Catechismus Romanus III. Teil: Von den Geboten

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Catechismus Romanus
III. Teil: Von den Geboten

(Quelle: Das Religionsbuch der Kirche, Catechismus Romanus gemäß Beschluß des Konzils von Trient für die Seelsorger herausgegeben auf Geheiß des Papstes Pius V.. In deutscher Übersetzung herausgegeben von Dr. Michael Gatterer SJ, erstes Buch – II Bändchen, übersetzt von Anton Koch S.J., Verlag Felizian Rauch Innsbruck-Leipzig 1940, S. 1-269 (3. Auflage); Imprimatur Nr. 3106. Apostolische Administratur Innsbruck, 9. Dezember 1940 K. Lechleitner, Kanzler; Als Vorlage zur Übersetzung diente die bei Tauchnitz, Leipzig erschienene Ausgabe des Catechismus Romanus, die genau den Text des in Rom erstmals gedruckten Originals wiedergibt. Die Gliederung in Teile und Kapitel ist ursprünglich und offiziell. Die fetten Nummern geben die Nummerierung wieder, die Andreas Fabricius, Professor der Philosophie in Löwen († 1581) erstmals einführte; sie sind nicht in allen Ausgaben gleich. Die in eckigen Klammern stehenden Zusätze sind von Dr. Michael Gatterer (außer wenn sie innerhalb gewöhnlicher Klammer stehen). Die Anmerkungen wurden bei der Digitalisierung im Text in Klammer, die Stellen der Heiligen Schrift nach den Abkürzungen der Einheitsübersetzung [Anhang] wiedergegeben); siehe: Catechismus Romanus II. Teil: Von den Sakramenten.

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Moses erklärt die Zehn Gebote Gottes

Erstes Kapitel: Von den zehn Geboten Gottes im allgemeinen

1 Der Dekalog (Zehngebote) ist, wie der hl. Augustin schreibt, der Inbegriff oder kurze Abriss sämtlicher Gebote (Aug. sup. Exod q. 140). Zwar redete der Herr zu Moses über vieles. Doch wurden ihm bloß zwei Steintafeln übergeben, die so genannten »Tafeln des künftigen Zeugnisses« in der Bundeslade. Denn alles andere, was Gott sonst noch befohlen hat, beruht auf den Zehngeboten der zwei Tafeln, wie jeder einsehen muss, wenn es ihm um's rechte Verständnis zu tun ist. Die Zehngebote selbst gehen hinwieder auf zwei zurück, das der Gottes- und Nächstenliebe, »auf denen ja das ganze Gesetz ruht und die Propheten« (Mt 22,40).

2 Da es sich also um den Inbegriff des ganzen Gesetzes handelt, müssen die Seelsorger Tag und Nacht in der Betrachtung darüber verharren. Nicht nur um ihr eigenes Leben nach dieser Richtschnur zu gestalten, sondern auch um das ihnen anvertraute Volk im Gesetz des Herrn zu unterweisen. Denn »man hängt ja an des Priesters Lippen, aus seinem Mund sucht man Belehrung im Gesetze; des Herrn der Heerscharen Bote ist er ja« (Mal 2, 7). Ganz besonders gilt das von den Hirten des Neuen Bundes, die Gott viel näher stehen und »zu immer größerer Klarheit« [der Erkenntnis gelangen sollen »durch des Herrn Geist« (2 Kor 3,18). Sie hat Christus der Herr »Licht« genannt. Darum ist es ihre Aufgabe, denen die im Finstern sind, Leuchte zu sein (Röm 2,19), den Unwissenden Lehrer, den Kindern Erzieher; und wenn einer in der Übereilung einen Fehltritt tut, sollen sie, die da Geistesmänner sind, ihn zurechtweisen (Gal 6,1).

Im Beichtstuhl üben sie zudem das Richteramt aus und fällen je nach Gattung und Beschaffenheit der Sünden das Urteil. Wollen sie also, dass ihre Unwissenheit ihnen selbst und andern nicht zum Verderben gereiche, dann müssen sie sehr achtsam und im Auslegen der Gebote wohl bewandert sein: Nur so können sie dieser göttlichen Regel gemäß ihr Urteil über jede Handlung und Pflichtversäumnis sprechen, und wie es beim Apostel heißt, »gesunde Lehre« bieten (2 Tim 4, 3). Eine Lehre, die keinerlei Irrtum enthält und ein Heilmittel ist für die Seelenkrankheiten, die Sünden, auf dass »das Volk Gott wohlgefällig und eifrig sei zu guten Werken« (Tit 2, 14).

Bei der Behandlung der Gebote habe der Seelsorger selbst vor Augen und lege den andern vor, was geeignet ist, den Willen zum ~ Gehorsam gegen das Gesetz (Gottes) zu bee stimmen. 3 Unter den Beweggründen aber, die das menschliche Gemüt zur Beobachtung der Vorschriften des Dekalogs anzuspornen vermögen, ist der wirksamste der, dass Gott der Urheber dieses Gesetzes ist. Denn mag es auch heißen, »es sei durch Engel gegeben worden« (Gal 3, 19), so kann doch niemand zweifeln, dass Gott selbst Urheber des Gesetzes ist. Dafür zeugen zur Genüge nicht nur die Worte des Gesetzgebers, die bald erklärt werden sollen, sondern beinahe unzählige Stellen der Hl. Schrift, die sich dem Seelsorger leicht darbieten werden.

Ferner gibt es doch niemand, der nicht inne würde, dass ihm ein Gesetz von Gott ins Herz gepflanzt ist, durch das er gut und bös, ehrbar und gemein, Recht und Unrecht zu unterscheiden imstande ist. Da aber Kraft und Inhalt dieses Gesetzes vom geschriebenen keineswegs verschieden sind, wer sollte da noch zu leugnen wagen, dass Gott der Urheber wie des angebornen so auch des geschriebenen Gesetzes sei? - Dieses göttliche, durch schlechtes Leben und langwährende Verkehrtheit schon fast verdunkelte Licht [des ins Herz geschriebenen Naturgesetzes] hat Gott nicht erst angezündet, als Er Moses die Gebote gab, sondern es nur in hellerem Glanze erstrahlen lassen. Das muss man betonen, damit, wenn das Volk hört, das Mosaische Gesetz sei außer Kraft gesetzt, es nicht meine, durch diese Vorschriften nicht gebunden zu sein. Denn es ist ganz sicher, dass man diesen Geboten gehorchen muss, nicht deshalb, weil sie durch Moses gegeben, sondern weil sie in aller Herz gepflanzt und von Christus dem Herrn erklärt und bestätigt worden sind.

4 Nun liegt aber in dem Gedanken: der Gesetzgeber ist Gott, an dessen Weisheit und Gerechtigkeit wir nicht zweifeln, dessen unendlicher Gewalt und Macht wir nicht entrinnen können, eine große Hilfe und eine starke willenbestimmende Kraft. Wenn daher Gott durch die Propheten die Beobachtung des Gesetzes einschärft, sagt Er, Er sei der Herrgott; so gleich zu Beginn des Dekalogs: »Ich bin der Herr dein Gott« (Ex 20, 2); und an einer andern Stelle: »Wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir« (Mal 1,6)?

5 Dieser Gedanke wird die Gläubigen nicht nur zur Beobachtung der Gebote anregen, sondern auch zur Dankbarkeit dafür, dass Gott seinen Willen, in dem unser Heil liegt, so klar geoffenbart hat. Es hebt denn auch die Hl. Schrift an mehr als einer Stelle diese ganz große Wohltat hervor, und ermahnt das Volk, seiner eigenen Würde und der Güte des Herrn eingedenk zu sein. So heißt es im fünften Buch Mosis: »Es wird den Augen der Völker eure Weisheit und Klugheit auffallen. Hören sie von all diesen Satzungen, so werden sie sprechen: Wahrhaftig, ein gar weises und kluges Volk, eine große Nation« (Dtn 4, 6)! Ähnlich heißt es im Psalm: »So hat er keinem andern Volk getan, und keinem andern sein Gesetz verkündet« (Ps 147, 20).

6 Wenn der Pfarrer überdies die Bedeutung des gegebenen Gesetzes mit dem Bericht der Hl. Schrift begründet, werden die Gläubigen leicht einsehen, wie gewissenhaft und mit welcher Ehrfurcht sie das von Gott empfangene Gesetz heilig halten müssen. Drei Tage nämlich, bevor das Gesetz verkündet wurde, ward auf Gottes Geheiß allen kundgetan: sie sollten ihre Kleider waschen und sich ihren Frauen nicht nahen, damit sie mit um so größerer Reinheit und Bereitwilligkeit das Gesetz entgegennähmen; für den »dritten Tag« sollten sie sich bereit halten. Als sie dann an den Berg gelangt waren, von dem aus ihnen der Herr durch Moses die Gebote verkünden wollte, erhielt Moses allein den Befehl, auf den Berg zu steigen. Hier erschien Gott in größter Herrlichkeit, und hüllte den Ort unter Donner und Blitz in Feuer und dichten Nebel. Dann begann Er mit Moses zu sprechen und gab ihm das Gesetz. Solches geschah nach Gottes Weisheit aus dem Einen Grund, um uns zu mahnen, das Gesetz des Herrn sei mit reinem und demütigem Herzen aufzunehmen; falls wir aber die Gebote vernachlässigten, hätten wir von der göttlichen Gerechtigkeit Strafen zu gewärtigen (Ex 19, 9 ff).

7 Der Pfarrer zeige ferner, dass die Vorschriften des Gesetzes nicht schwer sind. Er könnte das eigentlich durch den Einen dem hl. Augustin entlehnten Grund dartun. Dieser sagt nämlich: »Wem, um des Himmels willen, soll es unmöglich sein zu lieben? zu lieben den gütigen Schöpfer, den liebevollsten Vater? weiters, sein eigen Fleisch in seinen Brüdern? Nun aber, wer liebt ..... hat das Gesetz erfüllt !« (Serm. 47 de Sanct; Röm 13, 8). Daher sagt der Apostel Johannes geradezu, die Gebote Gottes seien nicht schwer (1 Joh 5,3). Denn nichts Gerechteres, nichts Ehrenvolleres, nichts Nützlicheres hätte nach dem hl. Bernhard vom Menschen verlangt werden können (De dil. Deo c. 1). Hingerissen von Bewunderung für soviel Güte, redet der hl. Augustin Gott also an: »Was bin ich denn für dich, dass du von mir geliebt werden willst, und falls ich es nicht tue, mich mit ungeheuren Strafen bedrohst? Ist es nicht schon Strafe genug, wenn ich dich nicht liebte« (Conf 1,5)?

Wollte aber einer zur Entschuldigung vorbringen: die natürliche Schwäche hindere ihn, Gott zu lieben, so ist zu erwidern: Gott, der die Liebe fordert, senkt die Liebeskraft durch seinen Hl. Geist in die Herzen ein (Röm 5,5); und dieser gute Geist wird denen vom himmlischen Vater gegeben, die darum bitten (Lk 11, 13). Mit Recht betet daher der hl. Augustin: »Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst« (Aug. de don. pers. c. 53). Da uns also Gottes Hilfe stets zur Verfügung steht, besonders seit Christus gestorben ist - durch seinen Tod wurde ja der Fürst dieser Welt hinausgeworfen -, so kann keiner durch die Schwere der Gebote abgeschreckt werden; denn dem Liebenden ist nichts schwer.

8 Dieser überzeugte Wille kann noch sehr gestärkt werden, wenn man die unumgängliche Notwendigkeit des Gehorsams gegen das Gesetz gut erklärt. Fehlt es doch in unsrer Zeit nicht an solchen, die sich nicht scheuten, zu ihrem eigenen großen Schaden frech zu behaupten, das Gesetz sei, ob leicht oder schwer, überhaupt nicht zur Seligkeit notwendig. Diese verwerfliche und gottlose Ansicht wird der Pfarrer durch Zeugnisse der Hl. Schrift entkräften, namentlich vom Apostel (Paulus), auf den sie sich zur Stütze ihrer Gottlosigkeit berufen wollen. Was sagt nun der Apostel? »Weder auf das Unbeschnittensein noch auf die Beschneidung komme es an, sondern auf die Beobachtung der Gebote Gottes« (1 Kor 7, 19). Wenn er anderswo dasselbe wiederholt und sagt, nur die Neuschöpfung in Christus habe Wert (Gal 6, 15 und 2 Kor 5, 17), so versteht er offenbar unter dem »neuen Geschöpf in Christus« einen solchen, der die Gebote Gottes beobachtet. Denn wer die Gebote Gottes hat und sie hält, der liebt Gott, wie der Herr selbst bei Johannes bezeugt: »Wenn mich einer liebt, wird er mein Wort halten« (Joh 14, 21. 23). Zwar kann der Mensch gerechtfertigt und aus einem Gottlosen ein GottgefälIiger werden, noch bevor er die einzelnen Vorschriften des Gesetzes durch äußere Handlungen erfüllt; aber ganz unmöglich ist es, dass einer, der zum Vernunftgebrauch gelangt ist, aus einem Gottlosen ein Gerechter wird ohne die innere Bereitwilligkeit, sämtliche Gebote Gottes zu beobachten.

9 Um ja nichts zu übergehen, wodurch das gläubige Volk zur Beobachtung des Gesetzes gebracht werden kann, wird der Pfarrer schließlich noch aufzeigen, welch reiche und süße Früchte damit verbunden sind. Das kann er mit Leichtigkeit aus dem dartun, was im 18. Psalm geschrieben steht. Denn dort wird das göttliche Gesetz mit Lobeserhebungen gefeiert, deren größte die ist, dass es Gottes Herrlichkeit und Majestät weit mehr offenbart als die Himmelskörper mit an ihrer Schönheit und Ordnung. Und doch nötigen diese alle Völker, selbst die barbarischen, zu ihrer Bewunderung, und bewirken so, dass die Herrlichkeit, Weisheit und Macht des Werkmeisters und Schöpfers aller Dinge anerkannt wird. Ebenso bekehrt das Gesetz des Herrn die Seelen zu Gott (Ps 18, 12); denn wenn wir Gottes Wege und seinen allerheiligsten Willen durch das Gesetz erkennen, lenken wir unsre Schritte auf des Herrn Pfade. Und weil nur die Gottesfürchtigen wahrhaft weise sind, wird dem Gesetz ferner noch zugeschrieben, dass es den Kleinen Weisheit vermittle (Ps 18, 8). Daher werden jene, die das göttliche Gesetz halten, im reichsten Maße mit wahren Freuden und mit der Einsicht in göttliche Geheimnisse belohnt, und mit übergroßer Wonne sowohl in diesem wie im künftigen Leben erfüllt (Ps 18, 9-11).

10 Doch sollen wir das Gesetz nicht so sehr wegen unsers Nutzens beobachten, sondern Gottes wegen, der durch das Gesetz dem Menschengeschlecht seinen Willen kund tut. Und wenn schon alle andern Geschöpfe sich von Ihm lenken lassen, dann ziemt es sich um so mehr für den Menschen, Ihm zu folgen. Auch soll man dies nicht mit Stillschweigen übergehen: Gott hat gerade dadurch seine Milde und den Reichtum seiner Güte gegen uns gezeigt, dass Er seine Ehre mit unsrem Nutzen verbinden wollte. Denn Gott hätte uns zwingen können, ohne jeden Lohn seiner Majestät zu dienen; aber Er hat die Bestimmung getroffen, dass, was für Ihn ehrenvoll ist, auch für den Menschen nützlich sei. Das ist doch etwas ganz Großes und Schönes; und darum wird der Pfarrer mit den Schlussworten des Propheten lehren: »Wer sie (die Gesetze) bewahrt, hat überreichen Lohn« (Ps 13, 12). Uns sind nämlich nicht bloß jene Segnungen verheißen, die sich augenscheinlich mehr auf die irdische Wohlfahrt beziehen: gesegnet sollen wir sein in der Stadt und auf dem Feld (Dtn 28, 3). Es ist uns vielmehr »ein überaus großer Lohn im Himmel« (Mt 5, 12), »ein gutes, zusammengedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß« (Lk 6, 38) in Aussicht gestellt, das wir uns mit Gottes gnädiger Hilfe durch fromme und gute Werke verdienen.

* * *

11 Obschon das Gesetz den Juden vom Herrn auf dem Berge gegeben worden ist, wollte Gott dennoch, dass sich Ihm die gesamte Menschheit aller Zeiten unterwerfe. War es ja schon längst von Natur aus in aller Herz geschrieben und darin besiegelt. Darum ist es von großem Nutzen, die Worte, mit denen es vom Diener Gottes Moses den Hebräern verkündet und erklärt wurde, ausführlich darzulegen, sowie die geheimnisvolle Geschichte des israelitischen Volkes.

Der Pfarrer wird also zunächst erzählen, Gott habe aus allen Völkern unter dem Himmel eines erwählt, dessen Stammvater Abraham nach Gottes Willen im Lande Kanaan als Fremdling lebte. Zwar hatte ihm Gott den Besitz dieses Landes verheißen. Dennoch aber wanderten er und seine Nachkommen mehr als vierhundert Jahre unstet umher, ehe sie das verheißene Land in Besitz nahmen. Auf diesen Wanderungen ließ sie Gott jedoch nie ohne seinen Schutz. Wohl »zogen sie von Volk zu Volk, von einem Reich zum andern, aber niemals ließ Er zu, dass ihnen Unrecht widerfahre, vielmehr strafte Er. (ihretwegen) Könige« (Ps 104, 13 f). Bevor sie nach Ägypten hinabzogen, sandte Er einen Mann voraus, durch dessen Klugheit sie selbst und die Ägypter von einer Hungersnot befreit wurden. Und in Ägypten hegte Er sie mit solcher Güte, dass sie sich wunderbar vermehrten, obschon Pharao ihnen entgegen war und auf ihren Untergang sann. In ihrer größten Bedrängnis, da sie wie Sklaven sehr hart behandelt wurden, erweckte Er ihnen in Moses einen Führer, der sie mit starker Hand befreite. Namentlich dieser Befreiung gedenkt Gott am Anfang des Gesetzes, wenn Er sagt: »Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägypterland, aus der Sklaverei heraus geführt (Ex 20, 2).

12 Bei dieser Erzählung hebe der Pfarrer besonders folgendes heraus: Gott habe aus allen Völkern eines erwählt, das Er »sein« Volk nannte und von dem Er besonders gekannt und geehrt sein wollte, - nicht etwa, weil es die andern Nationen durch Gerechtigkeit oder an Zahl übertraf, wie Er selbst den Juden gegenüber betont (Dtn 7, 7); vielmehr weil es Gott gefiel, eine kleine und unbedeutende Nation groß und stark zu machen, auf dass seine Macht und Güte bei allen (Völkern) um so mehr bekannt und gerühmt würde. Also trotz des armseligen Zustandes der Israeliten hat sich Gott »zu ihnen geneigt und sie geliebt« (Dtn 10, 15). Er, des Himmels und der Erde Herr, scheute sich nicht, »ihr Gott« zu heißen. Dadurch wollte Er die andern Völker zur Nacheiferung reizen, dass nämlich alle Menschen im Hinblick auf das Glück der Israeliten sich zur Verehrung des wahren Gottes bekehrten. Wie umgekehrt der hl. Paulus nach seinem eigenen Geständnis seine Volksgenossen zum Nacheifern angeregt hat, indem er ihnen das Glück der Heidenvölker vor Augen stellte, das sie durch die von ihm gepredigte wahre Gotteserkenntnis erhalten hatten (Röm 11, 14).

13 Weiters wird (der Pfarrer) lehren, Gott habe die Vorfahren der Juden lange herumwandern lassen und es geduldet, dass die Nachkommen durch schwere Knechtschaft gedrückt und gequält wurden, um uns dadurch zu verstehen zu geben, Gottes Freund könne man nur sein, wenn man ein Feind der Welt und ein Pilger auf Erden ist. Wir würden daher zur vertrauten Freundschaft mit Gott nur zugelassen, wenn wir mit der Welt gar nichts gemein hätten. Ferner sollten wir, die wir zur Verehrung des wahren Gottes gekommen sind, erkennen, wie viel glücklicher die Diener Gottes sind als die Diener der Welt.

Daran erinnert uns die Hl. Schrift mit den Worten: »Doch sollen sie ihm [Sisar] dienstbar werden, dass sie den Unterschied merken zwischen meinem Dienst und dem in irdischen Königreichen« (2 Chr 12, 8).

Außerdem lege (der Pfarrer) dar, erst nach mehr als vierhundert Jahren habe Gott sein Versprechen eingelöst, damit sein Volk in Glaube und Hoffnung erstarke. Denn Gott will, dass seine Zöglinge allzeit von Ihm abhangen und all ihre Hoffnung auf seine Güte setzen, wie bei der Erklärung des ersten Gebotes gesagt werden wird.

14 Zum Schluss wird er noch auf Ort und Zeit aufmerksam machen, da das israelitische Volk dieses Gesetz von Gott empfing: Damals nämlich, als es nach dem Auszug aus Ägypten in die Wüste kam. Durch die Erinnerung an die eben erhaltene Wohltat sollte es mit Liebe erfüllt, und durch die Rauheit des gegenwärtigen Aufenthaltsortes in Schrecken versetzt und so für die Aufnahme des Gesetzes bereiter werden. Die Menschen werden nämlich durch die am meisten gewonnen, von denen sie Wohltaten erfahren haben. Und sie flüchten sich unter Gottes Schutz, wenn sie sich jeder menschlichen Hoffnung beraubt sehen. Daraus mag man ersehen, dass die Gläubigen die himmlische Lehre um so lieber annehmen werden, je mehr sie sich von den Lockungen der Welt und den Lüsten des Fleisches losgemacht haben. Heißt es doch beim Propheten: »Wen kann man da Erkenntnis lehren, wen mit der Predigt unterrichten? Nur die der Milch Entwöhnten, nur die von der Brust Genommenen« (Jes 28, 9)!

Das Vorwort: .. »Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägypterland, aus der Sklaverei herausgeführt« (Ex 20, 2).

1 (Die folgenden zwei Nummern gehören offenbar noch zum ersten Kapitel, zur allgemeinen Behandlung der Gebote. In den lateinischen Ausgaben des Religionsbuches sind sie zum zweiten Kapitel gezogen.) Der Pfarrer bemühe sich und tue, was er kann, dass die Gläubigen die Worte: »Ich bin der Herr dein Gott« immerdar im Sinn behalten. Daraus sollen sie ersehen, dass ihr Schöpfer, von dem sie Dasein und Leben haben, der Gesetzgeber ist. Und mit Recht sollen sie oft sagen: »Er ist ja der Herr, unser Gott, und wir sind das Volk seiner Weide und die Schäflein seiner Hand« (Ps 94, 7). Die eindringliche und häufige Erinnerung an diese Worte wird bewirken, dass die Gläubigen mit Ehrfurcht und Bereitwilligkeit gegen das Gesetz erfüllt werden und die Sünden meiden.

Die folgenden Worte: »der ich dich aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe, aus dem Hause der Knechtschaft«, scheinen zwar nur von den Juden zu gelten, die von der Herrschaft der Ägypter befreit wurden. Schauen wir jedoch auf den innern Geist der Heilsgeschichte, so sind sie noch vielmehr auf die Christen anzuwenden, die nicht der ägyptischen Sklaverei, sondern dem Bereich der Sünde und der Gewalt der Finsternis von Gott entrissen, und in das Reich seines geliebten Sohnes versetzt worden sind (Kol 1, 13). Als Jeremias die Größe dieser Wohltat schaute, sprach er die Weissagung aus: »Fürwahr, es kommen Tage, spricht der Herr, da sagt man nicht mehr: Beim Herrn, der aus Ägypterland die Söhne Israels heraufgeführt! Nein, sondern: Beim Herrn, der aus dem Nordland hat die Söhne Israels heraufgeführt und aus allen Ländern, wohin er sie verstoßen hatte! Dann bringe ich sie in ihre Heimat wieder, die ihren Vätern ich verliehen. Seht, ich lass viele Fischer holen, spricht der Herr, die fischen sie heraus usw.« (Jer 16, 14-16). Wahrlich der allgütige Vater hat durch seinen Sohn die zerstreuten Kinder gesammelt und vereint (Joh 11, 52), auf dass wir nicht mehr Knechte der Sünde, sondern Diener der Gerechtigkeit seien, und in Gerechtigkeit und Heiligkeit ihm dienen alle Tage unsres Lebens (Lk 1, 74 f).

2 Die Gläubigen sollen daher allen Versuchungen die Worte des Apostels wie einen Schild entgegen halten: »Da wir der Sünde abgestorben sind, wie sollten wir noch in ihr weiterleben« (Röm 6, 2)?. Wir gehören ja nicht mehr uns an, sondern dem, der für uns gestorben und auferstanden ist (Vgl. Röm 7,4); Er ist der Herr, unser Gott, der uns mit seinem Blute erkauft hat (Vgl. Apg 20, 28). Wie könnten wir sündigen gegen den Herrn, unsern Gott? und ihn aufs neue kreuzigen (Vgl. Hebr 6, 6)? Als wahrhaft Freie und zwar kraft der Freiheit, die uns Christus gebracht hat (Vgl. Gal 4, 31), wollen wir, wie wir unsre Glieder in den Dienst der Ungerechtigkeit gestellt haben, sie jetzt hingeben zum Dienste der Gerechtigkeit, um heilig zu werden (Röm 6, 19).

I. Abschnitt: Die Gebote der ersten Tafel oder die Gottesliebe

3 (Diese Nummer [3] ist aus der Erklärung des 4. Gebotes genommen, weil sie dem Sinne nach hierher gehört.) Der Seelsorger lehre zunächst, die zehn Gebote seien auf zwei Tafeln eingegraben gewesen. Auf der einen standen nach der Ansicht der heiligen Väter die drei ersten Gebote; die übrigen waren auf der zweiten Tafel. Diese Art der Aufzeichnung war sehr angemessen: es sollte schon die bloße Anordnung die verschiedene Grundlage der Gebote aufzeigen. Denn was in der Heiligen Schrift durch das göttliche Gesetz geboten oder verboten wird, entspringt einer der zwei Arten von Liebe: d. h. bei jeder Verpflichtung kommt entweder die Liebe zu Gott oder zum Nächsten in Betracht. Die ersten drei Gebote lehren die Liebe zu Gott. Die übrigen sieben Gebote enthalten, was die Beziehungen des menschlichen Zusammenlebens regelt. Also nicht ohne Grund ist dieser Unterschied gemacht worden, dass die einen Gebote zur ersten, die andern zur zweiten Tafel gerechnet werden.

(Das ist aus der Behandlung des ersten Gebotes genommen.) Der Pfarrer sage also: An erster Stelle des Dekalogs steht das, was sich auf Gott bezieht, an zweiter, was auf den Nächsten Bezug hat. Denn Gott ist der Grund für das, was wir dem Nächsten leisten. Dann nämlich lieben wir den Nächsten nach Gottes Gebot, wenn wir ihn wegen Gott lieben. Das [was sich auf Gott bezieht] bildet daher den Inhalt der ersten Tafel.

Zweites Kapitel: Vom ersten Gebot

»Du sollst keine fremden Götter neben mir haben. Du darfst kein Bild dir fertigen, kein Abbild dessen, was im Himmel droben oder auf der Erde unten oder in den unterirdischen Gewässern ist; du darfst dich nicht vor solchen niederwerfen und sie nicht verehren. Ich bin der Herr dein Gott, ein starker und eifersüchtiger Gott, der da die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Geschlecht all derer, die mich hassen; der aber Huld erweist bis ins tausendste Glied denen, die mich lieben und meine Gebote halten« (Ex 20, 3-6).

Der Pfarrer zeige, dass in den eben angeführten Worten eine doppelte Vorschrift enthalten ist: die eine drückt ein Gebot, die andere ein Verbot aus. Denn wenn es heißt:

»Du sollst keine falschen Götter neben mir haben«, so hat das den Sinn: Mich, den wahren Gott sollst du ehren; fremden Göttern sollst du keine Verehrung erweisen.

4 Der erste Satz, das Gebot, schreibt Glaube, Hoffnung und Liebe vor. Denn wenn wir Gott unbeweglich, unwandelbar und ewig sich gleich bleibend nennen, bekennen wir damit folgerichtig, dass Er getreu ist ohne alle Ungerechtigkeit. Daraus ergibt sich, dass wir seinen Aussprüchen zustimmen und Ihm vollen Glauben auf seine Autorität hin entgegenbringen müssen. Und wer seine Allmacht, seine Barmherzigkeit, seine Bereitwilligkeit und Neigung zum Wohltun betrachtet, kann der anders, als die ganze Hoffnung auf Gott setzen? Und wenn man die Schätze seiner Liebe und Güte überdenkt, die er förmlich über uns ausgeschüttet hat, muss man Ihn dann nicht lieben? Das befiehlt Gott, wie gesagt, im ersten Satz des Gebotes. Daher die Einleitung und die Schlussformel, deren sich Gott in der Hl. Schrift bedient, wenn Er Befehle und Aufträge gibt: »Ich bin der Herr«.

5 Der zweite Satz, das Verbot, lautet: »Du sollst keine fremden Götter neben mir haben«. Dieser Redewendung bedient sich der Gesetzgeber nicht etwa, weil die bejahende Fassung des Gebotes: ,Du sollst mich, den alleinigen Gott, verehren' dessen Sinn nicht klar genug ausgedrückt hätte - denn wenn Gott existiert, ist es nur Einer -; sondern wegen der Blindheit so vieler, die damals den wahren Gott zu ehren vorgaben und trotzdem eine Menge von Götzen anbeteten. Selbst unter den Juden gab es nicht wenige, die, wie ihnen Elias vorwarf, »nach beiden Seiten hinkten« (1 Kön 18, 21). Auch die Samariter taten so, da sie den Gott Israels und zugleich die Götzen der Heiden verehrten (2 Kön 17, 29).

6 Diesen Darlegungen ist dann beizufügen: Dieses Gebot ist unter allen nicht bloß das erste der Reihenfolge nach, sondern auch das größte dem Inhalt, der Würde und Bedeutung nach. Denn Gott muss bei uns in unendlich höherem Grad Liebe und Ansehen genießen, als irgend ein Herr oder König. Er hat uns geschaffen, Er führt uns, von Ihm sind wir im Mutterschoß gebildet und von da ans Licht gezogen worden, Er gibt uns, was wir zum Leben und zum Unterhalt nötig haben.

7 Gegen dieses Gebot sündigt man, wenn man es an Glaube, Hoffnung und Liebe fehlen lässt. Diese Sünde begreift sehr vieles in sich. Daher gehören die Ketzer, die nicht glauben,' was die hl. Mutter Kirche zu glauben vorstellt; ferner die, die Traumdeutereien, Wahrsagereien und ähnliche abergläubische Dinge ernst nehmen; die an ihrem Seelenheil verzweifeln, statt auf die göttliche Güte zu vertrauen; die sich bloss auf Reichtum, Gesundheit und Körperkraft verlassen. Das alles findet man weitläufig in Büchern, die über die Laster und Sünden handeln.

8 Bei der Erklärung dieses Gebotes ist auch deutlich zu zeigen, dass die Verehrung und Anrufung der heiligen Engel und jener glücklichen Seelen, die bereits die Himmelsherrlichkeit genießen, keineswegs dieser Vorschrift entgegen ist; ebenso wenig die Verehrung ihrer Leiber und der hl. Reliquien, wie sie in der Katholischen Kirche immer in Übung war (Es ist gut und nützlich, die Diener Gottes, die im Verein mit Christus herrschen, mit Eifer und Demut anzurufen, und ihre Reliquien und Bilder zu verehren. Vorzüglich aber sollen alle Gläubigen der seligsten Jungfrau Maria mit kindlicher Andacht zugetan sein« CIC 1917 can 1276). Wer wäre auch so töricht zu glauben, wenn ein König das Gesetz erlassen, dass [in seinem Reiche] kein anderer als König auftrete oder sich königliche Huldigung und Ehre gefallen lasse, wolle er dadurch verbieten, dass man seine Beamten ehre. Wenn es von den Christen heißt, dass sie die Engel tief gebeugt verehren (adorare) nach dem Vorbild der Heiligen des Alten Testamentes, so erweisen sie ihnen damit nicht die Verehrung, die sie Gott entgegenbringen. Und wenn wir zuweilen lesen, Engel hätten sich geweigert, von Menschen Ehrenbezeigungen anzunehmen, so ist das so zu verstehen: sie wollten jene Verehrung nicht zulassen, die Gott allein gebührt.

9 Derselbe Hl. Geist, der gesagt hat: »Gott allein sei Ehre und Herrlichkeit« (1 Tim 1, 17), hat auch geboten, die Eltern und Vorgesetzten zu ehren. Ferner haben heilige Männer, die den Einen Gott verehrten, »Könige angebetet«, wie es in der Hl. Schrift heißt; das ist, sie warfen sich zum Zeichen der Verehrung vor ihnen zu Boden (1 Sam 24, 9; 25, 23). Wenn nun schon Könige, durch die Gott die Welt regiert, so geehrt werden, sollten wir da die Engel nicht um so größerer Ehren wert halten, da doch diese seligen Geister die Könige an Würde weit übertreffen? Denn sie will Gott als seine [unmittelbaren] Diener haben; ihrer bedient Er sich nicht bloß zur Leitung seiner Kirche, sondern auch der übrigen Dinge; durch sie entrinnen wir Tag für Tag den größten Gefahren des Leibes und der Seele, auch wenn sie unsrem Auge nicht sichtbar sind. - Dazu kommt noch die Liebe, die sie gegen uns hegen. Von ihr getrieben, flehen sie innig für die großen ihnen anvertrauten Wirkungskreise, wie aus der Hl. Schrift leicht zu ersehen ist (Dan 10, 12-11, 1; Sach 1, 12); und es unterliegt keinem Zweifel, dass sie das auch für die tun, deren Schutzengel sie sind: bringen sie doch unser Gebet und unsre Tränen vor Gott (Tob 12, 12). Darum sagt der Herr im Evangelium, man dürfe den Kleinen kein Ärgernis geben, »denn ihre Engel im Himmel schauen immerdar das Angesicht des himmlischen Vaters« (Mt 18, 10). 10 Anrufen darf man sie also, weil sie allezeit Gott schauen und weil sie mit größter Bereitwilligkeit den Schutz für unser Heil besorgen, der ihnen übertragen ist.

Beispiele für diese Anrufung bietet die Hl. Schrift. So bat Jakob den Engel, mit dem er gerungen hatte, dass er ihn segne, ja er zwang ihn dazu: er werde ihn nicht loslassen, sagte er, bevor er nicht seinen Segen erhalten habe (Gen 32, 26); und den erwartete er vom Engel nicht bloß, da er ihn sah, sondern auch als er ihn nicht mehr sah. Denn er sagt: »Der Engel, der mich aus allen Gefahren befreit hat, segne diesen Knaben« (Gen 48, 16).

11 Daraus kann man auch abnehmen, wie falsch es ist, dass durch die Verehrung und Anrufung der Heiligen, die im Herrn entschlafen sind, und durch Verehrung ihrer heiligen Reliquien und ihrer sterblichen Überreste Gottes Ehre geschmälert werde. Vielmehr wird sie gefördert. Denn die Heiligenverehrung weckt und stärkt in den Menschen die Hoffnung und spornt zur Nachahmung. Diese Auffassung wird durch das zweite Konzil zu Nicäa bestätigt, ferner durch das von Gangra [in Kleinasien, ungefähr 330] und von Trient und durch die Autorität der heiligen Väter.

12 Damit der Pfarrer die Gegner dieser Wahrheit noch besser zurückweisen könne, lese er zum Selbstunterricht vor allem die Schrift des hl. Hieronymus gegen Vigilantius und die Werke des hl. Johannes von Damaskus. Zu deren Beweisführung kommt noch - und das ist die Hauptsache - die von den Aposteln überkommene, in der Kirche stets ununterbrochen festgehaltene Gewohnheit. Wer möchte dafür einen stärkeren und deutlicheren Beweis verlangen als das Zeugnis der Hl. Schrift, die in wunderbarer Weise das Lob der Heiligen singt? Es gibt ja wirklich göttliche Loblieder auf manche Heilige (Sir 44-50, 23; Hebr 11). Soll man nun die nicht besonders ehren, die die Hl. Schrift selbst mit Lobsprüchen feiert?

Ein weiterer vielleicht noch wirksamerer Grund, die Heiligen zu verehren und anzurufen, ist, dass uns Gott um ihrer Verdienste willen und aus Liebe zu ihnen viele Wohltaten zukommen lässt, und dass sie für das Heil der Menschen unablässig beten. Denn wenn »Freude im Himmel ist über einen Sünder, der Buße tut« (Lk 15, 7), werden dann die Himmelsbewohner den Büßenden nicht auch zu Hilfe eilen? Werden sie, besonders wenn wir sie darum bitten, uns nicht Verzeihung der Sünden erflehen und Gottes Gnade vermitteln?

13 Wenn behauptet wird, wie es einige tatsächlich tun, der Schutz der Heiligen sei überflüssig, denn unsre Gebete gelangten auch ohne die Vermittlung eines andern vor Gott, so macht solch gottlose Reden ein Wort des hl. Augustin verstummen: Vieles gewähre Gott nur auf die Bemühung und den Dienst eines Vermittlers und Fürsprechers hin (Aug. q. 140 sup. Exod). Das wird durch die bekannten Beispiele von Abimelech und den Freunden Jobs bestätigt: Gott verzieh ihnen ihre Sünden nur auf Abrahams und Jobs Fürbitte (Gen 20, 17; Job 42, 8).

Wenn dann ferner behauptet wird, es sei nur mangelhaft er und schwacher Glaube, wenn wir die Heiligen als Vermittler und Fürsprecher heranzögen (Darum ist die Ansicht verworfen worden, dass vollkommene Menschen keine Liebesakte zur seligsten Jungfrau und den Heiligen zu erwecken brauchen. D 1255 [Innozenz XI 1687]): was werden solche Menschen dann vom Hauptmann sagen, dessen Glauben der Herr und Gott mit einem so außergewöhnlichen Lob bedacht hat, obschon er die Ältesten der Juden zum Erlöser gesandt hatte, dass sie für seinen kranken Knecht Heilung erbäten (Mt 8, 10)? - 14 Freilich muss man bekennen, nur »Ein Mittler« sei uns gegeben: Christus der Herr (1 Tim 2, 5). Er allein hat uns durch sein Blut mit dem himmlischen Vater versöhnt; Er ist, »nachdem Er eine ewige Erlösung vollbracht hat, ein für allemal ins Allerheiligste eingetreten« und hört nicht auf, für uns Fürbitte einzulegen (Hebr 9, 12; 7, 25). Daraus kann jedoch in keiner Weise gefolgert werden, man dürfe sich nicht dem Wohlwollen der Heiligen empfehlen. Denn wenn man deswegen die Hilfe der Heiligen nicht in Anspruch nehmen dürfte, weil Christus unser alleiniger Fürsprecher ist, hätte der Apostel nie und nimmer den Fehler begangen und sich so sehr angelegen sein lassen, dass er durch das Gebet der lebenden Brüder bei Gott unterstützt werde. Das Gebet der Lebenden würde doch nicht weniger die Ehre und Würde Christi des Mittlers herabmindern, als die Fürbitte der Heiligen im Himmel (Die Behauptung: "Keine Kreatur, weder die seligste Jungfrau noch die Heiligen dürfen in unsrem Herzen Platz haben: denn Gott allein will es einnehmen und besitzen«, ist von der Kirche verurteilt worden D 1256 [Innozenz XI 1687]).

15 Übrigens, bestätigen den Glauben an die den Heiligen gebührende Verehrung und an den Schutz, den sie uns gewähren, nicht die an ihren Gräbern geschehenen Wunder? Menschen, die an Augen und Händen, ja an allen Gliedern verstümmelt waren, sind wieder vollständig hergestellt worden; Tote wurden zum Leben erweckt, und Teufel sind aus menschlichen Leibern ausgefahren. Solches nicht etwa bloß gehört oder gelesen, wie viele andere, darunter auch zahlreiche hervorragende Männer, sondern mit eigenen Augen gesehen zu haben, berichten in ihren Schriften die hl. Augustinus und Ambrosius, gewiss vollgültige Zeugen (Aug. Vom Gottesstaat XXII.). Doch wozu viele Worte? Wenn Kleider, Schweißtücher und sogar der Schatten von Heiligen noch bei ihren Lebzeiten Krankheiten vertrieben und die Körperkräfte wieder herstellten (Vgl. Apg 5, 15; 19, 12), wird da noch jemand zu leugnen wagen, dass Gott durch die ehrwürdigen Überreste, die Gebeine und sonstigen Reliquien der Heiligen ähnliche Wunder tue? Das zeigt jener Leichnam, der zufällig in das Grab des EIisäus geriet und bei der Berührung mit dem Leibe (des Propheten) sogleich wieder zum Leben erstand (2 Kön 13, 21). - 16 Das Folgende:

»Du darfst kein Bild dir fertigen, kein Abbild dessen, was im Himmel droben oder auf der Erde drunten oder in den unterirdischen Gewässern ist. Du darfst dich nicht vor solchen niederwerfen und sie nicht verehren« (Ex 20, 4f)!

hielten manche für das zweite Gebot, und sie meinten dieser und der folgende Satz [ich bin der Herr dein Gott usw.] bildeten ein eigenes Gebot. Der hl. Augustin jedoch hat die beiden Sätze geteilt und obige Worte zum ersten Gebot bezogen (Aug in Exod q. 71). Wir geben dieser in der Kirche herrschend gewordenen Ansicht den Vorzug. Der ganz richtige Grund dafür liegt nahe: Es ist angemessen, dass Lohn und Strafe für jedes einzelne Gebot mit dem ersten verbunden werden.

17 Mit diesem Gebot ist Malerei, Bildnerei und Schnitzerei natürlich nicht schlechthin verboten worden. Lesen wir doch in der Hl. Schrift, dass auf Gottes Befehl Bilder und Darstellungen angefertigt worden sind, z. B. die Cherubim und die eherne Schlange (1 Kön 6, 23; Num 21, 9). Es bleibt also nur übrig, das Bilderverbot dahin auszulegen: Es darf durch götzendienerischen Bilderdienst die wahre Gottesverehrung nicht beeinträchtigt werden.

18 In bezug auf dieses Verbot kann die Majestät Gottes offensichtlich auf zweifache Weise schwer verletzt werden. Erstens wenn man Bildern und Darstellungen göttliche Verehrung erweist, oder wenigstens in ihnen eine Gottheit annimmt, die sie verehrungswürdig macht, und eine besondere Kraft, so dass man sie um etwas bitten oder auf solche Darstellungen sein Vertrauen setzen darf. So geschah es einst von den Heiden, die auf die Götzen ihre Hoffnung setzten, was die Hl. Schrift immer wieder tadelnd hervorhebt. - Zweitens wenn man versucht, durch ein Kunstwerk die Gestalt der Gottheit darzustellen, als könnte diese mit leiblichen Augen geschaut oder durch Farben und Linien dargestellt werden. »Wer kann Gott abbilden?« sagt der hl. Johannes von Damaskus, »ihn, den Unsichtbaren, Körperlosen, der nicht durch Umrisse bestimmt und in keiner Gestalt gezeichnet werden kann« (De orthod. fide lib. 4 c. 16). Das wird vom zweiten Konzil von Nicäa weiter ausgeführt. Treffend sagt auch der Apostel, sie (die Heiden) hätten »die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Abbildern von Vögeln, vierfüßigen und kriechenden Tieren« vertauscht (Röm 1, 23). Dies alles verehrten sie nämlich als Gott und stellten Bilder davon auf. Deshalb werden auch die Israeliten, die vor dem Bilde eines jungen Stieres schrien: »Das, Israel, sind deine Götter, die dich aus dem Lande Ägypten herausgeführt haben« (Ex 32, 8), Götzendiener genannt; denn »sie vertauschten ihren Ruhm mit dem Bilde eines Gras fressenden Stieres« (Ps 105, 20).

19 Da also Gott verbot, fremde Götter zu ehren, gab Er, um den Götzendienst gänzlich fern zu halten, auch das Gebot, kein Bild der Gottheit aus Erz zu gießen oder aus sonst einem Stoff zu fertigen. Das will Isaias mit den Worten sagen: »Wem gedachtet ihr Gott nachzubilden und unter welchem Bild ihn darzustellen« (Jes 40, 18)? Dass das die rechte Auffassung von diesem Gebot ist, zeigen außer den Schriften der heiligen Väter, die es in Übereinstimmung mit dem siebten allgemeinen Konzil so auslegten, klar die Worte des Deuteronomiums: Um das Volk vom Götzendienst abzuhalten, sagte Moses: »Damals, als der Herr am Horeb aus dem Feuer zu euch redete, habt ihr doch keinerlei Gestalt gesehen« (Dtn 4, 15). Das sagte der sehr weise Gesetzgeber, damit sie sich nicht irreführen ließen und etwa ein Bildnis der Gottheit herstellten, und so die Gott allein gebührende Ehre auf ein Geschöpf übertrügen.

20 Deswegen darf man aber nicht meinen, es sei ein Verstoß gegen die Gottesverehrung oder gegen das göttliche Gesetz, wenn eine Person der heiligsten Dreieinigkeit durch Sinnbilder dargestellt wird, wie solche im Alten und Neuen Testament vorkommen (Vgl. auch die verurteilten jansenistischen Irrtümer [Pius VI 1794] D 1315 [Alexander VIII 1690] D 1569). Denn niemand ist so töricht zu glauben, durch ein derartiges Bild werde die Gottheit nachgebildet. Vielmehr wird dadurch - so lehre der Seelsorger diese oder jene göttliche Eigenschaft oder Heilstat ausgedrückt. Wenn z. B. im Anschluss an das Buch Daniel »der Alte der Tage« gemalt wird, wie Er auf einem Throne sitzt und die Bücher vor Ihm aufgeschlagen sind (Dan 7, 9f), so soll dadurch Gottes Ewigkeit und unendliche Weisheit veranschaulicht werden, mit der Er alle Gedanken und Handlungen der Menschen sieht, um darüber zu richten. - 21 So werden auch die Engel mit einem Menschenantlitz und mit Flügeln dargestellt. Dadurch soll den Gläubigen zum Verständnis gebracht werden, wie wohlwollend die Engel gegen das Menschengeschlecht gesinnt und wie bereitwillig sie in der Vollziehung der göttlichen Aufträge seien. »Denn alle sind dienende Geister zum Dienste derer, die das Heil erben sollen« (Hebr 1, 14). - 22 Welche Eigenschaften des Hl. Geistes nach Evangelium und Apostelgeschichte »die Gestalt der Taube« und die »feurigen Zungen« bezeichnen wollen, ist zu bekannt, als dass es zur Erklärung vieler Worte bedürfte.

23 Da Christus der Herr, seine heiligste und reinste Mutter, und alle andern Heiligen mit der menschlichen Natur ausgestattet waren und in Menschengestalt wandelten, ist die Darstellung und Verehrung ihrer Bilder durch dieses Gebot nicht nur nicht verboten worden, vielmehr wurde das zu allen Zeiten als frommes und sicheres Zeichen eines dankbaren Herzens angesehen. Das beweisen die Denkmäler aus apostolischen Zeiten, die allgemeinen Konzilien und das einstimmige schriftliche Zeugnis so vieler heiliger und gelehrter Väter.

24 Der Pfarrer zeige also nicht nur, dass es erlaubt ist, Bilder in der Kirche zu haben und ihnen Verehrung zu erweisen - geht doch die ihnen dargebrachte Ehre auf das Urbild selbst (»Heiligen Reliquien und Bildern gebührt Verehrung und Kult, die auf die Personen gehen, auf die sich die Reliquien und Bilder beziehen.« CIC 1917 can 1255, 2) -, er lege außerdem dar, dies sei zum größten Nutzen der Gläubigen bisher auch immer geschehen. Das kann man aus dem Buch des hl. Johannes von Damaskus über die Bilder und aus dem siebten allgemeinen Konzil d. i. dem zweiten von Nicäa ersehen.

Weil jedoch der Feind des Menschengeschlechts auch die heiligste Einrichtung durch List und Betrug zu entstellen sucht, wird sich der Pfarrer bemühen, etwaige beim Volk in dieser Sache eingerissene Missbräuche nach Möglichkeit abzustellen, und zwar im Anschluss an das Dekret des Konzils von Trient (Conc. Trid. XXV de invoc. Sanctor); auch soll das betreffende Dekret selbst bei Gelegenheit dem Volk erklärt werden. - Ferner wird er die Unwissenden, die den Sinn der Bilderverehrung noch nicht kennen, belehren, die Bilder seien da, um die Geschichte beider Testamente kennen zu lernen, die Erinnerung daran wieder aufzufrischen, um so durch das Gedenken an die göttlichen Heilsveranstaltungen zu lebendigerer Gottesverehrung und Gottesliebe entflammt zu werden. Endlich wird er auf die in der Kirche aufgestellten Bilder der Heiligen hinweisen und auffordern, sie zu verehren und durch ihr Beispiel zur Nachahmung ihres Lebens und Tugendstrebens sich ermuntern zu lassen (Wenn man die den so genannten »Gnadenbildern« gezollte besondere Verehrung ganz allgemein verwirft, huldigt man einer von der Kirche verurteilten jansenistischen Anschauung. D 1570 [Pius VI 1794]).

»Ich bin der Herr dein Gott, ein starker und eifersüchtiger Gott, der da die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Geschlecht all derer, die mich hassen; der aber Huld erweist bis ins tausendste Glied denen, die mich lieben und meine Gebote halten« (Ex 20, 6).

25 In bezug auf den Schlusssatz des ersten Gebotes sind zwei Dinge mit Sorgfalt zu beachten:

Erstens. Wegen der besondern Schwere der Sünden gegen das erste Gebot und wegen der Neigung der Menschen sie zu begehen, wird zwar ganz passend hier die Strafe aufgezeigt. Indes handelt es sich doch um einen allen Geboten gemeinsamen Zusatz. Denn jedes Gesetz sucht die Menschen durch Lohn und Strafe zur Beobachtung seiner Bestimmungen zu bewegen. Daher die vielen und oft wiederholten Verheißungen und Drohungen Gottes in der Hl. Schrift. So heißt es im Evangelium - um zu schweigen von den fast unzähligen Zeugnissen des Alten Testamentes - »Willst du zum Leben eingehen, halte die Gebote« (Mt 19, 17); und anderswo: »Wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der wird ins Himmelreich eintreten« (Mt 7, 21). Dann wieder: » Jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen« (Mt 3, 10); ferner: »Wer seinem Bruder zürnt, ist des Gerichtes schuldig« (Mt 5, 22); und an einer andern Stelle: »Wenn ihr den Menschen nicht verzeiht, wird euer Vater auch eure Sünden nicht verzeihen« (Mt 6, 15). 26 Zweitens. Ganz anders sind die Vollkommenen und wieder anders die Sinnenmenschen über diesen Zusatz zu belehren. Den Vollkommenen nämlich, die »sich vom Geiste Gottes treiben lassen« (Röm 8, 14) und ihm mit willigem und freudigem Herzen gehorchen, ist er sozusagen eine wahre Freudenbotschaft und ein großer Beweis der göttlichen Liebe gegen sie. Denn sie sehen darin die Sorge ihres liebevollsten Gottes, der bald mit Lohnverheißungen, bald mit Strafandrohungen die Menschen zu seiner Verehrung und zu seinem Dienst beinahe nötigt. Sie sehen darin seine unermessliche Güte gegen sie, da Er ihnen befehlen und sich ihrer Tätigkeit zur Verherrlichung des göttlichen Namens bedienen will. Und sie sehen das nicht bloß, sondern sind zugleich voller Zuversicht, dass der, der befiehlt, was Er will, auch die Kräfte geben wird, deren sie zur Erfüllung seines Willens bedürfen. Den Sinnenmenschen hingegen, die vom Geiste der Knechtschaft noch nicht frei sind, und sich mehr aus Furcht vor den Strafen als aus Liebe zur Tugend der Sünden enthalten, erscheint der Sinn dieses Zusatzes schwer und bitter. Deshalb muss man sie durch liebevolle Ermunterungen aufrichten, sie gleichsam an der Hand nehmen und dahin führen, wohin das Gesetz zielt. Das muss sich der Pfarrer vor Augen halten, so oft er drangeht, ein Gebot zu erklären.

27 Aber Sinnen- wie Geistesmenschen muss man die zwei Sporen geben, die in diesem Zusatz genannt sind, und die die Menschen gar sehr zur Beobachtung des Gesetzes antreiben. Die Benennung Gottes als des »Starken« muss besonders deswegen sorgfältig erklärt werden, weil das Fleisch durch die Schrecken der göttlichen Drohungen oft wenig gerührt wird und sich allerlei einredet, wie es dem Zorn Gottes entrinnen und der angedrohten Strafe entgehen könne. Wer aber die feste Überzeugung hegt, dass Gott der Starke ist, wird auf sich das Wort des großen David anwenden: »Wo soll ich mich vor deinem Geiste bergen, wohin vor deinem Angesicht fliehen« (Ps 138, 7)? - Zuweilen wieder misstraut das Fleisch den göttlichen Verheißungen und hält die Stärke der Feinde für so groß, dass es sich ihnen unmöglich gewachsen glaubt. Wenn man sich aber auf die Macht und Kraft Gottes verlässt, kommt das feste und unerschütterliche Vertrauen nicht ins Wanken, richtet vielmehr den Menschen auf und stärkt ihn; denn er sagt sich: »Der Herr ist meine Leuchte und mein Heil, wen sollt' ich fürchten« (Ps 26, 1)?

28 Der zweite Sporn ist die göttliche Eifersucht. Mitunter meinen die Menschen, Gott kümmere sich nicht um ihre irdischen Angelegenheiten, auch nicht darum, ob sie sein Gesetz halten oder missachten. Daraus entsteht dann große Unordnung im Leben. Wenn wir aber glauben, dass Gott eifersüchtig wacht, so hält uns dieser Gedanke leicht bei unsrer Pflicht fest. 29 Die Gott zugeschriebene Eifersucht bedeutet jedoch keineswegs eine seelische Aufregung, sondern jene Liebe und jene Freundschaft Gottes, die nicht duldet, dass Ihm eine Seele ungestraft die Treue bricht. Denn alle, die Ihm die Treue brechen, richtet sie zugrunde. Die Eifersucht Gottes ist also nichts anderes, als eine durchaus ruhige und ganz lautere Gerechtigkeit, die eine durch Irrtum und böse Leidenschaft entehrte Seele verstößt, und wie eine Ehebrecherin vom Liebesbunde mit Ihm ausschließt.

Doch empfinden wir diese Eifersucht Gottes als etwas ungemein Sanftes und Süßes, weil sich in diesem Eifer seine ganz große, ja unerhörte Liebesneigung zu uns offenbart. Unter den Menschen gibt es ja keine heißere Liebe und keine stärkere und innigere Verbindung, als zwischen denen, die das Band der Ehe umschlingt. Wie sehr uns also Gott liebt, zeigt Er dadurch, dass Er sich oft mit einem Bräutigam oder mit einem Gatten vergleicht und sich eifersüchtig nennt. - Der Seelsorger mache dann an dieser Stelle die Anwendung, die Menschen müssten eigentlich so eifrig auf den Dienst und die Ehre Gottes bedacht sein, dass man sie eher Eifernde als Liebende zu nennen berechtigt wäre, nach dem Beispiele dessen, der von sich gesagt bat: »Ich eiferte für den Herrn, den Gott der Heerscharen« (1 Kön 19, 14). Ja, sie sollen Christus den Herrn selbst nachahmen, der das Wort gesprochen hat: »Der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt« (Ps 68, 10; Joh 2,17).

30 Es bleibt nun noch das Drohwort auszulegen, Gott werde die Sünder nicht ungestraft lassen, Er werde sie entweder als Vater züchtigen, oder als Richter mit unerbittlicher Strenge strafen. Das spricht Moses an einer andern Stelle aus, wenn er sagt: »Und du sollst wissen, dass der Herr, dein Gott, der starke und getreue Gott ist, der den Bund hält und Barmherzigkeit übt gegen jene, die ihn lieben und seine Gebote halten, bis ins tausendste Geschlecht; denen aber, die ihn hassen sogleich vergilt« (Dtn 7,9). Und Josue sagt: Ihr seid nicht imstande, dem Herrn zu dienen: denn er ist ein heiliger, ein starker, ein eifersüchtiger Gott, und er wird eure Vergehen und Sünden nicht vergeben. Verlasst ihr den Herrn und dienet fremden Göttern, so wird er sich gegen euch wenden und euch heimsuchen und verderben« (Jos 24, 19f).

31 Das Volk ist dann zu belehren, die Strafandrohung bis ins dritte und vierte Geschlecht der Gottlosen und Übeltäter bedeute nicht, dass alle Nachkommen die Strafen für die Vergehen der Vorfahren zu tragen haben; wohl aber werde nicht deren ganze Nachkommenschaft dem Zorn und der Strafe Gottes entrinnen, auch wenn sie selbst und ihre Kinder straflos ausgegangen wären. So war es beim König Josias. Wegen seiner außerordentlichen Frömmigkeit verschonte ihn Gott. Er gewährte ihm, dass er im Grabe seiner Väter in Frieden beigesetzt wurde, und die Schrecken der Zukunft nicht zu sehen brauchte, die über Juda und Jerusalem hereinbrechen sollten wegen der Gottlosigkeit seines Großvaters Manasse. Aber als er tot war, erreichte seine Nachkommen das Strafgericht Gottes, ja nicht einmal seine Kinder wurden verschont (2 Chr 34, 28; 2 Kön 22, 19f; 23, 26).

32 Wie sich aber dieses Wort des Gesetzes mit dem Ausspruch beim Propheten: »Die Seele, die gesündigt hat, sie selbst wird sterben» (Ez 18, 4) vereinbaren lässt, macht uns die Autorität eines hl. Gregorius klar; und mit ihm stimmen alle alten Väter überein. Er sagt nämlich: »Wer die Schlechtigheit eines bösen Vaters nachahmt, wird auch durch dessen Sünden ergriffen; wer aber die Schlechtigkeit des Vaters nicht nachahmt, wird auch mit dessen Sünden nicht beladen. Daher kommt es, dass der schlimme Sohn eines bösen Vaters nicht nur die eigenen begangenen Sünden, sondern auch die des Vaters büßen muss. Scheute er sich doch nicht, zu des Vaters Sünden, über die, wie er wohl weiß, Gott erzürnt ist, auch noch seine eigene Bosheit hinzuzufügen. Und es ist ganz gerecht, dass der, der sich nicht fürchtet, unter den Augen des strengen Richters die Wege seines bösen Vaters zu wandeln, gezwungen wird, in diesem Leben auch die Schuld seines schlimmen Vaters zu büßen« (Moral. 25, 23).

Ferner muss der Pfarrer hervorheben, wie sehr Gottes Güte und Barmherzigkeit seine Gerechtigkeit übersteigt. Gott zürnt dem dritten und vierten Geschlecht, seine Barmherzigkeit aber reicht bis ins tausendste.

33 Wenn es dann heißt: »derer, die mich hassen«, so wird dadurch die Größe der Sünde aufgezeigt. Denn was gibt es Schändlicheres und Verabscheuungswürdigeres, als die höchste Güte selber, die höchste Wahrheit hassen. Das kann man aber von jedem Sünder sagen; denn wie der, »der Gottes Gebote hat und sie hält«, Gott liebt (Joh 14, 21), so sagt man mit Recht von dem, der das Gesetz Gottes verachtet und seine Gebote nicht hält, er hasse Gott.

34 Wenn es zum Schluss noch heißt: »und denen, die mich lieben«, so wird damit die Art und Weise und der innerste Grund angegeben, wie und warum man das Gesetz beobachten soll. Denn die Beobachter des göttlichen Gesetzes sollen durch eben dieselbe Neigung und Liebe, mit der sie zu Gott streben, auch zum Gehorsam gegen Ihn gebracht werden. Das wird im folgenden bei den einzelnen Geboten ausgeführt.

Drittes Kapitel: Vom zweiten Gebot

»Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht eitel nennen. Der Herr wird den nicht straflos ausgehen lassen, der den Namen des Herrn, seines Gottes, zwecklos nennt« (Ex 20, 7).

1 Zwar ist schon im ersten Gebot des göttlichen Gesetzes, das uns befiehlt, Gott mit kindlicher Hingabe zu ehren, das nun folgende zweite notwendig eingeschlossen; - denn wer geehrt werden will, verlangt, dass wir ihm auch mit Worten alle Ehre erweisen, wie er das Gegenteil verbietet. Das sprechen auch die Worte des Herrn beim Propheten Malachias offen aus: »Ein Sohn muss seinen Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn; wenn ich also Vater bin, wo bleibt dann meine Ehrung« (Mal 1, 6)? Dennoch wollte Gott der Wichtigkeit der Sache wegen über die Verehrung seines göttlichen und heiligsten Namensein eigenes Gebot geben, und mit bestimmten und klaren Worten es uns vorlegen.

2 Schon daraus mag der Pfarrer sehen, dass es nicht genug ist, bloß im allgemeinen über diesen Gegenstand zu sprechen; dass es vielmehr notwendig ist, länger dabei zu verweilen und alles, was zu seiner Behandlung gehört, mit Bestimmtheit, Klarheit und Genauigkeit den Gläubigen darzulegen. - Eine solche Sorgfalt darf man keineswegs für überflüssig halten auch aus dem Grunde, weil es nicht an Leuten fehlt, die von der Finsternis des Irrtums geblendet sich nicht scheuen, dem zu fluchen, den die Engel preisen. Solche werden sogar durch das nun doch einmal gegebene Gebot nicht abgeschreckt, die Majestät Gottes täglich, ja beinahe stündlich und jeden Augenblick in der unverschämtesten Weise herabzusetzen. Wer sieht denn nicht, wie sie alle Behauptungen mit Schwüren begleiten, wie überall Verwünschungen und Flüche gebraucht werden? Das geht soweit, dass fast kein Kauf oder Verkauf oder sonst ein Geschäft abgeschlossen wird, ohne dass man sich eines heiligen Eides bedient und Gottes heiligsten Namen tausendmal und bei der geringfügigsten und lächerlichsten Sache leichtfertig gebraucht. Um so mehr Sorgfalt und Fleiß muss der Pfarrer aufwenden die Gläubiger oft zu erinnern, eine wie schwere und abscheuliche Sünde das sei.

»Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht eitel nennen« 

3 Wenn wir mit der Auslegung des Gebotes beginnen, sollen wir zunächst das Eine feststellen, dass mit dem Verbot, was man nicht tun darf, zugleich auch das Gebot verbunden ist, was man zu leisten hat. Jedoch ist beides getrennt darzulegen. Und zwar damit der Lehrstoff leichter übersichtlich behandelt werden kann, zuerst das, was das Gebot befiehlt, und hernach, was es verbietet. Es gebietet also, der Namen Gottes heilig zu halten und bei ihm mil heiliger Ehrfurcht zu schwören. Es verbietet: den Namen Gottes zu schmähen, ihn eitel zu nennen, bei ihm falsch oder ohne Grund oder leichtfertig zu schwören.

4 Bei Behandlung des ersten Teiles, des Gebotes nämlich, dem Namen Gottes Ehre zu erweisen, soll der Seelsorger den Gläubigen einschärfen: Nicht auf dem Namen Gottes d. h. auf den Buchstaben und Silben oder auf dem bloßen Wort liege das Hauptgewicht, sondern es komme auf den Gedanken, auf das, was das Wort ausdrückt, an: es bezeichnet ja die allmächtige und ewige Majestät der Einen dreipersönlichen göttlichen Wesenheit. Daraus ergibt sich klar, dass es ein nichtiger Aberglaube mancher Juden war, wenn sie den Namen Gottes zwar schrieben, aber nicht auszusprechen wagten, als läge in den vier Buchstaben und nicht in ihrem Inhalt die göttliche Kraft.

Wenn das Gebot die Einzahl gebraucht: »Du sollst den Namen Gottes nicht eitel nennen«, so ist das nicht etwa bloß von Einem, sondern von allen Namen zu verstehen, die Gott beigelegt werden. Es sind nämlich Gott vieIe Namen gegeben worden: wie »allmächtiger Herr«, »Herr der Heerscharen«, »König der Könige«, »der Starke« und ähnliche, die in der HI. Schrift stehen. Allen diesen gebührt ein und dieselbe Verehrung.

Sodann muss gezeigt werden, wie man dem göttlichen Namen die gebührende Ehre erweist. Denn das christliche Volk, aus dessen Mund ohne Unterlass das Lob Gottes erschallen soll, darf in einer so nützlichen und zum Seelenheil so notwendigen Sache nicht in Unwissenheit gelassen werden. 5 Zwar gibt es verschiedene Weisen, den Namen Gottes zu loben; doch dürfte in den folgenden Sinn und Bedeutung aller enthalten sein. Erstens wird Gott dadurch gelobt, dass wir Ihn auch in der Öffentlichkeit unverzagt als unsern Gott und Herrn bekennen, und Christus als den Urheber unsres Heiles nicht nur selber ansehen, sondern auch andern bekannt machen. - Zweitens, wenn wir uns um das Wort Gottes, das ja seinen Willen kund gibt, mit Ehrfurcht und Fleiß bemühen, in der Betrachtung desselben beständig verharren und es uns eifrig einprägen, sei es durch Lesen oder durch Hören, je nachdem es für die Person und das Amt eines jeden passend und zweckmäßig erscheint. - Drittens achten und ehren wir den göttlichen Namen, wenn wir pflichtmäßig oder in freier Andacht das Lob Gottes singen, und wenn wir für alles, Liebes und Leides, aufrichtig danken. Sagt ja der Prophet: »Lobe, meine Seele, den Herrn und vergiss nicht einen seiner Hulderweise« (Ps 102, 2). Es gibt auch sehr viele Psalmen, in denen David mit ganz kindlicher Hingabe und mit süßem Wohllaut das Lob Gottes singt. Auch Job, das Muster wunderbarer Geduld, gehört hierher. Unverdrossen und ungebrochenen Mutes lobte er fortwährend Gott, trotz der vielen und entsetzlichen Leiden, die über ihn hereingebrochen waren. Wenn wir also von Körper- oder Seelenleiden gequält, wenn wir von Elend und Unglück heimgesucht werden, richten wir sofort unsern ganzen Willen und die volle Kraft unsrer Seele auf das Lob Gottes, indem wir uns das Wort Jobs zu eigen machen: »Der Name des Herrn sei gebenedeit« (Job 1, 21). - 6 Viertens, nicht minder wird Gottes Name geehrt, wenn wir vertrauensvoll um seinen Beistand flehen, dass Er uns entweder von den Widerwärtigkeiten befreie, oder uns Ausdauer und Kraft verleihe, sie standhaft zu tragen. Denn so will es Gott: »Ruf zu mir am Tag der Trübsal«, sagt Er, »und retten will ich dich, du aber wirst mich preisen« (Ps 49, 15). Beispiele für derartige Flehgebete findet man in der Hl. Schrift an vielen Stellen, besonders aber im 16., 43. und 118. Psalm.

Außerdem ehren wir Gottes Namen, wenn wir Gott zur Bekräftigung einer Aussage zum Zeugen anrufen. Diese Art unterscheidet sich von den vorhin genannten sehr. Denn die Arten, die wir eben aufgezählt haben, sind ihrer Natur nach so gut und so erstrebenswert, dass es für den Menschen nichts Beseligenderes und Wünschenswerteres geben kann, als sich darin Tag und Nacht zu üben. »Ich preis den Herrn zu jeder Zeit, sein Lob sei stets in meinem Munde«, sagt David (Ps 33, 2). Anders der Schwur. Wenn er auch gut ist, so ist doch sein häufiger Gebrauch durchaus nicht zu loben. 7 Der Grund für diesen Unterschied liegt darin, dass der Eid eine Einrichtung ist, die als Heilmittel der menschlichen Schwäche und als notwendiges Hilfsmittel zum Erweis der Wahrheit unsrer Aussagen dienen soll. Wie aber die Anwendung von Arzneien nur im Notfall dem Körper zuträglich, ein häufiger Gebrauch sogar schädlich ist, so ist auch das Schwören für das Seelenheil nicht förderlich, außer es liegt ein wichtiger und gerechter Grund vor. Wenn es öfter geschieht, bringt es nicht bloß keinen Nutzen, ist vielmehr schädlich. Daher sagt ganz treffend der hl. Johannes Chrysostomus: Nicht am Beginn, sondern im bereits fortgeschrittenen Verlauf der Welt habe die Gewohnheit zu schwören bei den Menschen Eingang gefunden; als das Böse weit und breit vom Erdkreis Besitz ergriffen hatte; als nichts mehr an Ort und Stelle stehen blieb, sondern alles in großer Verwirrung und Unordnung drunter und drüber ging, und, was aller Übel schlimmstes ist, als fast alle Menschen sich der schmählichen Knechtschaft des Götzendienstes ergeben hatten. Da man bei solcher Treulosigkeit und Schlechtigkeit der Menschen nur schwer Glauben fand, rief man Gott zum Zeugen an (Chrys in Act. hom. 9).

8 Die Hauptsache bei der Behandlung dieses Punktes ist aber die Darlegung, auf welche Weise die Gläubigen den Eidschwur gut und recht anwenden können. Zuerst wird man ihnen sagen, dass »schwören« nichts anderes ist, als Gott zum Zeugen anrufen, mit welcher Wortform und -fassung es immer geschieht. Denn es ist ganz gleich, zu sagen »Gott ist mein Zeuge« oder »bei Gott«. Ebenso ist es ein Eid, wenn wir, um Glauben zu finden, bei geschaffenen Dingen schwören, z. B. »bei den heiligen Evangelien Gottes«, beim Kreuz, bei den Reliquien und dem Namen von Heiligen u. dgl. Freilich verleihen diese Dinge nicht aus sich dem Eid Gültigkeit und Festigkeit, vielmehr tut das Gott, von dessen göttlicher Majestät ein Abglanz in diesen Dingen aufleuchtet. Wer also beim Evangelium schwört, schwört bei Gott selbst, dessen Wahrheit im Evangelium enthalten ist und dargelegt wird. Ähnlich ist es mit dem Eid bei den Heiligen: sie sind Tempel Gottes, sie haben der Wahrheit des Evangeliums Glauben geschenkt, sie mit aller Ehrerbietung behandelt und sie unter Stämmen und Nationen weithin verbreitet. 9 Dasselbe gilt vom Eid, wenn er durch eine Verwünschung ausgedrückt wird, wie jene Worte des hl. Paulus: »Ich rufe Gott zum Zeugen an bei meinem Leben« (2 Kor 1, 23). Denn dadurch unterstellt man sich dem Gericht Gottes, der die Lüge rächen wird. - Wir wollen jedoch nicht in Abrede stellen dass manche von diesen Formeln so genommen werden können, dass sie nicht als gültige Eidesformeln zu gelten haben. Doch ist es nützlich auch hierbei zu beachten, was über den Eid gesagt wird, und sich an dieselben Normen und Regeln zu halten.

10 Es gibt zwei Arten des Eides: den einen nennt man Aussageeid; wenn wir nämlich unter einem Schwur über etwas Gegenwärtiges oder Vergangenes eine Behauptung aufstellen. Das tat der Apostel im Brief an die Galater »Siehe, bei Gott, ich lüge nicht« (Gal 1, 20). Der andere heißt Versprechungseid, wozu auch ein Schwur in Form einer Drohung gehört. Dieser bezieht sich auf die Zukunft: wir versprechen da etwas für ganz sicher, und bekräftigen es mit dem Eid. Solcher Art war der Schwur Davids, als er seiner Gemahlin Bethsabee »beim Herrn, seinem Gott« schwor und versprach, ihr Sohn Salomon werde der Erbe des Reiches und sein Nachfolger sein (1 Kön 1, 30).

11 Wenn es nun auch zum Eid genügt, Gott zum Zeugen anzurufen, so ist doch noch gar manches erfordert, damit der Eid recht und heilig sei. Und das ist sorgfältig zu erklären. Diese Erfordernisse zählt nach dem Zeugnis des hl. Hieronymus der Prophet Jeremias kurz auf, wenn er sagt: »Du sollst schwören, so wahr der Herr lebt, in Wahrheit, Vernünftigkeit und Gerechtigkeit« (Jer 4, 2). In diesen Worten ist in der Tat kurz zusammengefasst, was zu jedem vollkommenen Eid gehört, nämlich Wahrheit, Vernünftigkeit und Gerechtigkeit.

12 Die erste Stelle muss beim Eid die Wahrheit einnehmen; d. h. was behauptet wird, muss wirklich wahr sein, und wer schwört, muss dafür halten, dass es so ist, - und zwar nicht etwa leichtfertig oder auf eine bloße Vermutung hin, sondern auf sichere Gründe gestützt.

Ganz in der gleichen Weise fordert Wahrheit die zweite Art des Eides, wo wir etwas versprechen. Denn wer etwas verspricht, muss so gesinnt sein, dass er es zur bestimmten Zeit tatsächlich ausführen d. h. sein Versprechen halten will. Auch wird sich ein rechtlich denkender Mensch nie zu etwas verpflichten mit dem Bewusstsein, dass es Gottes heiligem Gebot und Willen entgegen ist. Was man aber erlaubter Weise versprochen und beschworen hat, darf man, wenn es einmal versprochen ist, nicht mehr abändern, es sei denn, es hätten sich inzwischen die Umstände so geändert, dass man die Treue nicht halten und bei seinem Versprechen nicht bleiben könnte, ohne Gott zu beleidigen und sich seinen Zorn zuzuziehen. Dass beim Eid die Wahrheit ein notwendiges Erfordernis sei, sagt auch David mit den Worten: »Wer seinem Nächsten ohne Tücke schwört, [darf in deinem Zelte weilen, Herr 1]« (Ps 14, 4).

13 An zweiter Stelle wird Vernünftigkeit verlangt. Denn man darf sich des Eides nicht leichtfertig und unbedacht bedienen, sondern nur nach vernünftiger Überlegung. Wer also schwören will, sehe zuerst zu, ob es wirklich notwendig ist; er schaue sich die Sache genau an, ob sie derart ist, dass sie eines Eides bedarf. Ferner achte er auf die Zeit, den Ort und auf alle andern Umstände. Er lasse sich nicht von Hass oder Liebe oder sonst einer ungeordneten Gemütsstimmung leiten, sondern einzig und allein von der Wichtigkeit und Notwendigkeit der Sache. Geht eine solche Umsicht und genaue Aufmerksamkeit nicht voraus, so ist der Schwur voreilig und leichtsinnig. Solcher Art ist das gottlose Gerede jener, die bei jeder noch so unbedeutenden Kleinigkeit, ohne Grund und Überlegung nur aus schlechter Gewohnheit schwören. Wir sehen, dass es Tag für Tag von Käufern und Verkäufern so gemacht wird. Unbedenklich loben oder tadeln sie unter Eidschwüren die Ware, um sie möglichst teuer zu veräußern oder möglichst billig zu erhalten. Da also Vernunft und Klugheit nötig ist, die Kinder aber bei ihrem Alter noch nicht genug Scharfblick und Unterscheidungsgabe besitzen, wurde vom hl. Papst Cornelius bestimmt, dass man Kindern vor der Reife d. h. vor dem 14. Lebensjahr keinen Eid abverlangen darf (Der alte Codex iur. Inn. c. 16. C. XXII q. 5. Die Berufung auf Papst Cornelius ist eine Irrung. ).

14 Endlich ist noch Gerechtigkeit erfordert. Besonders gilt dies von Versprechungen. Wenn darum einer etwas Unrechtes und Unehrbares unter Eid verspricht, so sündigt er; und falls er sein Versprechen erfüllt, fügt er zur einen Sünde noch eine andere hinzu. Ein Beispiel hierfür haben wir im Evangelium an König Herodes, der durch einen leichtfertigen Schwur gebunden, einem tanzenden Mädchen das Haupt Johannes des Täufers als Lohn für den Tanz gab (Mk 6, 28). Ähnlich war auch der Schwur jener Juden, die sich, wie wir in der Apostelgeschichte lesen, eidlich verpflichteten, nichts zu genießen, bis sie Paulus getötet hätten (Apg 23, 12).

15 Diese Erklärungen vorausgesetzt, bleibt, kein Zweifel mehr, dass der erlaubter Weise schwört, der das alles beachtet und seinen Eid mit diesen Bedingungen wie mit ebenso vielen Sicherungen umgibt. Das lässt sich leicht mit vielen Belegen erhärten. Denn »das Gesetz des Herrn«, das »makellos« und heilig ist, befiehlt: »Du sollst deinen Gott fürchten und ihm allein dienen; und bei seinem Namen sollst du schwören« (Dtn 6, 13). Und David hat geschrieben: »Gelobt werden sollen, die bei ihm schwören« (Ps 62, 12). Außerdem weist die Hl. Schrift darauf hin, dass die Leuchten der Kirche, die hl. Apostel, sich zuweilen des Eides bedienten; das geht klar aus den Briefen des Apostels (Paulus) hervor. Dazu kommt, dass selbst die Engel mitunter schwören; denn vom hl. Johannes ist in der Geheimen Offenbarung aufgezeichnet, ein Engel habe geschworen »bei dem, der da lebt in Ewigkeit« (Offb 10,6). Sogar der Herr der Engel, Gott selbst, schwört (Hebr 6,17). Und im Alten Testament bekräftigt Gott an vielen Stellen seine Verheißungen mit einem Eidschwur, z. B. Abraham und David gegenüber. Letzterer sagt vom Schwur Gottes: »Der Herr hat geschworen und es wird ihn nicht gereuen: Auf ewig sollst du Priester sein nach Weise des Melchisedech« (Ps 109, 4).

16 Unschwer lässt sich auch der Grund zeigen, warum der Eid etwas Löbliches ist. Man braucht nur die Sache etwas aufmerksamer zu betrachten und seinen Ursprung und Zweck ins Auge zu fassen. Der Eid stammt aus dem Glauben. Die Menschen sind nämlich überzeugt: Gott ist der Urheber aller Wahrheit, der weder getäuscht werden, noch auch selbst täuschen kann; denn »alles liegt bloß und offen vor seinen Augen« (Hebr 4, 13); und Er ist es, der mit seiner wunderbaren Vorsehung für alle menschlichen Angelegenheiten sorgt und die Welt leitet. Von diesem Glauben durchdrungen, rufen die Menschen Gott zum Zeugen für die Wahrheit an. Ihm nicht glauben, wäre gottlos und frevelhaft. - 17 Und was den Zweck des Eides anlangt, zielt er darauf ab und will das Eine, dass die Gerechtigkeit und Unschuld eines Menschen an den Tag gebracht, Zwistigkeiten und Streitfragen aber ein Ende gemacht werde. Das lehrt auch der Apostel im Brief an die Hebräer (Hebr 6,16 Die jansenistische Behauptung, dass die von der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit mitunter geforderten Eide dem Geiste des Christentums widersprechen; und dass der Eid überhaupt nur im äußersten Notfall, bei dem es keinen andern Ausweg gibt, erlaubt sei - wurde verurteilt. D 1451 [Clemens XI 1705] 1575 [Pius VI 1794]).

18 Dieser Ansicht widersprechen nicht die Worte unsres Erlösers beim hl. Matthäus: »Ihr habt gehört, dass den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht falsch schwören, und du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs. Auch bei deinem Haupte sollst du nicht schwören, denn du vermagst nicht, ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede sei vielmehr ja, ja - nein, nein. Was darüber hinausgeht, ist vom Bösen« (Mt 5, 33-37). Es ist nicht richtig, dass mit diesen Worten der Eid einfachhin und unter allen Umständen verurteilt wird. Wir haben ja schon früher gesehen, dass der Herr selbst, und ebenso die Apostel wiederholt geschworen haben. Vielmehr wollte der Herr die verkehrte Auffassung der Juden zurückweisen, die sich eingeredet hatten, man brauche sich beim Schwören nur vor der Lüge zu hüten. Daher schworen sie denn auch sehr häufig bei den geringfügigsten und nichtigsten Dingen, und verlangten solche Eide auch von andern. Diese Unsitte tadelt der Erlöser und weist sie zurück, indem Er lehrt, man solle vom Schwören überhaupt absehen, wenn es nicht die Not erheischt. 19 Der Eid verdankt ja sein Dasein der menschlichen Schwäche und kommt in der Tat »vom Bösen«: Denn er ist entweder ein Zeichen der Unbeständigkeit dessen, der schwört, oder der Hartnäckigkeit dessen, dem man schwört, da er auf keine andere Weise zum Glauben gebracht werden kann. Ist der Eid aber notwendig, so geschieht er ohne Schuld.

Wenn dann der Heiland sagt: »Eure Rede sei ja, ja - nein, nein«, so deutet Er durch diese Ausdrucksweise schon genügend an, dass Er das gewohnheitsmäßige Schwören im vertrauten Gespräch und bei weniger wichtigen Dingen verbiete. Wir werden also vom Herrn vor allem dazu ermahnt, es mit dem Schwören nicht leicht zu nehmen und einer solchen Neigung nicht ohne weiters zu folgen; und das ist im Lehrvortrag wohl zu betonen und den Gläubigen einzuprägen. Denn beinahe zahllose Übel ergeben sich aus der Gewohnheit leichtsinnigen Schwörens, wie sich aus der Hl. Schrift und den Zeugnissen der heiligen Väter nachweisen lässt. Im Buch Ekklesiastikus heißt es: »Dein Mund gewöhne sich nicht ans Schwören, denn vielfacher Sturz ist damit verbunden« (Sir 23, 9). Und ebenda: »Ein Mann, der viel schwört, ist voll Ungerechtigkeit und das Unglück wird aus seinem Haus nicht weichen« (Sir 23, 12). Wer darüber mehr wissen will, lese beim hI. Basilius und beim hl. Augustin nach in ihren Schriften gegen die Lüge.

Soviel über das, was geboten; nun zu dem, was verboten ist. 20 Verboten ist uns, den Namen Gottes leichtfertig zu gebrauchen. Wer nicht mit Überlegung schwört, sondern sich von Vermessenheit fortreißen lässt, der begeht offenbar eine schwere Sünde. Verboten ist also durch dieses Gebot, dass man falsch schwöre. Dass das eine sehr schwere Sünde ist, zeigen schon die Worte: »Du sollst den Namen deines Herrn, deines Gottes, nicht leichtfertig gebrauchen«. Wer nicht mit Überlegung schwört, sondern sich von Vermessenheit fortreißen lässt, der begeht offenbar eine schwere Sünde. Verboten ist also durch dieses Gebot, dass man falsch schwöre. Dass das eine sehr schwere Sünde ist, zeigen schon die Worte: »Du sollst den Namen deines Herrn, deines Gottes, nicht leichtfertig gebrauchen«. Sie sollen auch den Grund angeben, warum ein so leichtsinniges Unterfangen gar so schändlich und verabscheuungswürdig ist: weil nämlich die Majestät dessen herabgesetzt wird, den wir als unsern Gott und unsern Herrn bekennen. Denn wer vor einem so schweren Verbrechen nicht zurückschreckt, dass er Gott fälschlich zum Zeugen anruft, begeht gegen Ihn ein gewaltiges Unrecht. Entweder hängt er Gott die Makel der Unwissenheit an, da er glaubt, es bleibe Ihm die Wahrheit über irgendeine Sache verborgen; oder er zeiht Ihn der Unehrlichkeit und einer schlechten Gesinnung, als ob Er eine Lüge mit seinem Zeugnisse bestätigen wolle.

21 Falsch schwört man aber nicht bloß dann, wenn man unter Eid behauptet, es sei etwas wahr, was in Wirklichkeit falsch ist, sondern auch dann, wenn man etwas Wahres beschwört, das man aber für falsch hält. Denn wenn eine Lüge eben deshalb eine Lüge ist, weil sie gegen die eigene innere Überzeugung ausgesprochen wird, so ist auch klar, dass ein solcher ein Lügner und Meineidiger ist. 22 Gleichfalls macht sich des Meineides schuldig, wer beschwört, was er für wahr hält, während es in Wirklichkeit falsch ist, sofern er nämlich nicht die ihm mögliche Sorgfalt und den entsprechenden Fleiß angewendet hat, das Richtige zu erfahren und zu erforschen. Denn wenn auch seine Rede mit seinem Bewusstsein im Einklang steht, so macht er sich doch einer Übertretung dieses Gebotes schuldig. - 23 Derselben Sünde muss man auch den bezichtigen, der etwas unter einem Eid verspricht, aber entweder nicht gewillt ist, das Versprechen zu halten oder wenn er das zwar gewollt hat, es trotzdem nicht tut. Das gilt auch von denen, die sich Gott gegenüber durch ein Gelübde binden und es nicht halten.

24 Ferner sündigt man gegen dieses Gebot, wenn die Gerechtigkeit fehlt, eine von den drei Eigenschaften des Eides. Würde also einer schwören eine Todsünde begehen zu wollen, etwa einen Mord, so versündigt er sich gegen dieses Gebot, auch für den Fall, dass es ihm mit seiner Äußerung voller Ernst ist und es dem Schwur daher nicht an der Wahrheit gebricht, die, wie wir erklärt haben, an erster Stelle erfordert ist. - Daher sind auch jene Arten von Schwüren zu rechnen, die aus einer gewissen Geringschätzung hervorgehen: wenn z. B. einer schwören wollte, die Evangelischen Räte nicht zu beobachten, die da zur Ehelosigkeit und zur Armut auffordern. Denn obschon niemand verpflichtet ist, ihnen zu folgen, liegt doch in einem solchen Eid, man wolle die Räte nicht beobachten, eine Verachtung und Herabwürdigung der göttlichen Räte.

25 Weiters verletzt dieses Gebot, wer gegen die Vernünftigkeit verstößt. Er beschwört zwar, was wahr ist, und glaubt auch, dass es so ist, stützt sich jedoch auf leichte und weit hergeholte Vermutungen. Kommt einem solchen Schwur auch die Wahrheit zu, so ist er doch in einer gewissen Hinsicht falsch; denn wer so leichtsinnig schwört, setzt sich der Gefahr aus, einen Meineid zu schwören.

26 Falsch schwört auch, wer bei falschen Göttern schwört. Denn was ist von der Wahrheit weiter entfernt, als trügerische und selbst gemachte Götzen zu Zeugen anrufen, als wären sie der wahre Gott?

27 Da die Hl. Schrift beim Verbot des Meineides hinzufügt: »Du sollst den Namen deines Gottes nicht verunglimpfen« (Lev 19, 12), wird damit auch jede Geringschätzung alles dessen verboten, was nach diesem Gebot Ehre verdient. Daher gehört das Wort Gottes, dessen Herrlichkeit nicht bloß fromme, sondern mitunter auch gottlose Menschen ehrfürchtig anerkennen, wie im Buch der Richter vom Moabiter-König Eglon berichtet wird (Ri 3, 20). Den größten Schimpf tut dem Worte Gottes der an, der die Hl. Schrift entgegen ihrem richtigen und ursprünglichen Sinn verdreht zugunsten von Aufstellungen und Häresien gottloser Menschen. Vor diesem Verbrechen warnt uns der Apostelfürst mit den Worten: »Es sind (in den Briefen des hl. Paulus) einige schwer verständliche Stellen, die unwissende und haltlose Menschen gleich den übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben verdrehen« (2 Petr 3, 16). Ferner wird die Hl. Schrift schnöde und ungeziemend besudelt, wenn schlechte Menschen Worte oder Sätze daraus, die man doch mit der größten Ehrfurcht behandeln muss, zu unheiligen Zwecken verwenden: zu Possen, Aufschneidereien, eitlem Geschwätz, Schmeicheleien, Ehrabschneidungen, Wahrsagereien, Schmähschriften u. dgl. Das Konzil von Trient befiehlt, diese Sünde zu ahnden (Conc. Trid. IV Dekret über die Herausgabe und den Gebrauch der heiligen Schriften).

28 Wie die Gott ehren, die seine mächtige Hilfe in ihren Widerwärtigkeiten anflehen, so versagen die Gott die Ihm gebührende Ehre, die Ihn nicht um seinen Beistand anrufen. David tadelt sie mit den Worten: »Sie rufen Gott nicht an; einst aber werden sie vor Schrecken zittern« (Ps 13, 5).

29 Aber eines noch weit abscheulichern Verbrechens machen sich schuldig, die Gottes hochheiIigen Namen, der von allen Geschöpfen gepriesen und über alles gelobt werden sollte, oder auch den Namen von Heiligen, die bereits mit Gott herrschen, mit ihrem unsaubern und losen Mund zu schmähen und zu entweihen wagen. Diese Sünde ist so schrecklich und ungeheuerlich, dass die Hl. Schrift, wenn sie von der Gotteslästerung redet, [das Wort nicht einmal aussprechen will, sondern] dafür zuweilen das Wort »Benedictio« (Lobpreisung) gebraucht (1 Kön 21, 13).

»Und der Herr wird den nicht straflos ausgehen lassen, der den Namen des Herrn, seines Gottes, zwecklos nennt« (Ex 20, 7).

30 Weil nun einmal die Furcht vor schwerer Strafe einem frechen Drauflossündigen gewöhnlich einen starken Damm entgegensetzt, muss der Seelsorger den zweiten Teil des Gebotes, der ihm als Anhang beigegeben ist, sorgfältig erklären. So wird er das Gemüt der Menschen eher aufrütteln und leichter zur Beobachtung dieses Gebotes bringen.

Zuerst lehre er, es sei wohl begründet, dass diesem Gebot Strafandrohungen beigegeben sind. Man könne daraus die Größe der Sünde, und Gottes Güte gegen uns erkennen. Gott, der ja keine Freude hat am Untergang der Menschen, schreckt uns mit solch heilsamen Drohungen, auf dass wir uns nicht seinen Zorn und gerechten Unwillen aufladen, sondern Ihn vielmehr als gütigen, denn als erzürnten Gott kennen lernen. Diesen Gedanken soll der Seelsorger stark betonen, und mit allem Eifer darauf zurückkommen, damit das Volk die Schwere dieser Sünde einsehe, sie mit größerer Entschiedenheit verabscheue und mehr Fleiß und Vorsicht aufwende, sie zu meiden.

Ferner zeige er, wie sehr die Menschen, geneigt sind, gerade diese Sünde zu begehen, weshalb eben das Gebot für sich allein ohne Beifügung von Strafandrohungen nicht genügt hätte. Es ist nicht zu sagen, welchen Nutzen diese Einsicht mit sich bringt. Denn wie nichts so sehr schadet als eine unkluge Selbstsicherheit, so ist die Erkenntnis der eigenen Schwäche vom allergrößten Nutzen.

Dann soll er auch noch darlegen, dass von Gott nicht eine bestimmte Strafe festgesetzt ist. Es wird nur im allgemeinen angedroht, wer sich dieser großen Sünde schuldig mache, werde nicht straflos ausgehen. Deshalb sollen uns die tagtäglich über uns hereinbrechenden großen Strafgerichte vor dieser Sünde warnen. Es liegt nämlich die Vermutung nahe, dass sehr schwere Schicksalsschläge über die Menschen kommen, weil sie dieses Gebot nicht befolgen. Wenn sie sich das vor Augen halten, werden sie in Zukunft wahrscheinlich vorsichtiger sein. Von heiliger Furcht erfüllt, sollen also die Gläubigen diese Sünde um jeden Preis zu meiden trachten. Denn wenn schon für jedes unnütze Wort beim Gericht Rechenschaft verlangt wird, was soll man dann von den sehr schweren Sünden sagen, die eine große Verunehrung des göttlichen Namens in sich schließen?

Viertes Kapitel: Vom dritten Gebot

»Gedenke, dass du den Sabbat heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun; am siebten Tag aber ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. An ihm sollst du kein Werk verrichten, weder du noch dein Sohn noch deine Tochter, weder dein Knecht noch deine Magd noch dein Zugvieh, auch nicht der Fremdling, der innerhalb deiner Tore weilt. Denn an sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde und das Meer samt allem, was darin ist, und am siebten Tag ruhte er; deshalb segnete der Herr den Sabbat und heiligte ihn« (Ex 20, 8-11).

1 Durch dieses Gebot wird der äußere Kult vorgeschrieben, wie wir ihn Gott schulden. So will es die rechte Ordnung. Ist doch dieser Kult in gewissem Sinn die Frucht des vorausgehenden Gebotes. Denn wenn wir Gott mit aufrichtigem Herzen ergeben sind, müssen uns Glaube und Hoffnung, die wir auf Ihn gestellt haben, notwendig dahin bringen, dass wir Ihm auch nach außen Verehrung und Dankbarkeit erweisen. Das kann man aber nicht so leicht, solange man durch die Beschäftigung mit irdischen Dingen festgehalten wird; deshalb ist zu bequemerer Durchführung des äußeren Kultes eine bestimmte Zeit festgesetzt worden.

2 Da es sich hier um ein Gebot handelt, das ganz überraschende Früchte und Vorteile zeitigt, ist es von größter Wichtigkeit, dass der Seelsorger allen Fleiß auf dessen Erklärung verwende. Schon das erste Wort »Gedenke!« ist geeignet, seinen Eifer zu entflammen. Denn wenn die Gläubigen dieses Gebotes gedenken sollen, ist der Seelsorger verpflichtet, es ihnen oft durch Mahnung und Belehrung ins Gedächtnis zu rufen. - Wie viel daran liegt, dass die Gläubigen dieses Gebot ernst nehmen, ergibt sich aus folgender Erwägung: Durch die Befolgung dieses Gebotes werden sie sich leichter auch zur Beobachtung der andern entschließen. Wenn zu den an den Feiertagen vorgeschriebenen Übungen gehört auch der Besuch der Predigt in der Kirche. Durch die Belehrung über die göttlichen Satzungen aber werden sie dazu kommen, das Gesetz des Herrn aus ganzem Herzen zu befolgen (Vgl. Ps 118, 26. 44). - Darum wird in der Hl. Schrift sehr oft die »Feier und Heiligung des Sabbats« eingeschärft, wie man im zweiten, dritten und fünften Buch Mosis und bei den Propheten Isaias, Jeremias und Ezechiel lesen kann. In all diesen Büchern ist vom Gebot der Sabbatheiligung die Rede.

3 Die Regierungen und Behörden aber sind eindringlich zu mahnen, dass sie mit ihrem Einfluss die kirchlichen Vorsteher tatkräftig unterstützen in allem, was zur Erhaltung und Förderung des öffentlichen Gottesdienstes geeignet ist, und dass sie dem Volk auftragen, sich den Weisungen der Geistlichen zu fügen.

Was nun die Erklärung dieses Gebotes anlangt, so muss man die Gläubigen sorgfältig belehren, worin es mit den andern Geboten übereinkommt und worin es sich von ihnen unterscheidet. Dann werden sie auch die Ursache und den tieferen Grund einsehen, warum wir nicht mehr den Sabbat, sondern den »Tag des Herrn« [den Sonntag] als Feiertag begehen.

4 Als sicher kann einmal der Unterschied gelten, dass die andern Gebote des Dekalogs natürliche und bleibende Sittengesetze sind, und daher auf keine Weise abgeändert werden können. Davon kommt es, dass auch nach Abschaffung des Mosaischen Gesetzes alle Gebote der Zweitafeln vom christlichen Volk beobachtet werden müssen; natürlich nicht, weil Moses sie anbefohlen hat, sondern weil die Menschennatur, der sie entsprechen, uns zu ihrer Beobachtung verpflichtet. - Das Gebot der SabbatheiIigung hingegen war, was die Zeitbestimmung angeht, nicht für immer festgelegt, sondern veränderlich. Es gehört nicht zu den Sitten-, sondern zu den Zeremonialgesetzen; denn es ist kein Naturgesetz. Durch unsre Natur werden wir nämlich nicht gelehrt und angeleitet, Gott gerade an diesem vor jedem andern Tag den äußern Kult zu erweisen; feierte doch das Volk Israel selbst den Sabbat erst seit der Befreiung aus der Pharaonischen Knechtschaft.

5 Das Außerkrafttreten der Sabbatfeier fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, da auch die andern Kultformen und Zeremonien der Juden zu verpflichten aufhörten, d. i. mit dem Tode Christi. Jene Zeremonien waren gleichsam Schattenbilder des Lichtes und der Wahrheit; daher mussten sie mit dem Erscheinen des Lichtes und der Wahrheit, die ja Christus ist, von selbst verschwinden (Papst Eugen IV hat im Decretum pro Jacobitis [1441] erklärt: Nach dem Tode des Herrn durfte der Sabbat und das Zeremonialgesetz noch eingehalten werden bis zur Ausbreitung des Evangeliums, jedoch nur wenn man es nicht für notwendig zum Heil hielt. Seit der Promulgation des Evangeliums aber darf es überhaupt nicht mehr beobachtet werden; wer es dennoch tut, sündigt schwer und setzt darum sein Heil aufs Spiel [D 712]). Darüber schreibt der hl. Paulus an die Galater, indem er die Anhänger des Mosaischen Ritus tadelt: »Ihr haltet Tage und Monate, Zeiten und Jahre; ich fürchte, dass ich am Ende unter euch umsonst gearbeitet habe« (Gal 4, 10f). In demselben Sinn schreibt er auch an die Kolosser (Kol 2, 16). Soviel vom Unterschied.

6 Den andern Geboten gleich ist dieses Gebot (allerdings nicht hinsichtlich der Feier und Zeremonien, wohl aber) darin, dass es auch einen sittlichen und naturgesetzlichen Kern enthält. Denn die öffentliche Gottesverehrung, die dieses Gebot vorschreibt, beruht auf dem Naturrecht. Dass wir nämlich einige Stunden auf den Gottesdienst verwenden, das ist eine Forderung unsrer Natur. Beweis ist die Erfahrung: bei allen Völkern beobachten wir bestimmte öffentliche Feiertage, die religiösen gottesdienstlichen Übungen geweiht sind. Ist es doch für den Menschen etwas ganz Natürliches, den notwendigen Lebensfunktionen überhaupt gewisse Zeiten zu widmen z. B. der körperlichen Ruhe, dem Schlaf usw. Ebenso natürlich ist es, dass der Mensch auch der Seele wie dem Körper einige Zeit gönne, sich am Verkehr mit Gott zu erquicken. Da also der Beschäftigung mit göttlichen Dingen und dem Gott gebührenden Kult eine gewisse Zeit eingeräumt werden muss, rechnet man dieses Gebot ganz richtig zum Sittengesetz.

7 Aus diesem Grund bestimmten die Apostel für den Gottesdienst den ersten Tag der Woche und nannten ihn »Tag des Herrn«. Schon der hl. Johannes erwähnt in der Geheimen Offenbarung den »Tag des Herrn« (Offb 1, 10); und der Apostel Paulus befiehlt, dass die Geldsarnmlungen »am ersten Tag nach dem Sabbat« zu geschehen hätten (1 Kor 16, 2), d. i. nach dem hl. Johannes Chrysostomus der »Tag des Herrn« (Chrys. Homil. 43 über den 1. Korintherbrief). Daraus sehen wir, dass man schon damals in der Kirche den Sonntag als Feiertag begangen hat.

Damit nun die Gläubigen wissen, was sie an diesem Tag zu tun und von welchen Beschäftigungen sie sich zu enthalten haben, wird der Pfarrer nicht unpassend das ganze Gebot Wort für Wort sorgfältig erklären. Es kann hierzu füglich in vier Teile zerlegt werden. 8 Zuerst wird er im allgemeinen darlegen, was mit den Worten: »Gedenke, dass du den Sabbat heiligst«, vorgeschrieben wird. Das Wort »Gedenke!« ist mit Bedacht an den Anfang dieses Gebotes gestellt, weil die Feier gerade dieses Tages zum Zeremonialgesetz gehörte. Eben deswegen schien eine Mahnung für das Volk notwendig gewesen zu sein. (Denn das Naturgesetz lehrt wohl, dass Gott manchmal durch öffentlichen Gottesdienst zu ehren sei, aber an welchem Tag dies zu geschehen habe, schreibt es nicht vor.) - Ferner, so sind die Gläubigen zu belehren, kann man aus diesem Wort abnehmen, wie und mit welcher Gesinnung man im Verlauf der ganzen Woche seine Arbeiten verrichten soll; nämlich so, dass wir immer den Feiertag vor Augen haben, an dem wir Gott gleichsam Rechenschaft ablegen sollen über unser Tun und Wirken. Deshalb müssen wir unsre Werke so verrichten, dass sie weder durch Gottes Urteil zurückgewiesen, noch uns, wie es heißt, zu »bittern Tränen« und »Gewissensbissen« Anlass werden (1 Sam 25, 31). - Endlich werden wir dadurch belehrt, und darauf müssen wir selbstverständlich aufmerksam machen, dass es nicht an Gelegenheiten fehlen wird, auf dieses Gebot zu vergessen. So mancher wird ja verführt durch das Beispiel anderer, die es vernachlässigen, oder abgelenkt durch die Theater- und Sportsucht: Dinge, durch die man sich tatsächlich nur allzu oft von der guten und andächtigen Feier dieses Tages abziehen lässt.

Gehen wir nun dazu über, zu zeigen, was mit dem Wort Sabbat gesagt werden soll. 9 Das hebräische Wort Sabbat (lateinisch übersetzt: cessatio) bedeutet soviel wie Unterbrechung der Arbeit, Ruhe. Sabbat feiern bedeutet demnach: aussetzen und ausruhen. Von dieser Wortbedeutung rührt es her, dass mit dem Wort Sabbat der siebte Tag bezeichnet wurde. Denn nach Vollendung und Ausgestaltung des Weltalls, »ruhte Gott von allem Werke, das er gemacht hatte« (Gen 2,3). Darum gibt der Herr im zweiten Buch Mosis diesem Tag auch diesen Namen (Ex 20, 10). In der Folgezeit wurde nicht bloß der siebte Tag, sondern wegen seines hohen Ranges auch die ganze Woche mit diesem Namen bezeichnet. In dem Sinn sagt der Pharisäer beim hl. Lukas: »Ich faste zweimal am Sabbat d. h. in der Woche« (Lk 18, 12). Soviel über die Bedeutung des Wortes Sabbat.

10 Die Heiligung des Sabbats geschieht nach der Hl. Schrift durch Unterbrechung der körperlichen Arbeiten und Geschäfte, wie die folgenden Worte des Gebotes klar dartun: »Du sollst kein Werk verrichten.« - Aber nicht das allein ist gemeint; denn sonst hätte der Eine Satz im fünften Buch Mosis genügt: »Halte den Tag des Sabbats«. Es wird aber an derselben Stelle hinzugefügt: »und heilige ihn« (Dtn 5, 12). Damit wird angezeigt, dass der Sabbat ein heiliger Tag ist, der gottesdienstIichen Verrichtungen und religiösen Übungen geweiht sein soll. Wir begehen also den Sabbat voll und ganz, wenn wir Werke der GottesIiebe und Gottesverehrung verrichten. Das ist dann in der Tat ein Sabbat, den Isaias »eine Lust« nennt (Jes 58, 13), »weil die Festtage gleichsam Tage der Wonne sind für den Herrn und für die gottliebenden Menschen. Wenn zu dieser andächtigen und heiligen Sabbatfeier noch Werke der Barmherzigkeit hinzukommen, werden auch die Belohnungen, die im nämlichen Hauptstück (Jes 58, 8-13) verheißen sind, gewiss sehr groß und reichlich sein.

11 Also der volle Sinn dieses Gebotes ist: der Mensch soll mit Leib und Seele bestrebt sein, Gott mit kindlicher Hingabe zu ehren, und sich daher zur bestimmten Zeit von körperlichen Beschäftigungen und Arbeiten frei machen.

12 Im zweiten Teil des Gebotes wird gezeigt, dass der siebte Tag für den Gottesdienst von Gott selbst bestimmt worden ist; denn es heißt: »Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun; am siebten Tag aber ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes.« 

Die Worte: »Am siebten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes« wollen besagen, dass wir den Sabbat als dem Herrn geweiht betrachten, an diesem Tag dem Gottesdienste obliegen, und den siebten Tag als Denkzeichen an die Ruhe des Herrn ansehen sollen. 13 Dieser Tag wurde von Gott selber für seinen Dienst bestimmt, weil es für das ungebildete [Juden-] Volk nicht gut gewesen wäre, nach eigenem Gutdünken die Zeit hierfür wählen zu dürfen. Am Ende hätte es die Festtage der Ägypter nachgeahmt.

So wurde denn aus den sieben Wochentagen der letzte für die Gottesverehrung ausersehen, und zwar aus vielen geheimnisvollen Gründen: der Herr nennt ihn daher im zweiten Buch Mosis und beim Propheten Ezechiel ein »Zeichen«. »Seht zu«, sagt Er, »dass ihr meinen Sabbat haltet; denn er ist ein Zeichen zwischen mir und euch von Geschlecht zu Geschlecht, auf dass ihr wisset, dass ich der Herr bin, der euch heiligt« (Ex 31, 13; Ez 20, 12).

14 Er war demnach ein Denkzeichen, das verkünden sollte, die Menschen müssten sich Gott weihen und sich vor Ihm heilig erweisen; sehen sie doch, dass Ihm ein eigener Tag geweiht ist, der eben darum heilig ist, weil sich an ihm die Menschen vorzüglich auf die Übungen der Heiligkeit und der Gottesverehrung verlegen müssen. - Ferner ist er ein Zeichen und sozusagen ein Denkmal für die Erschaffung dieses wunderbaren Weltalls. - Dann war er auch ein Merkzeichen für die Israeliten, das sie erinnern sollte, wie sie mit Gottes Hilfe vom sehr schweren ägyptischen Sklavenjoch erlöst und befreit worden sind. Das sagt der Herr mit ausdrücklichen Worten: »Gedenke, dass du selbst in Ägypten Sklave warst und dass der Herr, dein Gott mit starker Hand und ausgestrecktem Arm dich von da herausgeführt; deswegen hat er dir befohlen, den Sabbat zu halten« (Dtn 5, 15). Endlich ist er noch ein Sinnbild des geistlichen und des himmlischen Sabbats.

15 Der geistliche Sabbat besteht in der heiligen und mystischen Ruhe, die man genießt wenn der alte Mensch mit Christus begraben zu neuem Leben ersteht, und sich eifrig den Übungen der christlichen Frömmigkeit und Liebe hingibt. Denn »die einmal Finsternis waren, nur aber Licht im Herrn sind«, müssen »als Kinder des Lichtes wandeln in lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit«, und dürfen nicht mehr »teilnehmen an den unfruchtbaren Werken der Finsternis« (Eph 5, 8ff). - 16 Der himmlische Sabbat, so bemerkt der hl. Cyrillus (Lib. 4. in Joh 4 c. 6) zur Stelle des Hebräerbriefes: »Somit steht noch eine Sabbatruhe dem Volk Gottes in Aussicht« (Hebr 4, 9), ist jenes Leben in dem wir im Verein mit Christus alle Güter genießen werden, nachdem die Sünde mit der Wurzel ausgerottet ist, gemäß dem Wort: »Dort wird kein Löwe sein und kein wildes Tier durchstreift sie (die heilige Stadt), vielmehr ist dort der Weg rein und heilige Straße nennt man sie« (Jes 35, 8f). In der Anschauung Gottes besitzt nämlich das Herz der Heiligen alle Güter. Daher muss der Seelsorger die Gläubigen mahnen und aneifern mit den Worten: »Lasst uns ernstlich darnach streben, in diese Ruhe einzugehen« (Hebr 4, 11).

17 Außer dem siebten Tag hatte das jüdische Volk noch andere festliche und heilige Tage, die durch das göttliche Gesetz bestimmt waren. An ihnen sollte die Erinnerung an die ganz großen Wohltaten erneuert werden.

18 Die Kirche Gottes hat für gut befunden, die Feier des Ruhetages auf den »Tag des Herrn« zu verlegen. Denn wie am Sonntag zum ersten Mal das Licht im Weltall aufgeleuchtet hat, so ist an eben diesem Tag unser Leben aus der Finsternis zum Licht zurückgerufen worden durch die Auferstehung unsres Heilandes, der uns den Zugang zum ewigen Leben eröffnet hat. Darum wollten ihn die Apostel »Tag des Herrn« genannt wissen. Dass dieser Tag auch sonst noch bedeutungsvoll ist, entnehmen wir der Hl. Schrift: denn an diesem Tag nahm die Weltschöpfung ihren Anfang und wurde den Jüngern der Hl. Geist gegeben.

19 Zu Beginn der Kirche und in der Folgezeit haben die Apostel und unsre heiligen Väter noch andere Feste eingeführt, damit wir an ihnen das Gedächtnis an Gottes Wohltaten liebend und andächtig feiern. Als besonders hohe Feiertage gelten jene, die der Erlösungsgeheimnisse wegen der Gottesverehrung geweiht sind; sodann die Feste der heiligsten Jungfrau-Mutter; endlich die Tage der Apostel, Martyrer und anderer Heiligen, die mit Christus herrschen. Durch die Feier ihrer Siege wird Gottes Macht und Güte verherrlicht, ihnen selbst wird die gebührende Ehre erwiesen, und das gläubige Volk wird zu ihrer Nachahmung angeregt (Der Satz: »Das Gebot die Festtage zu halten verpflichtet nicht unter schwerer Sünde, wenn nicht Ärgernis oder Verachtung damit verbunden ist« ist von Innozenz XI verurteilt worden [1679 D 1202]. Der Satz: »Innerliche Seelen handeln schlecht, wenn sie sich bemühen, an Festtagen oder an heiligen Orten andächtiger zu sein; denn solchen Seelen sind alle Tage, Feste und Orte gleich heilig« ist vom gleichen Papst im Jahre 1687 verworfen worden [D 1253]).

20 Für die Beobachtung dieses Gebotes hat der Gedanke große Bedeutung, der in die Worte gefasst ist: »Sechs Tage sollst du arbeiten; der siebte Tag aber ist der Sabbat des Herrn«. Darum wird der Pfarrer diesen Punkt sorgfältig erklären. Diese Worte legen ja nahe, die Gläubigen zu mahnen, dass sie nicht ein müßiges und bequemes Leben führen; vielmehr habe jeder nach dem Worte des Apostels seine Beschäftigung und »arbeite mit seinen Händen« (1 Thess 4, 11); so war es von ihm angeordnet worden. - Ferner, mit dem Gebot an den sechs Wochentagen unsre Arbeiten zu verrichten, befiehlt der Herr, dass nichts auf den Feiertag verschoben werde, was an den andern Tagen der Woche geschehen soll, damit der Geist von der Aufmerksamkeit und Sorge für die gottesdienstlichen Verrichtungen nicht abgezogen werde.

21 Dann ist der dritte Teil des Gebotes zu erklären, der näher darlegt, wie wir den Sabbat begehen sollen. Besonders sagt er, was wir an diesem Tag nicht tun dürfen. Es spricht nämlich der Herr: »Du sollst an ihm kein Werk verrichten, weder du noch dein Sohn noch deine Tochter, weder dein Knecht noch deine Magd noch dein Zugvieh, auch nicht der Fremdling, der innerhalb deiner Tore weilt.« 

Mit diesen Worten werden wir vor allem angewiesen, alles zu meiden, was dem Gottesdienst hinderlich sein könnte. Es ist ja ohne weiters klar, dass jede Art von knechtlicher Arbeit nicht deshalb verboten wird, als ob sie ihrer Natur nach unschicklich oder schlecht wäre, sondern weil sie unseren Geist vom Gottesdienst ablenkt, den ja das Gebot will. - Um so mehr müssen die Gläubigen die Sünden meiden, die nicht nur die Seele von der Beschäftigung mit den göttlichen Dingen abziehen, sondern uns vollends von der Liebe Gottes trennen.

22 Natürlich sind jene Beschäftigungen und Arbeiten nicht verboten, die zum Gottesdienst gehören, auch wenn es knechtische sind, z. B. den Altar herrichten, die Kirche zu einem Feste schmücken u. Ä. Daher hat auch der Herr gesagt: Die Priester verletzten im Tempel die Sabbatruhe und trotzdem seien sie ohne Sünde (Mt 12, 5). 23 Auch darf man nicht meinen, durch dieses Gebot werden solche Arbeiten am Festtag untersagt, deren Unterlassung Schaden verursachen würde. Die Erlaubnis hierzu ist auch im Kirchenrecht ausgesprochen. Noch vieles andere kann nach den Worten des Herrn im Evangelium an Feiertagen geschehen; der Pfarrer wird das beim hI. Matthäus und Johannes leicht finden.

24 Damit ja nichts übergangen werde, was die Heiligung des Sabbats beeinträchtigen könnte, geschieht auch der Zugtiere Erwähnung. Durch diese Tiere werden eben die Menschen an der Feier des Sabbats gehindert; denn wenn man ein Zugtier zu einer Arbeitsleistung verwendet, so wird dazu auch die Arbeit eines Menschen erfordert, der das Tier leitet; das Tier kann ja keine selbständige Arbeit verrichten, sondern hilft nur dem Menschen, der sich seiner bedient. Nun darf aber am Ruhetag niemand arbeiten, folglich auch nicht die Zugtiere, die der Mensch zu seiner Arbeit gebraucht.

Dies Gebot hat auch noch den Sinn: Wenn Gott schon will, dass man die Tiere mit Arbeiten nicht überlaste, wie viel mehr wird sich der Mensch dann in acht nehmen müssen, dass er nicht die Arbeitskraft von Seinesgleichen rücksichtslos ausnütze.

25 Der Seelsorger soll dann nicht unterlassen, sorgfältig zu erklären, mit welchen Beschäftigungen und Tätigkeiten sich die Christen an Feiertagen abgeben sollen. Es sind folgende: Erstens, dass wir zur Kirche kommen und mit ernster Aufmerksamkeit und wahrer Andacht dem heiligen Messopfer beiwohnen, und häufig zur Heilung unsrer Seelenwunden die heiligen Sakramente von der Kirche empfangen, die zu unserm Heil eingesetzt sind. Denn es kann für die Christen nichts Vorteilhafteres und Besseres geben, als wenn sie oft beichten. Um das Volk dazu wirksam zu ermahnen, kann der Pfarrer Gründe und Gedanken dem Lehrstück über das Bußsakrament entnehmen. Aber nicht bloß zum Empfange dieses Sakramentes halte er die Gläubigen an, sondern er mahne sie unverdrossen immer wieder zum häufigen Empfang der hl. Eucharistie. - Ferner müssen die Gläubigen die Predigt aufmerksam und eifrig anhören. Denn es gibt nichts Ärgerlicheres und Unwürdigeres als Christi Worte verachten oder saumselig hören. - Überdies müssen sich die Gläubigen mit Eifer und Ausdauer in Gebet und Lob Gottes üben. Besondere Sorgfalt und Fleiß sollen sie auf die Erlernung dessen verwenden, was zur christlichen Lebensführung gehört. Eifrig sollen sie sich auch den Werken der Liebe hingeben, indem sie an Arme und Notleidende Almosen austeilen, Kranke besuchen, Betrübten und Schmerzgebeugten linden Trost spenden. Heißt es doch beim hl. Jakobus: »Reine, makellose Frömmigkeit vor Gott dem Vater ist dies: sich der Witwen und Waisen in ihrer Bedrängnis annehmen« (Jak 1, 27). - Aus dem Gesagten lässt sich auch leicht ersehen, was gegen den Sinn dieses Gebotes verstößt.

»Der Herr segnete den Sabbat und heiligte ihn.« 26 Es gehört auch zu den Aufgaben des Seelsorgers, dass er beweiskräftige und packende Gedanken zur Hand habe, um das Volk zu lebendigem Eifer und zu pünktlicher Genauigkeit: in der Beobachtung dieses Gebotes zu begeistern. Sehr viel ist schon erreicht, wenn das Volk einsieht und tief erfasst, wie gerecht und vernünftig es ist, dass wir bestimmte Tage ganz dem Gottesdienst weihen und an ihnen unserm Herrn, von dem wir so große und unzählige Wohltaten empfangen haben, unsre Anerkennung, Hingabe und Verehrung erweisen. Denn hätte Er uns befohlen, dass wir Ihm jeden Tag religiöse Ehrungen bereiten, müssten wir uns im Hinblick auf die großen, ja unermesslichen Wohltaten gegen uns nicht alle Mühe geben, bereitwilligst seiner Willensäußerung zu entsprechen? Nun aber sind nur wenige Tage für den Gottesdienst bestimmt; da gibt es wirklich keine Entschuldigung für etwaige Saumseligkeit und Störrigkeit in der Erfüllung einer Pflicht, die wir nicht ohne sehr schwere Sünde unterlassen können.

27 Ferner zeige der Pfarrer, wie erhaben dieses Gebot ist, indem die, die es beobachten, gleichsam vor dem Angesicht Gottes weilen und mit Ihm Zwiesprache halten. Denn wenn wir beten, betrachten wir Gottes Majestät und besprechen uns mit Ihm. Wenn wir den Predigern zuhören, vernehmen wir Gottes Stimme, die vermittelst derer an unser Ohr dringt, die über die göttlichen Geheimnisse mit heiliger Liebe sprechen. Und im heiligen Messopfer haben wir Christus den Herrn gegenwärtig und beten Ihn an. Diese Güter werden vor allem denen zuteil, die dieses Gebot eifrig befolgen.

28 Die sich aber nicht darum kümmern, weil sie weder Gott noch seiner Kirche gehorchen und auf ihr Gebot nicht hören, erweisen sich als Gottes und seines heiligen Gesetzes Feinde. Diese traurige Tatsache lässt sich schon daraus erkennen, weil es sich hier um ein Gebot handelt, das man ohne Mühe beobachten kann. Denn da uns Gott nicht Arbeiten aufladet, - die wir übrigens seinetwegen auch unter den größten Schwierigkeiten auf uns nehmen müssten - vielmehr uns befiehlt, an den Feiertagen zu ruhen und uns von den irdischen Sorgen frei zu halten: gehört schon eine große Unverschämtheit dazu, dies Gebot abzulehnen. Zur Warnung müssen uns die Strafen sein, die Gott über die Sabbatschänder verhängt hat, wie man aus dem vierten Buch Mosis ersehen kann (Num 15, 35).

Damit wir also nicht in diese Sünde fallen, ist es schon der Mühe wert, uns oft das Wort »Gedenke!« ins Gedächtnis zu rufen, und uns den großen Nutzen und die Vorteile zu vergegenwärtigen, die sich aus der Beobachtung der Feiertage ergeben, wie wir erklärt haben. Und noch anderes Dahergehörige kann der gute und eifrige Seelsorger in Hülle und Fülle finden und bei sich ergebender Gelegenheit behandeln.

II. Abschnitt: Die Gebote der zweiten Tafel oder die Nächstenliebe

1 (Diese Nummern [1] [4] und [5] stehen im lateinischen Text unter dem vierten Gebot) Die vorhergehenden Gebote sind von grundlegender Bedeutung und größter Erhabenheit. Auf sie folgen mit Recht die nun zu erörternden wegen ihrer besondern Dringlichkeit. Jene beziehen sich direkt auf Gott, unser Ziel. Diese leiten uns zur Liebe gegen den Nächsten an. Zwar führen schließlich auch sie zu Gott, um dessentwillen wir letztlich den Nächsten lieben. Deshalb hat Christus der Herr die zwei Gebote der Gottes- und Nächstenliebe als einander gleich bezeichnet (Mt 22, 39). Der große Nutzen dieses Ausspruchs des Herrn lässt sich kaum schildern. Denn reich und herrlich sind seine Früchte. Auch gibt er das sichere Kennzeichen an, ob man das erste Gebot der Liebe beobachtet und schätzt. Der hl. Johannes sagt: »Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann der Gott lieben, den er nicht sieht« (1 Joh 4, 20)? Wenn wir also z. B. die Eltern zu deren Liebe uns Gott verpflichtet, nicht ehren und achten, obschon wir sie fast immer vor Augen haben, welche Wertschätzung und Verehrung werden wir dann Gott entgegen bringen, dem höchsten und besten Vater, den aber niemand sieht? Es ist also klar, dass beide Gebote auf eins hinaus laufen.

Der Seelsorger lege nun zuerst den Unterschied dar, der zwischen den Geboten der ersten und der zweiten Tafel besteht: 4 Der Gegenstand der drei ersten bereits behandelten Gebote ist Gott, das höchste Gut; der der übrigen das Wohl des Nebenmenschen. Durch jene wird größte Liebe gefordert, durch diese nächst-große. Jene haben das Ziel selbst im Auge, diese das was auf das Ziel hingeordnet ist. - Weiters: die Liebe zu Gott gründet sich auf Ihn selbst. Denn Gott muss wegen seiner selbst über alles geliebt werden und nicht wegen etwas anderem. Die Nächstenliebe dagegen hat ihren Ursprung in der Liebe zu Gott; sie muss sich nach ihr richten als der sichern Regel. - 5 Und endlich Gott kann man keine Ehre, keine Liebe, kein Anbetung erweisen, wie Er's verdient. Ja die Liebe zu Ihm kann ins Unermessliche zunehmen. Deswegen muss unsre Liebe gegen Ihn von Tag zu Tag inniger werden, da wir Ihn nach seiner eigenen Gebot »aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus allen Kräften lieben sollen« (Mt 23, 37ff). Die Liebe zum Nächsten hingegen hat ihre Grenzen: denn der Herr befiehlt uns, den Nächste zu lieben wie uns selbst. Wollte einer dies Grenze überschreiten und gegen Gott und den Nächsten die gleiche Liebe hegen, so beging er das größte Unrecht. »Wenn jemand zu mir kommt,« sagt der Herr, »aber Vater und Mutter und Frau und Kind und Bruder und Schwester, ja auch sich selbst nicht hasst, so kann er mein Jünger nicht sein« (Lk 14, 26). In demselben Sinne wurde einem gesagt, der zuerst seinen Vater begrabe und erst dann Christus folgen wollte: »Lass die Toten ihre Toten begraben« (Lk 9, 60); eine Stelle, die lichtvoller wird durch die Erklärung beim hl. Matthäus: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert« (Mt 10, 37).

Fünftes Kapitel: Vom vierten Gebot

»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das der Herr, dein Gott dir geben wird« (Ex 20, 12).

2 Der Bereich dieses Gebotes ist sehr weit. Denn außer denen, die uns das Dasein gegeben haben, gibt es noch viele andere, die wir ähnlich wie die Eltern ehren müssen; sei es wegen ihrer einflussreichen Stellung oder hohen Würde, sei es wegen ihrer Leistungen oder eines hervorragenden Amtes oder Berufes. - Auch macht dieses Gebot den Eltern und allen Vorgesetzten ihre Mühe leichter. Sie sollen ja vor allem dafür sorgen, dass die ihnen Anvertrauten gut d. i. nach Gottes Gesetz leben. Diese Sorge wird ihnen leicht, wenn alle überzeugt sind, auf Gott gehe es zurück und Er verlange, dass man die Eltern hoch in Ehren halte.

3 Wenn wir nämlich die Eltern lieben, wenn wir den Vorgesetzten gehorchen, wenn wir den Höherstehenden Ehrfurcht bezeigen, so hat das vor allem deswegen zu geschehen, weil Gott ihr Urheber ist und will, dass sie andern vorstehen: durch ihre Mithilfe leitet und schützt Er die übrigen Menschen. Wenn Er uns also befiehlt, diese Personen zu ehren, müssen wir es tun, weil sie von Gott dieser Ehre gewürdigt werden. Daher kommt es, dass die den Eltern erwiesene Ehre offenbar mehr auf Gott als auf Menschen geht. Heißt es doch beim hl. Matthäus, wo vom Gehorsam gegen die Obern die Rede ist: »Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf« (Mt 10, 40). Und der Apostel sagt im Brief an die Epheser von den Sklaven: »Ihr Knechte gehorcht euren irdischen Herrn mit Furcht und Zittern, mit aufrichtigem Herzen als wäre es Christus. Seid nicht Augendiener, die nur Menschen gefallen wollen; seid vielmehr Knechte Christi« (Eph 6. 5f). - 6 Gewiss, man muss die Eltern gar sehr lieben und achten. Aber zur rechten kindlichen Gesinnung gehört vor allem, dass man an erster Stelle Gott, der aller Vater und Urheber ist, Ehre und Hingabe erweise. Die sterblichen Eltern soll man daher so lieben, dass die ganze Innigkeit der Liebe auf den ewigen und himmlischen Vater zurückgeht. Und sollten etwa einmal die Befehle der Eltern den Geboten Gottes zuwider laufen, so müssen die Kinder ohne Zweifel den Willen Gottes dem ungeordneten Begehren der Eltern vorziehen, eingedenk des Schriftwortes : »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apg 5, 29).

7 Nach diesen Darlegungen wird der Seelsorger das Gebot Wort für Wort erklären und zwar zuerst, was »ehren« heißt: Nämlich gegen einen mit Achtung erfüllt sein und alles, was ihn angeht, hochschätzen. Diese Ehre bringt mit sich: Liebe, Aufmerksamkeit, Gehorsam und Pflege. Mit Bedacht ist im Gesetz das Wort »Ehre« gewählt und nicht Liebe oder Furcht, so sehr man die Eltern auch lieben und fürchten muss. Denn wer liebt, ist deswegen noch nicht immer achtungsvoll und ehrerbietig; und wer Furcht hat, hat nicht immer Liebe. Wer aber einen von Herzen ehrt, der liebt und achtet ihn auch. - Hierauf wird der Pfarrer zeigen, wer mit dem Wort »Vater« gemeint ist. 8 An erster Stelle spricht das Gesetz gewiss von den Vätern, die uns das Leben gegeben haben. Doch bezieht sich dieses Wort auch noch auf andere, die das Gebot sicher gleichfalls mit umschließt, wie aus zahlreichen Stellen der Heiligen Schrift leicht zu entnehmen ist. In der Bibel ist noch von Vätern anderer Art neben den leiblichen die Rede, und einem jeden von ihnen gebührt entsprechende Ehre.

Zunächst heißen die kirchlichen Oberhirten, Seelsorger und Priester Väter, wie sich aus dem, Schreiben des Apostels an die Korinther ergibt: »Nicht um euch zu beschämen, schreibe ich das, sondern um euch als meine geliebten Kinder zu ermahnen. Hättet ihr auch viele tausend Lehrmeister in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn ich bin in Christus Jesus durch das Evangelium euer Vater geworden« (1 Kor 4, 14). Und im Buch Ecclesiasticus heißt es: »Nun lasst uns Lob den edlen Männern singen, den Vätern, denen wir entstammen« (Sir 44, 1). - Ferner nennt man Väter, die einen Thron oder ein obrigkeitliches Amt oder sonst eine Befugnis in der Leitung eines Staates innehaben. So wurde Naaman von seinen Dienern »Vater« genannt (2 Kön 5, 13). - Weiters nennen wir Väter solche, deren Obsorge, deren Treue, Rechtlichkeit und Weisheit andere anvertraut sind, wie Vormünder, Verwalter, Erzieher und Lehrer. Daher nannten die Prophetenschüler den Elias und Elisäus Vater (2 Kön 2, 13; 13, 14). - Endlich nennen wir Väter Greise und vom Alter gebeugte Leute, die wir ebenfalls in Ehren halten müssen.

Der Pfarrer wird aber bei seinen Ausführungen besonders betonen, dass wir mehr als alle andern, denen der Vatername gebührt, jene ehren müssen, denen wir das Leben verdanken; sie meint auch das göttliche Gesetz an erster Stelle. 9 Sie sind einerseits in gewissem Sinn Abbilder des unsterblichen Gottes, anderseits sehen wir in ihnen dargestellt den Anfang unsres Daseins: von ihnen haben wir ja das Leben erhalten, ihrer hat sich Gott bedient, um uns Seele und Geist zu geben, von ihnen wurden wir zu den Sakramenten geführt, durch sie erhielten wir die religiöse, bürgerliche und sittliche Erziehung. - Der Seelsorger verweise auch darauf, dass die »Mutter« in diesem Gebot mit Recht ausdrücklich erwähnt wird, damit wir ihre Wohltaten und Verdienste um uns wohl beachten. Unter wie viel Sorge und Kummer hat sie uns unter ihrem Herzen getragen, mit wie viel Mühe und Schmerz hat sie uns geboren und erzogen!

10 Die Verehrung gegen unsre Eltern muss so beschaffen sein, dass die ihnen erwiesene Ehre augenscheinlich aus einem liebevollen Herzen kommt. Das sind wir ihnen durchaus schuldig. Sind sie doch gegen uns so gesinnt, dass sie keine Arbeit, keine Anstrengung und keine Gefahr unsertwegen scheuen. Auch kann ihnen nichts willkommener sein, als zu sehen, wie teuer sie ihren so heissgeliebten Kindern sind. Der ägyptische Josef stand an Ehre und Macht dem König zunächst; dennoch bereitete er seinem Vater bei dessen Ankunft in Ägypten einen höchst ehrenvollen Empfang (Gen 46, 29). Und Salomon erhob sich beim Eintritt seiner Mutter, verneigte sich vor ihr, und ließ sie zu seiner Rechten auf dem Königsthron Platz nehmen (1 Kön 2, 19).

Die Ehre, die wir den Eltern schulden, legt: uns auch noch andere Pflichten auf: so ehren wir sie, wenn wir Gott inständig bitten, dass sie glücklich seien und ihnen alles wohl gelinge. Dass sie bei den Mitmenschen in hoher Gunst und Achtung stehen. Dass sie besonders Gott und den Heiligen des Himmels genehm seien. - Ferner ehren wir die Eltern, wenn wir unsre Angelegenheiten ihrem Wunsch und Willen gemäß einrichten. Das rät Salomon mit den Worten: »Gehorch' mein Sohn der väterlichen Zucht; acht nicht gering der Mutter Wort; sie zieren wie ein Kranz dein Haupt und deinen Hals wie Kettenschmuck« (Spr 1,8 f). Ähnlich lauten die Mahnungen des hl. Paulus: »Ihr Kinder, seid euren Eltern gehorsam im Herrn; denn so ist es recht« (Eph 6, 1). Und wieder: »Ihr Kinder, seid euren Eltern in allem gehorsam; daran hat der Herr sein Wohlgefallen« (Kol 3, 20). Das wird auch durch das Beispiel von Heiligen bestätigt. So gehorchte Isaak bescheiden und ohne Widerrede, als er von seinem Vater zum Opfer gebunden wurde (Gen 22, 9). Und die Rehabiten enthielten sich für immer des Weines, um nicht vom Rat ihres Vaters abzuweichen (Jer 35, 5f). - Auch dadurch ehren wir die Eltern, dass wir ihr gutes Tun und Leben nachahmen. Denn offenbar schätzen wir die am meisten, denen wir möglichst ähnlich werden wollen. - Ebenso ehren wir die Eltern, wenn wir nicht bloß ihren Rat einholen, sondern auch befolgen. - 11 Weiters wenn wir sie unterstützen und ihnen Nahrung und was sonst zum Lebensunterhalt gehört, zukommen lassen. Das bestätigt ein Wort Christi, der die Hartherzigkeit der Pharisäer gegen die Eltern also rügte: »Warum übertretet ihr eurer Überlieferung zuliebe das Gebot Gottes? Denn Gott hat gesagt: Du sollst Vater und Mutter ehren, und: Wer Vater oder Mutter flucht, der soll des Todes schuldig sein. Ihr aber sagt: Wer zu Vater oder Mutter spricht ,was du von mir als Unterstützung empfangen solltest, sei Opfergabe, der braucht seinen Vater und seine Mutter nicht mehr zu ehren. Damit habt ihr das Gebot Gottes eurer Überlieferung zulieb außer Kraft gesetzt« (Mt 15, 3ff).

Die Pflichten gegen die Eltern müssen wir zwar immer erfüllen, besonders jedoch, wenn sie gefährlich krank sind. Dann muss man dafür sorgen, dass sie nichts unterlassen hinsichtlich der Beichte und der andern Sakramente, die der Christ beim Herannahen des Todes zu empfangen verpflichtet ist. Auch sollen wir es uns angelegen sein lassen, dass sie oft Besuche guter und frommer Menschen erhalten, die sie aufrichten und mit ihrem Rat ihnen beistehen, falls sie mutlos sind; sind sie aber gut gestimmt, werden diese Besucher ihre Hoffnung auf die Ewigkeit beleben, auf dass sie ihre Seele von den irdischen Dingen freimachen und ganz auf Gott richten. So durch das beglückende Geleit von Glaube, Hoffnung und Liebe und durch den Schutz der Religion umschirmt, werden sie den Tod, der nun einmal unvermeidlich ist, nicht nur nicht für furchtbar halten, sondern vielmehr für wünschenswert; öffnet er ja den Zugang zur ewigen Seligkeit. - 12 Schließlich erweist man auch noch den verstorbenen Eltern Ehre, wenn wir für ihr Begräbnis und eine ehrende Leichenfeier Sorge tragen, ihnen eine würdige Grabstätte verschaffen, die Verpflichtungen [ = Almosen] einhalten und hl. Messen am Jahrtag besorgen, endlich ihre letztwilligen Vermächtnisse genau ausführen.

13 Man muss indes nicht bloß die ehren, von denen wir das Leben haben, sondern auch die andern, denen der Vatername zukommt: wie Bischöfe und Priester, Könige und Fürsten, Beamte, Verwalter, Vormünder, Lehrer und Erzieher, Greise und dgl. Sie verdienen auch, aus unsrer Liebe, unsrem Gehorsam, unsrem Vermögen Frucht zu ziehen, allerdings der eine mehr, der andre weniger.

Von den Bischöfen und den andern Hirten steht geschrieben: »Priester, die ihr Amt gut verwalten, halte man doppelter Ehre wert, vorzüglich jene, die sich in Wort und Lehre abmühen« (1 Tim 5, 17). Welche Liebe bekundeten z. B. die Galater gegen den Apostel Paulus! Er selbst gibt ihrer aufrichtigen Liebe folgendes Zeugnis: »Ich kann euch bezeugen, ihr hättet euch womöglich die Augen ausgerissen und sie mir gegeben« (Gal 4, 15). - 14 Den Priestern muss man auch den notwendigen Lebensunterhalt beistellen nach dem Wort des Apostels: » Wer leistet denn Kriegsdienst auf eigene Kosten« (1 Kor 9, 7)? Und im Buch Ecclesiaticus heißt es: »Ehre die Priester und entsündige dich durch Schulterstücke; gib ihnen ihren Teil wie es dir befohlen ist, die Erstlinge und Schuldopfer« (Sir 7, 33f). Dass man ihnen auch gehorchen muss, lehrt der Apostel mit den Worten: »Gehorcht euren Vorstehern und folgt ihnen, denn sie wachen über eure Seelen, da sie einst Rechenschaft geben müssen« (Hebr 13, 17). Christus der Herr hat sogar befohlen, auch den schlechten Hirten zu gehorchen, wenn Er sagt: »Die Schriftgelehrten und Pharisäer sitzen auf dem Lehrstuhl des Moses. Alles was sie euch sagen, das tut und beobachtet. Aber nach ihren Werken richtet euch nicht. Denn sie reden wohl, handeln aber nicht darnach« (Mt 23, 2 f).

15 Dasselbe gilt bezüglich der Könige, Fürsten, Beamten und der andern, deren Gewalt wir unterstehen. Welche Art von Ehre, Achtung und Unterwürfigkeit man ihnen bezeigen muss, führt der Apostel im Brief an die Römer weitläufig aus (Röm Kap 13). Auch ermahnt er zum Gebet für sie (1 Tim 2, 2). Und der hl. Petrus sagt: »Seid um des Herrn willen jeder menschlichen Obrigkeit untertan, sei es dem König als dem obersten Herrn, sei es den Statthaltern, die von ihm gesandt sind« (1 Petr 2, 13). Die Ehre, die wir ihnen erweisen, geht schließlich auf Gott. Denn die höhere Stellung genießt bei den Menschen Verehrung, weil sie ein Abglanz der göttlichen Macht ist. Auch ehren wir darin die Vorsehung Gottes, der ihnen die Verwaltung eines öffentlichen Amtes anvertraut und sie zu Dienern seiner Oberhoheit gebraucht (»Gleichmäßig bestrebt, das eigene Recht zu wahren wie das Recht anderer heilig zu halten, hält es die Kirche nicht für einen Gegenstand ihrer Entscheidung, welche Staatsform vorzuziehen sei … Die verschiedenen Staatsformen sind ihr sämtlich genehm, so lange sie die Religion und das Sittengesetz nicht verletzen. Diesem Beispiel müssen auch die einzelnen Christen im Denken und Handeln folgen.« Leo XIII Sapientiae christianae 10. Jan. 1890. Vgl. auch die Enzykl. Immortale Dei 1. Nov. 1885 [D 1871]).

16 Natürlich bezieht sich unsre Verehrung nicht auf die Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit, falls die Würdenträger Menschen solcher Art wären, sondern auf die ihnen innewohnende göttliche Autorität. Selbst wenn sie gegen uns voreingenommen, feindselig und hart wären, ist das - mag es auch merkwürdig scheinen - kein genügender Grund, sie nicht dennoch pflichtmäßig zu achten. So blieb Davids Diensteifer gegen Saul gleich groß, wie sehr ihm dieser auch feind sein mochte. Das deutet er mit den Worten an: »Mit denen, die den Frieden hassten, war ich friedfertig« (Ps 119, 7). - Wenn sie aber gottlose und sündhafte Anordnungen treffen, darf man nicht auf sie hören, denn sie handeln da nicht kraft ihrer Gewalt, sondern aus ungerechter und verkehrter Gesinnung.

Hat der Pfarrer das im einzelnen erklärt, dann spreche er über den Lohn, der denen verheißen ist, die dieses Gebot beobachten, und zeige, welcher Art und wie angemessen dieser Lohn ist. 17 Die wahrhaft große Frucht dieses Gebotes für seine Beobachter ist nämlich: dass sie langes Leben haben.

Und sie sind es wert, die Wohltat recht lange zu genießen, die sie stets vor Augen gehabt haben. Denn wer die Eltern ehrt, erweist sich denen dankbar, von denen er die Wohltat des Lichtes und des Lebens empfangen hat, und verdient darum, ein hohes Lebensalter zu erreichen. - So dann ist die göttliche Verheißung deutlich zu erklären: es wird etwa nicht bloß der Besitz des ewigen und seligen, sondern auch des Lebens auf Erden verheißen. In diesem Sinn sagt der hl. Paulus: »Die Kindesliebe ist zu allem nütze; sie hat eine Verheißung für das gegenwärtige und für das zukünftige Leben« (1 Tim 4, 8 Pietas kann sowohl Frömmigkeit als auch Kindesliebe bedeuten). 18 Dieser Lohn ist nicht gering anzuschlagen oder gar zu verachten, wenn auch heiligen Männern wie Job, David und Paulus der Tod begehrenswert erschien, und unglückliche schwer heimgesuchte Menschen eine Verlängerung des Lebens keineswegs wünschen. Denn mit dem Zusatz: »in dem Lande, das der Herr, dein Gott dir geben wird«, ist nicht bloß die zeitliche Lebensdauer verheißen, sondern zugleich auch Ruhe, Friede und die Sicherheit eines guten Lebens. Im fünften Buch Mosis heißt es nämlich nicht nur: »dass du lange lebest«, vielmehr wird hinzu gefügt: »dass es dir wohl ergehe« (Dtn 5, 16). Das wird dann auch vom Apostel wiederholt (Eph 6, 3).

19 Wir sagen, dass diese Güter allen reichlich zuteil werden, weil Gott selbst ihrer Kindesliebe den Dank abstattet. Diese göttliche Verheißung ist nicht weniger zuverlässig und unwandelbar, wenn zuweilen denen, die den Eltern sehr viel kindliche Liebe entgegengebracht haben, ein kurzes Leben beschieden ist. Das geschieht dann, entweder weil es so zu ihrem Besten ist: sie scheiden aus dem Leben, bevor sie das heilige Gut der Tugend und Pflicht preisgegeben haben; »Sie werden hinweggerafft, damit nicht die Bosheit ihren Sinn verkehre, noch Trug ihre Seele gar verführe« (Weish 4, 11). Oder sie werden vor dem Hereinbruch eines allgemeinen Unglücks und Wirrsals aus dem Leibe abberufen, damit sie die Zeiten allgemeiner Not nicht miterleben brauchen, nach dem Prophetenwort: »Angesichts der bösen Zeit wird der Gerechte hingerafft« (Jes 57, 1). Eigentlich geschieht das, damit ihre Tugend oder ihr Seelenheil nicht in Gefahr kommen, wenn Gott die Sünden der Sterblichen mit schweren Strafgerichten heimsucht; oder damit sie in schwerer Zeit nicht das Unglück von Verwandten und Freunden zu betrauern und zu beklagen brauchen. Man muss darum sehr in Angst sein, wenn über gute Menschen ein frühzeitiger Tod hereinbricht.

20 Wie den Kindern, die gegen ihre Eltern liebevoll sind, für ihre Pflichterfüllung Lohn und Erfolg von Gott verheißen ist, so stehen den lieblosen und harten sehr schwere Strafen bevor. Denn so heißt es: »Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, der soll des Todes sterben« (Ex 21,17). Und: »Wer den Vater betrübt und die Mutter verstößt, ist ein schändlicher und erbärmlicher Mensch« (Spr 19, 26). Und wieder: »Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, dessen Leuchte löscht im Dunkeln aus« (Spr 20, 20). Endlich: »Ein Auge, das des Vaters spottet und die leibliche Mutter verächtlich findet, das sollen Raben aus den Höhlen hacken und junge Adler werden es fressen« (Spr 30, 17). Auch lesen wir, dass Gottes rächender Zorn gegen viele entbrannte, die ihren Eltern Unrecht zufügten. So ließ Gott den David nicht ungerächt, sondern gab Absalom die verdiente Strafe für seine Untat, indem Er ihn ob seines Verbrechens mit drei Speeren durchbohrt werden ließ (2 Sam 18, 14). Von solchen, die den Priestern den Gehorsam verweigern, steht geschrieben: »Sollte einer so vermessen sein, dem Priester, der zur Zeit vor dem Herrn, deinem Gott, Dienst tut, nicht zu gehorchen, ein solcher Mensch soll nach dem Spruch des Richters sterben« (Dtn 17, 12).

* * *

21 Wie das göttliche Gesetz bestimmt, dass die Kinder den Eltern Ehre, d. h. Gehorsam und Achtung erweisen, so ist es Pflicht und Schuldigkeit der Eltern, den Kindern Zucht und gut e Sitte beizubringen, ihnen die rechten Lebensregeln zu geben, so dass sie in der Religion wohl unterwiesen, Gott treu und unverbrüchlich dienen. So wurde es, wie wir lesen, von Susannas Eltern gehalten (Dan 13, 3). Der Priester ermahne darum die Eltern, dass sie sich ihren Kindern gegenüber als Lehrer der Tugend, der Rechtlichkeit, Enthaltsamkeit, Bescheidenheit und Heiligkeit erweisen; und dass sie vor allem drei Dinge meiden, worin leider oft gefehlt wird: Erstens sollen sie gegen die Kinder nicht zu schroff sein im Reden oder Befehlen. Das will der Apostel, wenn er im Brief an die Kolosser schreibt: »Ihr Väter, erbittert eure Kinder nicht, damit sie nicht mutlos werden« (Kol 3, 21). Denn dann wäre Gefahr, dass sie furchtsame Menschen werden verzagten und kraftlosen Herzens. Deshalb verlange der Priester, dass man zu große Strenge vermeide und mehr darauf ausgehe, die Kinder zu bessern als zu strafen. - 22 Zweitens, wenn ein Fehler vorgekommen und Züchtigung oder Schelte am Platz ist, dürfen sie diese den Kindern nicht leichthin in nachsichtiger Weise erlassen. Denn nicht selten werden die Kinder durch zu große Gutmütigkeit und Nachgiebigkeit· der Eltern gründlich verdorben.

Von solch ungerechtfertigter Milde sollen sie durch das Beispiel des Hohenpriesters Heli abgeschreckt werden, der die schwerste Strafe erleiden musste, weil er gegen seine Söhne zu nachsichtig gewesen war (1 Sam 4, 18). - Drittens sollen sie bei der Erziehung und Unterweisung der Kinder nicht verkehrten Grundsätzen folgen, was das allertraurigste wäre (In der Gegenwart sind es vor allem die verderblichen Grundsätze des Sozialismus. Schon Pius IX hat in seinem Rundschreiben Quanta cura vom 8. Dez. 1864 gesagt, dass der Sozialismus, nicht zufrieden mit der Ausschaltung der Religion aus dem öffentlichen Leben, sie auch aus der Familie entfernen will. Zu dem Zweck behauptet er, die Familie verdanke ihre Existenz nur der staatlichen Gesellschaft, und darum flössen auch alle Rechte der Eltern auf Erziehung und Bildung der Kinder aus der staatlichen Gemeinschaft. Darum habe Kirche und Religion bei der Kinder- und Jugenderziehung nichts zu sagen. So suche man die bildsamen Herzen der Jugend mit falschen und gefährlichen Grundsätzen zu erfüllen, so den Einfluss des Welt- und Ordensklerus, dieses »gefährlichsten Feindes wahren wissenschaftlichen und kulturellen Fortschrittes«, auf die Kinder- und Jugenderziehung vollständig zu unterbinden. [D. 1693 ff]. Zweck ist also die gänzliche Verweltlichung oder Laisierung der Erziehung). Nicht wenige Eltern sind nämlich nur von dem einen Gedanken und der einen Sorge erfüllt, dass sie den Kindern Geld und Gut und eine große Erbschaft hinterlassen. Zu Religiosität und Frömmigkeit, zur Erwerbung gediegener Bildung halten sie sie nicht an, wohl aber zu Habsucht und zur Vergrößerung des Vermögens. Auch für den guten Ruf und das Seelenheil der Kinder sind sie nicht besorgt, wenn sie nur geldkräftig und reich werden. Kann man wohl etwas Abscheulicheres aussprechen oder ausdenken? So kommt es, dass sie in Wirklichkeit nicht ihren Reichtum, sondern ihre Sünden und Laster auf die Kinder vererben, und ihnen schließlich nicht Führer zum Himmel, sondern zu den ewigen Peinen der Hölle werden.

Der Priester lege also den Eltern die rechten Grundsätze ans Herz und ermuntere sie, dem Beispiel und der Tugend des Tobias zu folgen (Tob 4). Denn wenn sie die Kinder in rechter Weise zu Gottesfurcht und zu einem heiligen Leben erzogen haben, werden sie auch reiche Früchte der Liebe, Ehrerbietung und des Gehorsams ernten.

Sechstes Kapitel: Vom fünften Gebot

»Du sollst nicht töten« (Ex 20, 13)

1 Friedliebenden Menschen winkt überaus großes Glück: »denn sie werden Kinder Gottes heißen« (Mt 5, 9). Dieser Gedanke soll dem Seelsorger eine kräftige Mahnung sein, den Inhalt dieses Gebotes seinen Gläubigen genau und sorgfältig zu erkIären. Es gibt ja in der Tat keinen bessern Weg zur Pflege der Eintracht unter den Menschen, als die gewissenhafte und allgemeine Beobachtung dieses Gebotes: was natürlich eine gute Erklärung desselben voraussetzt. Denn man kann dann hoffen, dass die Menschen innerlich durch große Einigkeit verbunden werden und daher Harmonie und Frieden eifrig pflegen. - Die Notwendigkeit sorgfältiger Behandlung dieses Gebotes erkennt man auch daraus, dass Gott nach der großen allgemeinen Flut den Menschen vor allem dieses Verbot gab: »Das Blut, das euch das Leben kostet, will ich fordern von jedem Tier und von der Hand des Menschen« (Gen 9, 5). - Ferner erzählt das Evangelium: Als der Herr zum ersten Mal das Gesetz des Alten Bundes erklärte, machte Er mit diesem Gebot den Anfang, wie bei Matthäus geschrieben steht: »Es ist [zu den Alten] gesagt worden: Du sollst nicht töten [wer aber tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch usw.]« (Mt 5, 21 ff).

Die Gläubigen aber sollten [den Seelsorger] mit großer Aufmerksamkeit und Freude über dieses Gebot hören. Denn darin hat jeder einen mächtigen Schutz seines Lebens, weil durch das Wort »Du sollst nicht töten« Menschenmord vollständig untersagt ist. Darum sollten es alle Menschen mit solcher Herzensfreude hören, wie wenn Gott unter Androhung seines Zornes und anderer schwerer Strafen in bezug auf jeden Einzelnen namentlich gesagt hätte: »Du darfst den nicht verletzen!« Aber nicht nur gern hören sollte man dieses Gebot; ebenso gern sollte man sich vor den Sünden hüten, die es untersagt.

2 Als der Herr die Pflichten erklärte, die mit dem Gebot gegeben sind, lehrte Er ein Zweifaches: erstens was uns verboten ist, nämlich zu töten; zweitens was uns befohlen ist, nämlich auch mit den Feinden in Eintracht, Freundschaft und Liebe zu leben, mit allen Frieden zu halten, und alles Widrige geduldig zu tragen.

3 In bezug auf das Verbot zu töten muss man zuerst lehren, welches Töten durch dieses Gesetz nicht verboten ist. Erstens ist nicht untersagt Tiere zu töten. Denn nachdem Gott den Menschen gestattet hat, sich von ihnen zu nähren, ist es natürlich auch erlaubt sie zu töten. Darüber spricht St. Augustin: »Wenn wir das Gebot hören: ,du sollst nicht töten', wissen wir, dass das nicht gesagt ist von den Pflanzen, die kein Gefühl haben, auch nicht von den unvernünftigen Sinnenwesen, die ja doch keineswegs zur menschlichen Gesellschaft gehören« (Aug. Über den Gottesstaat I, 20).

4 Zweitens. Das Töten ist jenen Obrigkeiten erlaubt, die die Aufgabe haben, die Übeltäter nach gesetzmäßigem Richterspruch zu strafen und die Schuldlosen zu schützen. Ihnen ist daher die Gewalt verliehen, die Todesstrafe zu verhängen. Wenn sie ihres Amtes in gerechter Weise walten, sind sie nicht nur keine Mörder, sondern im Gegenteil Diener des Gottesgebotes, das den Mord verbietet. Denn der Zweck des Gebotes ist die Fürsorge für das Menschenleben und Menschenwohl. Genau den gleichen Zweck hat aber das Strafverfahren der Obrigkeit, die die Verbrechen zu ahnden berufen ist: durch die Furcht vor Maßregelung soll nämlich der Verwegenheit und Gewalttätigkeit gewehrt und so das Menschenleben gesichert werden. Daher spricht David: »Ausrotten will ich schon am Morgen in dem Land die Sünder, und aus der Stadt des Herrn die Übeltäter tilgen« (Ps 100, 8).

5 Drittens. Ebenso sündigen jene nicht, die in einem gerechten Krieg Feinde ums Leben bringen, nicht aus Habgier oder Grausamkeit, sondern nur im Eifer für das allgemeine Wohl (»Dem Gemeinwesen, in dem wir geboren und erzogen sind, schulden wir nach dem Naturgesetz besondere Liebe und Anhänglichkeit, so dass ein guter Bürger für das Vaterland selbst den Tod nicht scheuen darf«. Leo XIII Sapientiae christianae 10. Jan. 1890 [D 3052] - Der Satz: Aus Liebe zum Vaterland ist jede auch noch so schlechte Handlung erlaubt, ist von Pius IX verworfen worden. Syllabus 8. Dez. 1864 [D 1764]).

Viertens. Hierher gehört auch das Töten, das etwa auf ausdrückliches Geheiß Gottes geschieht. So sündigten die Söhne Levis nicht, als sie an einem Tag Tausende von Menschen umbrachten. Daher sprach Moses nach dieser blutigen Tat zu ihnen: »Ihr habt heute eure Hände dem Herrn geweiht« (Ex 32, 29).

6 Fünftens. Auch der verletzt dieses Gebot nicht, der nicht freiwillig und überlegt, sondern zufällig einen Menschen tötet. Darüber steht im fünften Buch Mosis geschrieben: »Wer seinen Nächsten unabsichtlich tötet und wenn es von ihm erwiesen ist, dass er früher keinen Hass gegen ihn gehegt hat, weder gestern noch vorher, sondern dass er z. B. mit ihm arglos in den Wald gegangen ist, Holz zu fällen: da holt seine Hand mit der Axt zum Baumfällen aus und das Eisen fällt vom Stiel ab und trifft seinen Freund tödlich« [ein solcher flüchte sich in eine Asylstadt … er ist keineswegs des Todes schuldig] (Deuteron 19,4.5.6). Ein solcher Totschlag geschieht nicht freiwillig und überlegt und kann daher auch nicht als Sünde betrachtet werden. Das folgt auch aus dem Wort des hl. Augustin: »Fern sei es, das uns zur Sünde anzurechnen, was man zu einem guten oder erlaubten Zweck getan hat, woraus aber gegen unsren Willen etwas Böses entstanden ist« (S. Aug. Ep. 47). - 7 Indes kann man bei solchen Unfällen aus zwei Gründen sündigen: Erstens wenn bei einer ungerechten Handlung, die man vornimmt, ein Menschenleben zugrunde geht. Z. B. wenn jemand eine schwangere Frau mit der Faust oder mit dem Fuße stößt, und wenn infolgedessen eine Fehlgeburt vorkommt, so sündigt der Täter, auch wenn es gegen seinen Willen erfolgt wäre (Wenn die Fehlgeburt (abortus) beabsichtigt ist, verfällt man der Strafe der Exkommunikation und der Irregularität, ein schuldiger Kleriker der Absetzung [ CIC 1917 can 985, 4. 2350, 1. Vgl. D 1184 f]). Denn es war für ihn doch ganz unerlaubt, eine schwangere Frau zu schlagen. Zweitens, wenn man einen fahrlässig tötet, nämlich ohne die nötige Vorsicht angewandt zu haben.

8 Sechstens. Aus dem angegebenen Grunde ist man offenbar nicht schuld an diesem Gebot, wenn man bei der Verteidigung seines eigenen Lebens (Zur Verteidigung seiner Ehre, seines guten Rufes oder um einen unrechten Urteilsspruch zu verhindern usw. ist es nicht erlaubt, einen andern zu töten [D 1117 ff 1180 ff]) alle Vorsicht anwendet und trotzdem einen andern tötet.

Die aufgezählten Arten des Tötens sind also im Verbot des Dekalogs nicht enthalten. Von ihnen abgesehen ist jeder andere Totschlag verboten, mag man nun den Mörder betrachten oder den Ermordeten oder die Art und Weise, wie der Mord geschieht.

9 Was den Mörder betrifft, so wird [vom Gesetz] gar niemand ausgenommen: weder reiche noch mächtige Menschen (Allen ist das Duell verboten, selbst wenn man durch Verweigerung des Duells seine Stellung und seine Ehre vor den Menschen verlöre [D 1491 ff 1939 f]), weder Herren noch die Eltern. Allen ohne Ausnahme und Unterschied ist das Töten verboten.

10 Was die Ermordeten angeht, so um fasst dieses Gesetz auch alle Menschen: es gibt keinen Menschen und wäre er noch so niedrig und verachtet, der nicht geschützt wird durch die verpflichtende Kraft dieses Gebotes. Auch ist es niemand erlaubt, sich selbst ums Leben zu bringen (Sein Leben großer Gefahr aussetzen [wie es heute beim Sport nicht selten geschieht] ist verboten, außer wenn die Amtspflicht [z. B. eines Gendarmen] es fordert oder die Liebe rät [z. B. um andern das Leben zu retten] [D 1939]. - Der Selbstmörder darf nicht kirchlich begraben werden. Erfolgt der Tod nicht, so verfällt er kirchlichen Strafen [ CIC 1917 can 2350, 2]). Denn niemand hat rechtliche Gewalt über sein Leben, so dass er nach Belieben sich den Tod geben dürfte. Darum lauten die verpflichtenden Worte dieses Gesetzes nicht »Du sollst andere nicht töten« sondern einfach: »Du sollst nicht töten«.

11 Fasst man aber die vielfache Art und Weise ins Auge, wie der Mord geschehen kann, so gibt es ebenfalls keine Ausnahme. Es ist nicht nur verboten, mit seinen Händen oder seinem Schwert, mit einem Stein oder Stock oder Strick, oder mit Gift einem Menschen das Leben zu nehmen. Ebenso wenig darf man durch Rat, Geld, Beistand oder auf welche Weise immer einen Mord veranlassen.

Da zeigte sich das schwerfällige und stumpfe Gewissen der Juden, die das fünfte Gebot zu beobachten meinten, wenn sie nur ihre Hände rein hielten von Blut. Der Christ aber kennt den geistigen Sinn des Gesetzes aus der Lehre Christi, die nicht bloß reine Hände von uns verlangt, sondern vor allem ein keusches und lauteres Herz. Dem Christen darf daher nicht genug sein, was jene für genug und übergenug in der Beobachtung des Gebotes hielten. Denn im Evangelium ist sogar das Verbot zu zürnen gegeben: »Ich aber sage euch«, so spricht der Herr, »wer immer seinem Bruder zürnt, soll dem Gerichte verfallen sein. Wer zu seinem Bruder sagt: du Frevler! soll dem Hohen Rat verfallen sein, und wer zu ihm sagt: du Gottloser! soll dem Feuer der Hölle verfallen sein« (Mt 5, 22). 12 Aus diesen Worten ist klar, dass man selbst dann nicht frei ist von Schuld, wenn man den Zorn.gegen den Bruder im Herzen verschlossen hält. Äußert man diesen Zorn aber auf irgend eine Weise, so sündigt man schwerer; und noch schwerer, wenn man sich nicht scheut, den Bruder hart anzufahren und ihm Schmähworte zu sagen. - Allerdings ist das Gesagte nur dann richtig, wenn kein vernünftiger Grund zu zürnen vorliegt. Ein solcher vor Gott und den Gesetzen haltbarer Grund zu zürnen ist vorhanden, wenn wir jene wegen Fehlern strafen müssen, die unsrer obrigkeitlichen Gewalt unterstehen. Der Zorn des Christenmenschen soll also nicht aus der Regung des Fleisches kommen, sondern aus dem Antrieb des Heiligen Geistes; denn wir sollen »Tempel des Heiligen Geistes« (1 Kor 6, 19) sein, in denen Jesus Christus wohnt.

13 Noch vieles andere gehört nach der Lehre des Herr n zur vollkommenen Beobachtung dieses Gebotes. Z. B. »Dem Böswilligen nicht widerstehen. Vielmehr, wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin. Und will jemand mit dir vor Gericht gehen und dir deinen Rock nehmen, so lass ihm auch den Mantel. Und nötigt dich jemand eine Meile weit mitzugehen, so geh zwei mit ihm« (Mt 5, 39ff).

Aus dem Gesagten kann man auch ersehen, wie sehr die Menschen zu Sünden gegen dieses Gebot geneigt sind und wie groß die Zahl derer ist, die vielleicht nicht äußerlich im Werk, wohl aber im Herzen das Verbrechen des Mordes begehen. Darum bietet die Heilige Schrift für diese so gefährliche Krankheit Heilmittel dar; und es ist Aufgabe des Seelsorgers, sie den Gläubigen gewissenhaft zu verabreichen.

14 (Fehlende Zahl 14 wurde hierher platziert) Das vorzüglichste ist die Überzeugung von der Furchtbarkeit der Sünde des Mordes. Das kann man klar erkennen aus vielen und gewichtigen Zeugnissen der Heiligen Schrift. Nach ihnen hat Gott gegen den Mord einen solchen Abscheu, dass Er für das Töten von Menschen sogar von den Tieren Strafe fordern will (Gen 9, 5), und den Befehl gab, das Tier zu töten, das einen Menschen verletzt hat. Und nur aus diesem Grunde verlangte Gott vom Menschen scheue Enthaltung vom Blutgenuss (Gen 9, 4), damit er auf alle Weise seine Hände und sein Herz rein erhalte von Menschenmord. 15 Der Mörder ist doch der bitterste Feind des menschlichen Geschlechtes, ja selbst der Natur. Denn er zerstört eigentlich, so viel er kann, die ganze Schöpfung Gottes, da er den Menschen beseitigt, um dessentwillen Gott nach seinem eigenen Zeugnis alle Geschöpfe ins Dasein gerufen hat. Ja wenn man bedenkt, dass Gott im ersten Buch Mosis den Mord gerade darum verbietet, weil Er den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, so muss man sagen, der Mörder fügt Gott selber eine gewaltige Unbill zu und legt gleichsam an Ihn Hand an, indem er sein Abbild tötet. Als David das in gotterfüllter Betrachtung im Herzen erwog, sprach er gegen die Mörder bittere Klageworte: »Behende sind ihre Füße zum Blutvergießen« [Blutausströmen] (Ps 13, 3). Er sagt nicht einfach »Töten« sondern »Blutausströmen«, um die Größe dieses verabscheuungswürdigen Verbrechens zu brandmarken, und auf die Grausamkeit solcher Übeltäter hinzuweisen. Die Worte »Behende sind ihre Füße« gebraucht er, um zu zeigen, wie leicht sie, wie vom Bösen Geist getrieben, zu solcher Untat sich hinreißen lassen.

16 Was Christus der Herr durch dieses Gebot zu tun vorschreibt, bezweckt allseitigen Frieden. Er spricht nämlich bei der Erklärung dieses Gesetzes: »Bringst du deine Opfergabe zum Altar und erinnerst dich dort, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altare, geh zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder; dann komm und opfere deine Gabe« usw. (Mt 5, 23 f). Das muss der Pfarrer so auslegen: »Alle Menschen ohne jede Ausnahme muss man in Liebe umfangen«. Zu dieser Liebe soll er die Gläubigen anspornen, so viel er nur kann, wenn er dieses Gebot behandelt. Denn darin ist die Tugend der Nächstenliebe am klarsten ausgesprochen. Es verbietet offenbar den Hass, - denn »wer seinen Bruder hasst, ist ein Mörder« (1 Joh 3, 15) - und daraus folgt doch sicher das Gebot der wohlwollenden Liebe.

17 Wenn aber durch dieses Gesetz wohlwollende Liebe vorgeschrieben wird, so werden damit auch alle Rücksichten und Tätigkeiten geboten, die aus der wahren Liebe gewöhnlich entspringen. »Die Liebe ist geduldig«, sagt der hl. Paulus (1 Kor 13, 4). Geduld wird uns daher geboten, von der der Erlöser sagt: »Durch standhafte Geduld werdet ihr eure Seelen retten« (Lk 21, 19). Ferner ist Güte eine unzertrennliche Begleiterin der Liebe; denn »Die Liebe ist gütig« (1 Kor 13, 4). Die Tugend der Güte und Wohltätigkeit aber hat einen weiten Wirkungskreis und ihre Aufgabe besteht vorzüglich darin, dass man den Armen die notwendigen Lebensmittel verschaffe: den Hungrigen Speise, den Dürstenden Trank, und den mangelhaft Bedeckten Kleidung. Und zwar sollen wir um so mehr Freigebigkeit üben, je mehr der Arme unsrer Hilfe bedarf. 18 Diese Werke der Mildtätigkeit und Güte sind zwar immer von leuchtender Schönheit. Wenn sie aber Feinden gegenüber getan werden, dann sind sie noch herrlicher. Und das verlangt unser Erlöser: »Liebet eure Feinde«, sagt Er, »tut Gutes denen, die euch hassen« (Mt 5, 44). Die gleiche Mahnung spricht der Apostel aus: »Wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Tust du das, so wirst du glühende Kohlen auf sein Haupt häufen. Lass dich nicht vom Bösen bezwingen, sondern bezwinge das Böse durch das Gute« (Röm 12, 20 f). - Endlich: der Blick auf die Güte, die das Gesetz der Liebe fordert, legt uns den Gedanken .nahe, dass wir durch dieses Gesetz auch zur Übung der Sanftmut, der Milde und anderer ähnlicher Tugenden verpflichtet sind.

19 Die allerwichtigste Pflicht aber, die eine Fülle von Liebe voraussetzt und darum fortwährende Einübung heischt, besteht im gleichmütigen Vergeben und Verzeihen erlittener Unbilden. Damit wir das wirklich zustande bringen, mahnt und drängt uns die Heilige Schrift, wie schon früher gesagt wurde, an vielen Stellen. Sie nennt solche, die das aufrichtig tun, nicht bloß selig (Mt 5, 9ff), sondern gibt ihnen die Versicherung, sie hätten damit von Gott auch Verzeihung ihrer Sünden erlangt. Wer das aber nur halb tue oder es geradezu verweigere, erhalte keine Verzeihung (Z. B. Mt 6, 12. 14. 15; 18. 35).

Nun ist die Sucht sich zu rächen, tief im Menschenherzen verwurzelt. Darum muss der Pfarrer den größten Eifer anspannen, die Gläubigen nicht nur zu überzeugen, der Christenmensch müsse erlittenes Unrecht vergessen und verzeihen, sondern sie dazu auch wirksam zu bestimmen. Darüber ist bei kirchlichen Schriftstellern sehr oft die Rede; ihnen entnehme der Seelsorger Gedanken, um den Starrsinn solcher Christen zu brechen, in deren Herzen die Rachsucht sich tief festgesetzt hat. Er habe auch einen Vorrat von starken Beweggründen, wie sie die genannten heiligen Väter in sehr wirksamer Weise bei Behandlung dieses Punktes gebrauchten.

20 Vorzüglich drei Punkte müssen dabei auseinander gelegt werden. Erstens. Wer glaubt, es sei ihm Unrecht geschehen, den soll man fest zu überzeugen suchen, dass die Hauptursache des Unrechtes nicht der ist, an dem er sich rächen will. So dachte Job, jener bewunderungswürdige Mann. Von den Sabaeern und Chaldaeern, ja eigentlich vom Teufel selbst schwer getroffen, schreibt er die Schuld nicht ihnen zu, sondern als rechtschaffener und überaus frommer Mann sprach er die wahren und heiligen Worte: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen« (Job 1, 21). Durch Wort und Beispiel dieses so geduldigen Mannes sollen sich die Christen überzeugen lassen von der ganz sichern Wahrheit, dass alles, was wir in diesem Leben zu leiden haben, vom Herrn kommt, dem Vater und Urgrund aller Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. 21 In seiner unermesslichen Güte straft Er uns nicht wie Feinde; nein, wie Kinder erzieht und züchtigt Er uns. Die Menschen aber sind dabei, wenn wir die Sache richtig betrachten, in der Tat nichts anderes als Gottes Diener und Trabanten. Sie können allerdings bösen Hass gegen uns hegen und uns alles Übel wünschen, aber wirklich schaden können sie uns ohne Gottes Zulassung nicht im geringsten. Von dieser Wahrheit durchdrungen, hat Joseph die ruchlosen Anschläge seiner Brüder, und David die Kränkungen Semeis mit Gleichmut ertragen (Gen 45, 4 ff; 2 Kön 16, 10 ff). Hierher gehört auch der sehr gute Gedanke, den der hl. Chrysostomus (S. Chrys. in dem Werk ,Quod nemo laeditur nisi a se ipso') so eindringlich und weise ausführt: dass man eigentlich durch keinen andern, sondern nur durch sich selbst Schaden leiden kann. Denn wenn man sich ungerecht behandelt glaubt und die Sache bei sich in aller Wahrheit erwägt, wird man sicher zur Einsicht kommen, Schaden hat man durch die ungerechte Handlung anderer eigentlich nicht erlitten. Äußerlich kann man allerdings leiden durch das Unrecht, das andere einem zufügen; innerlich aber schadet man sich nur selber und zwar sehr, wenn man sein Herz mit der Sünde des Hasses, der Rachsucht und des Neides befleckt.

22 Zweitens. Jene Christen, die aus kindlicher Liebe zu Gott Unrecht gern verzeihen, erringen einen zweifachen großen Vorteil. Der erste besteht im Versprechen Gottes, das Er denen gemacht hat, die anderer Schulden gern vergeben. Sie werden auch Verzeihung ihrer Sünden erlangen. Aus diesem Versprechen sieht man doch klar, wie angenehm Gott eine solche Tat der Liebe ist. Der zweite Gewinn besteht im Seelenadel und in der Vollkommenheit, die man dadurch erreicht. Denn durch das Verzeihen von Beleidigungen werden wir Gott ähnlich, »der seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse, und Regen spendet Gerechten und Sündern« (Mt 5, 45).

23 Drittens soll man den Schaden behandeln, den wir erleiden, wenn wir die uns zugefügten Beleidigungen nicht vergeben wollen. Solchen unversöhnlichen Menschen, die es nicht übers Herz bringen, den Feinden zu verzeihen, muss der Pfarrer vor Augen halten: der Hass sei eine schwere Sünde, die die Seele immer schwerer verwundet, je länger sie dauert. Denn wenn sich in einem Herzen dieses Gefühl festgesetzt hat, so entsteht das Verlangen nach dem Tode des Feindes, das Herz wird voll von Rachedurst und befindet sich fortwährend Tag und Nacht in der Unruhe der bösen Leidenschaft. Infolgedessen weicht der Gedanke an Mord und anderes Unrecht gar nicht mehr aus der Seele. Und schließlich kann ein solcher Mensch überhaupt nicht mehr oder höchstens sehr schwer dazu gebracht werden, ganz zu verzeihen oder auch nur zum Teil das Unrecht zu vergeben. Ein solcher Zustand wird mit Recht verglichen mit einer Wunde, in der die Mordwaffe stecken bleibt. - 24 Diese eine Sünde des Hasses zieht noch andern großen Schaden und eine Menge von Sünden nach sich. Daher hat der hl. Johannes das Wort gesprochen: »Wer seinen Bruder hasst, ist im Finstern und wandelt im Finstern. Er weiß nicht, wohin er gerät, denn die Finsternis hat seine Augen geblendet« (1 Joh 2, 11). Notwendigerweise wird er daher oft fallen. Denn wenn man jemand hasst, kann man dann dessen Reden und Tun Anerkennung zollen? Es stellen sich vielmehr ein freventliche und ungerechte Urteile, Zorn, Neid, Ehrabschneidungen und andere ähnliche Sünden. In diese geraten sogar Menschen, die sonst durch die Bande der Verwandtschaft und Freundschaft verbunden sind. So entstehen in der Tat aus der einen oft eine ganze Menge von Sünden. Und mit Recht wird diese Sünde »Sünde des Teufels« genannt; denn der ist »der Menschenmörder von Anbeginn« (Joh 8, 44). Daher sagte auch der Sohn Gottes unser Heiland Jesus Christus von den Pharisäern, als sie Ihn töten wollten, sie hätten »den Teufel zum Vater« (Joh 8, 44).

25 Außer den Beweggründen, die dieses Laster verabscheuungswürdig machen, sind in den Aussprüchen der Heiligen Schrift noch andere sehr wirksame Heilmittel enthalten. An erster Stelle kommt als wirksamstes in Betracht das Beispiel unsres Erlösers, das wir zur Nachahmung vor Augen halten müssen. Er, auf den auch nicht der geringste Verdacht einer Sünde fallen konnte, Er ward mit Ruten gegeißelt, mit Dornen gekrönt und endlich ans Kreuz geheftet; und doch kam über seine Lippen jenes Wort voll Liebe: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lk 23, 34), und sein vergossenes Blut rief nach dem Zeugnis des Apostels (Hebr 12, 24) mächtiger [zu Gott um Erbarmung] als das Abels [um Rachel]. - An zweiter Stelle empfiehlt uns Jesus Sirach das Gedenken an den Tod und den großen Tag des Gerichtes. »Denk an dein Ende«, sagt er (Sir 7, 40), »so wirst du in alle Zukunft nicht sündigen«. Damit will er sagen: Denk oft und oft daran, dass du bald stirbst; in der Todesstunde aber wirst du nichts mehr wünschen und nichts für notwendiger erachten als die Erlangung der unendlichen Barmherzigkeit Gottes. Darum musst du diese Stunde von jetzt ab beständig vor Augen haben. So wird die wilde Rachgier in dir erlöschen, denn du kannst kein geeigneteres und wirksameres Mittel finden zur Erlangung der göttlichen Barmherzigkeit als das Verzeihen der Unbilden deinerseits und die Liebe gegen jene, die dich oder die Deinen in Tat oder Wort verletzt haben.

Siebtes Kapitel: Vom sechsten Gebot

»Du sollst nicht ehebrechen«! (Ex 20, 14)

1 Auf das Gesetz, das das Menschenleben vor Mord sichert, folgt ganz mit Recht das Verbot der Unkeuschheit und des Ehebruchs. Denn [nach der Vereinigung zwischen Leib und Seele, die durch das fünfte Gebot geschützt wird] ist keine andere Verbindung so enge, wie die zwischen Mann und Frau. Weil es aber für die Eheleute nichts Lieberes geben kann als zu wissen, dass sie sich gegenseitig durch eine ganz einzigartige Liebe zugetan sind, darum ist ihnen auch im Gegenteil nichts schmerzlicher als das Gefühl, dass die schuldige und einzig berechtigte Liebe ihnen entzogen und andern Personen zugewendet wird. Darum ist dieses Gebot gegeben, auf dass sich niemand unterstehe, den heiligen und ehrwürdigen Bund der Ehe, aus dem diese große und mächtige Liebe zu entspringen pflegt, je durch den Frevel des Ehebruchs zu verletzen oder zu zerstören.

Bei der Erklärung der Verletzungen des sechsten Gebotes muss der Pfarrer sehr vorsichtig und klug sein; manches nicht offen nennen, sondern verhüllt sagen. Diese Dinge fordern Kürze und Mäßigung in der Rede und nicht breite Ausführung. Denn bei breiter und ausführlicher Erklärung der Art und Weise, wie man die Vorschrift dieses Gesetzes übertreten kann, müsste man befürchten, im Vortrag Dinge vorzubringen, die eher der Erregung der Leidenschaft Stoff bieten als Beweggründe zu ihrer Unterdrückung. 2 Viele Punkte dürfen jedoch nicht übergangen, sondern müssen vom Pfarrer an geeigneter Stelle erklärt werden.

Der Sinn dieses Gebotes enthält ein Zweifaches: Erstens das Verbot des Ehebruchs; das wird ausdrücklich ausgesprochen. Zweitens das darin eingeschlossene Gebot, die Keuschheit an Seele und Leib zu pflegen.

3 Beginnen wir mit der Belehrung über das Verbot: Unter Ehebruch versteht man die Verletzung der rechtmäßigen ehelichen Gemeinschaft, sei es eine fremde oder die eigene. Wenn ein Ehemann mit einer ledigen Frau sich verfehlt, so verletzt er seine eigene Ehegemeinschaft. Wenn aber ein lediger Mann mit der Frau eines andern sich vergeht, so wird eine fremde Ehe durch Ehebruch (Es ist auch Ehebruch, wenn der Gemahl dieser Frau einverstanden wäre [D 1200]) befleckt.

Nach den hl. Ambrosius (De Abrah 1, 4) und Augustinus (Sup. Exod q. 71) wird durch das Verbot des Ehebruchs jede Unkeuschheit und Unschamhaftigkeit untersagt. Dass die Worte »Du sollst nicht ehebrechen« wirklich in diesem Sinn aufzufassen sind, das beweist die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes: In den Büchern Mosis wird von Strafen über andere Arten der Unkeuschheit neben dem Ehebruch gesprochen 4: So verurteilt im ersten Buch Mosis Judas seine Schwiegertochter (Gen 38, 24). Im fünften Buch ist jenes herrliche Gesetz Mosis enthalten: »Es darf unter den israelitischen Mädchen keine Buhldirne geben« (Deut 23, 17). Tobias aber mahnt seinen Sohn: »O Sohn, hüte dich vor aller Unkeuschheit« (Tob 4, 3)! Und Jesus Sirach spricht: »Schämt euch, auf eine buhlerische Frau zu schauen« (Sir 41, 21. 25 ). - Im Evangelium steht das Wort Christi: Aus dem Herzen kommen Ehebruch und Unzucht, die den Menschen unrein machen (Mt 15, 19). Und der Apostel Paulus verurteilt dieses Laster oft und mit sehr kräftigen Worten: »Das ist Gottes Wille, eure Heiligung, ihr sollt euch der Unzucht enthalten« (1 Thess 4, 3). »Fliehet die Unzucht« (1 Kor 6, 18) »Unterhaltet keinen Verkehr mit Unzüchtigen« (1 Kor 5, 9), »Jedwede Unzucht und Unlauterkeit oder Habsucht werde nicht einmal genannt unter euch« (Eph 5,3).

5 Wenn der Ehebruch namentlich verboten wird, so liegt der Grund vorzüglich darin, dass er nicht nur die Hässlichkeit mit allen andern Arten der Unenthaltsamkeit teilt, sondern auch die Sünde der Ungerechtigkeit enthält, und zwar nicht bloß gegen einen Nebenmenschen, sondern gegen die bürgerliche Gesellschaft überhaupt. Und weil, wer sich von andern unlautern Lüsten nicht enthält, sicher Gefahr läuft, in die des Ehebruchs zu geraten, darum ist es nicht schwer einzusehen, dass mit dem Verbot des Ehebruchs jede Art den menschlichen Leib entehrender Unkeuschheit und Unschamhaftigkeit untersagt ist (Nicht nur durch das positive Gesetz, sondern schon durch das natürliche Sittengesetz ist dieses Verbot gegeben [D 1199 f. 3031, 7. 1140]).

Ja sogar jede innere Lüsternheit des Herzens ist durch dieses Gesetz verboten. Das ergibt sich schon aus dem Gebot selbst, das ohne Zweifel auch innerlich den Geist bindet. Außerdem hat Christus der Herr es noch ausdrücklich gelehrt: »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch, jeder, der eine Frau ansieht, um es zu begehren, hat in seinem Herzen bereits Ehebruch mit ihr begangen« (Mt 5, 27 f).

Diese Gedanken soll man den Gläubigen in den öffentlichen Ansprachen vorlegen. Außerdem möge man noch hinweisen auf Verfügungen des Konzils von Trient gegen Ehebrecher und solche, die Dirnen und Nebenfrauen halten (Conc. Trid. XXIV cap. 8 de ref.). Über die vielen andern Arten unkeuscher Lust soll man öffentlich nicht sprechen, sondern darüber soll der Pfarrer den einzelnen, die es brauchen, privatim zur rechten Zeit Belehrung und Ermahnung geben.

Dann folge die Erklärung dessen, was durch dieses Gesetz geboten ist. 6 Man belehre also die Gläubigen und ermahne sie mit großem Ernst, sie sollen Schamhaftigkeit und Keuschheit mit allem Eifer pflegen, sich von »aller Befleckung des Fleisches und des Geistes rein halten und in Gottesfurcht nach immer vollkommenerer Heiligung streben« (2 Kor 7, 1).

Zuerst erinnere man sie also an dieses: Wenn die Tugend der Keuschheit auch am glänzendsten jene Klasse von Menschen übt, die den herrlichen gottgegebenen Entschluss zur Jungfräulichkeit mit heiliger Gewissenhaftigkeit halten, so besitzen sie doch auch jene, die im ledigen oder im ehelichen Stand leben und sich von jeder verbotenen Lust rein und unberührt bewahren

7 Dann verwende der Pfarrer besondere Sorgfalt auf die oftmalige und eingehende Behandlung der Mittel, die böse Lust zu beherrschen und alle Lüsternheit zu zügeln. Darüber haben uns die heiligen Väter ja so viel in ihren Schriften hinterlassen. Diese Mittel sind teils innere teils äußere. Das hauptsächlichste innere Mittel ist die Überzeugung von der großen Schändlichkeit und Schädlichkeit dieser Sünde: Wie schädlich dieses Laster ist, ersieht man daraus, dass seinetwegen so viele Menschen vom Reiche Gottes verstoßen werden und ausgestoßen bleiben; und das ist doch aller ÜbeI größtes. Indes ist dieses Unglück allen Lastern gemein. Dieser Sünde eigen ist aber, dass die Unkeuschen gegen ihren eigenen Leib sündigen. Das lehrt der Apostel, wenn er schreibt: »Fliehet die Unzucht! Jede andere Sünde, die ein Mensch begeht, bleibt außerhalb des Leibes; wer aber Unzucht treibt, versündigt sich an seinem eigenen Leib« (1 Kor 6, 18). Er will sagen: Der Unkeusche behandelt seinen Körper gemein und verletzt dessen Heiligkeit. Darum schreibt Paulus an die Christen von Thessalonich: »Das ist Gottes Wille, eure Heiligung. Ihr sollt euch der Unzucht enthalten. Jeder von euch wisse sein Gefäß in Heiligkeit und Ehre zu besitzen, nicht in sinnlicher Leidenschaft wie die Heiden, die Gott nicht kennen« (1 Thess 4, 3f).

Wenn ein Christ noch gemeiner wird und mit einer Dirne Unkeuschheit treibt, so macht er Glieder, die Christus gehören, zu Gliedern einer Hure. Denn so spricht der hI. Paulus: »Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Darf ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Buhlerin machen? Nimmermehr! Oder wisst ihr nicht, dass, wer einer Buhlerin anhangt, Ein Leib mit ihr ist« (1 Kor 6, 15 f). Ferner, der Christ ist nach dem Zeugnisse desselben Apostels »ein Tempel des Heiligen Geistes« (1 Kor 6, 19); diesen verletzen heißt daher soviel als den Heiligen Geist aus ihm vertreiben.

8 Das Verbrechen des Ehebruchs enthält auch eine große Ungerechtigkeit. Denn nach der Ansicht des Apostels (1 Kor 7, 4) übergeben sich die beiden Eheleute so dem Besitz des andern, dass keines von beiden »ein Verfügungsrecht mehr hat über seinen Leib«. Beide sind vielmehr durch die Pflicht einer gewissen Leibeigenschaft miteinander verbunden; daher muss der Mann der Frau und die Frau dem Mann auf dessen Wunsch zu Willen sein. Wenn also einer von beiden Gatten seinen Leib, auf den der andere ein Recht hat, ihm entzieht, trotzdem er an ihn gebunden ist, so begeht er sicher ein großes und schweres Unrecht. Weiters weil die Furcht vor der Schande ein wirksames Mittel ist, die Menschen zur Erfüllung von Geboten anzuspornen und von verbotenen Dingen abzuschrecken, darum soll der Pfarrer zeigen, wie der Ehebruch dem Täter ein hässliches Brandmal aufdrückt. Denn in der Heiligen Schrift steht geschrieben: »Wer Ehebruch mit einer Frau treibt, ist unsinnig; nur wer sich selber ins Verderben stürzen will, tut solches; nur Schläge, Schande findet er und seine Schmach ist unauslöschlich« (Spr 6, 32f).

Die Größe dieses Lasters erkennt man übrigens am besten aus der furchtbaren Strenge der Strafe: Nach dem im Alten Testament geltenden Gesetz wurden die Ehebrecher unter einem Steinhagel begraben (Levit 20, 10). 9 Ja mitunter ist wegen der unkeuschen Tat eines einzelnen nicht nur der Frevler selbst, sondern eine ganze Stadt zerstört worden, wie man von den Bewohnern Sichems liest (Gen 34). Beispiele göttlicher Strafgerichte sind übrigens in der Heiligen Schrift in Menge enthalten. Der Pfarrer kann sie gut benützen, um das Volk von aller Unzucht abzuschrecken. Man denke an den Untergang Sodomas und seiner Nachbarstädte,(Gen 19) an das Strafgericht über die Israeliten, nachdem sie mit den Töchtern Moabs in der Wüste gesündigt hatten (Num 25), an die Vertilgung des Stammes Benjamin (Ri 20). Und wenn Unkeusche auch dem Tode entgehen, müssen sie doch oft unerträgliche Schmerzen und Qualen zur Strafe erleiden. Die größte Strafe ist aber die seelische Blindheit, der sie verfallen, in der sie dann Gott vergessen, und keine Rücksicht mehr nehmen auf ihren guten Ruf und ihre Stellung, ja nicht einmal auf ihre Kinder und ihr Leben. Sie können so gemein und unfähig werden, dass man ihnen keine ernste Arbeit mehr anvertrauen kann, und sie beinahe für kein Geschäft mehr zu haben sind. Beispiele dafür sind David und Salomon: Der erste veränderte sich nach dem Ehebruch vollständig und wurde grausam, er, der früher überaus sanftmütig war (2 Sam 11). Und der zweite hat sich sogar von der wahren Religion abgewandt, nachdem er der unreinen Frauenliebe verfallen war, und ist fremden Götzen nachgelaufen (1 Kön 11). Es tritt ein, was Hosea sagt: Diese Sünde »nimmt den Verstand des Menschen gefangen« (Hos 4, 11), und macht ihn nicht selten blind.

Nun sind noch die äußeren Mittel der Keuschheit zu behandeln: 10 An erster Stelle muss man allen Müßiggang sorgfältig meiden. Durch den Müßiggang sind die Bewohner Sodomas, wie Ezechiel berichtet (Ez 16, 49), geistig stumpf geworden und kopfüber ins bekannte abscheuliche Laster gemeinster Unzucht gestürzt. - Zweitens muss man sich sorgfältig vor Unmäßigkeit hüten. »Ich habe sie gesättigt und sie begingen Ehebruch« steht beim Propheten (Jer 5, 7). Denn ein voller und satter Leib verlangt nach Fleischeslust. Auch der Herr weist auf diese Wahrheit hin mit den Worten: »Hütet euch, euer Inneres mit Schwelgerei und Trunkenheit zu beschweren« (Lk 21, 34). Ebenso der Apostel: »Berauscht euch nicht mit Wein, denn das führt zur Unkeuschheit« (Eph 5, 18). - Drittens. Besonders wird die unreine Lust oft durch Blicke entzündet. Darauf weist jener Ausspruch Christi des Herrn hin: »Ist dein Auge dir Anlass zur Sünde, so reiß es aus und wirf es von dir« (Mt 5, 29). Auch die Propheten sprechen an vielen Stellen davon, z. B. Job: »Mit meinen Augen habe ich einen Bund geschlossen, nicht zu achten auf eine Jungfrau« (Job 31, 1). Beispiele dafür, welches Unheil oft aus unvorsichtigen Blicken entstanden ist, gibt es viele, ja fast unzählige. Man denke an die Sünde Davids (2 Sam 11, 2), an die des Fürsten von Sichem (Gen 34, 2), oder auch an den Frevel jener Greise, die Susanna verleumdeten (Dan 13, 8). 11 Viertens. Ausgesuchter Schmuck, an dem das Auge viel Gefallen findet, ist oft kein geringer Anlass zur unreinen Lust. Daher mahnt Jesus Sirach: »O wende dein Auge von einer geputzten Frau weg« (Sir 9, 9)! Und weil Frauen gern auf übertriebenen Putz bedacht sind, wird der Pfarrer mitunter daran denken müssen, sie mit den sehr ernsten Worten zu mahnen und zu warnen, die der Apostel Petrus ausgesprochen hat: »Der Frauen Schmuck sei nicht äußerlich, Haargeflecht, Anlegen von Goldgeschmeide und Anziehen von prächtigen Kleidern« (1 Petr 3, 3). Auch Paulus spricht: »Die Frauen sollen sich nicht mit Haarputz, Goldgeschmeide, Perlen und kostbaren Kleidern schmücken« (1 Tim 2, 9). Denn viele Frauen, die sich mit Gold und Perlen zierten, haben dadurch die Schönheit der Seele und des Leibes verloren. - Fünftens. Nach Behandlung des in der Putzsucht liegenden Anreizes zur Unkeuschheit spreche man über den Schaden unkeuscher und schlüpfriger Reden. Denn unzüchtige Worte sind wie eine Fackel, durch die das Herz junger Leute in Brand gerät. Der Apostel sagt: »Schlechte Reden verderben gute Sitten« (1 Kor 15, 33). Noch mehr schaden sinnliche und lüsterne Gesänge und Tänze. Davor muss man sich sorgfältig hüten. Hierher gehören auch obszöne Bücher und Romane und unsittliche Bilder: All das muss man meiden, weil sie zu unkeuschen Dingen reizen, und auf junge Menschen überaus verführerisch wirken. Der Pfarrer soll übrigens darauf dringen, dass die Beschlüsse des Konzils von Trient in bezug auf Bilder (Conc. Trid. XXV de sacris imaginibus: »Alles Schlüpfrige soll (an heiligen Bildern) vermieden werden; sie sollen nicht mit üppiger Schönheit gemalt oder geschmückt werden«) gewissenhaft beobachtet werden.

Wenn man alle diese Gefahren, von denen die Rede war, mit großer Sorgfalt vermeidet, bleibt fast kein Anlass zur Unzucht übrig.

12 Die größte Kraft zur vollen Beherrschung des sinnlichen Triebes hat aber der häufige Empfang des Buß- und Altarssakramentes; eifriges und frommes Gebet zu Gott, in Verbindung mit Almosen und Fasten. Denn die Keuschheit ist eine Gnade, die aber Gott nicht verweigert, wenn man recht darum bittet; Er lässt dann auch nicht zu, dass wir über unsre Kraft versucht werden. 13 Das Fasten, besonders das von der hl. Kirche angeordnete, ist ein gutes Mittel, den Leib zu beherrschen und die Lüsternheit der Sinne niederzuhalten. Dazu mögen noch Nachtwachen kommen, Wallfahrten und andere Strengheiten. In solchen und ähnlichen Übungen offenbart sich vorzüglich die Tugend der Enthaltsamkeit. In diesem Sinn schreibt der hl. Paulus an die Korinther: »Jeder Wettkämpfer übt in allen Dingen Enthaltsamkeit. Jene tun das um einen vergänglichen, wir aber um einen unvergänglichen Kranz zu gewinnen« (1 Kor 9, 25). Und gleich nachher sagt er: »Ich züchtige meinen Leib und mache ihn mir dienstbar, damit ich nicht, nachdem ich andern gepredigt habe, selbst verworfen werde« (1 Kor 9, 27); und an einer andern Stelle: »Pfleget das Fleisch nicht, so dass es lüstern wird« (Röm 13, 14).

Achtes Kapitel: Vom siebten Gebot

»Du sollst nicht stehlen« (Ex 20, 15)

1 Schon seit alters war es in der Kirche Brauch, bei der Verkündigung des Wortes Gottes die Wichtigkeit und den Sinn dieses Gebotes einzuschärfen. Das beweist der Vorwurf des Apostels gegen jene, die andere gerade von den Lastern abschrecken wollen, in denen sie selbst bis über den Hals stecken. »Den andern belehrst du«, sagt er, »und dich selbst belehrst du nicht? Du predigst, man dürfe nicht stehlen und du stiehlst selber« (Röm 2, 21)? Diese Lehre hatte nicht bloß das Gute, dass sie sich gegen ein häufiges Laster der damaligen Zeit richtete, sie hat auch Unruhen und Streitigkeiten zurückgedrängt und noch andere schlimme Folgen des Diebstahls im Keim erstickt. - An solchen Vergehen und den daraus erwachsenden Übelständen krankt leider auch unsre Zeit. Es soll daher der Pfarrer nach dem Beispiel der heiligen Väter und anderer christlicher Lehrer auf obige Stelle besonders den Finger legen und Bedeutung und Inhalt dieses Gebotes mit beharrlichem Fleiß erklären.

Zuerst verlangt aber seine Aufgabe die sorgfältige Darlegung der unendlichen Liebe Gottes gegen das Menschengeschlecht. Denn er schützt nicht bloß durch die zwei [drei] Verbote »Du sollst nicht töten«, »Du sollst nicht ehebrechen«, [»Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten«] wie mit einem festen Wall unsern Leib und unser Leben, unsern Ruf und guten Namen, sondern mit diesem Gebot »Du sollst nicht stehlen« schirmt und sichert Er wie mit einer Wache auch unsern äußern Besitz, Hab und Gut. 2 Wahrlich, das ist die Idee, die diesen Worten zugrunde liegt, wie wir auch schon früher bei Besprechung der andern Gebote dargelegt haben: Gott hat nämlich unser Vermögen in seine Obhut genommen und darum verbietet Er jedermann, es wegzunehmen oder zu beschädigen. Je größer nun die Wohltat dieses göttlichen Gebotes ist, um so mehr sind wir Gott, dem Urheber dieser Wohltat, zu Dank verpflichtet. Die beste Art aber, dafür in Gesinnung und Tat zu danken, ist recht nahe liegend: Wenn wir nämlich die Gebote nicht nur willig anhören, sondern auch tatsächlich befolgen. Es sind darum die Gläubigen zur Erfüllung dieser Pflicht aufzumuntern und dafür zu begeistern.

Auch dieses Gebot enthält gleich den früheren zwei Teile: das ausdrückliche Verbot des Diebstahls bildet den ersten Teil; Inhalt und Bedeutung des zweiten, des Gebotes nämlich, gegen den Nebenmenschen gütig und freigebig zu sein, liegt im ersten beschlossen. Zuerst soll man den ersten Teil besprechen: »Du sollst nicht stehlen«.

3 Man bedenke zuerst: Mit dem Ausdruck »Diebstahl« ist nicht bloß gemeint, wenn man einem Eigentümer etwas heimlich wider seinen Willen wegnimmt, sondern auch, wenn man eine fremde Sache mit Wissen des Eigentümers gegen seinen Willen in Besitz nimmt. Denn es wird doch niemand glauben, dass der, der den Diebstahl verbietet, gewaltsamen und ungerecht verübten Raub nicht missbillige; heißt es ja beim Apostel: »Räuber werden am Reiche Gottes keinen Anteil erhalten« (1 Kor 6, 10); und derselbe Apostel schreibt, man solle mit solchen jeden Umgang meiden (1 Kor 5, 11). Wenn nun auch der Raub eine schwerere Sünde ist als der Diebstahl - denn der Räuber nimmt einem nicht nur sein Eigentum, sondern tut ihm auch Gewalt an und damit eine größere Schmach -, 4 so ist es doch nicht zu wundern, dass sich der göttliche Gesetzgeber des schwächern Ausdrucks »Diebstahl« und nicht des stärkern »Raub« zur Formulierung dieses Gebotes bedient. Das hat seinen triftigen Grund: denn der Begriff Diebstahl ist weiter und begreift mehr in sich als der Begriff Raub; diesen können nur solche verüben, die über genügende Machtmittel verfügen. Übrigens muss jeder einsehen, dass im Verbot der leichtern Vergehen auch die schweren derselben Art mitInbegriffen sind.

5 Für das ungerechte Inbesitznehmen und Gebrauchen fremden Eigentums gibt es verschiedene Benennungen, je nach den Gegenständen, die man den Eigentümern ohne ihr Wissen und wider ihren Willen nimmt. Wenn man Privateigentum einem Privaten wegnimmt, nennt man das »Diebstahl«. Die Entwendung von Gemeingut heißt peculatus [Unterschleif]. Die Verschleppung eines freien Mannes oder eines fremden Knechtes in die Sklaverei wird »Seelenverkauf« (plagiatus) genannt. Die Entwendung einer geweihten Sache heißt Gottesraub (Sakrileg). Dieses sehr schwere und gemeine Vergehen hat sich leider so eingebürgert, dass man selbst Güter, die für den Gottesdienst, für die Diener der Kirche und zur Unterstützung der Armen notwendig sind und als solche in frommer und löblicher Absicht gestiftet wurden, zur Befriedigung persönlicher Begierden und schnöder Leidenschaften verwendet.

6 Durch das Gesetz Gottes wird jedoch nicht bloß der Diebstahl selbst, das heißt die äußere Handlung verboten, sondern auch der innere Wille zu stehlen. Der Dekalog ist ja ein geistiges Gesetz, das auch ins Herz, die Quelle der Gedanken und Absichten, hineinreicht. »Denn aus dem Herzen kommen die bösen Gedanken, Morde, Ehebrüche, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis«, wie der Herr beim hl. Matthäus sagt (Mt 15, 19).

7 Dass der Diebstahl kein kleines Vergehen ist, erkennt man zur Genüge schon mit der bloßen Vernunft und aus der Natur der Sache; widerstreitet er doch der Gerechtigkeit, die jedem das Seine gibt. Denn die Aufteilung und Zuweisung der Güter, wie sie seit jeher vom Völkerrecht festgelegt und durch göttliche und menschliche Gesetze bekräftigt worden ist, muss man gelten lassen, und ein jeder muss sein rechtmäßiges Eigentum behalten können, will man nicht die Auflösung der menschlichen Gesellschaft herbeiführen. Der Apostel aber sagt: »Weder Diebe noch Geizige, noch Trunkenbolde, noch Schmähsüchtige, noch Räuber werden das Reich Gottes besitzen« (1 Kor 6, 10). Wie schwer und unheilvoll diese Sünde ist, zeigen auch die vielen schlimmen Folgen des Diebstahls: freventliche Urteile über alle möglichen werden da vielfach gefällt; Ausbrüche des Hasses kommen vor; Feindschaften entstehen; und zuweilen werden Unschuldige zu schweren Strafen verurteilt. 8 Dazu kommt die Pflicht der Wiedergutmachung, die das göttliche Gesetz allen auferlegt. »Denn die Sünde wird nicht vergeben, wird nicht das entwendete Gut zurückgegeben«, sagt der hl. Augustin (Aug. Ep 153, 20). Welche Schwierigkeiten aber diese Wiedererstattung einem bereitet, der gewohnt ist, sich durch fremdes Eigentum zu bereichern, sagt jedem die eigene Einsicht und die Erfahrung bei andern. Auch ein Wort des Propheten Habakuk gibt das zu bedenken, wenn er sagt: »Weh' dem, der da zusammenscharrte, was ihm nicht gehörte! Auf wie lange? Er beschwert sich mit dichtem Schlamme« (Hab 2, 6). Der Prophet nennt den Besitz fremden Eigentums »dichten Schlamm«, aus dem man sich nur schwer herausarbeiten und freimachen kann.

Der Formen des Diebstahls sind so viele, dass es schwer fällt, sie alle aufzuzählen. Es mag daher genügen die zwei Gattungen genannt zu haben, Diebstahl und Raub; die Arten, von denen noch die Rede sein wird, gehören zu ihnen als ihrer gemeinsamen Quelle. Vor diesen sollen daher die Gläubigen wie vor einer verbrecherischen Tat Abscheu und Schrecken haben, und der Pfarrer muss sich mit allem Eifer bemühen, diese Gefühle dem Volk einzuflößen.

9 Gehen wir nun zur Behandlung der einzelnen Arten dieser Sündengattungen über. Als Dieb hat auch der zu gelten, der gestohlenes Gut kauft oder gefundenes, erbeutetes oder sonst ungerecht gewonnenes behält. Sagt doch der hl. Augustin: »Wenn du etwas gefunden und nicht zurückgegeben hast, hast du einen Raub begangen« (Aug. 1. serm. 178, 9). Ist der rechtmäßige Eigentümer nicht ausfindig zu machen, sind solche Dinge den Armen zuzuwenden. Wer sich zu ihrer Rückerstattung nicht bewegen lässt, zeigt dadurch, dass er überall und alles stehlen möchte, wenn er könnte. - Derselben Sünde macht sich schuldig, wer beim Kauf oder Verkauf Unredlichkeiten begeht und lügenhaft redet. Derartige Betrügereien wird der Herr strafen. Noch schwerer verfehlen sich jene, die gefälschte oder verdorbene Waren als echt und fehlerfrei verkaufen, oder die durch falsches Maß und Gewicht, durch unrichtiges Zählen und Messen die Käufer beschwindeln. Heißt es doch im fünften Buch Mosis: »Du sollst in deiner Tasche nicht zweierlei Gewichtssteine tragen [einen größern und einen kleinem]« (Dtn 25, 13); und im dritten Buch Mosis steht: »Verübet kein Unrecht beim Rechtsprechen, mit Messschnur, Gewicht und Hohlmaß! Ihr sollt nur rechte Wage, richtige Gewichtssteine und rechten Scheffel (Epha) sowie rechtes Maß (Hin) besitzen« (Lev 19, 35 f); und an einer andern Stelle: »Ein Gräuel vor dem Herrn ist zweierlei Gewicht; eine falsche Wage ist nicht gut« (Spr 20, 23). - Einen offenkundigen Diebstahl begehen auch Arbeiter und Handwerker, die den vollen Lohn verlangen, ohne die ganze pflichtmäßige Arbeit geleistet zu haben. - Zu den Dieben gehören auch ungetreue Dienstboten und Aufseher. Ja diese sind noch gemeiner als die gewöhnlichen Diebe, die man durch Schloss und Riegel aussperrt, während vor einem diebischen Knecht nichts im Haus versiegelt und verschlossen sein kann. - Einen Diebstahl begeht auch sicher, wer durch erlogene Erzählungen und geheuchelte Armut Geld herauslockt. Ein solcher sündigt um so schwerer, als er zum Diebstahl noch die Sünde der Lüge fügt. - Zu den Dieben muss man auch Privatangestellte und öffentliche Beamte rechnen, die ihren Dienst nachlässig versehen und sich wenig oder keine Mühe geben, sich aber trotzdem bezahlen lassen. - Allen Arten von Diebstahl nachzugehen, die die erfinderische Habsucht ausgeklügelt hat - kennt sie doch alle Wege zum Geld - würde zu weit führen und ist, wie gesagt; sehr schwer.

10 Jetzt muss noch über den Raub gehandelt werden; das ist die zweite Gattung von Sünden gegen dieses Gebot. Zuvor erinnere der Pfarrer das christliche Volk an das Wort des Apostels: »Die reich werden wollen, geraten in Versuchung und in die Schlingen des Teufels« (1 Tim 6, 9). Und nie und nimmer sollen sie das Wort vergessen: »Was ihr wollt, das die Leute euch tun, das sollt ihr auch ihnen tun« (Mt 7, 12). Stets mögen sie bedenken: »Was du nicht willst, das man dir tue, siehe zu, dass du es auch keinem andern tust« (Tob 4, 16).

Was nun den Raub anlangt, ist das ein weiter Begriff. Wer z. B. den Arbeitern den Lohn nicht auszahlt, ist ein Räuber. Solche mahnt der hl. Jakobus zur Buße, wenn er sagt: »Und jetzt, ihr Reichen, weint und wehklagt über die Drangsale, die über euch kommen«. Er fügt auch den Grund zur Buße hinzu: »Siehe, der vorenthaltene Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, schreit, und die Klagerufe der Schnitter sind zu den Ohren des Herrn der Heerscharen gedrungen« (Jak 5, 1. 4). Diese Art von Raub wird im dritten und fünften Buch Mosis, beim Propheten Malachias und im Buch Tobias heftig getadelt (Lev 19, 13; Dnt 24, 14f; Mal 3, 5; Tob 4, 15). - Zur Gattung von Räubern gehören, die den kirchlichen Vorstehern und den Behörden die Abgaben, Steuern, Zehnten und dgl. nicht leisten oder unterschlagen und für sich verwenden. - 11 Zu den Räubern und zwar zu den allergrausamsten gehören ferner die Wucherer, die das arme Volk durch Zinse ausplündern und quälen. Unter Zins versteht man alles, was über das ausgeliehene Kapital genommen wird, sei es nun Geld oder Geldeswert. Beim Propheten Ezechiel heißt es: »Wer keinen Wuchervorteil und Zuschlag annimmt« (Ez 18, 17). Und der Herr sagt beim hl. Lukas: »Leiht, ohne etwas zurück zu erwarten« (Lk 6, 35). Selbst bei den Heiden galt das immer als ein sehr schweres und besonders gemeines Verbrechen. Daher das Wort: »Was heißt wuchern? Was anders als einen Menschen töten« (Ambr. de Tob. c.14 [nach Cicero de offic. 2])? Die Wucherer verkaufen ein und dasselbe zweimal oder sie verkaufen etwas, was gar nicht existiert. 12 Raub begehen auch die bestechlichen Richter, deren Urteil käuflich ist, und die für Geld und Geschenke die sichersten Rechtsansprüche der Armen zu Fall bringen. - Auch die Kreditschwindler, die auf eigenen und fremden Kredit Waren kaufen und nach Ablauf der ausgemachten Zahlungsfrist die Verpflichtung nicht einhalten, machen sich der Sünde des Raubes schuldig, und zwar werden ihre Verbrechen darum schwerer, weil die Händler diese betrügerischen Machenschaften zum Anlass nehmen, alles teurer zu verkaufen zum Schaden der Gemeinschaft; sie scheint das Wort Davids zu treffen: »Der Sünder borgt und zahlt nicht« (Ps 36, 21). - 13 Und was soll man von jenen Reichen sagen, die von zahIungsunfähigen Schuldnern unbarmherzig zurückfordern, was sie ausgeliehen haben, ja sogar das zur Leibesnotdurft Gehörige als Pfand wegnehmen, trotz des göttlichen Verbotes? Hat doch Gott gesagt: »Nimmst du je deinem Nächsten den Mantel als Pfand, so gib ihn vor Sonnenuntergang zurück! Für seine Glieder ist er einzige Hülle, für seine Haut die Kleidung. Er hat nichts anderes, sich beim Ruhen zu bedecken. Schreit er zu mir, werd' ich ihn hören, ich bin ja barmherzig« (Ex 22, 26f). Solch harte Art zu fordern nennt man mit Recht Raubgier und rechnet sie zu den Sünden des Raubes. - 14 Zu den Räubern werden von den hl. Vätern auch jene gezählt, die in Zeiten der Not das Getreide zurückbehalten und so schuld sind, dass die Lebensmittelpreise steigen; natürlich gilt das von allem, was zum Lebensunterhalt nötig ist. Solche trifft der Fluch Salomons: »Wer das Getreide versteckt, soll verflucht sein unter dem Volk« (Spr 11, 26). Diese sollen die Pfarrer nur freimütig tadeln, nachdem sie ihnen die Größe ihrer Verbrechen vor Augen gehalten haben; auch sollen sie ihnen ausführlich von den Strafen reden, die für solche Sünden festgesetzt sind. Soviel vom Verbot.

Nun zum Gebot. Da steht an erster Stelle die Pflicht der Genugtuung oder Wiedergutmachung. »Denn die Sünde wird nicht vergeben, wenn nicht das entwendete Gut zurückgegeben wird» (Aug. Ep 153, 20). 15 Aber nicht bloß der wirkliche Dieb ist gehalten, dem Geschädigten Ersatz zu leisten; vielmehr gilt das Gebot der Wiedergutmachung für alle am Diebstahl Beteiligten. Darum ist zuerst zu zeigen, wer unweigerlich zum Schadenersatz verpflichtet ist. Das können verschiedene sein: vor allem jene, die den Diebstahl befohlen haben. Sie sind beim Diebstahl nicht bloß Helfer und Urheber, vielmehr sind sie unter der ganzen Diebsgesellschaft die Niederträchtigsten. - Die zweite Gattung gleicht der vorigen wohl in der Gesinnung, wenn auch nicht in der Tatkraft, gehört aber auf dieselbe Stufe: nämlich die, die zum Diebstahl raten und hetzen, da sie ihn nicht befehlen können. - Die dritte Gattung bilden die, die mit dem Dieb einverstanden sind. - Die vierte, die am Diebstahl beteiligt sind und Gewinn daraus ziehen; wenn man »Gewinn« nennen kann, was sie den ewigen Qualen überantwortet, falls sie nicht in sich gehen. Von diesen sagt David : »Wenn du einen Dieb gesehen hast, bist du mit ihm gelaufen« (Ps 49, 18). - Zur fünften Gattung gehören die, die den Diebstahl hätten verhindern können; aber statt den Dieben entgegenzutreten und sie vom Stehlen abzuhalten, haben sie deren Verwegenheit zugelassen, ja noch gefördert. - Die sechste Klasse bilden die, die genau wissen, dass ein Diebstahl vorgekommen und wo er vorgekommen ist, aber die Sache nicht zur Anzeige bringen, sich vielmehr unwissend stellen. - Die letzte Klasse umfasst alle Helfer, Aufpasser und Beschützer, die den Dieben irgendwie Unterschlupf gewähren. Alle diese müssen den Geschädigten Ersatz leisten und sind zur Erfüllung dieser unumgänglichen Pflicht mit allem Ernst zu mahnen. - Auch die sind keineswegs von Schuld frei zu sprechen, die den Diebstahl gutheißen oder loben und ebenso wenig Kinder und Frauen, die ihren Eltern und Männern Geld entwenden.

16 Dieses Gebot hat aber auch den Sinn, dass wir mit den Armen und Notleidenden Mitleid haben und ihnen in ihren Schwierigkeiten und Bedrängnissen mit unsrem Vermögen und durch unsre Dienstleistungen zu Hilfe kommen. Über diesen Punkt muss man oft und ausführlich sprechen. Um ihrer Pflicht genügen zu können, mögen daher die Pfarrer die Schriften eines hl. Cyprian, Johannes Chrysostomus, Gregor von Nazianz und anderer einsehen, die ausgezeichnet über das Almosen geschrieben haben. Man muss nämlich die Gläubigen aneifern, dass sie willig und gern denen helfen, die auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen sind. Auch muss man sie über die Notwendigkeit des Almosengebens belehren: Einen durchschlagenden Beweggrund, gegen die Notleidenden freigebig zu sein, sei es mit unsrem Besitz oder mit unsrer Arbeit, haben wir darin, dass Gott am Tage des Jüngsten Gerichtes die verdammen und dem ewigen Feuer überantworten wird, die dieser Pflicht gar nicht oder nur schlecht nachgekommen sind. Loben und ins himmlische Vaterland einführen wird Er dagegen jene, die sich gegen Arme mildtätig erwiesen haben. Aus dem Munde Christi des Herrn stammt ja der doppelte Urteilsspruch : »Kommt, Gesegnete meines Vaters, und nehmt das Reich in Besitz, das für euch bereitet ist« und »Weichet von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer« (Mt 25, 34. 41). - 17 Auch sollen die Geistlichen folgende eindrucksvolle Stellen verwenden: »Gebt und es wird euch gegeben werden« (Lk 6, 38). Sie sollen auf das von Gott gegebene Versprechen hinweisen - etwas Größeres und Herrlicheres kann ja gar nicht ersonnen werden. - »Jeder, der Haus usw. verlässt, wird Hundertfältiges in dieser Zeit und in der Zukunft das ewige Leben erhalten« (Mk 10, 29f). Dazu mögen sie noch die Worte Christi anführen: »Macht euch Freunde mittels des ungerechten Mammons, damit sie euch, wenn es mit euch zu Ende geht, in die ewigen Wohnungen aufnehmen« (Lk 16, 9).

Die Pfarrer sollen auch die verschiedenen Arten dieser Pflicht auseinander setzen: Wenn z. B. einer den Armen nichts für den Lebensunterhalt schenken kann, soll er ihnen wenigstens leihweise aushelfen nach dem Wort Christi des Herrn: »Leiht, ohne etwas zurückzuerwarten« (Lk 6, 35). Wie segensreich das ist, drückt der hl. David mit den Worten aus: »Wohl dem, der sich barmherzig zeigt und willig leiht« (Ps 111, 5)! 18 Zur christlichen Mildtätigkeit gehört es auch zu arbeiten, nicht bloß zur Vermeidung des Müßiggangs, sondern um durch Tätigkeit, Dienste oder mit der Hände Arbeit etwas zur Unterstützung der Dürftigen zu erwerben, falls man sonst keine Möglichkeit hat, sich derer anzunehmen, deren Lebensunterhalt vom Mitleid anderer abhängt. Dazu mahnt der Apostel alle durch sein eigenes Beispiel, wenn er im Brief an die Thessalonicher schreibt: »Ihr wisst ja, wie ihr uns nachahmen sollt« (2 Thess 3, 7). Und an dieselben schreibt er: »Setzt eure Ehre darein, ein ruhiges Leben zu führen, eure eigenen Angelegenheiten zu besorgen und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch angewiesen haben« (1 Thess 4, 11). Und an die Epheser: »Wer ein Dieb war, stehle nicht wieder; er verschaffe sich vielmehr durch Handarbeit ehrlichen Verdienst, um den Notleidenden davon mitteilen zu können« (Eph 4, 28). - 19 Auch Genügsamkeit muss man empfehlen, und dass man mit fremdem Gut sparsam umgehe, um nicht andern lästig zu fallen. Solche Mäßigung leuchtet an allen Aposteln hervor, ganz besonders aber am großen hl. Paulus, der an die Thessalonicher also schreibt: »Ihr erinnert euch ja noch, meine Brüder, unsrer Müh' und Plage. Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um niemand von euch zur Last zu fallen. So haben wir euch das Evangelium Gottes verkündet« (1 Thess 2, 9). Und an einer andern Stelle sagt derselbe Apostel: »Tag und Nacht haben wir hart und schwer gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen« (2 Thess 3, 8; Apg 20, 34; 1 Kor 4, 11).

20 Damit jedoch das gläubige Volk jede derartige Sünde verabscheue, werden die Pfarrer gut tun, wenn sie den Propheten und den andern heiligen Schriften Stellen entnehmen, in welchen Diebstahl und Raub verurteilt und von Gott die schrecklichsten Strafen denen angedroht werden, die solche Sünden begehen. Laut ruft der Prophet Amos: »Vernehmet dies, die ihr den Armen niedertretet, die Niedrigen im Lande unterdrücket und sprechet: Wann ist der Neumond um, dass wir unsre Waren verkaufen? Der Sabbat, dass wir die Kornspeicher auftun können? Dass wir das Maß kleiner machen und größer seinen Preis und das Gewicht verfälschen« (Am 8, 4ff)? Viele ähnliche Aussprüche findet man beim Propheten Jeremias, im Buch der Sprüche und Jesu Sirachs (Jer 5, 27f; Spr 21, 6; Sir 10, 9). Auch liegen zweifelsohne die Keime so vieler Übel, unter denen die Gegenwart leidet, zu einem guten Teil in diesen Dingen.

Damit die Christen gewohnt werden, sich der Notleidenden und Hilfsbedürftigen durch Freigebigheit und Mildtätigkeit willig anzunehmen - was eben zum zweiten Teil dieses Gebotes gehört - sollen die Pfarrer auf den überaus großen Lohn verweisen, den Gott den Mildtätigen und Freigebigen sowohl für dieses wie für das zukünftige Leben verheißen hat.

21 Indes fehlt es nicht an solchen, die sich auch bei ihren Diebstählen rechtfertigen möchten. Diese sind zu erinnern, dass Gott keine Entschuldigung ihrer Sünden gelten lasse; durch derartige Beschönigungsversuche werde die Schuld nicht nur nicht vermindert, sondern noch außerordentlich vergrößert. Geradezu aufreizend wirkt das Wohlleben mancher Vornehmen, die da meinen, ihre Schuld zu verringern mit der Behauptung: Nicht aus Begehrlichkeit oder Habsucht vergriffen sie sich an fremdem Gut, sondern nur zur Aufrechterhaltung der Ehre ihres Hauses und ihrer Vorfahren; denn deren Größe und Ansehen würde zusammenbrechen, wenn es nicht durch den Zuwachs fremden Eigentums gestützt würde. Diesen schädlichen Irrtum muss man gründlich zerstören, und zugleich zeigen, es gebe nur Eine Weise Reichtum und Macht und den Glanz des Geschlechtes zu erhalten und zu mehren, nämlich Unterwürfigkeit unter den Willen Gottes und Gehorsam gegen seine Gebote. Werden diese verachtet, geht auch die wohlbegründete und bestgesicherte Machtstellung zugrunde; selbst Könige kommen um Thron und höchste Würde, an ihre Stelle aber beruft Gott Leute von niederer Herkunft, die ihnen aufs äußerste verhasst waren. Es ist kaum zu sagen, wie sehr Gott solchen Menschen zürnt. Zeuge dafür ist der Prophet Isaias, bei dem folgende Worte Gottes stehen: »Treulos sind deine Fürsten, Diebsgenossen. Insgesamt lieben sie Geschenke und laufen der Bezahlung nach. Darum spricht der Herr, der Gott der Heerscharen, der Starke Israels: Jawohl, von meinen Gegnern will ich Genugtuung haben und mich aIl meinen Feinden rächen. Meine Hand werde ich gegen dich wenden und deine Schlacken rein ausschmelzen« (Jes 1, 23 ff). - 22 Andere führen zwar nicht Glanz und Ruhm als Entschuldigungsgrund an, sondern die leichtere und feinere Lebenshaltung. Diesen muss man entgegnen und zeigen, wie gottlos ihr Tun und Reden ist, da sie ein bisschen Bequemlichkeit dem Willen und der Ehre Gottes vorziehen; Ihn beleidigt man überaus tief, wenn man sich über seine Gebote hinwegsetzt. Übrigens welcher Vorteil kann im Diebstahl liegen, wenn er so nachteilige Folgen hat? »Denn über den Dieb kommt Schande und Strafe«, heißt es im Buch Ecclesiasticus (Sir 5, 17). Aber selbst gesetzt den Fall, dass es dem Dieb nicht so schlimm ergeht: er schändet den Namen Gottes; widerspricht seinem hochheiligen Willen und verachtet sein heilsames Gebot. Und aus dieser Quelle fließt jeder Irrtum, jede Ungerechtigkeit und alle Gottlosigkeit.

23 Was soll man sagen, wenn man Diebe behaupten hört, sie sündigten nicht, denn sie bestehlen nur reiche und wohlhabende Leute, die davon keinen Schaden haben, ja es nicht einmal merken? Wahrhaft, eine jämmerliche und unheilvolle Entschuldigung! - Ein anderer meint, man müsse das zu seiner Rechtfertigung gelten lassen: Das Stehlen habe er sich schon so angewöhnt, dass er diese Gesinnung und Handlungsweise nicht so leicht ablegen könne. Wenn der nicht das Wort des Apostels ernst nimmt: »Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr« (Eph 4. 28), so wird er sich wohl oder übel auch an die ewigen Peinen gewöhnen müssen. - 24 Mancher bringt zur Entschuldigung vor, dass er nur durch die Gelegenheit zum Dieb geworden sei, nach dem vielgebrauchten Sprichwort: »Gelegenheit macht Diebe«. Solche muss man von ihren verkehrten Ansichten dadurch abzubringen suchen, dass man ihnen erwidert: den bösen Begierden muss man widerstehen. Denn wenn man ohne weiters ausführen dürfte, wozu die Begierlichkeit treibt, wie würde es da mit den Sünden und Verbrechen bestellt sein, und wo wäre ein Ende abzusehen? Das ist also eine sehr schmähliche Rechtfertigung oder besser gesagt, es ist das Geständnis der vollständigen Haltlosigkeit und Schlechtigkeit. Denn wer sagt, er sündige nicht, weil er keine Gelegenheit dazu habe, sagt beinahe so viel als, er wolle bei jeder gegebenen Gelegenheit sündigen. - Manche sagen, sie stehlen nur aus Rache, weil auch ihnen von andern dasselbe Unrecht zugefügt worden sei. Diesen ist zu entgegnen: Erstens ist es nicht erlaubt, sich für erlittenes Unrecht zu rächen; zweitens niemand kann in eigener Sache Richter sein; drittens noch viel weniger kann es erlaubt sein, dass man einen für etwas büßen lässt, was andere uns angetan haben. - 25 Manche endlich halten ihre Diebstähle für vollauf gerechtfertigt, weil sie auf andere Weise als durch einen Diebstahl ihre drückenden Schulden nicht zahlen können. Mit diesen muss man so verfahren: Es gebe keine Schulden, die schwerer wären und durch die das Menschengeschlecht mehr belastet werde, als die Schulden, die wir täglich im Gebet des Herrn erwähnen: » Vergib uns unsre Schulden« (Mt 6, 12). Es wäre darum der höchste Wahnsinn, wenn man lieber Gott gegenüber Schuldner sein, d. h. wenn man lieber sündigen wollte, um den Menschen die Schulden bezahlen zu können; es sei doch viel besser, in den Kerker geworfen als den ewigen Qualen überantwortet zu werden. Und es sei viel furchtbarer durch Gott als durch Menschen verurteilt zu werden. Sie sollen daher in demütigem Gebet zu Gottes Macht und Vatergüte ihre Zuflucht nehmen, von Ihm sollen sie erbitten, was sie brauchen. - Wohl gibt es noch andere Arten von Entschuldigungen, indes der kluge und auf seine Pflicht bedachte Seelsorger wird darauf leicht zu antworten wissen, auf dass er ein in guten Werken eifriges Volk heranbilde (Tit 2, 14).

Neuntes Kapitel: Vom achten Gebot

»Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten« (Ex 20, 16; Dt 5, 20)

1 Wie nützlich, ja notwendig eine sorgfältige Erklärung dieses Gebotes und die oftmalige Mahnung zu seiner Beobachtung ist, zeigen die nachdrücklichen Worte des hl. Jakobus : »Wer im Reden nicht fehlt, der ist ein vollkommener Mann«; und weiter: »Die Zunge ist zwar ein kleines Glied und darf sich doch großer Dinge rühmen. Siehe, ein kleines Feuer kann einen großen Wald in Brand setzen« (Jak 3, 2. 5), und was er noch weiter im gleichen Sinn sagt. Ein zweifaches wird uns damit in Erinnerung gebracht:

Erstens, dass das Laster der bösen Zunge eine sehr weite Verbreitung hat. Das wird auch durch den Ausspruch des Propheten bestätigt: »Jeder Mensch ist lügenhaft« (Ps 115, 11). Fast als wäre das die einzige Sünde, die sich bei allen Menschen findet. - Zweitens, dass daraus unzählige Übe entspringen. Denn gar oft gehen durch die Schuld eines schmähsüchtigen Menschen Vermögen, guter Ruf, Leben und Seelenheil zugrunde, sei es beim Geschädigten, der die ihm angetane Schmach nicht geduldig zu tragen weiß, sondern sich in wahnsinniger Wut dagegen auflehnt; oder beim Schädigenden selbst, indem er aus verkehrter Scham und falschem Ehrgefühl sich weigert, dem Beleidigten Genugtuung zu leisten. Die Gläubigen sind daher zu mahnen, dass sie Gott für dieses so heilsame Gebot, kein falsches Zeugnis zu geben, aus ganzem Herzen danken. Denn wir werden durch dasselbe nicht bloß selbst abgehalten, andern unrecht zu tun; der Gehorsam (gegen dieses Gebot) schützt auch uns gegen Beleidigungen von Seite der andern.

2 Bei Behandlung dieses Gebotes gehen wir vor wie bei den früheren. Auch hier ist auf eine doppelte Vorschrift zu achten: Die eine verbietet, falsches Zeugnis zu geben; die andere gebietet, uns im Reden und Handeln ohne Verstellung und Trug einfach nach der Wahrheit zu richten. An diese Pflicht erinnert der Apostel die Epheser mit den Worten: »Wir sollen uns an die Wahrheit halten und in Liebe nach jeder Hinsicht in ihn (Christus) hineinwachsen« (Eph 4, 15).

3 Im Sinne der ersten Vorschrift, des Verbotes, wird unter falschem Zeugnis verstanden jede unwahre Behauptung zugunsten oder ungunsten eines andern, sei es vor Gericht oder sonst wo. Vor allem jedoch wird das von einem beeideten Zeugen bei Gericht abgelegte falsche Zeugnis verboten. Da der Zeuge bei Gott schwört, erhält seine Aussage durch den Eid und die Anrufung des göttlichen Namens eine ganz besondere Glaubwürdigkeit und Beweiskraft. Weil ein solches Zeugnis so gefährlich ist, darum wird es so nachdrücklich verboten. Denn beeidete Zeugen darf der Richter gar nicht zurückweisen, außer sie seien durch gesetzliche Bestimmungen ausgeschlossen, oder ihre Unehrlichkeit und Bosheit liege offen zutage. Lautet ja eine Vorschrift des göttlichen Gesetzes: »Durch die Aussage zweier oder dreier Zeugen wird alles festgestellt« (Dtn 19, 15; Mt 18, 16 ).

Damit aber die Gläubigen das Gebot ganz verstehen, muss man ihnen zeigen, was hier das Wort »Nächster« bedeutet, gegen den man kein falsches Zeugnis geben darf. 4 Nach Christi des Herrn Lehre ist unser Nächster jeder, der unsre Hilfe braucht, stehe er uns nahe oder fern, sei er unser Mitbürger oder Fremdling, Freund oder Feind. Denn man darf durchaus nicht meinen, gegen Feinde könnte man eine falsche Aussage machen; verpflichtet uns doch Gottes und unsres Herrn Gebot, sie zu lieben. Da schließlich in gewissem Sinne jeder sich selbst der Nächste ist, darf man auch nicht gegen sich selbst falsches Zeugnis geben. Die das tun, drücken sich das Schandmal der Entehrung auf, schädigen sich und die Kirche, deren Glieder sie sind, ähnlich wie Selbstmörder das Gemeinwesen schädigen. Darum sagt der hl. Augustin: »Den wenig Einsichtsvollen könnte es scheinen, es sei nicht verboten, gegen sich selbst falsches Zeugnis zu geben, da im Gebot der Zusatz steht: gegen deinen Nächsten. Aber deswegen darf man sich nicht frei von dieser Sünde wähnen, wenn man gegen sich selbst falsches Zeugnis ablegt; denn die Nächstenliebe erhält ihre Richtschnur von der Selbstliebe« (Aug. Vom Gottesstaat I c. 20).

5 Aber weil die Schädigung des Nächsten durch falsches Zeugnis verboten ist, darf man es nicht etwa für erlaubt halten, denen die durch natürliche und übernatürliche Bande mit uns verbunden sind, durch einen Meineid irgendwelchen Vorteil zu verschaffen. Denn niemals darf man einem durch Lug und Trug helfen, am wenigsten durch einen Meineid. Deshalb lehrt der hl. Augustin im »Brief an Crescentius über die Lüge« ganz im Sinn des Apostels, dass die Lüge zum falschen Zeugnis gehöre, auch dann wenn sie zum Lobe eines andern vorgebracht würde. Bei Besprechung der Stelle: »Dann stehen wir als falsche Gotteszeugen da, weil wir Gott entgegen bezeugt haben, er habe Christus auferweckt, während er ihn doch nicht auferweckt hat, wenn die Toten überhaupt nicht auferstehen« (1 Kor 15, 15) sagt er nämlich: »Der Apostel nennt es falsches Zeugnis, wenn man Christus zuliebe eine Lüge gebraucht, auch wenn sie zu seinem Lob zu gereichen scheint« (Aug. De mend. c. 12 [21] f).

6 Übrigens kommt es gar nicht selten vor, dass man durch die Begünstigung des einen den andern schädigt. In jedem Fall gibt man dem Richter Anlass zu einem Fehlurteil. Denn am Ende lässt er sich durch falsche Zeugen verleiten, gegen das Recht und für das Unrecht zu entscheiden, ja er sieht sich zu dieser Entscheidung mitunter gezwungen. Ferner kann es sein, dass der, der durch die falsche Zeugenaussage den Prozess gewinnt und nicht aufkommt, durch diesen ungerechten Erfolg kühn wird und sich gewöhnt, falsche Zeugen zu bestechen und zu verwenden in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe all seine Wünsche durchsetzen zu können. Auch für den Zeugen selbst ist es sehr bedenklich, wenn er in den Augen dessen, dem er durch einen falschen Eid herausgeholfen hat, als Lügner und Meineidiger dasteht; auch erlangt er durch sein Verbrechen, das ihm noch durch den Urteilsspruch als gelungen bescheinigt wird, von Tag zu Tag größere Gewandtheit und Gewohnheit in der ruchlosen Frechheit.

7 Ebenso wie für die Zeugen ist Leichtfertigkeit, Lüge, Meineid für Ankläger und Angeklagte verboten, für Verteidiger und Staatsanwälte, Vertreter und Advokaten, kurz für alle, die zum Gericht gehören. Schließlich verbietet Gott jedes falsche Zeugnis, das einem Unannehmlichkeiten und Schaden bringen könnte, nicht nur bei Gericht, sondern auch außerhalb. Im dritten Buch Mosis, wo diese Gebote nochmals eingeschärft werden, heißt es darum: »Ihr sollt keinen Diebstahl begehen, ihr sollt nicht lügen und niemand soll seinen Nächsten betrügen« (Lev 19, 11), damit ja jeder Zweifel an der Wahrheit ausgeschlossen sei, dass Gott durch dieses Gebot jede Lüge verdammt und verurteilt. Das sagt auch David deutlich mit den Worten: »Du richtest alle zugrunde, die Lügen reden« (Ps 5, 7).

8 Aber nicht nur falsches Zeugnis wird durch dieses Gebot untersagt, sondern auch die abscheuliche Sucht und Gewohnheit, über andere abfällig zu reden. Wie viele und wie schwere Nachteile und Übel diese Pest im Gefolge hat, lässt sich kaum ausdenken. Das Laster, über andere im geheimen gehässig und abträglich zu reden, missbilligt die Heilige Schrift hin und hin. »Mit einem solchen esse ich nicht«, sagt David (Ps 100, 5). Und der hl. Jakobus schreibt: »Meine Brüder, setzt einander nicht herab« (Jak 4, 11). Die Heilige Schrift führt aber nicht bloß Vorschriften, sondern auch Beispiele an, aus denen die Größe dieser Sünde klar wird. So reizte Aman durch erdichtete Verbrechen den König Assuerus derart gegen die Juden auf, dass er alle Angehörigen dieses Volkes zu töten befahl (Est 13). Beispiele dieser Art enthält die Heilige Schrift in Hülle und Fülle. Die Geistlichen sollen sie anführen und sich so bemühen, die Gläubigen von dem hässlichen Laster abzubringen.

9 Um die Bedeutung dieser Sünde - andere herabsetzen - ganz zu erfassen, muss man wissen, dass nicht bloß durch Verleumdung der gute Ruf geschädigt wird, sondern auch durch Übertreibung wirklicher Fehler. Auch der gilt mit Recht als schmähsüchtiger und böswilliger Mensch, der ein geheimes Vergehen, das im Falle des Bekanntwerdens den guten Namen gefährdet oder vernichtet, offenbart und zwar an einem Ort und zu einer Zeit und vor Menschen, die es nichts angeht.

Die allergiftigste Schmähsucht jedoch trifft man bei denen, die die katholische Lehre und ihre Verkünder herabsetzen. Einer ähnlichen Sünde machen sich schuldig, die die Verbreiter schlechter und irriger Lehren noch mit Lobsprüchen erheben.

10 Wer ehrabschneiderischen und schmähsüchtigen Menschen aufhorcht und ihnen zustimmt, statt sie zu tadeln, gehört zu derselben Menschenklasse und hat die nämliche Schuld. Denn nach dem hl. Hieronymus und Bernhard ist schwer zu entscheiden, was verwerflicher ist: ehrabschneiden oder dem Ehrabschneider Gehör schenken (Hier. Ep. 52; Bem. De consid. 2,13). Denn es gäbe gar keine Ehrabschneider, wenn ihnen niemand zuhörte.

Zu derselben Kategorie gehören die, die durch ihre Kniffe die Mitmenschen entzweien und aufeinander hetzen, ja sich ein Vergnügen daraus machen, Zwietracht zu säen, so zwar, dass sie durch ihre Lügen die engsten Bande und Gemeinschaften sprengen und die besten Freunde zu unversöhnlichem Hass und sogar zu den Waffen treiben. Diese Scheußlichkeit verurteilt der Herr mit den Worten: »Du sollst kein Verleumder und kein Ohrenbläser unter dem Volk sein« (Lev 19, 13). Das waren viele von den Ratgebern des Königs Saul, die ihn David entfremden und gegen diesen einnehmen wollten.

11 Endlich vergehen sich gegen diesen Teil des Gebotes Schmeichler und Schönredner, die sich durch Schmeicheleien und heuchlerisches Lob den Zugang zu den Ohren und Herzen derer zu öffnen wissen, auf deren Gunst, Geld und Anerkennung sie es abgesehen haben. Von ihnen gilt das Wort des Propheten: »Sie nennen das Schlechte gut und das Gute schlecht« (Jes 5, 20). Mit solchen Leuten soll man nicht verkehren und sie aus seiner Umgebung entfernen. Dazu mahnt uns David, wenn er sagt: »In Liebe mag mich schlagen der Gerechte und mich schelten, aber des Sünders Öl (Schmeichelei) beträufle nie mein Haupt« (Ps 140, 5). Wenn sie auch nichts Schlechtes vom Nebenmenschen reden, schaden sie ihm doch ungemein. Dadurch, dass sie sogar seine Sünden loben, geben sie ihm Anlass, seiner Lebtag in seinen Lastern zu verharren. - Eine schlimme Art von Schönrednerei ist die, die auf das Unglück und Verderben des Nächsten ausgeht. So schmeichelte Saul dem David, als er ihn der Wut und dem Schwert der Philister ausliefern wollte, um ihn zu töten. »Siehe«, sagte er, »meine älteste Tochter Merob gebe ich dir zur Frau; du musst dich aber als Held erweisen, des Herrn Kämpfe führen« (1 Sam 18, 17). Mit ebensolcher Hinterlist redeten die Juden Christus den Herrn an: »Meister, wir wissen, dass du wahrhaft bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst« (Mt 22, 16).

12 Noch viel schädlicher sind Reden von Freunden, Verwandten und Verschwägerten, wenn sie zuweilen einem Schwerkranken, der schon fast in den letzten Zügen liegt, in liebedienerischer Absicht einreden, es sei noch absolut keine Todesgefahr, er solle heiter und fröhlich sein; die Beichte reden sie ihm aus als einen schwermütigen Gedanken; seinen Geist lenken sie ab von jeder Sorge und jedem Bedenken hinsichtlich der äußersten Gefahren, in denen er offenbar schwebt. Ist schon jede Art von Lüge zu meiden, so doch besonders die, durch die man einen schwer schädigen könnte. Am gottlosesten aber ist die Lüge, wenn sie sich gegen die Religion richtet oder die Religion zum Gegenstande hat.

13 Eine schwere Beleidigung Gottes sind auch böswillige Beschimpfungen des Nächsten mittels so genannter Schmähschriften, wie übrigens alle andern Arten von Schmähungen.

Auch Scherz- und Notlügen sind etwas durchaus Unwürdiges, selbst wenn niemand einen Schaden oder Nutzen davon hat. So mahnt uns der Apostel: »Legt ab die Lüge und redet untereinander die Wahrheit« (Eph 4, 25). Denn es liegt darin die große Gefahr zu häufigen und größeren Lügen. Durch die Scherzlüge wird das Lügen unter den Menschen zur Gewohnheit und dadurch kommt die Meinung auf, man könne überhaupt niemand trauen. Um ihren Worten dennoch Glauben zu verschaffen, müssen dann die Leute fort und fort schwören.

Schließlich wird durch diesen Teil des Gebotes auch die Heuchelei zurückgewiesen, da nicht bloß heuchlerische Reden sondern auch heuchlerisches Tun sündhaft ist. Denn Worte und Taten sind in gewisser Hinsicht Zeichen und Bilder der innern Gesinnung. Deswegen nennt auch der Herr die Pharisäer wiederholt vorwurfsvoll Heuchler. Soviel über den ersten Teil des Gebotes, nämlich was durch dasselbe verboten wird.

Nun wollen wir darlegen, was der Herr durch den zweiten Teil gebietet. 14 Der Sinn und die Pflicht des Gebotes berührt zunächst die Richter. Nur nach Recht und Gesetz sollen sie Recht sprechen; auch dürfen sie sich kein Urteil über andere widerrechtlich anmaßen, da es ungehörig ist, einen fremden Knecht zu richten, wie der Apostel schreibt (Röm 14,4). Auch sollen sie nur nach gründlicher Untersuchung das Urteil fällen. Eben dagegen verfehlte sich das aus Priestern und Schriftgelehrten bestehende Richter-Kollegium, das über den hl. Stephanus zu Gericht saß. Derselben Sünde machte sich auch die Obrigkeit in Philippi schuldig; der hl. Paulus sagte darüber: »Ohne Untersuchung hat man uns, römische Bürger, öffentlich geschlagen und in den Kerker geworfen, und jetzt will man uns heimlich ausweisen« (Apg 16, 37). Endlich dürfen sie nicht Unschuldige verurteilen, noch Schuldige freisprechen; weder von Geldgier noch von Parteilichkeit, weder von Liebe noch von Hass dürfen sie sich leiten lassen. Denn also sprach Moses zu den Ältesten, die er zu Richtern für das Volk bestellt hatte: »… Fällt gerechte Urteile, sei es dass jemand Streit mit einem Volksgenossen oder einem Fremdling hat. Seid unparteiisch im Gericht und hört den Ärmsten so an wie den Vornehmen. Seht bei keinem auf die Person! Die Rechtsprechung ist Gottes Sache« (Dtn 1, 16 f).

15 Von den Angeklagten und Schuldigen verlangt Gott ein ehrliches Geständnis, wenn sie von Gerichts wegen gefragt werden. Eine derartige klare Aussage ist gewissermaßen ein Lobpreis der göttlichen Ehre nach den Worten, mit denen Josue den Achan mahnte, die Wahrheit einzugestehen: «Mein Sohn», sagte er, »gib dem Herrn, dem Gott Israels die Ehre [Gesteh und sag mir, was du getan hast und verheimliche nichts]« (Jos 7,19).

16 Weil jedoch dieses Gebot die Zeugen vor allem angeht, muss der Pfarrer von diesen eigens sprechen. Denn das Gebot hat nicht nur den Sinn, dass es falsches Zeugnis verbietet, es gebietet auch, die Wahrheit zu sagen. Denn es kommt im menschlichen Leben ungeheuer viel auf die Zuverlässigkeit der Zeugenaussage an. Gibt es doch so viele Dinge, die uns notwendig verborgen blieben, wenn wir sie nicht durch glaubwürdige Zeugen erführen. Es ist daher nichts so wichtig wie die Wahrhaftigkeit in der Zeugenaussage bei Dingen, die wir aus uns selbst nicht wissen können, die uns aber nicht unbekannt bleiben sollten. Ein Ausspruch des hl. Augustin sagt hierüber: »Beide sind schuldig, sowohl der, der die Wahrheit verschweigt, wie der, der sich der Lüge bedient; der eine, weil er keinen Nutzen stiften, der andere, weil er Schaden anrichten will (Corp. Jur. Can. c. 80 C XI q. 3 [von Augustin?]). Wohl kann es zuweilen erlaubt sein die Wahrheit für sich zu behalten, jedoch nur außer Gericht (Der Satz: Durch doppelsinnige Rede der Wahrheit verbergen, ist immer erlaubt, wenn es notwendig oder nützlich ist zum Schutz des Leibes, der Ehre, des Vermögens oder für irgend ein gutes Werk - ist in dieser allgemeinen Form verurteilt worden wenigstens als gefährlich [D 1177]). Wenn vor Gericht ein Zeuge vom Richter rechtmäßig gefragt wird, muss er immer die Wahrheit sagen. Freilich dürfen sich die Zeugen nicht zu sehr auf ihr Gedächtnis verlassen und für gewiss behaupten, wovon sie sich nicht überzeugt haben.

Es erübrigt noch, etwas über die Verteidiger und Advokaten, die Ankläger bzw. Staatsanwälte zu sagen. 17 Erstere sollen den Menschen zur Zeit der Bedrängnis nicht fehlen; den Armen sollen sie gern helfen; nur dürfen sie nicht ungerechte Streitsachen verteidigen und die Prozesse nicht durch allerlei Ränke verlängern, noch aus Habsucht hinausziehen. Das Entgelt für ihre Mühe und Arbeit dürfen sie nur nach Recht und Billigkeit bemessen. 18 AnkIäger und Staatsanwälte sind zu mahnen, dass sie niemand aus Liebe oder Hass oder wegen sonst einer Leidenschaft verdächtigen und bedrängen.

Allen Gläubigen endlich gilt das göttliche Gebot: Im Verkehr und im Gespräch allezeit und aufrichtig die Wahrheit zu sagen. Sie sollen nichts reden, was den guten Ruf des Nebenmenschen beeinträchtigen könnte, auch nicht von denen, die ihnen Schaden und Verdruss bereitet haben; denn sie müssen den Gedanken festhalten, sie seien mit ihnen so eng verbunden, dass sie Glieder ein und desselben Leibes darstellen.

19 Damit aber die Gläubigen die Lüge lieber meiden, zeige ihnen der Pfarrer die große Schädlichkeit und Schändlichkeit dieses Lasters. Wird doch in der Heiligen Schrift der Teufel der Vater der Lüge genannt. Weil er in der Wahrheit nicht bestanden hatte, ist er selbst verlogen, ja der Urheber der Lüge (Joh 8, 44). Um dieses Laster auszurotten, wird der Pfarrer auch auf die schlimmen Folgen hinweisen; und da deren unzählige sind, wird er wenigstens die hauptsächlichsten und ursprünglichsten Nachteile und Schäden erwähnen. Erstens: Wie sehr ein unzuverlässiger und lügenhafter Mensch Gott beleidigt und sich seinen Hass zuzieht, dafür kann sich der Pfarrer auf Salomon berufen, der gesagt hat: »Sechs Dinge sind es, die der Herr hasst, und ein Gräuel ist ihm das siebte: Es sind das stolze Augen; falsche Zunge; Hände, die unschuldig Blut vergießen; ein Herz, das auf arge Tücke sinnt; Füße, die behende zum Schlechten eilen; wer Lügen vorbringt als falscher Zeuge« usw. (Spr 6, 16 f) Wer wird aber einen Gott so verhassten Menschen vor den schwersten Strafen schützen können? - 20 Zweitens: Was gibt es Hässlicheres und Gemeineres als, wie der hl. Jakobus sagt, mit derselben Zunge, mit der wir Gott den Vater preisen, die Menschen verfluchen, die doch nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen sind (Jak 3, 9)? Eine solche Zunge ist ein Brunnen, der aus ein und derselben Öffnung süßes und bitteres Wasser gibt. Denn dieselbe Zunge, die erst Gott Lob und Preis sagte, tut ihm hernach durch Lügenhaftigkeit so viel als möglich Schimpf und Schande an. Deshalb sind die Lügner vom Besitz der himmlischen Seligkeit ausgeschlossen. Denn da David an Gott die Frage stellte: »Herr, wer darf wohnen in deinem Zelte?« antwortete der Heilige Geist: »Wer redlich denkt und wahr in seinem Herzen, wer nicht Trug begeht mit seiner Zunge« (Ps 14, 1. 3). - Drittens: Das allerschlimmste bei der Lüge ist jedoch, dass diese Seelenkrankheit beinahe unheilbar ist. Denn die Sünde der Verleumdung oder Ehrabschneidung wird nicht vergeben, solange der Verleumder dem ungerecht Verdächtigten nicht Genugtuung geleistet hat. Das wird aber dem Menschen sehr schwer. Vor allem, wie schon gesagt, wegen der natürlichen Scham und infolge eines übersteigerten Ehrgefühls. Dass aber einer mit dieser Sünde auf dem Gewissen der ewigen Höllenstrafe verfällt, kann man nicht bezweifeln. Und es soll nur ja niemand Verzeihung für seine Verleumdung und Ehrabschneidung erwarten, wenn er nicht zuvor dem Genugtuung getan, den er um Ansehen und guten Namen gebracht hat, mag es nun öffentlich vor Gericht oder im privaten und vertraulichen Verkehr geschehen sein. - Viertens: Zudem gewinnen die bösen Folgen eine unheimliche Ausdehnung und greifen auch auf andere über. Denn durch Unzuverlässigkeit und Lüge werden Vertrauen und Wahrhaftigkeit, die unerlässlichsten Stützen der menschlichen Gemeinschaft, erschüttert. Sind aber die einmal gefallen, ist ein wüstes Durcheinander im menschlichen Zusammenleben die notwendige Folge, so dass sich die Menschen kaum mehr von den Teufeln unterscheiden.

Der Pfarrer wird dann noch zeigen, dass man auch die Geschwätzigkeit meiden muss. Wer diese flieht, wird sich auch vor den andern Sünden hüten, und zugleich schützt man sich dadurch am besten vor der Lüge; denn geschwätzige Menschen können sich nur schwer von diesem Laster frei halten.

21 Schließlich beseitige der Pfarrer den Irrtum derer, die ihr leichtfertiges Reden entschuldigen wollen. Manche berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Lügen auf das Beispiel der Klugen: kluge Leute wüssten sich zur rechten Zeit mit einer Lüge zu helfen, sagen sie. Der Pfarrer halte ihnen das sehr wahre Wort entgegen, dass Klugheit des Fleisches der Tod sei (Röm 8, 6). Er mahne die Zuhörer, in Schwierigkeiten und Not auf Gott zu vertrauen; und ja nicht die Lüge als gangbaren Ausweg zu betrachten. Denn wer zu diesem Auskunftsmittel greift, bringt sich offenbar in den Verdacht, dass er mehr auf seine eigene Klugheit bauen, als auf Gottes Vorsehung vertrauen will. - Manche möchten die Schuld für ihre Lügen auf andere schieben, von denen auch sie belogen worden seien. Diese sind aufmerksam zu machen, dass Rache den Menschen nicht erlaubt ist; auch dürfe man nicht Böses mit Bösem vergelten, vielmehr müsse man das Böse durch das Gute besiegen (Röm. 12, 17. 21; 1 Petr 3, 9). Und selbst wenn diese Art der Vergeltung kein Unrecht wäre, sei es doch kein Vorteil, sich zu rächen zu seinem eigenen Schaden. Durch die Lüge fügen wir uns aber selbst den größten Schaden zu. - Die sich auf die Schwachheit und Gebrechlichkeit der menschlichen Natur ausreden wollen, sind auf das Gebot zu verweisen, das uns verpflichtet, die Hilfe Gottes zu erflehen und der menschlichen Schwäche nicht nachzugeben. - Andere wieder machen ihre Gewohnheit geltend. Diesen gebe man zu bedenken: Wenn sie sich das Lügen angewöhnt haben, müssen sie eben die entgegengesetzte Gewohnheit (stets die Wahrheit zu sagen) zu erwerben trachten; zumal sich die Gewohnheitssünder schwerer verfehlen, als andere. 22 Auch fehlt es nicht an solchen, die zu ihrer Rechtfertigung auf das Beispiel an derer hinweisen und sagen: Viele andere bedienen sich auch der Lüge und des Meineides. Diese verkehrte Ansicht muss man durch folgenden Gegengrund berichtigen: Man darf die Schlechten nicht nachahmen, vielmehr soll man sie tadeln und zu bessern suchen. Wenn wir aber selbst Lügner sind, werden unsere Vorwürfe und Besserungsversuche wenig Eindruck machen. Wenn sich manche auf die schlimmen Erfahrungen berufen, die sie mit der Aufrichtigkeit schon oft gemacht hätten, müssen ihnen die Geistlichen erwidern: Das gleicht eher einer Selbstanklage als einer Entschuldigung, da es doch Christenpflicht ist, lieber jeden Schaden zu leiden als zu lügen. - 23 Zum Schluss sollen noch zwei Klassen erwähnt werden, die ihre Lügen rechtfertigen wollen: Die einen sagen: Sie lügen nur zum Scherz, während die andern vorgeben, nur Notlügen zu gebrauchen, denn ohne Lüge könne man kein gutes Geschäft machen weder beim Einkauf noch beim Verkauf. Beide Menschengattungen muss der Pfarrer von ihren falschen Ansichten abzubringen trachten. Den einen suche er aus diesem Laster herauszuhelfen mit dem Hinweis, wie sehr durch wiederholtes Lügen die böse Gewohnheit zunimmt; auch betone er, dass man für jedes unnütze Wort Rechenschaft ablegen müsse (Mt 12, 36). Schärfer fasse er die andern an, denn ihre Entschuldigung enthält eine schwere Selbstanklage, weil sie damit offen gestehen, dass sie dem göttlichen Ausspruch: »Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit und all dieses wird euch dazugegeben werden« (Mt 6, 33), wenig Glaubwürdigkeit und Bedeutung beimessen.

Zehntes Kapitel: Vom neunten und zehnten Gebot

»Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, auch sollst du nicht verlangen des Nächsten Frau, nicht seinen Sklaven, noch seine Sklavin, noch sein Rind, noch seinen Esel, noch irgend etwas, was sein Eigen ist« (Ex 20, 17)

1 Diese beiden letzten Gebote, das muss man besonders beachten, bilden sozusagen die Grundlage zur Einhaltung der andern. Das in ihrem Wortlaut ausgesprochene Gesetz zielt, nämlich dahin: man müsse mit großer Sorgfalt sein Begehren beherrschen, wenn man die früheren Gesetzesvorschriften getreu einhalten will. Denn wer kein unordentliches Begehren hegt, wer mit dem Seinen zufrieden, nicht nach fremdem Besitz Verlangen trägt, sich vielmehr freut über das Glück anderer, der gibt dem unsterblichen Gott die Ehre und zollt Ihm innigen Dank; der wird auch den Ruhetag halten, weil er bleibende innere Ruhe genießt; der wird die Vorgesetzten ehren; endlich wird er niemand weder tätlich noch durch Worte noch auf irgend eine andere Weise verletzen. Wurzel und Same aller Übel ist ja die böse Begierlichkeit. Wer von ihr ergriffen ist, stürzt sich in alle Arten von Sünden und Lastern. - Wenn man das vor Augen hat, wird der Pfarrer die folgenden Lehrpunkte sorgfältiger erklären und die Gläubigen werden sie aufmerksamer hören.

2 Die beiden Gebote werden hier gemeinsam behandelt, weil ihr Inhalt viel Ahnlichkeit hat und darum fast dieselbe Methode der Erklärung verlangt. Indes der Pfarrer kann sie gemeinsam oder getrennt besprechen, je nachdem es ihm für sein seelsorgliches Mahnen und Warnen zweckmäßiger scheint. Jedenfalls muss er bei der katechetischen Behandlung des Dekalogs auch auf die Ungleichheit der beiden Gebote hinweisen, wie sich nämlich das eine Begehren vom andern unterscheidet. Der hl. Augustin hat in seiner Schrift über das Buch Exodus (Quaest. in Exod. quaest. 71) auf diese Verschiedenheit aufmerksam gemacht: Die eine dieser zweifachen Begierde sucht nur Nutzen und Vorteil; die andere aber Lust und sinnlichen Genuss. Wer etwa nach einem fremden Acker oder Haus begehrt, der trachtet nicht so sehr nach Genuss, sondern nach Gewinn und Nutzen. Wer aber nach einer fremden Frau verlangt, der ist nicht vom Wunsch nach Vorteil, sondern vom Feuer der Wollust ergriffen.

3 Beide Gebote sind notwendig zu einem doppelten Zweck: Erstens einmal zur Klarmachung des vollen Sinnes des sechsten und siebten Gebotes. Allerdings müsste schon das natürliche Licht der Vernunft zur Einsicht führen, dass mit dem Verbot des Ehebruchs auch das Verlangen nach der Gattin eines andern verboten sei - denn wäre das Begehren erlaubt, müsste auch die Tat erlaubt sein. Die meisten Juden konnten sich jedoch, durch Sünden verblendet, nicht zum Glauben durchringen, dass das wirklich von Gott verboten sei. Ja sogar nachdem dieses Gesetz Gottes gegeben und bekannt geworden war, blieben selbst viele, die sich als Gesetzeslehrer ausgaben, im alten Irrtum stecken. Das ersieht man aus der bekannten Rede des Herrn bei Matthäus (Mt 5, 27 f): »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch, [jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen bereits Ehebruch mit ihr begangen].« 

Zweitens sind diese Gebote notwendig, weil einiges ausdrücklich und im einzelnen untersagt werden musste, was durch das sechste und siebte Gebot eigentlich nicht verboten ist. So z. B. verbietet das siebte Gebot allerdings die ungerechte Begierde nach dem Gut eines andern und den Versuch, es ihm zu entreißen; dieses (zehnte) Gebot aber untersagt solche Wünsche, auch wenn man sie ohne Unrecht und ohne Gesetzesverletzung erfüllen könnte, falls durch diese Erfüllung dem Nebenmenschen ein Schaden erwüchse.

4 Bevor man nun die Erklärung des Doppelgebotes beginnt, soll man die Gläubigen belehren: Wie wir aus diesem Gesetz, das zunächst Beherrschung der Leidenschaften von uns fordert, auch die unendliche Vaterliebe Gottes gegen uns ersehen. Durch die vorhergehenden Gebote hat uns Gott zum Schutz gleichsam mit einer Wehr umgeben, damit ja kein anderer uns oder das Unsrige verletze. Durch die Zugabe dieses Doppelgebotes wollte Gott noch besondere Fürsorge treffen, dass nicht wir selbst uns schaden durch unsre ungeordneten Begierden. Denn das würde sicher der Fall gewesen sein, wenn es uns ganz frei stünde, jeglichen Wunsch und Willen zu hegen. Durch die Gesetzesvorschrift : »Du sollst nicht begehren«, hat Gott demnach dafür gesorgt, dass die Stachel der Begierden, durch die wir uns so oft zu den verschiedensten Sünden getrieben fühlen, kraft dieses Gesetzes gleichsam aus der Seele gerissen werden und uns daher nicht so bedrängen können. So haben wir dann, befreit von lästiger Sorge, die die Begierden mit sich bringen, mehr Zeit und Gelegenheit, Werke der Liebe und Frömmigkeit zu tun, die wir Gott in reichstem Maße schulden.

5 Aber nicht nur die Liebe Gottes zeigt uns dieses Doppelgebot, sondern es belehrt uns auch über die Sonderart des göttlichen Gesetzes, das nicht nur äußere Pflichterfüllung verlangt, sondern auch im tiefsten Innern des Herzens gehalten werden muss. Zwischen göttlichen und menschlichen Geboten ist nämlich der Unterschied: Diese schreiben bloß äußere Leistungen vor, jene aber fordern auch volle innere Lauterkeit und keusche Reinheit der Seele; denn Gott schaut auf das Innere. - Das göttliche Gesetz ist also wie ein Spiegel, in dem wir die Verdorbenheit unsrer Natur sehen können. In diesem Sinn hat der Apostel das Wort gesprochen: »Ich wüsste nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht sagte: Du sollst nicht begehren« (Röm 7, 7). Die böse Begierlichkeit, dieser von der Ursünde herrührende Sündenzunder, der so tief und bleibend in uns haftet (Die Ansicht, dass durch die Taufe oder durch ein vollkommenes Leben die böse Begierlichkeit im Menschen ganz erlischt, ist wiederholt als falsch verworfen worden [D 1275f, 1393)]), sie lässt uns fühlen, dass wir in Sünde geboren sind: darum müssen wir mit demütigem Flehen unsre Zuflucht zu Ihm nehmen, der allein Sündenmakeln tilgen kann.

6 Beide Gebote haben mit den andern das gemein, dass sie zum Teil verbieten, zum Teil aber gebieten. In bezug auf das in ihnen liegende Verbot muss der Pfarrer zunächst erklären, was für Begierden wir eigentlich infolge dieses Gesetzes vermeiden müssen. Denn man darf nicht meinen, auch gute Begierden seien in etwa fehlerhaft. Wie z. B. das Begehren des Geistes wider das Fleisch (Gal 5, 17); oder wenn man nach den Worten Gottes Tag und Nacht ein Verlangen hat, von dem David ganz erfüllt war (Ps 118, 20).

Unter Begierde im allgemeinen versteht man also eine Regung der Seele oder einen inneren Trieb, durch den wir Menschen gedrängt werden, zusagende Dinge, die uns mangeln, anzustreben. Wie nun die übrigen Regungen der Seele nicht immer schlecht sind, so ist auch der Begehrungstrieb durchaus nicht immer als fehlerhaft zu betrachten. Es ist doch nicht böse, wenn wir Speise und Trank verlangen; oder Wärme wünschen, wenn uns friert; oder im Gegenteil Kühle, wenn wir erhitzt sind. - Diese von Gott in unsre Natur gelegte Begehrungskraft war ursprünglich ganz geordnet. Aber infolge der Sünde unsrer ersten Eltern überspringt sie die von der Natur gezogenen Schranken und ist so entartet, dass sie häufig zu Wünschen gereizt wird, die dem Geist und der Vernunft widersprechen. 7 Wenn der Trieb aber beherrscht wird und in den rechten Grenzen bleibt, so kann er nicht geringen Nutzen bringen: Erstens bewirkt er, dass wir inständig und ausdauernd zu Gott beten und von Ihm die Erfüllung unsrer heißen Wünsche erflehen; denn das Gebet ist die naturgemäße Äußerung unsres Begehrens. Wenn diese heilige Begehrungskraft fehlte, würde in der Kirche Gottes nicht so viel gebetet. Zweitens bewirkt er, dass wir die Gaben Gottes mehr schätzen. Denn je mehr wir von Begierde nach etwas entzündet sind, um so teurer und angenehmer ist es uns, wenn wir's erlangen. Endlich spornt der Genuss, den die erfüllte Begierde gewährt, zu größerer Liebe und Dankbarkeit gegen Gott.

Manches Begehren ist also erlaubt. Man muss daher zugeben, dass der Begehrungstrieb nicht schlechthin böse ist. 8 Und wenn Paulus die Begierlichkeit Sünde nennt (Röm 7, 20), so ist das in dem Sinn aufzufassen, in dem Moses es versteht, den der Apostel zitiert (Ex 20, 17): das beweist seine ganze Darlegung. Im Galaterbrief gebraucht er das Wort Begierlichkeit des Fleisches: »Wandelt im Geiste«, sagt er, »dann werdet ihr nicht die Begierden des Fleisches erfüllen« (Gal 5, 16). 9 Der natürliche Begehrungstrieb ist daher nicht böse, wenn er beherrscht wird und in rechten Schranken bleibt.

Noch viel weniger ist jenes geistliche Begehren guter Seelen verboten, durch das sie zum Streben nach Dingen angeeifert werden, die dem Fleisch zuwider sind. Denn dazu fordert uns die Heilige Schrift geradezu auf: »Seid begierig nach meinen Worten« (Weish 6, 12) und »Kommt her zu mir alle, die ihr nach mir verlangt« (Sir 24, 26).

10 Durch dieses Verbot (des neunten und zehnten Gebotes) wird also nicht die Begehrungskraft selbst verurteilt, die man ja zum Guten wie zum Schlechten gebrauchen kann, sondern die Regungen der bösen Begierlichkeit, die» Begierlichkeit des Fleisches« und »Sündenzunder« genannt wird. Wenn nämlich zu diesen Regungen die freie Einwilligung der Seele hinzutritt, so müssen sie immer als eigentliche Sünden bezeichnet werden.

Also verboten ist nur die Lust am Begehren, das der Apostel Fleischesbegehren heißt (Gal 5,16). Mit andern Worten jene Regungen der Begierlichkeit, die nicht durch die Vernunft gerechtfertigt sind und nicht innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen bleiben. 11 Diese Begierlichkeit ist verwerflich, entweder weil sie auf Sündhaftes geht: auf Ehebruch, Trunkenheit, Mord und ähnliche schmähliche Vergehen. Davor warnt der Apostel mit den Worten: »Seien wir nicht lüstern nach dem Bösen, wie jene lüstern waren« (1 Kor 10, 6). - Oder weil wir manches, das an und für sich nicht schlecht ist, aus einem andern Grund nicht begehren dürfen. Dazu gehören die Dinge, deren Besitz uns Gott oder die Kirche verboten hat. Denn was man nicht besitzen darf, das darf man auch nicht begehren. Solches war im Alten Testament das Gold und Silber woraus Götzenbilder gegossen waren; das zu begehren, hat Gott im fünften Buch Mosis untersagt (Dtn 7,25). - Ein weiterer Grund, warum Begierden sittlich schlecht und darum verboten sein können, ist dann vorhanden, wenn die begehrten Dinge andern gehören: z. B. ein Haus, ein Sklave oder eine Sklavin, ein Feld, eine Frau, ein Rind, ein Esel und dgl. mehr. Wenn das andern gehört, so verbietet das göttliche Gesetz die Begierde darnach. Das Begehren solcher Dinge ist daher böse; ja wenn solche Wünsche freiwillig festgehalten werden, kann es sehr schwere Sünde sein.

12 Die eigentliche Sünde wird nämlich erst dann begangen, wenn die Seele von bösen Begierden versucht, an sündhaften Dingen Vergnügen empfindet und sich dann solchen Wünschen freiwillig hingibt oder ihnen wenigstens nicht widersteht (Vgl. die verurteilten jansenistischen Irrtümer D 1050 f. 1074ff.). So lehrt der Apostel Jakobus, wo er Ursprung und Fortschritt der Sünde schildert: »Jeder wird von der eigenen Begierlichkeit versucht, die ihn anzieht und lockt. Hat dann die Begierlichkeit empfangen, so gebiert sie die Sünde; ist die Sünde vollendet, so bringt sie den Tod hervor« (Jak 1, 14 f).

13 Das Verbot des Gesetzes: »Du sollst nicht begehren« hat also diesen Sinn: Wir müssen unsre Wünsche nach fremdem Besitz fest im Zaum halten. Denn die Gier nach Dingen, die andern gehören, ist unermesslich groß und nicht zu stillen nach dem Zeugnis der Schrift: »Der Habsüchtige kann des Geldes nie genug bekommen« (Koh 5, 9). Und bei Isaias steht darüber: »Wehe denen, die da Haus an Haus anfügen und Feld an Felder reihen« (Jes 5, 8).

Die Hässlichkeit und Schwere dieser Sünden erkennt man besser, wenn die einzelnen Worte des Gesetzes erklärt werden. 14 Darum soll der Pfarrer sagen: Unter dem Wort "Haus" ist nicht nur die Wohnstätte zu verstehen, sondern das gesamte Erbgut. Denn so pflegt die Heilige Schrift das Wort zu nehmen. Im Buch Exodus z. B. steht geschrieben: Gott habe den Hebammen [die gegen den Befehl des Ägypterkönigs die jüdischen Knäblein am Leben erhielten] Häuser gebaut; der Sinn dieser Stelle ist aber der: Gott hat ihr Vermögen vermehrt und vergrößert. Daraus ersehen wir, dass durch diesen Ausdruck im Gebot untersagt ist sowohl das gierige Verlangen nach Reichtum, als auch der Neid um Besitz, Macht und Adel andrer; wir sollen vielmehr mit unsrem Stand, wie er immer ist, gering oder vornehm, zufrieden sein. Auch das Verlangen nach fremdem Ansehen müssen wir als verboten betrachten: denn auch das gehört zum Begriff »Haus«. - 15 Die folgenden Worte: nicht "Rind und Esel" wollen sagen: Nicht bloß Begierden nach großen Dingen, die andern gehören, wie Haus, Adel, Ansehen, sind unerlaubt, sondern auch nach kleineren Gütern, mögen sie belebt sein oder unbelebt. - 16 Das Wort: nicht den "Sklaven und die Sklavin" ist zu verstehen von allen, die durch Kriegsgefangenschaft oder auf andre Weise in Leibeigenschaft geraten sind. Nach diesen darf man ebenso wenig Verlangen hegen, wie nach anderem Fremdgut. Freie Menschen aber, die entweder um Lohn oder aus Liebe und Ergebenheit einem andern freiwillig dienen, darf man auf keine unerlaubte Weise zum Verlassen des Dienstes verleiten, den sie frei auf sich genommen haben: weder durch Drohworte noch durch falsche Hoffnungen und Versprechungen, noch durch Bestechung. Ja wenn sie vor der Zeit, zu der sie sich im Dienst zu bleiben verpflichtet haben, von ihrem Herrn weggehen, muss man sie kraft dieses Gebotes mahnen, sofort zu ihm wieder zurückzukehren. - 17 Mit dem Wort, das im Gesetz steht, deines Nächsten, soll auf die fehlerhafte Gewohnheit der Menschen hingewiesen werden, gerade des Nachbarn Acker oder das Nachbarhaus oder Güter, die uns nahe sind, zu begehren. Denn infolge der bösen Begierlichkeit führt die Nachbarschaft, die doch eigentlich der Freundschaft nahe steht, zum Hass anstatt zur Liebe.

18 Wer Dinge, die unsre Nebenmenschen feil haben, von ihnen zu kaufen wünscht oder wirklich zu einem gerechten Preis kauft, verletzt natürlich dieses Gebot durchaus nicht. Denn dadurch schädigt man den Nebenmenschen nicht nur nicht, sondern nützt ihm vielmehr, weil für ihn Geld vorteilhafter und nützlicher ist, als die Sachen, die er zum Kauf anbietet. - 19 Auf das Verbot, nach fremdem Gut zu begehren, folgt das Verbot, nach des andern "Frau" Begierde zu hegen. Durch dieses Gesetz wird nicht nur das lüsterne Verlangen verpönt, mit der Frau eines andern Ehebruch zu begehen, sondern auch die Begierde, eines anderen Frau zu heiraten. Zur Zeit, da der Scheidebrief noch erlaubt war, konnte es leicht vorkommen, dass die von einem Mann Verstoßene von einem andern als Ehefrau heimgeführt wurde. Darum hat der Herr dieses Verbot gegeben, damit die Männer nicht der Versuchung ausgesetzt würden, die Frau zu entlassen, und die Frauen den Männern sich nicht schwierig und mürrisch zeigten, um etwa auf diese Weise den Mann zu ihrer Entlassung zu zwingen. [Jetzt ist dieses Verlangen, die Frau eines andern zu heiraten,] eine noch größere Sünde, weil es niemals erlaubt ist, eine von ihrem Mann verstoßene Frau zu ehelichen, außer nach dem Tod ihres Gatten. Übrigens wenn jemand nach der Frau eines andern Verlangen hegt, kommt er leicht von einem bösen Wunsch zum andern: Entweder erwacht in ihm der Wunsch nach dem Tod ihres Mannes oder das Verlangen nach dem Ehebruch.

Ähnliches gilt in bezug auf Frauen, die mit einem andern verlobt sind: Auch nach solchen darf man nicht Begierde hegen. Denn wer den Verlobungsvertrag zu brechen sucht, verletzt dadurch einen heiligen Treubund.

Ferner: Wie es ganz unrecht ist, nach einer verheirateten Frau zu verlangen, so ist es auch durchaus unerlaubt, eine Gott geweihte Ordensfrau zur Ehe zu begehren.

20 Wenn aber jemand eine Frau zur Ehe begehrt, die tatsächlich verheiratet ist, von dem er aber meint, sie sei noch ledig, der verletzt dieses Gebot offenbar nicht. Allerdings muss er innerlich so gesinnt sein, dass er die Frau nicht zu ehelichen wünschte, wenn er wüsste, dass sie bereits in der Ehe lebt. So war es beim Pharao und bei Abimelech, wie wir in der Schrift lesen, die beide Sara zur Frau haben wollten, weil sie sie für die ledige Schwester Abrahams und nicht für seine Gemahlin hielten (Gen 12, 19; 20, 5).

21 Endlich muss der Pfarrer auf Heilmittel hinweisen, die geeignet sind, das Laster der bösen Begierlichkeit zu beseitigen. Zu dem Zweck soll er nun die positive Seite dieses Gebotes erklären. Diese besteht erstens darin, dass wir das Herz, wenn wir reich sind, nicht an den Reichtum hängen. Wir sollen vielmehr bereit sein, aus Eifer und Liebe zur Frömmigkeit und zu göttlichen Dingen auf den Reichtum sogar zu verzichten; wenigstens sollen wir gern Geld ausgeben zur Linderung der Not der Armen. Haben wir aber kein Vermögen, sollen wir die Armut ruhig und freudigen Herzens ertragen. Üben wir auf solche Weise Freigebigkeit in der Mitteilung unsres Besitzes an andre, dann werden wir die Begierde nach fremdem Gut niederhalten. - Viele Gedanken zum Lobe der Armut und zur Geringschätzung des Reichtums kann der Pfarrer leicht finden in der Heiligen Schrift und bei den heiligen Vätern: die soll er dann dem gläubigen Volk vorlegen.

Zweitens gebietet dieses Gesetz, dass wir mit heißer Begierde und großem Verlangen wünschen, es möge immer das geschehen, was Gott will und nicht was wir begehren, wie es im Gebet des Herrn heißt (Mt 6,10). Gottes Wille geht aber vor allem darauf aus, dass wir uns durch Heiligkeit auszeichnen, unser Herz läutern und von allem Makel rein und unbefleckt bewahren; dass wir uns eifrig mit solchen Übungen des Geistes und Herzens befassen, die der Sinnlichkeit des Leibes widerstreben. Wenn so die niedern Begierden bezähmt sind, können wir unter Führung der Vernunft und des Glaubens auf dem richtigen Lebensweg vorwärts schreiten und allen Lockungen der Sinne, die unsrer Begierlichkeit und unsrem Lusthunger fortwährend Befriedigung anbieten, entschiedenen kräftigen Widerstand entgegensetzen.

22 Ferner ist es überaus nützlich, um das Feuer der bösen Begierden zu löschen, wenn man den Schaden erwägt, der aus ihnen entsteht. Der erste Schaden besteht darin, dass durch die Nachgiebigkeit gegen solche Begierden die Leidenschaft sehr mächtig wird und zur Gewaltherrschaft über unser Herz gelangt. Darum mahnt der Apostel: »Lasst ja die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, dass ihr seinen Gelüsten nachgebt« (Röm 6, 12). Denn wie durch den Widerstand gegen die Begierden die Kraft der sündigen Leidenschaft erlahmt, so wird im Gegenteil durch Niederlagen gegen sie gleichsam Gott der Herr vom Throne unsres Herzens gestoßen und an seine Stelle die sündhafte Lust gesetzt.

Der zweite Schaden ist nach der Lehre des hl. Jakobus (Jak 1, 14) dieser: Die böse Begierlichkeit wird zu einer Quelle aller Sünden. Dasselbe spricht der hl. Johannes aus: »Alles, was in der Welt ist, ist Begierlichkeit des Fleisches, Lüsternheit der Augen und Hoffart des Lebens« (1 Joh 2, 16).

Der dritte Schaden besteht darin, dass durch das ungeordnete Begehren das rechte Urteil des Verstandes verwirrt wird. Denn durch den dichten Nebel der Begierden geblendet, halten die Menschen alles, was sie leidenschaftlich wünschen, auch für sittlich erlaubt und gut.

Viertens wird durch die Macht der Begierden das Wort Gottes erstickt, das der große göttliche Sämann in unsre Seele gelegt hat. Denn so steht beim hl. Markus geschrieben: »Unter die Dornen ist es gesät bei denen, die das Wort zwar hören; aber irdische Sorgen, trügerischer Reichtum und ungeordnete Begierden nach sonstigen Dingen dringen ein und ersticken das Wort, so dass es ohne Frucht bIeibt« (Mk 4, 18f).

23 Manche Menschenklassen leiden mehr als andere am Laster der Begierlichkeit; diese müssen vom Pfarrer sorgfältiger zur Einhaltung dieses Gebotes ermahnt werden. Solche sind: Erstens die an unerlaubtem Spiel sich belustigen oder überhaupt leidenschaftlich dem Spiel ergeben sind. - Zweitens Kaufleute, die Hungersnot und Teuerung herbeiwünschen, und es schwer ertragen, wenn außer ihnen noch andere Geschäftsleute da sind, eben weil sie teurer verkaufen möchten. Diese Sünde begehen auch jene, die den Mitmenschen Armut wünschen, damit sie beim Verkauf oder beim Einkauf größeren Profit haben. - Ebenso sündigen die Soldaten, wenn sie sich nach Krieg sehnen, um frei plündern zu können. Desgleichen Ärzte, die den Ausbruch von Seuchen, Gesetzeskundige, die viele und verwickelte Rechtshändel und Streitigkeiten wünschen, und endlich Gewerbetreibende, die in ihrer Gier nach Verdienst große Not an Lebensmitteln und andern Bedarfsartikeln herbeisehnen, um so recht viel Gewinn herauszuschlagen. - Endlich sündigen gegen dieses Gebot schwer, die in leidenschaftlicher Sucht nach der Ehre und Auszeichnung anderer, deren guten Namen neidisch verkleinern; zumal wenn diese ehrsüchtigen Menschen selber Feiglinge und Nichtsnutze sind. Denn guter Name und Ansehen gebührt nicht der Feigheit und Faulheit, sondern der Tüchtigkeit und eifrigen Arbeit.

A. M. D. G. <ref> Abkürzung von: AD MAIOREM DEI GLORIAM - Zur grösseren Ehre Gottes (Motto der Jesuiten vgl.)</ref>

Anmerkungen

<references />

siehe: Catechismus Romanus IV. Teil: Vom Gebet und vom Vaterunser.