum Ende.

Begründung: Die Sünde ist eine Abkehr von dem einen und dreieinigen Urprinzip. Darum entstellt jede Sünde das Abbild der Trinität, indem sie die Seele befleckt und in ihren drei Fähigkeiten verunstaltet, nämlich im erregbaren, im vernünftigen und im begehrenden Vermögen. Und sie geht aus dem freien Willen hervor, der wiederum ein Abbild der Trinität ist, des Vaters auf Grund der Kraft, des Sohnes auf Grund der Vernünftigkeit und des Heiligen Geistes auf Grund des Wollens.

Obgleich alle drei zusammen zu jeder Sünde mitwirken, so kann doch jedes einzelne durch sein Versagen für die anderen der Anlass der Unordnung sein. Die Mangelhaftigkeit der Kraft besteht in der Schwäche, die der Vernunft in der Unwissenheit, die des Willens in der Bosheit. Daher entstehen einige Sünden aus Schwäche, andere aus Unwissenheit und andere aus Bosheit. Die Kraft wird dem Vater zugeschrieben, die Weisheit dem Sohn und der Wille dem Heiligen Geist, indem man sagt, das eine sei im Vater, das andere im Sohn, das dritte im Heiligen Geiste. Und da nichts wichtiger im Willen ist als das Wollen, die Sünde aber im Wollen wurzelt, darum ist keine Sünde so ausschließlich freiwillig, wie diejenige, die aus der Verderbnis des Willens selber stammt. - Unfreiwillig nennen wir etwas aus zwei Gründen: wenn es aus Zwang oder aus Unwissenheit geschieht. Das erste ist ein Mangel der Kraft, das zweite ein solcher der Vernunft. Wenn der Wille infolge seiner inneren Verderbnis etwas wählt, obwohl er Widerstand leisten könnte und weiß, dass es Sünde ist, dann sagt man, er sündige aus bewusster Boßheit. Eine solche Sünde geht rein aus der Verderbnis des freien Wahlvermögens hervor und widerstreitet direkt der Gnade des Heiligen Geistes. Weil sie lediglich aus dem freien Willen entspringt, gibt es für sie keinerlei Entschuldigung, und deshalb kann an der Strafe kaum etwas oder sozusagen nichts erlassen werden. Weil sie aber direkt der Gnade des Heiligen Geistes widerstreitet, durch welche die Sünde vergeben wird, wird sie unvergebbar genannt, nicht weil sie durchaus nicht nachgelassen werden kann, sondern weil sie ihrem innersten Wesen nach dem Heilmittel und der Heilung entgegengesetzt ist, durch welche ja diese Nachlassung erfolgt.

Und da die Verzeihung der Sünden innerhalb der kirchlichen Einheit von Gott durch die Bußgnade geschieht, darum leiten sich die Verschiedenheiten dieser Sünden von dem Gegensatz gegen diese drei her: entweder widerstreiten sie der Bußgnade in sich oder in Bezug auf Gott, von dem sie gegeben wird, oder im Verhältnis zur Kirche, in der man sie empfängt. Weil die Einheit der Kirche in Glaube und Liebe oder in Gnade und Wahrheit (Vgl. Joh 1, 17) besteht, darum haben wir im Verhältnis zu ihr eine doppelte Sünde, nämlich den Neid auf die Gnade des Nächsten und den Widerstand gegen die erkannte Wahrheit. - Da alle Wege Gottes, die zur Rechtfertigung führen, höchste Erbarmung und Wahrheit sind (Ps 24, 10), unterscheidet man im Verhältnis zum begnadenden Gott eine doppelte Sünde, nämlich eine, welche der Barmherzigkeit widerstreitet, die Verzweiflung, und eine andere, die der Gerechtigkeit entgegengesetzt ist, nämlich vermessenes Wähnen der Straflosigkeit. - Insofern sie aber der Bußgnade selbst in ihrem Wesen oder ihrem Wirken entgegengesetzt ist, haben wir eine doppelte Sünde, weil die Bußgnade die Abkehr von den begangenen Sünden und die Bewahrung vor den künftigen bewirkt. Gegen das erste richtet sich die geistige Widersetzlichkeit, gegen das zweite die dauernde Unbußfertigkeit, welche in dem Vorsatz besteht, nicht zu bereuen. Und insofern gehört sie zu den Sünden gegen den Heiligen Geist. Als fortwährende Unbußfertigkeit aber bedeutet sie eine Fortsetzung der Sünde ohne Ende; so ist sie eine Folge aller Todsünden, die in diesem Leben nicht nachgelassen werden und insbesondere aber Sünden gegen den Heiligen Geist.

Es beginnt somit jede Sünde im Stolze und findet ihre Vollendung oder ihre Höchststeigerung in der dauernden Unbußfertigkeit. Wer ihr verfällt, stürzt in die Hölle, vor der kein Todsünder bewahrt werden kann, wenn ihm nicht die Gnade Christi, des Mittlers, zu Hilfe kommt. Und darum verlangt die Gesamtheit der Erlösungsbedürftigen nach der Menschwerdung unseres Mittlers und Herrn, "dem Ehre und Herrlichkeit sei in alle Ewigkeit. Amen" (1 Tim 1, 17; vgl. 2, 5).

Vierter Teil: Die Menschwerdung des Wortes

1. Kapitel: Begründung und Angemessenheit der Menschwerdung des Wortes Gottes

Nachdem einiges über die Trinität, die Erschaffung der Welt und das Verderben der Sünde gesagt ist, kommen wir jetzt zu dem wichtigsten über die Fleischwerdung des Wortes.

Darlegung: Durch dieses menschgewordene Wort ist das Heil und die Wiederherstellung des Menschengeschlechtes erfolgt. Wohl hätte Gott auch auf andere Weise dieses befreien und heilen können, doch war kein anderer Weg für den Wiederhersteller, dasjenige, was wiederhergestellt werden sollte, und das Werk der Wiederherstellung in gleicher Weise angemessen und entsprechend.

Begründung: Die erste Wirkursache aller Dinge kann und muss nur Gott sein. Und es ist nichts Geringeres, etwas Erschaffenes wiederherstellen als es hervorbringen, wie das Gutsein nicht geringer ist als das Sein an sich. Darum ist es höchst angemessen, dass derjenige, der alles wiederherstellt, der höchste Gott sei, damit er, wie er alles durch das ungeschaffene Wort erschaffen hat, so auch alles durch das menschgewordeue wiederherstellte. Da nun Gott alles machtvoll, weise und auf das beste oder wohlwollendste schuf, ziemte es sich, dass er es derart erlöste, dass seine Macht, seine Weisheit und sein Wohlwollen in Erscheinung trete. Was fordert aber eine größere Macht als die Vereinigung der äußersten Gegensätze in einer Person? Was ist weiser und geziemender als dass zur Vollendung des ganzen Universums das erste und das letzte vereinigt würde, das Wort Gottes nämlich, das der Urheber aller Dinge ist, und die menschliche Natur, die den Abschluss der gesamten Schöpfung darstellt? Was ist gütiger, als dass Gott zum Heile des Knechtes KnechtsgestaIt annahm (Vgl. Phil 2, 7) ? Hierin liegt soviel Großmut, Güte und Barmherzigkeit, dass nichts Gütigeres, nichts Barmherzigeres, nichts liebenswürdigeres gedacht werden kann. - Somit war diese Art für Gott, den Wiederhersteller, überaus angemessen, um die göttliche Macht, Weisheit und Güte ins Licht zu stellen.

Weil ferner der Mensch dadurch, dass er in Sünden fiel, sich vom allmächtigsten, weisesten und gütigsten Prinzip abwandte und ihm den Rücken kehrte, fiel er in Schwäche, Unwissenheit und Bosheit. Dadurch wurde aus dem geistigen ein fleischlicher, tierischer und sinnlicher Mensch. Und so wurde er ungeeignet zur Nachgestaltung göttlicher Tugend, zur Erkenntnis seines Lichtes und zur Liebe seiner Güte. Um nun den Menschen aus diesem Sündenstand wieder zu erheben, war es höchst geziemend, dass das Urprinzip sich zu ihm herabneigte und sich so der Erkenntnis, der Liebe und Nachahmung erreichbarer darbot. Da aber der fleischliche, tierische und sinnliche Mensch nur das ihm Angemessene und Ähnliche erkennt, liebt und nachahmt, "ist das Wort Fleisch geworden" (Joh 1, 14), um uns jenem Zustande zu entreißen, damit es von dem fleischlichen Menschen erkannt, geliebt und nachgeahmt und so dieser durch Erkenntnis, Liebe und Nachahmung Gottes von der Krankheit der Sünde geheilt würde.

Endlich war es geziemend, dass das Wort Fleisch wurde, weil der Mensch nur dann vollkommen wiederhergestellt werden konnte, wenn er die Reinheit des Geistes, die Freundschaft Gottes und seine ursprüngliche Würde, durch die er nur Gott unterworfen war, wiedererlange. Das aber war nur in der Weise möglich, dass Gott Knechtsgestalt annahm. - Die Würde konnte der Mensch nur dadurch erlangen, dass der Wiederhersteller Gott war. Denn wäre es nur ein Geschöpf gewesen, dann wäre der Mensch lediglich einem Geschöpfe unterworfen und hätte so den Urstand seiner Würde nicht wiedererlangt. - Auch die Freundschaft Gottes konnten wir nur durch einen geeigneten Mittler wiedererhalten, der beide Naturen führte, der beide gleichförmig und beider Freund war. Darum ist er Gott durch seine Gottheit und dem Menschen durch seine Menschheit gleich. - Seine Unschuld endlich konnte der Mensch nur durch Nachlassung der Sünde erlangen. Diese zu vergeben aber entsprach der göttlichen Gerechtigkeit. Gott allein konnte für das ganze Menschengeschlecht genugtun, der Mensch aber war dazu verpflichtet, weil er gesündigt hatte. Deshalb war es im höchsten Maße angemessen, dass das Menschengeschlecht durch einen Gottmenschen, der dem Geschlecht Adams entstammte, wiederhergestellt würde. - Die Würde konnte nur durch einen ganz hervorragenden Erlöser und die Freundschaft durch einen überaus liebenswürdigen Mittler und die Unschuld nur durch einen, der hinreichend genugtat, wiederhergestellt werden. Ein ganz hervorragender Erlöser ist nur Gott; ein ganz liebenswürdiger Mittler nur ein Mensch, einer, der in ganz ausreichender Weise Genugtuung leistet, nur Gott und Mensch zugleich. Also war die Menschwerdung des Wortes unserer Wiederherstellung durchaus angemessen, damit das durch das ungeschaffene Wort hervorgebrachte und durch Abfall von dem kundgewordenen Worte in Sünde gefallene Menschengeschlecht durch das fleischgewordene Wort sich aus der Schuld erheben sollte.

2. Kapitel: Die Vereinigung der Naturen in der Menschwerdung

Dreierlei haben wir über das fleischgewordene Wort zu betrachten: die Einheit der Naturen, die Fülle der Gnadengaben und die Ertragung der Leiden zur Erlösung des Menschengeschlechtes. Zum Verständnis des Geheimnisses der Menschwerdung ist hinsichtlich der Einheit der Naturen wieder ein dreifaches in Betracht zu ziehen, nämlich das Werk, die Art und die Zeit.

Darlegung: Die Menschwerdung ist das Werk der Dreifaltigkeit. Durch sie nimmt die Gottheit Fleisch an und vereinigt sich mit diesem. Nicht nur der sinnliche Körper wird dabei angenommen, sondern auch die vernünftige Seele mit ihrer Fähigkeit zu beleben, zu fühlen und zu denken. Diese Vereinigung aber findet nicht in der Natur, sondern in der Person statt, und zwar nicht in einer menschlichen, sondern in der göttlichen, nicht in einer angenommenen, sondern in der annehmenden, auch nicht in einer beliebigen, sondern ausschließlich in der Person des Wortes. Infolge dieser Vereinigung kann das, was dem Sohn zukommt, auch vom Menschensohn ausgesagt werden und umgekehrt, ausgenommen dasjenige, was diese als solche bezeichnet oder eine Verneinung in sich schließt.

Begründung: Die Fleischwerdung ist das Werk des Urprinzips, nicht nur insoweit dieses schöpferisch tätig ist, sondern auch insoweit es wiederherstellt, heilt, genugtut und versöhnt. Darum muss das Werk der Menschwerdung von der ganzen Dreieinigkeit ausgehen, weil es eine Wirkung des Urprinzips ist, das alles mit höchster Kraft hervorbringt, denn das Wesen, die Kraft und die Tätigkeit gehören ganz und ungeteilt den drei Personen an.

Die Menschwerdung geht vom Urprinzip als demjenigen aus, das die Wiederherstellung durch Heilung bewirkt. Nun ist aber das ganze Menschengeschlecht gefallen und nicht nur der Seele, sondern auch dem Leib nach verderbt. Darum musste die ganze Natur angenommen werden, damit sie ganz geheilt würde. - Und da uns die Natur nach ihrer leiblichen Seite bekannter und mehr von Gott entfernt ist, wird das Werk nicht als Geistwerdung, sondern als Fleischwerdung bezeichnet, damit die Benennung eindrucksvoller, die Verdemütigung augenfälliger und die Herablassung um so tiefer begründet würde.

Ferner ist die Menschwerdung das Werk des Urprinzips, das durch Genugtuung wiederherstellt; genugtun kann aber nur, wer dazu verpflichtet und imstande ist; das erstere ist nur der Mensch, das letztere nur Gott. Deshalb musste die göttliche und die menschliche Natur zugleich zur Versöhnung zusammenwirken. Nun ist es aber unmöglich, dass sich die göttliche Natur mit einer anderen als deren Teil zu einer dritten verbindet, oder dass sie sich in eine andere verwandelt oder eine solche in sie übergeht, und zwar wegen ihrer höchsten Einfachheit und Unveränderlichkeit. Aus diesem Grunde werden Gottheit und Menschheit nicht in einer Natur noch als Akzidenz verbunden, vielmehr in der Einheit der Person oder Hypostase. Und da die göttliche Natur keinem anderen Träger, sondern nur der eigenen Hypostase anzugehören vermag, kann diese Vereinigung nicht in einer menschlichen, sondern nur in der göttlichen Hypostase oder Person vollzogen werden. Darum machte sich das Urprinzip durch eine seiner Personen in jener Vereinigung zum Träger der menschlichen Natur. Und so gibt es dort nur eine Persönlichkeit und persönliche Einheit, und zwar auf Seite des Annehmenden.

Endlich ist die Menschwerdung das Werk des Urprinzips, soweit es durch Sühne wiederherstellt. Versöhnend wirkt ein Mittler. Die Mittlerschaft aber kommt im eigentlichen Sinne dem Sohn Gottes zu, darum auch die Menschwerdung. Zum Mittler gehört es, in der Mitte zwischen dem Menschen und Gott zu stehen, um den Menschen zur Erkenntnis Gottes, zur Gleichförmigkeit mit Gott und zur Gotteskindschaft hinzuführen. Keiner anderen Person aber kommt es mehr zu, Mittler zu sein als derjenigen, die hervorbringt und hervorgebracht wird, die innerhalb der göttlichen Personen die Mitte einnimmt. Keinem geziemt es mehr, den Menschen zur Erkenntnis Gottes hinzuführen als dem Worte, durch das der Vater sich ausspricht und das dem Fleisch vereint werden kann wie der Gedanke der Stimme. Keiner konnte angemessener zur Gleichförmigkeit mit Gott emporleiten als er, der das Abbild des Vaters ist. Keinem steht es mehr an, zur Adoptivkindschaft zurückzuführen als dem natürlichen Sohn. Und darum geziemte es keinem mehr, Menschensohn zu werden als dem Sohn Gottes selbst.

Durch die Menschwerdung ist ein und derselbe Menschen- und Gottessohn. "Was aber ein und demselben in gleicher Weise zukommt, ist unter sich gleich<ref> Aristoteles I Elench. c. 5 (c. 6). </ref>." Darum muss eine Übertragung der Attribute stattfinden, wenn es sich nicht um ein Wort handelt, das einen Widerspruch einschließt. Solche sind z. B. jene Bezeichnungen, die sich auf die Vereinigung der Naturen beziehen wie vereinigen, Mensch werden, annehmen oder angenommen werden; oder solche, die eine Verneinung dessen einschließen, was der anderen zukommt, wie etwa einen Anfang nehmen, erschaffen werden, und ähnliche. Dies sind Ausnahmen gegen die aus den genannten Gründen oben aufgestellte Regel.

3. Kapitel: Wie Christus Mensch wurde

Darlegung: Der Engel verkündigte der aIIerseligsten Jungfrau Maria, dass sich das Geheimnis der Menschwerdung in ihr vollziehen werde und die Jungfrau glaubte es, verlangte danach und stimmte zu. Der Heilige Geist überschattete sie zur Heiligung und Befruchtung und durch seine Kraft empfing die Jungfrau den Sohn Gottes, gebar ihn als Jungfrau und blieb auch Jungfrau nach seiner Geburt<ref>Augustin, Sermo 196 (oder 53 de diversis) c. 1 n. 1. </ref>. - Aber sie empfing nicht nur das bloße, sondern auch das beseelte und mit dem Worte vereinigte Fleisch, das durch keine Sünde befleckt, sondern durchaus heilig und makellos war. Darum wird sie Mutter Gottes genannt und ist die allerliebste Jungfrau Maria.

Begründung: Die Menschwerdung ist das Werk des Urprinzips, soweit sich seine erlösende Wirksamkeit in einer höchst angemessenen, allumfassenden und vollkommenen Weise vollzieht; musste es doch nach seiner Güte allumfassend, nach seiner Kraft vollkommen handeln.

Die Inkarnation erfolgte also durch das auf höchst angemessene Art wiederherstellende Erstprinzip. Es ist aber in der Ordnung, dass das Heilmittel der Krankheit durch ihr Gegenteil entgegenwirke, und dass ferner die Wiedererhebung dem Falle und das Heilverfahren der Schädigung entspreche. Das Menschengeschlecht fiel aber durch die teuflische Einflüsterung, durch die Zustimmung der getäuschten Frau und durch die mit böser Lust verbundene Zeugung, welche die Erbsünde auf die Nachkommen fortpflanzt. Damit nun "das Verkehrte durch sein Gegenteil geheilt würde"<ref>Gregor der Große Homil. in evang. II homil. 32 n. 1. </ref>, war es erforderlich, dass im Gegensatz dazu ein guter Engel zum Guten zusprach, dass die Jungfrau glaubte und dem guten Zuspruch zustimmte und die Liebe des Heiligen Geistes sie heiligte und zur makellosen Empfängnis befruchtete. Indem die Frau durch den Teufel getäuscht und unter dem Einfluss der bösen Lust vom Manne erkannt und verderbt wurde, pflanzte sie Schuld, Krankheit und Tod auf alle fort. Demgegenüber hat die Jungfrau, durch den Engel belehrt und durch den Heiligen Geist geheiligt und befruchtet, ohne jegliche Befleckung des Leibes oder der Seele jenes Kind geboren, das allen, die zu ihm kommen, Gnade, Gesundheit und Leben schenkt.

Die Menschwerdung geht ferner vom Urprinzipe aus, das auf eine allumfassende Weise wiederherstellt. Denn durch das fleischgewordene Wort wird der Fall der Engel und Menschen und der himmlischen und der irdischen Wesen(Vgl. Kol 1, 20) wieder gut gemacht, und zwar für beide Geschlechter. Damit aber die Heilung allumfassend sei, war das Zusammenwirken von Engel, Mann und Frau im geheimnisvollen Vorgang der Menschwerdung höchst geziemend: des Engels. der verkündigte, der Jungfrau-Mutter, die gebar und des männlichen Geschlechtes im empfangenen Kinde, damit so der Engel Gabriel der Bote des ewigen Vaters, die unbefleckte Jungfrau der Tempel des Heiligen Geistes und das empfangene Kind die Person des Wortes selbst sei. Und so vollzog sich in der allumfassend wirksamen Wiederherstellung ein gemeinsames Zusammenwirken der drei Ordnungen, nämlich der göttlichen, himmlischen und menschlichen zur Darstellung nicht nur der heiligsten Dreifaltigkeit, sondern auch der AIIgemeinheit der Wohltat und der Güte des höchsten Erlösers. Obwohl die Menschwerdung das Werk der ganzen Trinität ist, so wird doch die Urheberschaft der jungfräulichen Empfängnis dem Heiligen Geiste zugeeignet, weil diesem die Güte zugesprochen wird und die Heiligung der Jungfrau, die das Wort empfing.

Endlich ist die Menschwerdung das Werk des Urprinzips, das auf vollkommenste Weise wiederherstellt. Darum muss bei dieser Empfängnis Vollkommenheit obwalten im Kind, in der Empfängnis selber und in der sie bewirkenden Kraft. Weil die gehörige VoIIkommenheit im Kind bestehen musste, erfolgte im Augenblick der Empfängnis nicht nur die Auslösung des (weiblichen) Samens, sondern auch die Begründung, Verähnlichung, Belebung durch die Seele und die Vergottung durch die Vereinigung mit der göttlichen Person. So empfing die Jungfrau wahrhaft den Sohn Gottes auf Grund der Vereinigung des Fleisches mit der Gottheit unter Vermittlung der vernünftigen Seele, weIche das angemessene Mittel der Bereitung des Leibes zur Vereinigung war. - Ferner muss Vollkommenheit in der Empfängnis obwalten. Von den vier Möglichkeiten, einen Menschen hervorzubringen, waren schon drei verwirklicht: die erste ohne Mann und Frau wie bei Adam; die zweite vom Mann ohne Frau wie bei Eva; die dritte von Mann und Frau, wie bei allen in der Begierde Geborenen. Darum musste zur restlosen Vollständigkeit eine vierte Art verwirklicht werden, nämlich aus der Frau ohne männlichen Samen durch die Kraft des höchsten Urhebers. Endlich muss sie vollkommen sein der bewirkenden Kraft nach. Deshalb wirken bei der Empfängnis des Gottessohnes zusammen eine angeborene, eine eingegossene und eine ungeschaffene Kraft: die angeborene Kraft bereitete den Stoff, die eingegossene sonderte ab, indem sie reinigte, die ungeschaffene vollendete auf einen Schlag, was die geschaffene nur nacheinander in Zeitabschnitten bewirken konnte. Und so wurde die seligste Jungfrau Maria auf vollkommenste Weise Mutter, die den Sohn Gottes ohne Mitwirkung des Mannes empfing, befruchtet vom Heiligen Geiste. Weil nämlich in der Seele der Jungfrau die Liebe des Heiligen Geistes in einzigartiger Weise glühte, war in ihrem Fleisch seine Kraft wunderbar wirksam, und zwar durch eine Gnade, die teils die Natur anregte, teils sie unterstützte, teils sie erhob, wie es jeweils zur wunderbaren Empfängnis erforderlich war.

4. Kapitel: Verwirklichung der Menschwerdung in der Fülle der Zeiten

Darlegung: Wiewohl Gott von Anbeginn an hätte Mensch werden können, so wollte er es doch erst am Ende der Zeiten, nach vorhergegangenem natürlichen und vorbildlichen Gesetze, nach den Patriarchen und Propheten, denen und durch welche die Menschwerdung verheißen war. - Erst nach diesen, also am Ende und in der Fülle der Zeit, ließ er sich herbei, Mensch zu werden, entsprechend dem Apostelworte (Gal 4, 4 ff): "Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren aus der Frau und dem Gesetze untertan, damit er die, welche dem Gesetze unterständen, erlöse."

Begründung: Die Menschwerdung ist das Werk des wiederherstellenden Urprinzips. Darum muss sie geziemende Rücksicht auf die Freiheit des Willens, auf die Erhabenheit des Heilmittels und auf die Vollständigkeit des Weltalls nehmen. Denn der allweise Künstler hält all dies bei seinem Werk im Auge. - Die Freiheit des Willens aber fordert den Ausschluss alles Zwanges. Daher musste Gott das Menschengeschlecht so wiederherstellen, dass der sein Heil fände, der den Erlöser sucht, nicht aber der, welcher ihn nicht sucht. Keiner sucht den Arzt auf, der sich nicht krank weiß; keiner geht zum Lehrer, der nicht seine Unwissenheit erkennt; keiner verlangt nach einem Helfer, der nicht seine Schwäche fühlt. Da sich aber der Mensch gleich nach seinem Falle auf seine Wissenschaft und Macht noch etwas einbildete, ließ Gott erst die Zeit des Naturgesetzes kommen, in der er von seiner Unwissenheit überzeugt wurde. Als er nun diese einsah, pochte er auf seine Kraft und sagte: es fehlt nicht an dem Vollbringen, sondern an dem Gebieter. Darum fügte Gott das weitere Gesetz hinzu, das durch Sittenvorschriften erzog und durch Zeremonialanordnungen beschwerte. So sollte der Mensch im Besitz dieser Erkenntnisse und im Bewusstsein seiner Schwäche zur göttlichen Barmherzigkeit seine Zuflucht nehmen und nach Gnade verlangen, die uns durch die Ankunft Christi zuteil geworden ist. Darum musste die Menschwerdung des Wortes nach dem Gesetze der Natur und der Schrift erfolgen.

Ferner fordert die Erhabenheit des Heilmittels, dass dieses als ein höchst geheimnisvolle, und heilbringendes Mysterium mit festestem Glauben geglaubt und mit heißester Liebe geliebt werde. Es war also durchaus angemessen, dass der Ankunft Christi zahlreiche Zeugnisse der Propheten, sowohl in ausdrücklichen Worten als auch andeutenden Vorbildern, vorangingen, damit so das, was verborgen war, auf Grund zahlreicher und fester Zeugnisse sicher und über jeden Zweifel erhaben geglaubt würde. Es sollten auch viele Verheißungen und glühendes Sehnen vorangehen, damit das Versprochene erwartet, das Erwartete hinausgezögert, das Verzögerte um so mehr ersehnt, und so das lang Ersehnte heißer geliebt, dankbarer entgegengenommen und aufmerksamer bewahrt würde.

Endlich erheischt die Vollständigkeit und Vollkommenheit des Universums, dass alles nach Ort und Zeit geordnet sei. Nun ist die Menschwerdung das vollkommenste unter allen göttlichen Werken. Der Fortschritt geht aber vom Unvollkommenen zum Vollkommenen und nicht umgekehrt. Darum musste jenes Werk am Ende der Zeiten stattfinden. Denn der erste Mensch, der die Krönung der ganzen sichtbaren Welt war, wurde zuletzt, am sechsten Tage, zur Vervollkommnung der ganzen Schöpfung hervorgebracht. So musste der zweite Mensch, der die Vollendung der gesamten wiederhergestellten Welt ist, in dem das erste Prinzip mit dem letzten, d. h. Gott mit dem Staube, sich verbindet, am Ende der Zeiten, nämlich im sechsten Zeitalter, erscheinen. Dieses Zeitalter ist zur Betätigung der Weisheit, zur Unterdrückung der bösen Begehrlichkeit und zum Übergang vom Stande der Unruhe in den der Ruhe bestimmt. All dieses fällt im Verlauf des Weltgeschehens in das sechste Zeitalter wegen der Menschwerdung des Sohnes Gottes.

Die Ankunft Christi erfolgte unter dem Gesetz der Gnade und des Gewährens der versprochenen Barmherzigkeit und in den Anfang des sechsten Zeitalters. Und all dies nennt man die Fülle, weil das Gesetz der Gnade das der Schrift und die Einlösung des Versprochenen die Verheißung erfüllt, und das sechste Zeitalter wegen der Vollkommenheit der Sechszahl eine Fülle bedeutet. Darum also heißt die Ankunft des Sohnes Gottes die Fülle der Zeiten nicht etwa, weil durch seine Ankunft diese abgeschlossen war, wohl aber weil die zeitlichen Vorbilder verwirklicht waren. Christus durfte nicht im Anfang kommen, denn dann wäre seine Ankunft verfrüht gewesen. Seine Ankunft durfte aber auch nicht bis ans Ende der Zeit verschoben werden, denn dann wäre es zu spät gewesen. Es war richtig für den Erlöser, zwischen Krankheit und Gericht die Heilung vorzunehmen. Es passte für den Mittler, einigen seiner Glieder voranzugehen, anderen zu folgen. Es entsprach dem vollkommenen Führer, dann zu erscheinen, wenn es Zeit war, nach der Palme zu laufen. Das ist aber noch vor dem Weltende und in der Nähe des letzten Gerichtes der Fall. So sollen wir, durch Furcht vor dem Richter angetrieben, durch die Hoffnung auf Lohn angezogen und durch die Vollkommenheit des Beispieles begeistert, kraftvoll und tüchtig dem Führer von Tugend zu Tugend (Vgl. Ps 83, 8) folgen, bis wir zum Siegespreise des ewigen Glückes gelangen (Vgl. Phil 3, 14).

5. Kapitel: Die Fülle der Gnadengaben im Willen des Herrn

Nachdem wir uns klar wurden über die Einheit der Naturen im menschgewordenen Wort, haben wir die Fülle seiner geistigen Charismen zu betrachten. Hinsichtlich dessen wäre zuerst die Erfüllung der Gnaden im Willen, sodann die Fülle der Weisheit im Verstand und endlich die Fülle des Verdienstes im Werke und in der Wirksamkeit zu erwägen.

Darlegung: Im Willen des Herrn war vom Augenblick seiner Empfängnis an die Fülle jeglicher Gnade in seiner Eigenschaft als Einzelperson, als Haupt und als Gottmensch. So war er dank der Gnade der Einzelperson der Wirklichkeit und Möglichkeit der Sünde enthoben, denn er hat nicht gesündigt und konnte es auch nicht. - Dank der Gnade der Vereinigung ist er nicht nur des Glückes der Glorie gewürdigt worden, sondern auch der Anbetung, jener Verehrung, die allein Gott zukommt. - Durch die Gnade des Hauptes aber lässt er Bewegung und Leben in alle einströmen, die zu ihm kommen, entweder durch den rechten Glauben oder aber durch die Sakramente der Kirche, mögen sie seiner Ankunft vorausgehen oder nachfolgen. "Denn die vorausgingen und die nachfolgten riefen: "Hosanna dem Sohn Davids !" (Mk 11, 9 u. Mt. 21, 9).

Begründung: Das Urprinzip aber bewirkt die Erlösung, indem es sie in seiner Freigebigkeit mitteilt und die Menschen durch Verähnlichung zu sich zurückführt. Sie muss somit durch Gnade und Gottförmigkeit vollbracht werden. Die Gnade ist nämlich ein Ausfluss der Güte Gottes und macht den Menschen gottförmig. Weil nun das erlösende Prinzip durch Gnade wiederhergestellt, und jedes Ding in seinem Ursprung vollständiger ist als in seinem Verlaufe, musste unser Erlösungsprinzip, nämlich Christus der Herr, die Fülle jeglicher Gnade besitzen. Dieses ist aber in seiner wiederherstellenden Tätigkeit nicht nur der Uranfang, sondern auch die Mitte und das Ende: das Ende in der Genugtuung, die Mitte in der Versöhnung und der Uranfang in der überströmenden Fülle. Demnach musste im Herrn die Fülle der Begnadigung zur Leistung der äußersten Genugtuung, der vermittelnden Versöhnung und der überflutenden Urheberschaft sein. Um zur Genugtuung aufs höchste geeignet zu sein, muss er Gott wohlgefallen und darum über jede Sünde vollkommen erhaben sein. Dieses konnte aber nur durch göttliche Gnadengabe in irgendeinem Menschen erzielt werden. Darum ist in Christus die heiligende und kräftigende Gnade vorauszusetzen, die wir Gnade der Einzelperson nennen.

Ferner ist etwas nur dann ein geeignetes Mittel zur Versöhnung, wenn es beide Naturen in sich vereinigt, nämlich die höhere und die niedere, die anbetungswürdige und die anbetende. Dieses konnte aber nur erzielt werden durch eine aufs höchste erhebende und gnadenvolle Vereinigung. Also müssen wir in Christus eine alle übertreffende Gnade annehmen, der die allerhöchste Verehrung entgegenzubringen ist. Wir nennen sie die Gnade der Vereinigung, durch die der Mensch "Christus, der alles gebenedeite Gott ist"(Röm 9, 5), dem der Kult der Anbetung gebührt.

Endlich kann das Prinzip nur dann wirksam ausströmen, wenn es die quellhafte und ursprüngliche Fülle in sich trägt, die nicht nur ausreichend, sondern überströmend ist. Darum musste das menschgewordene Wort das Vollmaß der Gnade und Wahrheit besitzen, so dass alle Gerechten von seiner Fülle zu empfangen vermögen (Vgl. Joh 1, 14 ff), wie alle Glieder vom Haupte ausströmende Bewegung und Leben empfangen. Darum wird sie die Gnade des Hauptes genannt, denn, wie das Haupt die Fülle des Lebens in sich trägt, den übrigen Gliedern gleichförmig ist, sie beherrscht und den ihm verbundenen die Wohltat seines Einflusses schenkt, so verleiht Christus, der in sich die Fülle der Gnaden trägt, uns aber der Natur nach ähnlich, gerecht und heilig vor allen ist, denen, die zu ihm kommen, die Wohltat der Gnade und des Geistes, durch welche Leben und Bewegung in die geistlich Gesinnten getragen wird.

Zu ihm gelangt man aber durch Glauben oder durch die Sakramente der Kirche. Der Glaube an Christus ist jedoch derselbe bei den Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Darum erstreckt sich sein Einfluss auf alle vergangenen und gegenwärtigen, wie auch zukünftigen, die an ihn glauben, die in Christus wieder geboren, die durch den Glauben mit ihm verbunden und durch die einströmende Gnade Glieder Christi und Tempel des Heiligen Geistes, eben dadurch aber Söhne Gottes, des Vaters, sind, untereinander verknüpft durch das unteilbare Band der Liebe. Dieses zerreißt keine räumliche Entfernung, noch trennt es ein zeitlicher Abstand. Alle Gerechten aller Orte und Zeiten, wo immer sie sind und wann immer sie gelebt haben, bilden einen einzigen mystischen Leib Christi. Dieser empfängt Leben und Bewegung von dem einen Haupt, das sie ausströmt aus seiner quellhaften, grundlegenden und ursprünglichen Fülle, die in Christus als in ihrer Urquelle wohnt (Vgl. Kol 1, 18 ff).

6. Kapitel: Die Fülle der Weisheit in der Erkenntnis

Darlegung: In dem fleischgewordenen Wort, unserem Herrn Jesus Christus, war jegliche Fülle der Weisheit (Vgl. Kol 2, 3) nicht nur in Bezug auf den Erkenntnisinhalt, sondern auch hinsichtlich der verschiedenen Erkenntnisarten. - In ihm war eine ewige Erkenntnis dank seiner Gottheit, eine sinnliche auf Grund seiner sinnlichen und leiblichen Natur, eine wissenschaftliche auf Grund der geistigen Natur. Und diese letztere war eine dreifache: eine solche der Natur, des Gnaden- und Glorienstandes. So besaß Christus die Weisheit als Gott und als Mensch, als Vollendeter und als Pilger, in der Gnadenerleuchtung und in der Urstandsgerechtigkeit. Also waren im Herrn zusammen fünf Arten der Erkenntnis. - Die erste ist die der göttlichen Natur. Durch sie erkannte er alles Wirkliche und Mögliche, das Endliche und Unendliche mit einem wirklichen und alldurchdringenden Erkenntnisakte. - Die zweite ist die der Glorie. Durch sie erkannte er alles Wirkliche und Endliche mit einem wirklichen und alldurchdringenden Erkenntnisakte, das Unendliche hingegen nur durch eine habituelle und naturerhobene Erkenntnis. - Die dritte ist die der Gnade. Durch sie erkannte er alles, was sich auf die Erlösung des Menschengeschlechtes bezieht. Die vierte ist die der unversehrten Menschennatur, wie sie Adam besaß. Durch sie erkannte er alles, was die Einrichtung des Alls betrifft. Die fünfte ist die der sinnlichen Erfahrung. Durch sie erkannte er, was durch die Sinnesorgane eingeht. Und von dieser letzteren sagt man, dass er an "diesem Erleiden seinen Gehorsam übte" (Hebr 5, 8).

Begründung: Wie durch seine freigebig verliehene Gnade ebenso erlöst uns das wiederherstellende Prinzip durch seine höchst fürsorgliche Weisheit. Was nämlich nach ihr erschaffen wurde, konnte nicht ohne die lichtvolle Ordnung der Weisheit wiederhergestellt werden. Wie also Christus frei von jeder Schuld sein musste, so auch ledig jeder Unwissenheit und darum ganz erfüllt mit dem Glanze und Schimmer erhabener Weisheit. Darum besaß er hinsichtlich jeder seiner Naturen eine vollkommene Erkenntnis sowie die Fähigkeit, alles Seiende zu verstehen.

Die Dinge haben ein Sein in der ewigen Kunst Gottes, im menschlichen Geiste und in sich selbst. Darum musste auch Christus sie auf diese dreifache Art erkennen. Etwas kann in der Kunst auf doppelte Weise erkannt werden, entweder wie der Künstler selbst oder aber wie ein anderer das Kunstwerk betrachtet. In ähnlicher Weise besitzt es ein doppeltes Sein und Erkanntwerden im Geist. Abgesehen vom Erwerb des Wissens, der wegen seiner Unvollkommenheit dem Herrn nicht zukommt, trug er das Sein und Erkennen der Dinge auf Grund eines eingegossenen Wissens im Geist. Darum mussten im Gottmenschen Christus zur Vervollständigung der Weisheit die fünf genannten Arten vorhanden sein: er musste die Dinge in den ewigen Ideen erkennen dank der göttlichen Natur und der Glorienschau ; in seinem Geist durch eine natürliche und eingeborene Fähigkeit wie Adam und die Engel, sowie durch eine gnadenhafte und eingegossene Anlage wie die Heiligen, die durch den Heiligen Geist erleuchtet werden; in ihrem eigenen Sein endlich durch Vermittlung der Sinne, des Gedächtnisses und der Erfahrung, die auch uns ein unbekanntes Ding erkennbar machen. In Christus aber bewirkt sie, dass etwas ihm schon auf eine Weise Bekanntes nun auch auf andere Weise bekannt wird.

Die göttliche Wesenheit, Kraft und Tätigkeit ist aber unermesslich. Deshalb durchschaut er tatsächlich auf die erste Art, nämlich nach seiner Gottheit, das Unendliche, denn Unaussprechlicherweise ist dem absolut Unendlichen jedes Unendliche endlich (d. h. geistig fassbar).

Die Wesenheit, Kraft und Tätigkeit selbst des erhabensten Geschöpfes ist endlich. Dennoch ruht der menschliche Geist nur im unendlichen Gute, aber er begreift es eigentlich nicht, da ja das Unendliche vom Endlichen nicht begriffen wird, wenigstens nicht im vollen Sinne des Begreifens. So erfasst die Seele Christi nach der zweiten Erkenntnisart durch die Glorienschau, was immer eine endliche Natur erfassen kann, beseligt durch das unendliche Gut, dem sie aufs höchste vereinigt ist. Darum erkennt sie das Endliche durch tatsächliches Begreifen, das Unendliche aber nur durch einen die Natur übersteigenden Habitus. Denn die Seele kann mit dem göttlichen Worte weder in ihrer Wissenschaft, noch in sonst etwas verglichen werden.

Weil ferner die Gnade in erster Linie das Erlösungswerk im Auge hat, erkennt Christus auf die dritte Art dank der vollkommensten Gnade alles, was sich auf unsere Wiederherstellung bezieht, und zwar weit vollkommener und besser als irgendein Prophet oder auch Engel.

Weiterhin ist die wohl eingerichtete menschliche Natur dazu bestimmt, allen Geschöpfen vorzustehen und sie als zu ihrem Dienste bestimmt zu erkennen. Das zeigt sich bei der Erschaffung des ersten Menschen. Und darum erkennt Christus auf die vierte Art alles, was sich auf die Einrichtung der Welt bezieht, viel besser als Adam.

Endlich erfasst die sinnliche Natur die Dinge nur, wenn sie ihr gegenwärtig sind. Darum erkannte Christus nach dieser nicht alles auf einmal, sondern bald dieses, bald jenes, wie es gerade zur Erlösung des Menschengeschlechtes erforderlich war.

7. Kapitel: Die Vollkommenheit der Verdienste

Darlegung: Christus der Herr besaß die Vollkommenheit und Fülle jeglichen Verdienstes: erstens als verdienende Person, war er doch nicht nur Mensch, sondern auch Gott. - Zweitens der Zeit nach, in der er verdiente, denn sie währte vom Augenblick der Empfängnis an bis zur Todesstunde. - Drittens mit Rücksicht auf das, wodurch er verdiente, es geschah ja durch die reinste Liebe und die vollkommenste Übung der Tugend im Gebet, in der Arbeit und im Leiden. - Viertens in Bezug auf jene, für die er litt, denn er verdiente nicht nur für sich, sondern auch für uns, ja für alle Gerechten. - Fünftens mit Rücksicht auf das, was er uns erwarb, nämlich nicht nur die Glorie, sondern auch Gnade und Verzeihung, nicht nur die Beseligung des Geistes, sondern auch die Verklärung des Fleisches und die Eröffnung der Himmelspforte. - Sechstens auch hinsichtlich dessen, was er für sich selbst verdiente. Er erwarb sich zwar nicht die Verherrlichung des Geistes, die er schon besaß, wohl aber die Verklärung des Leibes und die Beschleunigung der Auferstehung sowie den Ruhm seines Namens und die Würde der richterlichen Gewalt. Siebtens im Hinblick auf die Art und Weise, in der er Verdienste sammelte. Man kann ja von einem dreifachen Verdienen sprechen: entweder dadurch, dass aus einem Ungeschuldeten ein Geschuldetes oder aus einem solchen eine größere Verbindlichkeit oder aber aus einem auf eine bestimmte Art Geschuldeten eine andere Verpflichtung wird. Und auf all diese Arten hat er für uns verdient, auf die dritte aber auch für sich selbst. Das tat er kraft der Gnadenfülle des Heiligen Geistes, durch die Christus zugleich Seliger und im Stande des Verdienens war. So gründen sich alle unsere Verdienste auf das seine.

Begründung: Im wiederherstellenden Prinzip, unserem Herrn Jesus Christus, musste die FÜlle der Gnade und deI' Weisheit niedergelegt sein, die für uns die QueUe des rechten und heiligen Lebens sind. Darum musste in ihm das allseitige Vollmaß aller Verdienste nach jeder Richtung sein. Zunächst war in ihm die Gnade der Vereinigung, durch die er vom ersten Augenblicke der Empfängnis an Gott, im Besitze der Glorienschau und der freien Willensbetätigung war. Darum musste in Christus die FÜlle der Verdienste sowohl hinsichtlich der höchsten Würde des Verdienenden als auch der größtmöglichen Auswertung der Zeit vorhanden sein.

Ferner war die Fülle der individuellen Begnadigung in ihm, durch die er festbegründet in der Liebe war und die Befähigung sowie Betätigung aller Tugenden besaß. Darum musste er die volle Voraussetzung alles Verdienstes besitzen; dieses aber ist die wurzelhafte Liebe und die (daraus erwachsende) Betätigung vielgestaltiger Vorzüge.

Dazu hatte er auch noch das Vollmaß der Gnade des Hauptes, durch die er den ausgiebigsten Einfluss auf seine Glieder ausübte. Er besaß deshalb den Inbegriff des Verdienstes nicht nur in Rücksicht auf sich, sondern auch auf uns. Alle unsere geistigen Güter, mögen sie sich auf das gegenwärtige Leben oder auf die ewige Seligkeit beziehen, flößt er uns auf Grund seiner Gottheit ein, während er sie dank der angenommenen Menschheit verdiente.

Endlich musste die Fülle so zahlreicher Gnadengaben im höheren Bewusstsein Christi die höchste und vollkommenste Glückseligkeit begründen, wiewohl er zu unserem Heil in den Pilgerstand eingesetzt war. Darum kommt ihm höchstes Verdienst auch in Rücksicht auf sich selbst zu, nicht zwar die Glorie und die seiner Seele bei der Erschaffung verliehene Glückseligkeit, die ja in ihm von Natur aus jedem Verdienst vorausgingen, sondern nur jener Lohn, der mit dem Pilgerstand unvereinbar war, wie die Verklärung des Leibes und die Verherrlichung seiner erhabenen Person.

Auch die Art und Weise des Verdienens war darum in ihm höchst vollkommen. Da in ihm vom ersten Augenblick der Empfängnis an die ganze Fülle vorhanden war, verdiente er sogleich für sich selbst alles, was immer er konnte. Und so vermochte er aus der einen Verbindlichkeit eine andere zu machen. Nicht aber war es ihm möglich, aus dem Ungeschuldeten Geschuldetes oder aus diesem eine größere Verbindlichkeit für sich zu machen. Da er von Anfang an ja der Heiligste war, konnte er in der Heiligkeit nicht fortschreiten. Für uns aber war er dazu befähigt, die wir auf Grund seines Verdienstes durch seine Gnade gerechtfertigt werden (Vgl. Röm 3, 24), in der Gerechtigkeit fortschreiten und mit ewiger Herrlichkeit gekrönt werden.

So sind alle unsere Verdienste in dem seinen begründet, mögen es strafsühnende oder das ewige Leben erwerbende sein. Nur durch das Verdienst des Gottmenschen werden wir gewürdigt, von der Beleidigung des höchsten Gutes freigesprochen und des unermesslichen, ewigen Lohnes teilhaftig zu werden. Zu ihm können und müssen wir sagen: "Alle unsere Werke hast du, o Herr, in uns gewirkt" (Is 26, 12). Er, sage ich, ist der Herr, zu dem der Prophet spricht: "Ich sprach zu dem Herrn: mein Gott bist du, meiner Güter bedarfst du nicht" (Ps 15, 2).

8. Kapitel: Das Leiden Christi

Darlegung: Wir betrachten nun die Person des Leidenden, sowie die Art und den Ausgang der Passion. Von ersterer ist folgendes zu glauben: Christus hat nicht nur die menschliche Natur, sondern auch ihre Mängel angenommen. Er nahm auf sich die körperlichen Straffolgen wie Hunger, Durst, Ermattung und ebenso die geistigen wie Trauer, Seufzer und Furcht. Aber nicht alle leiblichen Gebrechen trug er an sich, wie die vielerlei Krankheiten, noch alle geistigen, wie Unwissenheit oder Aufruhr des Fleisches gegen den Geist. Und er tat es nicht wie alle übrigen Menschen, vielmehr nahm er sein Leiden so auf sich, dass es ihn nicht ungewollt treffen konnte, war es doch weder gegen seinen göttlichen noch gegen seinen vernünftigen Willen gerichtet, obgleich das Leiden seinem sinnlichen und fleischlichen Willen widersprach. Diesen bringt das Gebet des Erlösers zum Ausdruck: "Nicht wie ich will, sondern wie du willst" (Mt 26, 39).

Begründung: Das erlösende Prinzip übte bei der Versöhnung mit Notwendigkeit das Amt eines Mittlers aus. Darum musste es beiden Parteien angepasst sein, nicht nur der Natur nach, sondern auch in dem, was mit dieser zusammenhängt. Nun ist Gott gerecht und glückselig, leidensunfähig- und unsterblich. Der ganze Mensch hingegen ist sündig, armselig, leidensfähig und sterblich. Darum musste der Mittler zwischen Gott und den Menschen (Vgl. 1 Tim 2, 5), damit er diese zu ihm zurückführen könne, mit Gott die Gerechtigkeit und Glückseligkeit, mit dem Menschen aber die Leidensfähigkeit und Sterblichkeit teilen, damit er so zeitweise der Sterblichkeit unterworfen, aber im Besitz der dauernden Glückseligkeit den Menschen aus dem gegenwärtigen Elend zum seligen Leben führe. Im Gegensatz dazu war der böse Engel, der Unsterblichkeit, aber auch Elend und Ungerechtigkeit besaß, derjenige Mittler, der durch seine Vorspiegelungen in Jammer und Schuld stürzte. Da Christus als Mittler notwendig im Besitz der Unschuld und im Genuss der Glückseligkeit, verbunden mit Sterblichkeit und Leidensfähigkeit war, musste er zugleich Pilger und Seliger sein. - Von jedem Stand trug er etwas in sich. So sagt man, er habe vom Unschuldstand die Freiheit von der Sünde, vom Zustand der gefallenen Natur, die Sterblichkeit, vom Glorienstand aber die Glückseligkeit des vollkommensten Genusses besessen.

Da ferner jene vier durch die Erbsünde verhängten bösen Straffolgen, nämlich Unwissenheit, Schwäche, Bosheit und Begehrlichkeit mit der vollkommenen Unschuld nicht zusammen bestehen können, so durfte er sie nicht auf sich nehmen und tat es auch nicht. - Da aber die Strafen, die uns in der vollkommenen Tugend üben sowie vor allem jene anderen, die ein Beweis der wahren, nicht nur scheinbaren Menschlichkeit sind, die allgemeine Natur angehen, z. B. Hunger und Durst bei Mangel an Nahrungsmitteln, Trauer und Schmerz bei Schädigungen, so musste er diese auf sich bürden und hat es auch getan.

Endlich braucht kein Unschuldiger gegen seinen Willen eine Strafe zu erleiden, denn das verstieße gegen die Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit. Auch will kein Sterblicher nach dem Naturtrieb Tod und Leid ertragen, flieht vielmehr natürlicherweise den Tod. Darum musste Christus diese Straffolgen wohl erdulden, aber so, dass er nichts gegen seinen vernünftigen Willen erleiden konnte, und zwar nicht nur wegen der Glückseligkeit und der mit ihm vereinigten göttlichen Allmacht, durch die er alles zurückweisen konnte, sondern auch wegen der vollkommenen Unschuld, die auf Grund der Ordnung der natürlichen Gerechtigkeit nicht zulässt, etwas gegen den eigenen Willen zu erleiden. Doch litt er so, dass es der natürlichen Neigung und dem sinnlichen und fleischlichen Naturtriebe widersprach. -- Darum brachte Christus, als er im Geist betete, den fleischlichen Willen zum Ausdruck, der den Schmerz scheut, indem er sprach: "Möge dieser Kelch an mir vorübergehen" (Mt 26, 39). Aber er machte seinen vernünftigen Willen demjenigen des Vaters gleichförmig und ordnete ihn dem Naturtrieb über, indem er fortfuhr: "Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine" (Mt 26, 39). Und so war der eine dem anderen nicht entgegen. "Denn nach seinem göttlichen Willen wollte er, was recht ist, nach seinem vernünftigen stimmte er dem zu, aber nach seinem fleischlichen lehnte er die Strafe ab, ohne sich jedoch gegen die Gerechtigkeit aufzulehnen. Und so vollbrachte jeder Wille das Seine und erstrebte das ihm Entsprechende: der göttliche die Gerechtigkeit, der vernünftige den Gehorsam, der fleischliche das Naturhafte"<ref>Hugo von St. Viktor, De quattuor volunt. in Christo. </ref>. Also war in Christus kein Kampf und Widerstreit, sondern friedvolle Ordnung und Ruhe.

9. Kapitel: Wie Christus litt

Darlegung: Christi Leiden war allumfassend, überaus bitter, höchst schmachvoll und tödlich, aber doch lebendigmachend. - Allumfassend, sage ich, war es in seiner menschlichen Natur nicht nur hinsichtlich aller wichtigen Körperteile, sondern auch aller Seelenkräfte, obwohl er seiner göttlichen Natur nach nicht leiden konnte. - Überaus bitter litt er; doch nicht allein an seinen Wunden, sondern auch am Mitleid für unsere Sünden. - Auch geschah es auf höchst schmachvolle Weise, weil er sowohl die Kreuzigung, die Strafe der schlimmsten Übeltäter, erdulden musste, als auch in Gesellschaft von verbrecherischen Räubern hingerichtet wurde, denen man ihn gleich achtete (Vgl. Is 53, 12). - Endlich litt der Herr durch Trennung der Seele vom Leib, wenngleich beide mit der Gottheit vereinigt blieben. Denn im Bann ist, wer sagt, der Sohn Gottes habe die einmal angenommene Natur zeitweise wieder abgelegt.

Begründung: Das erlösende Prinzip, das alles ordnungsgemäß erschaffen hat, musste das Menschengeschlecht auch ordnungsgemäß wiederherstellen. Dies musste so geschehen, dass unangetastet blieb die Freiheit des Willens, die Ehre Gottes und die gesamte Weltregierung. Da Christus also unter Wahrung der Willensfreiheit erlösen musste, gab er damit ein höchst wirksames Beispiel. Dieses aber leitet und gestaltet zur höchsten Tugend. Nichts nämlich bildet die Tugend mehr im Menschen als das Vorbild, aus göttlichem Gehorsam und für die Gerechtigkeit zu sterben, ich sage nicht eines beliebigen, sondern des furchtbarsten Todes. Nichts fördert mehr als jene große Güte, durch die der allerhöchste Sohn Gottes ohne unser Verdienst, ja trotz all unserer Missverdienste, seine Seele hingab (Vgl. 1 Joh 3, 16). Diese Güte erscheint umso größer, je schwereres und schmachvolleres er um unseretwillen ertrug oder erleiden sollte. "Gott hat nämlich seines eingeborenen Sohnes nicht geschont, ihn vielmehr für uns alle hingeopfert. Hat er demnach mit ihm uns nicht alles gegeben" (Röm 8, 32) ? Dadurch werden wir aufgefordert, ihn zu lieben und den Geliebten nachzuahmen.

Da er ferner wiederherstellen musste unter Wahrung der göttlichen Ehre, tat er es durch genugtuenden Gehorsam. "Genugtun heißt aber, Gott die schuldige Ehre zurückerstatten"<ref>Vgl. Anselm, Cur Deus homo c. 11 n. 20. </ref>. Stolz und Ungehorsam in Leistungen, zu denen der Mensch verpflichtet war, raubten Gott die Ehre; daher konnte sie auf keine Art besser wiederhergestellt werden als durch Unterwürfigkeit und Gehorsam in solchen Leistungen, zu denen er in keiner Weise verpflichtet war. Nun war Christus Jesus als Gott dem Vater der Gottheit nach gleich, als sündeloser Mensch aber war er in keiner Weise des Todes schuldig. Wenn er sich trotzdem "selbst entäußerte und gehorsam wurde bis zum Tod" (Phil 2, 6-8), dann gab er Gott durch diese Leistung vollkommener Genugtuung, was er ihm nicht genommen hatte und brachte ein überaus angenehmes Versöhnungsopfer dar.

Endlich musste Christus unter Wahrung der Ordnung in der Weltregierung wiederherstellen. Darum tat er es durch das allerpassendste Heilmittel. Dieses aber besteht darin, dass ein Gegensatz durch den anderen aufgehoben wird. Der Mensch, der an Weisheit Gott gleich sein wollte, sündigte, indem er sich an der verbotenen Frucht zu erfreuen gedachte. Dadurch wurde er zur Begehrlichkeit geneigt und zur Vermessenheit aufgestachelt, wodurch das ganze Menschengeschlecht angesteckt, sterblich und des Todes schuldig wurde. Um uns nun auf angemessene Art wiederherzustellen, wollte der menschgewordene Gott sich erniedrigen und am Holz leiden. Gegen die allgemeine Befleckung wollte er allumfassend, gegen die Begehrlichkeit aufs bitterste, gegen die Vermessenheit aufs schmachvollste leiden und gegen den verschuldeten, aber widerwillig ertragenen Tod unschuldig, aber freiwillig sterben.

Die Allgemeinheit des Verderbens in uns erstreckt sich nicht nur auf den Leib und die Seele, sondern auch auf alle Seelenkräfte. Darum litt Christus an allen Körperteilen wie an allen Seelenkräften, auch in der höheren Vernunft. Diese erfreute sich als solche zwar aufs höchste in Gott dank ihrer Vereinigung mit dem Höheren, auf Grund ihrer Verbindung mit dem Niederen aber litt sie als menschliche Natur am schwersten, war doch Christus Pilger und Seliger zugleich.

Da die Begehrlichkeit in uns Seele und Leib durch fleischliche und geistige Sünden befleckt hatte, erduldete der Herr das bitterste körperliche Leiden und trug das tiefste Mitleid in seiner Seele. Beide Qualen waren die größtmöglichen, denn sein Körper war vollkommen aufgebaut, besaß eine feine Empfänglichkeit der Sinne, und in seiner Seele herrschte höchste Liebe zu Gott und größte Güte gegen den Nächsten.

Weil ferner der aufgeblasene Stolz sich bald innerlich als Vermessenheit, bald äußerlich als Gefallsucht und Begierde nach fremdem Lobe aufbläht, hat Christus beide Arten der Schmach erduldet, indem er in sich selbst und unter den Leidensgenossen litt, um so allen Stolz zu heilen.

Da endlich all dieses nicht die leidensunfähige göttliche Natur betraf, vielmehr nur die menschliche, ist beim Tod Christi die Seele so vom Leib getrennt worden, dass die Einheit der Person sowohl als auch die Vereinigung des Körpers und der Seele mit der Gottheit gewahrt blieb. - Und weil nun die Verbindung der Seele mit dem Leibe den Menschen als lebendiges Wesen ausmacht, war Christus nicht Mensch während jener drei Tage, obgleich beide mit dem göttlichen Wort vereinigt blieben. Ferner trug der Tod in der menschlichen Natur den Tod nicht in die Person, die immer lebendig blieb. So ist der Tod im Leben gestorben und durch den Tod Christi "ist der Tod im Siege verschlungen" (1 Kor 15, 54). Und der Fürst des Todes ist besiegt und der Mensch ist vom Tod und von der Ursache desselben durch das Verdienst des Todes Christi als durch ein überaus wirksames Heilmittel erlöst.

10. Kapitel: Der Ausgang des Leidens Christi

Darlegung: Die Seele Christi stieg nach vollbrachtem Leiden in die Unterwelt oder Vorhölle nicht zur Befreiung aller, vielmehr nur jener, die im lebendigen Glauben oder unter dem Zeichen des Glaubens als Glieder Christi hinschieden. - Sodann erstand er am dritten Tage von den Toten, nahm den Körper, den er vorher belebt hatte, wieder an sich, aber nicht so, wie er ehedem gewesen war, war er doch vorher leidensfähig und sterblich, nach der Auferstehung hingegen leidensunfähig, unsterblich und ewig fortlebend. - Nach weiteren 40 Tagen stieg er in den Himmel empor, wo er, über jedes Geschöpf erhaben, zur Rechten des Vaters sitzt. Das Gesagte bedeutet kein örtliches Sitzen, welches dem Vater (und darum auch dem Sohn) nicht zukommt, es bezieht sich vielmehr auf die Oberhoheit über die Güter, denn er herrscht über den vornehmsten Besitz des Vaters. - Zuletzt, nach Verlauf von zehn Tagen, sandte er den Aposteln den versprochenen Heiligen Geist, durch den die Weltkirche zusammengegliedert und geordnet ist nach den verschiedenen Ämtern und Begnadungen.

Begründung: Wie Christus als das ungeschaffene Wort alles auf das vollkommenste gestaltete, so musste er als das fleischgewordene Wort alles auf das vollkommenste wiederherstellen. Das vollkommenste Prinzip darf nun sein Werk nicht unvollendet lassen. Darum musste auch das wiederherstellende Prinzip das Heilmittel der menschlichen Erlösung zur Vollendung bringen. Zur höchsten Vollkommenheit gehört, dass es ganz hinreichend und höchst wirksam ist.

Weil es allumfassend ist, erstreckt es sich auf das Himmlische, das Irdische und Unterirdische. Durch Christus ist das unterirdische Reich wiedererobert, das irdische wiederhergestellt und das himmlische erneuert, und zwar das erste durch Verzeihung, das zweite durch Begnadigung, das dritte durch Verklärung. Darum stieg seine Seele nach dem Leiden in die Unterwelt, um jene zu befreien, die in der Vorhölle festgehalten wurden; darauf erstand er von den Toten zur Neubelebung derer, die dem Sündentod erlegen waren; fuhr gen Himmel, um die Gefangenen überzuführen (Vgl. Ps 67, 19) in das wiederhergestellte himmlische Jerusalem ; sandte seinen Heiligen Geist, um das irdische Jerusalem wieder aufzubauen. All dies ist eine Folge und eine Bedingung der allumfassenden Erlösung der Menschen.

Ferner war jenes Heilmittel überaus wirksam sowohl in jenen, die der Ankunft Christi vorausgingen, als auch in jenen, die ihm folgten, in allen, die sich Christus angeschlossen haben und anschließen und die seine Glieder wurden und sind. Das sind diejenigen, die ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe anhangen. Darum musste dieses Heilmittel sich zunächst in jenen fruchtbar erweisen, die an Christus geglaubt, glaubend gehofft und ihn hoffend geliebt haben. Und deswegen musste er alsbald in die Unterwelt hinabsteigen, um sie zu befreien. So war die Himmelspforte geöffnet durch das Leiden Christi, der durch seine Genugtuung das zweischneidige Schwert zurückstieß und durch Abänderung des göttlichen Richterspruches all seine Glieder der Unterwelt entriß.

Die Erlösung musste aber auch vorzüglich ihre Wirksamkeit an denen erweisen, die der Ankunft Christi folgten, indem er sie zu Glaube, Hoffnung und Liebe erweckte und schließlich zur himmlischen Herrlichkeit führte. Christus wollte zum unsterblichen Leben erstehen, um uns so den Glauben an ihn als wahren Menschen und wahren Gott einzuflößen und uns zu bedeuten, dass er uns durch seinen Tod erretten wolle und durch seine Auferstehung zum Leben zurückführen könne. Darum hielt er einen angemessenen Zeitraum, und zwar von 36 Stunden ein, wodurch er seinen wahren Tod bewies. Er durfte seine Auferstehung nicht mehr beschleunigen, damit man nicht meinte, er sei nicht wahrhaft gestorben, habe sich vielmehr nur tot gestellt, noch durfte er sie weiter hinauszögern, damit man nicht, wenn er immer unter den Toten geblieben wäre, glaubte, er sei machtlos und könne keinen zum Leben zurückrufen. Darum erstand er am dritten Tage von den Toten auf (1 Kor 15, 4).

Damit er uns aber auch in der Hoffnung aufrichte, stieg er zur himmlischen Herrlichkeit empor, die wir erwarten. Weil aber die Hoffnung nur aus dem Glauben an die zukünftige Unsterblichkeit hervorgeht, fuhr er nicht sofort in den Himmel empor, sondern erst nach 40 Tagen, in denen er durch vielerlei Zeichen und Beweise seine wirkliche Auferstehung belegte, wodurch der Mut im Glauben gefestigt und zur Hoffnung auf die himmlische Glorie erhoben wird.

Um endlich zur Liebe zu entflammen, sandte er am Pfingstfest das Feuer des Heiligen Geistes. Aber nicht sogleich nach seiner Himmelfahrt schickte er ihn, sondern nach einem Zeitraum von zehn Tagen, in denen die Jünger durch Fasten, Beten und Seufzen sich auf seinen Empfang vorbereiteten; wird doch niemand mit diesem Feuer erfüllt, der nicht bittet, verlangt und anklopft mit dauernder und zudringlicher Sehnsucht der Hoffnung. - Wie er somit die rechte Stunde im Leiden einhielt, so auch in der Auferstehung, in der Himmelfahrt, in der Sendung des Heiligen Geistes, sowohl wegen der Eingießung der genannten drei Tugenden, wie in Rücksicht auf die vielen Geheimnisse, die sich in diesen Zeiten vollzogen.

Der Heilige Geist, der die Liebe ist und in der Liebe besessen wird, ist der Ursprung aller Gnadengaben. So ist denn mit seiner Herabkunft ihre Fülle ausgegossen zur Vollendung des mystischen Leibes Christi. Nun müssen an einem vollkommenen Körper verschiedene Glieder sein und mannigfache Ämter und Tätigkeiten derselben und zahlreiche Gnadengaben für die verschiedenen Ämter. Darum wird "dem einen durch den Heiligen Geist das Wort der Weisheit, einem anderen das der Wissenschaft, einem anderen der Glaube, einem anderen die Gnade zu heilen, einem anderen die der guten Werke, einem anderen die Weissagung, einem anderen die Unterscheidung der Geister, einem anderen mancherlei Sprachen, einem anderen Auslegung der Reden verliehen. Dies alles bewirkt ein und derselbe Geist, der im einzelnen zuteilt, wie er will" (1 Kor 12, 8-11), nach seiner freigebigen Vorsehung und fürsorglichen Freigebigkeit.

Fünfter Teil: Die Gnade des Heiligen Geistes

1. Kapitel: Die Gnade als gottgegebenes Geschenk

Nach dem Abschnitt über die Menschwerdung des Wortes, welches Ursprung und Quelle jeden Gnadengeschenkes ist, sprechen wir über die Gnade des Heiligen Geistes, und zwar unter einem vierfachen Gesichtspunkte: 1. als göttliches Geschenk, 2. mit Rücksicht auf die Willensfreiheit, 3. in Hinblick auf die Tugenden, 4. in Bezug auf den Erwerb von Verdiensten.

Darlegung: Die göttliche Gnade ist als ein Geschenk zu betrachten, das unmittelbar von Gott gegeben und eingegossen wird. In und mit ihr wird der Heilige Geist verliehen, das unerschaffene, beste und vollkommenste Gut, das durch das fleischgewordene Wort vom Vater der Lichter herabsteigt (Jak 1, 17). Diese Gnade sieht Johannes in der geheimen Offenbarung als "kristallartig leuchtenden Strom vom Throne Gottes und des Lammes ausgehen" (Offb 22, 1). - Ja, sie ist jene Gabe, wodurch die Seele vervollkommnet und zur Braut Christi, zur Tochter des ewigen Vaters und zum Tempel des Heiligen Geistes wird. Solches kann nur geschehen aus huldvoller Herablassung und herablassender Huld der ewigen Majestät im Geschenke seiner Gnade. - Sie ist nämlich endlich die Gabe, welche die Seele reinigt, erleuchtet und vervollkommnet, belebt, wiederherstellt, festigt, erhebt, verähnlicht und mit Gott verbindet und ihm so annehmbar macht. Darum wird die Gabe mit Recht und Notwendigkeit die genehm machende Gnade genannt.

Begründung:: Das erste, schöpferische Prinzip bildete in seiner großen Güte den vernünftigen Geist, der auf die ewige Seligkeit angelegt ist. Und das wiederherstellende Prinzip erschloss diese durch die Sünde geschwächte Befähigung wieder dem Heil. Die ewige Seligkeit nun besteht im Besitze des höchsten Gutes, das ist aber Gott, ein Gut, das alle Würde der Gott unterstellten menschlichen Botmäßigkeit ohne Maß überragt. Darum ist nur der würdig, zum höchsten Gute, das alle Grenzen der Natur gänzlich übersteigt, zu gelangen, zu dem Gott sich herablässt und den er über sich selbst erhebt. Gott steigt allerdings nicht in seiner unveränderlichen Wesenheit herab, sondern in den von ihm ausgehenden Einströmungen; auch wird der Geist nicht räumlich, vielmehr durch einen gottförmigen Innenzustand über sich selbst erhoben. Um der ewigen Seligkeit würdig zu werden, muss er darum einen gottförmigen Einfluss empfangen. Weil dieser von, nach und für Gott ist, macht er das Bild unseres Geistes der heiligsten Dreifaltigkeit ähnlich, nicht nur in Bezug auf ihre Gestaltung, sondern auch auf ihre Rechtheit der Auserwählung und Befriedigung des Gottesgenusses. Dadurch wird sie unmittelbar in Gott zurückgeführt, wie sie ihm auch unmittelbar gleichgestaltet ist. So wird jenes Geschenk direkt von Gott als dem einströmenden Prinzip gegeben, damit ebenso unmittelbar wie das Ebenbild, so auch die Gottähnlichkeit von ihm ausgeht. Das ist die gottförmige Vervollkommnung des Ebenbildes und heißt darum dessen Wiedererschaffung.

Wer ferner Gott genießt, besitzt ihn auch. Darum wird mit der Gnade, die durch ihre Gottförmigkeit zu seinem Genuss befähigt, die ungeschaffene Gabe, nämlich der Heilige Geist, verliehen, und wer diese hat, ist somit Gottes teilhaftig.

Niemand besitzt Gott, der nicht von ihm in besonderer Weise besessen wird. Keiner aber besitzt Gott und wird von Gott besessen, der ihn nicht in ganz besonderer und unvergleichlicher Weise liebt und von ihm wiedergeliebt wird wie die Braut vom Bräutigam. Niemand aber wird derart geliebt, der nicht an Sohnes statt zur ewigen Erbschaft angenommen wird. Darum macht die heiligmachende Gnade die Seele zum Tempel Gottes, zur Braut Christi und zur Tochter des ewigen Vaters. Da dieses aber nur durch höchste Huld und Herabneigung Gottes möglich ist, kann es nicht durch einen naturverliehenen Habitus bewirkt werden, sondern nur durch eine von Gott als Gnadengeschenk eingeflößte Gabe. Das leuchtet ein, wenn man bedenkt, was es bedeutet, Tempel und Kind Gottes und dabei unauflöslich einer Ehe vergleichbar durch das Band der Liebe und Gnade mit ihm verbunden zu sein.

Nun wird unser Geist der Heiligsten Dreifaltigkeit nach richtiger Auserwählung nur durch die Kraft der Tugend, das Licht der Wahrheit, und das Feuer der Liebe ähnlich. Die Kraft der Tugend reinigt, festigt und erhebt die Seele, der Glanz der Wahrheit erleuchtet, erlöst und macht Gott ähnlich, die Glut der Liebe vollendet, belebt und vereint sie mit ihm. Und durch all dies wird der Mensch Gott wohlgefällig und angenehm. Deshalb sagt man, dass jeder gottförmige Einfluss diese zehn Akte zur Folge habe, wobei aber der letzte, als der vollkommenste, dieser Gnade den Namen gibt. - Sie heißt nämlich die genehm machende Gnade, weil sie ihren Besitzer Gott angenehm macht; ist sie doch nicht nur von Gott umsonst gegeben, sondern auch nach ihm gebildet und zu ihm hinführend. Ihre Aufgabe ist es ja, das von Gott ausgehende Werk wieder zu ihm zurückzubringen, und darin besteht, ähnlich wie bei einem geistigen Kreislauf, die Vollendung aller vernünftigen Geister.

2. Kapitel: Die Gnade als Grund des Verdienstes

Zweitens müssen wir die Gnade des Heiligen Geistes in Bezug auf den freien Willen betrachten und zwar auf doppelte Art: erstens soweit sie eine Hilfe zum Verdienst darbietet, zweitens sofern sie ein Heilmittel gegen die Sünde ist.

Darlegung: Von der verdienstbildenden göttlichen Gnade gilt folgendes: Man spricht von Gnade im allgemeinen, im besonderen und im eigentlichen Sinne.

In der ersten Bedeutung versteht man darunter jene göttliche Hilfe, die dem Geschöpfe großmütig und unverdient zu jedwedem Akte verliehen wird. Ohne diese Gnadenunterstützung können wir weder etwas unternehmen, noch im Sein verharren. - Im besonderen verstehen wir darunter jenen göttlichen Beistand, durch den man sich auf den Empfang der Gabe des Heiligen Geistes vorbereitet, durch den wir in den Stand des Verdienens gesetzt werden. Er heißt die umsonst verliehene Gnade<ref> Bonaventura versteht hier wie auch öfter unter der "umsonst verliehenen Gnade" (gratia gratis data) die aktuelle.</ref>, und ohne sie kann niemand in ausreichender Weise das Seinige tun, um sich auf das Heil vorzubereiten. - Als Gnade im eigentlichen Sinne aber wird die göttliche Hilfe zum Verdienstsammeln bezeichnet. Sie heißt darum die Heiligmachende Gnade, ohne die niemand verdienen, noch im Guten fortschreiten, noch zum ewigen Heil gelangen kann. Sie kommt allen Verdiensten gleichsam als ihre Wurzel zuvor, weshalb man auch sagt, dass sie "dem Willen vorangeht, damit er wolle und ihm folgt, damit er nicht umsonst wolle"<ref> Augustin, Augustinus von Hippo: De fide, spe et caritateEnchir. c. 32 n. 9 M 40, 247 f.</ref>. Darum kann sie niemand gerechterweise verdienen, aber man kann im Pilgerstand ihre Vermehrung durch Gott erwerben und dann weiterverdienen, dass das Vermehrte im Himmel und in der ewigen Herrlichkeit von Gott vollendet werde<ref> Augustin, Epist. 186 (oder 106) c. 3 n. 10.</ref>. Ihm kommt es ja zu, die Gnade einzugießen, zu vermehren und zu vollenden gemäß der Mitwirkung unseres Willens und entsprechend der Anordnung und dem Wohlgefallen der ewigen Vorherbestimmung.

Begründung: Das Erstprinzip hat in seiner allmächtigen Kraft und gnädigsten Güte jegliches Geschöpf aus dem Nichts in das Sein geführt. So eignet diesem aus sich das Nichtsein, das Sein aber kommt ihm von ganz anderer Seite her zu. Darum bedarf es infolge seiner Mangelhaftigkeit stets des ersten Prinzips, und dieses hört in seiner Güte nicht auf, auf dasselbe einzuwirken. Insofern der vernünftige Geist aus nichts ist, ist er in sich mangelhaft. Weil er seiner Natur nach begrenzt und bedürftig ist, ist er in sich verkrümmt, indem er das eigene Gut liebt. Weil er auf der anderen Seite ganz aus Gott ist, darum ist er auch ganz diesem verpflichtet. Weil er also mangelhaft ist, strebt er seiner Natur nach zum Nichtsein, weil verkrümmt, erhebt er sich aus sich selber nicht zur Gradheit der vollkommenen Gerechtigkeit; weil er ganz Gott verpflichtet ist und dieser seiner Güter nicht bedarf (Vgl. Ps 15, 2), vermag er aus sich und aus eigener Kraft nichts zu vollbringen, wodurch er sich Gott zum Schuldner machte. Vor allem kann er nichts zu seinem ewigen Heil, das Gott ist, ohne göttliche Huld unternehmen. Damit er also trotz seiner Mangelhaftigkeit in seinem Sein erhalten werde, bedarf er immer der Hilfe der göttlichen Gegenwart, der Führung und des Einflusses Gottes; dadurch nur lebt er fort. Obwohl diese allgemein in allen Geschöpfen wirkt, wird sie dennoch Gnade genannt, da sie uns nicht geschuldet ist, vielmehr aus frei schenkender göttlicher Güte verliehen wird. Wenn sich nun aber der Mensch auf das Geschenk der erhabenen Gnade vorbereitet, so bedarf er vor allem nach dem Sündenfall in seiner Verkrümmung einer weiteren, umsonst verliehenen Hilfe, durch die er zu moralisch guten Handlungen, d. h. zu solchen, die durch ihre besonderen Umstände gut sind, befähigt wird. Diese können ja nur dann gut genannt werden, wenn sie in der richtigen Absicht geschehen, d. h. nicht mit Rücksicht auf uns, sondern nur auf Gott. Und dazu erhebt sich unser verwachsener Geist nur dann, wenn ihm eine umsonst von Gott verliehene Unterstützung zuvorkommt. - Gnade ist endlich aber auch erforderlich, damit unsere Werke für den Himmel verdienstlich werden. Der Mensch benötigt, da er Gott ganz und gar verfallen und vollständig sein Schuldner ist, der Heiligmachenden Gnade. In ihr lässt sich Gott zu ihm herab, indem er zuerst sein Ebenbild im Menschen und dessen guten Willen vor der aus ihnen hervorgehenden Wirksamkeit annimmt. Da nun die Ursache vornehmer sein muss als die Wirkung, so kann niemand sich selber besser noch sein Werk Gott genehm machen, wenn er ihm nicht zuerst persönlich gefällt, so dass Gott zuerst auf ihn selbst sieht und dann erst auf sein Werk. Und so wurzelt jedes Verdienst in der heiligmachenden Gnade, die den Menschen Gottes würdig macht. Darum kann sie niemand durch ein Verdienst der Gerechtigkeit, vielmehr nur ein solches der Billigkeit erwerben.

Im Besitze der Heiligmachenden Gnade wird im Pilgerstand ihre Vermehrung durch ihren guten, verdienstlichen Gebrauch erworben. Da Gott allein der Quellgrund dieser Gnadeneinflößung ist, ist er, der sie eingießt, auch allein das Prinzip ihrer Vermehrung. Die Gnade aber ist Prinzip dieser Vermehrung auf Grund ihrer Verdienstlichkeit und Würdigkeit, unser freier Wille auf Grund seines Mitwirkens und Verdienens, indem er mit ihr arbeitet und ihr Werk zu dem seinigen macht.

Nicht nur die Vermehrung der Gnade im Pilgerstand verdient so der freie Wille auf Grund seiner Würdigkeit (merito digni) durch die Gnade, sondern auch gerechterweise (merito condigni) die Vollendung im Jenseits. Dies hat seinen Grund in der zum Verdienste mitwirkenden erhabenen Gabe des Heiligen Geistes, in der Wahrhaftigkeit des verheißenden Gottes, in der Freibeweglichkeit des zustimmenden freien Willens und seiner Beharrlichkeit bis ans Ende, in den Beschwerden des Pilgerstandes, in der Würde Christi, unseres für uns eintretenden Hauptes, das mit seinen Gliedern verherrlicht werden muss, in der Großmut des vergebenden Gottes, dem es nicht ansteht, den Gehorsam eines getreuen Dieners nur mit Kleinem zu lohnen, endlich in der Vornehmheit des Werkes, das aus der Liebe entspringt. Dieses nämlich wiegt in den Augen des Richters ebenso viel, wie die Liebe, aus der es hervorgeht, die Gott in unvergleichlicher Weise allen Geschöpfen vorzieht. Und darum kann sie hinreichend und genügend nur in ihm, dem höchsten Gute belohnt werden. - Aus all dem, gleichsam wie aus sieben Gründen, wirkt die siebenfache Gnade, dass die ewige Herrlichkeit nicht nur aus Billigkeit, sondern auch aus Gerechtigkeit verdient wird.

3. Kapitel: Die Gnade als Heilmittel gegen die Sünde

Darlegung: Obwohl der freie Wille dem höchsten Gott untersteht, kann er zwar aus sich selbst in Sünde fallen, nicht aber ohne göttlichen Beistand, den wir die Heiligmachende Gnade nennen, sich wieder erheben. - Diese Gnade, das hinreichende Heilmittel gegen die Sünde, wird aber einem Erwachsenen nur mit freier Willenszustimmung eingegossen. Daraus geht hervor, dass zur Rechtfertigung des Sünders viererlei zusammentreffen muss, nämlich die Eingießung der Gnade, die Vertreibung der Schuld, die Reue und die Betätigung des freien Willens. - Die Schuld wird somit ausgetrieben durch das göttliche Geschenk, nicht aber durch den freien Willen, wenn auch nicht ohne seine Betätigung. Denn es ist Sache der umsonst verliehenen Gnade, diesen vom Bösen zurückzurufen und zum Guten anzuregen, des freien Willens aber zuzustimmen oder abzulehnen, des zustimmenden, die Gnade anzunehmen und des aufnehmenden, mit ihr mitzuwirken, damit er endlich zum Ziele gelange.

Begründung: Das Urprinzip ist als erstes und mächtigstes die Ursache von allem, was im Weltall geschieht, ausgenommen die Sünde. "Diese ist eine Überschreitung des göttlichen Gesetzes und ein Ungehorsam gegen die himmlischen Gebote" <ref> Vgl. Ambrosius, De paradis, c. 8 n. 39 M 14, 192.</ref>. Nur sie lehnt sich feindlich und beleidigend gegen dieselben auf, denn indem sie das Gebot verachtet und uns von dem unveränderlichen Gute abtreibt, beleidigt sie Gott, verwüstet den freien Willen, zerstört die Gnadengabe und zieht uns das ewige Gericht zu. Die Entstellung des Ebenbildes und die Zerstörung der Gnade ist gleichsam eine Zunichtemachung des sittlichen Seins und des Gnadenlebens und die Beleidigung Gottes ist so gewichtig, wie er selbst. Die ewige Straffälligkeit ist unendlich. Darum kann der Mensch sich nur dadurch aus der Schuld erheben, dass das Gnadenleben wiederhergestellt, die Beleidigung verliehen und die ewige Strafe nachgelassen wird. Das schöpferische Prinzip ist darum allein auch das wiederherstellende, nämlich das ewige Wort des Vaters, Jesus Christus, der Mittler zwischen Gott und den Menschen (1 Tim. 2, 5). Denn, wie es alles aus nichts erschuf, so schuf es auch allein, ohne irgend welche Vermittlung.

Das durch Sündenschuld Entstellte erneuert es zum Stand der Gnade und Gerechtigkeit, das Strafverfallene löst es durch hinreichende Genugtuung aus. So stellte es uns wieder her, indem es in der angenommenen Natur für uns die Strafe auf sich nimmt und die erneuernde Gnade eingießt, die uns zu Gliedern Christi macht, indem sie uns mit ihrem Urheber verbindet. Und so wird die sündige Seele, die eine Feindin Gottes, eine Dirne des Teufels und eine Dienerin der Sünde war, zur Braut Christi, zum Tempel des Heiligen Geistes und zur Tochter des ewigen Vaters. All dieses geschieht dank der unverdient verliehenen und sich herabsenkenden Eingießung der Gnadengabe.

Gott stellt ferner so wieder her, dass er dabei die eingeschaffenen Naturgesetze nicht stört. Darum schenkt er diese Gnade dem freien Willen so, dass er ihn nicht zwingt, ihm vielmehr die Freiheit der Zustimmung lässt. Zur Tilgung der Schuld genügt nicht die Schenkung der Gnade allein, vielmehr muss der freie Wille bei Erwachsenen ihr durch Verwerfung jeder Sünde zustimmen, und das nennen wir Reue. Das gilt, sage ich, für die Erwachsenen, bei Kindern aber genügt der Glaube der Kirche und das Verdienst Christi, sie selbst enthebt ihr Unvermögen (der Reue). Es ist nämlich (bei Erwachsenen) notwendig, dass sich der freie Wille der Eingießung der Gnade angleiche durch wohlgefällige Annahme des göttlichen Gnadengeschenkes, und das nennen wir seine Betätigung. So müssen diese vier zur Rechtfertigung des Sünders zusammenwirken.

Endlich bedarf der freie Wille, um sich auf die Heiligmachende Gnade vorzubereiten, der Unterstützung der aktuellen. Denn die Einstellung auf die vollkommene Form muss dieser auch entsprechen. Die Gnade nötigt den freien Willen nicht, kommt ihm vielmehr zuvor, so dass beide vereint wirken. So laufen der Akt des freien Willens und der Gnade einmütig und geordnet zu unserer Rechtfertigung zusammen. Dabei regt die aktuelle Gnade den freien Willen an, dieser aber stimmt der Anregung zu oder lehnt sie ab. Der Zustimmende muss sich dann weiter auf die Heiligmachende Gnade vorbereiten, und das heißt tun, was in seinen Kräften steht. Und dem so Vorbereiteten wird sie dann eingegossen. Mit ihr kann nun der freie Wille nach Belieben mitwirken und Verdienste sammeln oder er kann ihr durch die Sünde entgegenwirken und sich so Missverdienste zuziehen. Wirkt er bis ans Ende mit ihr, dann verdient er die Erlangung des ewigen Heiles.

Also ist das Wort des hl. Augustin<ref> Sermo 169 (oder 15 De verbis apostoli) c. 11 n. 13.</ref> wahr: "Der dich ohne dich erschuf, wird dich nicht ohne dich rechtfertigen." - Wahr ist auch, dass es "nicht am Wollen, noch am Laufen liegt, sondern am Erbarmen Gottes". - Wahr ist ferner, dass niemand auf seine Verdienste stolz sein kann, krönt doch Gott nur seine eigenen Gaben in uns. Er hat sich nämlich vorbehalten, die Geschenke seiner Gnade großmütig auszuteilen, damit der Mensch lerne, dankbar zu sein und sich nicht in sich zu rühmen, als hätte er nicht empfangen, sondern nur in Gott (Vgl. 1 Kor 1, 31; 4, 7). - Wahr ist endlich, dass der freie Wille aus sich weder unentschuldbar ist, wenn er das Seine nicht tut, denn die aktuelle Gnade ist ihm immer mit ihren Einsprechungen gegenwärtig und mit ihrer Hilfe kann er tun, was an ihm liegt, wodurch er dann die Heiligmachende Gnade erhält. Mit ihr vermag er aber das Gesetz und den Willen Gottes zu erfüllen. Tut er es, so gelangt er schließlich zur ewigen Seligkeit auf Grund seiner verdienstlichen Werke, die ganz der Gnade, aber auch ganz dem freien Willen angehören, vorzüglich aber doch der Gnade. Denn Augustin<ref> Hypognosticon c. 11 (unecht) M 45, 14 ff. </ref> sagt: "Die Gnade verhält sich zum freien Willen wie der Reiter zum Pferde." Dieser lenkt, leitet und führt das Pferd zum Tore des ewigen Glückes, indem er uns in den Werken vollkommener Tugend übt an Hand der siebenfältigen Gnade.

4. Kapitel: Die Verästelung der Gnade in die Tugenden

Drittens ist die Gnade mit Rücksicht auf die Tugenden, und zwar in dreifacher Weise zu betrachten, nämlich wie sie sich verzweigt: erstens in die Tugenden, zweitens in die Gaben, drittens in die Seligkeiten.

Darlegung: Wiewohl es nur eine, die Seele Gott genehm machende Gnade gibt, zählen wir doch sieben von Gott geschenkte Tugenden, durch die das menschliche Leben geordnet wird, und zwar drei theologische: Glaube, Hoffnung und Liebe und vier Kardinaltugenden: Klugheit, Mäßigkeit, Starkmut und Gerechtigkeit, welch letztere unter einem Gesichtspunkte eine die Gemeinschaft regelnde und allgemeine, unter einem anderen aber eine besondere und das Eigenleben ordnende Tugend ist. - Obgleich diese sieben Tugenden verschieden sind und ihre eigenen Vorzüge haben, sind sie dennoch in demselben Inhaber auch miteinander verbunden und untereinander gleich. Sie sind durch die Gnade gestaltet und darum ungeschuldet, und können durch die Sünde lahmgelegt (informes) werden, einzig die Caritas ausgenommen <ref> Dieses "ausgenommen" bezieht sich natürlich nicht auf die Zerstörbarkeit durch die Sünde, sondern auf das Gestaltetwerden durch die Gnade.</ref>. Auch kann sie die Buße wiederherstellen dank der Gnade, welche Ursprung, Ziel und Form aller Tugenden ist.

Begründung: Das schöpferische Prinzip verleiht in seiner höchsten Vollkommenheit nicht nur das Leben als solches, sondern auch dessen Betätigung. Somit muss auch das wiederherstellende Prinzip dem Geiste das Gnadenleben sowohl dem Sein als auch der Tätigkeit nach verleihen. In ein und demselben Lebewesen gibt es nun viele Lebensäußernngen. Denn die Tätigkeiten richten sich nach ihren Gegenständen und die Verschiedenheit der Akte fordert verschiedene Tugendanlagen. Darum muss die Gnade, obwohl sie nur eine lebendigmachende ist, sich notwendigerweise in mannigfachen Befähigungen zu den verschiedenen Tätigkeiten verzweigen. - Nun gibt es grundlegende moralische Tätigkeiten, wie Glauben, mittlere, wie das Einsehen des Geglaubten und endlich abschließende, wie das Schauen des Erkannten. In der ersten wird die Seele in die richtige Verfassung gebracht, in der zweiten gefördert und in der dritten vollendet. So verzweigt sich die Heiligmachende Gnade in die Habitus der Tugenden, welche die Seele recht machen, in die Gaben, die sie fördern und in die Seligkeiten, die sie vollenden.

Ferner fordert die vollkommene Rechtheit der Seele, dass sie nach ihren zwei Abbildlichkeiten zurechtgerichtet wird, nämlich nach der höheren und der niederen, sowohl hinsichtlich des Zweckes als auch der zu ihm führenden Mittel. Darum muss sie nach ihrer höheren Ebenbildlichkeit, worin sich die ewige Dreifaltigkeit ausdrückt, durch die drei theologischen Tugenden recht gerichtet werden. Wie das natürliche erschaffene Ebenbild in der Dreiheit der Vermögen und der Einheit der Wesenheit besteht, so das wiedergeschaffene in der Dreifaltigkeit der Habitus und der Einheit der Gnade, durch welche die Seele in angemessener Weise, der höchsten Dreieinigkeit entsprechend, den Zueignungen der drei Personen angenähert wird. So führt der Glaube zum Annehmen und Gutheißen der höchsten Wahrheit, die Hoffnung zum Vertrauen und Erwarten dessen, was der Natur unerreichbar ist, die Liebe zum Ersehnen und Umfassen des höchsten Gutes.

Ihrem niederen Ebenbilde nach muss die Seele durch die vier Kardinaltugenden zurechtgerichtet werden: durch die Klugheit das vernünftige, durch die Stärke das erregbare, durch die Mäßigkeit das begehrliche Vermögen; die Gerechtigkeit aber setzt alle diese Kräfte in das rechte Verhältnis zu ihrem Gegenstande. - Dieser kann im einzelnen der Nächste, das eigene Ich und Gott sein. Darum sagt man, die Gerechtigkeit umfasse alle Kräfte. Sie wird somit nicht nur Kardinal- sondern auch Allgemeintugend genannt, weil sie die Rechtheit der ganzen Seele einschließt. Sie heißt darum auch die Rechtheit des Willens. Also umfasst sie nicht nur jene Tugenden, die unser Verhältnis zum Nächsten regeln, wie die Billigkeit und Freigebigkeit, sondern auch jene, die sich auf uns selbst beziehen, wie Buße und Unschuld und außerdem jene, die Gott betreffen, wie Gottesverehrung, Frömmigkeit und Gehorsam.

Schließlich kommt jede Rechtheit der Tugenden in ihrer Ungeschuldetheit von der Gnade als ihrem wurzelhaften Ursprung her und entstammt ihrem Verdienstwerte nach der Caritas nach Ursprung, Form und Zweck. Darum sind die übrigen unverdient verliehenen Tugenden als Habitus miteinander verbunden und in ihren verdienstlichen Akten gleich. - Aus diesem Grunde können sie auch wertlos sein mit einziger Ausnahme der Caritas, welche sie erst übernatürlich wertvoll macht. Wertlos sind sie nämlich, wenn man sie ohne Gnade und Liebe besitzt, die das Leben der Tugenden ausmachen. Wie die Farben ohne das Licht unsichtbar, nach Hinzutritt desselben aber leuchtend, schön und dem Auge wohlgefällig sind, so werden auch die Tugenden gestaltet, geschmückt und Gott angenehm gemacht, sobald die Gnade hinzukommt. Wie sich nämlich Farbe und Licht zu einer einzigen Wirkkraft vereinigen und ein Strahl genügt, viele Farben aufleuchten zu lassen, so wird die Gnade mit den ohne sie wertlosen, durch sie aber verdienstlich gemachten Habitus der VerdienstIichkeit und der Ungeschuldetheit nach eine Einheit. Und eine Gnade genügt also, um die verschiedenen Tugenden zu gestalten und Gott genehm zu machen.

5. Kapitel: Die Verzweigung der Gnade in die Gaben (des Heiligen Geistes)

Darlegung: Obwohl es sehr zahlreiche Gnadengaben gibt und man im allgemeinen alle gottverliehenen Habitus nicht unbegründeterweise göttliche Gaben nennen kann, zählt man in Rücksicht auf ihre besonderen Aufgaben sieben Gaben des Heiligen Geistes. Isaias führt sie namentlich an, indem er von der Blüte spricht, die aus der Wurzel Jesse sproßt, nämlich von Christus. Von ihm sagt er (11, 2f), dass der Geist Gottes auf ihm ruhen werde, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Wissenschaft und der Frömmigkeit, und es werde ihn erfüllen der Geist der Furcht des Herrn. Bei dieser Aufzählung geht er paarweise vom höchsten aus, um so der Gaben Verschiedenheit, Zusammenhang, Ursprung und Ordnung aufzuweisen.

Begründung: Das wiederherstellende Prinzip verleiht in seiner höchsten Freigebigkeit nicht nur die Gnade zur Ausgleichung der Unebenheit der Laster durch die Tugenden, es hilft vielmehr auch durch die Gaben über die Hemmnisse hinweg, welche diesen Unebenheiten folgen. Darum müssen die Gnadengaben so vervielfältigt werden, wie es zur hinreichenden und leichten Förderung nötig ist. Weil nun unsere Seele in siebenfacher Weise unterstützt werden muss, muss es aus diesem siebenfachen Grunde sieben Gaben des Heiligen Geistes geben. Sie bedarf nämlich gegen die Entstellungen der Laster in ihren natürlichen und hinzuverliehenen Kräften der Unterstützung im Leiden, im Handeln, im Beschauen, und zwar auf doppelte Art.

Zunächst werden, um die Lasterentstellungen auf leichteste Weise zu beseitigen, sieben Gaben des Heiligen Geistes verliehen, nämlich die Furcht gegen den Stolz, die Güte gegen den Neid, die Wissenschaft gegen den Zorn, der ja eine gewisse Narretei ist, der Starkmut gegen die Trägheit, die den Geist zum Guten untauglich macht, der Rat gegen den Geiz, die Einsicht gegen die Genusssucht und die Weisheit gegen die Ausschweifung.

Zweitens muss es sieben Gaben des Heiligen Geistes geben zur Förderung der natürlichen Kräfte. Die erregbare Kraft muss zum Guten getrieben werden sowohl im Glück wie im Unglück, im ersten Fall durch die Furcht, im zweiten durch den Starkmut. Die begehrliche muss in der Hinneigung zum Nächsten unterstützt werden, wodurch die Güte geschieht, außerdem zur Gottesliebe, und zwar durch das Verkosten der Weisheit. Das vernünftige Vermögen endlich bedarf der Unterstützung und Erleichterung in der Erforschung, Erwählung und Ausführung der Wahrheit. Die Gabe des Verstandes erleichtert die Erforschung, die des Rates die Erwählung, die der Wissenschaft die Befolgung der angenommenen Wahrheit. Durch die Gabe der Weisheit wandeln wir nämlich richtig "inmitten eines verkehrten und lasterhaften Geschlechtes" (Phil 2, 15).

Sieben Gaben sind drittens nötig, um zur Übung der sieben Tugenden anzutreiben. Die Furcht verhilft zur Mäßigkeit, denn sie durchbohrt das Fleisch, die Güte zur wahren Gerechtigkeit, die Wissenschaft zur Klugheit, der Starkmut zur Tapferkeit oder Geduld, der Rat zur Hoffnung, die Einsicht zum Glauben, die Weisheit zur Liebe. Wie nun diese Ursprung und Vollendung aller Tugenden ist, so ist es die Weisheit für die Gaben. Darum sagt der Weise (Weish 7, 11) mit Recht: "Es wurden mir alle Güter und unzählbarer Wohlstand durch ihre Hand."

Sieben Gaben erleichtern viertens das Leiden nach dem Vorbild Christi. Der Herr wurde zu diesem veranlasst durch den Willen des Vaters, die Bedürftigkeit der Menschen und seinen eignen Tugendeifer. Der göttliche Wille bewegte ihn nämlich wie das Erkannte durch den Verstand, das Geliebte durch die Weisheit und das, wovor man Ehrfurcht hat, durch die Furcht auf uns einwirkt. Außerdem trieb ihn unsere Bedürftigkeit (zum Leiden) an. Zu ihrer Erkenntnis bedurfte er der Wissenschaft und zum Erbarmen der Güte. Endlich bewog ihn die Tugendstrenge dazu, wie der Weitblick in der Wahl durch den Rat und die Kraft im Ertragen durch den Starkmut unterstützt wird. Und so muss es auch hierfür sieben Gaben geben.

Fünftens müssen zur Förderung im Handeln sieben Gaben des Heiligen Geistes verliehen werden. Wir bedürfen nämlich dazu des Beistandes, die Sünde zu meiden, und das geschieht durch die Furcht. Wir müssen aber sowohl zu dem notwendigen, als auch zu dem darüber hinausgehenden Guten gefördert werden. Bezüglich des ersten hilft uns die Wissenschaft und Güte derart, dass die eine die Richtung gibt, die andere die Ausführung. Beim zweiten werden wir durch den lenkenden Rat und die vollbringende Stärke unterstützt. Wir müssen nämlich im Höchsten ruhen, und zwar in der Erkenntnis des Wahren und in der Liebe des Guten. Das erste geschieht durch die Gabe der Einsicht, das zweite durch die der Weisheit, die zur Ruhe führt.

Auch zur Beschauung sind sieben Gaben des Heiligen Geistes erforderlich. Um das Leben geordnet und beschaulich zu gestalten, muss die Seele gereinigt, erleuchtet und vollendet werden: gereinigt von der Begehrlichkeit, von der Bosheit, von der Unwissenheit, von der Schwäche oder dem Unvermögen. Das erste bewirkt die Furcht, das zweite die Frömmigkeit, das dritte die Wissenschaft, das vierte der Starkmut. Erleuchtung müssen wir bekommen über das Erlösungswerk und den Urzustand. Jenes ist Sache des Rates, dieses der Einsicht. Endlich müssen wir durch den Aufstieg zum höchsten Einen vollendet werden, und das erfolgt durch die Gabe der Weisheit. Und so wird das Geheimnis der Beschauung von unten angefangen bis zu seiner höchsten Zuspitzung vervollständigt.

Siebtens müssen endlich noch die sieben Gaben des Heiligen Geistes zur Unterstützung im Handeln und in der Beschauung verliehen werden. Die beschauliche Seele braucht wegen ihrer Hinwendung zur Dreifaltigkeit drei Förderungsmittel : die Furcht zur Verehrung der göttlichen Majestät, die Einsicht zur Erkenntnis der Wahrheit, die Weisheit zum Schmecken oder Kosten der Güte. Die tätige Seele aber, die handelt und leidet, braucht vier Gaben, nämlich die Güte zum Handeln, den Starkmut zum Ertragen und dazu als leitende Kraft Wissenschaft und Rat. Weil außer der Unterstützung auch Führung nottut, müssen die Gaben gepaart werden. Und dem Verstande werden ihrer mehrere zuteil, weil das Licht der Erkenntnis besonders stark auf den rechten Weg drängt (Vgl. Lk 1, 7).

6. Kapitel: Die Verzweigung der Gnade in die Seligkeiten und weiter in die Früchte und (geistlichen) Sinne

Darlegung: Es gibt sieben Seligkeiten, die der Herr in der Bergpredigt namhaft macht (Mt 5, 3 ff), nämlich Armut im Geist, Sanftmut, Traurigkeit, Dürsten nach der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Herzensreinheit und Friedfertigkeit. - Zur Vollendung und Vervollkommnung kommen zu ihnen die zwölf Früchte des Heiligen Geistes und die fünf geistlichen Sinne. Diese besagen nicht etwa neue Habitus, sondern einen (geistlichen) Genusszustand und ein Auswerten der geistlichen Betrachtungen, durch welche die Seele der Gerechten erfüllt und getröstet wird.

Begründung: Das erlösende Prinzip ist das vollkommenste und stellt darum aufs vollkommenste wieder her und erneuert durch die Gnadengabe. Darum muss dieses reichlich und freigebig von ihm ausströmende Geschenk bis hinauf zu jenem Habitus der Vollendung verzweigt werden, die mit Recht Seligkeiten heißen, weil sie sich dem letzten Ziele nähern. Ihre hinreichende Zahl und ihre Ordnung ergeben sich aus der Vollendung, den Arten und der Vorbereitung der Vollkommenheit.

Zur Vollständigkeit der Vollkommenheit gehört zuerst notwendigerweise die gänzliche Abkehr vom Bösen, der vollkommene Fortschritt im Guten und das ständige Beharren im Besten. Das Böse geht aber hervor entweder aus der Aufgeblasenheit des Stolzes oder aus gehässiger Bosheit oder aus der Schwäche der Begehrlichkeit. Somit sind drei Seligkeiten nötig, um sich davon gänzlich fernzuhalten, nämlich die Armut des Geistes, die vor der Aufgeblasenheit bewahrt, die Sanftmut, die von der Gehässigkeit freimacht und die Traurigkeit, die vor dem Übel der Begehrlichkeit und der Schwäche der Lüsternheit behütet. - Der Fortschritt im Guten aber besteht in der Nachahmung Gottes, dessen Wege "Barmherzigkeit und Wahrheit sind" (Ps 24, 10). Entsprechend diesen beiden Wegen gibt es eine doppelte Seligkeit, nämlich das Hungern oder Eifern nach der Gerechtigkeit und ein barmherziger Sinn. -- Das Beharren im Besten aber liegt entweder in klarer Erkenntnis oder in ruhigem Gemüte. Dazu dienen die beiden letzten Seligkeiten, nämlich die Reinheit des Herzens zum Anschauen Gottes und der Friede des Geistes, um ihn vollkommen zu genießen.

Zweitens muss es in Rücksicht auf die Art und Weise der einzelnen Vollkommenheiten sieben Seligkeiten geben. Denn wir unterscheiden eine Vollkommenheit des Ordensstandes, der Vorsteherschaft und der persönlichen Heiligkeit. Zur Vollkommenheit des Ordensstandes gehört der Verzicht auf persönlichen Besitz, Annahme des gemeinsamen und Erstreben des ewigen Gutes. Das erste wird durch die Armut im Geiste erreicht, das zweite durch Sanftmut des Gemütes, das dritte durch die Bitterkeit der Trauer. - Die Vollkommenheit der Vorsteherschaft nun fordert notwendig ein zweifaches, nämlich Eifer nach der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, denn Barmherzigkeit und Wahrheit schützen den König (Vgl. Spr 20, 28). Die Ausübung der Herrschaft in der streitenden Kirche muss von diesen beiden geleitet sein. - Zur Vollkommenheit der inneren Heiligkeit endlich gehört notwendig die Reinheit des Gewissens und die Ruhe der ganzen Seele durch den Frieden Gottes, der alles natürliche menschliche Empfinden übersteigt.

Drittens endlich sind zur einleitenden Vorbereitung sieben Seligkeiten nötig. Die Furcht hält vom Bösen und von der Gelegenheit zu demselben ab. Und weil "die Wurzel aller Sünde die Begierde ist" (1 Tim 6, 10), bereitet sie zur Armut im Geiste vor. In ihr verbindet sich die Demut mit der Armut, und so wird der Vollkommene von der Quelle alles Übels, nämlich vom Stolz und der Begehrlichkeit, entfernt. Und darum ist die Armut im Geiste die Grundlage der ganzen evangelischen Vollkommenheit. Wer also zu ihrem Gipfel gelangen will, muss zuerst dieses Fundament legen, wie Matthäus im 19. Kapitel (Vers 21) sagt: "Wenn du vollkommen sein willst, gehe hin und verkaufe alles, was du hast." Das ist die höchste Armut, die nichts für sich zurückbehält; "und folge mir nach", das ist die Demut, die bewirkt, dass der Mensch sich selbst verleugnet, sein Kreuz auf sich nimmt und Christus nachahmt. Er ist ja der Urgrund aller Vollkommenheit. Die Furcht also bereitet zur Armut im Geiste vor. - Die Frömmigkeit führt zur Sanftmut. Denn, wer zu einem anderen sanftmütig gesinnt ist, der reizt ihn nicht, noch lässt er sich von ihm erzürnen. Die Wissenschaft erweckt (geistige) Traurigkeit, denn durch sie erkennen wir, dass wir aus einem glücklicheren Zustande in dieses Tal des Elendes und der Tränen versetzt sind. - Der Starkmut erzeugt Hunger nach der Gerechtigkeit. Wer nämlich starkmütig ist, der hält so eifrig an dieser fest, dass er sich lieber vom leiblichen Leben als von ihr trennen will. - Die Wohlberatenheit führt zur Barmherzigkeit. Nichts empfiehlt Gott ja in der Heiligen Schrift mehr als sie und er schätzt sie mehr als Brandopfer (Hos 6, 6). - Die Einsicht bewirkt Herzensreinheit, denn die Betrachtung der Wahrheit reinigt unser Herz von allen Wahnvorstellungen. - Die Weisheit führt zum Frieden, verbindet sie uns doch mit dem höchsten Wahren und Guten, in dem unser ganzes geistiges Streben Ruhe und Befriedigung findet.

Hieraus folgt notwendig ein Übermaß geistiger Freude, die zur Andeutung ihrer Fülle in den zwölf Früchten enthalten ist. Die Zwölfzahl bezeichnet die Überfülle, in der das Übermaß der geistigen Gnadengabe vorgebildet ist, welche die geheiligte Seele in Freuden genießt. So ist dann der Mensch zur Beschauung geeignet und zum Anblick und zur bräutlichen Umarmung mit den geistlichen Sinnen. In ihr wird die höchste Schönheit Christi, des Bräutigams, als Lichtglanz sichtbar, die vollste Harmonie als Wort hörbar, die höchste Lieblichkeit als jene Weisheit gekostet, die beide, das Wort und den Glanz umfasst. Der höchste Wohlgeruch wird genossen durch das ins Herz gehauchte göttliche Wort. Die größte Lieblichkeit wird greifbar durch das fleischgewordene Wort, das leiblich unter uns wohnt und sich unserer Berührung, unserem Kuss, unserer Umarmung aus glühendster Liebe darbietet und diese Liebe reißt unseren Geist durch Ekstase und Entrüstung aus dieser Welt zum Vater empor.

Aus dem Gesagten geht offenbar hervor, dass die Tugenden vorzüglich zur Tätigkeit, die Gaben aber zur Ruhe der Beschauung und die Seligkeiten zur Vollendung beider hinführen. Die Früchte des Geistes aber: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Langmut, Güte, Milde, Sanftmut, Glaube, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Keuschheit (Gal 5, 22 f) bedeuten die den vollkommenen Werken folgenden Freuden, die geistlichen Sinne jedoch die geistige Erfassung der betrachteten Wahrheit. Diese Beschauung wurde den Propheten als Offenbarung durch eine dreifache Schau zuteil, nämlich der körperlichen Sinne, der Einbildungskraft und des Verstandes. In den übrigen Gerechten aber vollzieht sie sich durch sinnendes Erfassen. Dieses fängt in der sinnlichen Natur an, gelangt dann zur Vorstellungskraft, weiter zur Vernunft, zum Intellekt, zur Einsicht, zur Weisheit oder zum alles überragenden Wissen, das hier im Leben beginnt, in der ewigen Glorie aber vollendet wird.

Und in diesen Stufen besteht die Jakobsleiter, deren Spitze den Himmel berührt und der Thron Salomons, auf dem der weiseste und wahrhaft friedfertige und liebenswerte König sitzt, wie der allerschönste, ganz begehrenswerte Bräutigam. Ihn verlangen die Engel zu schauen (1 Petr 1, 12), nach ihm seufzt die Sehnsucht der heiligen Seelen, wie der Hirsch lechzt nach der Wasserquelle (Ps 41, 1). Durch diese glühend wie Feuer brennende Sehnsucht wird unser Geist nicht nur befähigt zum Aufstieg, sondern auch durch eine gewisse wissende Unwissenheit über sich selbst emporgerissen in Nacht und Entrückung, derart, dass er nicht nur mit der Braut spricht: "Dem Wohlgeruch deiner Salben wollen wir nacheilen" (Hld 1, 3), sondern auch mit dem Propheten singt: Nacht war meine Erleuchtung in meinen Verzückungen" (Ps 138, 11). Diese nächtliche und entzückende Erleuchtung kennt nur, wer sie verkostet, man verkostet sie aber nur mit Hilfe der göttlichen Gnade und sie wird allein dem gegeben, der sich übt. Also müssen wir jetzt das Erwerben der Verdienste betrachten.

7. Kapitel: Die Betätigung der Glaubensgnade

Viertens muss die Gnade unter dem Gesichtspunkte der Verdienste betrachtet werden. Darüber ist aber ein vierfaches zu erwägen: erstens die Betätigung der Gnade im Glauben, d. h. an den Glaubensartikeln, zweitens an den Gegenständen der Liebe, in Einhaltung ihrer richtigen Ordnung, drittens im Handeln, d. h. der Beobachtung des göttlichen Gebotes, viertens im Gebet, an Hand der Bitten des Vaterunsers.

Darlegung: Durch den Glauben müssen wir sehr vieles für wahr halten, was die Vernunft übersteigt und, ganz allgemein gesagt, alles, was im Kanon der Heiligen Schrift enthalten und berichtet ist. Insbesondere aber werden als Glaubensartikel diejenigen bezeichnet, die im Apostolischen Symbolum stehen. Zunächst sind es in Rücksicht auf ihre Verfasser zwölf. Wenn man ins Auge fasst, was als Grundlage alles Glaubens zu gelten hat, kann man auch von 14 reden.

Begründung: Das Urprinzip ist in sich selber höchst wahr und gut, darum ist es auch irr seiner Tätigkeit ganz gerecht und barmherzig. Dem absolut Wahren muss man aber die festeste Zustimmung, dem höchst Guten innige Liebe, dem Gerechtesten allgemeine Unterwerfung, dem Barmherzigsten vertrauensvolle Anrufung entgegenbringen. Die Gnade nun soll unseren Geist zur pflichtschuldigen Verehrung des Erstprinzips hinordnen. Darum leitet und führt sie zur geschuldeten und verdienstlichen Übung in Glaube, Liebe, Tätigkeit und Gebet, entsprechend den Anforderungen der höchsten Wahrheit, Güte, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in der heiligsten Dreifaltigkeit.

Der Wahrheit muss man glauben, der erhabeneren mehr und der höchsten folglich am meisten. Nun ist aber die Wahrheit des Urprinzips unendlich höher als jede geschaffene und lichtvoller als jede Leuchte unseres Verstandes. Wenn darum dieser in seinem Glauben richtig eingestellt ist, dann muss er der höchsten Wahrheit mehr glauben als sich selbst und sich dem Gehorsam Christi hingeben. Und glauben nicht nur, was der Vernunft entspricht, sondern auch was sie übersteigt und der Sinneserfahrung entgegen ist. Weigert er sich dessen, so zollt er der absoluten Wahrheit nicht die geschuldete Ehrerbietung, indem er das Urteil der eigenen Denkarbeit dem Ausspruch des ewigen Lichtes vorzieht. Das ist aber nicht möglich ohne Aufgeblasenheit des Stolzes und verwerfliche Selbstüberhebung.

Da ferner die Wahrheit, welche über oder außer der Vernunft liegt, weder sichtbar ist noch in Erscheinung tritt, sondern mehr dunkel und sehr schwer zu glauben bleibt, bedarf es zum festen Glauben einer die Seele erhebenden Erleuchtung der Wahrheit sowie einer den Geist bestärkenden autoritativen Bezeugung. Das erste geschieht durch den eingegossenen Glauben, das zweite durch die unverfälschte Heilige Schrift. Beides aber stammt von der höchsten Wahrheit, durch Jesus Christus, der da ist der Abglanz und das Wort, sowie durch den Heiligen Geist, der die Wahrheit offenbart und lehrt und bewirkt, dass wir sie glauben. So kommt es, dass die Autorität dem Glauben die Stütze bietet und dieser ihr zustimmt. Die Autorität findet sich in erster Linie in der Heiligen Schrift, die uns der Heilige Geist als Richtschnur des katholischen Bekenntnisses geschenkt hat. Darum entfernt sich der wahre Glaube nicht von der Heiligen Schrift, sondern zollt ihr ungeheuchelte Zustimmung.

Die Wahrheit endlich, die wir gläubig annehmen müssen und von der die Heiligen Schrift vor allem handelt, ist keine beliebige, sondern die Wahrheit Gottes, wie sie sich in seiner eigenen oder in der angenommenen Natur findet. In ihrer Erkenntnis besteht ja der himmlische Lohn und das irdische Verdienst. Die Artikel, die das Glaubensfundament darstellen, beziehen sich darum entweder auf die Gottheit oder auf die Menschheit. Die Gottheit ist in ihren drei Personen zu betrachten, nämlich in dem zeugenden Vater, dem erzeugten Sohn und dem hervorgehenden Heiligen Geist, sowie in ihrer vierfachen Tätigkeit: der Schöpfung des naturhaften Seins, der Wiedererschaffung des gnadenhaften Seins, der Auferweckung zum ewigen Leben und der Verherrlichung durch die Verleihung der Glorie. Darum beziehen sich sieben Artikel auf die Gottheit. - Desgleichen muss die Menschheit Christi betrachtet werden als vom Heiligen Geiste empfangen, geboren aus der Jungfrau, leidend am Kreuze, hinabgestiegen in die Unterwelt, wieder auf· erstanden vom Tode, aufgestiegen in den Himmel und wieder herabkommend zum Endgerichte. Also haben sieben Artikel seine Menschheit zum Gegenstande. Und so sind es im ganzen 14 nach dem Vorbilde der sieben Sterne und der sieben goldenen Leuchter, in deren Mitte der Menschensohn wandelt (Offb 1, 12-19).

Christus ist nur eine Person in der göttlichen und in der menschlichen Natur, und es gibt nur eine Urwahrheit, die den ersten, höchsten und alleinigen Grund des Glaubens bildet und sich mit der Zeit nicht ändert. Folglich umfasst ein einziger Glaube all die genannten Artikel. Er ist derselbe bei den Menschen der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft, mag er auch klarer und ausdrücklicher in jenen vorhanden sein, die Christus folgten als in denen, die seiner Ankunft vorausgingen. Dennoch sind die genannten Artikel in beiden enthalten, obwohl das Neue Testament klarer ist als das erste.

Der Heilige Geist hat diese in der Tiefe der Heiligen Schrift niedergelegten Artikel durch die zwölf Apostel als durch die zuverlässigsten Bürgen in eins zusammengefügt. So wurden sie in dem einen Apostolischen Symbolum vereinigt. Deshalb können sie auch nach den Aposteln, die sie zusammengestellt haben, benannt werden, weil jeder Apostel beim Aufbau des Glaubens einen Artikel gleichsam wie einen lebendigen Baustein niedergelegt hat. Das hat der Heilige Geist schon vorgebildet in den zwölf Männern, welche die zwölf Steine aus dem Flussbett des Jordan holten, um daraus dem Herrn einen Altar zu erbauen (Jos 4, 2 ff).

8. Kapitel: Die Betätigung der Gnade in der Liebe

Darlegung: Zwar sind alle Gottesgeschöpfe sehr gut, doch muss man ein vierfaches mit übernatürlicher Liebe lieben, nämlich den ewigen Gott, uns selber, unseren Nächsten und unseren Leib. - In der Liebe zu ihnen muss Ordnung und Maß herrschen und zwar so, dass Gott zuerst über alles und um seiner selbst willen geliebt wird, zweitens wir selber unter und für Gott, drittens unser Nächster wie wir selbst und viertens der Leib unter uns und unser Nächster als ein weniger wertvolles Gut. - Dazu wird ein einziger Habitus der Liebe und ein doppeltes Gebot gegeben, an dem das ganze Gesetz und die Propheten hängen" (Mt 22, 40), aber nicht nur das Alte, sondern auch das Neue Testament.

Begründung: Das Urprinzip ist als das erste das erhabenste, als solches das höchste Gut und als dieses vollkommen glückselig und beseligend. Weil es höchst beseligend ist, gewährt es den erhabensten Genuss. Und weil es den höchsten Genuss bietet, muss man ihm in Liebe anhangen und in ihm als im Ziele ausruhen. Nun zielt die richtige und geordnete Liebe, die Caritas genannt wird, in erster Linie auf jenes Gut, das man genießt und in dem man ruht. Dieses ist der eigentliche Beweggrund der Liebe. Aus diesem Grunde also liebt die Caritas jenes Gut vorwiegend, weil es beseligend ist und die übrigen Dinge, insoweit als sie geeignet sind, durch dasselbe beseligt zu werden. Der Mitmensch aber ist dazu da, mit uns zur Glückseligkeit zu gelangen. Auch unser Leib ist mit unserem Geist der Beseligung fähig. Somit sind nur diese vier mit übernatürlicher Liebe zu lieben, nämlich Gott, der Nächste, unsere Seele und unser Leib.

Nun ist Gott aber über uns als unser höchstes, unsere Seele in uns als unser inneres, unser Nächster neben uns als das uns verwandte und unser Körper unter uns als das uns unterstellte Gut. Demnach muss folgende Rangordnung der Liebe beobachtet werden. An erster Stelle wird Gott über alles und um seiner selbst willen, an zweiter unsere Seele unter Gott, aber über alles Geringere, an dritter unser Nächster neben uns als das uns ähnliche und an vierter Stelle unser Körper unter uns als das geringste Gut geliebt. Auf derselben Stufe steht auch der Leib des Nächsten, denn beide sind im Vergleich zum Geiste das mindere Gut.

Schließlich ist die Liebe Schwergewicht des Geistes und der Ursprung jeder Gemütsbewegung, die sich mit Vorliebe sich selbst zuwendet, schwieriger zum Nächsten strebt und am schwersten zu Gott emporrichtet. Obwohl man also vier Gegenstände aus Caritas lieben muss, ist dennoch ein doppeltes Gebot erlassen: eines, das zu Gott, ein anderes, das zum Nächsten hinleitet. - Alle Gebote aber beziehen sich entweder auf diesen oder jenen, also auf das Ziel oder das, was dorthin führt. So enthalten diese beiden alle Gebote und die Zusammenfassung der ganzen Schrift. Die Liebe ist Wurzel, Form und Ziel der Tugenden, indem sie alle mit dem Endziel verbindet und alles gleichzeitig und ordnungsgemäß untereinander verknüpft. Sie ist also das Schwergewicht der geordneten Neigungen und das Band jeder vollkommenen Gemeinschaft. Sie wahrt die richtige Ordnung in den Gegenständen der Liebe, im Affekt und in der Wirkung. Sie bildet einen eigenen Habitus durch das eine Ziel und den einen Hauptgegenstand, welcher der Beweggrund der Liebe zu allen übrigen ist; durch ihr Band sollen alle als Haupt und Glieder zu dem einen Christus verbunden werden, der alle zum Heil Berufenen in sich birgt. Diese Vereinigung beginnt jetzt in diesem Leben, wird aber in der ewigen Glorie vollendet nach dem Gebete des Herrn: "dass alle eins seien, wie auch wir eins sind, und ich in ihnen und du in mir, damit sie zur Einheit vollendet seien" (Joh 17, 22 ff). Hat das Liebesband dies bewirkt, so wird Gott alles in allem sein, im sicheren Besitze und vollkommenen Frieden der Ewigkeit. Dann werden alle durch die Liebe in einer geordneten Vereinigung und gemeinsamen Ordnung unauflöslich verknüpft.

9. Kapitel: Die Gnade zum Beobachten der Gebote und Räte

Darlegung: Im mosaischen Gesetze gibt es Straf-, Zeremonial- und Sittenvorschriften, nämlich die zehn Gebote des Dekalogs, welche der Finger Gottes auf zwei Tafeln geschrieben hat. Das evangelische Gesetz aber mildert die Strafvorschriften durch teilweise Aufhebung, das Zeremonialgesetz hebt es durch Erfüllung auf und das Sittengesetz vervollständigt es durch Ergänzung. Es fügt außerdem Belehrungen, Verheißungen und Räte hinzu, als da sind Armut, Gehorsam und Keuschheit. Zu ihrer Befolgung fordert unser Herr Christus den auf, der vollkommen sein will.

Begründung: Das Urprinzip ist in sich selbst höchst gut und darum in seinen Werken und in der gesamten Weltregierung absolut gerecht. Hohe Gerechtigkeit bekundet es also, für diese nicht nur bei sich selber, sondern auch bei anderen zu eifern. Sie besteht aber darin, dass man sich den Regeln des Rechtes angleicht. Darum muss die göttliche Gerechtigkeit dem Menschen ihre Regeln einprägen und zum Ausdruck bringen, nicht nur durch weise Belehrung, sondern auch durch Vorschrift und Verpflichtung vermöge ihres befehlenden Willens. Und da die Gnade unseren Willen dem göttlichen gleichförmig macht, kommt es ihr auch zu, uns zum Gehorsam und zur Unterwerfung unter jene Regeln der Gerechtigkeit hinzuleiten, wie das göttliche Gesetz erheischt.

Nun kann man aber den göttlichen Gesetzen aus einem doppelten Grunde gehorchen, nämlich aus Furcht vor Strafe, und so machen es die Unvollkommenen, oder aus Liebe zur Gerechtigkeit, und das tun die Vollkommenen. So hat Gott den Menschen ein doppeltes Gesetz gegeben: das der Furcht und das der Liebe; das eine, das zur Knechtschaft, das andere, das zur Adoptivkindschaft Gottes gebiert (Vgl. Röm 8q, 15; Gal 4, 24). Die Unvollkommenen, die aus Furcht handeln, müssen durch Strafgerichte erschreckt, durch Zeichen geführt und außerdem durch Gebote beherrscht werden. Also enthält das mosaische Gesetz, welches das der Furcht ist, Straf-, Zeremonial- und Moralvorschriften. - Für die Vollkommenen aber, die aus Liebe handeln, passt die offene Darlegung der Wahrheit, das weitherzige Verheißen der Belohnungen und die erhabene Vollkommenheit der Räte. Darum umfasst das evangelische Gesetz diese drei. Somit heißt es, das mosaische Gesetz unterscheide sich vom evangelischen, denn jenes sei Vorbild, dieses Wahrheit, jenes ein Gesetz der Strafe, dieses der Gnade, jenes ein buchstäbliches, dieses ein geistiges, jenes töte und dieses mache lebendig, jenes sei ein Gesetz der Furcht, dieses der Liebe, jenes der Knechtschaft, dieses der Freiheit, jenes belaste, dieses erleichtere.

Die Vorschriften zum Handeln nach der Gerechtigkeit sind in den göttlichen Geboten enthalten. Und die Gerechtigkeit besteht darin, jedem das Seine zu geben. Darum muss es einige Moralvorschriften geben, die uns zu Gott, andere, die uns zum Nächsten hinordnen an Hand des doppelten Gebotes der Liebe. Das wollte der Heilige Geist durch das Geheimnis der zwei Tafeln andeuten, und deshalb sagt man, sie seien mit dem Finger Gottes geschrieben. - Gott ist dreieinig, Vater, Sohn und Heilige Geist. Er ist als die höchste Majestät anzubeten, als die höchste Wahrheit zu bekennen und als die Liebe zu umfangen mit dem erregbaren, vernünftigen und begehrenden Seelenvermögen, mit Tat, Mund und Herz. Demgemäß enthält die erste Tafel drei Gebote, nämlich das der persönlichen Anbetung, des wahrhaftigen Schwörens und der Sabbatheiligung.

Der nächste ist ein Abbild der Trinität. Soweit er dem Vater nachgebildet ist, gebührt ihm Achtung, soweit er dem Sohn ähnelt Wahrhaftigkeit, und soweit er ein Bild des Heiligen Geistes ist, Güte. Aus diesem Grunde enthält die zweite Tafel sieben Gebote. Die Achtung schreiben zwei Gebote vor, eines, das sie fordert, z. B. den Vater zu ehren, das andere, das die Verachtung verbietet, z. B. nicht zu töten. Ein Gebot fordert die Wahrhaftigkeit, die hauptsächlich in Worten besteht, d. h. kein falsches Zeugnis zu geben. Vier Gebote regeln die Güte, der die Habgier und das sinnliche Begehren entgegenstreben, von denen jedes wieder in der Handlung oder in der Gesinnung bestehen kann, nämlich: du sollst nicht ehebrechen, nicht des Nächsten Frau begehren; du sollst nicht stehlen, du sollst nicht nach fremdem Gut trachten (Ex 20, 12 ff.; Deut 5, 18 ff). Diese Gebote ordnen sich nach dem größeren oder geringeren Grade der Verletzung der Gerechtigkeit. So müssen also die Vorschriften zu ihrer Aufrechterhaltung in zehn Geboten enthalten sein.

Die Gerechtigkeit ist aber dann vollkommen, wenn sie sich gänzlich fernhält von dem Bösen und seinen Triebkräften. Jede Sünde geht aus einer dreifachen Wurzel hervor, aus der Begehrlichkeit des Fleisches, derjenigen der Augen und der Hoffart des Lebens. Darum gibt es drei evangelische Räte, die uns auf vollkommene Weise von den drei genannten Grundübeln fernhalten. Sie werden deshalb Räte genannt, weil sie zur vollkommenen Loslösung von der Sünde uns nicht von dem Unerlaubten, sondern auch von jedem Erlaubten und Zugebilligten abhalten, die eine Gelegenheit zum Unrecht sein könnten. Sie schließen demnach nicht nur ein hinreichendes, sondern ein überfließendes Maß der Gerechtigkeit ein, wie es der evangelischen Vollkommenheit und der Übung der vollkommenen Gnade entspricht.

10. Kapitel: Die Gnade zum Bittgebet

Darlegung: Obwohl Gott überaus freigebig und bereitwilliger zum Schenken ist, als wir zum Empfangen, will er dennoch von uns gebeten sein, um Gelegenheit zu haben, die Gnadengaben des Heiligen Geistes zu spenden. - Er will aber, dass wir nicht nur betrachtend im Geist beten, d. h. durch eine Erhebung des Herzens zu Gott, sondern auch mündlich, indem wir das Gehörige von ihm erbitten. Dies geschieht nicht nur durch uns allein, vielmehr auch durch die Heiligen als durch die uns von Gott gegebenen Helfer, damit wir durch sie zu erlangen vermögen, was wir selbst zu erbitten nicht würdig sind. - Da wir aber "nicht wissen, was wir Gebührlicherweise erbitten sollen" (Röm 8, 26), hat Gott uns ein Mustergebet, das von ihm selbst stammt, hinterlassen, damit wir nicht im Ungewissen irren. Darin ist alles, worum man beten soll, in sieben Bitten zusammengefasst.

Begründung: Wie das Urprinzip höchst wahr und gut in sich selbst ist, so ist es auch barmherzig und gerecht in seinen Werken. Und weil es so das allerbarmherzigste ist, darum lässt es sich auch aufs großmütigste zu dem menschlichen Elend herab durch Verleihung seiner Gnade. Nun ist es aber auch gerecht und darum gibt es die vollkommene Gabe nur dem, der danach verlangt und seine Gnade nur dem, der dafür dankt. Es betätigt sein Erbarmen nur an dem, der sein Elend erkennt, damit die Willensfreiheit gewahrt bleibt, die Würde der Gabe nicht herabgemindert wird und die Ehre Gottes unangetastet steht. Sache des Bittenden ist es, die göttliche Hilfe herbeizuflehen, seinen eigenen Fehler zu bekennen und für die unverdient geschenkte Gabe zu danken. Darum bereitet das Gebet zum Empfang der göttlichen Gnadenerweise vor und Gott will gebeten sein, um sie auszuteilen.

Damit ferner unser Verlangen wirksam empordringe, um der göttlichen Gnadengaben teilhaftig zu werden, muss unsere Liebe glühend, unser Denken gesammelt und unser Vertrauen fest und sicher sein. Unser Herz ist aber häufig verzagt, zerstreut, vielfach auch furchtsam wegen der Gewissensbisse und wagt nicht, selbst vor das Antlitz Gottes zu treten. Darum will der Herr, dass wir nicht nur betrachtend beten, sondern auch mündlich, um durch die Worte unser Gemüt anzuregen und durch deren Sinn unsere Gedanken gesammelt zu halten. - Er wünscht auch, dass wir durch die Heiligen und diese für uns beten, um den Ängstlichen Vertrauen einzuflößen, und damit jene, die nicht selbst zu bitten wagen oder es nicht verstehen, durch geeignete Fürsprecher Gehör finden. Dadurch wird in dem Betenden die Demut gewahrt, die Würde der für uns eintretenden Heiligen anerkannt und die Liebe und Einheit in allen Gliedern Christi offenbar gemacht, indem die Niederen sich vertrauensvoll zu den Höheren hinwenden, und diese sich freigebig zu jenen, herablassen.

Der gerechte und barmherzige Gott darf endlich nur das erhören, was zu seiner Ehre und zu unserem Heile gereicht. Das ist der himmlische Lohn und der irdische Trost. Auf den ersten beziehen sich drei, auf den letzten vier Bitten. Aus diesen sieben besteht das Vaterunser, das uns lehrt, was wir nützlicherweise erflehen sollen. - Die auf die Ehre Gottes und den himmlischen Lohn zielenden Bitten erstreben diese drei: die Erkenntnis der Wahrheit, die Ehrfurcht vor der Majestät und die WiIlenseinmütigkeit mit Gott. Oder mit anderen Worten: es ist entweder die Schau der höchsten Wahrheit, die nur von Reinen und Heiligen erkannt wird, und darum bitten wir: geheiligt werde dein Name, d. h. die Kenntnis deines Namens möge den Vollkommenen, Reinen und Heiligen geschenkt werden; oder es ist die Behauptung jenes königlichen Höhenstandpunktes, durch den man das Reich besitzt, und darum bittet man: dein Reich komme zu uns; oder aber, es ist der Genuss des höchsten Gutes, das nur denen zuteil wird, deren Wille mit dem göttlichen übereinstimmt, wenn man betet: dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden. - Jene Bitten aber, die sich auf den Weg zum Himmel beziehen, haben entweder die Verleihung eines Gutes oder aber die Entfernung eines Übels zum Gegenstand. Jenes wird in dem täglichen oder eucharistischen Brote erbeten, worin alles enthalten ist, was zur Erhaltung des gegenwärtigen Lebens nach Seele und Leib erfordert wird. Die Entfernung des schädigenden Übels wird in den drei letzten Bitten erfleht. Jenes gehört entweder der Vergangenheit, Zukunft oder Gegenwart an. Man kann auch sagen, es sei Schuld, Kampf oder Strafe. Um Beseitigung der ersten fleht man in der Bitte um Vergebung der Schuld. Der Kampf wird durch den Sieg in der Versuchung überwunden, das dritte und letzte wird erfleht in der Befreiung vom Druck aller Übel. - Und so gibt es im ganzen sieben Bitten, die alles enthalten, was nur immer zu erflehen ist. So muss es auch sein, damit die Siebenzahl der Bitten derjenigen der göttlichen Gaben und der siebenfachen Gnaden entspreche.

Im Anschluss daran ist zu vermerken, dass die Heilige Schrift eine siebenfache Siebenzahl zur Betrachtung vorlegt, nämlich die der Hauptsünden, der Sakramente, der Tugenden, der Gaben, der Seligkeiten, der Bitten und der Geschenke der Glorie, der drei geistigen und vier leiblichen, wie später gezeigt wird. Es gibt zunächst sieben Laster, von denen wir uns fernhalten, sodann sieben Sakramente, mit deren Hilfe wir voranschreiten, an letzter Stelle sieben Gaben, die wir erbitten, an vorletzter Stelle sieben Bitten, in denen wir flehen; dazwischen sieben Tugenden, Gnaden und Seligkeiten, die wir durchlaufen müssen. Also sollen wir "siebenmal im Tage" (Ps 118, 164) den Namen des Herrn loben und ihn um seine siebenfache Gnade der Tugenden, Gaben und Seligkeiten bitten, damit wir siegen in dem siebenfachen Kampfe gegen die Hauptsünden und zu der siebenfachen Krone der himmlischen Gaben gelangen, unterstützt durch das siebenfache Heilmittel der uns von Gott geschenkten Sakramente zur Wiederherstellung des Menschengeschlechtes.

Sechster Teil: Das sakramentale Heilmittel

1. Kapitel: Ursprung der Sakramente

Nach Behandlung der Dreieinigkeit Gottes, der Schöpfung, Sündenverderbnis, Menschwerdung des Wortes und Gnade des Heiligen Geistes sind an sechster Stelle die sakramentalen Heilmittel zu erörtern. Darüber ist ein siebenfaches zu betrachten, nämlich Ursprung, Entwicklung, Verschiedenheit, Einsetzung, Ausspendung, Wiederholung und Beschaffenheit jedes einzelnen Sakramentes.

Darlegung: Die Sakramente sind sinnenfällige Zeichen, von Gott als Heilmittel eingesetzt, in denen die göttliche Kraft "unter der Hülle sichtbarer Dinge im Verborgenen wirkt"<ref> Isidor von Sevilla, Etymologiae VI c. 10 n. 40.</ref>, und zwar so, dass sie "durch Ähnlichkeit darstellen, kraft ihrer Einsetzung bezeichnen, dank der Heiligung eine geistige Gnade verleihen" <ref> Hugo von St. Victor, De sacramentis christ. fid. l p. 9 c. 2; vgl. zum folgenden c. 3.</ref>, wodurch die Seele von den Krankheiten der Sünden geheilt wird; und darum sind sie in ganz besonderer Weise Mittel zum Endziele. Sie dienen aber auch durch Verdemütigung, Erziehung und religiöse Betätigung zur Erreichung eines untergeordneten Zweckes.

Begründung: Das erlösende Prinzip, nämlich Christus der Gekreuzigte, das fleischgewordene Wort, verwaltet alles höchst weise, weil es Gott ist und heilt höchst barmherzig, weil es der menschgewordene Gott ist. Somit muss es das kranke Menschengeschlecht wiederherstellen und heilen, wie es dem Kranken, der Krankheit und dem Erkrankungsanlass sowie der Heilung dieser Krankheit entspricht. Das fleischgewordene Wort selber ist der Arzt, nämlich der unsichtbare Gott in der sichtbaren Natur. Der kranke Mensch, ist nicht nur der Geist, noch allein das Fleisch, vielmehr der Geist im sinnlichen Fleisch. Die Krankheit aber ist die Erbschuld, die den Geist mit Unwissenheit und das Fleisch mit Begehrlichkeit belastet. Der äußere Anlass dieser Schuld geht von den leiblichen Sinnen aus, obwohl sie 'selbst aus der Einwilligung der Vernunft entspringt. - Damit nun das Heilmittel all dem Genannten entspreche, darf es nicht nur ein geistiges, muss vielmehr auch ein sichtbares Zeichen sein. So soll das Sinnenfällige, welches der Seele ein Anlass zum Falle war, ihr auch eine Gelegenheit sein, wieder aufzustehen. Die äußeren Zeichen haben an sich keine wirksame Beziehung zur Gnade, mögen sie auch ihrer Natur nach eine entfernte Darstellung derselben sein. Darum muss der Urheber der Gnade sie einsetzen zur Bezeichnung und einsegnen zur Heiligung. So sollen sie kraft natürlicher Ähnlichkeit abbilden, durch hinzukommende Einsetzung bezeichnen, durch hinzugefügte Einsegnung heiligen und zur Gnade vorbereiten, durch die unsere Seele geheilt und gepflegt wird.

Die heilende Gnade wird aber Stolzen, Ungläubigen und Widerstrebenden nicht zuteil. Darum mussten diese sinnfälligen Zeichen von Gott so gegeben werden, dass sie außer der Heiligung und Begnadung sowie der daraus hervorgehenden Heilung auch noch durch ihre Bezeichnung unterwiesen, durch ihren Empfang demütigten und durch ihre Vielgestaltigkeit zur Betätigung anregten. Durch die Betätigung soll die Trägheit vom begehrenden Vermögen, durch die Erziehung die Unwissenheit vom vernünftigen und durch die Verdemütigung der Stolz vom erregbaren ausgeschlossen werden, damit so die ganze Seele durch die Gnade des Heiligen Geistes gesunde. Sie stellt uns in jenen drei Kräften nach dem Abbilde der Dreieinigkeit und Christi wieder her.

Endlich wird durch diese äußeren, von Gott eingesetzten Zeichen die Gnade des Heiligen Geistes empfangen und in ihnen von den Empfängern angenommen. Deshalb nennt man die Sakramente Gefäße und Ursache der Gnade, nicht als ob diese in ihnen wesenhaft enthalten wäre oder von ihnen ursächlich bewirkt würde; hat sie doch allein in der Seele ihren Platz und wird nur von Gott eingegossen; wohl aber weil in ihnen und durch sie die heilende Gnade aus dem höchsten Arzt, Christus, nach göttlichem Ratschluss geschöpft werden muss, trotzdem Gott in seiner Macht nicht an die Sakramente gebunden ist.

Aus dem Gesagten geht nicht nur der Ursprung, sondern auch der untergeordnete Zweck (usus) und der eigentliche Nutzen der Sakramente hervor. Ihr Ursprung ist Christus, der Herr, ihr Nebenzweck (usus) Betätigung, Unterweisung und Verdemütigung, ihre Frucht aber die Heilung und das Heil der Menschen. - Auch wird die Wirkursache offenbar, die göttliche Einsetzung, die Materialursache, die Darstellung des sichtbaren Zeichens, die Formalursache, die umsonst verliehene Heiligung und die Finalursache, die ärztliche Heilung der Menschen. Und weil die Bezeichnung sich nach der Form und dem Zwecke richtet, darum heißen sie gleichsam als heilende Heiligungsmittel Sakramente. Durch sie wird ja die Seele von dem Sündenschmutze zur vollkommenen Heiligung geführt. - Obwohl sie stofflich und sinnlich sind, müssen sie dennoch als heilig verehrt werden, da sie heilige Geheimnisse bezeichnen, auf die heiligen Charismata vorbereiten, vom heiligsten Gott verliehen werden, durch heilige Einsetzung und Segnung von ihm selber geweiht zur Verehrung des heiligsten Herrn in der heiligen Kirche bestimmt sind, so dass sie mit Recht Sakramente genannt werden müssen.

2. Kapitel: Entwicklung der Sakramente

Darlegung: Die Sakramente sind von Anbeginn an zur Heilung des Menschengeschlechtes eingesetzt, halten mit der Krankheit desselben gleichen Schritt und dauern fort bis ans Ende der Zeiten. Aber sie waren andere unter dem Natur-, andere unter dem Schrift- und noch andere unter dem Gnadengesetze. Unter allen diesen sind jeweils die späteren der Bezeichnung nach die klareren und der Gnadenwirksamkeit nach die vornehmeren. - Unter dem Naturgesetz gab es nämlich Gaben, Opfer und Zehnte. Unter dem geschriebenen Gesetze ist die Beschneidung eingeführt worden, dazu kamen die Sühnezeremonien und außerdem eine mannigfaltige Verschiedenheit von Gaben, Zehnten und Opfern. - Unter dem neuen Gesetze aber sind "die Sakramente an Zahl geringer, an Nutzen vorzüglicher, an Wirkkraft stärker<ref> Augustin, Contra Faustum IX c. 13 M 42, 207. </ref> und an Erhabenheit hervorragender. Sie stellen die Vollendung und zugleich die Erfüllung aller Sakramente dar.

Begründung: Das fleischgewordene Wort, das Prinzip unserer Wiederherstellung, der Quell und Ursprung der Sakramente, ist überaus gütig und weise. Weil es höchst gütig ist, ließ es nicht zu, dass die Krankheit der Sünde ohne das Heilmittel der Sakramente blieb. Weil es höchst weise ist, ordnete es nach der Verfügung seiner unveränderlichen, alles ordnungsgemäß regierenden Weisheit verschiedene und mannigfache Heilmittel an entsprechend den vielerlei Veränderungen in den verschiedenen Zeiten. Aber "seit dem Anfang, im Verlaufe der Zeit und als die Ankunft des Erlösers mehr und mehr heranrückte, wuchs auch immer mehr und mehr der Erfolg des Heiles und die Erkenntnis der Wahrheit. So war es angemessen, dass auch diese Zeichen des Heiles in der Zeitenfolge sich wandelten, damit die göttliche Gnadenwirksamkeit zum Heil zunehme und mit ihr die in den äußeren Zeichen enthaltene Bezeichnung deutlicher in Erscheinung trete"<ref> Hugo von St. Victor, De sacramentis christ. fid. I. p. 11 c. 6 M 176, 345 f. </ref>. So ist "zunächst durch die Gaben, dann durch die Beschneidung und zuletzt durch das Bad der Taufe ein Mittel zur Versöhnung und Rechtfertigung gestaltet und eingesetzt worden. Die Darstellung und Ähnlichkeit der Reinigung ist in der Gabe nur dunkel enthalten, in der Beschneidung schon deutlicher ausgedrückt und in der Taufe ganz augenfällig dargestellt"<ref> ebd. </ref>. So sind, wie Hugo<ref> ebd. </ref> sagt, "jene Sakramente der ersten Zeit wie Schatten, die der mittleren Zeit wie Zeichen und Abbilder und die der letzten, nämlich die der Gnadenzeit, wie die Verkörperung der Wahrheit", denn sie enthalten in sich die Wahrheit und die heilende Gnade, die sie vorstellen und spenden, was sie versprechen.

Ferner kann die Gegenwart der Wahrheit und Gnade, die unter dem Gesetze der Liebe verliehen wird, auf Grund ihrer Vortrefflichkeit und Mannigfaltigkeit in Handlung und Kraft durch ein einziges Zeichen nicht in gebührender Weise zum Ausdruck gebracht werden. Deshalb waren zu allen Zeiten und unter jedem Gesetze mehrere Sakramente gegeben, um jene Wahrheit und Gnade zu bezeichnen. Vor allem aber gingen unter dem vorbildenden Zeremonialgesetz viele und mannigfaltige Zeichen voraus, die durch ihre Vielfältigkeit die Gnade Christi in mannigfacher Weise ausdrücken und besser empfehlen sollten. Durch verschiedenartige Darbietungen sollten sie die Unmündigen stärken, die Unvollkommenen üben und die Hartherzigen durch Belastung beugen, unter das Joch der Gnade zwingen und so gewissermaßen erweichen.

Wenn endlich die Wahrheit kommt, weicht der Schatten und das hinweisende Vorzeichen verschwindet am erstrebten Ziele; denn ist dieses erreicht, so muss der Gebrauch und die Wirksamkeit des Vorzeichens aufhören. Als darum die Gnade kam, sind die alttestamentlichen Sakramente und Zeichen zugleich erfüllt und aufgehoben worden, waren sie doch Vorbilder der zukünftigen und gleichsam Herolde aus der Ferne. Die neuen Sakramente aber sind eingesetzt als Hinweis auf die gegenwärtige Gnade und als eine Art von Erinnerungszeichen an das Leiden Christi, das der Urquell und Ausgangspunkt der heilenden Gnade sowohl in uns, wie in jenen ist, die der Ankunft des Herrn vorausgingen. In letzteren waren sie verheißene, in ersteren sind sie verliehene Gabe. Dem Versprechen des Lohnes muss die Gnade folgen, weil es eingelöst werden muss, und zwar muss die verliehene reichlicher sein als die versprochene. Deshalb heiligt das Leiden Christi unmittelbar die Sakramente des Neuen Gesetzes und strömt reichlichere Gnade in sie hinein. So bereiteten die alten die neuen Sakramente vor und führen zu ihnen hin, wie der Weg zum Ziele, das Zeichen zum Bezeichneten, das Vorbild zur Wahrheit, oder wie das Unvollkommene auf das Vollkommene hinlenkt und vorbereitet.

3. Kapitel: Zahl und Verschiedenheit der Sakramente

Darlegung: Entsprechend der siebenfachen Gnade, die uns durch die sieben Zeitalter hinführt zum Ursprung, zur Ruhe und zum Kreise der Ewigkeit als zur Oktav der allgemeinen Auferstehung gibt es sieben Sakramente. - Ihr Tor ist die Taufe, dann folgen Firmung, Eucharistie, Buße, letzte Ölung, Weihe und Ehe, die an letzter Stelle steht wegen der mit ihr verbundenen Krankheit der Begierlichkeit, obwohl sie vor allen Sakramenten und vor jeder Sünde im Paradies eingesetzt war.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, der Herr Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, der da ist die Kraft und Weisheit Gottes und unser Erbarmer musste die Sakramente unter dem Gesetze der Gnade so machtvoll, so weise, so gütig, so zweckdienlich einsetzen, dass in Hinsicht auf unser gegenwärtiges Leben nichts zu unserer Heilung fehlte. Zur vollkommenen Heilung der Krankheit wirken nun diese drei zusammen: die Austreibung des Übels, die Herbeiführung der Genesung und die Bewahrung der geschenkten Gesundheit. - Zunächst also gehört zur völligen Heilung die vollkommene und restlose Vertreibung der Krankheit. Diese aber ist siebenfach ; drei ihrer Arten beziehen sich auf die Schuld, nämlich die Schuld der Erb-, der Tod- und der lässlichen Sünde, und vier auf die Strafe, nämlich Unwissenheit, Bosheit, Schwäche und Begehrlichkeit. "Was die Ferse heilt, heilt nicht das Auge", sagt nun aber Hieronymus<ref> Comment. in Marc. 9, 28 (unecht). </ref>. Um so diese siebenfache Krankheit vollkommen auszutreiben, bedarf es eines siebenfachen Heilmittels: gegen die Erbsünde der Taufe, gegen die Todsünde der Buße, gegen die lässliche Sünde der letzten Ölung, gegen die Unwissenheit der Weihe, gegen die Bosheit der Eucharistie, gegen die Schwäche der Firmung, gegen die Begehrlichkeit der Ehe, welche jene mäßigt und entschuldigt.

Die restlose Heilung ist sodann nur durch völlige Wiederherstellung der Gesundheit möglich. Diese aber besteht in der Übung der sieben Tugenden, der drei theologischen nämlich und der vier Kardinaltugenden. Um ihre vollkommene Betätigung wieder zu ermöglichen, müssen daher sieben Sakramente eingesetzt werden. Die heilende Taufe nämlich befähigt zum Glauben, die Firmung zur Hoffnung, die Eucharistie zur Liebe, die Buße zur Gerechtigkeit, die letzte Ölung zur Beharrlichkeit, welche die Vervollständigung und Zusammenfassung der seelischen Stärke ist, die Weihe zur Klugheit, die Ehe zur Bewahrung der Mäßigkeit, die am meisten von der Schwäche des Fleisches leidet, doch geheilt wird durch die Ehrbarkeit des Ehestandes.

Schließlich kann die vollkommene Heilung nicht ohne die Bewahrung der einmal erlangten Gesundheit erreicht werden. Diese aber vermag in Schwierigkeiten und Kämpfen nur in der Kirche behauptet zu werden, die "machtvoll wie ein wohlgeordnetes Kriegsheer ist" (Hld 6, 3. 9). Das aber wird erreicht durch die siebenfache Waffenrüstung der Gnade. Demnach muss es sieben Sakramente geben. Da es aber aus gebrechlichen Gliedern besteht, bedarf dies Kriegsheer der stärkenden, erhebenden und erneuernden Sakramente, um so vollkommen und lückenlos gefestigt zu sein, und zwar der befestigenden für seine Streiter, der erhebenden für seine Fallenden, der erneuernden für seine Sterbenden. Die befestigenden Sakramente stärken entweder die Eintretenden, und das bewirkt die Taufe, oder die bereits eingegliederten, und das leistet die Firmung, oder die Scheidenden, und das vollbringt die letzte Ölung. - Die erhebenden aber richten entweder von der lässlichen Sünde auf, und das bewirkt die Eucharistie, oder von der Todsünde, und das tut die Buße. - Die erneuernden endlich beleben das geistliche Leben, das erzielt die Weihe, der die Verwaltung der Sakramente obliegt, oder das natürliche Leben, und das erstrebt die Ehe, die vor allen übrigen eingeführt ist, weil sie zur Vervielfältigung des natürlichen Lebens beiträgt, auf dem alles beruht. Sie steht unter den geistlichen Heilmitteln an letzter Stelle und nimmt den untersten Platz ein wegen der im Zusammenhang mit ihr auftretenden Begehrlichkeit und weil sie am wenigsten heiligend wirkt, wiewohl sie der Bedeutung nach ein großes Sakrament ist (Vgl. Eph 5, 32). Weil die Taufe das Sakrament der Eintretenden, die Firmung das der Kämpfenden, die Eucharistie das der Kraftschöpfenden, die Buße das der Wiederaufstehenden, die letzte Ölung das der Hinscheidenden, die Weihe das der Einführung neuer Streiter, die Ehe dasjenige ihrer Erzeugung ist, leuchtet deutlich die Vollständigkeit, die hinreichende Zahl und die Ordnung der sakramentalen Heilmittel und Waffenrüstung ein.

4. Kapitel: Einsetzung der Sakramente

Darlegung: Christus, der Mittler des Neuen Bundes und sein vorzüglicher Gesetzgeber, setzte sieben Sakramente unter dem Gesetze der Gnade ein. Durch dieses lud er zu den ewigen Verheißungen, gab leitende Vorschriften und setzte heiligende Sakramente ein. - Er gestaltete sie nach Wort und Element zur klaren Bedeutung und wirksamen Heiligung, und zwar so dass sie wohl immer richtig bezeichnen, aber nicht immer heilend wirken. Dieser Mangel liegt aber nicht an ihnen selbst, sondern an dem Empfänger. Christus ordnete jedoch die genannten Sakramente auf verschiedene Art an, einige unter ihnen durch Bestätigung, Gutheißung und Vollzug wie Ehe und Buße, andere durch Vorbildung und Grundlegung wie Firmung und letzte Ölung und wieder andere durch Grundlegung, Vollzug und eigenen Empfang wie Taufe, Eucharistie und Weihe. Diese drei hat er vollständig eingesetzt und als erster auch empfangen.

Begründung: Das Prinzip unserer Erlösung ist Christus, der Gekreuzigte, das fleischgewordene Wort, welches als das dem Vater ebenbürtige und wesensgleiche Wort von höchster Kraft, Wahrheit und Güte ist und eben darum auch von höchster Autorität. Ihm kommt es deshalb auch zu, das Neue Testament einzuführen und das vollständige und hinreichende Gesetz zu erlassen, wie es seiner höchsten Kraft, Wahrheit und Güte entspricht. Auf Grund seiner höchsten Güte nun gab es beseligende Verheißungen, auf Grund seiner höchsten Wahrheit erließ es führende Gebote und auf Grund seiner höchsten Kraft stiftete es stützende Sakramente. So sollten durch diese die Kräfte zur Erfüllung der leitenden Gebote wiederhergestellt werden, damit man durch sie zu den ewigen Verheißungen gelange. All dieses bewirkte Christus der Herr, das ewige Wort, im evangelischen Gesetze als "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14, 6).

Das wiederherstellende Prinzip ist ferner nicht nur das reine Wort, sondern auch das fleischgewordene Wort; als solches aber bietet es sich allen als erkennbare Wahrheit und denen, die würdig zu ihm hintreten, als heilende Gnade dar. "Voll der Gnade und Wahrheit" (Joh 1, 14), hat es darum zur größeren Klarheit der Bezeichnung und wirksameren Heiligung die Sakramente nach Element und Wort eingesetzt. So sollten sie in ihrer bezeichnenden Bedeutung schärfer hervortreten, indem sich die Elemente den Augen und die Worte den Ohren darboten. Diese zwei sind ja die wichtigsten Erkenntnisorgane. Alsdann sollten die Worte die Elemente heiligen, damit die Wirkkraft der Heilung des Menschengeschlechtes vollkommen würde. Diese wird allerdings keiner bei sich erfahren, der dem Gnadenquell im Innern hartnäckig widersteht. Die Sakramente sind deshalb so eingerichtet, dass sie immer und überall bezeichnen, dagegen nur den heiligen, der würdig und in redlicher Absicht hinzutritt.

Obgleich schließlich das fleischgewordene Wort der Urquell der sakramentalen Gnade ist, so wurde diese doch zum Teil vor der Menschwerdung verliehen, zum Teil auch erst nach der Sendung des Heiligen Geistes, teilweise endlich in der Zwischenzeit. Darum müssen die Sakramente auf verschiedene Art eingesetzt sein. Vor der Menschwerdung schon war sühnende Reue und eheliche Zeugung erfordert. Darum hat Christus diese beiden Sakramente nicht gestiftet, sondern die bereits vorhandenen und bis zu einem gewissen Grade durch das Naturgesetz gewiesenen Sakramente unter dem evangelischen Gesetze vollendet und bestätigt, indem er die Buße predigte, der Hochzeit beiwohnte und das Gesetz der Ehe guthieß, wie wir es an verschiedenen Stellen der Evangelien finden (Mt 4, 17; Mk 1, 14; Joh 2, 1 ff.; Mt 19, 4) - Vor der Sendung des Heiligen Geistes gab es weder die vollständige Gabe desselben zur Befestigung und zum öffentlichen Bekenntnisse des Namens Christi, noch die vollkommene Salbung der Seele zum Heimgang. Darum hat Christus diese beiden Sakramente, die Firmung und letzte Ölung nämlich, nur grundgelegt und vorgebildet, und zwar die erstere, indem er den Kindern die Hände auflegte und seinen Jüngern voraussagte, sie würden mit dem Heiligen Geiste getauft werden; die letzte Ölung aber, indem er die Jünger aussandte, die Kranken durch Salbung mit Öl zu heilen, wie bei Markus (6, 13) geschrieben steht. - In der Zwischenzeit aber vollzog sich die Wiederherstellung und die Weihe der Kirche sowie die geistliche Speisung. Darum hat der Herr die drei Sakramente der Taufe, Eucharistie und Weihe vollständig und deutlich eingesetzt. Die Taufe zuerst dadurch, dass er sie selber empfing, sodann indem er ihr die Form gab und sie den übrigen verkündete. Die Weihe, indem er zuerst die Vollmacht verlieh, die Sünden des Menschengeschlechtes zu behalten oder zu vergeben und die Gewalt, das Altarssakrament zu vollziehen. Die Eucharistie endlich, indem er sich mit dem Weizenkorne verglich und das Sakrament seines Fleisches und Blutes unmittelbar vor seinem Leiden vollzog und den Jüngern darbot. - Somit mussten diese drei Sakramente durch den Herrn deutlich und vollständig eingesetzt und im Alten Testament auf mannigfache Art vorgebildet werden als wesenhafte Hauptsakramente des Neuen Bundes, dessen Gesetzgeber, dem menschgewordenen Worte, sie besonders eignen.

5. Kapitel: Spendung der Sakramente

Darlegung: Die Vollmacht der Sakramentenspendung kommt ordnungsgemäß nur den Menschen zu. - Dabei ist stets die Meinung des Spenders von Wichtigkeit. - Bei einzelnen muss außerdem noch die Priester- oder Bischofsweihe hinzukommen. Die Bischofsweihe, sage ich, ist zur Erteilung der Firmung und Weihe nötig; die Priesterweihe aber zur Spendung der Eucharistie, der Buße und der letzten Ölung. Die Taufe und Ehe hingegen, obwohl sie eigentlich den Priestern zustehen, können in Wirklichkeit, besonders im Notfalle, auch ohne Priester empfangen werden. - Unter diesen Voraussetzungen nun dürfen Sakramente von Guten und Bösen, Gläubigen und Häretikern in und außerhalb der Kirche gespendet werden, innerhalb der Kirche jedoch gültig und fruchtbringend, außerhalb derselben hingegen ohne Frucht, wenngleich gültig.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, hat als Gott und Mensch die Sakramente zum Heile der Menschen eingesetzt. Es hat dementsprechend angeordnet, dass sie auch mit Hilfe der Menschen gespendet werden, um so die Ähnlichkeit des Spenders mit dem Erlöser Christus zu wahren und den Menschen selbst zu retten. Da nun Christus, der Erlöser, uns so rettete, wie es die Billigkeit des Rechtes, die Würde des Standes und die Sicherheit des Heils verlangte, wirkte er unser Heil in rechter, geordneter und sicherer Weise. Entsprechend diesen drei Anforderungen übertrug er darum die Spendung der Sakramente den Menschen. - Die Billigkeit des Rechtes forderte zunächst, dass die Tätigkeit des mitwirkenden Geschöpfes als Mensch nicht in überstürzter Weise geschehe, als Diener Christi in etwa auf Christus hinbezogen und als Helfer zu unserem Heile irgendwie im allgemeinen oder im besonderen auf diese hingeordnet werde. Die Spendung der Sakramente ist demnach das Werk des Menschen in seiner Eigenschaft als Vernunftswesen, als Diener Christi und als Helfer zum Heil. Deshalb muss sie in der bestimmten Meinung erfolgen zu vollziehen, was Christus zu unserem Heil angeordnet hat oder wenigstens, was die Kirche tut, worin dann im allgemeinen die vorerwähnte Meinung eingeschlossen ist; denn wie die Kirche die Sakramente vom Herrn empfangen hat, so teilt sie dieselben an die Gläubigen zu ihrem Heil aus.

Des weiteren gebietet die Rangordnung, dass das Höhere dem Höheren, das Niedere dem Niederen und das Mittlere dem Mittleren anvertraut werde. Nun gibt es Sakramente, die vor allem hervorragende Kraft und Würde verleihen, wie das der Firmung und Weihe, andere, die das Notwendige vermitteln, wie die Taufe und Ehe, wovon die letztere das Leben gibt, die erstere es wiederverleiht, dazwischen endlich andere, wie die Eucharistie, Buße, und letzte Ölung. Deshalb dürfen die erstgenannten als die hervorragendsten nur vom Bischof oder Papst gespendet werden, und zwar nach allgemeinem Rechte. Andere wiederum, sozusagen die geringsten, können von Personen jeden Weihegrades, und vor allem im Notfall auch von noch geringeren gespendet werden, wobei ich die Taufe im Auge habe. Die mittleren können nur von Priestern erteilt werden, die zwischen den Bischöfen und den Laien gleichsam in der Mitte stehen.

Endlich verlangte die Heilssicherheit, dass jeder Zweifel bei dem Vollzug ausgeschlossen sei. Da aber niemand über die sittliche Verfassung und den Glauben des Spenders Sicherheit besitzt, ja der Betreffende selber nicht einmal mit Gewissheit weiß, "ob er der Liebe oder des Hasses würdig ist" (Sir 9, 1), hätte keiner über den gültigen Empfang der Sakramente Sicherheit, wenn diese nur von Guten erteilt werden könnten. Infolgedessen müssten sie immer wiederholt werden und die Unwürdigkeit des einen könnte das Heil des anderen benachteiligen. Dann herrschte aber auch in den Rangstufen der streitenden Kirche, die ja vor allem auf der Sakramentenspendung beruhen, keine Festigkeit. Daher war es durchaus richtig, dass die Spendung dieser Gnadenmittel dem Menschen nicht in Rücksicht auf seine Heiligkeit, die ja mit dem Willen wandelbar ist, anvertraut wurde, sondern auf Grund der Autorität, die an sich unerschütterlich dasteht. Also musste sie sich auch auf Gute und Böse, auf Glieder und Nichtglieder der Kirche erstrecken. - Da nun aber, abgeschnitten von der Einheit des Glaubens und der Liebe, die uns zu Söhnen und Gliedern der Kirche macht, niemand gerettet werden kann, empfängt man außerhalb der Kirche die Sakramente nicht zum Heil, wenngleich sie wahre Sakramente sind. Sie können aber immerhin fruchtbar werden, wenn der Empfänger zur heiligen Mutter Kirche zurückkehrt, der einzigen Braut Christi, deren Kinder der Bräutigam Christus allein der ewigen Erbschaft würdig erachtet. Darum schreibt Augustin gegen die Donatisten<ref> De baptismo contra Donat. c. 1 n. 2 M 43, 10 f. </ref>: "Die schon im Paradies vorgebildete Kirche weist uns darauf hin, dass man ihre Taufe wohl außerhalb derselben empfangen könne, aber das ewige Heil kann außer ihr niemand erlangen oder bewahren. Es ist allgemein bekannt, dass die Paradiesesflüsse der Schrift zufolge sich auch nach außen hin reichlich ergossen; es wird sogar namentlich erwähnt, durch welche Länder sie fließen und was sie dort bewirkt haben. Aber weder in Mesopotamien noch in Ägypten, die sie durchströmten, herrscht jene selbe Glückseligkeit des Lebens, von der beim Paradies die Rede ist. Wenn darum auch das Wasser außerhalb desselben war, so war die Seligkeit doch nur im Paradies. So also kann die Taufe auch losgelöst von der Kirche sich vorfinden, die ewige Seligkeit aber ist nur innerhalb der Kirche zu erlangen, die auf den Fels begründet ist und die Vollmacht zu binden und zu lösen erhalten hat. Sie ist die eine, die alle Macht ihres Herrn und Bräutigams besitzt. Durch diese (geistige) Zeugungsmacht kann sie auch der Magd Kinder erwecken, die, wenn sie sich nicht überheben, zur Erbschaft berufen werden, andernfalls aber ausgeschlossen bleiben. Weil wir für die Ehre und Einheit der Kirche kämpfen, schreiben wir das, was wir davon auch bei den Häretikern finden, nicht diesen selber zu; doch belehren wir sie durch den Vorwurf, dass das, was sie von der Einheit haben, zum Heil nicht ausreicht, wenn sie nicht zur einen Kirche gelangen."

6. Kapitel: Wiederholung der Sakramente

Darlegung: Im allgemeinen werden die Sakramente bei derselben Person und Materie und aus demselben Grunde nicht wiederholt, damit ihnen kein Schimpf angetan werde. Im einzelnen aber gibt es drei Sakramente, die niemals wiederholt werden können, nämlich Taufe, Firmung und Weihe. Durch diese wird ja ein dreifacher, innerer Charakter aufgeprägt, der unauslöschbar ist. Seine Grundlage bildet der Taufcharakter, so dass die anderen ohne ihn nicht verliehen werden können. - Wird darum jemand ungetauft geweiht, so empfängt er kein Sakrament, vielmehr muss die Weihe ganz von neuem vorgenommen werden, denn "man kann da nicht von Wiederholung sprechen, wo, wie man weiß, nichts geschehen ist"<ref> Innozenz III. in C. Veniens X. de presbytero non baptizato (lib. III tit. 43) und in C. Tunc litterae1, X. de clerico per saltem promoto (lib. V. tit. 29). </ref>.

Begründung: Unser wiederherstellendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, tut auf Grund seiner höchsten Kraft, Weisheit und Güte nichts unwirksam, unvernünftig und fruchtlos. In erster Linie muss dieses in seinen vornehmsten Werken zutreffen, zu denen die Erlösung des Menschengeschlechtes zählt. Da die Sakramente auch dazu gehören, würde ihnen eine Unehre zugefügt, wenn sie über dieselbe Materie und Person aus demselben Grunde wiederholt würden. Es würde dadurch ja offenkundig, dass die frühere Spendung unwirksam, sinnlos und fruchtlos gewesen sei entgegen der höchsten Kraft, Weisheit und Güte des wiederherstellenden Prinzips, die stets in und bei jedem Sakramente sich wirksam erweisen.

Nun sind ferner unter den wiederherstellenden Sakramenten, in denen sich die göttliche Kraft zur Erlösung des Menschengeschlechtes allgemein betätigt, einige nur zur Heilung der Krankheiten eingeführt, andere außerdem auch zur Begründung, Unterscheidung und Weihung der hierarchischen Stufen in der Kirche. Die Krankheiten nun können wechseln, verschwinden und wiederkommen; die kirchlichen Rangstufen aber müssen fest, sicher und unerschütterlich sein. Darum haben die auf wiederholbare Krankheiten bezüglichen Sakramente nur eine vorübergehende Wirkung und sind deshalb auch selbst aus einem neuen Anlass wiederholbar. Jene Sakramente jedoch, welche die kirchlichen Rangstufen begründen und bestimmte Stände im Glaubensleben markieren, müssen außer den heilenden Wirkungen auch andere bleibende haben, und zwar zur festen und ständigen Unterscheidung der Grade und Stände der Kirche. Das kann aber nicht durch natürliche Gaben, auch nicht durch die Heiligmachende Gnade, sondern muss durch Zeichen an einer unzerstörbaren Substanz geschehen. Diese sogenannten Charaktere werden der unvergänglichen Seele durch das unversehrbare Prinzip unvernichtbar, unauslöschbar und gnadenhaft zur Verähnlichung eingeprägt. Da sie unverwüstlich sind, können sie nicht wiederholt werden und ebensowenig jene Sakramente, die sie aufprägen.

Dreifach ist endlich der Glaubensstand, der einen Unterschied hier im christlichen Volke, der Schlachtreihe der kirchlichen Hierarchie, begründet, nämlich der Stand des erzeugten, des gefestigten und des vermehrten Glaubens. Der erste unterscheidet die Gläubigen von den Ungläubigen, der zweite die Starken von den Weichlichen, der dritte die Kleriker von den Weltchristen. Die diesen besprochenen dreifachen Glaubensstand begründenden Sakramente prägen darum einen Charakter ein. Durch diese unauslöschliche Einprägung unterscheiden sie für immer, und darum können sie nicht wiederholt werden. Die Taufe bezieht sich auf den erzeugten Glauben, durch den sich das Volk Gottes von den Ungläubigen unterscheidet, wie die Israeliten von den Ägyptern. Die Firmung betrifft den befestigten Glauben, wodurch sich die Starken von den Schwachen absondern wie die Kämpfer von jenen, die zum Kriege nicht geeignet sind. Und die Weihe geht den Stand des vermehrten Glaubens an, durch den sich der Klerus vor den Weltchristen auszeichnet wie die Leviten von den übrigen Stämmen. Darum wird nur durch diese drei Sakramente ein Charakter verliehen.

Da nun die Unterscheidung des Volkes vom Nichtvolke die ursprüngliche bildet, so ist der Taufcharakter das Fundament der übrigen. Liegt er deshalb nicht zugrunde, so kann nichts aufgebaut, es muss vielmehr ganz neu angefangen werden. Ist er aber vorhanden, so können auch die anderen unauslöschlich eingeprägt werden. Ebensowenig darf man die drei genannten Sakramente, die jene Charaktere verleihen, aus irgendeinem Grunde von neuem spenden, und solchen, die es tatsächlich tun, ist wegen der Verunehrung eines göttlichen Sakramentes eine schwere Strafe aufzuerlegen. Die übrigen vier Sakramente können hingegen aus verschiedenen Gründen ohne Herabwürdigung wiederholt werden.

7. Kapitel: Wesen und Beschaffenheit der Taufe

An siebenter Stelle betrachten wir die Beschaffenheit eines jeden der sieben Sakramente. Zuerst ist über die der Taufe, das Tor der übrigen, zu reden.

Darlegung: Zu ihrer Gültigkeit ist das mündliche Aussprechen folgender von Gott eingesetzter Formel nötig: "Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen." Es muss geschehen ohne Beifügung oder Weglassung eines Wortes, ohne Umstellung der oben genannten Ordnung und ohne Veränderung der bezeichneten Namen. - Auch ist die Untertauchung oder Abwaschung des ganzen Körpers oder wenigstens eines edleren Körperteiles mit Wasser nötig, so dass das Aussprechen und Eintauchen von derselben Person und zur selben Zeit geschieht. - Erfolgt all dieses in redlicher Absicht, so wird dem Täufling die wiedergebärende, rechtfertigende und von aller Schuld reinigende Gnade verliehen. - Zur Steigerung der Wirksamkeit sind als vorbereitende Handlungen Glaubenskundgebung und Teufelsaustreibung vorauszuschicken, sowohl bei Kindern wie auch bei Erwachsenen. Bei letzteren aber wird der eigene Glaube verlangt, bei den kleinen Kindern hingegen genügt der stellvertretende.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, stellt als das aufs vollkommenste und ganz vollständig wirksame das Menschengeschlecht durch die Heilmittel der Sakramente wieder her und zwar so, dass in diesen nichts überflüssiges, nichts Ungeordnetes aber auch nichts Fehlendes ist. Darum musste Christus anordnen, dass das Sakrament der Taufe wie die anderen Sakramente entsprechend seiner Kraft, unserem Heil und unserer Krankheit beschaffen sei. - Die uns erlösende Kraft ist die der ganzen Dreifaltigkeit, welche die heilige Mutter Kirche mit dem Herzen glaubt, mit dem Munde bekennt und mit Zeichen ausdrückt unter Einhaltung der Verschiedenheit und Besonderheit der Ordnung und des natürlichen Ursprunges der drei Personen. Es ist aber auch die Kraft des Leidens Christi, der gestorben ist, begraben wurde und am dritten Tage wieder auferstand. Um dieses nun im ersten aller Sakramente zum Ausdrucke zu bringen, in welchem zuerst und hauptsächlich diese Kraft wirksam ist, muss nach der allgemein üblichen Formel die allerheiligste Dreifaltigkeit in bestimmter, ihr eigentümlicher und geordneter Bezeichnung wörtlich genannt werden. Allerdings genügte in der Urkirche die Taufe im Namen Jesu, der dem Sinne nach die Trinität enthält<ref> Die Scholastiker waren gestützt auf Apg. 2, 38; 8, 12. 16; 10, 48; 19, 5 der Ansicht, dass die Apostel unter Anwendung der Form: "Ich taufe dich im Namen Christi" die Taufe gültig gespendet hätten. Doch ist diese Auffassung längst zugunsten der Meinung aufgegeben, dass die Taufe im Namen Christi" nur die Spendung der Taufe im Auftrage und in der Kraft Christi bedeuten solle. </ref>. Auch muss das Taufen wörtlich und an richtiger Stelle erwähnt werden zugleich mit dem dreimaligen Untertauchen zur Bezeichnung des Todes Christi, seines Begräbnisses und seiner Auferstehung nach drei Tagen; so gehört es sich. Und weil in dem einen Erlöser Christus beide Naturen zusammenwirken, darum muss auch beides (Wort und Handlung) von derselben Person und zur selben Zeit gesetzt werden zur Wahrung der Einheit des Sakramentes und zur Bezeichnung der Einheit unseres Erlösers.

Unser Heil muss ferner mit der Wiedergeburt oder Wiedererneurung anfangen durch die das geistliche Leben verleihende Gnade. Sie bewirkt das Abstreifen der Unreinigkeit, die Verscheuchung der Finsternis, die Milderung der Begehrlichkeit, die ausnahmslos jeden Adamssprößling befleckt. Darum muss das erste zur Wiedergeburt führende Sakrament in einem Elemente vollzogen werden, das dank seiner natürlichen Darstellungskraft eine Ähnlichkeit mit den erwähnten dreierlei Wirkungen der unser Heil begründenden Gnaden aufweist. Da nun das Wasser durch seine Lauterkeit reinigt, durch seine Durchdringbarkeit ein Lichtträger ist, durch seine Frische abkühlt und unter allen Flüssigkeiten die häufigste ist, muss das Sakrament unserer Wiedergeburt in einem beliebigen Wasser vollzogen werden, weil ein Wasser von derselben Art ist, wie das andere. So kann das etwaige Fehlen des Elementes keines Menschen Heil in Gefahr bringen.

Unsere Krankheit endlich, gegen die sich die Taufe in erster Linie richtet, ist die Erbsünde. Sie beraubt die Seele des Gnadenlebens und der zu allen Tugenden befähigenden Rechtheit, auch macht sie geneigt zu jeder Art von Sünde. Sie wird vererbt und veranlagt schon die kleinen Kinder zur bösen Lust und gibt die Erwachsenen ihr anheim. Sie führt in die Teufelsknechtschaft und in die Macht des Fürsten der Finsternis. All diesem wirkt die Taufe in hinreichender Weise entgegen, indem sie die Beraubung des Übernatürlichen Lebens durch die wiederherstellende Gnade aufhebt, dem Mangel der zum Guten befähigenden Tugend abhilft durch sieben Tugendgaben der gerechtmachenden und endlich die von aller Schuld reinigende Gnade als Gegenmittel gegen die Hinneigung zu jedweder sündhaften Unordnung verleiht.

Weil also die Erbsünde uns von anderen überkommen ist und den Unmündigen der bösen Lust zugänglich macht, während sie dieselbe im Erwachsenen wirksam werden lässt, ist bei den letzteren persönlicher Glaube und Reue notwendig, für die Kleinen hingegen genügt der stellvertretende Glaube, nämlich derjenige der Gesamtkirche. Die Taufe dient dazu, sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen aus der Satansknechtschaft und Gewalt des Fürsten der Finsternis zu befreien. Deshalb muss über beide eine Austreibungsformel der feindliche Mächte ausgesprochen werden. Auch müssen beide über den Glauben befragt werden, die Erwachsenen zur Verscheuchung der Finsternis des Irrtums und zur Belehrung im Glauben; die Kinder hingegen, damit die Paten wissen, worin sie diese zu unterrichten haben. So wird verhütet, dass durch menschliche Mängel der Zweck dieses Sakramentes vereitelt werde.

8. Kapitel: Beschaffenheit der Firmung

Darlegung: Zum Wesen der Firmung gehört die mündliche Formel, die für gewöhnlich lautet: "Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des Kreuzes und stärke dich mit dem Chrisam des Heiles im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen." - Auch Chrisam gehört dazu, welches aus Olivenöl und Balsam bereitet wird. Das Sakrament der Firmung wird dadurch empfangen, dass der Bischof mit diesem Öl die Stirne bezeichnet und dabei die oben genannten Worte spricht. So wird der Mensch zum kühnen Kämpfer und öffentlichen Bekenner des Namens Christi gestärkt.

Begründung: Unser wiederherstellendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, das von Ewigkeit her im Schoß des Vaters empfangen wurde und in der Zeit im sichtbaren Fleisch den Menschen erschien, stellt keinen wieder her, der nicht Christus im Herzen gläubig aufnimmt und, gläubig geworden, ihn äußerlich bekennt. Ein solch wahrhaftes Bekenntnis kommt aus der vollen Wahrheit, die nicht so sehr eine spekulative, als vielmehr eine praktische ist. Sie besteht nämlich nicht nur in der Übereinstimmung von Begriff, Wort und Gegenstand, sondern darin, dass auch der ganze Mensch sich der Wahrheit anpasst in der Einsicht seines Verstandes, im Wohlgefallen seines Willens und in der Anhänglichkeit seiner Liebeskraft ; diese aber soll hervorgehen "aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus ganzem Gemüte" und einem "reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem ungeheuchelten Glauben" (Mk 12, 30-31 Tim 1, 5) entstammen. Das ist also ein vollständiges, ein genehmes und ein furchtloses Bekenntnis, vollständig auf Grund seines Inhaltes, genehm mit Rücksicht auf den, vor dem es abgelegt wird. Dazu aber ist der kleinmütige Mensch nur dann imstande, wenn er von der Gnadenhand Gottes gefestigt wird. Und darum ist das Sakrament der Firmung vom Herrn unmittelbar nach der Taufe eingesetzt.

Da nun der Zweck das Mittel bestimmt, muss die Beschaffenheit dieses Sakramentes dem erwähnten Bekenntnisse und seinen drei Bedingungen entsprechen. Zunächst muss also das Bekenntnis vollständig sein. Das ist es aber nur dann, wenn jemand bekennt, dass Christus als wahrer Mensch für die Menschen gekreuzigt wurde, dass er als wahrer Sohn Gottes Fleisch geworden, dass er in der Trinität dem Vater und dem Heiligen Geist in allem wesensgleich ist. Darum wird in der mündlichen Formel nicht nur der Akt der Firmung ausgedrückt, sondern auch das Kreuzzeichen und der Name der Heiligsten Dreifaltigkeit.

Ferner soll das Bekenntnis dem wohlgefällig sein, vor dem es abgelegt wird und dies geschieht vor Gott und den Menschen. Gott aber kann es nur gefallen, wenn das Licht der Erkenntnis und die Reinheit des Gewissens, dem Nächsten nur, wenn der Wohlgeruch des guten Rufes und des ehrbaren Lebens vorhanden ist. Um dieses im äußeren Zeichen zum Ausdruck zu bringen, wird das glänzende Olivenöl mit dem wohlriechenden Balsam vermischt. Dadurch soll angedeutet werden, dass jenes Bekenntnis, auf das dies Sakrament hinordnet und wozu es vorbereitet, die Reinheit des Gewissens und der Erkenntnis verbinden muss mit dem süßen Duft des Lebens und der Sitten, damit kein Gegensatz zwischen Rede und Gewissen oder Wort und Ruf sei, der ein solches Bekenntnis den Menschen unannehmbar und dem Herrn missfällig machte.

Endlich muss dieses Bekenntnis furchtlos sein, damit weder Scham noch Angst daran hindere, die Wahrheit zu sagen, noch der Mensch sich scheue oder erröte, in der Zeit der Verfolgung den schmählichen Kreuzestod Christi öffentlich zu bekennen vor allem aus Furcht, einer ähnlichen Strafe und einem gleich schimpflichen Leiden zu verfallen. Diese Angst und Scham zeigen sich am meisten im Antlitz und zwar vor allem auf der Stirn. Darum wird die stärkende Hand zu ihrer vollständigen Vertreibung aufgelegt; und das Kreuz wird auf die Stirne gezeichnet, damit diese nicht erröte beim öffentlichen Bekenntnis, noch sich des Namens Christi schäme, ja wenn nötig, der Gefirmte größte Strafe und Schmach ertrage als ein wahrer, zum Streite gesalbter Kämpfer und tapferer Soldat, der auf der Stirn das Zeichen seines Königs und die Triumpffahne seines Kreuzes trägt, die ihn befähigt, die Reihen der Feinde sicher zu durchbrechen. Der kann nämlich den Ruhm des Kreuzes nicht freimütig verkünden, der seine Schmach und Schande fürchtet; sagt doch der heilige Andreas: "Wenn ich mich der Schmach des Kreuzes schämte, würde ich seine Herrlichkeit nicht verkünden"<ref> Passio S. Andrae. Surius, Historia seu vita Sand. XI 745 § 4. </ref>.

9. Kapitel: Beschaffenheit der Eucharistie

Darlegung: In diesem Sakramente ist der wahre Leib und das wahre Blut Christi nicht nur der Bezeichnung nach, sondern auch wirklich enthalten unter der doppelten Gestalt von Brot und Wein als in einem, nicht aber in zwei Sakramenten. Und das ist der Fall nach der priesterlichen Konsekration, die sich durch das Aussprechen der von Gott eingesetzten Worte vollzieht, nämlich über das Brot: "Das ist mein Leib", über den Wein aber: "Dies ist der Kelch meines Blutes". Sobald der Priester in der Meinung, das Sakrament zu vollziehen, diese Worte ausgesprochen hat, wird die Substanz eines jeden dieser beiden Elemente in den Leib und das Blut Jesu Christi verwandelt. Die sichtbaren Gestalten bleiben dabei zurück, und unter jeder von beiden ist der ganze Christus vollständig, jedoch nicht raumbegrenzt, sondern sakramental enthalten. Unter ihnen wird er uns als Speise dargeboten. Wer diese würdig empfängt, indem er sie nicht nur als äußeres Zeichen, sondern auch Geistigerweise in Glaube und Liebe genießt, wird dem mystischen Leibe des Herrn fester eingegliedert und in seinem Innern gekräftigt und gereinigt. Wer aber unwürdig hinzutritt, "der isst und trinkt sich das Gericht, indem er den heiligsten Leib Christi nicht unterscheidet"(1 Kor 11, 29).

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fleischgewordene Wort ist der Kraft nach höchst wirksam und dem Geist nach höchst weise. Somit hat es uns die Sakramente entsprechend seiner Weisheit und hinreichenden Wirkkraft übermittelt. - Weil nun diese sich ganz ausreichend betätigt, hat Gott bei der Austeilung der Heilmittel gegen die Krankheit und der Gnadengaben nicht nur ein Sakrament eingesetzt, wie die Taufe, die uns zum übernatürlichen Leben erweckt und wie die Firmung, welche die Erweckten wachsen und erstarken macht, sondern auch eines, das die Erweckten und in der Gnade Gewachsenen ernährt wie das der Eucharistie. Darum werden allen, die den Glauben annehmen, diese drei Sakramente gespendet. Unsere Seelennahrung stärkt aber das Gnadenleben eines jeden Gläubigen durch Bewahrung der Ehrfurcht gegen Gott, der Liebe zum Nächsten und der inneren Freude. Die Ehrfurcht gegen Gott wird betätigt durch die Darbringung des Opfers, die Nächstenliebe durch den gemeinsamen Empfang desselben Sakramentes und die innere Freude durch die Erquickung der Kommunion. Darum gab unser Erlöser das Sakrament der Eucharistie als Opfer, als Sakrament der Einigung sowie als Stärkung und Wegzehrung.

Unser erlösendes Prinzip ist aber nicht allein höchst wirksam, sondern auch höchst weise, indem es alles ordnungsgemäß wirkt. Somit gab und bestimmte es uns das Opfer, das Sakrament und die Wegzehrung in Rücksicht auf die Zeit der erschienenen Gnade, den Pilgerstand und unsere Fassungskraft. - Zunächst erfordert die Gnadenzeit, dass nicht mehr eine beliebige Gabe dargebracht wird, vielmehr eine reine, angenehme und vollwertige. Das ist keine andere als jene, die am Kreuz geopfert wurde, nämlich Christi Fleisch und Blut. Darum musste der Leib des Herrn in diesem Sakrament nicht nur bildlich, sondern auch wirklich enthalten sein als die dieser Heilsordnung angemessene Opfergabe. In ähnlicher Weise entspricht es der Gnadenzeit, dass das Sakrament der Vereinigung und der Liebe, nicht nur dieses bezeichne, sondern auch zu diesem entzünde, damit es wirke, was es andeutet. Was aber am meisten zur Wechselliebe entflammt und die Glieder am stärksten eint, ist die Einheit des Hauptes, von dem die gegenseitige Liebe in uns einströmt durch die Kraft der ausstrahlenden, einigenden und umgestaltenden Caritas. Deshalb ist in diesem Sakrament der wahre Leib Christi und sein makelloses Fleisch enthalten, damit er sich so in uns ergieße, uns untereinander vereinige und auf diese Weise in sich umgestalte durch die glühendste Liebe, die ihn bewog, sich uns zu schenken, sich für uns zu opfern, und durch die er sich uns geben und bei uns bleiben wird bis zum Ende der Welt. - So ist die dem Gnadenstand entsprechende Seelenerfrischung eine geistliche, allgemeine und heilbringende. Die geistliche Erquickung aber ist das Wort des Lebens, deshalb ist die geistliche Erquickung des mit dem Fleisch verbundenen Geistes das fleischgewordene Wort oder das Fleisch des Wortes. Diese Speise ist allgemein und heilbringend und obgleich sie nur eine ist, werden doch alle durch sie geheilt. Es gibt aber keine andere geistliche, allgemeine und heilbringende Speise als den wahren Leib des Herrn. Er muss deshalb in diesem Sakrament wahrhaft enthalten sein; so fordert es ja die Vollkommenheit des Versöhnungsopfers, des vereinigenden Sakramentes und der stärkenden Wegzehrung. Diese aber sind in der Zeit des Neuen Testamentes, der offenbar gewordenen Gnade und der Wahrheit Christi nötig.

Dem irdischen Leben ist es nicht vergönnt, Christus unverhüllt zu sehen, sondern nur verschleiert und bildhaft, damit dem Glauben sein Verdienst bleibe. Noch weniger geziemt es sich, mit den Zähnen das Fleisch des Herrn zu berühren wegen des damit verbundenen Entsetzens, lebendiges Fleisch zu essen. Auch ist sein Körper unsterblich. Darum musste der Leib und das Blut des Herrn unter den Hüllen heiliger Symbole und unter angemessenen ausdrucksvollen Ähnlichkeiten gereicht werden. Nichts eignet sich aber mehr zur Erquickung als Brot und Wein. Nichts kann auch die Einheit des wahren und des mystischen Leibes Christi besser bezeichnen als Brot, das aus reinsten Weizenkörnern bereitet, und Wein, der reinsten Trauben ausgepresst und in einem Gefäße gesammelt ist. Folglich muss die Eucharistie unter diesen und nicht unter anderen Gestalten gereicht werden. Christus musste aber so unter ihnen gegenwärtig werden, dass nicht er sich änderte, sondern diese. Darum findet eine Wesensverwandlung derselben in das Fleisch und das Blut Christi statt bei dem Aussprechen der vorerwähnten beiden Worte, welche seine Anwesenheit unter eben diesen Gestalten ausdrücken. Dabei bleiben die Akzidenzien zurück, die den Leib des Herrn bezeichnen und enthalten.

Der selige und glorreiche Leib Christi kann nicht in seine Teile zerlegt, noch von der Seele oder von der höchsten Gottheit getrennt werden. Also ist unter jeder der beiden Gestalten der eine Christus ganz und ungeteilt gegenwärtig nach Leib, Seele und Gottheit. Und deshalb bilden beide zusammen das eine und ganz einfache Sakrament, das den ganzen Christus birgt. Da nun jeder beliebige Teil der Gestalt den Leib des Herrn bezeichnet, ist dieser vollständig in der ganzen Gestalt zugegen, wie auch in jedem Teile derselben, mag sie nun ganz oder geteilt sein. Doch ist er nicht raumumschlossen und örtlich zugegen, auch nicht nach einer bestimmten Lage, noch durch körperliche oder menschliche Sinne wahrnehmbar, sondern sinnenentrückt, um dem Glauben Raum und Verdienst zu lassen. Damit Christus also verborgen bleibe, bewahren die Gestalten ihre frühere Wirksamkeit, obwohl sie ohne die bisherigen Träger sind, während sie Christus enthalten. Das ist der Fall, solange sie in ihrer natürlichen Eigenart fortbestehen und zur Speise geeignet sind.

Nun liegt aber zuletzt unsere Befähigung, den Herrn wirksam zu empfangen, nicht im Fleisch, sondern in der Seele, nicht im Leib, sondern im Geist. Der Geist aber berührt ihn nur durch Erkenntnis und Hingabe, durch Glaube und Liebe, dadurch, dass der Glaube zur Erkenntnis erleuchtet und die Liebe zur Andacht entflammt.

Um ihn also würdig aufzunehmen, muss man ihn geistig genießen, indem man ihn durch die Glaubenserkenntnis gleichsam zerkaut, durch ehrfürchtige Liebe empfängt, wodurch man Christum nicht in sich umgestaltet, vielmehr selbst in dessen mystischen Leib eingegliedert wird. Es ist also offenbar, dass derjenige, der gleichgültig, unehrerbietig, unandächtig hinzutritt, sich "das Gericht isst und trinkt" (1 Kor 11, 29), weil er ein so erhabenes Sakrament verunehrt. Darum ist jenen, die sich weniger rein an Seele oder Leib wissen, oder die unehrerbietig sind, zu raten, dass sie warten, bis sie zum Genuß des wahren Lammes rein, ehrerbietig und andächtig hinzutreten können.

Es ist deshalb auch Vorschrift, dass dieses Sakrament mit hervorragender Feierlichkeit vollzogen werde, sowohl was den Ort als auch die Zeit, die Worte, Gebete und die Gewänder bei der Darbringung des Messopfers angeht. So sollen die amtierenden Priester und auch die empfangenden Gläubigen die Gnadengabe entgegennehmen, durch die sie gereinigt, erleuchtet, vervollkommnet, erquickt, belebt und durch die glühendste Liebe in eben diesen Christus umgewandelt werden.

10. Kapitel: Beschaffenheit der Buße

Darlegung: Die Buße ist "das rettende Brett nach dem Schiffbruch"<ref> Hieronymus, Epist. 130 (oder 8) n. 9. </ref>, an dem sich der durch Todsünde gescheiterte Mensch anklammern kann, solang er noch im Pilgerstand ist, und zwar wann und so oft immer er die göttliche Güte anflehen will. - Zu ihrem Wesen gehören die Reue des Herzens, das Bekenntnis der Lippen und die Genugtuung der Tat. Das Bußsakrament besteht nun darin, dass jede begangene Todsünde sowohl in der Tat aufgegeben, als auch im Worte bekannt und in der Seele verabscheut wird mit dem Versprechen, sie nie wiederholen zu wollen. - Hat der Sünder all dieses Schuldigerweise getan und ist er von dem, der die Weihe, den Schlüssel und die Vollmacht besitzt, losgesprochen worden, dann wird er von seiner Schuld befreit, der Kirche wieder vereint und Christus versöhnt durch Vermittlung der priesterlichen Schlüsselgewalt. Durch seinen Urteilsspruch erfolgt nicht nur die Lossprechung, sondern auch die Exkommunikation und deren Aufhebung, die eigentlich durch den Bischof als den Bräutigam der Kirche geschehen muss.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, ist eben als Wort der Urquell der Wahrheit und Weisheit; und weil es Mensch geworden ist, der Urquell der Güte und Nachsicht. Darum muss es das Menschengeschlecht durch das Heilmittel der Sakramente wiederherstellen, und zwar vor allem von der Hauptkrankheit, welche ja die Todsünde ist. Hierzu bedarf es eines frommen Priesters, eines kundigen Arztes und eines gerechten Richters, damit so in unserer Heilung die höchste Barmherzigkeit, höchste Klugheit und höchste Gerechtigkeit des menschgewordenen Wortes zutage treten.

Zuerst also soll in unserer Heilung von der Todsünde durch die Buße die höchste Güte eben dieses allergnädigsten Priesters offenbar werden, der Christus ist. Diese höchste Barmherzigkeit des Hohenpriesters übersteigt alle menschlichen Sünden ohne Rücksicht auf ihre Art, Größe und Zahl. Der gnädigste Priester lässt also die Sünder nicht nur ein- oder zweimal Verzeihung finden, sondern so oft sie nur immer flehentlich die Barmherzigkeit Gottes anrufen. Sie wird aber dann wahrhaft und inständig angefleht, wenn das Leid der Reue vorhanden ist. Zu ihr kann der Mensch sich hinkehren, solange er auf Erden lebt, ist er doch im Guten, aber auch im Bösen wandelbar. Wie schwer, zu weIcher Zeit und wie oft jemand auch gesündigt hat, er kann stets seine Zuflucht zum Sakramente der Buße nehmen, durch das ihm Vergebung wird.

Weiterhin soll in unserer Heilung die höchste Klugheit des kundigen Arztes, Christi nämlich, in Erscheinung treten. Die ärztliche Klugheit aber besteht in der Anwendung der entgegenwirkenden Heilmittel, durch weIche nicht allein die Krankheit beseitigt, sondern auch ihre Ursache im voraus unschädlich gemacht wird. Gegen Gott wurde nun gesündigt durch böse Lust, durch Einwilligung in dieselbe und durch die Tat, also im Herzen, mit dem Munde und in den Handlungen. Der allerweiseste Arzt hat darum angeordnet, dass der inneren ungeordneten Lust des Sünders in seinen drei Seelenkräften, der begehrenden, vernünftigen und tätigen in den entsprechenden drei oben genannten Äußerungsformen entgegengewirkt werde durch das Reueleid, das mit der Zerknirschung des Herzens beginnt, im Bekenntnis des Mundes geäußert und durch die geleistete Genugtuung vervollständigt wird. Alle Todsünden sind die Abkehr von dem einen Gott, entziehen dem Menschen die eine Gnade und zerstören die eine Gerechtigkeit. Soll also das Heilmittel der Buße nach seinen Wesensteilen vollständig sein, dann muss sich das Bekenntnis auf sämtliche Sünden erstrecken, auf die früher begangenen durch Missfallen, auf die gegenwärtigen durch den Vorsatz, in Zukunft nicht wieder in diese oder andere zurückzufallen. So soII durch vollständige Abkehr vom Bösen die göttliche Gnade vermittelst des Bußsakramentes empfangen werden, durch das wir ja die Verzeihung aller Sünden erlangen.

Auch die strenge Gerechtigkeit Christi, des Richters, muss endlich in unserer Heilung kund werden. Dieser urteilt aber vor dem letzten, abschließenden Gericht nicht in eigener Person ab, vielmehr setzt er zum Rechtsprechen im einzelnen vor dem Weltende besondere Richter ein. Diese sind gleichsam Mittler zwischen dem beleidigten Gott und den ihn beleidigenden Menschen, da sie Christus ganz nahestehen, dem Volke aber vorgesetzt sind. Dem Herrn sind sie vorwiegend auf Grund ihres Amtes nahe und befreundet, sind sie doch als Priester in erster Linie zu seinem Dienste geweiht. Darum ist allen, die zum Priesterstande gehören, und nur ihnen der doppelte Schlüssel verliehen, der der Weisheit zur Urteilsbildung und derjenige zu binden und zu lösen, das Urteil zu fällen und die Wohltat der Lossprechung zu spenden.

Zur Vermeidung von Verwirrungen ist nun aber nicht jeder jedem in der streitenden Kirche vorgesetzt, denn die kirchliche Hierarchie muss auch in Ausübung der Richtergewalt wohlgeordnet sein. Die Macht zu binden und zu lösen ist darum zunächst nur dem einen, ersten und höchsten Priester erteilt, dem als dem Oberhaupt die größte und allgemeinste Gewalt verliehen wurde. Von ihm aus verzweigt sie sich dann in die einzelnen Kirchen derart, dass sie vom einen Haupt zuerst zu den Bischöfen und von diesen zu den Priestern herabsteigt. Obschon also jeder einzelne Priester Weihe und Schlüssel inne hat, dehnt sich doch die Ausübung dieser Schlüsselgewalt nur auf jene aus, die ihm eigens unterstellt sind, wenn ihm nicht eine ordentliche Vollmacht übertragen ist, durch den, der sie dauernd besitzt. Diese aber befindet sich vor allem im Oberhaupt, sodann im Episkopat und zuletzt im Pfarrklerus. Sie kann nämlich von jedem Inhaber einem anderen übertragen werden, und zwar vermag es schon hinreichend der unterste, mehr aber der mittlere und am meisten der höchste.

Im obersten Hohenpriester und im Episkopat ist also die Jurisdiktion nicht nur, um zwischen Gott und den Menschen im Verborgenen zu richten, sondern auch um zwischen den Menschen und seinesgleichen öffentlich Recht zu schaffen. Sie ist ihnen als solchen anvertraut, denen die Regierung und Behütung der Kirche anempfohlen ist wie dem Bräutigam die Braut. Darum führen die Prälaten das Schwert, mit dem sie zur Verteidigung des Rechtes durch Exkommunikation abtrennen können und haben Gewalt über die Verdienstschätze der Kirche, die bei ihnen niedergelegt und ihnen sowohl vom Haupt als auch von den Gliedern zum Zweck des Straferlasses übergeben sind. Und so sind sie die wahren Richter Gottes, welche die vollständige Gewalt besitzen zu binden und zu lösen. Vermittelst dieser strafen sie die Unbußfertigen und halten die Aufrührerischen im Zügel, sprechen aber auch los und söhnen mit Gott und der heiligen Mutter Kirche diejenigen wieder aus, die aufrichtig Buße tun.

11. Kapitel: Beschaffenheit der letzten Ölung

Darlegung: Die letzte Ölung ist jenes Sakrament, das die aus diesem Leben ausscheidenden zur vollkommenen Gesundung vorbereitet und befähigt. Auch hilft es zur Beseitigung der lässlichen Sünden und zur Wiedererhaltung der zeitlichen Gesundheit, soweit diese den Kranken förderlich ist. - Zu seinem Vollzug gehört einfaches, aber geweihtes Öl, die Verrichtung von mündlichen Gebeten, die Salbung des Kranken an diesen sieben Körperteilen: Augen, Ohren, Nase, Lippen, Händen, Füßen und Lenden<ref> Die Salbung der Lenden unterbleibt nach kirchlicher Vorschrift. </ref>. - Dieses Sakrament darf aber nur Erwachsenen gespendet werden, die danach verlangen, und zwar in ernster Lebensgefahr. Es wird empfangen aus der Hand und durch Amtswaltung des Priesters. - Hieraus lässt sich entnehmen, dass zwischen letzter Ölung und Firmung ein siebenfacher Unterschied besteht, nämlich nach Wirkkraft, Materie, Form, Empfänger, Spender, Ort und Zeit.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fIeischgewordene Wort, stellt uns als gottmenschlicher Mittler wieder her, als der Mensch Christus Jesus (Vgl. 1 Tim 2, 5). Als Jesus muss er uns erlösen, und als Christus, "der Gesalbte", soll er die Gnade der Salbung auf andere übertragen. Darum ist es seine Aufgabe, in seinen Sakramenten seinen Gliedern die heilende Ölung zu erteilen. Zu ihrer völligen Gesundung nun bedarf die Seele einer dreifältigen Art der Genesung, nämlich zur Tugendstrenge, zum Genuss der Beschauung und zur Glückseligkeit der Glorie. Die erste geht die in die Kirche Eintretenden an, die zweite ihre Vorgesetzten, die andere zu erziehen haben, und die dritte die durch den Tod aus ihr Scheidenden. Deshalb führte der Herr nicht nur in der Firmung ein Sakrament der Salbung für alle ein, sondern auch ein mittleres in der Priesterweihe und ein letztes für die, welche sich in ernster Todesgefahr befinden.

Nun aber bedingt der Zweck das Mittel. Der Zweck dieses Sakramentes bestimmt demnach seine Wirksamkeit, seine Beschaffenheit, seinen Empfang und seine Ausspendung. - Zuerst also muss die Wirksamkeit dieses Sakramentes auf seinen Zweck hingeordnet werden. Es ist aber eingeführt zur leichteren und bequemeren Erreichung der ewigen Glückseligkeit. Das wird erlangt durch erhebende Frömmigkeit und Erleichterung von den lässlichen Sünden und anderen Sündenfolgen, die zu Boden drücken. Darum bewirkt dieses Sakrament sowohl die Erweckung der Frömmigkeit als auch die Vergebung der lässlichen Sünden und die leichtere Beseitigung der Sündenschlacken. Auch verhilft es häufig den Kranken zum längeren Leben in Rücksicht auf die Vervollständigung ihrer Verdienste. Somit stärkt es die Seele im Guten und befreit sie vom Bösen, wie es oft auch Erleichterung in der Krankheit gewährt. Darum sagt der heilige Jakobus (5, 15), dass das Gebet des Glaubens den Kranken heilen wird, und wenn er in Sünden war, werden sie ihm vergeben.

Auch muss die Beschaffenheit dieses Sakramentes seinem Zweck, d. h. der Erlangung des Seelenheils durch Vergebung der Sünden weiter Rechnung tragen. Dieses Heil besteht nämlich in der Gesundheit und Reinheit des Gewissens, nach der unser himmlischer Richter sein Urteil fällen wird. Darum muss hier einfaches und geweihtes Öl verwandt werden; denn dieses bedeutet die Heiligkeit und Reinheit in der Behausung des Gewissens. - Der sterbliche Mensch aber hat keine Gewalt über sein Heil. Das Gebet oder die mündliche Formel ist daher eine Bitte zur Erlangung der Gnadengabe. - Da die Seele sich nun ihre geistige Krankheit im Leib zuzieht und zwar in seinen vier beherrschenden Kräften, der Sinnlichkeit, der Erkenntniskraft, der Zeugungsfähigkeit und dem Bewegungsvermögen, müssen die ihnen dienstbaren Körperteile gesalbt werden. Fünf Organe dienen den fünf Sinnen, die Augen dem Gesicht, die Ohren dem Gehör, die Nase dem Geruch, die Hände dem Tastsinn und der Mund dem Geschmack. Sie sind außerdem auch der Erkenntniskraft behilflich. Die Füße fördern die Beweglichkeit, die Lenden die Fortpflanzung; - denn die Geschlechtsteile zu berühren, ja sie nur zu erwähnen, ist unwürdig und der Scham zuwider. - Also muss die Salbung an den erwähnten sieben Stellen geschehen. Und so soll der Mensch durch dieses Sakrament zur vollen Gesundheit vorbereitet werden durch die Beseitigung jeder lässlichen Sünde.

Endlich hängt der Empfang dieses Sakramentes auch noch von seinem Zweck ab. Dieser ist der rasche Übergang in den Himmel durch Abwälzung der Last der lässlichen Sünden und durch die Geisteshinkehr zu Gott. Deshalb darf es nur Erwachsenen, die lässlich sündigten und nur solchen, die danach verlangen, gereicht werden; Personen, die in Frömmigkeit erhoben sind und unter ihnen nur jenen, die in tatsächlicher Gefahr, sozusagen im Hinübergang ins Jenseits begriffen sind. - Weil die letzte Ölung für die Gefährdeten bestimmt ist und eine heilige Materie, nämlich das geweihte Öl, hat, darf sie zur Vermeidung der Gefahr allgemein nur Priestern übertragen und in Rücksicht auf die Weihe des Öles nur von geweihten Händen berührt werden.

Aus der Zweckverschiedenheit zwischen der Firmung und der Ölung ergibt sich der Unterschied in der Wirksamkeit der Materie und der Form, des Ortes und der Zeit, des Empfängers und des Spenders: in der Wirkung, befähigt doch die Firmung zum besseren Kämpfen, die Ölung zum leichteren Heimgang; in der Materie, denn jene benützt mit Balsam gemischtes, diese hingegen reines Öl; in der Form, jene nämlich gebraucht anzeigende, diese hingegen bittende Worte; im Orte, die Firmung salbt die Stirne, die letzte Ölung aber wird an mehreren Körperteilen vorgenommen; in der Zeit, jene wird in der Gesundheit, diese in der Krankheit gespendet; im Empfänger, wird doch jene nicht nur an Erwachsenen, sondern auch an kleinen Kindern, diese aber nur an ersteren vorgenommen; im Spender, die Firmung nämlich erteilen nur Bischöfe, die letzte Ölung aber beliebige Priester. Und aII diese Abweichungen ergeben sich aus dem Ziele. Es muss ja einleuchten, dass die Verschiedenheit im letzten Ziele eine solche in dem nach sich zieht, was zu diesem Endzwecke hinführt.

12. Kapitel: Beschaffenheit der Weihe

Darlegung: über dieses Sakrament ist zusammenfassend zu bemerken, dass "die Weihe ein gewisses Siegel ist, durch welches die geistliche Gewalt auf den Geweihten übertragen wird"<ref> Petrus Lombardus IV Sent. d. 24 c. 13. </ref>. - Obgleich sie nur eines unter sieben Sakramenten ist, hat sie doch in sich sieben Weihestufen. Die erste weiht zum Ostiarier, die zweite zum Lektor, die dritte zum Exorzisten, die vierte zum Akolythen, die fünfte zum Subdiakon, die sechste zum Diakon und die siebente endlich zum Priester. Diesen Weihen geht als eine Art Vorbereitung die klerikale Tonsur und der Psalmistatus voraus und als ihre VervoIIständigung krönt sie der Episkopat<ref> Im Gegensatz zu der heutigen Auffassung betrachtet Bonaventura und die Mehrzahl der Scholastiker den Episkopat nicht als sakramental und stellt ihn darum mit dem Patriachat und dem Papsttum in dieser Hinsicht auf eine Stufe.</ref>, das Patriarchat und das Papsttum. Von diesem letzteren aber gehen alle Weihen aus und müssen unter den vorgeschriebenen äußeren, sichtbaren und hörbaren Zeichen, unter Beobachtung der geschuldeten Feierlichkeit hinsichtlich der Zeit, des Ortes, des Amtes und der Person gespendet werden.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, hat als Gott und Mensch die Heilmittel der Sakramente zum Heile des Menschengeschlechtes wohlgeordnet, fein unterschieden und machtvoll eingerichtet, wie es seine höchste Güte, Weisheit und Kraft bedingte. Darum übergab es die Ausspendung dieser sakramentalen Heilmittel nicht Beliebigen, regelte sie vielmehr so, wie es Ordnung, Weisheit und Macht gebot. Zu einer derartigen Amtswaltung mussten bestimmte Personen ausgezeichnet und ausgeschieden werden, denen nach ordentlichem Rechte eine solche Befugnis zufällt. - Eine derartige Auszeichnung aber konnte nur durch heilige Zeichen, wie es die Sakramente selber sind, erfolgen. Deshalb muss es ein besonderes Sakrament geben, das durch Bezeichnung, Bevollmächtigung und Weihe ein ordnendes, unterscheidendes und bevollmächtigendes Siegel zur Sakramentenspendung verleiht. Man bestimmt daher die Weihe als ein gewisses Siegel, durch das die geistliche Gewalt dem Geweihten übertragen wird. In derselben Bestimmung sind die drei eben berührten Punkte zugleich eingeschlossen, aus denen man zusammenfassend entnehmen kann, was zum Wesen der Weihe gehört.

Zunächst also ist sie ein unterscheidendes und vom übrigen Volke absonderndes Merkmal, damit so der Betreffende vollständig dem Dienste Gottes hingegeben sei. Aus diesem Grunde geht der Weihe ein äußeres Kennzeichen voraus, nämlich die Tonsur und Krone, durch welche der Verzicht auf die zeitlichen Begierden und die Erhebung des Geistes zum Ewigen angedeutet wird. So soll gezeigt werden, dass der ganze Kleriker zum Dienste Gottes bestimmt ist. Darum spricht dieser auch bei Empfang der Krone: "Herr, du mein Erbteil"<ref> Ps 15, 5: Dominus pars hereditatis meae et calicis mei: tu es, qui restitues hereditatem meam mihi.</ref> usw. Ein solcher Mensch muss nun aber auch im Gotteslob wohl unterrichtet sein, das aber vorzüglich in den Psalmen besteht. Der Psalmistatus muss daher den übrigen Weihen als ihre Einleitung vorangehen und Isidor zählt ihn sogar in weiterem Sinne diesen zu.

Fernerhin ist die Weihe ein hinordnendes Siegel, das auch in sich selber wieder gegliedert ist. Sie besteht in einer Reihe von Stufen, die vollständig voneinander verschieden sind, entsprechend jener siebenförmigen Gnade, zu deren Ausspendung dieses Sakrament ja vorwiegend befähigt. Darum führen sieben Weihen stufenweise hinauf bis zum Priestertum, das ihre Vollendung darstellt. Diesem selber aber liegt die Konsekration des Leibes Christi ob, in dem die Fülle aller Gnaden beschlossen ist. Die übrigen sechs Weihen sind gleichsam seine Gehilfen oder Stufen, auf denen man zum Throne des Salomon emporsteigt.<ref> 1 Kön 10, 18 ff.</ref> Es sind gerade sechs in Rücksicht auf die Vollkommenheit jener Zahl; ist doch die Sechszahl die erste vollkommene. Es hat aber seinen weiteren Grund in der vollständigen Vollkommenheit der Amtswaltung. Es sollen nämlich einige gleichsam aus der Entfernung, andere mehr angenähert und noch andere endlich ganz in der Nähe dienen, damit so nichts an wohlgeordnetem Kult fehle. Jede einzelne der kultischen Dienstleistungen ist aber eine doppelte entsprechend dem Reinigungs- und Erleuchtungsakt. Deshalb also gibt es sechs dienende Weihen; die siebente aber ist die vollkommenste von allen. Durch sie wird ja das Altarssakrament vollzogen. In ihr, als dem letzten Ziel, wird in einer einzigen Weihe das ganze Sakrament vollendet.

Zuletzt ist die Weihe dann noch ein bevollmächtigendes Siegel, und zwar nicht nur in Rücksicht auf die Spendung der übrigen Sakramente, sondern auch um ihrer selbst willen. Die Vollmacht, sakramentale Gewalten zu erteilen, ist nun aber ohne Zweifel eine ganz hervorragende. Für sie genügt nicht eine einfache Macht, wie sie in der einfachen Weihe erteilt wird, vielmehr fordert sie jene Unermesslichkeit der Gewalt, wie sie sich bei denen vorfindet, welche die Weihen ordnungsgemäß zu erteilen haben. Die Würde aber zieht um so weitere Kreise, je mehr sie herabsteigt und je mehr sie emporsteigt desto mehr vereinheitlicht sie sich. Deshalb gibt es mehr Bischöfe als Erzbischöfe, ganz wenige Patriarchen und einen einzigen Vater der Väter, der Wohlverdienterweise Papst heißt, ist er doch der eine, erste und höchste geistliche Vater aller Väter, ja aller Gläubigen und der vornehmste Hierarch, der einzige Bräutigam, das unteilbare Haupt, der höchste Priester, Christi Stellvertreter, Urquell, Ausganspunkt und Richtschnur aller kirchlichen Würden. Von ihm als dem Höchsten fließt die Macht wohlgeordnet bis hinab zu den untersten Gliedern der Kirche entsprechend der hehren Erhabenheit der kirchlichen Rangordnung.

Da sich diese Würde nun vorwiegend in der Weihe ergießt, darf dieses Sakrament nur mit weiser Unterscheidung und großer Feierlichkeit erteilt werden. Es kann weder einem jeden noch aber durch jeden Beliebigen gespendet werden, auch nicht an beliebigem Ort oder zu irgend welcher Zeit. Vielmehr muss es gebildeten, ehrbaren, von allen Irregularitäten befreiten Personen erteilt werden in nüchternem Zustand, am heiligen Ort, zur Zeit der Heiligen Messe und an den vom kirchlichem Recht dazu festgesetzten Tagen, und zwar allein von Bischöfen, denen auch wegen ihrer hohen Würde die Firmung durch Handauflegung, die Nonnen-, Abts- und Kirchenweihe vorbehalten ist. Wegen ihrer Erhabenheit müssen all diese von den Inhabern ganz besonderer Gewalt gespendet werden.

13. Kapitel: Beschaffenheit der Ehe

Darlegung: "Die Ehe ist die rechtmäßige Verbindung von Mann und Frau zu ungeteilter Lebensgemeinschaft"<ref> Justinian, Institut. super. I tit. 9 de patria potestate.</ref>. Diese Vereinigung aber erfolgte nicht erst nach, vielmehr auch schon vor dem Sündenfall. Zuerst aber war das Sakrament der Ehe ein Auftrag, jetzt aber ist es noch außerdem als Heilmittel gegen die Krankheit der ungeordneten Begierlichkeit eingesetzt. Ursprünglich bedeutete es die Vereinigung Gottes mit der Seele, jetzt aber überdies auch diejenige Christi mit der Kirche und die Verbindung beider Naturen in der Einheit der (göttlichen) Person. - Die Ehe kommt zustande durch die freie Willenszustimmung bei der Personen, die durch irgendein sinnenfälliges Zeichen äußerlich kundgetan wird; vollzogen aber wird sie in der körperlichen Paarung. Man pflegt darum zu sagen: durch das für die Zukunft gegebene Versprechen wird die Ehe eingeleitet, durch die gegenwärtige Zustimmung geschlossen und durch die geschlechtliche Vereinigung vollzogen. - Dieses Sakrament nun vermittelt drei Güter, nämlich die Treue, die Nachkommenschaft und das Sakrament"<ref> Augustin, De gen. ad lit. IX c.. 7 n. 121 M 34, 245.</ref>. Zwölf Ehehindernisse verbieten die Ehe oder lösen sie auf, wenn sie schon geschlossen ist. Es sind diese: das Hindernis des Irrtums, der Bedingung, des Gelübdes, der leiblichen Verwandtschaft, des Verbrechens, der Religionsverschiedenheit, der Gewalt, der Weihe, des bestehenden Ehebandes, Verletzung der Ehrbarkeit, geistige Verwandtschaft und Impotenz.

Begründung: Unser erlösendes Prinzip, das fleischgewordene Wort, ist als das "Wort Gottes, der Urquell der Weisheit in der Höhe" (Sir 1, 15), als das fleischgewordene Wort aber der U rqueU der Güte auf Erden. Als unerschaffenes Wort gestaltet es in seiner höchsten Weisheit das Menschengeschlecht, als menschgewordenes Wort stellt es dieses aus höchster Erbarmung wieder her. Es erlöst uns also dank seiner Gnade, weil es uns zuvor in seiner Weisheit als wiederherstellbar erschuf. Für die höchste Ordnung war es nötig, die Menschen so zu erschaffen, dass sie stehen oder fallen, aber auch wiederhergestellt werden konnten, wie wir im Obigen ausgeführt haben. Weil demnach das göttliche Wort in seiner Weisheit den Menschen Angemessenerweise so gestaltete, dass er stehen, fallen und sich wieder erheben konnte, ordnete Gott auch seine Fortpflanzung so an, dass selbe Art der Fortpflanzung zur Erhaltung des Gnadenstandes diente oder aber, soweit sich in dieser etwas Sündhaftes, welches die Krankheit überträgt, findet, die böse Lust nämlich, ein Heilmittel bekäme. Der Zustand (ursprünglicher Gerechtigkeit) geht ganz hervor aus der Verbindung der menschlichen Seele mit Gott durch die auf die keuscheste, ausschließlichste und unteilbare Weise vereinigte Liebe. Das Heilmittel hingegen kam aus der Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur in der Einheit der Hypostase und Person, eine Einheit, sage ich, welche die göttliche Gnade als etwas ganz Eigenartiges und Unteilbares bewirkte. Darum fügte Gott es von Anfang an so, dass die Fortpflanzung durch die unteilbare und ausschließliche Verbindung von Mann und Frau erfolgte. Dieses bedeutete vor dem Sündenfall die Vereinigung Gottes und der Seele, bzw. Gottes und der irdischen Hierarchie, nach dem Fall aber die Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur, bzw. Christi und der Kirche. Darum ist sie beide Male, vor wie nach der Sünde, ein Sakrament, aber jeweils verschieden durch Bedeutung und Gebrauch. Da sie nun schon bevor die Krankheit ausbrach ein Sakrament war, ist die sündhafte Begehrlichkeit, welche durch die Schuld dazu kam, durch die Ehe eher entschuldigt, als dass diese jene verderben könnte; denn nicht die Krankheit verdirbt die Arznei, vielmehr heilt diese die Krankheit. - Hieraus geht deutlich hervor, was die Ehe ist, und wie sie von Gott selber eingeführt wurde.

Jede der vorerwähnten, im Ehesakrament versinnbildeten geistigen Vereinigungen ist fernerhin die Verbindung eines tätigen und beeinflussenden mit einem anderen erleidenden und empfangenden Teil, die durch das Band der Liebe geschlossen wird. Sie geht aus dem reinen Willen hervor. Darum muss die Ehe die Verbindung zweier Personen sein, die sich als tätig und leidend, d. h. durch das männliche oder weibliche Geschlecht voneinander unterscheiden und sie erfolgt aus ganz freier Willensübereinstimmung. - Der Wille kann aber nur durch Zeichen äußerlich in Erscheinung treten. Darum muss die beiderseitige Ehezustimmung sinnenfällig ausgedrückt werden. - Die Zustimmung zu etwas, das erst kommen soll, ist nun aber eigentlich keine Einwilligung, vielmehr erst ihr Versprechen. Sie macht darum vor der ehelichen Paarung noch nicht die vollständige Vereinigung aus; noch sind die beiden ja nicht ein Fleisch. Man sagt darum, dass durch die auf das Künftige bezüglichen Worte die Ehe eingeleitet, durch diejenigen über das Gegenwärtige aber bestätigt und erst in der körperlichen Vereinigung vollzogen werde; durch diese werden die Gatten wirklich ein Fleisch und bilden einen Leib (Vgl. Mt 19, 6; 1 Kor 6, 16). jetzt erst bedeutet die Ehe jene vollkommene Einheit, die zwischen uns und Christo besteht. Dann nämlich werden beide vollkommen körperlich vereinigt entsprechend ihrer beiderseitigen Veranlagung zur Erzeugung der Nachkommenschaft.

Diese Ehe bringt also drei Güter mit sich, nämlich das Sakrament durch das unauflösliche Eheband, die Treue durch die Einlösung des Geschuldeten und die Nachkommen als die sich aus diesen ergebende Folge.

Die besprochene eheliche Vereinigung muss endlich aus der freien Willenszustimmung zur Paarung verschiedener Personen unter einem ehelichen Gesetze hervorgehen. Dieser aber können zwölf Hindernisse entgegenstehen. Also gibt es, wie wir gleich sehen werden, zwölf Ehehindernisse. - Zum Ehekonsens gehört die Freiheit der Zustimmung, die Freiheit der einwilligenden Personen und die Geeignetheit zur Vereinigung. Die Freiheit der Übereinstimmung wird aber durch eine doppelte Unfreiwilligkeit aufgehoben, nämlich durch Unwissenheit und Gewalt. Also sind Irrtum und Gewalt zwei Ehehindernisse. - Die Freiheit der Einwilligenden wird dadurch vereitelt, dass eine der Personen anderweitig gebunden ist entweder mit Rücksicht auf Gott oder auf einen Menschen. Bindung an Gott liegt vor bei Gelübde oder ähnlicher Verpflichtung. Bindung in Bezug auf den Menschen kann der Gegenwart oder der Vergangenheit angehören. Erstere entsteht aus einer anderweitigen Ehe, die zweite aus dem Verbrechen, wenn nämlich der Ehebrecher oder die Ehebrecherin dem Gatten nach dem Leben trachtet oder bei seinen Lebzeiten dem Ehebrecher das Eheversprechen gibt. Hieraus ergeben sich also vier weitere Ehehindernisse: Gelübde, Weihe, Eheband und Verbrechen. - Die Geeignetheit zur ehelichen Vereinigung fordert einen entsprechenden Abstand der Personen voneinander. Sie kann durch zu nahe Verwandtschaft oder aber durch zu weite Entfernung voneinander aufgehoben werden. Die zu große Nähe kann ihren Grund in Blutsverwandtschaft oder einer anderen, ihr ähnlichen Verbindung, also in eigentlicher oder geistiger Verwandtschaft haben. Sie kann aber auch aus anderweitiger Geschlechtsverbindung oder Verlobung herrühren. Daraus entstehen drei Ehehindernisse: Bluts- und geistige Verwandtschaft, sowie das Hindernis der öffentlichen Ehrbarkeit. -- Zu große Entfernung endlich ist einmal dort vorhanden, wo entweder die Naturbeschaffenheit die leibliche Vereinigung unmöglich macht oder aber Verhältnisse vorliegen, die nicht in unserer Macht stehen, z. B. wenn der eine Teil Sklave, der andere frei ist. Sie kann auch durch die christliche Religion bedingt sein, so wenn der eine getauft ist, der andere aber nicht. Die sich hieraus ergebenden Hindernisse sind: Unfähigkeit zur Paarung, Irrtum in dem Stand und Religionsverschiedenheit. - Diese zwölf Fälle, welche die Ehe verbieten, sind auf Eingebung des Heiligen Geistes von der Kirche festgesetzt. Ihr sind wohl alle Sakramente anvertraut, am meisten aber die Regelung des Ehesakramentes in Rücksicht auf die einzelnen Abweichungen und wegen der mit ihr verknüpften Krankheit, die so überaus ansteckend und maßlos ist. Sache der Kirche ist es darum, die Verwandtschaftsgrade abzugrenzen, wie sie es jeweils für zeitgemäß erachtet, und zu beurteilen, ob die Personen eheberechtigt sind oder nicht, sowie Scheidungen vorzunehmen. Doch niemals darf oder kann sie eine rechtmäßig geschlossene Ehe für ungültig erklären, denn "was Gott verbunden hat, kann er Mensch, wie groß auch immer seine Macht sei, nicht trennen" (Vgl. Mt 19, 6). Alle bleiben ja dem richtenden Urteil Gottes selbst unterstellt.

Siebenter Teil: Das Weltgericht

1. Kapitel: Das Weltgericht im allgemeinen

Nach dem Überblick über die Dreieinigkeit Gottes, die Erschaffung der Welt, die Sündenverderbnis, die Menschwerdung des Wortes, die Gnade des Heiligen Geistes und die Heilmittel der Sakramente bleibt uns siebtens und zuletzt kurz das Weitende zu besprechen.

Darlegung: Ohne Zweifel wird in der Zukunft über alle ein Gericht hereinbrechen, indem Gott Vater durch unsern Herrn Jesus Christus die Lebendigen und die Toten richten wird, die Guten und die Bösen; dabei wird er jedem nach seinen Verdiensten zuteilen. - Die Bücher werden eröffnet, nämlich die Gewissen, aus denen die Verdienste und Missverdienste aller ihnen selber und allen übrigen offenbar werden sollen, und zwar auf Grund des Lebensbuches, d. i. des fleischgewordenen Wortes. Nur von den Guten wird es in seiner Gottheit geschaut, in seiner Menschengestalt aber, in der Jesus auch den Richterspruch verkünden wird, werden ihn die Guten wie die Bösen sehen, und zwar wird er in derselben Gestalt den Verworfenen, schrecklich, liebenswürdig aber den Guten erscheinen.

Begründung: Das Urprinzip ist als das erste aus sich selber, nach sich selber und für sich selber. Darum ist es Ursache, Form und Ziel, bringt alles hervor, regiert und vollendet es auch. Wie es daher gemäß der Erhabenheit seiner Kraft erschafft, so regiert es nach der Rechtheit seiner Wahrheit und vollendet in der Fülle seiner Güte. Nun erheischt aber die Erhabenheit der höchsten Kraft, dass nicht nur Geschöpfe erschaffen werden, welche die Spur, sondern auch solche, die das Bild Gottes tragen. Gott brachte also nicht nur unvernünftige Wesen hervor, nicht nur solche, die durch natürliche Kräfte, nein, auch andere, die durch freien Willen in Bewegung gesetzt werden. Das gottabbildliche Geschöpf nun ist wegen ihrer Gottfähigkeit auch auf Beseligung angelegt. Als Vernunftwesen ist sie erziehbar, als Freiheit besitzendes Geschöpf lässt sie sich nach dem Gesetz der Gerechtigkeit ordnen oder aber in Unordnung bringen. Darum musste die Rechtheit der Wahrheit dem Menschen ein Gesetz auferlegen, durch das sie ihn zur Seligkeit einlud, zur Wahrheit erzog und zur Gerechtigkeit verpflichtete. Der göttliche Zwang ist aber nicht so stark, dass ihm nicht überlassen bliebe, nach seinem freien Willen die Gerechtigkeit zu verlassen oder zu befolgen; denn "Gott verwaltet die Dinge, die er erschuf, so, dass er ihnen das Handeln nach eigenem Antrieb belässt"<ref> Vgl. Augustin, De civit. Dei XX c. 30 M. 41, 764 f.</ref>. Auch wirkt die Fülle der Güte am Vollendungswerke gemäß dem, was die Erhabenheit der Kraft und die Rechtheit der Wahrheit fordert. Darum erteilt die höchste Güte nur denen den Besitz der Seligkeit, welche die von der Rechtheit der Wahrheit auferlegte Rechtlichkeit einhalten, die Zucht annehmen und jene höchste und dauernde Glückseligkeit mehr lieben als vergängliche Güter. - Nun handeln die Menschen teilweise nach dem Gesetz, teilweise ihm zuwider auf Grund der Verschiedenheit ihrer im Inneren verborgenen Willensrichtung und wandeln so im Pilgerstand nach ihrem Gutdünken. Deshalb muss notwendigerweise ein allgemeines Gericht kommen zur Offenbarung der Erhabenheit der Kraft, der Rechtheit der Wahrheit und der Fülle der Güte. In ihm erfolgt die Zusprechung des gerechten Lohnes, die öffentliche Kundgebung der Verdienste und der Erlass der unwiderruflichen Urteilssprüche. So soll in der gerechten Verteilung der Zuwendungen die Fülle der höchsten Güte, in den öffentlichen Mitteilungen der Verdienste die Rechtlichkeit der Wahrheit und in der Kundgebung der unwiderruflichen Urteile die Erhabenheit der höchsten Kraft und Macht offenbar werden. - Zunächst also trifft die gerechte Vergeltung die Schuld, der Strafe zukommt oder aber die Gerechtigkeit, der die Glorie zusteht. Alle Adamskinder werden entweder jene oder diese erhalten. Darum müssen auch alle im Vergeltungsgerichte abgeurteilt werden, damit die Gerechten verherrlicht, die Bösen aber verworfen werden.

Die öffentliche Kundgebung der Verdienste macht es ferner nötig, dass zugleich der Tatbestand offenkundig werde, und was geschehen, bzw. vom freien menschlichen Willen unterlassen worden ist unter Berücksichtigung der verschiedenen Umstände. Zu diesem Zwecke müssen zur Offenbarung der Verdienste die Gewissensbücher aufgeschlagen und das Lebensbuch geöffnet werden, damit jene Gerechtigkeit kund werde, nach welcher diese Taten gutzuheißen oder zu verwerfen sind. In diesem Lebensbuch ist alles zumal und augenfällig klar geschrieben, was auch in den Gewissen wahrheitsgetreu zu lesen ist. Somit bewirkt die gemeinsame Eröffnung dieser Bücher die öffentliche Bekanntgabe aller Verdienste, so dass sämtliche Herzensgeheimnisse eines jeden diesem selber und allen übrigen kund werden. Es ist, wie Augustin<ref> Ebd. c. 40. </ref> will, "die Kraft, welche bewirkt, dass alles wunderbar in die Erinnerung eines jeden zurückgerufen werde". Und so soll die Rechtheit der göttlichen Gerichte in ganz offenem Lichte der Wahrheit erscheinen.

Zuletzt muss die unwiderrufliche Verkündigung der Urteile durch jemand erfolgen, der gesehen und gehört und gegen den nicht eingesprochen werden kann. Das höchste Licht aber kann nicht von allen gesehen werden, denn verfinsterte Augen schauen es nicht; kann es doch ohne die Gottförmigkeit des Geistes und die Gottgenehmheit des Herzens von Angesicht zu Angesicht (1 Kor 13, 12) nicht erkannt werden. Darum muss der Richter als Mensch erscheinen. Da aber ein bloßes Geschöpf nicht jene höchste Autorität besäße, gegen die kein Einspruch erhoben werden kann, muss unser Richter zugleich auch Gott sein, um auf Grund allerhöchster Autorität richten zu. können. Er muss aber auch Mensch sein, damit er gesehen werde und in Menschengestalt mit den Sündern abrechne. Eine einzige Stimme der Entscheidung ist es, welche die Schuldigen erschreckt, die Unschuldigen aber beruhigt. Darum entzückt auch eine und dieselbe Erscheinung die Gerechten und entsetzt auf der anderen Seite die Bösen.

2. Kapitel: Die dem Weltgericht vorausgehende reinigende Strafe

Insbesondere ist nun ins Auge zu fassen, was dem letzten Gericht vorausgeht, es begleitet und ihm folgt. Zweierlei geht ihm voraus, nämlich die Reinigungsstrafe und die kirchlichen Fürbitten für die Abgestorbenen.

Darlegung: Das reinigende Feuer zunächst ist ein körperliches, durch welches die Seelen der Gerechten, die in diesem Leben nicht die notwendige Buße und hinreichende Genugtuung geleistet haben, mehr oder weniger gepeinigt werden, ja nach dem wie viel Brennstoff sie von der Erde mit hinübergebracht haben. - Sie leiden weniger schwer als in der Hölle, aber mehr als in der Welt. Immerhin sind ihre Qualen nicht so furchtbar, dass sie nicht immer noch hoffen und sich bewusst bleiben, nicht in der Hölle zu sein, wenngleich sie dessen vielleicht wegen der Größe ihrer Strafe manchmal nicht gewahr werden. Durch diese vom stofflichen Feuer ihnen erteilten Strafen nun werden die Seelen gereinigt von ihrer Schuld und ihrer Unreinheit, von den ihnen anhaftenden Schlacken und Sündenresten. Sind sie dann hinreichend geläutert, so fliegen sie unmittelbar empor und werden in die Paradiesesherrlichkeit eingelassen.

Begründung: Das Urprinzip ist das erste, das beste und vollkommenste. Als das beste liebt es aufs höchste das Gute und verabscheut aufs tiefste das Böse. Wie aber die höchste Güte nicht zulässt, dass das Gute unbelohnt bleibt, so darf sie auch nicht dulden, dass das Böse nicht bestraft werde. Nun scheiden aber zuweilen Gerechte aus diesem Leben, die hienieden ihre Buße nicht vollständig geleistet haben. Wohl kann ihr Verdienst des ewigen Lebens nicht unbelohnt, aber auch die Schuld darf nicht unbestraft bleiben, damit die Schönheit der das All umfassenden Ordnung nicht verunstaltet werde. Deshalb müssen solche Seelen am Ende belohnt, aber (zuvor) zeitlich so gezüchtigt werden, wie es ihre Sünde und Straffälligkeit fordert. - Die begangene Sünde nun war sowohl eine Beleidigung der göttlichen Majestät als auch eine Schädigung der Kirche und eine Entstellung des Gottesbildes, das unserem Geiste eingeprägt ist. Dies trifft am meisten auf die Todsünde, aber auch auf die zu ihr hinführende lässliche Sünde zu. Die Beleidigung nun fordert Strafe; für den Schaden ist Ersatz zu leisten, und die Entstellung macht eine gründliche Reinigung notwendig. Also muss die betreffende Strafe gerecht züchtigen, geziemend genugtun und genügend reinigen.

Zuerst muss sie gerecht züchtigen. Nun hat sich aber der das ewige und höchste Gut misslichtende Geist dem Niedrigsten unterworfen. Gerechterweise muss er deshalb auch diesem Untersten anheimgegeben werden, um von ihm eine Strafe zu erhalten. Und von dem, das ihm Gelegenheit zur Sünde gab und das die Schuld trägt, dass er Gott missachtete, sich selber aber erniedrigte, soll er seine Strafe empfangen. Die Ordnung der Gerechtigkeit Gottes verlangt deshalb, dass der Geist vom körperlichen Feuer gepeinigt werde. Wie nämlich die Seele nach der Naturordnung ihrem Leib vereinigt wird, um ihm Leben einzuflößen, so wird sie jetzt nach der Ordnung der Gerechtigkeit dem stofflichen Feuer verbunden, um von ihm als empfindlichen Quäler bestraft zu werden. - Die Gerechten aber, die im Gnadenstand sind, haben nur eine vorübergehende Strafe verdient und ihre Straffälligkeit ist umso größer, je mehr Sünden sie begangen und je weniger Buße sie getan haben. Deshalb werden sie von diesem körperlichen Feuer eine Zeitlang gepeinigt, einige länger, andere kürzer, diese härter, jene leichter, wie es jeweils die Verschuldung ihrer Gott zugefügten Beleidigungen notwendig macht. "Es ist nämlich erforderlich", wie der hervorragend gelehrte Augustin sagt<ref> De civit. Dei XXI c. 26 n. 4 M 41, 716 f. </ref>, "dass der Schmerz ebenso sehr brennt, wie die Liebe anhängt". Dennoch wird jemand um so schwieriger geläutert werden, je tiefer seinem Herzensinnersten die' Liebe zur Welt eingewurzelt ist.

Weiterhin muss jene Strafe eine genugtuende sein. Die Genugtuung aber nimmt im Pilgerstand auf den freien Willen Rücksicht. Drüben ist aber kein Stand des Verdienens, und die dortigen Strafen haben nichts Freiwilliges mehr an sich. Darum insbesondere muss das, was im duldenden Willen an Freiheit fehlt, durch die Bitterkeit der Strafe ersetzt werden. - Diejenigen, die geläutert werden, haben aber die Gnade und können sie auf keine Weise mehr einbüßen. Sie können daher weder ganz von Traurigkeit eingenommen werden, noch gar in Verzweiflung geraten, geschweige denn können und wollen sie irgendwie in Lästerung ausbrechen. Wenngleich sie also schwer bestraft werden, so doch weit anders und viel milder als die Verdammten in der Hölle. Auch ist ihnen zweifellos bewusst, dass ihr Zustand ein anderer ist, als derjenige der unabwendbar in der Hölle Gepeinigten.

Endlich muss jene Strafe auch noch reinigend wirken. Diese Reinigung aber ist eine geistige. Das betreffende Feuer muss also entweder eine ihm von Gott verliehene geistige Gewalt haben, oder, was ich noch eher glaube, es muss die ihm innewohnende Kraft der Gnade, unterstützt von dem äußeren Strafleiden, die bereits für ihre Gottesbeleidigung bestrafte und von der Last ihrer Schuld erleichterte Seele durch eine ausreichende Läuterung derart reinigen, dass nichts mehr übrig bleibt, was der Glorie widerspräche. - Diese Seelen sind dann befähigt, die Herrlichkeit der Gottförmigkeit im höchsten Maße in sich aufzunehmen. Ist das Tor geöffnet und ihre Läuterung vollendet, dann müssen sie, in denen das emportragende Feuer der Liebe wohnt, auffliegen, und nichts, keine Unreinheit des Herzens oder StraffäIligkeit, kann es verzögern. Es passte auch nicht zur Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes, ihnen die Glorie weiterhin vorzuenthalten, sobald das Gefäß zu ihrer Aufnahme geeignet befunden wird, noch darf die schon geläuterte Seele länger bestraft werden; die Verzögerung des Lohnes aber wäre eine große Strafe.

3. Kapitel: Die dem Weltgericht vorangehenden kirchlichen Fürbitten

Darlegung: Die Kirche kommt den Verstorbenen durch ihre Fürbitten zu Hilfe, nämlich durch Opfer, Fasten, Almosen, Gebete sowie freiwillig zur rascheren und leichteren Sühne ihrer Schuld übernommene Bußen. - Sie helfen aber nicht allen beliebigen Toten, sondern "den teilweise Guten" oder besser gesagt denen, die im Fegfeuer sind, also nicht "den sehr Schlechten", d. h. jenen, die in der Hölle, aber auch "nicht den ganz Guten"<ref> Vgl. Petrus Lombardus IV Sent. d. 45 c. 2. </ref>, nämlich solchen, die im Himmel sind. Letztere wenden vielmehr umgekehrt ihre Verdienste und fürbittenden Gebete der streitenden Kirche zu, deren Gliedern die Seligen viele Wohltaten erflehen. - Fürbitten nun wirken mehr oder weniger, einmal wegen der Verschiedenheit der Verdienste bei den Verstorbenen, dann aber auch, weil die Liebe der Lebenden die einen mehr bedenkt als die anderen. Auch haben sie entweder Strafmilderung oder raschere Befreiung zur Folge, je nachdem es die erhabene Vorsehung für besser erachtet.

Begründung: Das Urprinzip muss, weil es das beste und deshalb von höchster Strenge gegen das Böse ist, gleicherweise auch von größter Milde gegen das Gute sein. Auf Grund der gestrengen Gerechtigkeit müssen daher jene Gerechten, die noch schuldbeladen sind, nach diesem Leben im Fegefeuer gepeinigt werden. Dank seines gütigen Erbarmens müssen sie aber auch wieder errettet werden und Hilfe und Stütze bekommen, vor allem, weil sie sich in Not befinden und sich nicht mehr durch eigene Werke und Verdienste selber helfen können. Darum musste die göttliche Vorsehung bestimmen, dass ihnen die Fürbitten jener zugewendet werden, die dazu noch imstande sind, natürlich unter Wahrung der strengen Gerechtigkeit, von der die Milde des göttlichen Erbarmens weder abweichen, noch irgendwie getrennt werden darf oder kann. Die Richtschnur der Gerechtigkeit nun fordert Berücksichtigung der göttlichen Ehre und Weltregierung, sowie der Besonderheit der menschlichen Verdienste. Deshalb bestimmte die erhabene Vorsehung des höchsten Urprinzips, dass die Fürbitten den Verstorbenen gemäß der Milde der Barmherzigkeit und der Strenge der Gerechtigkeit zukommen, und zwar unter Beachtung der Würde der göttlichen Ehre, der Weltregierung und der Eigenart der menschlichen Verdienste.

Zunächst muss also bei den Fürbitten die Gerechtigkeit berücksichtigt werden, die in erster Linie die Ehre Gottes aufrecht hält. Die göttliche Ehre aber erheischt genugtuende Leistungen und Bußen, die für die Sünden entrichtet werden. Darum sollen die Fürbitten durch solche Leistungen erfolgen, die am besten Ersatz bieten und Gott die Ehre wiedergeben. Dementsprechend gibt es drei Arten genugtuender Leistungen: Fasten, Gebet und Almosen sowie das Opfer des Altares. In diesem wird Gott die geschuldete Ehre am wirksamsten wiedererstattet wegen der Wohlgefälligkeit dessen, der ihm im heiligen Opfer dargebracht wird. In solchen genugtuenden Werken, und am meisten in der Darbringung von Heiligen Messen, bestehen also die Fürbittleistungen der Kirche. Gregor der Große meint in seinem vierten Buch der Dialoge<ref> c. 55. </ref>, dass manche aus schweren Strafen durch die Wohltat der Messen sehr rasch befreit werden. Der Prunk der Exsequien und die Feierlichkeiten der Beerdigung sowie ähnliches dürfen also nicht dazu gezählt werden. Hierzu sagt ja auch der heilig Augustin in seiner Schrift "De cura pro mortuis agenda"<ref> c. 2 n. 44. </ref>, dass "die Bemühungen um das Begräbnis, den Schmuck des Grabes und der Prunk der Exsequien mehr zum Trost der Überlebenden als zur Unterstützung der Verstorbenen dienen.

Aber auch die Ordnung und Regierung in der Welt erhaltende Gerechtigkeit will berücksichtigt sein. Sie verlangt, dass in der Mitteilung der Zuwendungen die Ordnung und Angemessenheit beobachtet werde hinsichtlich jener, von denen und zu denen diese Einflüsse fluten. Darum darf das Untere nicht auf das Obere einwirken noch auf das, was ihm durch eine weite Entfernung entrückt ist. Die Fürbitten der Kirche können somit den Verdammten in der Hölle nichts helfen, da sie ja vollständig vom mystischen Leib Christi getrennt sind. Kein Geisteseinfluss dringt deshalb zu ihnen, noch kann er ihnen nützen, ebensowenig wie derjenige des Hauptes den vom Leib abgeschnittenen Gliedern zuteil werden kann. - Diese Zuwendungen helfen aber aus demselben Grunde auch den Seligen nicht; sind diese doch hoch erhöht und haben das Endziel erreicht, von wo sie nicht noch höher steigen können. Um so nützlicher aber sind umgekehrt ihre Fürbitten für uns - auch dieses haben sie sich nämlich auf Erden verdient und so hat die göttliche Ordnung es eingerichtet, dass wir auch den Heiligen Gottes unsere Bitten darbringen, damit sie uns die göttlichen Wohltaten durch ihre Fürbitten erflehen. Die Zuwendungen der Kirche sind also für die Seligen nutzlos, um so wertvoller aber sind für uns ihre Fürbitten. - Somit bleibt nur noch übrig, dass die Gebete der Kirche allein jenen Gerechten nützen, die im Fegfeuer büßen. Auf Grund ihrer Leiden und der Unfähigkeit, sich selber zu helfen, sind diese ja unter die auf Erden Lebenden gestellt, allerdings durch ihren Gnadenstand den übrigen Gliedern der Kirche vereint. Also können ihnen billigerweise und nach kirchlicher Gepflogenheit und Anordnung die Verdienste der heiligen Kirche zugewandt werden.

Auch muss zuletzt noch jene Gerechtigkeit beobachtet werden, die den (persönlichen) Verdiensten Rechnung trägt. Obgleich jene Leistungen, die allgemein für die Abgestorbenen dargebracht werden, allen Guten in bestimmtem Umfang von Nutzen sind, helfen sie doch denjenigen mehr, die, als sie noch auf Erden lebten, mehr verdient haben, dass sie. ihnen zugute kommen und wohltun. Jene Fürbitten aber, die eigens für besondere Personen geleistet wurden, helfen denen mehr, für die sie bestimmt sind, wenn die Meinung des Fürbittenden richtig ist und Gott entspricht und die kirchliche Vorschrift dabei offenbar nicht ungerecht ist. Allerdings mögen bis zu einem gewissen Grade auch andere an ihnen Anteil haben; doch können sie nicht in gleicher Art diesen zugute kommen wie jener Hauptperson. Obschon sie Zuwendungen geistlicher Natur sind, fordert die göttliche Gerechtigkeit doch für größere Schuld auch höheres Lösegeld und für mehr Sünden auch mehr Genugtuung. Das Beispiel vom Licht, das die am Tisch Sitzenden gleicherweise bestrahlt, passt darum hier nicht; denn diese Fürbitten haben weit mehr Ähnliches mit Loskaufsummen als mit sich ergießenden Ausstrahlungen. - Wieviel sie aber dem einzelnen bestimmt nützen, das hat nur der mit Sicherheit festzusetzen, der auch in Verschuldungen und Strafen und Sühneleistungen Gewicht, Zahl und Maß wahrnimmt (Weish 11, 21).

4. Kapitel: Der Weltbrand als Begleiterscheinung des Gerichtes

Nun müssen wir noch über die bei den Begleiterscheinungen des Gerichtes, nämlich den Weltbrand und die Auferstehung des Fleisches, einiges hinzufügen.

Darlegung: Feuer geht vor dem Richter her, durch welches das Antlitz der Erde verbrannt wird, so dass die Gestalt dieser Welt im Zusammenflammen der irdischen Feuer vergeht, wie es einstens bei der Süntflut geschah ... - Es wird aber gesagt, dass diese Welt nicht so sehr in einer vollkommenen Zerstörung untergehen wird, vielmehr werden durch die Wirksamkeit jenes alle Elemente entzündenden Feuers die Pflanzen und Tiere verzehrt, die Elemente aber, vor allem die Luft und die Erde, gereinigt und erneuert. Auch die Gerechten werden geläutert, die Verworfenen aber versengt. Wenn dieses geschehen ist, wird die Bewegung des Himmels aufhören. Ist dann die Zahl der Auserwählten voll, so wird auch eine gewisse Erneuerung und Belohnung der Weltkörper statthaben.

Begründung: Das Prinzip aller Dinge ist ganz weise. Wenn es nun in allem, was es wirkt, die Ordnung seiner Weisheit beobachtet, dann gewiss am meisten in dem, was die Vollendung betrifft. Und so darf das Erste nicht dem Mittleren widersprechen, noch aber dieses dem Letzten, vielmehr soll in all dem, was aufs beste geordnet ist, jenes Urprinzips regelnde Weisheit, Güte und Erhabenheit zutage treten. Gott erschuf also nach seiner höchst wohlgeordneten Weisheit diese ganze sinnliche und größere Welt für die kleinere, nämlich den Menschen, der zwischen ihm und den untergeordneten Dingen in die Mitte gestellt ist. Damit nun alles wechselseitig zusammenpasse, und die Wohnung mit ihrem Bewohner harmoniere, musste er für den wohlerschaffenen Menschen die Erde in gutem und ruhigem Zustand einrichten. Mit dem Sündenfall aber musste auch sie verschlechtert, mit dem in Aufruhr gebrachten Menschen erschüttert, mit dem wieder geläuterten gereinigt, mit dem erneuerten neu gestaltet und mit dem vollendeten in den Ruhestand versetzt werden.

Zunächst also musste diese Welt mit dem in Aufruhr geratenen Menschen erschüttert werden. Wie sie mit dem Stehenden stand, so fiel sie gewissermaßen mit dem Fallenden. Beim künftigen Weltgericht nun müssen durch die in Erscheinung tretende Strenge des Richters die Herzen aller in Schreck versetzt werden, am meisten die der Sünder, welche den Herrn des Alls verachteten. So werden alle Geschöpfe den Zorn Gottes erfahren und darin soll die Natur ihrem Schöpfer, aber auch ihrem Bewohner verähnlicht werden. Deshalb müssen die Grundfesten des ganzen Erdkreises furchtbar erschüttert werden. Nichts ergreift aber stärker, rascher und schrecklicher die übrigen Elemente durch seine Wirksamkeit, als das von allen Seiten her zusammenschlagende Feuer. Aus diesem Grunde also muss vor dem Weltenrichter Feuer hergehen, und zwar nicht nur von einer Stelle des Alls, nein, allenthalben. Das elementar- und irdische Feuer soll mit dem reinigenden und höllischen zusammenlodern, damit durch das Höllenfeuer die Verdammten versengt, durch das reinigende die Gerechten geläutert werden, durch das irdische aber verbrenne, was die Erde hervorbringt. Durch das elementare Feuer werden die Elemente verfeinert, und so wird das Antlitz der neuen Erde vorbereitet. Zugleich aber wird das Übrige derart erschüttert werden, dass nicht nur die Menschen und die Teufel, sondern auch die Engel, die es mit ansehen, sich entsetzen.

Mit dem geläuterten Menschen muss ferner diese Welt selber auch ihre Reinigung erleben. Wie in den ersten Zeiten vom Schmutze der Unreinigkeit, so musste der Mensch am Ende derselben von den Schlacken des Geizes und der Bosheit befreit werden, und zwar innerlich, schnell und vollkommen. Die erste Erde wurde in der Süntflut durch das Element des Wassers vernichtet und gleichsam reingewaschen, indem das Kalte der Glut und dem Unrat der Wollust entgegenwirkte. So soll die letzte Erde wegen ihres Erkaltens der Liebe (Vgl. Mt 24, 12) sowie des Frostes der Bosheit und des Geizes, die am Ende, gleichsam im Greisenalter dieser Welt, herrschen, durch Feuer zerstört und geläutert werden. Da nun diese Laster sehr fest anhaften, muss das reinigende Element von innerlicher, starker und beschleunigter Wirkung sein. Kein anderes weist jedoch dieses so sehr auf wie das Feuer, darum muss durch seine Wirksamkeit die Gestalt dieser stofflichen Welt verzehrt werden (Vgl. 2 Petr 3, 10), wie sie einst in der Süntflut unterging.

Unsere Erde muss weiterhin aber auch mit dem erneuten Menschen verjüngt werden. Zu einer neuen Gestalt kann aber nur umgebildet werden, was die alte ablegt und gewissermaßen durch eine ihm eingeflößte neue Empfänglichkeit vorbereitet wird. Das Feuer hat nun vor allem die Kraft zur Zerstörung der fremden Form, aber auch die Fähigkeit, etwas zu verfeinern und der himmlischen Natur ähnlich zu gestalten. Darum soll durch dasselbe zugleich die Reinigung und Erneuerung erfolgen. Es muss also eine doppelte Wirkkraft haben, insofern es ja auch teils der Ankunft des Richters vorausgeht, teils seiner Spur folgt. Die Umgestaltung soll zu einer Erneuerung führen, die nicht mehr zum alten zurückkehrt. Und diese neue Gestalt wird eine unverwesliche sein, die zu verleihen nicht im Machtbereiche irgend eines Geschöpfes liegt. Obwohl also in der betreffenden Reinigung und Erneuerung das Feuer teilweise mit Naturkraft wirkt, um zu entflammen, zu reinigen, zu verklären und zu verfeinern, muss doch mit dieser zusammen eine die Natur übersteigende Kraft wirksam sein, auf deren Befehl der Ausbruch des Brandes und durch deren Einfluss seine Vollendung geschehen wird.

Zuletzt muss die Welt mit dem vollendeten Menschen auch in den Vollendungszustand versetzt werden. Vollendet ist der Mensch aber dann, wenn die Zahl der Auserwählten im Himmel voll sein wird. Zu diesem Zustand strebt alles wie zum letzten und vollkommenen Ziele hin. Darum muss, sobald diese Fülle der Zahl erreicht ist, die Bewegung der himmlischen Natur (Gestirne) aufhören und in Ruhe übergehen. Aufhören müssen dann auch die Veränderungen der Elemente und folgerichtig die Fortpflanzung, wie sie in den Tieren und Pflanzen statthat. Sie alle sollen ja zur edelsten Form, nämlich der geistigen Seele, hingeordnet bleiben. Darum muss mit erreichter Vollendung der Seelen dieser Ruhezustand und diese Vervollkommnung auch für die übrigen Geschöpfe eintreten. - Insofern sagt man, dass auch die Himmelskörper durch Erhalten dieser Ruhe und Lichtfülle ihren Lohn empfangen. Von den Elementen aber, die fürderhin keine Vervielfältigungsfähigkeit durch wechselseitige Veränderung mehr haben werden, heißt es, dass sie zwar nicht ihrem Wesen nach vergehen, wohl aber in ihrer gegenseitigen Einwirkung und Empfänglichkeit, und zwar am meisten bezüglich ihrer tätigen Eigenschaften. Die Pflanzen und Tiere haben ihrer Rangstufe entsprechend keine Anlage zum ewigen Leben und zur endlosen Fortdauer. Darum müssen sie ihrer besonderen Natur nach aufgezehrt werden, doch so, dass sie im Prinzip und in einer gewissen Ähnlichkeit fortdauern, im Menschen nämlich, der ja mit allen Arten der Geschöpfe Ähnlichkeit hat. Man kann also sagen, dass in seiner Erneuerung und Verherrlichung auch sie gewissermaßen erneuert und belohnt werden.

5. Kapitel: Die Auferstehung des Fleisches als Begleiterscheinung des Gerichtes

Darlegung: Alle menschlichen Körper werden auferstehen in einer allgemeinen Auferstehung. Hinsichtlich der Ordnung der Zeit wird dabei keine Abweichung sein, wohl aber in der Würde ein großer Unterschied bestehen. - Die Bösen nämlich werden erweckt mit ihren Verunstaltungen. in ihrer Strafbelastung, ihrem Elend und den Mängeln, die sie im diesseitigen Leben trugen. In den Guten aber "wird die Natur erhalten und die Sünden werden ausgelöscht"<ref> Augustin, De civit. Dei XXII c. 17M 41, 773 f. </ref>. Und alle werden mit vollständigem Leib, im Vollalter und richtigen Maße der Glieder wiedererstehen. So sollen sich alle Heiligen zum vollkommenen Menschen, zum VolImaß des Alters Christi zusammenfinden. - Die Körper der Guten wie der Bösen werden also bei der Auferstehung individuell und aus denselben Teilen wie ehedem zusammengesetzt wieder erstehen unter Wahrung der ganzen wirklichen Natur, nicht nur bezüglich der Hauptglieder und der Lebenssäfte, sondern auch unter Erhaltung der Haare und aller übrigen Glieder, die zur Zierde des Leibes dienen. "Gleichviel in welche Windrichtung und Winkel der Erde der Staub des menschlichen Körpers zerfallen sein mag; er wird derselben Seele wiedergegeben werden, die ihm zuvor Leben und Wachstum verlieh"<ref> Augustin, Enchirid. c. 88 n. 23 M 40, 237. </ref> .

Das Urprinzip ist eben als das erste und höchste ganz weltumspannend und allwirksam. Darum ist es das Prinzip der Natur, Gnade und Belohnung, sowie das allermächtigste, gnädigste und gerechteste. Obschon man ihm höchste Allmacht im Hinblick auf die Einrichtung der Naturen, höchste Güte mit Rücksicht auf die Zuwendungen der Gnade, vollkommene Gerechtigkeit wegen seiner Vergeltungen zueignet, findet sich doch jedes dieser einzelnen in jedem der drei Genannten. Die höchste Macht, Güte und Gerechtigkeit können eben auf keine Weise voneinander getrennt werden. Daher muss die Vergeltung all das berücksichtigen, was die Strenge der Gerechtigkeit, die Wiederherstellung der Gnade und die Vollendung der Natur fordert. Die Gerechtigkeit aber erheischt notwendigerweise, dass der Mensch, der Verdienste oder Missverdienste sammelte, weder allein an der Seele noch aber am Leib, vielmehr an beiden zugleich und auch in jedem der beiden bestraft oder belohnt werde. Die Wiederherstellung der Gnade verlangt, dass der ganze (mystische) Leib dem Haupte, Christus, verähnlicht werde, dessen physischer Körper unbedingt von den Toten auferstehen musste, war er doch der Gottheit unauflösbar vereint. Endlich gehört es zur Vollständigkeit der Natur, dass der Mensch aus Leib und Seele wie aus Materie und Form bestehe. Diese aber haben wechselseitiges Verlangen und gegenseitige Neigung zueinander. Also muss unbedingt eine künftige Auferstehung statthaben auf Grund der Natureinrichtung, der Gnadenmitteilung und der vergeltenden Gerechtigkeit, jener Größen, die das ganze All beherrschen. Aus diesen drei Gründen verlangt alles die Wiedererweckung der Toten, damit die Vorwände derer beseitigt werden, die dieser Glaubenswahrheit widersprechen. Mit Recht streitet der ganze Erdkreis gegen sie (Vgl. Weish 5, 21).

Zuerst muss nun also die Auferstehung sich nach den Anforderungen der göttlichen Gerechtigkeit vollziehen. Diese aber gibt einem jeden nach Ort und Zeit das, was sein ist. Und da nun eine jede einmal für eine wenn auch beschränkte Zeit einem Leib vereinte Seele in eben diesem Körper ihre Sünde oder ihre Gnade. trug, müssen alle Leiber auferstehen. - Der Vergeltungszustand muss sich aber vom Pilgerstand unterscheiden, und die Auferstehung bezieht sich auf den ersteren. Damit die Ordnung des Alls nicht gestört werde und der Glaube sein Verdienst erhalte, der für wahr nimmt, was er nicht sieht, und damit das Ebenmaß der Gerechtigkeit Gottes sicherer und deutlicher zutage trete, endlich aber, damit Vollendung und Endabrechnung bei den Engeln und bei den Menschen gleichzeitig stattfinden, heischt die göttliche Gerechtigkeit, dass alle zugleich auferstehen. So ist es wenigstens nach allgemeinem Gesetz; das füge ich aber hinzu mit Rücksicht auf Christus und seine allerseligste Mutter, die glorreiche Jungfrau Maria. - Weil aber den Bösen Strafe und Elend, den Guten hingegen Verherrlichung zukommt, wird die Auferstehung zwar gleichzeitig erfolgen, aber für die einzelnen sehr verschieden sein. Der Sünder Wiedererweckung geschieht ja nicht zum Leben, sondern zum Gericht. Sie müssen deshalb mit den Schwächen, Entstellungen und Mängeln auferweckt werden.

Ferner wird die Auferstehung durch das bedingt, was die Vollendung der Gnadenordnung betrifft. Die vollkommene Gnade aber macht uns Christus, unserem Haupte, gleichförmig, an dem kein Glied mangeln darf, vielmehr das Vollalter und angemessene Ausdehnung und sehr schöne Gestalt erreicht werde. Darum müssen die Guten in denkbar bestem Zustand auferstehen. Die Lasterspuren sollen also in ihnen zerstört, die Natur aber erhalten werden. - Auch gehört sich, dass fehlende Glieder ersetzt werden, und weggenommen wird, was überflüssig war. Irgendwelche Unregelmäßigkeit der Organe muss verbessert werden. Die als kleine Kinder Verstorbenen werden durch göttliche Kraft auf das Mannesalter Christi gebracht, das er bei seiner Auferstehung hatte, "allerdings nicht der Körperfülle nach"<ref> Augustin, De civit. XXII c. 14 M 41, 776 f. </ref>. Der Altersschwache aber wird auf dieses selbe Vollalter zurückgeführt werden. Gleichviel ob sie Riesen oder Zwerge waren, sie werden alle das angemessene Maß erhalten. Und so sollen alle vollständig und vollkommen zusammentreten zum VoIlmaß des Lebensalters Christi.

Endlich muss die Auferstehung der Vervollkommnung der Natur entsprechen. Der Natur der geistigen Seele aber eignet die Belebung des eigenen Leibes, denn "der selbständige Akt vollzieht sich im eigenen Stoff"<ref> Aristoteles, De anima, Text 26 (c. 2). </ref>. Darum muss individuell derselbe Leib auferstehen, sonst wäre es ja keine richtige Auferstehung. Die Natur der vernünftigen und unsterblichen Seele fordert für ihr unvergängliches Sein auch einen Körper, dem sie dauernd Leben einflößt. Deshalb hat auch der Leib, welcher der Seele verbunden ist, eben auf Grund dieser Vereinigung eine Neigung zur dauernden Unverweslichkeit. Diese Hinordnung besteht darin, das dasjenige, was die ganze Leibessubstanz ausmacht, als da sind die hauptsächlichen Glieder, die Lebenssäfte und das gestaltete Fleisch, eine notwendige, die andern Körperteile aber, wie das ungeformte Fleisch<ref> Unter caro secundum speciem versteht Bonaventura in Abhängigkeit von Aristoteles, De generat. et corrupt. 1. 1 Text 35 c. 5, jenes Fleisch, das selbst die Fähigkeit hat, Nahrung wieder in Fleisch zu verwandeln, unter caro secundum materiam dagegen jenes, dem diese Fähigkeit nicht zukommt. Vgl. Bonaventura II Sent. d. 30 a. 3 q. 2 und Scholion dazu S. 733. </ref> und jene Teile, die zur Ausgestaltung dienen, nur eine geziemende Bestimmung dazu haben. Die ersteren sind also durch Notwendigkeit, die übrigen aber nur durch Angemessenheit zur Auferstehung veranlagt. Gott hat diese Hinordnung der Natur eingeprägt, aber diese selber kann sie nicht entfalten; sie vermag nicht, Tote aufzuerwecken. Auf der anderen Seite aber kann die göttliche Vorsehung auch nichts vergeblich einrichten. Aus diesem Grunde ist es nötig, dass durch die Kraft Gottes individuell derselbe Körper, aus all seinen Teilen zusammengefügt, unsterblich wiederhergestellt werde, ganz getreu seiner natürlichen Besonderheit. - Dieses liegt aber nicht im Machtbereich der bloßen Geschöpflichkeit, sondern nur in ihrem Verlangen. Sie kann weder denselben in seine Bestandteile zerfallenen Körper wieder aufbauen, hat sie doch keine Gewalt über die gesamte Substanz desselben, noch kann sie ihn unsterblich machen, ist doch alles, was natürlich erzeugbar ist, auch vergänglich; auch kann sie endlich Verstreutes nicht wieder sammeln. Darum darf die Auferstehung weder auf Keimgründe noch Naturursachen zurückgeführt werden, vielmehr ist sie der Erstursache zuzuschreiben. Sie soll nach wunderbarem und übernatürlichem Geschehen auf Anordnung des göttlichen Willens erfolgen.

6. Kapitel: Die Höllenstrafe als Folge des Weltgerichtes

Auf das Weltgericht folgt ein doppeltes: die Höllenstrafe und die Himmelsseligkeit.

Darlegung: Die Höllenstrafe vollzieht sich an einem stofflichen, tiefgelegen Ort. Dort werden alle Verworfenen, die Menschen wie die bösen Geister, ewig gepeinigt. Sie werden aber von demselben körperlichen Feuer gequält, das die Geister und auch die Leiber brennt und martert. Es verzehrt sie aber nicht, sondern foltert sie nur immer fort, die einen mehr, die anderen weniger, wie sie es jeweils verdient haben. - Mit dieser Feuerqual wird eine Peinigung aller Sinne, die Strafe des Wurmes und die Entbehrung der Anschauung Gottes verbunden sein. So wird in diesen Strafen Verschiedenheit und mit der Abwechslung Bitterkeit, mit der Bitterkeit Endlosigkeit verbunden sein. Und der Rauch ihrer Qual wird zur Verdemütigung der Verdammten in alle Ewigkeit aufsteigen.

Begründung: Das Urprinzip ist ohne weiteres als das erste auch das höchste. Was immer es besitzt, hat es im höchsten Maße. Darum muss es auch das allerrechtlichste sein und demnach in der Vergeltung nach seiner Rechtlichkeit vorgehen. Es kann ja nicht gegen sich selber auftreten, noch gar sich selber verneinen oder seiner eigenen Gerechtigkeit zuwider sein. Darum geziemt es sich notwendigerweise auf Grund der Erfordernisse seiner Rechtlichkeit, dass die Sünde nach der Größe der Schuld bestraft werde, und zwar am meisten in jenen, die das Gesetz der Barmherzigkeit missachtet haben und durch Unbußfertigkeit der Strenge der Gerechtigkeit anheimfallen. Diese betrachtet die Sünde nicht nur in ihrer Wurzel, sondern auch in ihren erschwerenden Nebenumständen. Deshalb ist es sehr angemessen, dass der gerechte Richter von den Bösen die geschuldeten Strafen bis zum letzten Cent einfordert (Vgl. Mt 5, 26), damit so die Makel der Sünde nicht ohne die Zierde der Gerechtigkeit bleibe. Wie also die Macht in der Erschaffung, die Weisheit in der Regierung und die Gnade in der Erlösung bekundet wurde, so wird hier in der Bestrafung die höchste Gerechtigkeit offenbar. Die göttliche Gerechtigkeit muss also den Bösen nach seiner Verschuldung bestrafen. Jene Todsünde nun, aus der die Unbußfertigkeit bis ans Ende entspringt, besteht in einer fortwährenden Ungeordnetheit, in der Unordnung der bösen Begehrlichkeit und in einer vielgestaltigen Entartung. Darum muss durch die Ewigkeit, die Bitterkeit und die Vielgestaltigkeit der Strafen gebüßt werden.

Zuerst also muss die Strafe der fortdauernden Ungeordnetheit eine ewige sein. Denn, die begangene Sünde, die nicht bereut wurde, währt endlos in der Seele fort und trennt vom ewigen Leben, d. h. von Gott. Auch geht sie aus einer Willensrichtung hervor, die unaufhörlich im Bösen schwelgen möchte. Mag auch die vergängliche Lust selber nur eine augenblickliche sein, so trägt doch die Unordnung den Charakter der Dauer an sich. Daher darf auch die ihr entsprechende Strafe kein Ende haben. Wie der Mensch in seiner Willensverhärtung nicht von der Sünde ablassen will, so hört Gott in seiner Willensunveränderlichkeit nicht auf, ihn zu züchtigen. Und wie jener gegen das Unendliche sündigte, so wird er auch unendliche Strafe erleiden. Da der Mensch nun aber die Unendlichkeit der Strafe nicht der Heftigkeit nach ertragen kann, muss er sie wenigstens der Dauer nach erdulden. Und wie sein Wille auch nach dem Tod noch immer dem Bösen anhängt ohne die geringste Neigung zur Buße, so wird Gott ihn ohne Abänderung seines Urteils züchtigen. Die Fortdauer der Unordnung in den verdammten Sündern macht dieses eben notwendig.

Die Strafe der ungeordneten Begehrlichkeit muss ferner niederdrückend sein, weil die sündhafte Lust durch die gegenteilige Traurigkeit bestraft wird. Der vernünftige Geist kehrt sich durch die Sünde zum eigenen Gute, zu dem, was nur als etwas Vorübergehendes und teilweise Gutes geliebt wird. Dadurch missachtet er den Befehl und die Oberhoheit Gottes. Damit nun diese unerlaubte Lust, in der sich Begehrlichkeit und Missachtung paaren, vollkommen bestraft werde, muss zur Vergeltung beider der Sünder, gleichviel ob Mensch oder Geist, in dem untersten, am allerweitesten vom Glorienstand entfernten Ort gestürzt werden, d. h. in den Abgrund der Hölle. - Dort muss er sich den Peinigungen durch die niedersten Naturdinge aussetzen. Er leidet also nicht durch eine geistige Substanz, sondern durch eine stoffliche, und zwar die gemeinste, die es gibt, nämlich den Unrat der Körperwelt, damit er so im Kot feststecke und von Feuer und Schwefel versengt werde (Vgl. Offb 14, 10). Die Seele, die ja von Natur dem Leib vorgesetzt ist, um ihn zu beeinflussen und zu bewegen, hat diese Rangordnung der Natur durch ihre Sünde umgekehrt und sich selber gleichsam der Gemeinheit und Nichtigkeit unterworfen. Deshalb muss nun nach der Ordnung der Gerechtigkeit bestimmt werden, dass jener Sünder, ob Geist oder Mensch, dem körperlichen Feuer verbunden werde, nicht um diesem (Feuer) Leben einzuflößen, vielmehr um von ihm nach göttlicher Verfügung seine Strafe zu erhalten. So soll er einem Gegenstand unzertrennlich verknüpft sein, den er durch eine gotteingegebene Furcht verabscheut und den er kraft seiner natürlichen Sinne empfindet. Und dadurch muss er bitter leiden. Für die Wirkung dieses Feuers macht jedoch nur die Sünde, die Verschuldung und die Befleckung empfindsam, die aus der unerlaubten Begierde hervorgeht. Diese Empfänglichkeit ist aber nicht bei allen dieselbe. Also werden vom selben Feuer einige mehr, andere weniger gepeinigt, ähnlich wie in derselben Flamme das Stroh anders auflodert, als das Holz verbrennt (Vgl. 1 Kor 3, 12). - Jene Eigenart der Sünde und Verschuldung aber, nach der sich die Wirkung des Feuers richtet, ist in derselben Person stets gleichbleibend und nimmt weder zu noch ab, noch aber verändert sie sich. Dadurch wirkt die Feuerstrafe auf göttlichen Befehl derart, dass sie wohl immer brennt, aber nie verzehrt, immer quält, aber nie aufhört. Dieses Feuer geht nicht darauf aus, sich zu vermehren, wohl aber die Ruhe der Seele im Körper oder den des Geistes in sich selber zu zerstören. Dabei erfolgt keine neue Störung der Ruhe, sondern nur deren Fortsetzung, damit so in derselben Strafe weder die Bitterkeit die Endlosigkeit, noch aber diese jene aufhebe.

Auch muss endlich die vielfältige Ungeordnetheit mannigfach bestraft werden. In jeder wirklichen Todsünde aber liegt eine ungeordnete Abkehr vom höchsten Licht und der Güte, sowie eine unordentliche Hinwendung zum veränderlichen Gute und eine Willensauflehnung gegen die Vorschriften der rechten Einsicht vor. Also müssen alle, die persönlich gesündigt haben, in der Verdammnis auf diese dreifache Art bestraft werden. Für ihre Abkehr büßen sie durch Entbehrung der Gottanschauung, für ihre Hinneigung durch das körperliche Brennen, für ihre Auflehnung des Willens und der Vernunft durch die Strafe des Wurmes. Und so werden sie durch Vielfältigkeit ihrer Strafen niedergeworfen und mannigfach, hart und ewig gemartert. Und der Rauch von ihren Qualen wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

7. Kapitel: Die himmlische Verklärung

Darlegung: In der himmlischen Glorie ist ein wesenhafter, ein mitwesentlicher und ein nebengeordneter Lohn enthalten. Der wesenhafte, sage ich, besteht in der Anschauung, dem Genuss und dem Besitze Gottes, des einen, höchsten Gutes, den die Seligen von Angesicht zu Angesicht (Vgl. 1 Kor 3, 12) sehen werden, nämlich ohne Schleier und Hülle, den sie begierig und in Wonne genießen, den sie aber auch ewig festhalten werden. Und so bekommt der heilige Bernhard<ref> Sermo 11 in Cantic. n. 5. </ref> recht, dass "Gott in der Zukunft der Vernunft die Fülle des Lichtes, dem Willen das Vollmaß des Friedens und dem Bewusstsein der sichere Besitz der Ewigkeit ist". - Der mitwesentliche Lohn hingegen besteht in der Verklärung des Leibes, welche man das zweite Seelenkleid nennt. Ist sie erreicht, "so reckt sich die glückliche Seele noch vollkommener nach der höchsten Himmelsseligkeit. Und dieses Gewand besteht .in vier Gaben für den Körper: der Klarheit, der Feinheit, der Leichtbeweglichkeit und der Leidensunfähigkeit. Diese werden je nach dem geringeren oder höheren Grade der früheren "Liebe mehr oder weniger verliehen werden. - Der nebengeordnete Lohn endlich besteht in der Hinzufügung eines ganz besonderen Schmucks, den man Aureole nennt. Nach der Meinung der Gottesgelehrten kommt sie drei Arten von Leistungen zu: dem Martyrium, dem Predigtamt und der jungfräulichen Enthaltsamkeit. In all dem Erwähnten aber wird in Berücksichtigung der persönlichen Verdienste Rangordnung und Unterschiedenheit beobachtet werden.

Begründung: Das Urprinzip besitzt, weil es eben das erste ist, die höchste Einheit, Wahrheit und Güte. Das heißt aber, ihm die erhabenste Macht, Weisheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zuschreiben. Diese unsichtbaren Vorzüge offenbaren sich nun Geziemenderweise durch Taten (Vgl. Röm 1, 20). Darum hat Gott diese sichtbare Welt als Schöpfer derart hervorgebracht und er regiert, erlöst, belohnt und vollendet sie so, dass in der Erschaffung die höchste Macht, in der Regierung die Weisheit, in der Wiederherstellung die Barmherzigkeit und in der Vergeltung die vollendende Gerechtigkeit erscheint. Um also zu seinem eigenen Lob und Ruhm seine Macht zu bekunden, rief Gott alles aus nichts ins Dasein. Er erschuf ein Sein, das dem Nichtsein nahestand, die Körperwelt, sowie ein anderes, das ihm selber nahestand, das geistige Geschöpf und verband dann diese beiden, nämlich die geistige Seele und den stofflichen Körper, im einen Menschen zur Einheit der Natur und der Person. - Um seine Weisheit zu offenbaren, regiert Gott all dieses aufs fürsorglichste und wohlgeordnet. Denn er beherrscht den höheren Teil des Menschen selber, den Geist nämlich, den er erleuchtet. Den unteren Teil hingegen, den Leib, lässt er durch den entscheidungsfreien Willen regieren, damit so der Körper und die sinnlichen Dinge der Leitung des Geistes unterworfen seien, dieser aber Gott unterstehe. Seine Barmherzigkeit zu bezeugen, stellte er den gefallenen Menschen wieder her, indem er selber seine Natur annahm, seine Verschuldung auf sich lud und endlich sogar seine Strafe erduldete. So sollte die höchste Barmherzigkeit den Barmherzigen dem erbärmlichen Menschen gleichmachen, damit jener nicht nur in der Würde der unverdorbenen, sondern auch in den Mängeln der gefallenen, dem Elend preisgegebenen Natur diesem Elendszustand ein Ende mache. - Zur Kundmachung seiner Gerechtigkeit endlich teilt er einem jeden zu nach seinen Verdiensten, und zwar nicht nur den Bösen ihre Strafe, sondern auch den Gerechten die ewige Verherrlichung. So fordert es nämlich die gerechte Vergeltung, die gnadenvolle Wiederherstellung und die wohlgeordnete Regierung sowie die machtvolle Schöpfung. Denn erst am Ende werden all diese vollendet werden.

Zunächst also soll die Belohnung aller Guten den Anforderungen der gerechten Vergeltung, aber auch der machtvollen Hervorbringung entsprechen. Der Schöpfergott nun stellte den vernünftigen Geist in seine eigene Nähe und machte ihn gottförmig durch die Kraft des ihm eingegebenen Ebenbildes der allerheiligsten Dreifaltigkeit. Dieser vollständigen Verähnlichung dient in den Gerechten der ganze Geist. Darum darf diese vernünftige Seele mit nichts Geringerem als Gott selber belohnt und ausgefüllt und in ihrer Empfänglichkeit vollendet werden. Zum Lohn wird ihr deshalb die Gottförmigkeit der Glorie verliehen, durch die sie Gott gleichgestaltet wird und ihn mit dem Verstand deutlich schaut, mit dem Willen vollkommen liebt und in Ewigkeit im Bewusstsein trägt. Damit so die ganze Seele lebe, wird sie in ihrer Ganzheit, in ihren drei Kräften beschenkt, ganz Gott angeglichen, ganz ihm vereint, ganz in ihm zur Ruhe gebracht werden und in ihm als dem Inbegriff des Guten ihren Frieden, ihr Licht und ihr ewiges Genügen finden. Dadurch wird sie "im bleibenden Vollbesitz aller Güter"<ref> Boethius, De consol. prosa 2.</ref> begründet und wenn sie das ewige Leben genießt, kann man sie wohl selig und glorreich nennen.

Diese Vergeltung soll ferner nicht nur die gerechte Verteilung und die kraftvolle Erschaffung, sondern auch die wohlgeordnete Regierung berücksichtigen. In der Schöpfung nun verband Gott den Leib der Seele und verknüpfte beide miteinander durch ein naturhaftes Zusammenverlangen. Er ordnete den Körper der Seele unter und bewirkte im Gnadenstand, dass sie sich herabneigte und sich bemühte, ihn auf verdienstliche Art zu meistern. Dieser Naturtrieb lässt den Geist nicht zur vollkommenen Seligkeit kommen, wenn ihm nicht sein Leib zurückgegeben wird, zu dessen Wiederannahme ihn eine natureingegebene Neigung treibt. Und die Ordnung der Weltregierung verlangt, dass der Körper dem beseligten Geist, nur in allem verähnlicht und unterworfen, wiedergegeben werde, soweit nur immer der Leib der Seele angeglichen werden kann. Da also der Geist durch die Schau des ewigen Lichtes verklärt ist, muss in seinem Leib vor allem auch die Klarheit des Lichtes wiederstrahlen. Auch hat seine Liebe zum höchsten Geist eine höchst geistige Wirkung. Deshalb muss er auch an seinem Leib eine entsprechende Feinheit und Vergeistigung aufweisen. Ferner ist er dank des Besitzes der Ewigkeit vollständig allem Leid enthoben worden und muss daher einen sowohl innerlich wie äußerlich leidensunfähigen Körper haben. Auf Grund all der genannten Vorzüge nun hat ein solcher Geist überaus große Eile im Hinstreben zu Gott, weshalb sein verklärter Leib mit höchster Leichtbeweglichkeit ausgestattet sein muss. Durch diese vier Gaben also wird der Körper der Seele verähnlicht und dabei unterworfen. Man sagt daher, dass er hauptsächlich mit ihnen ausgestattet und durch sie befähigt werde, dem Geist zu folgen und mit ihm ins Himmelreich, die Wohnung der Seligen, versetzt zu werden. Durch diese genannten vier Eigenschaften werden die menschlichen Leiber den Himmelskörpern ähnlich und durch sie rückt der Verklärte gleichsam schrittweise von den vier Elementen ab. Diese vierfältige Begabung macht sowohl den Körper in sich selbst vollkommen als auch für die himmlische Wohnung und den Heiligen Geist passend. Durch diesen fließt ja von Gott, dem höchsten Haupte, die Fülle der Wonne und die Trunkenheit der Seligkeit bis zum Saum des Gewandes (Vgl. Ps 132, 1), d. h. bis in den Körper herab und wird, soweit es möglich ist, auf diesen. übertragen.

Jene Belohnung muss endlich nach den Anforderungen der gerechten Vergeltung, kraftvollen Hervorbringung und wohlgeordneten Weltregierung, aber auch der glorreichen Wiederherstellung erfolgen. Nun sind aber in den verschiedenen Gliedern Christi mannigfaltige Begnadungen nicht nur hinsichtlich der inneren Gaben, sondern auch in Bezug auf die äußere Betätigung (Vgl. 1 Kor 12, 4), nicht allein als Anlagen, sondern auch als Zuständlichkeiten. Sie dienen nicht nur der Vervollkommnung der Liebe in der Seele, sondern bewirken auch eine vollkommenere Ausschmückung des Körpers. Darum ziert manche Glieder außer der Verklärung der Seele mit ihren drei und derjenigen des Leibes mit ihren vier Gaben auch noch ein gewisser Vorzug der Schönheit und Freude. Er hat seinen Grund in jener hervorragenden Vollkommenheit und Zierde, die jene in ihrem edlen Wirken entwickeln. Drei Arten von Leistungen gibt es, die besonders hervorragend vollkommen und herrlich sind und in einer ganz eigenartigen Pracht erglänzen, den drei Seelenkräften entsprechend. Die Vernunft nämlich betätigt sich in der Verkündigung jener Wahrheit, die andere zum Heil hinführt; die Begehrlichkeit in vollkommener Vermeidung der sinnlichen Begierden durch die fortwährende Unversehrtheit in Bewahrung der Jungfräulichkeit; der Wille in der Erduldung des Todes zur Ehre des Herrn. Diesen drei Arten von Gerechten nun, Predigern, Jungfrauen und Märtyrern, gebührt jene Herrlichkeit des beigeordneten (akzidentellen) Lohnes, die wir Aureole nennen. Sie ziert nicht die Seele allein, sondern auch den Leib, wird sie doch nicht nur der inneren Gesinnung, vielmehr auch dem äußeren Wirken zuteil, durch das sich der Mensch das Verdienst und den Lohn der Liebe aneignet. Dieser besteht in der siebenfältigen Gabe, den drei seelischen und den vier leiblichen Geschenken, in denen die Vollendung, Unversehrtheit und Fülle aller zur Vervollständigung der Glorie zu erhoffenden Güter enthalten ist.

Welcher Art und wie groß sie aber sein werden, soll nicht mit meinen eigenen Worten, sondern mit denen des heiligen Anselm ausgeführt werden. Er sagt nämlich am Ende seines Proslogiums<ref> c. 24. </ref>: "Erhebe dich nun, meine Seele, und recke deinen ganzen Verstand empor. Bedenke, soweit du es vermagst, welcher Art und wie groß jenes Gut sei. Wenn schon einzelne Güter erfreuen, dann erwäge sorgfältig, wie beglückend erst jenes Gut sein wird, das die Annehmlichkeiten aller Güter in sich birgt und dieses nicht etwa nur so, wie wir es von den erschaffenen Dingen erfahren haben; vielmehr ebenso verschieden davon, wie sich der Schöpfer von seinen Werken unterscheidet. Wenn nämlich schon das geschaffene Leben gut ist, wieviel mehr dann erst das schöpferische? Wenn schon das irdische Heil angenehm ist, wieviel mehr erst jenes Heil, das alles Heil wirkt? Wenn schon jene Weisheit liebenswert ist, welche die geschöpflichen Dinge erkennt, wie liebenswert ist dann erst jene, die alles aus nichts hervorgebracht hat? Und endlich, wenn schon aus den freudenbringenden Dingen viele und große Lust zu schöpfen ist, wie beschaffen und wie groß muss dann erst die Wonne an demjenigen sein, der sie so freudenbringend gemacht hat?"

"Was. wird dieses Gut dem geben, der es genießen darf, und was wird es ihm nicht sein? Ganz gewiss wird es ihm das sein, was immer er wünscht, und was er nicht will, das wird es ihm auch nicht sein. Dort sind ja Güter für Leib und Seele hinterlegt, wie sie kein Auge gesehen, noch ein Ohr gehört, noch ein Menschenherz ausgesonnen hat (1 Kor 2, 9). Warum also, Menschlein, durchschweifest du das Vielerlei, um die Güter deiner Seele und deines Leibes zu suchen? Liebe nur das eine Gut, indem alle übrigen beschlossen sind, und es genügt. Begehre das einfache Gut, das jedes Gute in sich schließt, und es ist genug. Was liebst du also, mein Fleisch, was ersehnst du, meine Seele? Hier findet sich, was du liebst, was du erstrebst. Wenn dich die Schönheit entzückt: gut, die Gerechten werden leuchten, wie die Sonne <ref> Zum folgenden vgl. Mt 13, 43;. Mt 22, 30; 1 Kor 15, 44; Weish 5, 16; Ps 36, 9; Ps 16, 15; Ps 35, 9.</ref>, wenn Behendigkeit oder Kraft oder Freibeweglichkeit des Körpers, die nichts hemmen kann: sie werden den Engeln Gottes ähnlich sein; "denn gesät wird ein tierischer Leib, aber es wird auferstehen ein geistiger Leib" dank der Macht (Gottes) freilich, nicht der Natur; wenn ein langes Leben in Gesundheit: hier ist die Gesundheit der Ewigkeit und die Ewigkeit der Gesundheit, denn "die Gerechten leben ohne Ende"· und "das Heil der Gerechten ist aus Gott". Wenn du Sättigung begehrst: "sie werden gesättigt werden, wenn die Herrlichkeit Gottes erschienen ist". Willst du Trunkenheit: "sie werden berauscht' aus dem Überreichen Vorrat des Hauses Gottes". Ersehnst du Wohlklang: "hier klingen die Engelchöre ohne Ende im gemeinsamen Gotteslob zusammen". Welche allerdings nicht unreinen, wohl aber reinen Genüsse immer liebenswert sind: "du, o Gott, wirst sie mit dem Strom deiner Seligkeit tränken". Wenn du Weisheit suchst: die Weisheit Gottes selber, wird sich ihnen offenbaren; wenn Freundschaft: sie werden Gott mehr, die anderen aber ebenso wie sich selbst lieben, und Gott wird sie mehr lieben als sie sich selber, weil sie ihn und sich sowie einander gegenseitig durch ihn lieben werden; er aber liebt sich und sie durch sich selber. Wenn du nach Eintracht verlangst: sie werden alle eines Willens sein, denn sie werden keinen anderen Willen mehr haben als den Gottes; wenn Macht: wohlan, sie werden ganz mächtig über ihren Willen sein wie Gott über den seinen. Wie Gott nämlich durch sich selber vermag, was er will, so werden sie durch ihn vollbringen, was sie wollen, weil sie ja nichts anderes mehr wollen, als was er will. Darum will eben auch er, was immer sie wollen, und was Gott will, das kann nicht unerfüllt bleiben. Suchst du Ehre und Reichtümer: Gott setzt seine guten und getreuen Knechte über vieles (Mt 25, 21.23). Ja, sie werden "Söhne Gottes und Götter" (Ps 5, 9; Joh 10,34) genannt werden und sein. Und wo immer der Sohn sein wird, da sind auch sie als "Erben Gottes und Miterben Christi" (Röm 8, 17). Verlangst du Sicherheit: sie werden ohne Zweifel gewiss sein, niemals und nirgends jener Güter oder vielmehr dieses Gutes zu ermangeln, wie sie gewiss sein werden, dass sie es niemals aus eigner Schuld verlieren, noch dass Gott, ihr Geliebter, es seinen Geliebten gegen ihren Willen nehmen oder eine höhere Macht Gott und sie ohne ihre Zustimmung trennen werde".

"Welcher Art und wie groß muss die Freude über ein so großes Gut sein? Menschenherz, du bedürftiges, schmerzerfahrenes, leidtragendes, ja mit Trübsal überschüttetes Herz, wie wirst du froh werden, wenn du alles dieses im Überfluss besitzt. Frage dein Innerstes, ob es die Freude über so viel Seligkeit fassen kann? Und sei gewiss, wenn ein anderer Mensch, den du so wie dich selber lieben würdest, dieselbe Seligkeit besäße, so würde deine Freude verdoppelt. Du freutst dich ja für ihn nicht weniger als für dich selber. Wenn aber zwei oder drei oder viele dasselbe Gut zusammen besäßen, so würdest du dich für den Einzelnen so viel freuen, wie für dich, wenn du ihn liebtest wie dich selbst. Also wird in jener vollkommenen Liebe der unzählbaren Engel und seligen Menschen, wo keiner den anderen weniger als sich selber liebt, man sich für jeden anderen nicht anders freuen als für sich selber. Wenn nun das Menschenherz schon sein eigenes derart großes Gut kaum fassen wird, wie wird es dann erst so große und viele Seligkeiten tragen können? Und ferner, wie sehr jemand einen anderen liebt, so sehr freut er sich über dessen Glück. Wie aber in jener vollkommenen Glückseligkeit jeder einzelne Gott unvergleichlich mehr als sich selber und alle anderen Seligen lieben wird, so wird er sich auch Über die Glückseligkeit Gottes unermesslich mehr als über die eigne und die aller anderen entzücken. Wenn aber die Seligen Gott derart aus ganzem Herzen, ganzem Gemüte und ganzer Seele lieben (Mt 22, 37), dass das ganze Herz, das ganze Gemüt, die ganze Seele für die Größe dieser Liebe gleichsam zu klein sein wird, so werden sie sich wahrhaftig aus ganzem Herzen, ganzem Gemüte und ganzer Seele auch so freuen, dass das ganze Herz, das ganze Gemüt und die ganze Seele für die Fülle der Seligkeit kaum ausreichen wird.

"Noch immer nicht, o Herr, habe ich ausgesprochen oder ausgedacht, wie sehr sich deine Seligen freuen werden. So groß aber wird ihre Wonne sein, wie ihre Liebe war. Ihre Liebe wiederum wird sich nach ihrer Erkenntnis richten. Wie sehr werden sie dich nun erkennen, und wie sehr dich lieben? Gewiss, kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, noch ist es in ein Menschenherz gedrungen, wie tief sie dich kennen und lieben werden in jenem Leben. - So flehe ich dich denn an, o Gott, lass mich dich erkennen, dich lieben und mich deiner erfreuen! Und wenn ich es in diesem Leben nicht vollkommen vermag, so lass mich doch von Tag zu Tag darin zunehmen, bis ich das Vollmaß erreicht habe. Möchte hienieden deine Erkenntnis in mir fortschreiten und dort vollendet werden! Möchte deine Liebe hier wachsen und dort vollkommen sein! Möchte im Diesseits meine Freude groß in der Hoffnung, im Himmel aber vollständig in der Erfüllung sein. Herr, durch deinen Sohn befiehlst du, ja du rätst zu bitten und versprichst das Gewähren, damit unsere Freude voll werde. Wahrhaftiger Gott, ich bitte, lass mich empfangen, auf dass meine Freude vollkommen sei! Ich erflehe, Herr, was du uns durch unseren wunderbaren Ratgeber rätst. Lass mich empfangen, was du durch deine Wahrheit verheißt, damit meine Freude vollkommen sei. Unterdessen soll mein Verstand darüber nachsinnen, meine Zunge davon reden, mein Herz es lieben, mein Mund davon übergehen, meine Seele danach hungern, mein Fleisch danach dürsten, mein ganzes Sein es ersehnen, bis ich eintrete in die Freude meines Herrn, der da ist der eine, dreieinige Gott, hochgelobt in alle Ewigkeit. Amen (Röm 1, 25).

Konklusion

Marianne Schlosser zitiert Jean Gerson in der Einleitung (S. 10) des von ihr übersetzten Buches: "Die Beschäftigung mit seiner (Kirchenlehrers Bonaventuras) Lehre würde gewisse Krankheiten in der theologischen Wissenschaft heilen, nämlich die Sucht, sich mit ganz neuen, ausgefallenen Theorien zu profilieren, und die Gefahr, die Zeit mit überflüssigen Spitzfindigkeiten zu vertun, anstatt das Wesentliche und Notwendige zu lernen." Für Matthias Joseph Scheeben ist das "Breviloquium" ein "Juwelenkästlein", das mit jedem Wort eine große Frage löse und die Quintessenz der mittelalterlichen Theologie in sich berge<ref>Matthias Joseph Scheeben: Handbuch der Katholischen Dogmatik, Freiburg 1933, Bd. 1,432.</ref>; und Marie-Dominique Chenu sieht in ihm die franziskanisch inspirierte Theologie geradezu inkarniert.<ref>Marie-Dominique Chenu, La théologie comme science au XIIle siéce, Paris 1943, 55.58.</ref>

Literatur

Deutsch:

Lateinisch:

  • Bonaventura Opera omnia (vollständige Gesamtausgabe): Bonaventura: Doctoris Seraphici S. Bonaventurae S.R.E. episcopi cardinalis opera omnia iussu et auctoritate Bernardini a Portu Romatino totius Ordinis Minorum S. p. Francisci Ministri generalis edita. 10 Bände und ein Band Indice. Zusammen 11 Bände. Ad Claras Aquas (Quaracchi) Ex typographia Collegii S. Bonaventura 1882 - 1902; Breviloquium V. Band.
  • Tria Opuscula Seraphici Doctoris S. Bonaventurae. Breviloquium Itinerarium mentis in Deum et de Reductione Artium as Theologiam, Claras Aquas Verlag Quaracchi 1896 (533 Seiten, Halbleder, Editio secunda), 1940 (391 Seiten, Editio tertia).
  • Tria Opuscula Breviloquium Itinerarium mentis in Deum et de Reductione Artium ad Theologiam, notis illustrata (Editio quinta 1938) + Decem Opuscula ad Theologiam Mysticam Spectantia in Textu correcta e notis illustrate, editio Quarta (1949) + Legenda Maior S. Francisci Assisiensis et eiusdem Legenda Minor (editio minor, 1941),Ad Claras Aquas Verlag Florentiae 1938 (591+477+242 Seiten).
  • Bonaventura: Breviloquium. Adjectis illustrationibus ex aliis operibus ejusdem S. Doct. Depromptis tabulis ad singula capita et appendicibus. Op. et studio A. M. a Vicetia, Herder Verlag Friburgi Brisgoviae 1881 (708 S., Ed. altera, Originalhalbleder).
  • Sancti Bonaventurae Breviloquium , adjectis illustrationibus ex aliis operibus ejusdem S. Doct. Depromptis, tabulis ad singula capita et appendicibus opera et studio P. Antonii Mariae a Vucetia, ZWEI Bände in einem Band, Ex typographia Aemiliana 1874 (352, 545 Seiten).
  • Sancti Bonaventurae: Breviloquium, Laupp Verlag 1848 (278 paginas; Editio altera passim emendata et aucta).
  • Sancti Bonavernturae (eximii Ecclesiae doctoris) Breviloquium, Textum recognovit Carolus Josephus Hefele, H. Laupp Verlag Tübingen 1845 (272 Seiten); Reprint von 1848, Print-on-Demand 2021 (307 paginas, Softcover).
  • Breviloquium d.i. Vorbild des menschl. Lebens Reprint von 1608, Print-on-Demand 2021 (409 paginas, Softcover).
  • Breviloquium Theologie, Reprint von 1562, Print-on-Demand 2021 (223 paginas, Softcover).
  • Breviloquium d.i. Ein Exemplar des Menschl. Lebens, Reprint von 1599, Print-on-Demand 2021 (475 paginas, Softcover),
  • Breviloquium Theologie, Reprint von 1502, Print-on-Demand 2021 (253 paginas, Softcover), Reprint von 1503, Print-on-Demand 2021 (312 paginas, Softcover).

Weblinks

Anmerkungen

<references />